DEUTSCHE STIFTUNG POLITIK - Deutsche Stiftung Friedensforschung
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PANDEMIE FRIEDEN PÄDAGOGIK DEUTSCHE GREMIEN POLITIK STIFTUNG PEACEBUILDING FÖRDERKONZEPT JUBILÄUM KONFLIKT FRIEDENSFORSCHUNG JAHRESBERICHT 2020
JAHRESBERICHT 2020 4 VORWORT 5 VORSTELLUNG 5 Vorstellung der DSF 8 FÖRDERUNG 8 Förderangebote der Stiftung 8 Geförderte Projekte 2020 9 Forschungsprojekte in der offenen Förderung 10 FORSCHUNGSPROJEKTE 29 Geförderte Projekte in der thematischen Förderung 2020 34 TAGUNGEN / VERNETZUNG & TRANSFER 34 Tagungen 34 Vernetzung und Transfer 35 Das Friedensgutachten 2020 36 PUBLIKATIONEN 36 Stiftungseigene Publikationen 36 Aus Forschungsprojekten 37 Aus Tagungen und Vernetzungsprojekten 38 TRANSFERAKTIVITÄTEN & VERANSTALTUNGEN 38 Parlamentarischer Abend zum Thema „Mit Extremisten streiten“ 40 GREMIEN 40 Der Stiftungsrat 40 Der Vorstand 41 Der Wissenschaftliche Beirat 41 Geschäftsstelle 42 FINANZEN UND VERWALTUNG 42 Das Vermögen 43 Der Jahresabschluss 2020 45 Die Ertragslage 46 Bestätigungsvermerk 47 Die Ludwig Quidde-Stiftung 3
VORWORT S eit nunmehr zwanzig Jahren fördert die Deutsche Stiftung Friedensforschung wis- senschaftliche Projekte der Friedens- und Kon- Trotz der schwierigen Pandemiebedingungen kann die DSF auf ein starkes Förderjahr 2020 zu- rückblicken. Insgesamt beliefen sich die Bewilli- fliktforschung. Gegründet wurde die Stiftung im gungen auf rund 985 Tsd. Euro. Hierzu trug ins- Oktober 2000 mit dem Ziel, eine politisch und fi- besondere die Förderung von Forschungspro- nanziell unabhängige Fördereinrichtung zu jekten bei, für die die DSF Fördermittel in Höhe schaffen, die zu einer nachhaltigen Stärkung von 909 Tsd. Euro bereitstellte. Dass die Nachfra- des Forschungsfeldes beiträgt. Bis heute hat die ge bei Tagungen, Vernetzungs- und Transferpro- DSF für diesen Zweck Fördermittel in einer Ge- jekte deutlich schwächer ausfiel, kann ange- samthöhe von 20 Millionen Euro bereitgestellt sichts der großen Einschränkungen nicht über- und konnte damit, wie der Wissenschaftsrat un- raschen. Der Jahresbericht stellt die neu in die längst in seiner Evaluation hervorhob, wichtige Förderung aufgenommenen Forschungsprojek- Impulse für die Weiterentwicklung der Friedens- te vor. Er gibt zudem Auskunft über die weiteren und Konfliktforschung geben. Aktivitäten der Stiftung, die pandemiebedingt deutlich geringer als in den Vorjahren ausgefal- Auch im Jahr 2020 hat die Stiftung ihren Weg len sind. der Neuaufstellung fortgesetzt. Im Oktober ver- abschiedete der Stiftungsrat das neue Förder- Die Stiftung konnte ihre erfolgreiche Arbeit nur konzept „Forschungsinnovation // Netzwerkbil- mit der Unterstützung der zahlreichen Gutach- dung // Wissenstransfer. Förderimpulse für die ter und Gutachterinnen erfüllen, die ihre Zeit Friedens- und Konfliktforschung“, mit dem die und Expertise unentgeltlich zur Verfügung ge- Förderbereiche neu zugeschnitten wurden. Ne- stellt haben. Ihnen gilt an dieser Stelle ein be- ben der offenen Forschungs- und Vernetzungs- sonderer Dank. Darüber hinaus danken wir den förderung zählt nun auch eine thematische För- Mitgliedern der Stiftungsgremien für ihr großes derlinie zum festen Förderangebot der DSF. Da- ehrenamtliches Engagement. Schließlich gilt es rüber hinaus hob der Stiftungsrat das Förder- auch die gute und vertrauensvolle Zusammen- budget an, wodurch bei einigen Projektforma- arbeit mit den Partnerorganisationen zu würdi- ten günstigere Förderbedingungen geschaffen gen, die wir in der Zukunft gerne fortsetzen werden konnten. Die Konsolidierung und Wei- werden. terentwicklung des Förderangebots wäre ohne die finanziellen Zustiftungen und Zuwendun- Dr. Michael Meister gen aus dem Bundeshaushalt nicht möglich ge- Parlamentarischer Staatssekretär bei wesen. Der Dank richtet sich an alle, die sich für der Bundesministerin für Bildung und Forschung eine bessere Ausstattung der DSF eingesetzt Vorsitzender des Stiftungsrates haben. der Deutschen Stiftung Friedensforschung 4
Vorstellung der DSF VORSTELLUNG I m Oktober 2000 gründete die Bundesrepublik Deutschland die Deutsche Stiftung Friedens- forschung (DSF) als Einrichtung der Forschungs- 2020 verabschiedete er das neue Grundsatzpa- pier unter dem Titel „Forschungsinnovation, Ver- netzung, Wissenstransfer“. Hierin werden die förderung. Der grundlegende Stiftungszweck Zielsetzungen der Stiftung neu ausgerichtet besteht gemäß §2 der Stiftungssatzung darin, und die Förderung in drei Teilbereiche For- „die Friedensforschung ihrer außen- und sicher- schungsprojekte, Vernetzung & Wissenstransfer heitspolitischen Bedeutung gemäß insbeson- sowie thematische Förderung untergliedert. Für dere in Deutschland dauerhaft zu stärken und das ab 2021 gültige Förderkonzept steht ein er- zu ihrer politischen und finanziellen Unabhän- höhtes Budget zur Verfügung, mit dem die DSF gigkeit beizutragen“. Die DSF hat den Status ei- ihre Förderkonditionen deutlich verbessern ner Stiftung bürgerlichen Rechts, sie ist im Sinne kann. der Abgabenordnung als gemeinnützig aner- kannt. Die Geschäftsstelle der Stiftung befindet Das „Corona“-Jahr 2020 sich in der Friedensstadt Osnabrück. Mit der starken Ausbreitung der Pandemie in Zur Erfüllung des Stiftungszwecks fördert die Deutschland seit März 2020 musste sich auch DSF wissenschaftliche Projekte der Friedens- die DSF auf veränderte Rahmenbedingungen und Konfliktforschung und trägt damit zur in- einstellen. Die Gremiensitzungen des Stiftungs- haltlichen und strukturellen Weiterentwicklung vorstandes, des Stiftungsrates und des wissen- des Forschungsfeldes bei. Die Stiftung unter- schaftlichen Beirates konnten nur noch in digi- nimmt keine eigenen Forschungen, sie gibt je- talen Formaten durchgeführt werden.1 Auf die- doch über ihre Förderangebote und wissen- sem Wege blieben die Stiftungsorgane der DSF schaftliche Konferenzen Impulse in das For- entscheidungsfähig, die anstehenden Sitzun- schungsfeld. Darüber hinaus unterstützt sie mit gen konnten wie geplant abgehalten werden. eigenen Formaten den Wissenstransfer in Politik und Gesellschaft. Für die Projektförderung war die Pandemielage ebenfalls mit teilweise erheblichen Einschrän- Grundlagen der kungen und Veränderungen verbunden. Einige Forschungsförderung Tagungs- und Vernetzungsprojekte mussten verschoben oder ganz abgesagt werden. Auf- Die Ziele der Stiftung liegen in der Initiierung grund der fehlenden Planungssicherheiten wur- und Förderung von Forschungsprojekten, der den kaum noch neue Anträge eingereicht. Auch nationalen und internationalen Vernetzung so- bei den Forschungsprojekten kam es zu Verzö- wie dem Wissenstransfer in Politik und Gesell- gerungen, da die Forschungsarbeiten an die schaft. Sie bilden die Grundlage des seit 2013 eingeschränkten Bedingungen angepasst wur- gültigen Förderkonzeptes, in dem die Förderan- den. Die Stiftung suchte in allen Fällen nach gebote festgelegt sind. 2017 erweiterte die Stif- möglichst unbürokratischen und praktikablen tung ihr Förderangebot um eine thematische Lösungen. Förderlinie. Im Anschluss an die Ergebnisse der Wissenschaftsratsevaluation beschloss der Stif- tungsrat das Förderkonzept einer grundlegen- den Überarbeitung zu unterziehen. Im Oktober 1 Auf der Grundlage von § 5 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungs- eigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (GesRuaCOVBekG). 5
