Diagnose Mittelstand 2012 Deutscher Mittelstand - stabil auch in schwierigen Zeiten - S Finanzgruppe

Die Seite wird erstellt Johannes Bartsch
 
WEITER LESEN
S F
                inanzgruppe
                Deutscher ­Sparkassen- und Giroverband

                 Diagnose Mittelstand 2012
                 Deutscher Mittelstand –
www.dsgv.de      stabil auch in schwierigen Zeiten
Diagnose Mittelstand 2012 Inhalt

                                                                              1 Das Wichtigste auf einen Blick
                                                                             		 Diagnose Mittelstand 2012: Die Trends                          04

                                                                               2   Im Fokus
                                                                             		    Der Mittelstand: Ein Fels in der Brandung                   12
                                                                             2.1   Das Auf und Ab der vergangenen zehn Jahre                   13
                                                                             2.2   Über alle Zyklen hinweg aufgebaute Stärken                  21
                                                                             2.3   Vornehmlich externe Belastungsfaktoren                      27

                                                                               3   Die Grundlagen
                                                                             		    Quellen und Methoden                                        34
                                                                             3.1   Kennziffern im Überblick                                    36
                                                                             3.2   Berechnungsverfahren                                        38

                                                                               4   Die Bilanzdatenanalyse
Drei von vier Unternehmen in Deutschland vertrauen der Sparkassen-           		    Übersichtlich informiert: Der Mittelstand in Zahlen         42
Finanzgruppe als Kunden. Die Beratung und Finanzierung der mittelstän-       4.1   Eigenkapitalausstattung                                     42
dischen Wirtschaft hierzulande gehört zum Kern der Geschäftspolitik der      4.2   Umsatzrentabilität                                          46
Sparkassen und Landesbanken. Für dieses Ziel setzen sie ihre Stärken ein –   4.3   Gesamtkapitalverzinsung                                     50
die genaue Kenntnis ihrer Kunden und deren persönlicher Situation ebenso     4.4   Personalaufwandsquote                                       53
wie die flächendeckende Präsenz in allen Regionen Deutschlands.                5   Die Expertenbefragung
                                                                             		    Ausblick 2012: Die Prognose der Sparkassen                  58
Mit der Diagnose Mittelstand 2012 legt der Deutsche ­Sparkassen- und         5.1   Bislang keine Eintrübung der Geschäftslage                  59
Giroverband zum elften Mal repräsentatives Datenmaterial zur Situation       5.2   Fortsetzung des Eigenkapitalaufbaus                         60
und Zukunft der mittelständischen Unternehmen in Deutschland vor.            5.3   Investitionsfinanzierungen nochmals etwas ausgeweitet       62
                                                                             5.4   Erweiterungsmotiv gewinnt an Bedeutung                      65
                                                                             5.5   Verlangsamt fortgesetzter Beschäftigungszuwachs             68
                                                                             5.6   Mittelstand kaum von Finanzmarktturbulenzen berührt         70
                                                                             5.7   Betroffene Unternehmen verändern vor allem Investitionen,
                                                                             		    Beschäftigung und Liquiditätshaltung                        72
                                                                             5.8   Fazit                                                       75

                                                                             1
Wachstum
    1 Das Wichtigste auf einen Blick
      Diagnose Mittelstand 2012: Die Trends   04
Diagnose Mittelstand 2012 1 Das Wichtigste auf einen Blick   Diagnose Mittelstand 2012 1 Das Wichtigste auf einen Blick

Diagnose Mittelstand 2012:
Die Trends

Die Diagnose Mittelstand ist eine im Jahresturnus durch-     konjunkturelle Auf und Ab der vergangenen zehn Jahre
geführte Analyse des bedeutendsten Teils der deutschen       nachvollzogen. Dabei zeigt sich, wie schwierig das
Wirtschaft, des sogenannten Mittelstands. Sie stützt sich    Umfeld streckenweise für den Mittelstand war. Aller-
inhaltlich auf zwei Säulen:                                  dings konnte er auch von der in diesem Zeitraum deut-
                                                             lich verbesserten Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
– 	zum einen die Bilanzdatenanalyse, welche die umfang-     Volkswirtschaft profitieren, bewährte sich sogar als
    reiche Sammlung von Bilanzen der Sparkassen-Firmen­      maßgeblicher Teil dieser Entwicklung. Der Mittelstand
    kunden auswertet,                                        war kein Schwungrad, das Rezessionen vertieft und die
– 	zum anderen eine Expertenbefragung, die die Einschät-    Krise der letzten Jahre verschärft hat, sondern ein das
    zung der Kundenbetreuer der Sparkassen zur aktuel-       Land stabilisierender Faktor – gerade auch in schwieri-
    len Geschäftslage mittelständischer Unternehmen          gen Zeiten.
    untersucht.
                                                             Beschäftigungs- und Ertragslage haben sich in den ver-
In die Bilanzdatenanalyse sind in den Jahrgängen bis ein-    gangenen Jahren erheblich verbessert. Die tiefe Rezes-
schließlich 2009 jeweils bis zu 230 000 Jahresabschlüsse     sion im Winter 2008/09 hat zwar Spuren in einigen
von Firmenkunden der Sparkassen und Landesbanken             Kennziffern hinterlassen. Insgesamt ist aber erstaun-
eingeflossen. Für das Geschäftsjahr 2010 liegen bereits      lich, wie robust und stabil die Entwicklung geblieben ist.
rund 112 000 Bilanzen vor, auf deren Basis eine Trend-
rechnung für die wichtigsten betriebswirtschaftlichen        Die Eigenkapitalquote hat sich in dem betrachteten Zeit-
Kennzahlen des Mittelstands im aktuellsten Abschluss-        raum stetig nach oben entwickelt. Im Median des gesam-
jahr vorgenommen wurde.                                      ten Mittelstands hat sie sich von 12,8 Prozent im Jahr
                                                             2008 über 15,1 Prozent 2009 auf nunmehr 18,3 Prozent in
Im diesjährigen Schwerpunktkapitel („Im Fokus“) wer-         der Trendrechnung des Bilanzjahrgangs 2010 erhöht.
den die Trends beim Mittelstand in die langfristige Ent-     Diese ansteigende Entwicklung gilt für Unternehmen
wicklung eingeordnet, der Strukturwandel und das             aller Größenklassen und Segmente – in Industrie, Hand-
                                                             werk, Handel und Bau. Die Quoten sind im Mittelstand

4                                                            5
Diagnose Mittelstand 2012 1 Das Wichtigste auf einen Blick   Diagnose Mittelstand 2012 1 Das Wichtigste auf einen Blick

zwar niedriger als bei Großunternehmen, die ebenfalls        für Fremdkapital bezahlten Zinsen, sodass sich Niedrig-
Verbesserungen erzielt haben. Der Anstieg geht im Mit-       zinsen hier in immer stärkerem Maße niederschlagen.
telstand allerdings schneller vonstatten.                    Auch auf Basis der jüngsten Gesamtkapitalverzinsung
                                                             besteht ein hinreichender, die Risiken und Anstrengun-
Die Umsatzrentabilität muss vor dem Hintergrund einiger      gen unternehmerischer Tätigkeit abdeckender Abstand
Sonderentwicklungen bewertet werden. Die Rendite             zu den Zinssätzen risikoloser Anlageformen wie z. B.
stellt sich im Median für das Rezessionsjahr 2009 mit        deutsche Staatsanleihen.
6,8 Prozent besser dar, als noch vor Jahresfrist auf Basis
der damaligen Trendrechnung berechnet. Dafür                 Die Personalaufwandsquote ist mit zuletzt 19,1 Prozent
erscheint der neue Trendwert für 2010 mit 6 Prozent          fast unverändert geblieben. Hier schlagen sich zwei
schwächer. Andere Kennziffern – etwa die absolute Höhe       gegenläufige Trends nieder: die in der Konjunkturerho-
der gemeldeten Gewinne – legen aber nahe, dass sich die      lung und dank der Rückkehr zu höheren/regulären
Ertragslage im Zuge der Erholung gleichfalls gebessert       Arbeitszeiten stark gestiegene Pro-Kopf-Produktivität
hat. Das gilt bei der Umsatzrendite auch für die Entwick-    einerseits, eine wieder etwas dynamischere Lohnent-
lung in den einzelnen Größenklassen, jedoch nicht ein-       wicklung andererseits.
deutig für den Median des gesamten Mittelstands. Wie
auch immer diese kurzfristigen Schwankungen zu inter-        Um trotz des unvermeidlichen Zeitverzugs bei Bilanz-
pretieren sein mögen: Mit den in den vergangenen Jah-        vorlage und -auswertung ein möglichst aktuelles Bild
ren gemeldeten Werten bewegt sich die Ertragslage            von der Lage des Mittelstands zeichnen zu können, wird
zweifellos auf einem sehr hohen Niveau.                      die Bilanzanalyse der Diagnose Mittelstand traditionell
                                                             um eine Expertenbefragung ergänzt. Mit ihr gelingt es,
Die Gesamtkapitalverzinsung beeindruckt ebenfalls,           die jüngsten Entwicklungen abzubilden.
obgleich sie in der Trendrechnung 2010 einen leichten
Rückgang auf 11,2 Prozent zu verzeichnen hat. Dies lässt     Im November 2011 wurden alle Sparkassen gebeten, sie-
sich mit dem anhaltend niedrigen Zinsniveau aber leicht      ben Fragen zu fünf Themenkomplexen zu beantworten,
erklären. Die Gesamtkapitalverzinsung beinhaltet die

