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Trennung von Staat und Kirche Thesen der HUMANISTISCHEN UNION
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Trennung von Staat und Kirche Thesen erstellt von einer Expertengruppe der HUMANISTISCHEN UNION 1995
Autorenverzeichnis Prof. Edgar Baeger, Dipl.-Ing., lehrt Elektronik an der Fachhochschule Aalen. Autor zahl- reicher Veröffentlichungen zum Thema Trennung von Staat und Kirche. Mitglied im Beirat der HUMANISTISCHEN UNION. Dr. Gerhard Czermak, Richter am Verwaltungsgericht Augsburg. Stellv. Vorsitzender des Bundes für Geistesfreiheit, Augsburg. Johann-Albrecht Haupt, Jurist, Beamter im Kultusministerium Niedersachsen. Andrea Melbert, Juristin, Reg.-Rätin im Ministerium des Innern des Landes Brandenburg, Bereich Staats- und Verfassungsrecht. Prof. Dr. Johannes Neumann, lehrt Rechts- und Religionssoziologie an der Universität Tübingen; Professor für Kirchenrecht an der Universität Mannheim. Autor zahlreicher Pu- blikationen zum Staatskirchenrecht. Jürgen Roth, Politologe, Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Bundestag, Mitglied im Bundesvorstand der HUMANISTISCHEN UNION. Prof. Ulrich Vultejus, Amtsrichter a.D., Honorarprofessor an der Fachhochschule Hil- desheim/Holzminden, Bundesvorsitzender der HUMANISTISCHEN UNION. HUMANISTISCHE UNION e.V. Bräuhausstr. 2, 80331 München Tel. 089/22 64 41 (Fax 22 64 42)
Inhalt Vorwort (J.Roth) 7 Thesen zum Staat-Kirche-Verhältnis 11 Kapitel 1: Kirche und Staat These 1 Verträge (J. Neumann) 13 Kapitel 2: Kirche und Finanzen These 2 Kirchensteuer (G. Czermak) 18 These 3 Staatsleistungen (J.-A. Haupt) 24 These 4 Subventionen (G. Czermak) 26 Kapitel 3: Kirche und Bildung These 5 Theologische Fakultäten (J. Neumann) 31 These 6 Religionsunterricht (J. Neumann) 34 Kapitel 4: Kirche und Arbeitsrecht These 7 Arbeitsrecht (J. Roth) 40 Kapitel 5: Kirche und öffentliche Einrichtungen These 8 Militärseelsorge (J. Roth) 44 These 9 Medien (E. Baeger) 47 These 10 Sakrale Symbole (E. Baeger) 48 Die Situation in den neuen Bundesländern (A. Melbert) 49 Nachwort: Historische Anmerkungen zum Staat-Kirche-Verhältnis (U. Vultejus) 52 Glaubensfreiheit, Kirchenprivilegien und die sogenannte Partnerschaft von Staat und Kirche Thesen der HUMANISTISCHEN UNION von 1973 (Nachdruck) 57
Vorwort Die HUMANISTISCHE UNION setzt sich seit licher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihrer Gründung im Jahre 1961 dafür ein, auf dem Prüfstand der internen staatliche und kirchliche Angelegenheiten zu Diskussionen. Diese Auseinandersetzung entflechten. Diese Haltung wird öffentlich wird - gerade in der römisch-katholischen immer wieder als antiklerikaler Reflex diffa- Kirche - überlagert von dem Konflikt zwi- miert. Feindbilder treten an die Stelle von schen den Vertretern äußerst vorsichtiger Gesprächen, Dogmen verdrängen den Dia- Reformansätze und einer am Ende der Ära log. Papst Johannes Pauls II. fundamentalistisch erstarrten Kurie. Die Frage der Zukunftsfä- Inzwischen haben aber längst immer mehr higkeit bleibt aber auf der Tagesordnung. Je Christinnen und Christen innerhalb der Kir- länger die unumgänglich notwendige Öff- chen begriffen, daß die Verbeamtung des nung verschoben wird, um so heftiger wird Klerus der Seelsorge mehr schadet als nützt. sie in nicht allzu ferner Zukunft über die Jede bürokratische Großorganisation genießt kirchlichen Institutionen hereinbrechen. den warmen Regen staatlicher Subventionen. Autoritäre Gemeinschaften können Re- Keine Organisation aber hat so zahlreiche formen länger aufhalten als Demokratien. Privilegien wie die Kirchen. Als einzige Diese Erfahrung lehrt uns die Geschichte. können sie den Einzug ihrer Mitglieds- Doch der Veränderungsdruck wird schließ- beiträge dem Finanzamt überlassen. lich so stark, daß ihn kein Unfehlbarkeits- dogma stoppen kann. Wer die Debatte innerhalb der Kirchen ver- folgt, kann - bei allem Beharrungsvermögen Eine pluralistische Demokratie kann jedoch der Oberen - erste Anzeichen für einen den Stand der innerkirchlichen Debatte nicht Wandel der überkommenen Staats- zum alleinigen Kriterium für ihre Neube- finanzierung nicht übersehen. Die Diskus- stimmung des Verhältnisses zwischen Staat sion in den evangelischen Landeskirchen und Kirche machen. Immer mehr Menschen über die Entstaatlichung der Militärseelsorge gehören keiner der beiden großen christli- dürfte erst der Anfang sein. Es steht bereits chen Konfessionen an. Ihr Anteil an der Be- die Kirchensteuer und die Behandlung kirch- völkerung ist auf über 30% gestiegen. Das
staatlich anerkannte Monopol der Kirchen sönliche Angelegenheit jeder und jedes ein- für Religion und Weltanschauung ist unwie- zelnen. Der Staat hat dafür zu sorgen, daß derbringlich dahin. Erwin Fischer hat dies sie sich frei entscheiden und diese Entschei- mit seinem Buchtitel "Volkskirche ade!" dung unbehelligt leben können. Den Staat knapp und treffend beschrieben (s. Seite 17, geht es dabei nichts an, ob sich die Bürgerin- Literatur). nen und Bürger einer Religionsgesellschaft anschließen oder nicht. Das Ende der Volkskirchen hat weitrei- chende Konsequenzen: Der Staat ist nicht Es entspricht dem Wesen der meisten Glau- länger dem Bestandsschutz von bestehenden bensgemeinschaften, daß ihre unterschiedli- Organisationen verpflichtet, sondern der chen Überzeugungen erhebliche Auswir- Vielfalt unterschiedlicher Weltanschauun- kungen auf ihre jeweilige Organisationsform gen. Die Verflechtung staatlicher und kirch- haben. Bei den innerkirchlichen Diskussio- licher Angelegenheiten ist an ihrem ge- nen sind deshalb von jeher Glaubens- und schichtlichen Ende angekommen. Sie ist Organisationsfragen schwer voneinander zu schon immer teilweise verfassungswidrig, trennen. Die Kirchengeschichte bietet zahl- teilweise verfassungsrechtlich bedenklich. reiche anschauliche Beispiele für diese enge Das ist nicht neu! Neu ist die veränderte Verknüpfung: Glaubensfragen sind immer