VORSTELLUNG Frieden, Forschung, Förderung – des Forschungsfeldes gehabt habe. Sie sei auch 20 Jahre DSF künftig für das Forschungsfeld unverzichtbar. Die DSF könne ihre Arbeit jedoch nur erfolg- Mitten in die Pandemiezeit fiel auch das 20. reich weiterführen, wenn sie eine bessere finan- Gründungsjubiläum der Stiftung. Am 13. Okto- zielle Ausstattung erhalte. ber 2000 wurde der eigentliche Gründungsakt vollzogen. Die DSF nahm diesen Tag zum An- Mit Hilfe von Zustiftungen und Zuwendungen lass, eine Extra-Ausgabe des „Notizblog“ zu ver- aus dem Bundeshaushalt kann die Stiftung heu- öffentlichen, dessen Beiträge auf die Geschichte te optimistischer in die Zukunft blicken. Dies zurückblickten und die aktuellen Herausforde- schlägt sich nicht zuletzt auch in den erhöhten rungen hervorhoben. Für den Juni 2021 wird ei- Förderbudgets des neuen Förderkonzeptes nie- ne größere Veranstaltung in Osnabrück geplant, der, das ab Januar 2021 Gültigkeit hat. Damit er- mit der das 20-jährige Bestehen gefeiert wird. öffnen sich für die kommenden Jahre sowohl in Seit Ihrer Gründung schüttete die DSF fast 20 finanzieller als auch in thematischer Hinsicht Millionen Euro für 400 Projekte aller Formate im neue Perspektiven in der Forschungsförderung. Feld der Friedens- und Konfliktforschung aus. In 20 Jahre nach ihrer Gründung steht die Stiftung seinem 2019 veröffentlichten Evaluationsbe- vor der großen Herausforderung, ihre For- richt stellte der Wissenschaftsrat fest, dass die schungsförderung auf die neuen friedens- und Stiftung mit ihrer Förderung einen wesentli- sicherheitspolitischen Herausforderungen der chen Anteil an der positiven Weiterentwicklung Gegenwart und Zukunft auszurichten. 6
FÖRDERUNG Förderangebote der Stiftung D as Förderkonzept der Stiftung umfasst un- terschiedliche Projektformate, die sich in insgesamt vier Kategorien unterteilen: Für die Finanzierung des Förderkonzeptes steht ein jährlicher Mindestbetrag in Höhe von 730 Tsd. Euro zur Verfügung. - Forschungsprojekte - Wissenschaftliche Tagungen - Wissenschaftliche Vernetzungs- und Transferprojekte - Ausnahmeprojekte Geförderte Projekte 2020 Für die Projektförderung wurden insgesamt 994 Die folgende Darstellung zeigt die Verteilung Tsd. Euro bereitgestellt, 791 Tsd. Euro in der offe- der bereitgestellten Mittel auf die einzelnen För- nen Förderung, 203 Tsd. Euro für die Förderlinie. derkategorien: Ausnahmeprojekte Offene Förderung Forschungsprojekte 40 Tsd. Euro Offene Förderung 706 Tsd. Euro Thematische Förderung 203 Tsd. Euro Wissenschaftliche Vernetzungs- und Transferprojekte Offene Förderung 20 Tsd. Euro Wissenschaftliche Tagungen Offene Förderung 25 Tsd. Euro Verteilung der Förderformate In das Förderbudget für das Jahr 2020 fielen gejahr. In der Förderlinie „Neue Technologien“ zwei Antragstermine für Förderung von For- fielen noch zwei nachlaufende Entscheidungen. schungsprojekten im Bereich der thematisch of- Insgesamt gingen 27 Anträge auf Projektförde- fenen Grundförderung (November 2019 und rung bei der DSF ein. Das Antragsvolumen be- Mai 2020). Die Neuausschreibung der themati- lief sich auf rund 2,1 Mio. Euro. schen Förderlinie verschob die Stiftung ins Fol- 8
Forschungsprojekte in der offenen Förderung Die DSF konnte alle 27 Anträge auf Projektför- Aufgrund des pandemiebedingten Rückgangs derung in das Begutachtungs- und Entschei- der Förderung bei Tagungen und Vernetzungs- dungsverfahren aufnehmen. Sie bewilligte projekten bestand in 2020 die Möglichkeit, Fördermittel in einer Gesamthöhe von 909 Tsd. etwas höhere Beträge aus diesen Budgets zu- Euro für zehn Forschungsvorhaben, davon sie- gunsten von Forschungsprojekten umzuschich- ben Standardprojekte, ein Post-Doc Projekt und ten (ca. 75 Tsd. Euro). zwei Pilotstudien. Zwei Standardprojekte wur- den dem Budget der thematischen Förderung zugewiesen (203 Tsd. Euro). Geförderte Projekte im Bewilligungszeitraum 2020 STANDARDPROJEKT Antragstermin Nov‘19 Parteienwettbewerb und kollektive Radikalisierung der Dschihadisten in Afrika südlich der Sahara Prof. Dr. Christof Hartmann, Institut für Entwicklung und Frieden (INEF)/Institut für Politikwissenschaft, Universität Duisburg-Essen Antragstermin Mai‘20 Friedensbildung in Deutschland – State-of-the-Art Report und Empfehlungen für die (schul-)politi- sche und pädagogische Praxis Prof. Uli Jäger, Berghof Foundation Operations gGmbH, Berlin Antragstermin Mai‘20 Chemiewaffeneinsätze aufklären und ahnden: Global Security Governance und die Einhaltung mul- tilateraler Abrüstungsverträge Dr. Oliver Meier, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) Antragstermin Mai‘20 Feeling The Past – Zugehörigkeitserleben, Geschichte und Gegenwart in der deutschen Nach-Nach- wendegeneration Prof. Dr. David Becker, Department für Psychologie, Sigmund Freud Privatuniversität, Berlin Antragstermin Mai‘20 Versöhnung in Kontexten chronischer Gewalt: Gemeinsame Standpunkte und kontroverse Themen in Kolumbien Prof. Dr. Anika Oettler, Institut für Soziologie, Philipps-Universität Marburg PILOTSTUDIE Antragstermin Nov‘19 Wissen und Peacebuilding. Die epistemische Praxis des Deutschen Bundestages im Kontext von Ent- scheidungen über Friedens- und Stabilisierungseinsätze in Mali (2013 -2019) Dr. Werner Distler, Zentrum für Konfliktforschung, Philipps-Universität Marburg Antragstermin Nov‘19 Einstellungen zu Waffenhandel in Deutschland und Frankreich - A Conjoint Experiment on the Com- parative Legitimacy of Arms Exports in Germany and France Prof. Dr. Paul W. Thurner/Dr. Lukas Rudolph, Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft, Ludwig- Maximilians-Universität München POST-DOC PROJEKT Antragstermin Nov‘19 Staaten und die Aufgabenverteilung zwischen internationalen Organisationen: Die Multi-Akteurs- Friedensoperation in Mali Dr. Martin Welz, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Universität Hamburg 2 Die gelisteten Projektformate entsprechen dem bis Ende 2020 gültigen Förderkonzept. Die überarbeitete Fassung ist erst ab Januar 2021 für die Förderung wirksam. 9
