DEUTSCHE STIFTUNG POLITIK - Deutsche Stiftung Friedensforschung

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DEUTSCHE STIFTUNG POLITIK - Deutsche Stiftung Friedensforschung
PANDEMIE                       FRIEDEN

               PÄDAGOGIK
                               DEUTSCHE
                                   GREMIEN
                           POLITIK STIFTUNG
    PEACEBUILDING                FÖRDERKONZEPT
        JUBILÄUM
         KONFLIKT
                           FRIEDENSFORSCHUNG

JAHRESBERICHT 2020
DEUTSCHE STIFTUNG POLITIK - Deutsche Stiftung Friedensforschung
DEUTSCHE STIFTUNG POLITIK - Deutsche Stiftung Friedensforschung
JAHRESBERICHT 2020
4    VORWORT
5    VORSTELLUNG
5    Vorstellung der DSF

8    FÖRDERUNG
8    Förderangebote der Stiftung
8    Geförderte Projekte 2020
9    Forschungsprojekte in der offenen Förderung

10 FORSCHUNGSPROJEKTE
29 Geförderte Projekte in der thematischen Förderung 2020

34 TAGUNGEN / VERNETZUNG                    & TRANSFER
34 Tagungen
34 Vernetzung und Transfer
35 Das Friedensgutachten 2020

36 PUBLIKATIONEN
36 Stiftungseigene Publikationen
36 Aus Forschungsprojekten
37 Aus Tagungen und Vernetzungsprojekten

38 TRANSFERAKTIVITÄTEN & VERANSTALTUNGEN
38 Parlamentarischer Abend zum Thema „Mit Extremisten streiten“

40   GREMIEN
40   Der Stiftungsrat
40   Der Vorstand
41   Der Wissenschaftliche Beirat
41   Geschäftsstelle

42   FINANZEN UND VERWALTUNG
42   Das Vermögen
43   Der Jahresabschluss 2020
45   Die Ertragslage
46   Bestätigungsvermerk
47   Die Ludwig Quidde-Stiftung

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DEUTSCHE STIFTUNG POLITIK - Deutsche Stiftung Friedensforschung
VORWORT
          S    eit nunmehr zwanzig Jahren fördert die
               Deutsche Stiftung Friedensforschung wis-
          senschaftliche Projekte der Friedens- und Kon-
                                                               Trotz der schwierigen Pandemiebedingungen
                                                               kann die DSF auf ein starkes Förderjahr 2020 zu-
                                                               rückblicken. Insgesamt beliefen sich die Bewilli-
          fliktforschung. Gegründet wurde die Stiftung im      gungen auf rund 985 Tsd. Euro. Hierzu trug ins-
          Oktober 2000 mit dem Ziel, eine politisch und fi-    besondere die Förderung von Forschungspro-
          nanziell unabhängige Fördereinrichtung zu            jekten bei, für die die DSF Fördermittel in Höhe
          schaffen, die zu einer nachhaltigen Stärkung         von 909 Tsd. Euro bereitstellte. Dass die Nachfra-
          des Forschungsfeldes beiträgt. Bis heute hat die     ge bei Tagungen, Vernetzungs- und Transferpro-
          DSF für diesen Zweck Fördermittel in einer Ge-       jekte deutlich schwächer ausfiel, kann ange-
          samthöhe von 20 Millionen Euro bereitgestellt        sichts der großen Einschränkungen nicht über-
          und konnte damit, wie der Wissenschaftsrat un-       raschen. Der Jahresbericht stellt die neu in die
          längst in seiner Evaluation hervorhob, wichtige      Förderung aufgenommenen Forschungsprojek-
          Impulse für die Weiterentwicklung der Friedens-      te vor. Er gibt zudem Auskunft über die weiteren
          und Konfliktforschung geben.                         Aktivitäten der Stiftung, die pandemiebedingt
                                                               deutlich geringer als in den Vorjahren ausgefal-
          Auch im Jahr 2020 hat die Stiftung ihren Weg         len sind.
          der Neuaufstellung fortgesetzt. Im Oktober ver-
          abschiedete der Stiftungsrat das neue Förder-        Die Stiftung konnte ihre erfolgreiche Arbeit nur
          konzept „Forschungsinnovation // Netzwerkbil-        mit der Unterstützung der zahlreichen Gutach-
          dung // Wissenstransfer. Förderimpulse für die       ter und Gutachterinnen erfüllen, die ihre Zeit
          Friedens- und Konfliktforschung“, mit dem die        und Expertise unentgeltlich zur Verfügung ge-
          Förderbereiche neu zugeschnitten wurden. Ne-         stellt haben. Ihnen gilt an dieser Stelle ein be-
          ben der offenen Forschungs- und Vernetzungs-         sonderer Dank. Darüber hinaus danken wir den
          förderung zählt nun auch eine thematische För-       Mitgliedern der Stiftungsgremien für ihr großes
          derlinie zum festen Förderangebot der DSF. Da-       ehrenamtliches Engagement. Schließlich gilt es
          rüber hinaus hob der Stiftungsrat das Förder-        auch die gute und vertrauensvolle Zusammen-
          budget an, wodurch bei einigen Projektforma-         arbeit mit den Partnerorganisationen zu würdi-
          ten günstigere Förderbedingungen geschaffen          gen, die wir in der Zukunft gerne fortsetzen
          werden konnten. Die Konsolidierung und Wei-          werden.
          terentwicklung des Förderangebots wäre ohne
          die finanziellen Zustiftungen und Zuwendun-          Dr. Michael Meister
          gen aus dem Bundeshaushalt nicht möglich ge-         Parlamentarischer Staatssekretär bei
          wesen. Der Dank richtet sich an alle, die sich für   der Bundesministerin für Bildung und Forschung
          eine bessere Ausstattung der DSF eingesetzt          Vorsitzender des Stiftungsrates
          haben.                                               der Deutschen Stiftung Friedensforschung

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DEUTSCHE STIFTUNG POLITIK - Deutsche Stiftung Friedensforschung
Vorstellung der DSF

                                                                                                                                      VORSTELLUNG
I  m Oktober 2000 gründete die Bundesrepublik
   Deutschland die Deutsche Stiftung Friedens-
forschung (DSF) als Einrichtung der Forschungs-
                                                                      2020 verabschiedete er das neue Grundsatzpa-
                                                                      pier unter dem Titel „Forschungsinnovation, Ver-
                                                                      netzung, Wissenstransfer“. Hierin werden die
förderung. Der grundlegende Stiftungszweck                            Zielsetzungen der Stiftung neu ausgerichtet
besteht gemäß §2 der Stiftungssatzung darin,                          und die Förderung in drei Teilbereiche For-
„die Friedensforschung ihrer außen- und sicher-                       schungsprojekte, Vernetzung & Wissenstransfer
heitspolitischen Bedeutung gemäß insbeson-                            sowie thematische Förderung untergliedert. Für
dere in Deutschland dauerhaft zu stärken und                          das ab 2021 gültige Förderkonzept steht ein er-
zu ihrer politischen und finanziellen Unabhän-                        höhtes Budget zur Verfügung, mit dem die DSF
gigkeit beizutragen“. Die DSF hat den Status ei-                      ihre Förderkonditionen deutlich verbessern
ner Stiftung bürgerlichen Rechts, sie ist im Sinne                    kann.
der Abgabenordnung als gemeinnützig aner-
kannt. Die Geschäftsstelle der Stiftung befindet                      Das „Corona“-Jahr 2020
sich in der Friedensstadt Osnabrück.
                                                                      Mit der starken Ausbreitung der Pandemie in
Zur Erfüllung des Stiftungszwecks fördert die                         Deutschland seit März 2020 musste sich auch
DSF wissenschaftliche Projekte der Friedens-                          die DSF auf veränderte Rahmenbedingungen
und Konfliktforschung und trägt damit zur in-                         einstellen. Die Gremiensitzungen des Stiftungs-
haltlichen und strukturellen Weiterentwicklung                        vorstandes, des Stiftungsrates und des wissen-
des Forschungsfeldes bei. Die Stiftung unter-                         schaftlichen Beirates konnten nur noch in digi-
nimmt keine eigenen Forschungen, sie gibt je-                         talen Formaten durchgeführt werden.1 Auf die-
doch über ihre Förderangebote und wissen-                             sem Wege blieben die Stiftungsorgane der DSF
schaftliche Konferenzen Impulse in das For-                           entscheidungsfähig, die anstehenden Sitzun-
schungsfeld. Darüber hinaus unterstützt sie mit                       gen konnten wie geplant abgehalten werden.
eigenen Formaten den Wissenstransfer in Politik
und Gesellschaft.                                                     Für die Projektförderung war die Pandemielage
                                                                      ebenfalls mit teilweise erheblichen Einschrän-
Grundlagen der                                                        kungen und Veränderungen verbunden. Einige
Forschungsförderung                                                   Tagungs- und Vernetzungsprojekte mussten
                                                                      verschoben oder ganz abgesagt werden. Auf-
Die Ziele der Stiftung liegen in der Initiierung                      grund der fehlenden Planungssicherheiten wur-
und Förderung von Forschungsprojekten, der                            den kaum noch neue Anträge eingereicht. Auch
nationalen und internationalen Vernetzung so-                         bei den Forschungsprojekten kam es zu Verzö-
wie dem Wissenstransfer in Politik und Gesell-                        gerungen, da die Forschungsarbeiten an die
schaft. Sie bilden die Grundlage des seit 2013                        eingeschränkten Bedingungen angepasst wur-
gültigen Förderkonzeptes, in dem die Förderan-                        den. Die Stiftung suchte in allen Fällen nach
gebote festgelegt sind. 2017 erweiterte die Stif-                     möglichst unbürokratischen und praktikablen
tung ihr Förderangebot um eine thematische                            Lösungen.
Förderlinie. Im Anschluss an die Ergebnisse der
Wissenschaftsratsevaluation beschloss der Stif-
tungsrat das Förderkonzept einer grundlegen-
den Überarbeitung zu unterziehen. Im Oktober