gesellschaftliche Situation. auch Machtfragen; das erklärt die Verbitte- rung, mit der sie ausgetragen werden. Bis Der Staat darf die großen christlichen Kir- zur Aufklärung war es im Christentum unbe- chen gegenüber anderen gesellschaftlichen stritten, daß weltliche und geistliche Macht Institutionen nicht länger bevorzugen, aber zwar unterschiedlicher Natur waren, aber auch nicht benachteiligen. Er ist vielmehr keineswegs getrennt im Sinne einer Macht- verpflichtet, den gesellschaftlichen Raum, in balance. dem sich die verschiedenen Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaften bewegen Das Spannungsverhältnis zwischen einer gegen Benachteiligungen und Diskriminie- liberalen, demokratischen Verfassung und rungen zu verteidigen. der tradierten Organisationsform gerade der katholischen Kirche wird von immer Men- Der Handlungsauftrag des Staates leitet sich schen als als unerträglich empfunden. Es sei ab aus der Verpflichtung zum Schutz der aber davor gewarnt, dieTrennung von Staat persönlichen Grundrechte und ihrer institu- und Kirchen dadurch zu gefährden, daß von tionellen Ausformung. Ansatzpunkt ist die seiten des Staates in die Belange der Kirchen Glaubens- und Gewissensfreiheit des ein- hineingeredet wird. Die Selbstorganisation zelnen. Wer als Christin oder Christ dem der Kirchen muß frei bleiben. Ob der Papst persönlichen Glauben Ausdruck verleihen die Bischöfe ernennt oder ob die Gemeinden möchte, muß das unbehelligt und frei tun ein Mitspracherecht haben, ist eine Ange- können. Ob im Rahmen der traditionellen legnheit der Kirchen selbst und nicht des Kirchen oder auf andere Weise, ist per- Staates. Gleiches gilt auch für das Verbot
der Priesterehe oder für die Stellung der müssen, ihre Beiträge zu bezahlen, haben Frauen. Konkordate und Kirchenverträge - große Probleme. Sie zu lösen, kann nicht die nach denen z.B. die Kirchen vor Bestellung Aufgabe staatlicher Einrichtungen sein. eines Erzbischofs, Landesbischofs oder Kir- chenpräsidenten sich bei der Landesre- Ein Ende des staatlichen Kirchensteuerein- gierung darüber zu vergewissern haben, ob zugs sollte jedoch nicht überstürzt von oben gegen die Person des zu Bestellenden "Be- verfügt und durchgeführt, sondern im denken allgemein-politischer Natur be- Gespräch vorbereitet werden. Das setzt aber stehen" - haben keinen Platz in der mo- voraus, daß auch die Kirchenleitungen bereit dernen Gesellschaft. sind, sich dem Dialog zu stellen. Sogar die Die Grenzen der Selbstverwaltung ist frei- Überwindung verfassungswidriger Privile- lich da erreicht, wo die Kirchen den Bereich gien muß vorbereitet und durch Übergangs- der Glaubensverkündung verlassen und regelungen begleitet sein. In diesem Zu- gesellschaftliche Felder bearbeiten. Hier hatsammenhang muß auch der soziale Schutz selbstverständlich der uneingeschränkte kirchlicher ArbeitnehmerInnen Berücksich- staatliche Grundrechtsschutz zu gelten. Wer tigung finden. Sollten die Kirchen jedoch anstelle des Staates dessen Aufgaben unter weiterhin unbeeindruckt von den gesell- Berufung auf das Subsidiaritätsprinzip über- schaftlichen Veränderungen an ihrer privile- nimmt, hat die Vorgaben des Grundgesetzes gierten Sonderrolle festhalten, wird die Zeit zu achten. So dürfen Mitarbeiterinnen und für eine gütliche Trennung knapp. Die Kir- Mitarbeiter in kirchlichen sozialen Ein- chen müssen dann mit einer gesellschaftli- richtungen nicht weniger Rechte haben als chen Debatte rechnen, die über ihre Köpfe ihre Kolleginnen und Kollegen in vergleich- hinweggeht. Die Auseinandersetzung um die baren kommunalen Institutionen. Streichung eines Feiertages im Zusam- menhang mit der Finanzierung der Pflege- Die Freiheit der Gläubigen und ihrer Kir- versicherung sollte ihnen eine ernste War- chen, sich nach ihren Überzeugungen zu nung sein, den eigenen politischen Einfluß organisieren, sollte konsequent umgesetzt nicht länger zu überschätzen. werden. Freiheit und Selbstbestimmung können jedoch nicht bedeuten, daß die Be- Den Kritikern außerhalb der Kirchen sei in- stimmung der Tätigkeitsfelder und die des angeraten, die Debatte um die Änderung Fragen der Finanzierung dem gesellschaft- der einschlägigen Bestimmungen des Grund- lichen Diskurs entzogen und der staatlichen gesetzes bzw. der Weimarer Reichs- Obhut übertragen werden. Derart traditiona- verfassung auch als Chance für den Dialog listisches Gebaren ist unvereinbar mit dem und den Abbau gegenseitiger Feindbilder zu ansonsten stets beanspruchten Nutzen von nutzen. Die Gemeinsamkeiten mit der inner- Freiheit und Selbstbestimmung. Organisati- kirchlichen Opposition sind größer als die onen, die den eigenen Mitgliedern so wenig organisatorische Distanz vermuten läßt. Die Vertrauen entgegenbringen, daß sie diese of- große Aufgabe, überkommene Privilegien fenbar durch das Finanzamt dazu bewegen abzubauen und die demokratische Vielfalt in
Staat und Gesellschaft voranzubringen, macht die Zusammenarbeit über alte Gräben hinweg nötig und möglich. Die Reform des Staatskirchenrechts mit einem Hebel für die Schwächung der Kirchen zu verwechseln, könnte jedoch diesen politischen Re- formprozeß verzögern. Stärke oder Schwä- che der Kirchen entscheidet sich an ihrer Fä- higkeit, die gesellschaftlichen Anfor- derungen derZukunft zu bewältigen. Das - oft staats-kritische - Eintreten einzelner kirchlicherPersönlichkeiten und Organi- sationen für Wahrung der Menschenrechte ist durchaus breiter Unterstützung wert. Auch hier sind Koalitionen notwendig und möglich. Es wäre fatal, durch bestimmte An- griffe von außen die ausgesprochen hetero- genen Kräfte innerhalb der Kirchen zu- sammenzuschweißen und so die Reform- kräfte zu schwächen. Die Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche sollte daher auch in Zukunft losgelöst bleiben von der Auseinandersetzung über die Inhalte der Glaubenslehren selbst. Die Trennung von Thron und Altar könnte sich dann sogar als Chance für die kirchliche Erneuerung er- weisen.