FORSCHUNGSPROJEKTE Parteienwettbewerb und kollektive Radikalisierung der Dschihadisten in Afrika südlich der Sahara mit verbundenen Entstehung dschihadistischer Projektleitung Milieus sind bereits weitgehend erforscht. Zu ih- Prof. Dr. Christof Hartmann nen zählen unter anderem der post-koloniale Institution Aufstieg eines puritanischen, salafistisch orien- Institut für Entwicklung und Frieden tierten Reformislams, die sozio-ökonomische (INEF)/Institut für Politikwissenschaft, und politische Marginalisierung muslimischer Universität Duisburg-Essen Bevölkerungsgruppen sowie vorbestehende sä- Fördersumme kulare Polarisierungsdynamiken. Dagegen sind 108 Tsd. Euro Exploration und Erklärung potentieller „Nichtra- Projektlaufzeit dikalisierungspfade“ bislang eher vernachläs- Standardprojekt, 24 Monate sigt worden. Das Projekt bearbeitet diese For- schungslücke, indem es das präventive Poten- tial von Parteienwettbewerb untersucht. Im S eit den späten 1980er Jahren befinden sich militant-islamistische Strömungen im sub- saharischen Afrika im Aufwind. In mehreren afri- Zentrum steht dabei die folgende übergreifen- de Forschungsfrage: Was verhindert kollektive dschihadistische Radikalisierung? kanischen Staaten haben kollektive Radikalisie- rungsprozesse dschihadistische Milieus hervor- Konkret befasst sich das Projekt mit dem subna- gebracht. Während die Entstehung dieser Mi- tionalen (Nicht-)Auftreten dschihadistischer Ra- lieus in Ländern wie Nigeria, Somalia, Uganda dikalisierung in Kenia, Ghana, Mosambik und oder Mosambik der Gründung einheimischer Tansania. Dabei soll geklärt werden, warum es Rebellenbewegungen den Weg geebnet hat, subnationale Räume gibt, in denen militant-isla- hat sie in anderen Staaten - so zum Beispiel in mistische Milieus bislang nicht oder nur rudi- Kenia und Tansania - die regionale Expansion mentär entstanden sind, obwohl alle wesentli- externer militant-islamistischer Gruppen beför- chen Ermöglichungsbedingungen kollektiver dert. dschihadistischer Radikalisierung gegeben wa- ren. Während sich in der kenianischen Küstenre- Die regionalspezifischen „Ermöglichungsbedin- gion und in der Provinz Cabo Delgado im Nor- gungen“ kollektiver Radikalisierung und der da- den Mosambiks in den späten 2000er und frü- hen 2010er Jahren dschihadistische Milieus he- ©F MIRA | FLICKR | CC BY-SA 2.0 rausgebildet haben, ist eine vergleichbare Ent- wicklung in Sansibar (Tansania) und dem gha- naischen Dagomba-Königtum bislang trotz ähnlicher Ausgangsbedingungen ausgeblie- ben. Aufbauend auf bestehenden Erkenntnis- sen zu den Ursprüngen militant-islamistischer Mobilisierung im sub-saharischen Afrika geht das Projekt davon aus, dass die eingehende Un- tersuchung der Beziehungen zwischen salafis- tisch orientiertem islamischen Aktivismus und Die nordmosambikanische Provinz Cabo Del- dem demokratischen Prozess einen wichtigen gado wurde in den frühen 2010er Jahren zu ei- Beitrag zur Lösung dieses „Forschungsrätsels“ nem Hotspot dschihadistischer Radikalisie- leisten kann. rung 10
© ZANZIBAR DAIMA Der salafistische sansibarische Prediger Msellem Ali Msellem bei einer Kundgebung gegen die tansanische Union im Mai 2012. Eine zentrale Einsicht der neueren afrikabezo- der Rekonstruktion kausaler Mechanismen. Mit- genen Forschung lautet, dass die Popularisie- hilfe dieser Werkzeuge soll unter anderem die rung militant-islamistischer Ideologien oftmals Hypothese getestet werden, dass das Präventi- durch säkulare gesellschaftliche Antagonismen onspotential von Parteienwettbewerb entschei- begünstigt wird. So haben gewaltbereiten Isla- dend davon abhängig ist, ob salafistische Bewe- misten in mehreren afrikanischen Staaten inter- gungen historisch in vorbestehende soziopoliti- und intra-ethnische Trennlinien für ihre Zwecke sche Konflikte integriert worden sind. instrumentalisiert. Das Projekt zielt darauf ab, diesen Befund zu ergänzen, indem es unter- Die Umsetzung des Forschungsvorhabens er- sucht, inwieweit die „Elektoralisierung“ nicht-re- folgt in enger Zusammenarbeit mit lokalen Wis- ligiöser sozialer Konflikte die Öffnung politi- senschaftler*innen. Darüber wird im Rahmen scher Spielräume für die Entfaltung dschihadis- des Projektes in den untersuchten Ländern auf tischer Rekrutierung zu blockieren vermag. Die Grundlage der Forschungsergebnisse auch ein Bearbeitung dieser Frage ist nicht nur für die all- policy-orientierter Dialog mit verschiedenen gemeine vergleichende Jihadismus-Forschung nicht-wissenschaftlichen Akteuren organisiert. relevant, sondern verspricht auch wertvolle Er- Im Fokus stehen dabei naturgemäß die Fälle, in kenntnisse über die gesellschaftlichen Implika- denen ein Prozess kollektiver dschihadistischer tionen von Parteiensystemen im sub-sahari- Radikalisierung bislang nicht stattgefunden hat. schen Afrika zu liefern. Methodisch fußt das Projekt auf der Durchfüh- rung kontrollierter qualitativer Vergleiche und 11
FORSCHUNGSPROJEKTE Friedensbildung in Deutschland – State-of-the-Art Report und Empfehlungen für die (schul-)politische und pädagogische Praxis Bildungsplänen und Curricula, als auch ein sys- Projektleitung tematischer Überblick, der Erkenntnisse aus Prof. Uli Jäger Wissenschaft und Praxis zusammenträgt. Institution Berghof Foundation Operations gGmbH, Hier setzt das Projekt StArt Friedensbildung an. Berlin Mit einem Fokus auf den Lernort Schule und da- Fördersumme mit auf die Zielgruppe Kinder und Jugendliche 90 Tsd. Euro sowie Schulpersonal wird ein spezifischer Be- Projektlaufzeit reich des, im internationalen englischsprachi- Standardprojekt, 12 Monate gen Diskurs umfassend als Peace Education be- zeichneten, pädagogischen Ansatzes in den Blick genommen. Die Verwendung des Begriffes N ach Monaten des Homeschoolings auf- grund der Corona-Pandemie ist eine große Debatte um die Schule als Institution und den „Bildung“ anstelle von „Erziehung“ betont den angestrebten partizipativen, dialogorientierten und ergebnisoffenen Charakter des Lernens ihr zugrundeliegenden Vorstellungen von Leh- und Lehrens. ren und Lernen entfacht. Die Erfahrungen der Krise bieten soziale Lernprozesse und können Durch eine Darstellung des aktuellen