DICE POLICY BRIEF - IN DIESER AUSGABE
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Mai 2021 | Ausgabe 19 DICE POLICY BRIEF I N D I ES ER AU S G AB E Von der Rezession in die Depression? (S. 3) B2B-Plattformen in NRW (S. 8) Der Einfluss der Arbeitslosenversicherung auf die Arbeitssuche (S. 14) Foto: iStock / simonkr Verkehrsbelästigung: Was Stadtbewohner für Ruhe zahlen würden (S. 17) www.dice.hhu.de
ED ITO R IAL Liebe Leserinnen und Leser, dies ist bereits der vierte Policy Brief, der unter Coronabedingungen erscheint. Wir alle hatten zu Beginn der Pandemie die Hoffnung, dass das Virus nicht so ausdauernd unseren Alltag bestimmen würde. Das oeconomicum steht weitestgehend leer, die Kolleginnen und Kollegen arbeiten überwiegend von den heimischen Schreibtischen, genau wie die Studierenden. Wir alle sehnen das Ende der Pandemie herbei! Aber trotz aller Widrigkeiten, die die Pandemie mit sich bringt, gelingt es uns am DICE auch weiterhin fundierte Forschung zu betreiben. Ich freue mich sehr, dass wir Ihnen auszugsweise einiges davon in der 19. Ausgabe des Policy Briefs präsen- tieren dürfen. Die Themen diesmal: Daniel Kamhöfer analysiert die Auswirkungen von Konjunktureinbrüchen auf die mentale Gesundheit, Christiane Kehder und Ina Löbert beschäftigen sich mit B2B-Plattformen in NRW, Andreas Lichter untersucht Reformoptionen in der Arbeitslosenversicherung und Nicolas Wellmann beschäftigt sich gemeinsam mit Daniel Czarnowske mit dem Zusammenhang von Autoverkehr und Mietpreisen in Städten. Darüber hinaus präsentieren wir Ihnen aktuelle Neuig- keiten aus dem Institut. Übrigens: Gemeinsam mit Prof. Dr. Rupprecht Podszun, Direktor des Instituts für Kartellrecht an der HHU, spreche ich regelmäßig in unserem gemeinsamen Podcast „Bei Anruf Wettbewerb“ über aktuelle Themen aus der Wettbewerbswelt. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Sendung auch Ihr Interesse findet. Der Podcast erscheint wöchentlich z. B. bei Spotify, Apple-Podcast und vielen weiteren Podcast-Anbietern. Nun wünsche ich Ihnen eine unterhaltsame und aufschlussreiche Leselektüre! Ihr Prof. Dr. Justus Haucap Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie @DICEHHU
Von der wirtschaftlichen Rezession in die psychische Depression? Von Dr. Daniel Kamhöfer Der gesellschaftliche Lockdown hat die Auswir- durch Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum. Der britische kungen der COVID-19-Pandemie um eine „Corona- Ökonom Richard Layard hat vorgerechnet, dass jeder Euro, Rezession“ verschärft. Eine neue DICE-Studie legt nahe, der zur Behandlung von mentalen Erkrankungen eingesetzt dass diese Wirtschaftskrise unabhängig von den anderen wird, zwei Euro an anderer Stelle wieder einspart, etwa Konsequenzen der Pandemie negative Folgen für die men- durch geringere Sozialleistungen und bessere physische tale Gesundheit der Deutschen hat. Die Angst vor schwer- Gesundheit. Trotz dieser Hebelwirkung und dem großen wiegenden wirtschaftlichen Konsequenzen ist dabei be- Einsparpotenzial sind die Therapiemöglichkeiten mentaler deutsamer als die tatsächlichen Auswirkungen der Krise Leiden allerdings bisher deutlich weniger umfangreich, als auf das eigene Einkommen und den Arbeitsplatz. dies bei physischen Erkrankungen der Fall ist. Umso wich- tiger ist zu erkennen, warum