ergibt sich, daß die Begründung neuer Staatsleistungen verfassungswidrig ist. Thesen zum Staat-Kirche- These 4: Subventionen Verhältnis Kulturelle und soziale Aktivitäten der Kir- chen und der sonstigen weltanschaulichen Gemeinschaften sind nach den gleichen Grundsätzen zu fördern wie die aller anderen These 1: Verträge Gruppierungen. Insbesondere sind die religi- Konkordate und Kirchenverträge dienen der ös-weltanschaulichen Gemeinschaften - un- dauerhaften Sicherung kirchlicher Privile- abhängig von ihrer Rechtsform - formal gien. Sie sind nicht nur überflüssig, sondern gleich zu fördern, so daß eine Privilegierung schädlich, weil ihr Inhalt dem parlamentari- der Großkirchen ausscheidet. schen Entscheidungsprozeß weitgehend Veranstaltungen missionarischen Charakters entzogen ist. sind nicht förderungsfähig. Örtliche religiös- Diese Verträge können, wie andere Ver- weltanschaulich geprägte Monopole sind un- träge, gekündigt werden, auch wenn sie zulässig und nach und nach abzubauen. keine Kündigungsklausel enthalten. These 5: Theologische Fakultäten Den Kirchen und Weltanschauungsge- These 2: Kirchensteuer meinschaften steht es frei, ihre Mitarbeiterin- Die Verfassung gesteht den Kirchen, soweit nen und Mitarbeiter in eigenen Bildungsein- sie öffentlich-rechtliche Körperschaften richtungen aus- und fortzubilden. sind, das Recht zu, eigene Steuern zu er- Die traditionellen theologischen Fakultäten heben. (Art. 140 GG in Verb. mit 137 haben wegen ihrer Kirchen- und Glaubens- WRV) bindung, die der Freiheit der Wissenschaft Die Verfassung enthält keine Regelung des entgegensteht, an den Universitäten keinen Einzugs kirchlicher Steuern durch den Staat. legitimen Platz. Sie sind deshalb in reli- Der Steuereinzug durch den Staat verletzt in gionswissenschaftliche Fakultäten um- eklatanter Weise das Gebot der Trennung zugestalten. von Staat und Kirche. Das kirchliche Mitspracherecht bei der Besetzung der Hochschullehrerstellen stellt einen Eingriff die Autonomie der Wissen- These 3: Staatsleistungen schaft dar. Nach der Verfassung sind die Staats- Konkordatslehrstühle sind verfassungswidrig leistungen abzulösen (Art. 140 GG in Verb. und deshalb aufzuheben. mit 138 WRV). Dieser Verfassungsauftrag ist endlich auszuführen. Aus dem ausdrücklichen Verfassungsauftrag These 6: Religionsunterricht
Es ist nicht Aufgabe des religionsneutralen Staates, in einem von ihm verantworteten Unterricht religiöse oder weltanschauliche Unterweisung zu betreiben. Ein Religionsunterricht nach den Grund- sätzen der Religionsgemeinschaften ist am religiösen Bekenntnis ausgerichtet. Da zu ihm niemand gezwungen werden kann, ist auch der Zwang zu einem Ersatz unzulässig. Wenn der Staat angesichts der kulturellen Vielfalt der modernen Gesellschaft Unter- richt über die vielfältigen religiösen Über- zeugungen anbietet, muß dieser Unterricht allen Schülern und Schülerinnen offen stehen. These 7: Arbeitsrecht Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer in kirchlichen Einrichtungen hat das allgemeine Arbeits- und Sozialrecht zu gelten mit seinem ohnehin wirksamen Tole- ranzschutz. These 8: Militärseelsorge Eine besondere Militärseelsorge in staatli- cher Trägerschaft ist von der Verfassung her unzulässig. These 9: Medien Kirchen dürfen in den öffentlich-rechtlichen Medien nicht gegenüber anderen gesell- schaftlichen Gruppen bevorzugt werden. These 10: Sakrale Symbole Auf sakrale Symbole ist im Bereich aller öf- fentlichen Institutionen zu verzichten.
These 1: Verträge: Kapitel 1 Kirche und Staat Konkordate und Kirchenverträge dienen (können). der dauerhaften Sicherung kirchlicher Privilegien. Sie sind nicht nur überflüssig, 2. Es ist verständlich und richtig, wenn die sondern schädlich, weil ihr Inhalt dem Kirchen, als Organisationen religiöser Inter- parlamentarischen Entscheidungsprozeß essen, gemäß Art. 4 GG in zentralen Be- weitgehend entzogen ist. Diese Verträge langen ihres Selbstverständnisses nicht staat- können, wie andere Verträge, gekündigt licher Anordnung unterworfen sein wollen. werden, auch wenn sie keine Kündigungs- Sie sind durch Art. 137 III WRV in Verb. klausel enthalten. mit Art. 140 GG ermächtigt, "selbständig in- nerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" ihre inneren Angelegenheiten zu Begründung: ordnen und zu verwalten. Durch die Kir- I chenverträge jedoch werden sie über die 1. Der Verfassungsstaat, als Organisati- Schranken des für alle geltenden Gesetzes onssystem einer pluralen Gesellschaft, in der herausgehoben. Sie bilden Staaten im Staate. unterschiedliche, teilweise divergierende In- Das hat weitreichende und vielfältige Fol- teressen ausgeglichen werden müssen, ord- gen! net innerstaatliche Angelegenheiten kraft seiner Hoheit und Organisationskompetenz 3. Die Kirchen als Organisationen religiöser durch von ihm gesetzte Normen. Das födera- Interessen haben, wie alle anderen Organi- tive System versucht eine Machtbalance sationen und Interessengruppen auch, das zwischen Kommunen, Ländern und den In- Recht, mit dem Staat auf die gleiche Weise teressen des Bundes auszutarieren: Die Be- Kontakte zu pflegen. Deshalb erübrigt sich troffenen werden gehört und in den Normie- beispielsweise die Regelung in den neuen rungsprozeß einbezogen, doch sie sind nicht Kirchenverträgen, die den Kirchen das Recht direkt an den Entscheidungen beteiligt. auf eine Vertretung am Sitz der Landes- Mit keiner anderen Körperschaft des öf- regierung zusichert. Dieses Recht ist selbst- fentlichen Rechts, etwa Universitäten, Kam- verständlich und kein Privileg der Kirchen. mern und dgl. hat je die öffentliche Gewalt Durch die förmliche Aufnahme in einen sol- Verträge dieser Art abgeschlossen. Sie un- chen Vertrag jedoch wird das Selbstver- terstehen vielmehr völlig der Sat- ständliche zum Privileg. Darum geht es den zungkompetenz des Gesetzgebers. Das Kirchen! Und genau dies verstößt gegen die schließt nicht aus, daß bestimmte De- von der Verfassung gebotene Gleichheit! tailfragen (vertraglich) geregelt werden Einzelne, notwendig erscheinende ver-
tragliche Regelungen, etwa über die Nutzung Bevölkerungsanteile existierten, begannen von Gebäuden, Mitwirkung im Bildungs- die Länder nun - um der "Parität" willen - oder Sozialbereich u. dgl. können in der all- auch mit den evangelischen Kirchen "Verträ- gemein üblichen Weise vertraglich geregelt ge" abzuschließen. werden. Hierbei tauchte ein neues Problem auf: Hatte II man sich bei den Konkordaten um ihre 4. Die Tatsache, daß der Verfassungsstaat völkerrechtliche Qualität streiten können, so mit den Kirchen besondere "Verträge" ab- stellte sich hier die Frage nach der juristi- schließt, verdankt ihren Ursprung vorkon- schen Natur solcher "Kirchenverträge". Ge- stitutionellen Entwicklungen, als der Kaiser, bannt von dem Wunsch, den evangelischen als weltlicher Herrscher, mit dem Papst, als Kirchen das Gleiche zu geben wie der katho- geistlichem Oberhaupt und weltlichem lischen, unterzog man sich nicht der Mühe Herrn, schlußendlich kontraktierte, wenn einer nüchternen methodologischen Reflexi- Kampfmaßnahmen erfolglos geblieben on. Eine solche hätte die rechtliche Frag- waren. Monarch paktierte mit Monarch: Es würdigkeit dieser