Stands der impulsgebend sein, um den Lernort Schule neu Theorie und Praxis der Friedensbildung im zu denken und Friedensbildung in der Bildungs- deutschsprachigen Raum und der dahinterste- politik zukünftig zu stärken. Eine Studie des henden lokalen sowie internationalen Diskurse, Zentrums für Friedensforschung und Friedens- soll das Profil der Friedensbildung geschärft pädagogik der Alpen-Adria-Universität kam werden. Die oben erwähnten vielfältigen Anfor- 2015 zu der Erkenntnis, dass vorliegenden Kon- derungen erfordern Antworten aus verschiede- flikte in Klassenzimmern häufig in größere Rah- nen Disziplinen wie etwa der Neurowissen- menkontexte eingebunden sind, wie zum Bei- schaften, der Medien- und Kommunikationswis- spiel Gewaltstrukturen an den Schulen, unter- senschaften oder der Soziologie. Deshalb bezie- schiedliche sozial-ökonomische Ausgangsbe- hen sich weitere Fragestellungen des For- dingungen der Schüler*innen, Leistungsdruck schungsprojekts darauf, auf welche Erkenntnis- sowie die Thematisierung von internationalen se aus verschiedenen Bezugswissenschaften Krisen und Konflikten, die sich dann in den Klas- sich Friedensbildung bei der Bewältigung neuer senräumen und im Unterricht widerspiegeln. Herausforderungen stützen kann und welche Hier kann Friedensbildung einen konstruktiven Schlussfolgerungen sich aus diesen Erkenntnis- Umgang mit Konflikten am Lernort Schule för- sen für die zukünftige Ausgestaltung der prakti- dern und Friedensfähigkeiten von Individuen schen Arbeit der Friedensbildung und für die und Gruppen stärken. Eine Auseinandersetzung Gestaltung (bildungs-)politischer Rahmenbe- mit friedensbezogenen Themen und eine wach- dingungen ziehen lassen. sende Bedeutung von Friedensbildung an Schulen spiegeln sich allerdings (noch) nicht in Die Erforschung dieser und weiterer Fragen er- den entsprechenden Strukturen wider. So feh- laubt auch die Identifizierung und Benennung len sowohl eine feste Verankerung von Frie- von Leerstellen innerhalb der Friedensbildung. densbildung in der Ausbildung von Lehrkräften, Sie muss sich beispielsweise zu aktuell diskutier- Friedensbildung als ein fester Bestandteil in den ten gendertheoretischen und rassismuskriti- 12
© BERGHOF FOUNDATION schen Ansätzen positionieren sowie neue For- dung liefern, zusammengetragen. Bei einem in- men der Politisierung von Jugendlichen über terdisziplinären Fachgespräch mit Expert*innen Soziale Medien berücksichtigen. Das Projekt der Friedensbildung und der ausgewählten Be- wird dabei nicht alle aufgeworfenen Fragen be- zugswissenschaften werden diese Erkenntnisse antworten können, sondern vielmehr Anregun- diskutiert und das Feedback anschließend im gen für die Weiterentwicklung der Theorie und State-of-the-Art Report eingearbeitet. Praxis der Friedensbildung geben sowie einen Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis her- Die erwarteten Forschungsergebnisse umfas- stellen. sen daher erstens den State-of-the-Art Report, der sich aus dem Mapping zur Friedensbildung, Schließlich werden aufgrund der zusammenge- den Impulsen aus ausgewählten Bezugswissen- tragenen Ergebnisse Empfehlungen für (schul-) schaften sowie einer theoriegestützten Konzep- politische Entscheidungsträger*innen und für tion zusammensetzt. Daraus werden als zweites die pädagogische Praxis an Schulen entwickelt. Ergebnis Empfehlungen für die (schul-)politi- sche Praxis und für die pädagogische Praxis der Zunächst sollen durch Literaturrecherchen und Friedensbildung formuliert. Schließlich werden Gespräche mit Vertreter*innen der Friedensbil- die Erkenntnisse und Empfehlungen in Form ei- dung deren wichtigste Ansätze, Akteur*innen, nes Podcast für die interessierte Öffentlichkeit Diskurse und Handlungsfelder im deutschspra- aufbereitet. chigen Raum analysiert werden. Dafür wird ein Analyseraster entwickelt, um Friedensbildung hinsichtlich ihrer Ziele, Zielgruppen, Inhalte, Di- daktik, Strukturen/Lernorte und Lernmedien konzeptualisieren zu können. In einem State-of- the-Art Report werden neueste Erkenntnisse aus Bezugswissenschaften, die wichtige Impul- se für die zukünftige Gestaltung der Friedensbil- 13
FORSCHUNGSPROJEKTE Chemiewaffeneinsätze aufklären und ahnden: Global Security Governance und die Einhaltung multilateraler Abrüstungsverträge Projektleitung Dr. Oliver Meier S eit 2012 haben wiederholte Einsätze von chemischen Waffen in Syrien und andern- orts zu schwerwiegenden Verletzungen des Institution Chemiewaffenübereinkommens (CWÜ) geführt. Institut für Friedensforschung und In Reaktion darauf haben internationale Organi- Sicherheitspolitik an der Universität sationen, transnationale Nichtregierungsorga- Hamburg (IFSH) nisationen und Regierungen neue Wege be- Fördersumme schritten, um die Verantwortlichen für Chemie- 109 Tsd. Euro waffeneinsätze zu ermitteln und zur Rechen- Projektlaufzeit schaft zu ziehen. Standardprojekt, 14 Monate Das so entstandene Accountability-Netzwerk hat seine Wurzeln in der Phase internationaler Einigkeit im Umgang mit den syrischen Chemie- waffen von 2012 bis 2015. Damals entstanden mit Unterstützung des UN-Sicherheitsrats und der Organisation für das Verbot Chemischer Waffen (OVCW) neue Instrumente zur Aufklä- rung von Chemiewaffenangriffen. 2016 und 2017, vor dem Hintergrund des sich zuspitzen- den Konflikts zwischen Russland und dem Wes- ten, gestaltete sich diese Zusammenarbeit im- mer schwieriger. Ab 2018 schlug der Großmäch- tekonflikt auf das multilaterale Chemiewaffen- verbotsregime voll durch. Seitdem treiben vor allem westliche Staaten die Entwicklung neuer Accountability-Mechanis- men gegen den erbitterten Widerstand Russ- lands, Syriens und deren Verbündeter voran. Vor diesem Hintergrund stellt das Projekt die Frage, wie die Akteure im Accountability-Netzwerk un- ter den Bedingungen einer zunehmenden Großmächtekonfrontation dazu beitragen kön- nen, die Verantwortlichen für Chemiewaffenein- sätze in Syrien zu identifizieren und damit die Voraussetzungen für ihre Bestrafung zu schaf- fen. Neben der Frage der Gerechtigkeit für die Opfer solcher Einsätze würde damit auch eine Rückkehr zur Einhaltung des Chemiewaffen- übereinkommens befördert. Das Projekt will dieser Frage nachgehen und da- 14