1 Auf der Grundlage von § 5 des Gesetzes über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungs-
  eigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie (GesRuaCOVBekG).

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VORSTELLUNG

              Frieden, Forschung, Förderung –                     des Forschungsfeldes gehabt habe. Sie sei auch
              20 Jahre DSF                                        künftig für das Forschungsfeld unverzichtbar.
                                                                  Die DSF könne ihre Arbeit jedoch nur erfolg-
              Mitten in die Pandemiezeit fiel auch das 20.        reich weiterführen, wenn sie eine bessere finan-
              Gründungsjubiläum der Stiftung. Am 13. Okto-        zielle Ausstattung erhalte.
              ber 2000 wurde der eigentliche Gründungsakt
              vollzogen. Die DSF nahm diesen Tag zum An-          Mit Hilfe von Zustiftungen und Zuwendungen
              lass, eine Extra-Ausgabe des „Notizblog“ zu ver-    aus dem Bundeshaushalt kann die Stiftung heu-
              öffentlichen, dessen Beiträge auf die Geschichte    te optimistischer in die Zukunft blicken. Dies
              zurückblickten und die aktuellen Herausforde-       schlägt sich nicht zuletzt auch in den erhöhten
              rungen hervorhoben. Für den Juni 2021 wird ei-      Förderbudgets des neuen Förderkonzeptes nie-
              ne größere Veranstaltung in Osnabrück geplant,      der, das ab Januar 2021 Gültigkeit hat. Damit er-
              mit der das 20-jährige Bestehen gefeiert wird.      öffnen sich für die kommenden Jahre sowohl in
              Seit Ihrer Gründung schüttete die DSF fast 20       finanzieller als auch in thematischer Hinsicht
              Millionen Euro für 400 Projekte aller Formate im    neue Perspektiven in der Forschungsförderung.
              Feld der Friedens- und Konfliktforschung aus. In    20 Jahre nach ihrer Gründung steht die Stiftung
              seinem 2019 veröffentlichten Evaluationsbe-         vor der großen Herausforderung, ihre For-
              richt stellte der Wissenschaftsrat fest, dass die   schungsförderung auf die neuen friedens- und
              Stiftung mit ihrer Förderung einen wesentli-        sicherheitspolitischen Herausforderungen der
              chen Anteil an der positiven Weiterentwicklung      Gegenwart und Zukunft auszurichten.

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DEUTSCHE STIFTUNG POLITIK - Deutsche Stiftung Friedensforschung
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DEUTSCHE STIFTUNG POLITIK - Deutsche Stiftung Friedensforschung
FÖRDERUNG
            Förderangebote der Stiftung

            D    as Förderkonzept der Stiftung umfasst un-
                 terschiedliche Projektformate, die sich in
            insgesamt vier Kategorien unterteilen:
                                                                   Für die Finanzierung des Förderkonzeptes steht
                                                                   ein jährlicher Mindestbetrag in Höhe von 730
                                                                   Tsd. Euro zur Verfügung.

                - Forschungsprojekte
                - Wissenschaftliche Tagungen
                - Wissenschaftliche Vernetzungs-
                  und Transferprojekte
                - Ausnahmeprojekte

            Geförderte Projekte 2020
            Für die Projektförderung wurden insgesamt 994          Die folgende Darstellung zeigt die Verteilung
            Tsd. Euro bereitgestellt, 791 Tsd. Euro in der offe-   der bereitgestellten Mittel auf die einzelnen För-
            nen Förderung, 203 Tsd. Euro für die Förderlinie.      derkategorien:

                          Ausnahmeprojekte
                          Offene Förderung                                                Forschungsprojekte
                          40 Tsd. Euro                                                    Offene Förderung
                                                                                          706 Tsd. Euro
                                                                                          Thematische Förderung
                                                                                          203 Tsd. Euro
            Wissenschaftliche
            Vernetzungs- und
            Transferprojekte
            Offene Förderung
            20 Tsd. Euro

            Wissenschaftliche
            Tagungen
            Offene Förderung
            25 Tsd. Euro

            Verteilung der Förderformate

            In das Förderbudget für das Jahr 2020 fielen           gejahr. In der Förderlinie „Neue Technologien“
            zwei Antragstermine für Förderung von For-             fielen noch zwei nachlaufende Entscheidungen.
            schungsprojekten im Bereich der thematisch of-         Insgesamt gingen 27 Anträge auf Projektförde-
            fenen Grundförderung (November 2019 und                rung bei der DSF ein. Das Antragsvolumen be-
            Mai 2020). Die Neuausschreibung der themati-           lief sich auf rund 2,1 Mio. Euro.
            schen Förderlinie verschob die Stiftung ins Fol-

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DEUTSCHE STIFTUNG POLITIK - Deutsche Stiftung Friedensforschung
Forschungsprojekte in der offenen Förderung
Die DSF konnte alle 27 Anträge auf Projektför-                         Aufgrund des pandemiebedingten Rückgangs
derung in das Begutachtungs- und Entschei-                             der Förderung bei Tagungen und Vernetzungs-
dungsverfahren aufnehmen. Sie bewilligte                               projekten bestand in 2020 die Möglichkeit,
Fördermittel in einer Gesamthöhe von 909 Tsd.                          etwas höhere Beträge aus diesen Budgets zu-
Euro für zehn Forschungsvorhaben, davon sie-                           gunsten von Forschungsprojekten umzuschich-
ben Standardprojekte, ein Post-Doc Projekt und                         ten (ca. 75 Tsd. Euro).
zwei Pilotstudien. Zwei Standardprojekte wur-
den dem Budget der thematischen Förderung
zugewiesen (203 Tsd. Euro).

Geförderte Projekte im Bewilligungszeitraum 2020
                                                     STANDARDPROJEKT
Antragstermin Nov‘19
Parteienwettbewerb und kollektive Radikalisierung der Dschihadisten in Afrika südlich der Sahara
Prof. Dr. Christof Hartmann, Institut für Entwicklung und Frieden (INEF)/Institut für Politikwissenschaft,
Universität Duisburg-Essen
Antragstermin Mai‘20
Friedensbildung in Deutschland – State-of-the-Art Report und Empfehlungen für die (schul-)politi-
sche und pädagogische Praxis
Prof. Uli Jäger, Berghof Foundation Operations gGmbH, Berlin
Antragstermin Mai‘20
Chemiewaffeneinsätze aufklären und ahnden: Global Security Governance und die Einhaltung mul-
tilateraler Abrüstungsverträge
Dr. Oliver Meier, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH)
Antragstermin Mai‘20
Feeling The Past – Zugehörigkeitserleben, Geschichte und Gegenwart in der deutschen Nach-Nach-
wendegeneration
Prof. Dr. David Becker, Department für Psychologie, Sigmund Freud Privatuniversität, Berlin
Antragstermin Mai‘20
Versöhnung in Kontexten chronischer Gewalt: Gemeinsame Standpunkte und kontroverse Themen
in Kolumbien
Prof. Dr. Anika Oettler, Institut für Soziologie, Philipps-Universität Marburg
                                                           PILOTSTUDIE
Antragstermin Nov‘19
Wissen und Peacebuilding. Die epistemische Praxis des Deutschen Bundestages im Kontext von Ent-
scheidungen über Friedens- und Stabilisierungseinsätze in Mali (2013 -2019)
Dr. Werner Distler, Zentrum für Konfliktforschung, Philipps-Universität Marburg
Antragstermin Nov‘19
Einstellungen zu Waffenhandel in Deutschland und Frankreich - A Conjoint Experiment on the Com-
parative Legitimacy of Arms Exports in Germany and France
Prof. Dr. Paul W. Thurner/Dr. Lukas Rudolph, Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft, Ludwig-
Maximilians-Universität München
                                                     POST-DOC PROJEKT
Antragstermin Nov‘19
Staaten und die Aufgabenverteilung zwischen internationalen Organisationen: Die Multi-Akteurs-
Friedensoperation in Mali
Dr. Martin Welz, Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Universität Hamburg

2 Die gelisteten Projektformate entsprechen dem bis Ende 2020 gültigen Förderkonzept. Die überarbeitete Fassung ist erst ab Januar 2021 für
  die Förderung wirksam.