Art von Verträgen of- ging um die gegenseitige Stabilisierung ihrer fenkundig werden lassen. Sie entstammen Machtpositionen; es ging gemeinsam gegen einer längst vergangenen absolutistischen jene, die diese gefährden konnten: die Für- Epoche und einer durch und durch undemo- sten und Prälaten, die Städte und Bürger. kratischen Denkweise. Nach dem I. Weltkrieg nutzte der "Hl. Von besonderer Bedeutung jedoch waren Stuhl" die Gunst der Stunde, um mit den zwei folgenschwere Konkordate, beide mit vielen neuen kleinen Staaten, die (noch) faschistischen Diktaturen abgeschlossen: keine internationale Reputation besaßen, Konkordate zu schließen, so mit Lettland a) Das mit den Lateran-Verträgen verbun- (1922), Polen (1925), Rumänien (1927) und dene Italienische Konkordat von 1929, das Litauen (1927). die katholische Religion zur Staatsreligion und die kirchliche Eheschließung zur einzig Das Konkordat mit Bayern von 1924 ist ty- rechtmäßigen erklärte, die Freiheitsrechte pisch für eine solche Interessenkoalition: "im Interesse der einzig wahren Religion" Rom war um die Vorrangstellung und die aufhob, dem Faschismus politische Loyalität Gewährleistung finanzieller Ressourcen der zusicherte und sich von ihm zahllose Pri- Katholischen Kirche besorgt, Bayern wollte vilegien gewährleisten ließ. dem Deutschen Reich gegenüber seine b) Seit Anfang der zwanziger Jahre bemühte außenpolitische Souveränität dokumentieren. sich der Vatikan um den Abschluß eines Die Konkordate mit Preußen (1929) und Konkordates mit dem Deutschen Reich: Baden (1932) befriedigten zwar nicht die Dabei standen für den Vatikan vor allem fol- kirchlichen Erwartungen, sicherten der Kir- gende Ziele im Vordergrund: che aber dennoch weitreichende Privilegien. Gewährleistung der Privilegien sowie Si- Da in beiden Ländern starke protestantische cherung der staatlichen Zuschüsse,
alleinige Geltung des katholischen Ehe- cherischen und vertragsbrüchigen Re- rechts und Sicherung der katholischen gierung geschlossenen Vertrag nicht in Schulen und des Religionsunterrichts sowie Frage stellten. die Sonderstellung der Militärseelsorge. Von deutscher Seite war allein die Reichs- III wehr an einem Konkordat interessiert: sie Als im Jahr 1954 das Land Niedersachsen wollte keine "Zivilisten" in der Militärseel- das Schulwesen gesetzlich neu ordnete und sorge!. bekenntnisfreie Schulen einführte, drang der Die demokratischen Regierungen sahen sich Bund auf Einhaltung dieses Konkordates. nicht in der Lage, die Forderungen Roms zu Das Bundesverfassungsgericht wies 1957 erfüllen, obwohl der Vatikan gerade katho- den Antrag der Bundesregierung zurück, ob- lische Reichskanzler dazu zwingen wollte. wohl das Gericht davon ausging, daß das Adolf Hitler jedoch glaubte, durch ein Kon- Reichskonkordat "nach der damaligen staats- kordat sowohl seine internationale Reputa- rechtlichen Lage" zu innerstaatlich ver- tion heben und eine eigenständige Militär- bindlichem Recht geworden sei. seelsorge etablieren (Art. 27), als auch den "politischen Katholizismus" (in Form der Nichts dürfte die unparlamentarische Zentrumspartei), der auch Rom seit An- Komponente solcher Vertragsabschlüsse beginn unbequem war, ausschalten zu besser beleuchten, als der Entstehungsvor- können (Art. 31 und 32). Weitere Ver- gang dieses "Vertrages", bei dem das tragsinhalte waren der Austausch von Bot- Parlament gänzlich ausgeschlossen war, und schaftern (Art.3), die Sicherung des katho- der dekuvrierende geheime Anhang! lischen Religionsunterrichts und der Be- Dieses Verfahren war jedoch nicht nur ein kenntnisschule (Art. 21-25). Bei der Bestel- der damaligen politischen Situation geschul- lung von Bischöfen wurde dem Staat ein deter "Fehler", vielmehr ist es geradezu ein Einverständnisrecht zugestanden (Art. 14); Wesensmerkmal aller Verträge mit den Kir- die Ernannten hatten vor Besitzergreifung chen: Gemäß ihrer vorkonstitutionellen ihrer Diözese den Treueid zu leisten (Art. Herkunft wird stets auf die gleiche Weise 16). Im Blick auf die von Hitler geplante vorgegangen: Der Hl. Stuhl bzw. die Wiederaufrüstung wurden in einem ge- (Landes-)Kirchen legen den Ländern Ver- heimen Anhang Sonderregelungungen für tragsentwürfe vor, die weithin den Texten den Mobilmachungsfall zugunsten der Geist- bestehender Verträge nachempfunden sind; lichen getroffen! der Verhandlungsspielraum wurde und wird Das NS-Regime hat das Konkordat vielfach von den Regierungen meist als sehr gering gebrochen. Der Vatikan hat dennoch stets angesehen. Vor allem aber glaubte keine Re- daran festgehalten, wohl wissend, welch gierung, sich dem Vorwurf der Kirchen- kostbares Pfand er damit in der Hand hatte. feindlichkeit aussetzen zu dürfen, der bei Umso erstaunlicher war es, daß nach dem Einwendungen sicher erhoben würde. Erst Ende des Nazi-Regimes die demokratischen die fertig ausgehandelten und unterzeichne- Regierungen diesen mit einer verbre- ten Verträge wurden und werden dem Parla-
ment zur Beschlußfassung und zur Über- bei der Auswahl der Lehrkräfte an öf- führung in staatliches Recht vorgelegt. Was fentlichen (!) Schulen, Schulgottesdienst und bleibt den Parlamenten anderes übrig als zu- Gebet werden zugesichert. Damit sind (fast) zustimmen, wollten sie nicht ihre Regierung alle kirchlichen Wünsche erfüllt. Nur eines desavouieren? Das Selbstbewußtsein der fehlt noch: die Alleinverbindlichkeit der heutigen Parlamente - vor allem in Religi- kirchlichen Eheschliessung und der geistli- onsangelegenheiten - hält keinen Vergleich chen Ehegerichtsbarkeit! mit den Ständen Badens und Württembergs im 19. Jahrhundert aus! Dieses Modell unverfrorener Maximal- Das Land Niedersachsen, das die "Revolte" forderungen wurde nach Eingliederung der angeführt hatte, weil seine Volksvertretung Gebiete der DDR fortgesetzt. In allen neuen unter Berücksichtigung des allgemeinen Bundesländern - bis Sommer 1994 noch mit Wohls ein neues, demokratisches, auf glei- Ausnahme Brandenburgs - wurden mit den che Bildungschancen ausgerichtetes Schul- evangelischen Landeskirchen "Verträge" gesetz beschlossen hatte, bot bereits 1954 nach dem gleichen Muster geschlossen: den evangelischen Kirchen einen Vertrag an. Verhandlung auf der Grundlage (west-) Zum ersten Mal wird nun den Kirchen ein kirchlicher Entwürfe; Vertragsabschluß zwi- "Öffentlichkeitsauftrag" zugeschrieben; in schen Landesregierung und Landeskirchen salbungsvollen Umschreibungen werden vor mit nachträglicher - rein formaler - Ratifizie- allem ihre Privilegien gesichert und die fi- rung durch den Landtag. Dank der beachtli- nanziellen Zuschüsse gewährleistet. Das Par- chen Quote an Pfarrern in den Landtagen be- lament hatte diesem "Loccumer Kirchen- reitete das kaum Schwierigkeiten. Etwaige vertrag" nur noch zuzustimmen. - Ein Einwände, wie sachlich sie auch begründet Schelm, wer Böses denkt! waren, wurden - wie nach 1945 - mit dem Hinweis auf die "Kirchenfeindlichkeit" des Nun folgte in deutschen Landen eine Kette verflossenen Systems diskreditiert! von Verträgen mit den Kirchen! Kaum ein Land wollte zurückstehen. Doch Bayern er- IV klomm im Jahr 1974 die Spitze mit seiner 5.Was wäre allenfalls regelungsbedürftig? Novellierung des Konkordats von 1924: Nun Die fortgesetzte Privilegierung der Groß- wurde vor allem - aber wegen der "Parität" kirchen ist zweifellos verfassungswidrig. nicht nur - der katholischen Kirche alles Ebenso verletzen die neuen Zusagen von gegeben, was sie begehrte: Theologische Fa- Staatsleistungen an die Kirchen das Ablöse- kultäten und sogenannte "Konkor- gebot des Art. 140 GG in Verb. mit Art. 138 datslehrstühle" in theologiefernen Lehrge- WRV. Danach sind "Staatsleistungen an die bieten (Philosophie, Gesellschafts- Religionsgesellschaften durch die Landesge- wissenschaften und Pädagogik), Lehreraus- setzgebung" abzulösen. bildung, Kirchliche Gesamthochschule, Vereinbarungen über die Zusammenarbeit Einfluß auf die Erziehung der Schüler in all- im sozialen Bereich wären im Einzelfall gemeinbildenden (!) Schulen, Mitwirkung denkbar, dürften allerdings angesichts der