bei zugleich helfen, Wissenslücken in drei rele- tentielle Stärkung anderer multilateraler Re- vanten Theoriesträngen zu reduzieren. Erstens gime gestellt. fokussieren Studien zur Compliance im Chemie- waffenregime und anderen multilateralen Ab- Das Herangehen insbesondere in Bezug auf die rüstungs- und Nichtverbreitungsabkommen zu Kartierung des Netzwerks soll nach einer ersten stark auf die intergouvernementale Ebene. Der Bestandsaufnahme mit Expert*innen und Ent- Einfluss zivilgesellschaftlicher Akteure auf die scheidungsträger*innen diskutiert werden. Die Regeldurchsetzung wird meist nicht adäquat Datenerhebung erfolgt durch die Auswertung berücksichtigt. Neuere Studien zur Rolle von von Sekundär- und Primärquellen, vor allem (Global Security) Governance-Netzwerken in aber auf der Grundlage strukturierter Interviews multilateralen Regimen haben, zweitens, bisher mit Entscheidungsträger*innen. kaum untersucht, welche Folgen es hat, wenn eine Großmacht gegen zentrale Bestimmungen Die Projektergebnisse werden einerseits in verstößt, Regelbrecher schützt oder die Aufklä- Form von forschungsorientierten Outputs zur rung von Vertragsverletzungen aktiv behindert. Rolle von Global Security Governance-Netzwer- Drittens haben Forschungen zum Beitrag von ken bei der Durchsetzung multilateraler Regime nichtstaatlichen Akteuren in der Regeldurchset- als Fachaufsätze publiziert werden. Politikrele- zung deren Rolle in sicherheitspolitischen Re- vante Empfehlungen, wie etwa Antworten auf gimen bisher kaum analysiert. die Frage, wie das Chemiewaffenverbotsregime unter Bedingungen der Großmächtekonfronta- Das Vorhaben leistet damit einen Beitrag zur Be- tion durch das Accountability-Netzwerk ge- antwortung der größeren Frage nach dem Bei- stärkt werden kann, sollen in IFSH-Publikatio- trag von Global Security Governance-Netzwer- nen und anderen Fachzeitschriften veröffent- ken sowohl zur Durchsetzung bereits bestehen- licht werden. der als auch zur Entwicklung neuer Rechtsnor- men in multilateralen Abrüstungs- und Nicht- Die Vernetzung des Projektteams im For- verbreitungsregimen unter Bedingungen der schungsfeld ermöglicht den Transfer von Emp- Großmächtekonfrontation. fehlungen an die deutsche Politik in Fachge- sprächen mit Vertreter*innen des Auswärtigen Das Projekt wird in drei Schritten umgesetzt. Amtes sowie durch Präsentationen in relevan- Erstens wird erhoben, wie rechtsverbindlich ten Beratungsgremien. Internationale Kontakte und präzise Ermittlungsverfahren sind und wie in Genf sowie in Den Haag bieten Gelegenheit unabhängig Institutionen agieren können. zum Transfer in internationale Organisationen Zweitens werden die Verbindungen der Akteure und Forschungszusammenhänge. untereinander, sowie die Entwicklung ihrer Be- ziehungen über Zeit, kartiert. Dies erlaubt eine Beurteilung der Beziehungen relevanter Akteu- re und Institutionen zu verschiedenen Zeit- punkten im Untersuchungszeitraum. Im dritten Schritt werden die politikrelevanten Fragen nach den Folgen für das CWÜ und möglichen Lehren aus den im Chemiewaffenbereich ent- standenen Governance-Strukturen für eine po- 15
FORSCHUNGSPROJEKTE Feeling The Past – Zugehörigkeitserleben, Geschichte und Gegenwart in der deutschen Nach-Nachwendegeneration Projektleitung Prof. Dr. David Becker E uropaweit kommt es in den letzten Jahren und Jahrzehnten zu sozialen Spaltungen und Radikalisierungen unterschiedlicher gesell- Institution schaftlicher Gruppen. Manche sprechen in die- Department für Psychologie, Sigmund sem Zusammenhang sogar von einem „neuen Freud Privatuniversität, Berlin Bürgerkrieg“ (Guérot, 2018), der allerdings nicht Fördersumme mehr zwischen Nationalstaaten, sondern zwi- 91 Tsd. Euro schen unterschiedlichen sozialen Gruppen Projektlaufzeit stattfindet. In diesem Kontext feierte Deutsch- Standardprojekt, 18 Monate land im vergangenen Jahr 30 Jahre ‚deutsche Einheit‘. Die Diagnosen über den Erfolg sind am- bivalent: die politische und ökonomische An- gleichung wird allgemein als positiv bewertet, dennoch fühlen sich Menschen in den neuen Bundesländern ‚abgehängt‘ und benachteiligt. Auch wenn hier Vorsicht geboten ist sehr unter- schiedliche Konfliktlagerungen nicht ‚in einen Topf zu werfen‘, so weisen diese Auseinander- setzungen doch eine wiederkehrende Thematik auf: sie stellen Zugehörigkeitsgefühle und –be- dürfnisse in den Mittelpunkt. Diese sind ein Kernbereich individueller und sozialer Existenz, aber im Rahmen von Konfliktanalysen wenig er- forscht. Dieses Forschungsprojekt will das Erleben von Zugehörigkeit(en) gemeinsam mit jungen Er- wachsenen in Deutschland untersuchen. Wir nehmen an, dass Zugehörigkeit(en) nicht nur durch gegenwärtige Konflikte geprägt sind. Zu- gehörigkeitserleben und -bedürfnisse hängen ebenso damit zusammen, was in der Vergan- genheit geschehen ist, d.h. in unserem Fall mit einer ungenügenden bzw. noch stattfindenden Aufarbeitung der deutschen Nachkriegszeit, der ehemaligen DDR und ihren inneren Widersprü- chen und Transformationsprozessen ab 1989. Wir fokussieren dabei auf eine Alterskohorte die noch jünger ist als die sog. Nachwendegenerati- on die zwischen 1989 und 1990 geboren ist. Wir fassen unsere Untersuchungsgruppe als ‚Nach- Nachwendegeneration‘. Diese sind zwischen 1998 und 2005 geboren und haben das geteilte Deutschland, die DDR und die ersten zehn Jahre 16
der Transformationsprozesse von 1990 bis 2000 Wir richten bewusst den Blick auf aktuelle Kon- nicht miterlebt. fliktdynamiken in einem westlichen und hoch- industrialisierten Land in Europa und werden Daraus ergeben sich folgende Forschungsfra- bestehende Forschungen und Theorieansätze gen: Welche Zugehörigkeitserfahrungen ma- aus der Friedens- und Konfliktforschung auf die- chen Angehörige der Nach-Nachwendegenera- se Region anwenden. Diese Untersuchung soll tion und wie hängen diese mit den Lebenser- zeigen wie aktuell Zugehörigkeiten vor dem fahrungen der Eltern- und Großeltern-Generati- Hintergrund historischer Umbruchs- und Trans- on zusammen? Welches Verständnis haben An- formationsprozesse in Deutschland erlebt wer- gehörige der Nach-Nachwendegeneration von den. Auf einer praktischen Ebene erwarten wir familiären und gesellschaftlichen Konflikten uns gemeinsam mit unseren Forschungspart- und Brüchen (sowohl positiv als auch negativ) ner*innen mögliche Potentiale von Konflikt- im Rahmen der deutschen Teilung und der transformation in Deutschland auszuloten und nachfolgenden Transformationsprozesse? Wel- umzusetzen. Unser Ziel ist es Ansätze für eine che emotionale Beschaffenheit haben Zugehö- nachhaltige Konflikttransformation herauszuar- rigkeitserfahrungen und wie sind diese ver- beiten, die bei jungen Menschen und ihrem Er- knüpft mit historischen und gegenwärtigen An- leben von Zugehörigkeit ansetzt und ihren Blick erkennungs- und Missachtungsverhältnissen? auf