                                                                                                                                         9
DEUTSCHE STIFTUNG POLITIK - Deutsche Stiftung Friedensforschung
FORSCHUNGSPROJEKTE
                                                       Parteienwettbewerb und kollektive Radikalisierung der
                                                       Dschihadisten in Afrika südlich der Sahara
                                                                                                          mit verbundenen Entstehung dschihadistischer
                                                            Projektleitung                                Milieus sind bereits weitgehend erforscht. Zu ih-
                                                            Prof. Dr. Christof Hartmann                   nen zählen unter anderem der post-koloniale
                                                            Institution                                   Aufstieg eines puritanischen, salafistisch orien-
                                                            Institut für Entwicklung und Frieden          tierten Reformislams, die sozio-ökonomische
                                                            (INEF)/Institut für Politikwissenschaft,      und politische Marginalisierung muslimischer
                                                            Universität Duisburg-Essen                    Bevölkerungsgruppen sowie vorbestehende sä-
                                                            Fördersumme                                   kulare Polarisierungsdynamiken. Dagegen sind
                                                            108 Tsd. Euro                                 Exploration und Erklärung potentieller „Nichtra-
                                                            Projektlaufzeit                               dikalisierungspfade“ bislang eher vernachläs-
                                                            Standardprojekt, 24 Monate                    sigt worden. Das Projekt bearbeitet diese For-
                                                                                                          schungslücke, indem es das präventive Poten-
                                                                                                          tial von Parteienwettbewerb untersucht. Im

                                                       S   eit den späten 1980er Jahren befinden sich
                                                           militant-islamistische Strömungen im sub-
                                                       saharischen Afrika im Aufwind. In mehreren afri-
                                                                                                          Zentrum steht dabei die folgende übergreifen-
                                                                                                          de Forschungsfrage: Was verhindert kollektive
                                                                                                          dschihadistische Radikalisierung?
                                                       kanischen Staaten haben kollektive Radikalisie-
                                                       rungsprozesse dschihadistische Milieus hervor-     Konkret befasst sich das Projekt mit dem subna-
                                                       gebracht. Während die Entstehung dieser Mi-        tionalen (Nicht-)Auftreten dschihadistischer Ra-
                                                       lieus in Ländern wie Nigeria, Somalia, Uganda      dikalisierung in Kenia, Ghana, Mosambik und
                                                       oder Mosambik der Gründung einheimischer           Tansania. Dabei soll geklärt werden, warum es
                                                       Rebellenbewegungen den Weg geebnet hat,            subnationale Räume gibt, in denen militant-isla-
                                                       hat sie in anderen Staaten - so zum Beispiel in    mistische Milieus bislang nicht oder nur rudi-
                                                       Kenia und Tansania - die regionale Expansion       mentär entstanden sind, obwohl alle wesentli-
                                                       externer militant-islamistischer Gruppen beför-    chen Ermöglichungsbedingungen kollektiver
                                                       dert.                                              dschihadistischer Radikalisierung gegeben wa-
                                                                                                          ren. Während sich in der kenianischen Küstenre-
                                                       Die regionalspezifischen „Ermöglichungsbedin-      gion und in der Provinz Cabo Delgado im Nor-
                                                       gungen“ kollektiver Radikalisierung und der da-    den Mosambiks in den späten 2000er und frü-
                                                                                                          hen 2010er Jahren dschihadistische Milieus he-
                     ©F MIRA | FLICKR | CC BY-SA 2.0

                                                                                                          rausgebildet haben, ist eine vergleichbare Ent-
                                                                                                          wicklung in Sansibar (Tansania) und dem gha-
                                                                                                          naischen Dagomba-Königtum bislang trotz
                                                                                                          ähnlicher Ausgangsbedingungen ausgeblie-
                                                                                                          ben. Aufbauend auf bestehenden Erkenntnis-
                                                                                                          sen zu den Ursprüngen militant-islamistischer
                                                                                                          Mobilisierung im sub-saharischen Afrika geht
                                                                                                          das Projekt davon aus, dass die eingehende Un-
                                                                                                          tersuchung der Beziehungen zwischen salafis-
                                                                                                          tisch orientiertem islamischen Aktivismus und
                                                       Die nordmosambikanische Provinz Cabo Del-          dem demokratischen Prozess einen wichtigen
                                                       gado wurde in den frühen 2010er Jahren zu ei-      Beitrag zur Lösung dieses „Forschungsrätsels“
                                                       nem Hotspot dschihadistischer Radikalisie-         leisten kann.
                                                       rung

                                                       10
© ZANZIBAR DAIMA
Der salafistische sansibarische Prediger Msellem Ali Msellem bei einer Kundgebung gegen die
tansanische Union im Mai 2012.

Eine zentrale Einsicht der neueren afrikabezo-        der Rekonstruktion kausaler Mechanismen. Mit-
genen Forschung lautet, dass die Popularisie-         hilfe dieser Werkzeuge soll unter anderem die
rung militant-islamistischer Ideologien oftmals       Hypothese getestet werden, dass das Präventi-
durch säkulare gesellschaftliche Antagonismen         onspotential von Parteienwettbewerb entschei-
begünstigt wird. So haben gewaltbereiten Isla-        dend davon abhängig ist, ob salafistische Bewe-
misten in mehreren afrikanischen Staaten inter-       gungen historisch in vorbestehende soziopoliti-
und intra-ethnische Trennlinien für ihre Zwecke       sche Konflikte integriert worden sind.
instrumentalisiert. Das Projekt zielt darauf ab,
diesen Befund zu ergänzen, indem es unter-            Die Umsetzung des Forschungsvorhabens er-
sucht, inwieweit die „Elektoralisierung“ nicht-re-    folgt in enger Zusammenarbeit mit lokalen Wis-
ligiöser sozialer Konflikte die Öffnung politi-       senschaftler*innen. Darüber wird im Rahmen
scher Spielräume für die Entfaltung dschihadis-       des Projektes in den untersuchten Ländern auf
tischer Rekrutierung zu blockieren vermag. Die        Grundlage der Forschungsergebnisse auch ein
Bearbeitung dieser Frage ist nicht nur für die all-   policy-orientierter Dialog mit verschiedenen
gemeine vergleichende Jihadismus-Forschung            nicht-wissenschaftlichen Akteuren organisiert.
relevant, sondern verspricht auch wertvolle Er-       Im Fokus stehen dabei naturgemäß die Fälle, in
kenntnisse über die gesellschaftlichen Implika-       denen ein Prozess kollektiver dschihadistischer
tionen von Parteiensystemen im sub-sahari-            Radikalisierung bislang nicht stattgefunden hat.
schen Afrika zu liefern.