zunehmenden Privatisierungstendenzen im Literatur: Sozialbereich künftig kein Gegenstand kir- Czermak, Gerhard, Staat und Weltanschauung. Eine chenvertraglicher Regelung mehr sein! Auswahlbibliographie, Berlin - Aschaffenburg 1993, Wenn überall "mehr Markt" angesagt sein bes. 119 - 132; soll, kann es für die Kirchen und ihre Un- ders., Grundsätzliche Anmerkungen zum Evangeli- ternehmen keine konkurrenzfreien Räume schen Kirchenvertrag des Landes Mecklenburg-Vor- geben! pommern vom 20.1.1994, in: Materialien und Informa- Die in den Verträgen festgeschriebenen Sub- tionen zur Zeit 1994/H.2, 18-21 (im Auftrag der HU- ventionen für die Kirchen widerstreiten den MANISTISCHEN UNION erstellt und im Rechtsaus- in anderen Bereichen geforderten Re- schuß des Landes vorgetragenes Gutachten; abgedruckt striktionen solcher Maßnahmen. ohne Titel); Die vertraglich gesicherten Privilegierungen Listl, Josef (Hsg.) Die Konkordate und Kirchenverträge der Kirchen widersprechen weithin auch den in der Bundesrepublik Deutschland, 2 Bde., Berlin Vereinheitlichungstendenzen der Euro- 1987; päischen Union. Das Vertragssystem wäre Feine, Hans-Erich, Kirchliche Rechtsgeschichte. Die 5 somit abzubauen. katholische Kirche Köln-Wien 1972; Fischer, Erwin, Volkskirche ade! Trennung von Staat 4 und Kirche, Berlin - Aschaffenburg 1993, bes. 163 ff.; Heussi, Karl, Kompendium der Kirchengeschichte, Tü- 13 bingen 1976; Neumann, Johannes, Grundriß des katholischen Kir- chenrechts, Darmstadt 1981/84, bes. 349; Neumann, Johannes, Zur religiösen Legitimation der Staatsgewalt in der Bundesrepublik Deutschland, in: Gesellschaft und Religion hg. v. J. Albertz, Berlin 1991, 77-118. Als Broschüre erschienen bei: HUMANI- STISCHE UNION, München.
These 2: Kirchensteuer Kapitel 2 Kirche und Finanzen Die Verfassung gesteht den Kirchen, so- A. Fehlende rechtspolitische weit sie öffentlich-rechtliche Körper- Legitimation der Kirchensteuer schaften sind, das Recht zu, eigene Steu- Äußerst vielfältig sind die Argumente, mit ern zu erheben. (Art. 140 GG in Verb. mit denen amtskirchlich orientierte Verteidiger 137 WRV) des herrschenden Systems der Kirchen- Die Verfassung enthält keine Regelung steuer, eines "finanzverfassungsrechtlichen des Einzugs kirchlicher Steuern durch Unikats" (so selbst Josef Isensee1) operieren. den Staat. Der Steuereinzug durch den Die Forderung nach völliger Abschaffung Staat verletzt in eklatanter Weise das Ge- der Kirchensteuer wird oft sehr emotional bot der Trennung von Staat und Kirche. und irrational diskutiert, zumal schon um die 70 % der bundesdeutschen Bevölkerung die Begründung: Kirchensteuer generell ablehnen. In der öffentlichen Diskussion über die Kir- chensteuer geraten zwei Argumenta- I. Zum Freund-Feind-Denken tionsebenen immer wieder durcheinander. Meist fühlen sich die Verteidiger des Sy- Zu unterscheiden ist die Frage, ob die lan- stems sehr angegriffen, obwohl selbst er- desrechtlich geregelte Kirchensteuerer- klärte Kirchengegner den Kirchen niemals hebung durch staatliche Behörden nach dem das Recht abstreiten, ihre Mitgliedsbeiträge Grundgesetz zulässig ist, von der Frage, wel- (um solche handelt es sich der Sache nach) che Folgen die Abschaffung der Kirchen- nach Belieben entsprechend dem kirchlichen steuer und ihr Ersatz durch ein rein kirchen- Selbstbestimmungsrecht (Art. 140 GG in internes Beitragsystem rechts- und kir- Verb. mit Art 137 III WRV) zu erheben. chenpolitisch haben würde. Auch eine Einziehung mit Hilfe staatlicher Die praktischen Folgen können in der Gerichte würde den Kirchen sicher niemand verfassungsrechtlichen Diskussion nur inso- verweigern wollen. Mehr verlangt selbst das weit von Bedeutung sein, als sie Rück- Gesetzbuch der katholischen Kirche nicht2. schlüsse auf die Auslegung des Grund- Insofern ist, auch angesichts der anders- gesetzes erlauben. Ist die staatliche Kirchen- artigen Regelung in allen vergleichbaren steuererhebung in ihrer konkreten Ausge- Ländern, die große Aggressivität mancher staltung verfassungsrechtlich unzulässig, so 1 sind die Folgen hinzunehmen. Die Ver- 1 JuS 1980, 94/98. 2 fassung hat allemal den Vorrang vor prakti- can. 222 § 1 CIC; ferner can. 1260, 1262; can. 1263 enthält im Hinblick auf Deutschland die Zulassung "partikularer Ge- schen Erwägungen. setze und Gewohnheiten", die dem Diözesanbischof "weiter- gehende Rechte einräumen"
Verteidiger des Kirchensteuersystems ("bei- Vereinigungen mit staatlichen Zwangsmit- spielhaft" etwa Martin Lohmann, Ressortlei- teln Mitgliedsbeiträge einzuziehen. Der- ter beim Rheinischen Merkur3) nicht recht artige Kirchenfinanzierung gibt es von allen verständlich. vergleichbaren Staaten nur noch in größeren Teilen der Schweiz. II. Einige Gesichtspunkte der Systemver- teidiger (stichwortartig): 2. Die beiden Großkirchen (das sind nur die Es handele sich um antikirchliche Propa- wichtigsten Religionsgemeinschaften, die ganda; ohne Kirchensteuer sei der Sozi- "Kirchensteuern" erheben) verwenden von alstaat nicht oder nur mit Einschränkungen den derzeit ca. 16 Mrd. Kirchensteuer ledig- zu verwirklichen; Kirchensteuer spare dem lich um die 8 % für allgemein-öffentliche Staat Geld; die kirchlichen Sozialein- kirchliche Sozialeinrichtungen. Die sich für richtungen stünden den Bürgern ungeachtet die öffentliche Hand hieraus ergebenden ihrer Weltanschauung zur Verfügung; Kir- Einsparungen betragen nur einen Teil des- chensteuer beuge der Verödung der Kultur sen, was sich an staatlichen Mindereinnah- vor; Kirche müsse als unverzichtbarer men allein aus der steuerlichen Absetz- Wertevermittler in der pluralistischen Ge- barkeit der Kirchensteuern ergibt, von den sellschaft gefördert werden; das Lohn- Kosten der Militär- und Anstaltsseelsorge, steuereinzugsverfahren sei äußerst prakti- den enormen Kosten der theologischen Fa- kabel, effektiv und kostengünstig; Kirchen- kultäten, des Religionsunterrichts und steuer garantiere bessere Steuergerechtig- anderer Ausgaben zugunsten der Kirchen keit; ihr Fortfall führe zu gesellschaftlich un- ganz abgesehen. erwünschten Entwicklungen in der Kirche usw. Man preist sie als zu exportierendes3. Eine Reduzierung kirchlicher Sozialein- Modell. richtungen auf Grund reduzierter kir- cheneigener Einnahmen hätte daher kaum III. Gewichtige Punkte sprechen demge- Auswirkungen auf den Bestand der ohnehin genüber für die Ersetzung des Kirchen- weitestgehend von Staat und Kommunen fi- steuermodells durch ein Modell rein kir- nanzierten Einrichtungen, allenfalls auf die cheneigener Beitragsleistung: Trägerschaft. 1. Es kann nicht Aufgabe des dem Grundsatz 4. Positive Folge einer Reduzierung kirch- der inhaltlichen Distanziertheit (Prinzip der licher Träger wäre eine Verringerung der Nichtidentifikation) und organisatorischen weithin vorhandenen verfassungswidrigen Trennung von Staat und Religion4 ver- kirchlichen Monopole im Sozialbereich. Das pflichteten Staats sein, für außerstaatliche BVerfG hat in seinem Sozialhilfeurteil den 3 gegen starken Widerstand der Städte 1961 Die Neue Ordnung 47 (1993) 412 - 422; auch in W. Ocken- neu eingeführten Grundsatz des Vorrangs fels/ B. Kettern, Streitfall Kirchensteuer 61-75. 4 Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 I WRV; vgl. auch Art. 137 III der "freien Träger" vor denen der öffentli- (WRV - Selbstbestimmungsrecht - und Art. 138 WRV -fi- chen Hand, das sind überwiegend kirchliche, nanzielle und vermögensrechtliche Trennung)