6                                                            7
Diagnose Mittelstand 2012 1 Das Wichtigste auf einen Blick   Diagnose Mittelstand 2012 1 Das Wichtigste auf einen Blick

wobei gezielt die Verantwortlichen des Firmenkunden-         Ähnlich positive Erwartungen sind bei den Beschäfti-
geschäfts angesprochen wurden. Die Rücklaufquote             gungsaussichten in den Regionen zu verzeichnen. Fast
erreichte – ähnlich wie in den Vorjahren – mit 81 Prozent    27 Prozent der antwortenden Sparkassen erwarten 2012
wieder ausgesprochen hohe Werte. Damit ist eine annä-        einen weiteren Beschäftigungsaufbau bei ihren mittel-
hernd flächendeckende, repräsentative Lagebestim-            ständischen Kunden. Die nicht einmal 5 Prozent der
mung des deutschen Mittelstands per Ende 2011 möglich.       Sparkassen, die sich auf Beschäftigungsverluste in ihrer
Die Ergebnisse sind detailliert genug, um sie nach Bun-      Region einrichten, sind deutlich in der Minderheit.
desländern zu untergliedern.
                                                             In der Sonderfrage der diesjährigen Expertenbefragung
Trotz der eingetrübten Konjunkturaussichten und der          wurde erhoben, bei welchem Anteil der Kundenunter-
großen Verunsicherung im Zuge der Staatsschulden-            nehmen eine markante Änderung zu vorsichtigerem Ver-
krise zeichnen die Firmenkunden-Experten der Sparkas-        halten als Reaktion auf die Finanzmarktturbulenzen und
sen ein weiterhin robustes Bild des Mittelstands. Mehr       die Staatsschuldenkrise auszumachen ist. 70 Prozent der
als 50 Prozent der Befragten halten die Lage ihrer Kun-      Sparkassen erkennen dies nur bei weniger als jedem fünf-
denunternehmen für besser als im Vorjahr, während fast       ten Kunden. 45 Prozent der Institute meinen sogar, dass
alle Institute der anderen Hälfte keine Veränderung          nicht einmal jedes zehnte Unternehmen betroffen ist.
erkennen. Nur gut 2 Prozent beobachten bislang eine
Verschlechterung.                                            Bei der Frage nach der Art der Verhaltensänderung die-
                                                             ser Teilgruppe werden Investitionszurückhaltung, vor-
Auch die schon aus dem langfristigen Trend bekannte          sichtigere Beschäftigungspläne und gesteigerte
Verbesserung der Eigenkapitalausstattung scheint sich        Liquiditätshaltung als dominante Muster genannt. Ins-
Ende 2011 fortgesetzt zu haben. Dafür spricht die Rela-      gesamt zeigt die geringe Betroffenheit der Mittelstands-
tion von positiven (gut 58 Prozent) zu negativen Meldun-     unternehmen, wie stetig und weitgehend unberührt
gen (nur 3,5 Prozent).                                       diese ihr Geschäft fortführen. Der Mittelstand ist in der
                                                             aktuellen Situation ein weiteres Mal der sprichwörtliche
Von weiteren Steigerungen berichten die Sparkassen im        Fels in der Brandung, der die gesamtwirtschaftliche Situ-
Herbst 2011 zudem beim Volumen der ausgereichten             ation stabilisiert.
Investitionsfinanzierungen, wenngleich diese nicht so
deutlich ausfallen wie noch im Vorjahr. Der Saldo aus
„mehr“ und „weniger“ ist aber weiterhin positiv.

Ersatzinvestitionen sind nach wie vor das vorrangige
Investitionsmotiv. Allerdings werden Erweiterungsinvesti-
tionen, die in der Umfrage mit 35 Prozent genannt sind,
zurzeit häufiger angegeben. Der verstärkte Kapazitätsaus-
bau ist ein starkes Signal für den anhaltenden Optimis-
mus des Mittelstands – trotz Krise bei den Staatsfinanzen.

8                                                            9
2 Im Fokus
         Der Mittelstand: Ein Fels in der Brandung    12
     2.1 Das Auf und Ab der vergangenen zehn Jahre    13
     2.2 Über alle Zyklen hinweg aufgebaute Stärken   21
     2.3 Vornehmlich externe Belastungsfaktoren       27

Stabilität
Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus                        Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus

Der Mittelstand:
Ein Fels in der Brandung

Dass in Deutschland die kleinen und mittleren Unter-        verursacht noch verstärkt. Vielmehr hat der Mittelstand
nehmen einen größeren Teil der Wirtschaftsleistung          in allen Teilphasen in unterschiedlichen Funktionen sta-
ausmachen als in vielen anderen Industrieländern, ist       bilisierend gewirkt und dabei neue Stärken entwickelt.
bekannt. Ebenso oft wird die Bedeutung des Mittelstands     Dieses Kapitel der Diagnose soll die gesamtwirtschaft-
für Beschäftigung, Ausbildung und Innovation gewür-         lichen Trends der vergangenen zehn Jahre und die
digt. Hinzu kommt die weniger offenkundige, gleichwohl      wechselvollen Rahmenbedingungen des Mittelstands
umso bedeutendere Rolle als wirtschaftlicher Stabili-       nachzeichnen. Die Verbesserung der Wettbewerbsfähig-
sator des Landes. Vielfältig differenzierte, kleinteilige   keit, die über alle Phasen hinweg erreicht werden konnte,
Strukturen erweisen sich als anpassungsfähiger und          ist dabei ein Leitmotiv. Allerdings darf man die Belas-
weniger krisenanfällig als wirtschaftliche Monokultu-       tungen und Risiken, denen sich der Mittelstand gegen-
ren. Anders gesagt: In besonders bewegten Zeiten offen-     übersah – und aktuell immer noch beziehungsweise in
bart der Mittelstand erst recht seine Robustheit.           veränderter Form gegenübersieht –, nicht verschweigen.
                                                            Sie drohen vor allem aus dem Ausland.
Gerade die erste Dekade des neuen Jahrtausends war
von ausgeprägten Zyklen gekennzeichnet. Dabei über-         2.1 Das Auf und Ab der vergangenen zehn Jahre
lagerten sich konjunkturelle und strukturelle Phäno-        Ein Rückblick ist hilfreich, um das langfristige Bild zu
mene, und in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts erlebten     erfassen: Das neue Jahrtausend begann mit dem Boom
sowohl die realwirtschaftlichen als auch die finanziellen   der sogenannten New Economy. Dank der Nutzung
Sphären der Weltwirtschaft die größten Erschütterun-        neuer Kommunikations- und Informationstechnologien
gen in Friedenszeiten seit 80 Jahren. Auch im vierten       glaubte man sich damals am Anfang eines starken, dau-
Jahr ist die Phase erhöhter Volatilität nicht abgeschlos-   erhaften Wachstumstrends und hielt Konjunkturzyklen
sen. Allerdings hat die Krise in ihrem Verlauf mehrfach     für überwunden. Die Euphorie wurde von der Realität
ihren Charakter gewechselt.                                 bald eingeholt. Die „great moderation“, die den Indust-
                                                            rieländern vor allem aufgrund verantwortungsvoller
Stets war der deutsche Mittelstand dabei der sprich-        Geldpolitik in den 80er und 90er Jahren lange ein recht
wörtliche Fels in der Brandung. Er hat die Krise weder      stabiles, inflationsfreies Wachstum beschert hatte, stand