Methodisch fußt das Projekt auf der Durchfüh-
rung kontrollierter qualitativer Vergleiche und

                                                                                                   11
FORSCHUNGSPROJEKTE
                     Friedensbildung in Deutschland – State-of-the-Art
                     Report und Empfehlungen für die (schul-)politische
                     und pädagogische Praxis
                                                                         Bildungsplänen und Curricula, als auch ein sys-
                          Projektleitung                                 tematischer Überblick, der Erkenntnisse aus
                          Prof. Uli Jäger                                Wissenschaft und Praxis zusammenträgt.
                          Institution
                          Berghof Foundation Operations gGmbH,           Hier setzt das Projekt StArt Friedensbildung an.
                          Berlin                                         Mit einem Fokus auf den Lernort Schule und da-
                          Fördersumme                                    mit auf die Zielgruppe Kinder und Jugendliche
                          90 Tsd. Euro                                   sowie Schulpersonal wird ein spezifischer Be-
                          Projektlaufzeit                                reich des, im internationalen englischsprachi-
                          Standardprojekt, 12 Monate                     gen Diskurs umfassend als Peace Education be-
                                                                         zeichneten, pädagogischen Ansatzes in den
                                                                         Blick genommen. Die Verwendung des Begriffes

                     N     ach Monaten des Homeschoolings auf-
                           grund der Corona-Pandemie ist eine große
                     Debatte um die Schule als Institution und den
                                                                         „Bildung“ anstelle von „Erziehung“ betont den
                                                                         angestrebten partizipativen, dialogorientierten
                                                                         und ergebnisoffenen Charakter des Lernens
                     ihr zugrundeliegenden Vorstellungen von Leh-        und Lehrens.
                     ren und Lernen entfacht. Die Erfahrungen der
                     Krise bieten soziale Lernprozesse und können        Durch eine Darstellung des aktuellen Stands der
                     impulsgebend sein, um den Lernort Schule neu        Theorie und Praxis der Friedensbildung im
                     zu denken und Friedensbildung in der Bildungs-      deutschsprachigen Raum und der dahinterste-
                     politik zukünftig zu stärken. Eine Studie des       henden lokalen sowie internationalen Diskurse,
                     Zentrums für Friedensforschung und Friedens-        soll das Profil der Friedensbildung geschärft
                     pädagogik der Alpen-Adria-Universität kam           werden. Die oben erwähnten vielfältigen Anfor-
                     2015 zu der Erkenntnis, dass vorliegenden Kon-      derungen erfordern Antworten aus verschiede-
                     flikte in Klassenzimmern häufig in größere Rah-     nen Disziplinen wie etwa der Neurowissen-
                     menkontexte eingebunden sind, wie zum Bei-          schaften, der Medien- und Kommunikationswis-
                     spiel Gewaltstrukturen an den Schulen, unter-       senschaften oder der Soziologie. Deshalb bezie-
                     schiedliche sozial-ökonomische Ausgangsbe-          hen sich weitere Fragestellungen des For-
                     dingungen der Schüler*innen, Leistungsdruck         schungsprojekts darauf, auf welche Erkenntnis-
                     sowie die Thematisierung von internationalen        se aus verschiedenen Bezugswissenschaften
                     Krisen und Konflikten, die sich dann in den Klas-   sich Friedensbildung bei der Bewältigung neuer
                     senräumen und im Unterricht widerspiegeln.          Herausforderungen stützen kann und welche
                     Hier kann Friedensbildung einen konstruktiven       Schlussfolgerungen sich aus diesen Erkenntnis-
                     Umgang mit Konflikten am Lernort Schule för-        sen für die zukünftige Ausgestaltung der prakti-
                     dern und Friedensfähigkeiten von Individuen         schen Arbeit der Friedensbildung und für die
                     und Gruppen stärken. Eine Auseinandersetzung        Gestaltung (bildungs-)politischer Rahmenbe-
                     mit friedensbezogenen Themen und eine wach-         dingungen ziehen lassen.
                     sende Bedeutung von Friedensbildung an
                     Schulen spiegeln sich allerdings (noch) nicht in    Die Erforschung dieser und weiterer Fragen er-
                     den entsprechenden Strukturen wider. So feh-        laubt auch die Identifizierung und Benennung
                     len sowohl eine feste Verankerung von Frie-         von Leerstellen innerhalb der Friedensbildung.
                     densbildung in der Ausbildung von Lehrkräften,      Sie muss sich beispielsweise zu aktuell diskutier-
                     Friedensbildung als ein fester Bestandteil in den   ten gendertheoretischen und rassismuskriti-

                     12
© BERGHOF FOUNDATION
schen Ansätzen positionieren sowie neue For-          dung liefern, zusammengetragen. Bei einem in-
men der Politisierung von Jugendlichen über           terdisziplinären Fachgespräch mit Expert*innen
Soziale Medien berücksichtigen. Das Projekt           der Friedensbildung und der ausgewählten Be-
wird dabei nicht alle aufgeworfenen Fragen be-        zugswissenschaften werden diese Erkenntnisse
antworten können, sondern vielmehr Anregun-           diskutiert und das Feedback anschließend im
gen für die Weiterentwicklung der Theorie und         State-of-the-Art Report eingearbeitet.
Praxis der Friedensbildung geben sowie einen
Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis her-        Die erwarteten Forschungsergebnisse umfas-
stellen.                                              sen daher erstens den State-of-the-Art Report,
                                                      der sich aus dem Mapping zur Friedensbildung,
Schließlich werden aufgrund der zusammenge-           den Impulsen aus ausgewählten Bezugswissen-
tragenen Ergebnisse Empfehlungen für (schul-)         schaften sowie einer theoriegestützten Konzep-
politische Entscheidungsträger*innen und für          tion zusammensetzt. Daraus werden als zweites
die pädagogische Praxis an Schulen entwickelt.        Ergebnis Empfehlungen für die (schul-)politi-
                                                      sche Praxis und für die pädagogische Praxis der
Zunächst sollen durch Literaturrecherchen und         Friedensbildung formuliert. Schließlich werden
Gespräche mit Vertreter*innen der Friedensbil-        die Erkenntnisse und Empfehlungen in Form ei-
dung deren wichtigste Ansätze, Akteur*innen,          nes Podcast für die interessierte Öffentlichkeit
Diskurse und Handlungsfelder im deutschspra-          aufbereitet.
chigen Raum analysiert werden. Dafür wird ein
Analyseraster entwickelt, um Friedensbildung
hinsichtlich ihrer Ziele, Zielgruppen, Inhalte, Di-
daktik, Strukturen/Lernorte und Lernmedien
konzeptualisieren zu können. In einem State-of-
the-Art Report werden neueste Erkenntnisse
aus Bezugswissenschaften, die wichtige Impul-
se für die zukünftige Gestaltung der Friedensbil-

                                                                                                   13
FORSCHUNGSPROJEKTE
                     Chemiewaffeneinsätze aufklären und ahnden:
                     Global Security Governance und die Einhaltung
                     multilateraler Abrüstungsverträge

                          Projektleitung
                          Dr. Oliver Meier
                                                                  S   eit 2012 haben wiederholte Einsätze von
                                                                      chemischen Waffen in Syrien und andern-
                                                                  orts zu schwerwiegenden Verletzungen des
                          Institution                             Chemiewaffenübereinkommens (CWÜ) geführt.
                          Institut für Friedensforschung und      In Reaktion darauf haben internationale Organi-
                          Sicherheitspolitik an der Universität   sationen, transnationale Nichtregierungsorga-
                          Hamburg (IFSH)                          nisationen und Regierungen neue Wege be-
                          Fördersumme                             schritten, um die Verantwortlichen für Chemie-
                          109 Tsd. Euro                           waffeneinsätze zu ermitteln und zur Rechen-
                          Projektlaufzeit                         schaft zu ziehen.
                          Standardprojekt, 14 Monate
                                                                  Das so entstandene Accountability-Netzwerk
                                                                  hat seine Wurzeln in der Phase internationaler
                                                                  Einigkeit im Umgang mit den syrischen Chemie-
                                                                  waffen von 2012 bis 2015. Damals entstanden
                                                                  mit Unterstützung des UN-Sicherheitsrats und
                                                                  der Organisation für das Verbot Chemischer
                                                                  Waffen (OVCW) neue Instrumente zur Aufklä-
                                                                  rung von Chemiewaffenangriffen. 2016 und
                                                                  2017, vor dem Hintergrund des sich zuspitzen-
                                                                  den Konflikts zwischen Russland und dem Wes-
                                                                  ten, gestaltete sich diese Zusammenarbeit im-
                                                                  mer schwieriger. Ab 2018 schlug der Großmäch-
                                                                  tekonflikt auf das multilaterale Chemiewaffen-
                                                                  verbotsregime voll durch.

                                                                  Seitdem treiben vor allem westliche Staaten die
                                                                  Entwicklung neuer Accountability-Mechanis-
                                                                  men gegen den erbitterten Widerstand Russ-
                                                                  lands, Syriens und deren Verbündeter voran. Vor
                                                                  diesem Hintergrund stellt das Projekt die Frage,
                                                                  wie die Akteure im Accountability-Netzwerk un-
                                                                  ter den Bedingungen einer zunehmenden
                                                                  Großmächtekonfrontation dazu beitragen kön-
                                                                  nen, die Verantwortlichen für Chemiewaffenein-
                                                                  sätze in Syrien zu identifizieren und damit die
                                                                  Voraussetzungen für ihre Bestrafung zu schaf-
                                                                  fen. Neben der Frage der Gerechtigkeit für die
                                                                  Opfer solcher Einsätze würde damit auch eine
                                                                  Rückkehr zur Einhaltung des Chemiewaffen-
                                                                  übereinkommens befördert.