verfassungskonform eingeschränkt: Bei der gar als "unreligiös" zu bezeichnen sind. Neuerrichtung sozialer Einrichtungen müsse Dabei wird die Kirchensteuer weit über- Art. 4 GG (Glaubensfreiheit) beachtet wiegend (ca. 65 -70 %) für Personal des in- werden. Das bedeutet, daß eine Grund- nerkirchlichen Bereichs verwendet. Das Be- versorgung mit weltanschaulich neutralen harren auf der Kirchensteuer zielt also we- Einrichtungen vorhanden sein muß.5 sentlich auf Zahler, die mit der Kirche nichts im Sinn haben: Es handelt sich - trotz der 5. Die Kirchensteuer begünstigt den Zen- Möglichkeit des "Kirchenaustritts" - um eine tralismus der amtskirchlichen Hierarchie mit Sonderform der Unehrlichkeit, die übrigens ihrem üppig ausgestatteten Personal- und in der Pastoralkonstitution des 2. Vatikan- Machtapparat. Sie nimmt daher indirekt von ums (Art. 76) indirekt deutlich verurteilt Staats wegen und also illegitim Einfluß auf wurde. die innerkirchlichen Strukturen. 9. Die Kirchensteuer ist Relikt einer histo- 6. Ärmere und "entschlacktere" Kirchen, die risch älteren Rechtsschicht. Sie hatte einmal, sich mehr auf ihre ureigenen Kräfte stützen unter völlig anderen Verhältnissen, ihre müßten, könnten einen mindestens gleich- Rechtfertigung angesichts einer volkskirchli- wertigen Einfluß auf die Wertebildung in der chen Struktur. Von einer Volkskirche kann Gesellschaft nehmen. Sie müßten mehr auf selbst im Westen Deutschlands seit langem ihre - nun im Durchschnitt überzeugteren - nicht mehr die Rede sein6, in den neuen Mitglieder Rücksicht nehmen als auf po- Bundesländern nicht einmal als Restbestand. litische Instanzen. 10. Innerkirchlich wird die Kirchensteuer 7. Einer völlig kircheneigenen Beitrags- auch von katholischer Seite seit langem kriti- verwaltung bliebe es unbenommen, für ge- siert: z.B. von H. Barion7: sie sei eine "neo- rechte Beiträge und ihre gerechte Verteilung konstantinische Verfremdung", die nach ei- mit Regionalausgleich usw. zu sorgen und nem neuen Kierkegaard rufe; von O. v. Nell- auch den Einfluß von Großspendern zu regu- Breuning8: "...in der freiheitlichen Land- lieren. schaft unseres Verfassungs- und Staatskir- chenrechts ist dieser Anachronismus ein er- 8. Ein kircheneigenes Beitragssystem würde ratischer Block". Eine ausführliche Broschü- auch aus folgendem Grund die kirchliche re des "Bensberger Kreises"9 befaßt sich u.a. Glaubwürdigkeit erhöhen: Aus viel- mit den Problemen Geld als Machtfaktor in schichtigen Gründen, insbesondere auch des der Weltkirche, Bürokratisierung und Kon- sozialen "Zwangs" (Rücksicht auf Familien- zentration, Identitätsverlust, Arbeitge- angehörige, auf kleinere Arbeitgeber), zah- berproblematik. Ergebnis einer anderen Lö- len selbst solche Bürger Kirchensteuer, die sung sei: geringere Einnahmen, aber keine keinerlei Kirchenbindung mehr haben oder 6 vgl. E. Fischer, Volkskirche ade!, Berlin/Aschaffenburg 41993 7 DÖV 1966, 361/367. 5 8 BVerfGE 22/188 = NJW 1967/ 1795; eindringlich H. Weber DÖV 1970, 148/154. 9 ZevKR 1991, 253/264. Zu einigen Aspekten der Kirchenfianzierung. Bonn 31992.
Verarmung; relative politische Un- abhängigkeit, Stärkung der Basis, öku- 2. Das bedeutet folgendes: Da es sich um die menische Solidarität u.a). In dem 1990 ge- Erhebung eines Mitgliedsbeitrags einer gründeten "Verein zur Umwidmung von Kir- außerstaatlichen Organisation in Form einer chensteuern e.V."10 haben verschiedene Steuer handelt (ein finanzverfassungs- kirchliche Gruppierungen zu- rechtlich einmaliger Fall), ist ein gewisses sammengefunden. Maß an institutionellem Zusammenwirken von Staat und Religionsgemeinschaften be- Resultat: Rechtspolitisch ist die Kirchen- griffsnotwendig erforderlich. Formellrecht- steuer nicht mehr zu rechtfertigen. Der Vor- lich liegt nur dann eine Steuer vor, wenn der sitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Staat auf Antrag des Steuergläubigers ("Kir- Karl Lehmann11, hat schon 1974 in Anleh- che") Rückstände zwangsweise beitreibt. nung an E.-W. Böckenförde geschrieben: Um die Steuer rationell erheben zu können, "Es gibt im Kern der politischen Ordnung hat der Steuergläubiger nach der o.gen. Be- keine Verbindung mehr zur Religion ... Die stimmung das Recht, die Steuerdaten der öf- Religion wird zu einer Angelegenheit des In- fentlichen Hand mitgeteilt zu bekommen teresses einzelner Bürger. Sie ist kein Be- ("bürgerliche Steuerlisten"). Es sind nur standteil der staatlichen Ordnung." diese zwei Minimalvoraussetzungen, die die Verfassung garantiert. Sie erfordern freilich B. Verfassungsrechtliche Argumente den Erlaß von Landesgesetzen. Dabei könnte gegen den Einzug kirchlicher Steuern - unstreitig - der Landesgesetzgeber be- durch den Staat stimmen, daß die Kirchensteuer nur von Bisher so gut wie unbekannt geblieben ist kirchlichen Stellen verwaltet werden soll12. die Erkenntnis, daß auch bei grundsätzlicher Hätte man sich damit begnügt, wären zahl- Beibehaltung der Kirchensteuer als einer öf- reiche Rechtsprobleme nicht entstanden. fentlich-rechtlichen Zwangsabgabe aus Rechtsgründen erhebliche Änderungen er- 3. Zur Weimarer Zeit war die alte Ortskir- forderlich sind. chensteuer schrittweise in eine Diözesan- 1. Die Regelung des GG als oberster Rechts- bzw. Landeskirchensteuer umgewandelt norm lautet wie folgt: worden. Zentralisiert und vereinheitlicht "Die Religionsgesellschaften, welche Kör- wurde das System erst nach 1945. Erst jetzt perschaften des öffentlichen Rechts sind, auch verzichtete man nahezu allgemein auf sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen kircheneigene Steuerbehörden und ging auf Steuerlisten nach Maßgabe der landes- das praktische und höchst effektive System rechtlichen Bestimmungen Steuern zu er- des Abzugs von der Lohnsteuer über, wobei heben." (Art. 140 GG in Verb. mit Art. 137 der Arbeitgeber kostenlos auch die Kirchen- VI WRV) steuer abzuführen hat. Die Aufgaben der frü- 10 heren Kirchensteuerämter übertrug man auf 1. Vors.: Dr. Magdalene Bussmann, Sylviastr. 14, 45131 Essen. 11 12 In H. Howes: Gesellschaft ohne Christentum Düsseldorf vergl. BVerfGE 19, 206/217 = NJW 1966, 147; E 73, 1974, 124/131. 308/399.