die Zukunft Europas ernst nimmt. Welche Transformations- und Gestaltungsper- spektiven ergeben sich für die Nach-Nachwen- dekinder aus der Auseinandersetzung mit der eigenen (persönlichen und gesellschaftlichen) Geschichte? Unser Forschungsdesign besteht aus zwei Strängen: erstens aus einem offenen qualitati- ven Zugang, biografisch geprägte soziale Zuge- hörigkeiten und den damit verknüpften Ge- fühlslagen Rechnung zu tragen; und zweitens aus Ansätzen, die die aktive Mitgestaltung und Kritik der Jugendlichen am Forschungsprozess vorsieht, sprich einen partizipativen und trans- formativen Ansatz verfolgt. Unser Sample be- steht aus zwei Gruppen von Berufsschüler*in- nen aus zwei unterschiedlichen Berufsschulen in Berlin/Brandenburg. Jene Gruppe ist in öf- fentlichen wie auch wissenschaftlichen Debat- ten über die Entwicklungen in Deutschland ten- denziell unterrepräsentiert. Dennoch entschei- det sich jeder dritte Jugendliche in Deutschland für eine Berufsschule. Es sind junge Menschen, die sich Gedanken über ihre Zukunft machen und einen Platz in der deutschen und europäi- schen Gesellschaft suchen. 17
FORSCHUNGSPROJEKTE Versöhnung in Kontexten chronischer Gewalt: Gemeinsa- me Standpunkte und kontroverse Themen in Kolumbien chen gewaltförmigen Konflikte hinaus sichtbar. Projektleitung Soziale Ungleichheit und Ausgrenzung prägen Prof. Dr. Anika Oettler weiterhin das Leben in Postkonflikt-Gesellschaf- Institution ten und auch ein erneuter Anstieg direkter Ge- Institut für Soziologie, Philipps-Universität walt ist möglich. Kurzum: Gewalt kann chro- Marburg nisch werden und auf verschiedenste Arten ge- Fördersumme sellschaftliche Räume durchziehen. 109 Tsd. Euro Projektlaufzeit Ein emblematisches Beispiel für das Verschwim- Standardprojekt, 15 Monate men von Grenzen zwischen Konflikt und Frie- den ist Kolumbien. Mit dem international viel- beachteten Friedensvertrag zwischen der ko- V ersöhnung ist ein Kernkonzept der Frie- densförderung und fest im Repertoire der Diskurse um Postkonflikt-Situationen verankert. lumbianischen Regierung und der Guerrilla FARC-EP im November 2016 nährte sich die Hoffnung, den über fünfzigjährigen bewaffne- Sie hat insbesondere in der Praxis der Transitio- ten Konflikt in Kolumbien friedlich und nachhal- nal Justice hat Versöhnung eine große Bedeu- tig zu lösen. Jedoch stockt die Umsetzung des tung – als konkrete Maßnahme, Interaktion, Friedensabkommens und diverse bewaffnete langjähriger gesamtgesellschaftlicher Prozess Akteure sind weiterhin aktiv. Gewalt gegen oder als oft fern anmutendes Ziel. Zu dieser Be- Menschenrechtsverteidiger*innen hat stark zu- deutungsvielfalt kommt im 21. Jahrhundert ei- genommen und lähmt zivilgesellschaftliches ne weitere Herausforderung hinzu: unscharfe Engagement. Hinzu kommt, dass Konfliktursa- und verschwimmende Grenzen zwischen Kon- chen wie die extreme soziale Ungleichheit nicht flikt und Frieden. Die Beendigung bewaffneter oder nur unzureichend adressiert werden. Viel- Auseinandersetzungen und autoritärer Phasen fältige, sich überlappende Formen von Aus- bedeutet nicht zwangsläufig das Ende von Ge- grenzung und Diskriminierung prägen weiter- walt. Verschiedene Gewaltformen und soziale hin die Lebensrealität vieler Menschen, insbe- Differenzen werden auch über die ursprüngli- sondere in indigenen, bäuerlichen und afro-ko- FOTO: LISA BOGERTS, OKTOBER 2016. Kontroverse Street Art in Bogotá. Künstler: Crisp. 18
lumbianischen Gemeinden. Gewalt- FOTO: ANIKA OETTLER, BOGOTÁ, MÄRZ 2016. tätige Konflikte bleiben trotz des Frie- densprozesses allgegenwärtig. Am Fallbeispiel Kolumbien möchte das Forschungsprojekt die Bedeu- tung von Versöhnung in Kontexten chronischer Gewalt ergründen. Auch in Kolumbien bleibt Versöhnung eine zentrale Referenz im Friedensdiskurs. Aber was genau meint Versöhnung eigentlich? Welche unterschiedlichen Perspektiven und Verständnisse ha- ben Menschen und warum? Und was Facetten von Versöhnung. kann unter Versöhnung verstanden werden, wenn Gewalt nicht verschwindet, son- dem Teilnehmer*innen gebeten werden, Aussa- dern chronisch ist? Von diesen Fragen ausge- gen zu einem Thema entlang einer Skala (z.B. hend, verfolgt das Forschungsprojekt ein dreifa- von „stimme überhaupt nicht zu“ bis „Stimme ches Ziel. Erstens wird erhoben, inwiefern sich absolut zu“) zu sortieren. Insgesamt können so das Versöhnungsverständnis von Menschen Typen von subjektiven Einstellungen abgelesen über ein breites Spektrum von Perspektiven werden, die in anschließenden Interviews noch- und Ebenen erstreckt und auf welche Praktiken, mals vertieft werden. Das Projekt möchte die Einstellungen und Ziele Bezug genommen wird. Methode für den kolumbianischen Fall nutzbar Zweitens wird untersucht, wie die Bedeutung machen und somit einen sowohl inhaltlichen von Versöhnung je nach lokalen politischen und wie auch methodischen Beitrag zur Versöh- sozialen Kontexten variiert und welche Verbin- nungs- und Friedensforschung leisten. Das Pro- dungen zu Dimensionen chronischer Gewalt jekt ist als Online-Forschung konzipiert und hergestellten werden. Drittens wird systema- wird dadurch mit Blick auf die digitale Umset- tisch erarbeitet, wie sich das Versöhnungsver- zung von Forschung neue Wege gehen. ständnis von Menschen je nach individuellen sozialen Hintergründen und Positionierungen – Mit dem Fokus auf Versöhnung in Kontexten wie Bildungsstand, Einkommen, ethnischer Zu- chronischer Gewalt und der Anwendung einer gehörigkeit, Geschlecht, sexueller Orientierung, in der Friedens- und Konfliktforschung noch Alter und Gewalterfahrungen – unterscheidet. wenig etablierten Methode möchte das For- schungsprojekt systematische Erkenntnisse ge- Die Forschungsfrage übersetzt sich in ein quali- nerieren und einen Beitrag zu einem über Ko- tatives Forschungsdesign, das auf innovative lumbien hinaus hoch relevanten gesellschaftli- Weise eine q-methodologische Herangehens- chen Thema leisten. Da weltweit viele Gesell- weise mit halbstrukturierten Interviews verbin- schaften mit disruptivem und gewaltförmigem det. Die Q-Methode führt Elemente der quanti- sozialen Wandel konfrontiert sind, ist ein nuan- tativen und qualitativen Sozialforschung zu- cierteres Verständnis von Versöhnung in Ge- sammen und dient zur Erfassung und Rekon- waltkontexten notwendig für die Weiterent- struktion subjektiver Deutungsmuster. Sie eig- wicklung von Instrumenten der Friedensförde- net sich besonders zur systematischen Erschlie- rung und Transitional Justice. Kurz: Es gilt mehr ßung von Verständnissen, die über rein indivi- darüber zu erfahren, was Versöhnung für wen duelle Auffassungen hinausgehen. Dabei han- bedeutet, ob und wie sie relevant sein kann und delt es sich um ein Rangordnungsverfahren, bei was dafür zu tun ist. 19