Menschen mental erkranken. Wie kann man die Ausbreitung des Corona-Virus stop- Um den Zusammenhang von wirtschaftlicher Entwicklung pen und die körperliche Gesundheit vieler Menschen und mentaler Gesundheit besser zu verstehen, haben wir schützen? Diese Frage steht weltweit im Mittelpunkt Konjunkturschwankungen von 2000 bis 2016 untersucht. zahlreicher Debatten. Zu kurz kommt dabei allerdings Da die gegenwärtige Pandemie die mentale Gesundheit oft, dass das Virus neben den körperlichen Symptomen nicht nur durch die wirtschaftliche Lage beeinflusst, son- auch andere indirekte Krankheiten auslösen kann. dern auch durch die Angst vor Ansteckung und Die Angst sich zu infizieren, aber auch die Sorge durch soziale Isolation, eignet sich die Corona- um den eigenen Arbeitsplatz und das zukünf- Rezession selbst nicht für die Untersuchung. Über ein Drittel tige wirtschaftliche Wohlergehen in Folge Abbildung 1 legt aber nahe, dass die wirt- von Lockdowns führen bei vielen Menschen aller diagnostizierten schaftliche Entwicklung während der ers- zu existenziellen Sorgen und Leid. Dies Erkrankungen ten Corona-Welle durchaus mit anderen kann wiederum mentale Erkrankungen – in Industrienationen Wirtschaftskrisen vergleichbar ist. Die Ab- von gedrückter Stimmung über Depressio- bildung zeigt die jährlichen Änderungen ist mentaler Natur nen bis hin zu Angststörungen – verursachen. der Bruttowertschöpfung nach Branchen in In unserer Studie haben wir anhand vergange- Deutschland. Die Bruttowertschöpfung ist der ner Rezessionen untersucht, ob wirtschaftliche Gesamtwert aller Waren und Dienstleistungen, die Schwankungen mit schlechterem mentalen Wohlbefinden in einem Jahr in der jeweiligen Branche hergestellt und einhergehen. angeboten werden. Die Summe über alle Branchen ent- spricht dem bekannteren Bruttoinlandsprodukt. Die Ge- Psychische Erkrankungen gehören zu den häufigsten Ge- samtproduktion (dargestellt in rot) ist in den ersten beiden sundheitsproblemen weltweit. Über ein Drittel aller diag- Quartalen 2020 um etwa 5 % verglichen zu den Vorjahres- nostizierten Erkrankungen in Industrienationen ist menta- quartalen eingebrochen. Diese Größenordnung entspricht in ler Natur. Dabei sind mentale Erkrankungen eng verbunden etwa dem Einbruch während der Finanzkrise 2009. Der Pro- mit körperlichen Leiden, beispielsweise hervorgerufen duktionseinbruch hängt dabei stark von der betrachteten 3
VO N DE R W I RT S CH A FT L I CH E N REZ ENS ION IN DIE P S YC H IS C H E D EPR ESSI ON? Wirtschaftsentwicklung über die Zeit 20 (jährliche Änderung der Bruttowertschöpfung in %) Finanzkrise 2009 Corona-Rezession 15 Quartal 1 & 2, 2020 WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG 10 5 BRANCHE 0 Insgesamt (Bruttoinlandsprodukt) -5 Verarbeitendes Gewerbe Öffentl. Dienstleister, -10 Erziehung, Gesundheit Finanz- und Versicherungs- -15 dienstleistungen Handel, Verkehr, Gastgewerbe -20 Sonstige (u.a. Bau und Energie) 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020 JAHR Abbildung 1 Anmerkung: Eigene Darstellung basierend auf Daten der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (Statistisches Bundesamt, 2020), Wirtschaftszeige nach WZ08-Klassifikation. Jährliche Änderung der preisbereinigten Bruttowertschöpfung. Für 2020 Vergleich der ersten beiden