                                                                  Das Projekt will dieser Frage nachgehen und da-

                     14
bei zugleich helfen, Wissenslücken in drei rele-   tentielle Stärkung anderer multilateraler Re-
vanten Theoriesträngen zu reduzieren. Erstens      gime gestellt.
fokussieren Studien zur Compliance im Chemie-
waffenregime und anderen multilateralen Ab-        Das Herangehen insbesondere in Bezug auf die
rüstungs- und Nichtverbreitungsabkommen zu         Kartierung des Netzwerks soll nach einer ersten
stark auf die intergouvernementale Ebene. Der      Bestandsaufnahme mit Expert*innen und Ent-
Einfluss zivilgesellschaftlicher Akteure auf die   scheidungsträger*innen diskutiert werden. Die
Regeldurchsetzung wird meist nicht adäquat         Datenerhebung erfolgt durch die Auswertung
berücksichtigt. Neuere Studien zur Rolle von       von Sekundär- und Primärquellen, vor allem
(Global Security) Governance-Netzwerken in         aber auf der Grundlage strukturierter Interviews
multilateralen Regimen haben, zweitens, bisher     mit Entscheidungsträger*innen.
kaum untersucht, welche Folgen es hat, wenn
eine Großmacht gegen zentrale Bestimmungen         Die Projektergebnisse werden einerseits in
verstößt, Regelbrecher schützt oder die Aufklä-    Form von forschungsorientierten Outputs zur
rung von Vertragsverletzungen aktiv behindert.     Rolle von Global Security Governance-Netzwer-
Drittens haben Forschungen zum Beitrag von         ken bei der Durchsetzung multilateraler Regime
nichtstaatlichen Akteuren in der Regeldurchset-    als Fachaufsätze publiziert werden. Politikrele-
zung deren Rolle in sicherheitspolitischen Re-     vante Empfehlungen, wie etwa Antworten auf
gimen bisher kaum analysiert.                      die Frage, wie das Chemiewaffenverbotsregime
                                                   unter Bedingungen der Großmächtekonfronta-
Das Vorhaben leistet damit einen Beitrag zur Be-   tion durch das Accountability-Netzwerk ge-
antwortung der größeren Frage nach dem Bei-        stärkt werden kann, sollen in IFSH-Publikatio-
trag von Global Security Governance-Netzwer-       nen und anderen Fachzeitschriften veröffent-
ken sowohl zur Durchsetzung bereits bestehen-      licht werden.
der als auch zur Entwicklung neuer Rechtsnor-
men in multilateralen Abrüstungs- und Nicht-       Die Vernetzung des Projektteams im For-
verbreitungsregimen unter Bedingungen der          schungsfeld ermöglicht den Transfer von Emp-
Großmächtekonfrontation.                           fehlungen an die deutsche Politik in Fachge-
                                                   sprächen mit Vertreter*innen des Auswärtigen
Das Projekt wird in drei Schritten umgesetzt.      Amtes sowie durch Präsentationen in relevan-
Erstens wird erhoben, wie rechtsverbindlich        ten Beratungsgremien. Internationale Kontakte
und präzise Ermittlungsverfahren sind und wie      in Genf sowie in Den Haag bieten Gelegenheit
unabhängig Institutionen agieren können.           zum Transfer in internationale Organisationen
Zweitens werden die Verbindungen der Akteure       und Forschungszusammenhänge.
untereinander, sowie die Entwicklung ihrer Be-
ziehungen über Zeit, kartiert. Dies erlaubt eine
Beurteilung der Beziehungen relevanter Akteu-
re und Institutionen zu verschiedenen Zeit-
punkten im Untersuchungszeitraum. Im dritten
Schritt werden die politikrelevanten Fragen
nach den Folgen für das CWÜ und möglichen
Lehren aus den im Chemiewaffenbereich ent-
standenen Governance-Strukturen für eine po-

                                                                                                15
FORSCHUNGSPROJEKTE
                     Feeling The Past – Zugehörigkeitserleben, Geschichte und
                     Gegenwart in der deutschen Nach-Nachwendegeneration

                          Projektleitung
                          Prof. Dr. David Becker
                                                                E   uropaweit kommt es in den letzten Jahren
                                                                    und Jahrzehnten zu sozialen Spaltungen
                                                                und Radikalisierungen unterschiedlicher gesell-
                          Institution                           schaftlicher Gruppen. Manche sprechen in die-
                          Department für Psychologie, Sigmund   sem Zusammenhang sogar von einem „neuen
                          Freud Privatuniversität, Berlin       Bürgerkrieg“ (Guérot, 2018), der allerdings nicht
                          Fördersumme                           mehr zwischen Nationalstaaten, sondern zwi-
                          91 Tsd. Euro                          schen unterschiedlichen sozialen Gruppen
                          Projektlaufzeit                       stattfindet. In diesem Kontext feierte Deutsch-
                          Standardprojekt, 18 Monate            land im vergangenen Jahr 30 Jahre ‚deutsche
                                                                Einheit‘. Die Diagnosen über den Erfolg sind am-
                                                                bivalent: die politische und ökonomische An-
                                                                gleichung wird allgemein als positiv bewertet,
                                                                dennoch fühlen sich Menschen in den neuen
                                                                Bundesländern ‚abgehängt‘ und benachteiligt.
                                                                Auch wenn hier Vorsicht geboten ist sehr unter-
                                                                schiedliche Konfliktlagerungen nicht ‚in einen
                                                                Topf zu werfen‘, so weisen diese Auseinander-
                                                                setzungen doch eine wiederkehrende Thematik
                                                                auf: sie stellen Zugehörigkeitsgefühle und –be-
                                                                dürfnisse in den Mittelpunkt. Diese sind ein
                                                                Kernbereich individueller und sozialer Existenz,
                                                                aber im Rahmen von Konfliktanalysen wenig er-
                                                                forscht.

                                                                Dieses Forschungsprojekt will das Erleben von
                                                                Zugehörigkeit(en) gemeinsam mit jungen Er-
                                                                wachsenen in Deutschland untersuchen. Wir
                                                                nehmen an, dass Zugehörigkeit(en) nicht nur
                                                                durch gegenwärtige Konflikte geprägt sind. Zu-
                                                                gehörigkeitserleben und -bedürfnisse hängen
                                                                ebenso damit zusammen, was in der Vergan-
                                                                genheit geschehen ist, d.h. in unserem Fall mit
                                                                einer ungenügenden bzw. noch stattfindenden
                                                                Aufarbeitung der deutschen Nachkriegszeit, der
                                                                ehemaligen DDR und ihren inneren Widersprü-
                                                                chen und Transformationsprozessen ab 1989.
                                                                Wir fokussieren dabei auf eine Alterskohorte die
                                                                noch jünger ist als die sog. Nachwendegenerati-
                                                                on die zwischen 1989 und 1990 geboren ist. Wir
                                                                fassen unsere Untersuchungsgruppe als ‚Nach-
                                                                Nachwendegeneration‘. Diese sind zwischen
                                                                1998 und 2005 geboren und haben das geteilte
                                                                Deutschland, die DDR und die ersten zehn Jahre

                     16
der Transformationsprozesse von 1990 bis 2000      Wir richten bewusst den Blick auf aktuelle Kon-
nicht miterlebt.                                   fliktdynamiken in einem westlichen und hoch-
                                                   industrialisierten Land in Europa und werden
Daraus ergeben sich folgende Forschungsfra-        bestehende Forschungen und Theorieansätze
gen: Welche Zugehörigkeitserfahrungen ma-          aus der Friedens- und Konfliktforschung auf die-
chen Angehörige der Nach-Nachwendegenera-          se Region anwenden. Diese Untersuchung soll
tion und wie hängen diese mit den Lebenser-        zeigen wie aktuell Zugehörigkeiten vor dem
fahrungen der Eltern- und Großeltern-Generati-     Hintergrund historischer Umbruchs- und Trans-
on zusammen? Welches Verständnis haben An-         formationsprozesse in Deutschland erlebt wer-
gehörige der Nach-Nachwendegeneration von          den. Auf einer praktischen Ebene erwarten wir
familiären und gesellschaftlichen Konflikten       uns gemeinsam mit unseren Forschungspart-
und Brüchen (sowohl positiv als auch negativ)      ner*innen mögliche Potentiale von Konflikt-
im Rahmen der deutschen Teilung und der            transformation in Deutschland auszuloten und
nachfolgenden Transformationsprozesse? Wel-        umzusetzen. Unser Ziel ist es Ansätze für eine
che emotionale Beschaffenheit haben Zugehö-        nachhaltige Konflikttransformation herauszuar-
rigkeitserfahrungen und wie sind diese ver-        beiten, die bei jungen Menschen und ihrem Er-
knüpft mit historischen und gegenwärtigen An-      leben von Zugehörigkeit ansetzt und ihren Blick
erkennungs- und Missachtungsverhältnissen?         auf die Zukunft Europas ernst nimmt.
Welche Transformations- und Gestaltungsper-
spektiven ergeben sich für die Nach-Nachwen-
dekinder aus der Auseinandersetzung mit der
eigenen (persönlichen und gesellschaftlichen)
Geschichte?