FORSCHUNGSPROJEKTE Wissen und Peacebuilding. Die epistemische Praxis des Deutschen Bundestages im Kontext von Entscheidungen über Friedens- und Stabilisierungs- einsätze in Mali (2013 -2019) ren durchaus lebendig diskutieren, ist bisher in Projektleitung der Friedens- und Konfliktforschung bis auf we- Dr. Werner Distler nige Ausnahmen kaum untersucht worden, wie Institution Wissen Entscheidungsprozesse in deutschen In- Zentrum für Konfliktforschung, stitutionen im Kontext von Peacebuilding prägt. Philipps-Universität Marburg Der Fall Mali hat zwar in der internationalen Li- Fördersumme teratur einige Aufmerksamkeit erhalten, in der 24 Tsd. Euro deutschen Forschung jedoch fehlt es noch im- Projektlaufzeit mer an einer breiten Debatte, akademisch wie Pilotstudie, 7 Monate öffentlich, gerade im Vergleich zu den umfang- reichen Missionen der Vergangenheit wie im Kosovo oder Afghanistan. D eutschland ist seit den 1990er Jahre ein wichtiger Akteur in internationalen Frie- dens- und Stabilisierungseinsätzen und die Teil- Vor diesem Hintergrund untersucht die Pilotstu- die am Zentrum für Konfliktforschung, bearbei- nahme an Operationen in Mali seit 2013 ist ak- tet von Dr. Werner Distler und Miriam Tekath, tuell eine der größten und langfristigsten Mis- MA., den Zusammenhang von Wissen und sionen der Bundeswehr. Die internationalen Peacebuilding im Kontext von Entscheidungen Einsätze in Mali, mit ihrem Fokus auf Sicherheit, des Deutschen Bundestags zur Teilnahme der Militär und Aufstandsbekämpfung in der Litera- Bundeswehr an den Friedens- und Stabilisie- tur durchaus kritisch bewertet, verändern nicht rungseinsätzen MINUSMA (Mission multidimen- nur die gesellschaftlichen und politischen Reali- sionelle integrée des Nations Unies pour la Sta- täten vor Ort, sie prägen auch seit fast einem bilisation au Mali) und EUTM (European Union Jahrzehnt die deutsche Sicherheits- und Außen- Training Mission) in Mali. Die Parlamentarier*in- politik und die Bundeswehr. Die abschließende nen verlängern seit 2013 regelmäßig mit großer Entscheidung zur Teilnahme an Einsätzen der Mehrheit die umfangreichen deutschen Beteili- Bundeswehr fällt in Deutschland dem Bundes- gungen an der Stabilisierung des malischen tag zu. Staates - und damit auch die Beteiligung an der durchaus umstrittenen Aufstandsbekämpfung Die wissenschaftliche und öffentliche Debatte und Counterinsurgency-Praxis in Mali. Die Ent- haben in diesem Zusammenhang wiederholt scheidungen im Bundestag beruhen auf spe- darauf hingewiesen, dass Wissen über interna- ziellem, in Institutionen (beispielsweise Ministe- tionale Missionen und betroffene Gesellschaf- rien) generierten Wissen über die Lage in Mali ten schwer zu erlangen ist, bzw. in deutschen In- und die Notwendigkeiten und Ziele der Opera- stitutionen nur bestimmtes Wissen über Ein- tionen. Hier setzt das Projekt an: Woher kommt satzgebiete transportiert wird. Systematische dieses Wissen über Mali, was beinhaltet es, wie und tiefgehende Untersuchungen des Zusam- wird es in den Routinen parlamentarischer Ar- menhangs von Wissen und Peacebuilding feh- beit vermittelt? len jedoch noch: Während vor allem politikwis- senschaftliche Studien die Gestaltungs- und Das Projekt will mit der Untersuchung der Prak- Kontrollmöglichkeiten des Bundestages bezüg- tiken der Wissensgenese zeigen, welches Wis- lich Militäreinsätze seit den späten 1990er Jah- sen über Mali dominiert, bzw. als relevant aus- 20
gewählt und im demokratischen Entschei- und externe Expert*innen zu Mali, die deutsche dungsprozess zur Verfügung gestellt wird – und Institutionen beraten oder in Ausschüsse einge- welches Wissen über die Zeit hinweg verschwin- laden wurden. Alle Texte werden mit Hilfe einer det oder keinen Raum erhält. Die Analyse wird Software-gestützten Qualitativen Inhaltsanaly- angeleitet von neueren theoretischen Konzep- se (MAXQDA) ausgewertet. ten über Wissensobjekte und epistemische Pra- xis. Das Wissensobjekt (hier: Mali) wird verstan- Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Pilotstu- den als Fokuspunkt („Problem“) für politisches die werden einerseits in einer internationalen, Handeln. Die epistemische Praxis zur Konstituti- peer-reviewed Fachzeitschrift als Artikel, ande- on dieses Objekts wird definiert als Konfigurati- rerseits in einem Policy-Paper veröffentlicht. on von sprachlichen und körperlichen Aktivitä- ten, Routinen und Techniken. Der Datenkorpus besteht hauptsächlich aus 1) Bundestagsdokumenten seit 2013 (Anträge der Bundesregierung, Beschlussempfehlungen der Ausschüsse, Plenumsprotokolle, Anfragen/Ant- worten; ggf. Dokumente des deutsch-französi- schen Parlamentsaustauschs) und 2) Transkrip- ten von Leitfaden-gestützten Expert*innen-In- terviews. Interviewt werden ausgewählte Abge- ordnete des Bundestages von verschiedenen Parteien bzw. Regierung und Opposition, Mitar- beiter*innen des Wissenschaftlichen Dienstes 21
FORSCHUNGSPROJEKTE Einstellungen zu Waffenhandel in Deutschland und Frankreich - A Conjoint Experiment on the Comparative Legitimacy of Arms Exports in Germany and France der NATO oder einer kürzlich vorgeschlagenen Projektleitung europäischen Verteidigungspolitik einschließ- Prof. Dr. Paul W. Thurner & lich entsprechender Forschungs- und Entwick- Dr. Lukas Rudolph lungsinitiativen wie der Permanent Structured Institution Cooperation (PESCO) zu untersuchen. Demokra- Geschwister-Scholl-Institut für Politikwis- tische Regierungen sind ihren Wählerinnen und senschaft, Ludwig-Maximilians-Universität Wählern Rechenschaft schuldig und können München langfristig kaum gegen die Präferenzen der Be- Fördersumme völkerung handeln. Unser Projekt testet, inwie- 24 Tsd. Euro fern der politische Handlungsspielraum im Be- Projektlaufzeit reich Waffenexporte durch die Präferenzen der Pilotstudie, 12 Monate Bevölkerung beschränkt ist. Wenn etwa Ent- scheidungen über Waffentransfers in Länder wie Saudi-Arabien oder an nichtstaatliche Grup- W affenexporte sind immer wieder heftig umstritten. Gerade zivilgesellschaftliche Gruppen und Parteien des linken politischen pen wie die kurdischen Peschmerga aufgrund spezifischer Einstellungen in der deutschen Be- völkerung nicht von der Bundesregierung un- Spektrums kritisieren mögliche Implikationen terstützt werden können, hat dies