Quarte mit den ersten beiden Quartalen 2019. Branche ab. Das verarbeitende Gewerbe, das exportstarke chen von 0 („gar nicht zufrieden“) bis 10 („sehr zufrieden“). Wirtschaftszweige wie die Autoindustrie und den Maschi- Dieses Maß kann als eine Art Frühwarnindikator für men- nenbau umfasst, weist stärkere Ausschläge auf. Die im tale Probleme betrachtet werden. Daneben verwenden wir öffentlichen Dienst erbrachte Wertschöpfung, dazu zäh- ein direkteres Maß, um mentale Gesundheitsprobleme zu len z. B. Lehrer- und Polizeigehälter, ist im Gegensatz messen, den „Mental Health Summary Score“. Dieser dazu relativ konstant. Score leitet sich aus zwölf Fragen zu körperlichen und mentalen Beschwerden ab und ist ein in Wir nutzen diese Schwankungen in der Unsere der Gesundheitswissenschaft weit verbrei- Wirtschaftsleistung für unsere Untersu- Untersuchung weist tetes Maß. Anders als beispielsweise kli- chung. Neben den Daten zur Wirtschafts- darauf hin, dass Ängste nische Diagnosen haben unsere beiden entwicklung verwenden wir zudem re- um die zukünftige Maße den Vorteil, dass sie bereits kleine präsentative Befragungsdaten aus dem wirtschaftliche Lage eine Änderungen in der mentalen Gesundheit Sozio-ökonomischen Panel – Deutsch- entscheidende Rolle erfassen. lands älterster, wiederholter Befragung spielen von derzeit etwa 14.000 Haushalten pro Jahr. Abbildung 2 setzt die beiden Maße für men- Inwieweit die Befragten von Schwankungen in tale Gesundheit ins Verhältnis zur jährlichen der Wirtschaft betroffen sind, ergibt sich aus ihrem Änderung der Wirtschaftsleistung. Dazu bringen wir Beruf sowie der Banche, in der sie arbeiten. Die Daten ent- zuerst Lebenszufriedenheit und den Mental Health Score halten darüber hinaus zwei Maße für mentale Beschwerden. auf die gleiche Skala, um ihre Entwicklung so vergleichbar Zum einen bewerten die Befragten, wie zufrieden sie insge- zu machen. Wir setzen den Durchschnitt auf null und die samt mit ihrem Leben sind. Die möglichen Antworten rei- Standardabweichung, ein Maß für die Streuung, auf eins. 4
VON D ER WI RTSCHAF TLI CHEN R EZENSI ON I N D I E PSYCHI SCHE DEP R E S S I ON ? Jeder Kreis der Abbildung gibt eine der beobachteten Kom- Lebenszufriedenheit und Mental Health Score um etwa 30 % binationen von Produktionsänderung und mentalem Ge- einer Standardabweichung. Diese Effektgröße lässt sich an- sundheitsmaß wieder. Desto größer der Kreis, umso mehr hand einer Rangliste veranschaulichen. Die Rangliste reicht Personen arbeiten in der Branche, auf die sich die Produkti- von 1 (die zufriedenste Person) bis 100 (die unzufriedenste onsänderung bezieht. Die roten Trends in Abbildung 2 geben Person). Angenommen eine Person, die im verarbeitenden die durchschnittliche Änderung von Lebenszufriedenheit Gewerbe arbeitet, lag 2008 in der Mitte der Rangliste auf und Mental Health Score pro Ein-Prozentpunkt-Anstieg Rang 50. Würde die Wirtschaftskrise nur diese Person be- der Bruttowertschöpfung an. Steigt die Bruttowertschöp- treffen, läge sie 2009 nur noch auf Rang 60. Die Ergebnisse fung um einen Prozentpunkt, also beispielsweise um vier weisen also darauf hin, dass wirtschaftliche Rezessionen statt um drei Prozent, nimmt die Lebenszufriedenheit um mit einer schlechteren mentalen Gesundheit einhergehen. durchschnittlich 1,6 % einer