Unser Forschungsdesign besteht aus zwei
Strängen: erstens aus einem offenen qualitati-
ven Zugang, biografisch geprägte soziale Zuge-
hörigkeiten und den damit verknüpften Ge-
fühlslagen Rechnung zu tragen; und zweitens
aus Ansätzen, die die aktive Mitgestaltung und
Kritik der Jugendlichen am Forschungsprozess
vorsieht, sprich einen partizipativen und trans-
formativen Ansatz verfolgt. Unser Sample be-
steht aus zwei Gruppen von Berufsschüler*in-
nen aus zwei unterschiedlichen Berufsschulen
in Berlin/Brandenburg. Jene Gruppe ist in öf-
fentlichen wie auch wissenschaftlichen Debat-
ten über die Entwicklungen in Deutschland ten-
denziell unterrepräsentiert. Dennoch entschei-
det sich jeder dritte Jugendliche in Deutschland
für eine Berufsschule. Es sind junge Menschen,
die sich Gedanken über ihre Zukunft machen
und einen Platz in der deutschen und europäi-
schen Gesellschaft suchen.

                                                                                                17
FORSCHUNGSPROJEKTE
                                                         Versöhnung in Kontexten chronischer Gewalt: Gemeinsa-
                                                         me Standpunkte und kontroverse Themen in Kolumbien
                                                                                                              chen gewaltförmigen Konflikte hinaus sichtbar.
                                                              Projektleitung                                  Soziale Ungleichheit und Ausgrenzung prägen
                                                              Prof. Dr. Anika Oettler                         weiterhin das Leben in Postkonflikt-Gesellschaf-
                                                              Institution                                     ten und auch ein erneuter Anstieg direkter Ge-
                                                              Institut für Soziologie, Philipps-Universität   walt ist möglich. Kurzum: Gewalt kann chro-
                                                              Marburg                                         nisch werden und auf verschiedenste Arten ge-
                                                              Fördersumme                                     sellschaftliche Räume durchziehen.
                                                              109 Tsd. Euro
                                                              Projektlaufzeit                                 Ein emblematisches Beispiel für das Verschwim-
                                                              Standardprojekt, 15 Monate                      men von Grenzen zwischen Konflikt und Frie-
                                                                                                              den ist Kolumbien. Mit dem international viel-
                                                                                                              beachteten Friedensvertrag zwischen der ko-

                                                         V     ersöhnung ist ein Kernkonzept der Frie-
                                                               densförderung und fest im Repertoire der
                                                         Diskurse um Postkonflikt-Situationen verankert.
                                                                                                              lumbianischen Regierung und der Guerrilla
                                                                                                              FARC-EP im November 2016 nährte sich die
                                                                                                              Hoffnung, den über fünfzigjährigen bewaffne-
                                                         Sie hat insbesondere in der Praxis der Transitio-    ten Konflikt in Kolumbien friedlich und nachhal-
                                                         nal Justice hat Versöhnung eine große Bedeu-         tig zu lösen. Jedoch stockt die Umsetzung des
                                                         tung – als konkrete Maßnahme, Interaktion,           Friedensabkommens und diverse bewaffnete
                                                         langjähriger gesamtgesellschaftlicher Prozess        Akteure sind weiterhin aktiv. Gewalt gegen
                                                         oder als oft fern anmutendes Ziel. Zu dieser Be-     Menschenrechtsverteidiger*innen hat stark zu-
                                                         deutungsvielfalt kommt im 21. Jahrhundert ei-        genommen und lähmt zivilgesellschaftliches
                                                         ne weitere Herausforderung hinzu: unscharfe          Engagement. Hinzu kommt, dass Konfliktursa-
                                                         und verschwimmende Grenzen zwischen Kon-             chen wie die extreme soziale Ungleichheit nicht
                                                         flikt und Frieden. Die Beendigung bewaffneter        oder nur unzureichend adressiert werden. Viel-
                                                         Auseinandersetzungen und autoritärer Phasen          fältige, sich überlappende Formen von Aus-
                                                         bedeutet nicht zwangsläufig das Ende von Ge-         grenzung und Diskriminierung prägen weiter-
                                                         walt. Verschiedene Gewaltformen und soziale          hin die Lebensrealität vieler Menschen, insbe-
                                                         Differenzen werden auch über die ursprüngli-         sondere in indigenen, bäuerlichen und afro-ko-
                     FOTO: LISA BOGERTS, OKTOBER 2016.

                                                     Kontroverse Street Art in Bogotá. Künstler: Crisp.

                                                         18
lumbianischen Gemeinden. Gewalt-

                                                                                                    FOTO: ANIKA OETTLER, BOGOTÁ, MÄRZ 2016.
tätige Konflikte bleiben trotz des Frie-
densprozesses allgegenwärtig.

Am Fallbeispiel Kolumbien möchte
das Forschungsprojekt die Bedeu-
tung von Versöhnung in Kontexten
chronischer Gewalt ergründen. Auch
in Kolumbien bleibt Versöhnung eine
zentrale Referenz im Friedensdiskurs.
Aber was genau meint Versöhnung
eigentlich? Welche unterschiedlichen
Perspektiven und Verständnisse ha-
ben Menschen und warum? Und was Facetten von Versöhnung.
kann unter Versöhnung verstanden
werden, wenn Gewalt nicht verschwindet, son- dem Teilnehmer*innen gebeten werden, Aussa-
dern chronisch ist? Von diesen Fragen ausge- gen zu einem Thema entlang einer Skala (z.B.
hend, verfolgt das Forschungsprojekt ein dreifa- von „stimme überhaupt nicht zu“ bis „Stimme
ches Ziel. Erstens wird erhoben, inwiefern sich absolut zu“) zu sortieren. Insgesamt können so
das Versöhnungsverständnis von Menschen Typen von subjektiven Einstellungen abgelesen
über ein breites Spektrum von Perspektiven werden, die in anschließenden Interviews noch-
und Ebenen erstreckt und auf welche Praktiken, mals vertieft werden. Das Projekt möchte die
Einstellungen und Ziele Bezug genommen wird. Methode für den kolumbianischen Fall nutzbar
Zweitens wird untersucht, wie die Bedeutung machen und somit einen sowohl inhaltlichen
von Versöhnung je nach lokalen politischen und wie auch methodischen Beitrag zur Versöh-
sozialen Kontexten variiert und welche Verbin- nungs- und Friedensforschung leisten. Das Pro-
dungen zu Dimensionen chronischer Gewalt jekt ist als Online-Forschung konzipiert und
hergestellten werden. Drittens wird systema- wird dadurch mit Blick auf die digitale Umset-
tisch erarbeitet, wie sich das Versöhnungsver- zung von Forschung neue Wege gehen.
ständnis von Menschen je nach individuellen
sozialen Hintergründen und Positionierungen – Mit dem Fokus auf Versöhnung in Kontexten
wie Bildungsstand, Einkommen, ethnischer Zu- chronischer Gewalt und der Anwendung einer
gehörigkeit, Geschlecht, sexueller Orientierung, in der Friedens- und Konfliktforschung noch
Alter und Gewalterfahrungen – unterscheidet.     wenig etablierten Methode möchte das For-
                                                 schungsprojekt systematische Erkenntnisse ge-
Die Forschungsfrage übersetzt sich in ein quali- nerieren und einen Beitrag zu einem über Ko-
tatives Forschungsdesign, das auf innovative lumbien hinaus hoch relevanten gesellschaftli-
Weise eine q-methodologische Herangehens- chen Thema leisten. Da weltweit viele Gesell-
weise mit halbstrukturierten Interviews verbin- schaften mit disruptivem und gewaltförmigem
det. Die Q-Methode führt Elemente der quanti- sozialen Wandel konfrontiert sind, ist ein nuan-
tativen und qualitativen Sozialforschung zu- cierteres Verständnis von Versöhnung in Ge-
sammen und dient zur Erfassung und Rekon- waltkontexten notwendig für die Weiterent-
struktion subjektiver Deutungsmuster. Sie eig- wicklung von Instrumenten der Friedensförde-
net sich besonders zur systematischen Erschlie- rung und Transitional Justice. Kurz: Es gilt mehr
ßung von Verständnissen, die über rein indivi- darüber zu erfahren, was Versöhnung für wen
duelle Auffassungen hinausgehen. Dabei han- bedeutet, ob und wie sie relevant sein kann und
delt es sich um ein Rangordnungsverfahren, bei was dafür zu tun ist.