Konsequen- solcher Transfers: die Verschärfung bewaffneter zen für die Gestaltung kooperativer Verteidi- Konflikte, Menschenrechtsverletzungen oder gungs- und Sicherheitsregime. Im Falle Frank- die Stabilisierung autokratischer Regime. Es ist reichs und Deutschlands haben unterschiedli- jedoch offen, wie sich diese Argumente konkret che Auffassungen zu Grundsätzen der Ausfuhr in der Einstellung der Bürgerinnen und Bürger gemeinsam entwickelter Waffen etwa zu offe- zu Waffenexporten widerspiegeln und ob sich nen Streitigkeiten geführt, die erst mit einem Bevölkerungseinstellungen zwischen Ländern deutsch-französischen Abkommen über Export- systematisch unterscheiden. In einigen westli- kontrollen im Oktober 2019 beigelegt werden chen Demokratien mit einer zentralen Rolle im konnten. internationalen Waffentransfersystem, wie den USA, Großbritannien und Frankreich, scheint die Unser Pilotprojekt leistet, aufbauend auf einem öffentliche Debatte um Waffenexporte weniger innovativen methodischen Ansatz, einen ersten kontrovers geführt wie etwa in Deutschland. Beitrag zu diesen wesentlichen Fragen. Wir stüt- zen uns vornehmlich auf Umfrageexperimente Ziel dieses Projektes ist es, diese anekdotischen mit einem repräsentativen Querschnitt der Be- Behauptungen auf Basis solider empirischer völkerung zweier ausgewählter Länder – Methodik zu überprüfen, und damit empirische Deutschland und Frankreich. Beide Länder ge- Evidenz zu liefern, die derzeit sowohl in der wis- hören zur Top-5-Gruppe der Exporteure von senschaftlichen und öffentlichen Debatte fehlt. Großwaffen (SIPRI Waffentransferstatistik 2019). Hierzu nehmen wir einen länderübergreifenden In Frankreich sind Exporte dabei eher selten ein Vergleich der Präferenzbildung von Wähler*in- Thema der politischen Debatte, in Deutschland nen zu Waffenexporten vor. Dies erlaubt es uns, dagegen regelmäßig. Mittels sog. Conjoint-Ex- aus der Perspektive der Öffentlichkeit die An- perimenten konfrontieren wir die Befragten nahme einer deutschen Spezifität, aber auch mehrfach mit hypothetischen Entscheidungs- der internen Verlässlichkeit von Bündnissen wie szenarien. Diese imitieren konkrete Politikent- 22
Eigene Darstellung | Deskriptive Einstellung der deutschen und französischen Befragten zur Le- gitimität von Waffenexporten anhand von 4 Items (7-stufige Likert-SkalenN = 3367 (F), 3250 (D)). scheidungen und unterscheiden sich in mehre- litischen Aspekten bei der Beurteilung der Legi- ren Dimensionen (Attributen). Die Befragten be- timität von Waffenexporten. Wir bestimmen die werten diese Szenarien dann vergleichend. In- Wertabwägungen zwischen den wahrgenom- nerhalb der Szenarien werden die Attributaus- menen Auswirkungen von Waffenexporten auf prägungen, d.h. die konkrete Beschreibung der die wirtschaftliche Wohlfahrt (z.B. Arbeitsplätze) Situation, zufällig zugewiesen. Dies ermöglicht und normativen Überlegungen (z.B. Konfliktrisi- es uns zu bestimmen, wie sich Auswahlmerk- ko, Menschenrechtsverletzungen). Wir erwar- male kausal auf die Bewertung eines Politikpa- ten, dass erstgenannte Aspekte die Akzeptanz kets auswirken. Insgesamt bestimmen wir so, von Waffenexporten erhöhen, letztgenannte welche Aspekte von Waffenexporten Zustim- verringern. Im Vergleich zwischen der deut- mung oder Ablehnung substanziell beeinflus- schen und französischen Bevölkerung sollte, sen, sowie insgesamt ein Politikpaket (nicht) aufgrund unterschiedlicher politischer Ge- mehrheitsfähig machen. Wir können so den po- schichte und Kultur die Relevanz normativer Be- litischen Handlungsspielraum im Bereich Waf- denken gegen Waffenexporte geringer ausge- fenexporte aus Sicht der Öffentlichkeit aufzei- prägt sein. gen. Unser Projekt konzentriert sich erstmals auf die vergleichende Relevanz von moralisch- Darüber hinaus erheben wir eine Reihe von de- rechtlichen, wirtschaftlichen und sicherheitspo- skriptiven Einstellungen zu Waffenhandel, Krieg 23
FORSCHUNGSPROJEKTE und Frieden. Erste Ergebnisse sind in den Abbil- dungen zu sehen. Diese deuten auf eine zwar grundlegend ähnliche, aber doch substanziell kritischere Einstellung der Bevölkerung in Deutschland zu Waffenexporten hin, sind je- doch noch nicht kausal interpretierbar. Die Erhebung von N = 6617 Befragten in Frank- reich und Deutschland erfolgte im November und Dezember 2020. Die Daten wurden über das Online-Access-Panel der Firma Kantar erho- ben und sind bezüglich Quoten auf Alter, Ge- schlecht, Bildung sowie Regionbevölkerungs re- präsentativ. Mit ersten Ergebnissen rechnen wir Mitte 2021. 24
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FORSCHUNGSPROJEKTE Staaten und die Aufgabenverteilung zwischen internationalen Organisationen: Die Multi-Akteurs-Friedensoperation in Mali auf diesen Operationstyp ein, obwohl er wegen Projektleitung der hohen organisatorischen Komplexität sowie Dr. Martin Welz der völkerrechtlich nicht abschließend geklär- Institution ten Aufgabenverteilung zwischen den Akteuren Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissen- ein prädestinierter Untersuchungsgegenstand schaften, Universität Hamburg ist. In Afrika haben beispielsweise in jedem Land Fördersumme die Vereinten Nationen, die Afrikanische Union 150 Tsd. Euro und mindestens eine regionale Wirtschaftsge- Projektlaufzeit meinschaft wie die Southern African Develop- Post-Doc Projekt, 17 Monate ment Community im südlichen Afrika oder die Intergovernmental Authority on Development am Horn von Afrika ein Mandat, im Konfliktfall M ulti-Akteurs-Friedensoperationen, also militärische oder zivile Operationen bei denen mindestens zwei internationale Organi- zu intervenieren. Allein dieser Umstand kann das Zusammenwirken zwischen den Organisa- tionen erschweren und im Extremfall sogar ein sationen oder Staaten im Feld zusammenarbei- Sicherheitsvakuum hervorrufen, durch das der ten, sind seit dem Ende des Kalten Krieges zum lokale Konflikt, der adressiert werden soll, sich Standardmodell im Bereich der Friedensschaf- noch verschärfen kann. Dieses Problem ver- fung und -sicherung geworden. Trotz dieser stärkt sich durch die Möglichkeit, dass mitunter Prominenz geht die Forschung bislang wenig auch Einzelstaaten militärisch oder zivil eingrei- © BUNDESWEHR/SUSANNE HÄHNEL MedEvac-Übung in Mali - Ein Rettungsteam versorgt einen Verwundeten in der Nähe von Gao/Mali bei einer Übung zur taktischen Verwundetenversorgung, das Retten und Evakuieren von verwundeten Soldaten, im Rahmen der Mission MINUSMA, am 02.11.2017. 26
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