12                                                          13
Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus                        Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus

zur Jahrtausendwende vor ihrem Finale. Die überbewer-       Doch mit dem Einstieg in die Währungsunion profitier-
teten Marktkapitalisierungen der „dotcom bubble“ bra-       ten auch die anderen Mitgliedländer von niedrigen Zin-
chen ab dem Frühjahr 2000 in sich zusammen und zogen        sen. Sie lösten einen Boom aus – mit langfristig durchaus
spätestens ab 2002 die Gesamtwirtschaft mit.                ambivalenten Folgewirkungen, etwa in Form der Kredit-
                                                            und Immobilienblase in Spanien oder des überborden-
Mittelständische Unternehmen waren auch in der New          den Staatskonsums Griechenlands. Heute leiden diese
Economy vertreten. Junge, kleine Firmen und Neugrün-        Staaten unter den Folgen. Zu Beginn der Dekade genos-
dungen waren in manchem neuen Sektor sogar prägend.         sen Konsumenten, Bauherren, Investoren und Regierun-
Doch der größte Teil des Mittelstands zählte weiterhin      gen jedoch zunächst gelockerte Budgetbeschränkungen.
zur Old Economy in Industrie, Bau, Handwerk, Handel
und im Dienstleistungssektor. Dennoch litten fast alle      Deutschlands schwieriger Start in die Währungsunion
Branchen – egal ob „new“ oder „old“ – unter der infolge     Für Deutschland, das als traditionelles Hartwährungs-
der geplatzten Blase ausgebrochenen Rezession 2002.         land an niedrige Zinsen gewöhnt war, gab es keinen
                                                            solchen Extra-Schub. Im Gegenteil: Im Rahmen der
Stagnation nach dem Dotcom-Boom                             einheitlichen Geldpolitik für den gesamten Währungs-
In der Phase von 2002 bis 2005 war kaum Wachstum zu         raum waren die dynamischere Wirtschaftsentwick-
verzeichnen. Das galt auch für Deutschland, das in vier     lung und Preissteigerungen in anderen Regionen zu
Jahren beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) gerade einmal        berücksichtigen. Die Realzinsen lagen für die deutsche
einen Zuwachs von kumuliert 1,5 Prozent erreichte. Im       Volkswirtschaft deshalb zu hoch – real sogar höher als in
Jahresdurchschnitt entsprach das weniger als 0,4 Pro-       den Boomländern der Währungsunion, da die Preisent-
zent. Deutschland war geprägt von verkrusteten Struktu-     wicklung hierzulande unterdurchschnittlich verlief. Die
ren. Der Dienstleistungssektor war unterentwickelt, der     hohen Realzinsen bei stagnierender Wirtschaft belaste-
Arbeitsmarkt überreguliert.                                 ten die Investitionstätigkeit ungemein.

Der Start in die Währungsunion half der deutschen Wirt-     Langfristig stärkte dies die deutsche Volkswirtschaft
schaft zunächst nicht in jeder Hinsicht. Zwar profitierte   durchaus. Die preisliche Wettbewerbsfähigkeit verbes-
der Außenhandel von der geschaffenen Wechselkurs-           serte sich dank der niedrigeren Kostendynamik, und die
sicherheit, und die Produktionsprozesse ließen sich in      Außenhandelsposition reagierte – zunächst verhalten,
Europa noch stärker miteinander verzahnen. Der mit          später umso stärker – positiv.
der gemeinsamen Währung vollendete Binnenmarkt
erlaubte einen neuen Grad der Arbeitsteilung.               Exportgetriebener Boom ab Mitte des Jahrzehnts
                                                            2006 führte dies zu einem exportinduzierten Auf-
Der endgültig fixierte Umtauschkurs beim Eintritt in die    schwung: Deutsche Produkte waren auf den Weltmärk-
Euro-Ära basierte jedoch auf einer recht hohen Bewer-       ten gefragt wie nie zuvor. Das investitionsgüterlastige
tung der D-Mark. Dieser Aufschlag war zuvor, als die        Sortiment der deutschen Industrie profitierte von einem
Mark als Hart- und Quasi-Leitwährung im europäischen        Wachstums- und Ausrüstungsschub in den Schwellen-
Währungssystem gedient hatte, berechtigt gewesen.           ländern. Auch die preisliche Wettbewerbsfähigkeit hatte

14                                                          15
Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus                        Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus

sich dank der Anstrengungen der Unternehmen und der         saß tief. Der Interbankenmarkt kollabierte. Einzelne Ins-
Katharsis der vorangegangenen Phase deutlich verbes-        titute mussten gestützt werden.
sert. Der Exportüberschuss wurde unterfüttert von der
hohen Spartätigkeit in Deutschland, die einen korres-       Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Krise im
pondierenden Kapitalexport erlaubte.                        September 2008 mit dem Zusammenbruch der US-
                                                            Investmentbank Lehman Brothers, der letztendlich die
Dieser war allerdings ein ambivalentes Phänomen.            Realwirtschaft erschütterte. Der Welthandel verzeich-
Leistungsbilanzüberschuss und Kapitalexport waren           nete einen scharfen Einbruch. Deutschland ereilte ein
zugleich Kennzeichen einer Investitionszurückhaltung        Export-Schock; weltweit herrschte Abbestell-Panik; Lager
oder gar -schwäche im Land selbst. Tatsächlich hielt die    wurden geräumt, bereits erteilte Aufträge storniert;
Entwicklung der Binnennachfrage in Deutschland 2006         investiert wurde erst recht nicht mehr. Die Ungewissheit
und 2007 mit dem exportgetriebenen Boom und Wachs-          über den weiteren konjunkturellen Fortgang und die
tum nicht Schritt. Die Steigerungsraten des BIP waren in    Tiefe und Dauer der kommenden Rezession war so groß,
diesen beiden Jahren mit 3,7 beziehungsweise 3,3 Pro-       dass jegliche Wirtschaftsaktivität gelähmt schien.
zent dennoch beachtlich.                                    Auch echte oder vermeintliche Finanzierungsengpässe
                                                            spielten bei diesem realwirtschaftlichen Glattstellen als
Deutschland stand zu diesem Zeitpunkt an der Schwelle       Motiv eine Rolle, obwohl es in Deutschland keine Kredit-
eines Übergreifens des Booms auf die Binnenwirtschaft       klemme gab. Das lag auch daran, dass mit den Sparkas-
– ein Muster, das aus früheren Aufschwüngen durchaus        sen und Genossenschaftsbanken zwei große Sektoren
vertraut war. Zunächst zündet in der sehr offenen Volks-    der Kreditwirtschaft bereitstanden, die nicht direkt Ver-
wirtschaft Deutschlands der Export; Investitionen und       lusten aus internationalen Engagements ausgesetzt und
Konsum ziehen nach. Dieses Muster war auch 2007 zu          die vorwiegend einlagenfinanziert waren – und damit
erwarten. Bekanntlich machte eine globale Krise einen       nicht auf die angespannten Geld- und Kapitalmärkte
Strich durch die Rechnung.                                  angewiesen. Diese dezentralen Institute konnten die
                                                            Finanzierung des Mittelstands durchgehend sichern.
Einschnitt durch die Subprime-Krise
In den USA brach der von sogenannten Subprime-Finan-        Insgesamt kam es mit einem Einbruch um 5,1 Prozent bei
zierungen unseriös angeheizte Bau- und Immobilien-          der Wirtschaftsleistung im Jahr 2009 zu der schwersten
boom zusammen. Das Bankensystem wurde erschüttert.          Rezession in der Geschichte der Bundesrepublik. Genau
Verluste und Misstrauen breiteten sich international aus,   genommen war die Rezession zeitlich schon im Schluss­
vor allem nach Europa. Gerade hier hatten viele Kredit-     quartal 2008 und im Auftaktquartal 2009 zu verorten.
institute aus jenen Ländern, die zuvor über Kapitalex-      Aber in der Jahreszahl für das BIP kam dies 2008 wegen
porte die Leistungsbilanzdefizite der USA mitfinanziert     der hohen Ausgangsbasis aus den ersten Quartalen noch
hatten, komplexe Wertpapiere erworben, die auf frag-        nicht zum Ausdruck. Umgekehrt konnte die bereits im
würdigen Immobilienengagements beruhten. Das Ent-           Frühjahr 2009 einsetzende Erholung den Jahreswert
setzen über Verluste bei vermeintlich sicheren Anlagen      2009 nicht mehr retten.