Wunsch der Kirchen landesgesetzlich auf lassung der Steuerverwaltung durch den die Finanzämter. Die Rechtsspraxis hat, auf- Staat nahezu allgemein nicht problematisiert bauend auf den o.gen. Minimalerfor- wurde. Auch das BVerfG hat in seiner an- dernissen, in der BRD ein komplexes Sys- sonsten "liberalen" grundlegenden Entschei- tem staatlicher Verwaltung mit zum Teil dung E 19, 206 (die Einführung "staatskirch- skurrilen Folgen geschaffen; zugunsten der licher Rechtsnormen" sei durch das GG ver- Kirchen, versteht sich. wehrt) und in einer Reihe anderer ein- schlägiger Entscheidungen keinerlei 4. Völlig übersehen hat man dabei folgen- Rechtsproblem erkannt. Offenbar war man des: Die Kirchensteuer, im 19. Jh. aus den so sehr von der Effizienz und eingefahrenen historischen Notwendigkeiten der Trennung Selbstverständlichkeit des Lohnsteuer- von Staat und Kirche im Zuge der allmähli- abzugsverfahrens beeindruckt, daß man ein chen Ablösung der staatskirchlichen Rechts- Rechtsproblem nicht erkennen mochte. Da- formen ("Thron und Altar") entstanden, her durfte das praktische Verfahren auf gar wurde 1919 in den Zusammenhang einer keinen Fall indirekt verhindert werden. Dies weitgehenden verfassungsrechtlichen Tren- zeigen die Behandlung der Verpflichtung nung von Staat und Kirche gestellt. Dieser des Arbeitgebers, für seine Arbeitnehmer die Trennungsgrundsatz wird heute als striktes Kirchenlohnsteuer einzubehalten und abzu- Verbot institutioneller Verflechtungen staat- führen sowie die Behandlung des Problems licher und kirchlicher Organe verstanden, des Religionsvermerks auf der Lohn- wobei jede Ausnahme einer speziellen steuerkarte. verfassungsrechtlichen Rechtfertigung be- darf. Trotzdem haben unter der Geltung des b) Die Verpflichtung des Arbeitgebers zum GG alle Kirchensteuergesetze ein Instru- (kostenlosen!) Einbehalt der Kirchenlohn- mentarium zumindest fakultativer sehr weit- steuer erschien dem Bundesverfassungs- gehender Zusammenarbeit staatlicher und gericht13 - trotz damals kontroverser Debatte kirchlicher Organe geschaffen. Insbesondere - so problemlos, daß es eine Verfassungsbe- die wichtige Erhebung der Kirchensteuer als schwerde nicht einmal zur Entscheidung an- Zuschlagsteuer zur Lohn- und Einkom- nahm. Die Begründung: Das Kirchen- mensteuer ist geradezu ein Musterbeispiel lohnsteuerverfahren sei verfassungsgemäß einer staatskirchlichen Rechtsform ge- (eine vom Bundesverfassungsgericht und der worden. herrschenden Meinung noch nie überprüfte begründungslose These). Die Arbeitgeber 5a) Die Mißachtung der (theoretisch aner- seien lediglich Beauftragte des Steuerfiskus. kannten) Grundprinzipien der weltanschau- Der Arbeitgeber unterstütze dabei "im Rah- lichen Neutralität und der Trennung von men seiner sozialstaatlich gebotenen Für- Staat und Kirche geht in Rechts- und Staats- sorgepflicht zugleich seine Arbeitnehmer in praxis ganz allgemein trotz des aussage- der vereinfachten Erfüllung der ihnen ob- kräftigen Verfassungstextes sehr weit. liegenden Kirchensteuerpflicht". Dabei Bei der Kirchensteuer fällt auf, daß die Zu- 13 BVerf.GE 44, 103 = NJW 1977, 1282.
werden die Mitgliedsbeiträge für Religions- Bemühungen der Rechtsprechung sind, zeigt gemeinschaften eingezogen, die frei darüber das Problem des Vermerks der (fehlenden) verfügen können. Eine Indienstnahme Pri- Religionszugehörigkeit auf der Lohnsteu- vater für öffentliche Aufgaben mag zwar erkarte. Art. 136 III 1 WRV (über Art. 140 u.U. möglich sein, aber doch nicht, wenn bei GG Verfassungsbestandteil) sagt klipp und ihrer Erfüllung ein wichtiges Verfas- klar: "Niemand ist verpflichtet, seine religi- sungsprinzip (institutielle Trennung von öse Überzeugung zu offenbaren." Zwar gilt Staat und Religion) mißachtet wird und so- eine Ausnahme für den Fall, daß von der gar ein andersgläubiger oder religionsloser Kenntnis Rechte oder Pflichten abhängen, Arbeitgeber gezwungen wird, für eine von doch muß dabei selbstverständlich Art. 4 ihm abgelehnte Glaubensgemeinschaft ko- GG beachtet sein! Das BVerfG hat das Pro- stenlos tätig zu sein, um das mit einer Tä- blem ("in dubio pro ecclesia") 1978 so "ge- tigkeit lediglich für den Staat zu löst": Das Kirchenlohnsteuerverfahren ist "begründen". verfassungsgemäß. Es erfordert aus "Zweck- mäßigkeitsgründen" einen Vermerk über die c) Die Rechtsprechung des Bundesfinanz- Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit hofs14 scheut nicht einmal davor zurück, die eines Arbeitnehmers zu einer steuerbe- Pauschalisierung der Lohnkirchensteuer zu- rechtigten Religionsgemeinschaft. Aus sammen mit der Pauschalisierung der Lohn- diesem Grund ist eine Grundrechtsverlet- steuer zuzulassen, wobei der Arbeitgeber im zung "noch nicht" anzunehmen. Die Ein- Einzelfall nachweisen muß, daß der jewei- schränkung des schrankenlosen Fundamen- lige Arbeitnehmer keiner steuerberechtigten talrechts der Glaubensfreiheit, dessen Teila- Religionsgemeinschaft angehört, um einer spekt Art. 136 III 1 WRV ist, aus bloßen unberechtigten Zahlung zu entgehen. Dabei Zweckmäßigkeitsgründen, entgegen dem kann der Arbeitgeber i.d.R. bei Teilzeitbe- klaren Wortlaut der Verfassung: ein verfas- schäftigten, weil er auf die Vorlage der sungsrechtlicher Abgrund! (BVerfGE 49, Lohnsteuerkarte verzichten muß, den ge- 375 = NJW 1979, 209) forderten Nachweis nicht einmal führen. Die Aufteilung ist laut BFH nach einer e) Ohne den Lohnsteuerkarten-Vermerk und Schätzung zwischen evangelischen und die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Ab- römisch-katholischen Steueranteilenführung der Kirchenlohnsteuer wäre vorzunehmen. Die Anteile der anderen be- allerdings in der Tat das wie geölt funk- rechtigten Religionsgemeinschaften fallen tionierende System des Kirchenlohnsteuer- dabei unter den Tisch. Besonders pikant ist verfahrens beendet. Die Kirchen müßten ein die Pauschalisierung der Kirchenlohnsteuer eigenes Erhebungsverfahren entwickeln. in den neuen Bundesländern, wo die Kir- Allerdings gelingt es anderen Großorganisa- chenzugehörigkeit ja die Ausnahme ist. tionen wie Gewerkschaften und Volks- parteien mit Hilfe der EDV ebenfalls ganz d) Wie fadenscheinig die z.T. komplizierten gut, ihre Mitglieder zu verwalten, ohne daß 14 sie darüber klagen. Wie unnötig die Miß- BFHE 159,82 = BStBl II 1990, 993.