                                                                                              19
FORSCHUNGSPROJEKTE
                     Wissen und Peacebuilding. Die epistemische Praxis
                     des Deutschen Bundestages im Kontext von
                     Entscheidungen über Friedens- und Stabilisierungs-
                     einsätze in Mali (2013 -2019)
                                                                         ren durchaus lebendig diskutieren, ist bisher in
                          Projektleitung                                 der Friedens- und Konfliktforschung bis auf we-
                          Dr. Werner Distler                             nige Ausnahmen kaum untersucht worden, wie
                          Institution                                    Wissen Entscheidungsprozesse in deutschen In-
                          Zentrum für Konfliktforschung,                 stitutionen im Kontext von Peacebuilding prägt.
                          Philipps-Universität Marburg                   Der Fall Mali hat zwar in der internationalen Li-
                          Fördersumme                                    teratur einige Aufmerksamkeit erhalten, in der
                          24 Tsd. Euro                                   deutschen Forschung jedoch fehlt es noch im-
                          Projektlaufzeit                                mer an einer breiten Debatte, akademisch wie
                          Pilotstudie, 7 Monate                          öffentlich, gerade im Vergleich zu den umfang-
                                                                         reichen Missionen der Vergangenheit wie im
                                                                         Kosovo oder Afghanistan.

                     D     eutschland ist seit den 1990er Jahre ein
                           wichtiger Akteur in internationalen Frie-
                     dens- und Stabilisierungseinsätzen und die Teil-
                                                                         Vor diesem Hintergrund untersucht die Pilotstu-
                                                                         die am Zentrum für Konfliktforschung, bearbei-
                     nahme an Operationen in Mali seit 2013 ist ak-      tet von Dr. Werner Distler und Miriam Tekath,
                     tuell eine der größten und langfristigsten Mis-     MA., den Zusammenhang von Wissen und
                     sionen der Bundeswehr. Die internationalen          Peacebuilding im Kontext von Entscheidungen
                     Einsätze in Mali, mit ihrem Fokus auf Sicherheit,   des Deutschen Bundestags zur Teilnahme der
                     Militär und Aufstandsbekämpfung in der Litera-      Bundeswehr an den Friedens- und Stabilisie-
                     tur durchaus kritisch bewertet, verändern nicht     rungseinsätzen MINUSMA (Mission multidimen-
                     nur die gesellschaftlichen und politischen Reali-   sionelle integrée des Nations Unies pour la Sta-
                     täten vor Ort, sie prägen auch seit fast einem      bilisation au Mali) und EUTM (European Union
                     Jahrzehnt die deutsche Sicherheits- und Außen-      Training Mission) in Mali. Die Parlamentarier*in-
                     politik und die Bundeswehr. Die abschließende       nen verlängern seit 2013 regelmäßig mit großer
                     Entscheidung zur Teilnahme an Einsätzen der         Mehrheit die umfangreichen deutschen Beteili-
                     Bundeswehr fällt in Deutschland dem Bundes-         gungen an der Stabilisierung des malischen
                     tag zu.                                             Staates - und damit auch die Beteiligung an der
                                                                         durchaus umstrittenen Aufstandsbekämpfung
                     Die wissenschaftliche und öffentliche Debatte       und Counterinsurgency-Praxis in Mali. Die Ent-
                     haben in diesem Zusammenhang wiederholt             scheidungen im Bundestag beruhen auf spe-
                     darauf hingewiesen, dass Wissen über interna-       ziellem, in Institutionen (beispielsweise Ministe-
                     tionale Missionen und betroffene Gesellschaf-       rien) generierten Wissen über die Lage in Mali
                     ten schwer zu erlangen ist, bzw. in deutschen In-   und die Notwendigkeiten und Ziele der Opera-
                     stitutionen nur bestimmtes Wissen über Ein-         tionen. Hier setzt das Projekt an: Woher kommt
                     satzgebiete transportiert wird. Systematische       dieses Wissen über Mali, was beinhaltet es, wie
                     und tiefgehende Untersuchungen des Zusam-           wird es in den Routinen parlamentarischer Ar-
                     menhangs von Wissen und Peacebuilding feh-          beit vermittelt?
                     len jedoch noch: Während vor allem politikwis-
                     senschaftliche Studien die Gestaltungs- und         Das Projekt will mit der Untersuchung der Prak-
                     Kontrollmöglichkeiten des Bundestages bezüg-        tiken der Wissensgenese zeigen, welches Wis-
                     lich Militäreinsätze seit den späten 1990er Jah-    sen über Mali dominiert, bzw. als relevant aus-

                     20
gewählt und im demokratischen Entschei-             und externe Expert*innen zu Mali, die deutsche
dungsprozess zur Verfügung gestellt wird – und      Institutionen beraten oder in Ausschüsse einge-
welches Wissen über die Zeit hinweg verschwin-      laden wurden. Alle Texte werden mit Hilfe einer
det oder keinen Raum erhält. Die Analyse wird       Software-gestützten Qualitativen Inhaltsanaly-
angeleitet von neueren theoretischen Konzep-        se (MAXQDA) ausgewertet.
ten über Wissensobjekte und epistemische Pra-
xis. Das Wissensobjekt (hier: Mali) wird verstan-   Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Pilotstu-
den als Fokuspunkt („Problem“) für politisches      die werden einerseits in einer internationalen,
Handeln. Die epistemische Praxis zur Konstituti-    peer-reviewed Fachzeitschrift als Artikel, ande-
on dieses Objekts wird definiert als Konfigurati-   rerseits in einem Policy-Paper veröffentlicht.
on von sprachlichen und körperlichen Aktivitä-
ten, Routinen und Techniken.

Der Datenkorpus besteht hauptsächlich aus 1)
Bundestagsdokumenten seit 2013 (Anträge der
Bundesregierung, Beschlussempfehlungen der
Ausschüsse, Plenumsprotokolle, Anfragen/Ant-
worten; ggf. Dokumente des deutsch-französi-
schen Parlamentsaustauschs) und 2) Transkrip-
ten von Leitfaden-gestützten Expert*innen-In-
terviews. Interviewt werden ausgewählte Abge-
ordnete des Bundestages von verschiedenen
Parteien bzw. Regierung und Opposition, Mitar-
beiter*innen des Wissenschaftlichen Dienstes

                                                                                                 21
FORSCHUNGSPROJEKTE
                     Einstellungen zu Waffenhandel in Deutschland und
                     Frankreich - A Conjoint Experiment on the Comparative
                     Legitimacy of Arms Exports in Germany and France
                                                                          der NATO oder einer kürzlich vorgeschlagenen
                          Projektleitung                                  europäischen Verteidigungspolitik einschließ-
                          Prof. Dr. Paul W. Thurner &                     lich entsprechender Forschungs- und Entwick-
                          Dr. Lukas Rudolph                               lungsinitiativen wie der Permanent Structured
                          Institution                                     Cooperation (PESCO) zu untersuchen. Demokra-
                          Geschwister-Scholl-Institut für Politikwis-     tische Regierungen sind ihren Wählerinnen und
                          senschaft, Ludwig-Maximilians-Universität       Wählern Rechenschaft schuldig und können
                          München                                         langfristig kaum gegen die Präferenzen der Be-
                          Fördersumme                                     völkerung handeln. Unser Projekt testet, inwie-
                          24 Tsd. Euro                                    fern der politische Handlungsspielraum im Be-
                          Projektlaufzeit                                 reich Waffenexporte durch die Präferenzen der
                          Pilotstudie, 12 Monate                          Bevölkerung beschränkt ist. Wenn etwa Ent-
                                                                          scheidungen über Waffentransfers in Länder
                                                                          wie Saudi-Arabien oder an nichtstaatliche Grup-