16                                                          17
Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus                        Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus

Ohne Beschäftigungsverlust durch die Rezession              zunächst der wirtschaftspolitischen Stimulierung zu
Als besonders robust erwies sich über den gesamten Zyk-     verdanken. Niedrige Leitzinsen und Konjunkturpakete
lus – in scharfem Kontrast zur Lage in anderen Ländern –    entfalteten ihre Wirkung. Im Gegensatz zu anderen Län-
der deutsche Arbeitsmarkt. Die Beschäftigungszeiten         dern – die USA hängen bis heute am Tropf solcher Maß-
wurden in der Rezession hierzulande sehr flexibel her-      nahmen – wurde die deutsche Wirtschaft bald wieder
untergefahren. Dies geschah einerseits mit dem Instru-      von der Marktnachfrage getragen. Sie profitierte einmal
ment der Kurzarbeit, das von der Politik sehr konstruktiv   mehr von der sich in der Krise als robust erweisenden
begleitet wurde. Andererseits wurden Mechanismen wie        und danach schnell wieder sehr dynamischen Entwick-
das Abschmelzen von Überstunden- und Lebenszeit-            lung in den Schwellenländern. Erneut ließ der Export
arbeitskonten genutzt. Die Beschäftigtenzahl blieb auf      den Konjunkturmotor anspringen.
diese Weise bemerkenswert konstant. Ein Strukturwan-
del zwischen den Branchen fand gleichwohl statt. Die        Deutliche Erholung ab Frühjahr 2009
besonders getroffene exportorientierte Industrie setzte     Die Dynamik gewann schnell an Breite. Sie erfasste
Beschäftigte frei; die binnenwirtschaftlich orientierten    sowohl die Investitionen als auch, wenngleich in mode-
Dienstleistungsunternehmen konnten dies aber fast           ratem Maße, den Konsum. Im Frühjahr 2010 wurde die
kompensieren.                                               Spitze des Wachstumsschubs erreicht – im zweiten Quar-
                                                            tal gar mit „chinesischer“ Dynamik und einem beachtli-
Der Arbeitsplatzabbau in der Industrie war gemessen am      chen Quartalsplus von 1,9 Prozent. Im Gesamtjahr 2010
Ausmaß der Produktionseinbrüche ohnehin ausgespro-          waren es starke 3,7 Prozent.
chen moderat. Ein Grund dafür war, dass der Engpass
bei Fachkräften, der sich im Aufschwung 2006/07 bereits     Der Jahresauftakt 2011 brachte ebenfalls kräftiges
deutlich abgezeichnet hatte, noch frisch im Gedächtnis      Wachstum. Deutschland war inzwischen eindeutig zur
haftete. Mit Blick auf die demografischen Perspektiven      Wachstumslokomotive in Europa – wenn nicht aller
taten Unternehmen gut daran, Mitarbeiter mit Schlüssel-     Industrieländer – geworden. Das BIP erreichte Vorkrisen-
qualifikationen zu halten. In der Diagnose Mittelstand      niveau. 2011 wurde im Gesamtjahr nochmals ein Wachs-
des Vorjahrs wurde im Rahmen der Expertenbefragung          tum in der Größenordnung von 3 Prozent verbucht.
untersucht, wo die kritischsten Engpässe für eine Erho-     Dass ein Übertreffen des vorherigen Niveaus schwierig
lung gesehen wurden. Mit großem Abstand stand der           sein würde, war zu erwarten gewesen. Die hohen Wachs-
Fachkräftemangel an erster Stelle. Stammbelegschaften       tumswerte von 2010 und 2011 sind als Aufholbewegung
wurden deshalb vielerorts trotz der Produktionseinbrü-      zu sehen. Sie zeigen eine Rückkehr zum Pfad des Potenzi-
che gehalten. Stellenspezifisches Know-how wurde so         alwachstums an, nicht einen dauerhaft steileren Trend.
bewahrt, und die Unternehmen konnten im bald einset-        2011 waren wieder annähernd normale Auslastungs-
zenden Aufschwung ihre Produktion zügig wieder hoch-        grade der Produktionskapazitäten erreicht. Eine Ver-
fahren.                                                     langsamung stand deshalb ohnehin an, eine Korrektur
                                                            der bis dahin euphorischen Stimmungsindikatoren war
Der Rückgang der Wirtschaftstätigkeit in Deutschland        sinnvoll. Sie setzte im Frühjahr 2011 ein.
blieb auf zwei Quartale begrenzt. Die Erholung war

18                                                          19
Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus                        Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus

Doch bei einer begrenzten Korrektur blieb es nicht.         diesjährigen Expertenbefragung der Diagnose Mittel-
Die weiterhin labile Weltwirtschaft machte ein Durch-       stand wurde deshalb ermittelt, in welchem Maße und
starten der deutschen Konjunktur unwahrscheinlich.          auf welche Weise die Unternehmen reagiert haben. Hie-
Japan wurde von mehreren Naturkatastrophen und              raus lassen sich die Weichenstellungen und künftigen
dem nuklearen Desaster von Fukushima getroffen, die         Entwicklungen des Mittelstands nach einer turbulenten
USA haben die Strukturprobleme ihrer Kredit- und            Dekade ablesen.
Immobilienblase noch immer nicht überwunden. Hinzu
kamen deutlichere Probleme in den Peripherieländern         2.2 Über alle Zyklen hinweg aufgebaute Stärken
des Euroraums. Weite Teile der Weltwirtschaft stecken in    So wechselvoll das makroökonomische Umfeld in den
einer Schuldenkrise.                                        vergangenen zehn Jahren auch war: Die betriebswirt-
                                                            schaftlichen Trends im deutschen Mittelstand zeich-
Staatsschuldenkrise beendet den Aufschwung                  nen sich in diesem Zeitraum durch Stetigkeit aus. Die
Nicht nur der akut gewordene Konsolidierungsbedarf          Unternehmen haben die wichtigsten Parameter – Pro-
bremste die Konjunktur. Vor allem waren es die von          duktivität, Kosten- und Ertragslage sowie Eigenkapital-
Zweifeln an der Tragfähigkeit mancher Staatsfinanzen        ausstattung – mit enormem Aufwand verbessert.
ausgehenden Erschütterungen an den Finanzmärkten,           Bei den Großunternehmen sind sich Beobachter in der
die für Verunsicherung sorgten. Die Risikoprämien           Regel dieses Trends bewusst. Konzerne sind oft börsen-
stiegen. Der Interbankenmarkt geriet erneut in eine         notiert und stehen im Rampenlicht der öffentlichen
Klemme. Die Aktienkurse brachen im Sommer 2011              Berichterstattung sowie im Wettbewerb um internatio-
deutlich ein – angeführt von Finanztiteln, aber schließ-    nale Investoren. Hier hat der Druck des Kapitalmarkts
lich in der Breite in allen großen Ländern und Branchen.    zu Effizienzsteigerungen geführt. Aber auch bei klei-
Der DAX büßte zwischen Juli und September rund ein          nen und mittleren Unternehmen gab es vergleichbare
Drittel seines Wertes ein. Die seit Herbst 2011 gehandel-   Anstrengungen, wenngleich aus einer Vielzahl von
ten Prognosen gehen für einige Wirtschaftsräume sogar       Motiven heraus – sei es der Erhalt von Familienvermögen
von einer neuerlichen Rezession aus. Die deutsche Wirt-     für die nächste Generation, die Bewahrung einer Tra-
schaft dürfte gemäß dem Mainstream der wichtigsten          ditionsmarke oder die Sicherung von Arbeitsplätzen in
Prognosen zwar etwas besser abschneiden, im Winter          der Heimatregion. Der Mittelstand zeichnet sich in vieler
2011/12 aber stagnieren.                                    Hinsicht durch verantwortungsbewusstes, nachhaltiges
                                                            Handeln aus.
Der Mittelstand war abermals nicht Auslöser dieser Ent-
wicklung, sondern hat erneut als Stabilisator und Puffer    Anstrengungen von Politik und Betrieben
gewirkt. Dennoch können die Investitions- und Beschäf-      Die Stagnation und Verkrustung der deutschen Wirt-
tigungspläne der mittelständischen Unternehmen von          schaft zu Beginn der Dekade hat vielen politischen
den schweren Erschütterungen der Weltwirtschaft,            Entscheidungsträgern, aber auch den Verantwortlichen
der Schuldenkrise und den neuerlichen Finanzmarkt-          in Unternehmen den Handlungsbedarf verdeutlicht.
turbulenzen nicht unberührt bleiben. Im Rahmen der          Im Großen zog dieses Bewusstsein ordnungspolitische

20                                                          21
Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus                         Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus

Reformanstrengungen nach sich, im Kleinen – auf              der Gewerkschaften waren maßvoll. Es wurde eine
betrieblicher Ebene – ein Streben nach Innovation und        stabilitätsorientierte Lohnpolitik betrieben, die Ver-
Effizienz, sowohl bei langfristigen Investitionen als auch   teilungsspielräume nicht ausschöpfte, sondern der
bei alltäglichen Entscheidungen.                             Beschäftigungssicherung und -expansion Vorrang vor
                                                             Lohnsteigerungen einräumte. Gerade innerhalb einer
Dies gilt allerdings nur im Durchschnitt beziehungs-         Währungsunion ist dies eine sehr Erfolg versprechende
weise für die große Mehrheit des Mittelstands. Aus-          Strategie. Was überzogene Steigerungen in dieser Kon-
nahmen bestätigen die Regel. Einzelne Unternehmen            stellation anrichten können, zeigen die verlorene Wett-
oder Branchen, die in der veränderten internationalen        bewerbsfähigkeit und die Leistungsbilanzdefizite der
Arbeitsteilung am Standort Deutschland nicht mehr            Krisenländer im Euroraum.
mit komparativen Kosten zu betreiben waren, blieben
durchaus auf der Strecke. So waren die Insolvenzzahlen       Export- und Beschäftigungsboom als Lohn der Mühe
zu Beginn der Dekade im langfristigen Vergleich über-        Es dauerte durchaus eine Weile, bis die Saat der Lohn-
durchschnittlich hoch. Das ist für eine Marktwirtschaft      moderation aufging. Aber seit 2006 können die Früchte
allerdings kein befremdliches oder schlechtes Zeichen,       in Form einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit,
sondern Symptom einer Bereinigung und Effizienzstei-         anziehender Exporte und letztlich deutlich steigender
gerung.                                                      Beschäftigung geerntet werden. Damit wurden im Span-
                                                             nungsfeld von Lohn und Produktivität jene Reserven
Verbesserte Wettbewerbsfähigkeit                             aufgebaut, die Deutschland in der Rezession 2008/09
Die Hausaufgaben wurden gemacht, und die Wettbe-             eine bemerkenswert robuste Beschäftigungssituation
werbsfähigkeit und Robustheit der deutschen Wirtschaft       bescherten. Der deutsche Arbeitsmarkt ist mit einer fast
verbesserten sich. Dabei schuf die gesamtwirtschaftli-       halbierten Arbeitslosigkeit in einem steten Trend in den
che Stagnation in den Jahren 2002 bis 2005 zunächst ein      vergangenen fünf Jahren die internationale Erfolgsstory.
Umfeld, das die betrieblichen Bemühungen erschwerte.
Ein einfaches Herauswachsen aus Problemen, Überka-           Kritische Stimmen haben bemängelt, dass die Arbeit-
pazitäten und ineffizienten Strukturen war in diesem         nehmer von den Anstrengungen und vom Wachstum im
Rahmen nicht möglich. Dafür gab es umso mehr Anreize         Boom 2006/07 lange nicht direkt über Lohnsteigerungen
für eine Neuaufstellung.                                     profitiert haben. Das trifft zu. Aber solange eine hohe
                                                             Arbeitslosenquote besteht, muss ihr Abbau Vorrang
Der gesamtwirtschaftliche Trend war in einer Hinsicht,       haben. Gemessen an diesem Ziel war die Tarif- und
der moderaten Preisentwicklung, hilfreich. Sie bringt        Reformpolitik höchst erfolgreich.
zwar zunächst eine unbequeme Einschränkung der
Überwälzungsspielräume in den Unternehmensum-                Es stimmt, dass trotz der steigenden Beschäftigung
sätzen mit sich. Doch bei einer überschaubaren Ent-          die Bruttolohnquote zwischen 2004 und 2008 deutlich
wicklung der Kostenbasis lässt sich damit diszipliniert      gesunken ist. Die Kapital- und Gewinneinkommen haben
auskommen. Die Tarifparteien zeigten in dieser Phase         zunächst überproportional von der wieder gewonnenen
großes Verantwortungsbewusstsein, die Forderungen            Wachstumsdynamik profitiert. Die Bruttolohnquote als

22                                                           23
Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus                        Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus

Anteil der Arbeitseinkommen abhängig Beschäftigter          Eigenkapitalausstattung des deutschen Mittelstands
am Volkseinkommen sank von gut 72 Prozent (2000) auf        – auch und gerade im internationalen Vergleich – trifft
nur noch gut 63 Prozent (2007). Hier spiegeln sich nicht    so heute nicht mehr zu. Selbst Kleinstunternehmen, ein
nur nationale Entwicklungen wider, sondern auch die         früher beim Eigenkapital besonders kritisches Segment,
weltweit verschobenen Relationen von Arbeit und Kapi-       haben kräftig aufgeholt.
tal. Zu denken ist etwa an die Integration von mehreren
Hundert Millionen Arbeitskräften in die weltmarktorien-     Sogar 2009 hat sich der Anstieg der Eigenkapitalquo-
tierte Produktion in bevölkerungsreichen Ländern wie        ten fortgesetzt – also in einer schwierigen Phase, in
China und Indien. Dass die Tarifpolitik hierzulande auf     der man hätte erwarten können, dass das Eigenkapital
diese Verschiebung Rücksicht genommen hat, ist sinn-        seine Pufferfunktion erfüllen müsste. Dies war bei
voll – reflektiert sie doch veränderte Knappheiten.         einzelnen Unternehmen und Branchen durchaus der
                                                            Fall, aber eben nicht in der Breite des Mittelstands. Die
Dabei ist dieser Weg keine Einbahnstraße. So hat sich die   in der Rezession zwar gedrückte, im Mittel aber noch
Entwicklung in der Rezession 2009 abrupt umgekehrt.         immer positive Ertragslage hat als Puffer ausgereicht,
Die Gewinneinkommen konnten als Puffer für Produk-          das Eigenkapital als nachgelagerte Reserve musste nicht
tions- und Einkommensverluste dienen und haben diese        angegriffen werden. Diese Entwicklung ist in der Dia-
absorbiert. Die Bruttolohnquote stieg 2009 wieder auf       gnose des Vorjahrs ausführlich kommentiert worden.
über 68 Prozent. Im Masseneinkommen hinterließ die          Jetzt ist es auf Basis der 2010er Bilanzen keine Überra-
Rezession trotz eines BIP-Rekordeinbruchs von mehr          schung mehr, sondern geradezu eine Selbstverständ-
als 5 Prozent praktisch keine Spuren. Dadurch blieb der     lichkeit, dass sich der Anstieg der Quoten in der Phase
Konsum konstant und bereitete einer schnellen Erho-         der zügigen gesamtwirtschaftlichen Erholung erst recht
lung den Boden.                                             fortgesetzt hat.

Ertragslage und Eigenkapital als Puffer                     Angemessene Kapazitäten und Finanzierungsvorteil
Insgesamt ist die Ertragslage trotz des zwischenzeitli-     Ein weiterer stabilisierender Faktor ist, dass – ungeachtet
chen Rückschlags durch die Rezession heute in weiten        von Sondersituationen in bestimmten Branchen – in der
Teilen der deutschen Unternehmenslandschaft gut, in         gesamtwirtschaftlichen Breite keine Überkapazitäten
vielen Bereichen des Mittelstands sogar noch besser als     bestehen. Dies ist eine Folge der Investitionszurückhal-
bei den Großunternehmen. Diese Entwicklung lässt sich       tung im vergangenen Jahrzehnt. Eine mögliche Rezes-
in den betriebswirtschaftlichen Kennzahlen des Bilanz-      sion hätte bei den Kapazitäten der meisten Branchen in
analyse-Teils der Diagnose nachvollziehen.                  Deutschland keinen vorherigen Expansionsexzess zu
                                                            korrigieren. Dies gilt gleichermaßen für Produktions-
Auch der Trend bei der Eigenkapitalausstattung ist          anlagen wie für Bauten im Wohn- und Gewerbebereich.
positiv. Hier ist praktisch über die gesamte vergan-        Die öffentliche Infrastruktur fällt trotz mancher Akzent-
gene Dekade ein stetiges Anwachsen der Quoten               setzung in den Konjunkturpaketen 2009/10 ebenfalls
erkennbar. Die alte, zur Jahrtausendwende noch ver-         nicht durch Überversorgung auf. Das mag mitunter
meintlich verinnerlichte These von der schwachen            zu beklagenswerten Engpässen bei der Nutzung von

24                                                          25
Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus

Kredite an Unternehmen und Selbstständige (ohne Finanzdienstleister)
Marktanteile nach Kreditinstitutsgruppen in %

45

                                                                                                    Wachstumschancen führen. Die vorsichtige Sachkapi-
40                                                                                                  talausstattung begrenzt jedoch das Rückschlagpotenzial
                                                                                                    durch einen Konjunktureinbruch. Einfach gesagt: Wo vor-
                                                                                                    her nicht viel passiert ist, kann auch nicht viel wegfallen.
35

                                                                                                    Ein weiterer Vorteil – zumindest im direkten Vergleich
30                                                                                                  mit den europäischen Wettbewerbern – sind die Kapital-
                                                                                                    kosten, da hierzulande deutlich geringere Risikoprämien
                                                                                                    anfallen. Ein genereller Landesrisiko-Zuschlag entfällt in
25
                                                                                                    der relativ solide aufgestellten Bundesrepublik.