achtung der Verfassung ist, zeigt die Tat- ersetzt werden.. Aber schon das geltende sache, daß evangelisch-lutherische und ka- Verfassungsrecht (GG) untersagt die staatli- tholische Kirche in Bayern seit eh und je bis che Einziehung der Kirchensteuer (Verstoß heute ganz freiwillig die Kirchenein- gegen den Trennungsgrundsatz). Schon Art kommensteuer durch Kirchensteuerämter und Ausmaß der damit verbundenen verwalten. Eine Ersetzung des staatlichenRechtsprobleme sprechen dagegen. Selbst Kirchenlohnsteuereinzugs durch eine kir- wenn man die staatliche Kirchensteu- cheneigene Steuerverwaltung würde zahl- erverwaltung für zulässig halten wollte, so reiche verfassungsrechtliche Ungereimthei- ist sie doch auf gar keinen Fall verfassungs- ten, z.T. schwerwiegender Art, beseitigen. rechtlich gefordert. Die Kirchensteuerge- setze der Länder sollten daher entsprechend geändert werden. Das wäre selbst nach Auf- C. Folgerungen fassung des bislang äußerst kirchenfreundli- Aus allgemeinen rechtpolitischen Gründen chen BVerfG ohne jedes verfassungs- sollte die Kirchensteuer abgeschafft und rechtliches Risiko. durch ein kircheneigenes Beitragssystem These 3: Staatsleistungen Nach der Verfassung sind die Staats- lischen Kirche zufließt. Für "Zwecke der leistungen abzulösen (Art. 140 GG in Pfarrbesoldung und -versorgung" sowie für Verb. mit Art. 138 Abs 1 WRV). Dieser "kirchenregimentliche Zwecke" wendet da- Verfassungsauftrag ist endlich einzulösen. mit der Staat (d.h. die Bundesländer) den Aus dem ausdrücklichen Verfas- Religionsgemeinschaften allgemeine Steu- sungsauftrag ergibt sich, daß die Be- ergelder zu. Die Zahlungsverpflichtung ist in gründung neuer Staatsleistungen ver- der Regel in Kirchenverträgen und Konkor- fassungswidrig ist. daten festgeschrieben. Die Staatsleistungen werden in der Regel historisch ge- Begründung: rechtfertigt, nämlich insbesondere unter Hin- Staatsleistungen werden in Deutschland un- weis auf die Säkularisation zu Beginn des ter Berufung auf den fortgeltenden Art. 138 19. Jahrhunderts, wie sie im Reichs- Abs. 1 der Reichsverfassung von 1919 an deputationshauptschluß von 1803 vorge- Kirchen, vor allem an die beiden großen sehen war. Damals sei den Kirchen die mate- Amtskirchen in allen neuen und nahezu allen rielle Basis für ihr seelsorgerisches Wirken alten Bundesländern (Ausnahme Hamburg entzogen worden. und Bremen) in hohem Umfang gezahlt. Die deutschen Verfassungen (Reichsver- Nach den Ansätzen in den Haushaltsplänen fassung von 1919, Grundgesetz von 1949) dürfte es sich 1994 um einen Betrag von 700 verlangen zwingend die Ablösung der Millionen DM handeln, der etwa jeweils zur Staatsleistungen. Dieses Verfassungsgebot, Hälfte der evangelischen und der katho- eine selbstverständliche Konsequenz aus der
Trennung von Staat und Kirche, aus der und deren Umfang bisher niemand auch nur Aufhebung der staatlichen Kirchenhoheit annähernd hat feststellen können. Schließ- und aus der Bekenntnisneutralität des Staa- lich gibt es auch keine Rechtfertigung dafür, tes, haben der Bund und die Länder bis heu- daß die Gesamtheit der Steuerbürgerinnen te mißachtet. Das Thema ist kirchlicherseits und -bürger den auf fünf bis sieben Milli- zunehmend tabuisiert worden. Es wird so ge- arden DM jährlich geschätzten Ausfall an tan, als bestehe die Ablösung der Staatslei- Einkommens- und Lohnsteuer trägt, der da- stungen eben darin, daß sie weitergezahlt durch entsteht, daß die gezahlte Kir- werden. Diese Staatsleistungen steigen in chensteuer als Sonderausgabe bei der Be- weiten Bereichen Jahr für Jahr im gleichen rechnung der Steuerschuld abgezogen Maße wie die Beamtengehälter. werden kann. Die historische Begründung der Staatslei- Die historische Begründung für die Staats- stungen mit der Säkularisation durch den leistungen wirkt, nahezu zweihundert Jahre Reichsdeputationshauptschluß ist hinfällig nach der Säkularisation, anachronistisch. geworden dadurch, daß heute die materielle Kriege und Vertreibungen haben gerade in Basis für das Wirken der Kirchen durch die den letzten zweihundert Jahren hunderttau- Einführung der Kirchensteuer seit 1919 gesi- senden von Menschen und vielen Institu- chert ist. Dem lag der zutreffende Gedanke tionen wiederholt die Existenzgrundlage ge- zugrunde, daß nicht der Staat und damit alle raubt, ohne daß der Staat in vergleichbarer Bürgerinnen und Bürger, sondern allein die Fürsorge den Betroffenen mit "Staatsleis- den jeweiligen Kirchen Angehörenden für tungen" auf Dauer zur Seite gestanden hätte. die finanzielle Ausstattung ihrer Religions- Die Kirchen, die wegen ihres noch immer gemeinschaft die Verantwortung tragen. Es umfangreichen Grundbesitzes ohnehin zu gibt keine Rechtfertigung dafür, die den reichsten Institutionen in Deutschland Steuergelder kirchenfremder Personen für gehören, bedürfen der Staatsleistungen am Dotationen an die Kirchen zu verwenden. allerwenigsten. Jedenfalls aber dürften die seit 1919 von den Ländern an die Kirchen Desgleichen gibt es auch keine sachliche geleisteten Zahlungen eine mehr als ausrei- Rechtfertigung für die sogenannten negati- chende Kompensation für die zu Beginn des ven Staatsleistungen, d.h. für die vielfältigen 19. Jahrhunderts erfolgte Enteignung darstel- Abgabenbefreiungen der Kirchen (Gerichts- len. Daher kann heute auch für die Zahlung und Verwaltungsgebühren, Grundbe- einer einmaligen "Ablösesumme", wenn sie sitzabgaben, Steuern), deren Ausfall die Ge- denn kirchlicherseits gefordert würde, keine samtheit der Steuerpflichtigen tragen muß Veranlassung bestehen. These 4: Subventionen Gemeinschaften sind nach den gleichen Kulturell und soziale Aktivitäten der Kir- Grundsätzen zu fördern wie die aller chen und der sonstigen weltanschaulichen anderen Gruppierungen. Insbesondere
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