                     W      affenexporte sind immer wieder heftig
                            umstritten. Gerade zivilgesellschaftliche
                     Gruppen und Parteien des linken politischen
                                                                          pen wie die kurdischen Peschmerga aufgrund
                                                                          spezifischer Einstellungen in der deutschen Be-
                                                                          völkerung nicht von der Bundesregierung un-
                     Spektrums kritisieren mögliche Implikationen         terstützt werden können, hat dies Konsequen-
                     solcher Transfers: die Verschärfung bewaffneter      zen für die Gestaltung kooperativer Verteidi-
                     Konflikte, Menschenrechtsverletzungen oder           gungs- und Sicherheitsregime. Im Falle Frank-
                     die Stabilisierung autokratischer Regime. Es ist     reichs und Deutschlands haben unterschiedli-
                     jedoch offen, wie sich diese Argumente konkret       che Auffassungen zu Grundsätzen der Ausfuhr
                     in der Einstellung der Bürgerinnen und Bürger        gemeinsam entwickelter Waffen etwa zu offe-
                     zu Waffenexporten widerspiegeln und ob sich          nen Streitigkeiten geführt, die erst mit einem
                     Bevölkerungseinstellungen zwischen Ländern           deutsch-französischen Abkommen über Export-
                     systematisch unterscheiden. In einigen westli-       kontrollen im Oktober 2019 beigelegt werden
                     chen Demokratien mit einer zentralen Rolle im        konnten.
                     internationalen Waffentransfersystem, wie den
                     USA, Großbritannien und Frankreich, scheint die      Unser Pilotprojekt leistet, aufbauend auf einem
                     öffentliche Debatte um Waffenexporte weniger         innovativen methodischen Ansatz, einen ersten
                     kontrovers geführt wie etwa in Deutschland.          Beitrag zu diesen wesentlichen Fragen. Wir stüt-
                                                                          zen uns vornehmlich auf Umfrageexperimente
                     Ziel dieses Projektes ist es, diese anekdotischen    mit einem repräsentativen Querschnitt der Be-
                     Behauptungen auf Basis solider empirischer           völkerung zweier ausgewählter Länder –
                     Methodik zu überprüfen, und damit empirische         Deutschland und Frankreich. Beide Länder ge-
                     Evidenz zu liefern, die derzeit sowohl in der wis-   hören zur Top-5-Gruppe der Exporteure von
                     senschaftlichen und öffentlichen Debatte fehlt.      Großwaffen (SIPRI Waffentransferstatistik 2019).
                     Hierzu nehmen wir einen länderübergreifenden         In Frankreich sind Exporte dabei eher selten ein
                     Vergleich der Präferenzbildung von Wähler*in-        Thema der politischen Debatte, in Deutschland
                     nen zu Waffenexporten vor. Dies erlaubt es uns,      dagegen regelmäßig. Mittels sog. Conjoint-Ex-
                     aus der Perspektive der Öffentlichkeit die An-       perimenten konfrontieren wir die Befragten
                     nahme einer deutschen Spezifität, aber auch          mehrfach mit hypothetischen Entscheidungs-
                     der internen Verlässlichkeit von Bündnissen wie      szenarien. Diese imitieren konkrete Politikent-

                     22
Eigene Darstellung | Deskriptive Einstellung der deutschen und französischen Befragten zur Le-
gitimität von Waffenexporten anhand von 4 Items (7-stufige Likert-SkalenN = 3367 (F), 3250 (D)).

scheidungen und unterscheiden sich in mehre-        litischen Aspekten bei der Beurteilung der Legi-
ren Dimensionen (Attributen). Die Befragten be-     timität von Waffenexporten. Wir bestimmen die
werten diese Szenarien dann vergleichend. In-       Wertabwägungen zwischen den wahrgenom-
nerhalb der Szenarien werden die Attributaus-       menen Auswirkungen von Waffenexporten auf
prägungen, d.h. die konkrete Beschreibung der       die wirtschaftliche Wohlfahrt (z.B. Arbeitsplätze)
Situation, zufällig zugewiesen. Dies ermöglicht     und normativen Überlegungen (z.B. Konfliktrisi-
es uns zu bestimmen, wie sich Auswahlmerk-          ko, Menschenrechtsverletzungen). Wir erwar-
male kausal auf die Bewertung eines Politikpa-      ten, dass erstgenannte Aspekte die Akzeptanz
kets auswirken. Insgesamt bestimmen wir so,         von Waffenexporten erhöhen, letztgenannte
welche Aspekte von Waffenexporten Zustim-           verringern. Im Vergleich zwischen der deut-
mung oder Ablehnung substanziell beeinflus-         schen und französischen Bevölkerung sollte,
sen, sowie insgesamt ein Politikpaket (nicht)       aufgrund unterschiedlicher politischer Ge-
mehrheitsfähig machen. Wir können so den po-        schichte und Kultur die Relevanz normativer Be-
litischen Handlungsspielraum im Bereich Waf-        denken gegen Waffenexporte geringer ausge-
fenexporte aus Sicht der Öffentlichkeit aufzei-     prägt sein.
gen. Unser Projekt konzentriert sich erstmals auf
die vergleichende Relevanz von moralisch-           Darüber hinaus erheben wir eine Reihe von de-
rechtlichen, wirtschaftlichen und sicherheitspo-    skriptiven Einstellungen zu Waffenhandel, Krieg

                                                                                                   23
FORSCHUNGSPROJEKTE

                     und Frieden. Erste Ergebnisse sind in den Abbil-
                     dungen zu sehen. Diese deuten auf eine zwar
                     grundlegend ähnliche, aber doch substanziell
                     kritischere Einstellung der Bevölkerung in
                     Deutschland zu Waffenexporten hin, sind je-
                     doch noch nicht kausal interpretierbar.

                     Die Erhebung von N = 6617 Befragten in Frank-
                     reich und Deutschland erfolgte im November
                     und Dezember 2020. Die Daten wurden über
                     das Online-Access-Panel der Firma Kantar erho-
                     ben und sind bezüglich Quoten auf Alter, Ge-
                     schlecht, Bildung sowie Regionbevölkerungs re-
                     präsentativ. Mit ersten Ergebnissen rechnen wir
                     Mitte 2021.

                     24
25
FORSCHUNGSPROJEKTE
                                              Staaten und die Aufgabenverteilung zwischen
                                              internationalen Organisationen:
                                              Die Multi-Akteurs-Friedensoperation in Mali
                                                                                                 auf diesen Operationstyp ein, obwohl er wegen
                                                   Projektleitung                                der hohen organisatorischen Komplexität sowie
                                                   Dr. Martin Welz                               der völkerrechtlich nicht abschließend geklär-
                                                   Institution                                   ten Aufgabenverteilung zwischen den Akteuren
                                                   Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissen-   ein prädestinierter Untersuchungsgegenstand
                                                   schaften, Universität Hamburg                 ist. In Afrika haben beispielsweise in jedem Land
                                                   Fördersumme                                   die Vereinten Nationen, die Afrikanische Union
                                                   150 Tsd. Euro                                 und mindestens eine regionale Wirtschaftsge-
                                                   Projektlaufzeit                               meinschaft wie die Southern African Develop-
                                                   Post-Doc Projekt, 17 Monate                   ment Community im südlichen Afrika oder die
                                                                                                 Intergovernmental Authority on Development
                                                                                                 am Horn von Afrika ein Mandat, im Konfliktfall

                                             M      ulti-Akteurs-Friedensoperationen, also
                                                    militärische oder zivile Operationen bei
                                             denen mindestens zwei internationale Organi-
                                                                                                 zu intervenieren. Allein dieser Umstand kann
                                                                                                 das Zusammenwirken zwischen den Organisa-
                                                                                                 tionen erschweren und im Extremfall sogar ein
                                             sationen oder Staaten im Feld zusammenarbei-        Sicherheitsvakuum hervorrufen, durch das der
                                             ten, sind seit dem Ende des Kalten Krieges zum      lokale Konflikt, der adressiert werden soll, sich
                                             Standardmodell im Bereich der Friedensschaf-        noch verschärfen kann. Dieses Problem ver-
                                             fung und -sicherung geworden. Trotz dieser          stärkt sich durch die Möglichkeit, dass mitunter
                                             Prominenz geht die Forschung bislang wenig          auch Einzelstaaten militärisch oder zivil eingrei-
                     © BUNDESWEHR/SUSANNE HÄHNEL

                                             MedEvac-Übung in Mali - Ein Rettungsteam versorgt einen Verwundeten in der Nähe von
                                             Gao/Mali bei einer Übung zur taktischen Verwundetenversorgung, das Retten und Evakuieren
                                             von verwundeten Soldaten, im Rahmen der Mission MINUSMA, am 02.11.2017.

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