20                                                                                                  Dass dieser Finanzierungsvorteil die mittelständischen
                                                                                                    Unternehmen erreicht, wird von den auf diese Klientel
15                                                                                                  ausgerichteten, in intensivem Wettbewerb stehenden
                                                                                                    dezentralen Kreditinstitutsgruppen der Sparkassen und
                                                                                                    Genossenschaftsbanken sichergestellt. Die dezentrale
10
                                                                                                    Struktur der Kreditwirtschaft ist einmal mehr ein Fak-
 2000      2001     2002       2003   2004   2005     2006     2007    2008   2009   2010   Ende    tor, der die Stärken des Mittelstands zur Geltung kom-
                                                                                            Sept.
                                                                                            2011
                                                                                                    men lässt. Dabei ist die Sparkassen-Finanzgruppe der
     – Sparkassen und Landesbanken
                                                                                                    langjährig etablierte Marktführer wie ein Blick auf die
     – Kreditbanken                                                                                 Anteile an den an Unternehmen und Selbstständige ver-
     – Darunter Großbanken
                                                                                                    gebenen Kredite belegt.
     – Genossenschaftsbanken
                                                                                                    2.3 Vornehmlich externe Belastungsfaktoren
                                                                                                    Gefahren für den deutschen Mittelstand drohen Ende
                                                                                                    2011 und Anfang 2012 vor allem aus dem Ausland. Die
                                                                                                    vergleichsweise anfällige Lage in vielen wichtigen Part-
                                                                                                    nerländern könnte ausstrahlen. Die Probleme einiger
                                                                                                    Peripherieländer des Euroraums sind bekannt. Grie-
                                                                                                    chenland schuldet de facto um. Portugal und Irland wer-
                                                                                                    den von der EU gestützt. Italien und Spanien zahlen hohe
                                                                                                    Risikoprämien bei der Refinanzierung ihrer Staatsschul-
                                                                                                    den. Spanien hat zugleich mit extrem hoher Arbeitslosig-
                                                                                                    keit zu kämpfen, besonders unter Jugendlichen.

                                                                                                    Diese Schwierigkeiten sind auch eine Folge der voran-
                                                                                                    gegangenen Boom-Phase bis 2007. Die Korrektur der

26                                                                                                  27
Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus                          Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus

damaligen Übertreibungen und das Herausschrumpfen             höhere Eigenkapitalanforderungen im Bankwesen. So
aus den aufgebauten Überkapazitäten im Wohnungs-              sinnvoll diese langfristig sein mögen: Kurzfristig tra-
und Bausektor werden viele Jahre in Anspruch nehmen.          gen sie zur falschen Zeit zur Kontraktion der Geld- und
Ein Deleveraging nach einer Kredit- und Spekulati-            Kreditkreisläufe bei. Denn gleichzeitig muss die Politik
onsblase ist schmerzhaft, aber notwendig. Es bleibt zu        sparen, müssen viele Investoren und Konsumenten
hoffen, dass Umfang und Dauer der Durststrecke nicht          weiter ihre Bilanzen sanieren. Verschuldungswilligkeit
„japanische Dimensionen“ mit einer vollen verlorenen          und -fähigkeit sind gering, die Sparneigung ist dagegen
Dekade erreichen – umso mehr, als es durchaus Paralle-        hoch. Das kann zu einem weltweiten Überangebot an
len zur Situation Japans zu Beginn der 90er Jahre gibt.       Ersparnissen, zu Nachfragemangel und einer im Kern
Dies gilt gleichermaßen für die USA und Großbritannien.       deflationären Situation führen. Nicht ohne Grund sind
Auch dort gab es Immobilienpreisblasen, und der private       die Zinssätze – abgesehen von den an vielen Stellen aus
Sektor war und ist recht hoch verschuldet.                    dem Ruder laufenden Risikoprämien – weltweit so nied-
                                                              rig. Dies liegt nicht nur an der geldpolitischen Positionie-
Viele Industrieländer im Konsolidierungszwang                 rung, sondern auch an den realen Knappheitsrelationen
Fast alle Industrieländer – auch jene, die kleinere struk-    von Ersparnissen und Investitionsmöglichkeiten.
turelle Lasten abzuarbeiten haben – müssen finanzpo-
litische Anstrengungen unternehmen und ausgereizte            Schwellenländer als Stütze – wie lange noch?
Verschuldungsspielräume konsolidieren. Dies bremst            Stabilisierend könnten die Schwellenländer wirken. Sie
die Konjunktur. In der großen Rezession zum Jahres-           tun dies bisher im Rahmen ihrer Möglichkeiten. In vielen
wechsel 2008/09 waren keynesianische Maßnahmen                aufstrebenden Volkswirtschaften der Welt verläuft die
zunächst erfolgreich. Damals gelang der Umschwung             Entwicklung noch vergleichsweise dynamisch; dort wird
unter anderem mit fiskalischen Konjunkturpaketen.             durchgängig in erheblichem Maße investiert. In Ländern
Allerdings haben viele Regierungen bei dieser Stimulie-       wie China, Brasilien und der Türkei drohen nicht Stagna-
rung gewissermaßen ihr letztes Pulver verschossen. In         tion und Wachstumsschwäche, sondern weiterhin eher
einer neuerlichen Schwächephase stehen viele Staaten,         Überhitzungen. Kapitalzuflüsse und Preissteigerungen
denen die Kapitalmärkte wegen ihrer Verschuldung              können in diesen Märkten zu Übertreibungen führen.
ohnehin mit großer Skepsis begegnen, mit dem Rücken           Solange die Wachstumsraten hoch sind, bleiben manche
an der Wand. Sie müssen nun konsolidieren, weitgehend         in euphorischem Umfeld getätigte Fehlinvestitionen und
ohne Rücksicht auf die konjunkturelle Lage. Viele Län-        -allokationen unbemerkt und überlagert von der allge-
der der Euro-Peripherie – an erster Stelle ist wieder Grie-   meinen Dynamik. Früher oder später steht indes eine
chenland zu nennen – sind nicht ohne Grund in einer           Korrektur an, die Schwachstellen offenlegt. Für die ohne-
Anpassungsrezession gefangen.                                 hin labile Weltwirtschaft käme eine solche Entwicklung
                                                              zu einem höchst ungünstigen Zeitpunkt.
Die Gesamtlage ist an der Schwelle zum Jahr 2012 nicht
ohne Gefahren für Weltkonjunktur und -handel. Die             Deutschland ist teilweise mit den Schwellenländern
globale Wirtschaft steckt noch immer in einer Deleve-         verwoben, befindet sich in mancher Hinsicht sogar in
raging-Phase nach einer Kreditblase. Hinzu kommen             einer ähnlichen Situation. Zum einen spielt es als zurzeit

28                                                            29
Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus                       Diagnose Mittelstand 2012 2 Im Fokus

dynamischstes Industrieland selbst die Rolle einer         Ungleichgewichten. Für das Wachstum in Deutschland
Wachstumslokomotive der Weltwirtschaft. Zum anderen        bedeutet es zugleich aber auch ein Hemmnis.
gingen der Aufschwung bis 2007 und die Erholung ab
Mitte 2009 maßgeblich auf die Nachfrage nach Investi-      Verlagerung hin zur Binnenwirtschaft
tionsgütern zurück, die in Schwellenländer exportiert      Schon 2011 kam das insgesamt noch solide Wachstum
wurden. Diese Nachfragestütze des Auslands wird sich       hauptsächlich aus der Binnenwirtschaft. 2012 wird
abschwächen.                                               sich diese Verschiebung fortsetzen, wobei der Außen-
                                                           handel nach den meisten aktuellen Prognosen sogar
Ferner ist Deutschland – ähnlich wie die Schwellenlän-     einen negativen Beitrag leisten dürfte. Das Wachstum in
der – Kapitalzuflüssen ausgesetzt. Die Bundesrepublik      Deutschland würde im Idealszenario von Konsum und
ist zwar noch immer Netto-Kapitalexporteur, wie der        (vor allem) Investitionstätigkeit getragen werden – aller-
Leistungsbilanzsaldo ausweist. Zunehmend erfolgt der       dings in einem von Krisenmeldungen und Misstrauen
Kapitalexport aber in Form staatlicher Forderungen,        geprägten Umfeld.
etwa über Rettungsschirme oder Verrechnungssalden
im Notenbanksystem. Private Kapitalflüsse ins Aus-         Selbst bei hierzulande gesunden, robusten Strukturen
land werden dagegen von gestiegener Risikoaversion         wachsen die Bäume dann nicht mehr in den Himmel.
gebremst. Andere Kapitalflüsse ergießen sich im Zuge       Deutschland kann sich nicht als Insel der Glückseligen
des gestiegenen Sicherheitsbedürfnisses vermehrt ins       von der Weltwirtschaft isolieren, erst recht nicht von Tur-
Inland, insbesondere in Bundesanleihen. Die davon          bulenzen in Eurostaaten. Für 2012 weisen die meisten Pro-
ausgehende Aufwertung – per Wechselkurs gegenüber          gnosen ein Wachstum von nur noch knapp 1 Prozent aus.
Ländern außerhalb der Währungsunion oder als „reale“
Aufwertung hierzulande bei einer zu erwartenden rela-      Der deutsche Mittelstand befindet sich damit in einem
tiv höheren Inflationsrate gegenüber anderen Ländern       deutlich schwierigeren Umfeld. So stabil er auch aufge-
des Euroraums – wird den Außenhandelssaldo Deutsch-        stellt sein mag: Aus dem Ausland drohen Risiken. Einmal
lands reduzieren. Dies ist eine notwendige Korrektur von   mehr muss sich der Mittelstand als Fels in der Brandung
                                                           bewähren.

30                                                         31
vertrauen
     3 Die Grundlagen
         Quellen und Methoden       34
     3.1 Kennziffern im Überblick   36
     3.2 Berechnungsverfahren       38
Diagnose Mittelstand 2012 3 Die Grundlagen                     Diagnose Mittelstand 2012 3 Die Grundlagen

                                                                 200 000 Unternehmenssätze umfassen, im zuletzt kom-
                                                                 plettierten Bilanzjahr (2009) sogar mehr als 230 000. Seit
                                                                 der Diagnose Mittelstand 2011 sind alle verwendeten
                                                                 Bilanzen nach der aktuellen Wirtschaftszweigsystema-
                                                                 tik (WZ 2008) gegliedert.

                                                                 Aus dem aktuellen Bilanzjahrgang 2010 lagen bei
                                                                 Erstellung der Diagnose bereits rund 112 000 Daten-
Quellen und Methoden                                             sätze vor. Das entspricht annähernd der Hälfte der
                                                                 endgültigen Jahrgangsstärke 2009 und repräsentiert
                                                                 bei vergleichbarem Erhebungszeitpunkt innerhalb des
Thema und Untersuchungsgegenstand der seit 2002 jähr-            Jahres eine nochmals gesteigerte Anzahl von Bilanzen.
lich veröffentlichten Diagnose Mittelstand sind die rund         Damit ist eine noch zuverlässigere Trendrechnung
3,7 Millionen Unternehmen in Deutschland. Nach den               zur Lage des Mittelstands zum Zeitpunkt des jüngsten
Schlüsselzahlen des Instituts für Mittelstandsforschung          Jahresabschlusses – in diesem Fall 2010 – möglich. Die
Bonn lassen sich 99,7 Prozent aller deutschen Firmen             Trendrechnung beinhaltet auch gut 4 000 Bilanzen von
als „kleine und mittlere Unternehmen“ (KMU) charak­              Großunternehmen, deren Werte denen des Mittelstands
terisieren. Dem stehen gut 12 000 Großunternehmen                vergleichend gegenübergestellt werden.
gegenüber. Abgrenzungskriterium ist der Jahresumsatz:
Zum Mittelstand zählen Unternehmen mit einem Jahres-           – 	Eine Expertenbefragung in allen Sparkassen ergänzt die
umsatz von bis zu 50 Millionen Euro. Dies entspricht in            Bilanzdatensammlung. Hierzu wurden im November
der Regel einer Betriebsgröße von bis zu 500 Mitarbeitern.         2011 die Firmenkundenberater in den Sparkassen um
Die Diagnose Mittelstand des Deutschen Sparkassen- und             ihre Bewertung der Geschäftslage mittelständischer
Giroverbands basiert auf zwei Quellen:                             Unternehmen gebeten. Investitionstätigkeit, Kreditver-
                                                                   gabe und Beschäftigungsaussichten wurden ebenfalls
– 	Grundlage des Branchenkennzahlensystems der Spar-              analysiert. Neben diesen in den Vorjahren etablierten
    kassen-Finanzgruppe ist das zentral gespeicherte Daten-        Standardfragen standen wieder aktuelle Sonderthemen
    material der Firmenkundenbilanzen. Diese Sammlung              zur Debatte. So wurde ermittelt, wie stark die Finanz-
    ist in Deutschland in Größe und Gliederungstiefe ein-          marktturbulenzen seit Sommer 2011 auf die deutsche
    malig. Von Sparkassen und Landesbanken werden die              Realwirtschaft durchschlugen. Die Experten der Spar-
    Jahresabschlüsse der Kundenunternehmen anonymi-                kassen schätzten, welcher Anteil ihrer Firmenkunden
    siert eingeliefert und doppelt vorliegende Bilanzen aus-       spürbar auf die Krise reagiert hat – und auf welche
    sortiert. Der DSGV nimmt im Anschluss die Prüfung und          Weise.
    Auswertung der Daten vor.
                                                                 Mit dieser Umfrage wird dank eines hohen Rücklaufs
  Bis einschließlich 2009 liegen vollständige Bilanz-            von gut 80 Prozent aller Sparkassen ein differenziertes
  sammlungen vor, die in den meisten Jahrgängen rund             Bild der Lage im Mittelstand gezeichnet. Da Institute

34                                                             35
Quote der bereits vorliegenden Unternehmensbilanzen für das Jahr       Quantitative Abgrenzung des Mittelstands*
2010 im Verhältnis zur vollständigen Zahl für 2009 nach Jahresumsatz
In % nach Unternehmensgrößenklassen                                    Unternehmensgröße                 Beschäftigte           Jahresumsatz
                                                                       Klein                             bis 9                  bis 1 Mio. €
0 bis 50 Mio. €: Mittelstand                47,3
                                                                       Mittel                            10 bis 499             1 bis 50 Mio. €
0 bis 0,25 Mio. €                           37,1
                                                                       Groß                              500 und mehr           50 Mio. € und mehr
0,25 bis 0,5 Mio €                          34,9
                                                                       Mittelstand (KMU)                 bis 499                bis 50 Mio. €
0,5 bis 2,5 Mio. €                          44,6
2,5 bis 5 Mio. €                            60,1                       *Quelle: Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn

5 bis 12,5 Mio. €                           69,6
12,5 bis 50 Mio. €                          78,0
über 50 Mio. €: Großunternehmen             87,4

  und Unternehmen in sämtlichen Regionen berück-                       ausreichender Höhe erzielen, um ein Unternehmen ohne
  sichtigt wurden, ist ein hohes Maß an Repräsentativität              Ressourcenverschwendung dauerhaft am Markt erhalten
  gewährleistet.                                                       zu können. Eine befriedigende Umsatzrentabilität erleich-
                                                                       tert zudem die Aufbesserung des Eigenkapitals über ein-
3.1 Kennziffern im Überblick                                           behaltene Gewinne.
Die Eigenkapitalquote – der Anteil des Eigenkapitals an
der Bilanzsumme – ist eine Kennziffer und strategische                 Die Gesamtkapitalverzinsung gibt das Verhältnis der
Zielgröße für die Robustheit eines Unternehmens. Sie                   Summe aus Betriebsergebnis und Zinsaufwand zur
gibt an, in welchem Umfang die Eigentümer selbst unmit-                Bilanzsumme wieder. Sie ist somit eine Kennzahl für die
telbar in der Haftung stehen. Eigenkapital kann Verluste               Wirtschaftlichkeit des in dem Unternehmen eingesetzten
abdecken und in schwierigen Zeiten als Puffer dienen.                  Kapitalstocks. Erzielt eine Anlage am Kapitalmarkt eine
Eine hohe Eigenkapitalquote begrenzt die Insolvenzgefahr               höhere Rendite als die Gesamtkapitalverzinsung, steht
und die Risiken für Fremdkapitalgeber. Eine sehr niedrige              der Sinn der Geschäftstätigkeit letztlich infrage. Die alter-
Eigenkapitalquote war in Deutschland in früheren Jahren                nativ erzielbare Kapitalmarktverzinsung gibt somit eine
oft ein beschränkender Faktor für die Aktivitäten mittel-              „Mindestverzinsung“ für profitable Unternehmensaktivi-
ständischer Unternehmen.                                               täten vor. Mit einem Teil der Gesamtkapitalrendite sollte
                                                                       zusätzlich ein Ausgleich für das unternehmerische Risiko
Die Umsatzrentabilität setzt das Betriebsergebnis ins                  erwirtschaftet werden.
Verhältnis zur unternehmerischen Gesamtleistung.
Diese Gesamtleistung entspricht üblicherweise der wert-                Die Personalaufwandsquote weist den Personalaufwand in
mäßigen Produktion. Sie ist definiert als Nettoumsatz                  Prozent der Gesamtleistung des Unternehmens aus. Damit
beziehungsweise Umsatzerlös, der um die Netto-Bestands­                ist ein wichtiger Kostenblock umrissen. Gerade im Mittel-
entwicklung und andere aktivierte Eigenleistungen                      stand sind personalintensive Produktionen mit entspre-
ergänzt wird. Bei reinen Handelsunternehmen stimmt die                 chend hoher Personalaufwandsquote häufig zu finden. In
Gesamtleistung mit den Umsatzerlösen überein. Grund-                   ihr spiegeln sich Produktivitäts- und Lohnveränderungen
sätzlich gilt: Produktionsprozesse müssen Gewinne in                   wider. Die Entwicklung der Personalaufwandsquote im

36                                                                     37
Diagnose Mittelstand 2012 3 Die Grundlagen

                                                              Schlüsselzahlen des Mittelstands in Deutschland

                                                                                                                                   Insgesamt1                  KMU1         KMU-Anteil1
                                                              Unternehmensbestand 2010²                                               3,68 Mio.            3,67 Mio.               99,7 %
Zeitablauf lässt auf zu- oder abnehmenden Kostendruck         darunter:
und auf verbleibende Ertragsspielräume schließen.             Unternehmen lt. Unternehmensregister 2009³                             3.597.248            3.584.760                99,7 %
                                                              Umsatzsteuerpflichtige Unternehmen 20094                               3.135.542            3.125.894                99,7 %
Neben den genannten Kennziffern sind weitere Eckdaten –       Handwerksbetriebe (31.12.2010)                                           987.818
nämlich Zinsaufwandsquote, Cashflow-Rate, Bankverbind-        Freie Berufe (01.01.2011)                                              1.143.000
lichkeiten und Eigenkapitalrentabilität – im statistischen    Umsatz der Unternehmen
Anhang der Diagnose Mittelstand 2012 verfügbar. Dieser        Umsatz der Unternehmen lt. Unternehmensregister
                                                                                                                                 4.978,94 Mrd.        1.947,97 Mrd.                39,1 %
umfangreiche Anhang ist auf der Website www.dsgv.de           20093 (in €)
(Rubrik „Fakten & Positionen“/„Publikationen“) zu finden.     Umsatz von umsatzsteuerpflichtigen Unternehmen
                                                                                                                                 4.897,94 Mrd.        1.903,56 Mrd.                38,9 %
                                                              20094 (in €)
                                                              Beschäftigte/Auszubildende in Unternehmen
3.2 Berechnungsverfahren
                                                              Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in
Bei der Kommentierung der Branchenkennzahlen ver-                                                                                    25,17 Mio.           15,29 Mio.               60,8 %
                                                              Unternehmen lt. Unternehmensregister 20093
wendet die Diagnose Mittelstand vornehmlich den Median
                                                              Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Betrieben
(Zentralwert). Er stellt die statistischen Verteilungen bei                                                                          26,29 Mio.           20,91 Mio.               79,6 %
                                                              (einschl. Auszubildende) 31.12.20105
starker Ungleichverteilung anschaulicher dar als das          Auszubildende (in Betrieben) 31.12.2010                                 1,62 Mio.            1,35 Mio.               83,2 %
arithmetische Mittel, das von extremen Werten verzerrt        Selbstständige
sein kann. Der Median gibt den in der Praxis „typischen“      Selbstständige 20106                                                    4,26 Mio.
Wert an. Beim Bilanzvergleich werden zur Auswertung der       Selbstständigenquote 20106,7                                               10,9 %
Kennzahlen deshalb am besten Mediane eingesetzt. Eine         nachrichtlich:
angegebene Eigenkapitalquote von 18,3 Prozent bedeutet        Selbstständige 20108 ohne Landwirtschaft                                4,03 Mio.
beispielsweise, dass genau die Hälfte der Unternehmen         Selbstständigenquote 20107,8 ohne Landwirtschaft                           10,5 %
eine Eigenkapitalquote von unter oder gleich 18,3 Prozent     Nettowertschöpfung der Unternehmen 20099                                                                             51,3 %
realisiert. Die andere Hälfte der Unternehmen weist einen     Quelle: Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn
Wert über dieser Schwelle auf.
                                                              1) Alle Angaben beziehen sich auf die gewerbliche Wirtschaft und die freien Berufe (WZ A-N, P-S der Wirtschaftszweigsystematik
                                                                  WZ 2008). Ausnahmen sind gekennzeichnet.
                                                              2) Revidierte Schätzung des IfM Bonn. Nur Unternehmen mit mehr als 17.500 Euro steuerpflichtigen Jahresumsatz oder
Die ebenfalls in der vorliegenden Studie untersuchte              mindestens einem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Alle Wirtschaftszweige der gewerblichen Wirtschaft und
                                                                  freien Berufe ohne Land- und Forstwirtschaft, Fischerei und Fischzucht, d.h. WZ B-N, P-S der WZ 2008. Basisdaten: Zahlen des
Nullpunktquote gibt an, wie viele Unternehmen (in Pro-            Unternehmensregisters 2009. Abgrenzung der KMU nach Merkmal Beschäftigtenzahl und Umsatzgröße.
                                                              3) Zahlen des Unternehmensregisters. Alle Wirtschaftszweige der gewerblichen Wirtschaft und freien Berufe ohne Land- und
zent) bei der jeweiligen Kennziffer einen Wert von null           Forstwirtschaft, Fischerei und Fischzucht, d.h. WZ B-N, P-S der WZ 2008. Abgrenzung der KMU nach Merkmal Beschäftigtenzahl
oder darunter verzeichnen. Beispiel: Eine Nullpunkt-              und Umsatzgröße.
                                                              4) Zahlen der Umsatzsteuerstatistik. Alle Wirtschaftszweige der gewerblichen Wirtschaft und freien Berufe, d.h. WZ A-N, P-S der
quote von 25,3 Prozent beim Eigenkapital bedeutet, dass           WZ 2008. Abgrenzung der KMU nach Merkmal Umsatzgröße.
                                                              5) Zahlen der Beschäftigtenstatistik für Betriebe. Abgrenzung der KMB nach Merkmal Beschäftigtenzahl. KMB sind Betriebe mit
25,3 Prozent der Unternehmen über kein Eigenkapital               weniger als 500 Beschäftigten.
                                                              6) Zahlen des Mikrozensus. Alle Wirtschaftszweige insgesamt (WZ A-U der WZ 2008), d.h. jedoch nur einschließlich private
verfügen oder eine Unterbilanz mit negativem Wert aus-            Haushalte mit Bedienungspersonal (WZ T), da in der öffentlichen Verwaltung (WZ O) und in den exterritorialen Organisationen
                                                                  (WZ U) keine Selbstständigen vorhanden sind.
weisen.                                                       7) Selbstständigenquote = Anteil der Selbstständigen an den Erwerbstätigen in %.
                                                              8) Zahlen des Mikrozensus. Alle Wirtschaftszweige insgesamt ohne Land- und Forstwirtschaft, Fischerei und Fischzucht, d.h. WZ
                                                                  B-U der WZ 2008.
                                                              9) Schätzung des IfM Bonn. Basisdaten: Umsatzsteuerstatistik. Alle Wirtschaftszweige der gewerblichen Wirtschaft und freien
                                                                  Berufe, d.h. WZ A-N, P-S der WZ 2008. Abgrenzung der KMU nach Merkmal Umsatzgröße.

38                                                            39
Sie können auch lesen