Standardabweichung zu. Für den Mental Health Score beträgt diese Zunahme 1,5 %. Fällt die Dieser Befund hält auch dann, wenn wir die Anzahl der kli- Produktion also um etwa 20 Prozentpunkte, wie beim ver- nisch diagnostizierten Depression als „härteres“ Maß für arbeitenden Gewerbe während der Finanzkrise 2009, sinken mentale Gesundheit verwenden. Selbst ein statistisches Jährliche Änderung in der branchen- und bundeslandspezifischen Bruttowertschöpfung pro Einwohner in %) 5 5 25 25 statistischer 0 0 Zusammenhang -25 -25 -10 -5 0 5 10 -10 -5 0 5 10 LEBENSZUFRIEDENHEIT MENTAL HEALTH SCORE Abbildung 2: Mentale Gesundheit steigt mit der Wirtschaftsleistung Anmerkung: Eigene Darstellung basierend auf Daten des Sozio-ökonomischen Panels und der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (Statistisches Bun- desamt, 2020). Die Größe der Kreise ist proportional zur Anzahl der Beobachtungen, die in die Berechnung eingeflossen sind. Die Linien entsprechen dem Trend nach der Methode der kleinsten Quadrate. Lebenszufriedenheit und mentale Gesundheit wurden um Geschlecht, Alter, Familienstand und Anzahl der Kinder der Befragten bereinigt. 5
VO N DE R W I RT S CH A FT L I CH E N REZ ENS ION IN DIE P S YC H IS C H E D EPR ESSI ON? Verfahren, das berücksichtigt, dass Personen angesichts die mentale Gesundheit ist als die tatsächlichen Auswir- von Wirtschaftskrisen die Branche wechseln oder gar inner- kungen. Eine Politik, der es gelingt, wirtschaftliche Exis- halb Deutschlands in weniger stark betroffene Regionen zie- tenzängste im Angesicht einer Rezession zu mindern, kann hen, ändert das Ergebnis nicht. Unsere Untersuchung weist einen wichtigen Beitrag dazu leisten, mentale Folgen für darauf hin, dass Ängste um die zukünftige wirtschaftliche die Bevölkerung abzufedern. Unter diesem Gesichtspunkt Lage eine entscheidende Rolle spielen. Durch die Finanzkrise ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung gleich zu haben beispielsweise dank Kurzarbeit und anderer Maß- Beginn der Krise medienwirksam angekündigt hat, große nahmen nur relativ wenige Menschen tatsächlich ihren Job Hilfspakete für die Wirtschaft bereit zu stellen. Ein Beispiel verloren. Die Anzahl der Personen, die Angst um ihren Job dafür ist vielbeachtete Pressekonferenz von Wirtschafts- hatten, war allerdings viel größer. Die erwarteten wirtschaft- minister Peter Altmaier und Finanzminister Olaf Scholz im lichen Einschränkungen wiegen schwerer als die tatsäch- März 2020. Die Ankündigung, „die Bazooka rauszuholen“, lichen Auswirkungen der Wirtschaftskrise. um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu bekämpfen, führt auch zu einem psychologischen Gegen- FAZIT steuern gegen die Krise. Übertragen auf die Corona-Rezession weisen unsere Er- DI C E P U B LI K AT I O N gebnisse darauf hin, dass neben den direkten Folgen des Virus die Gesundheit auch indirekt durch die schlechtere Daniel Avdic, Sonja C. de New & Daniel Kamhöfer, (2020) : Economic- Wirtschaftsentwicklung leidet. Ein Hoffnungsschimmer ist, downturns and mental wellbeing, DICE Discussion Paper, No. 337, online dass die erwartete wirtschaftliche Situation wichtiger für verfügbar unter: https://ideas.repec.org/p/zbw/dicedp/337.html KOM PA KT Von der wirtschaftlichen Rezession in die psychische Depression? à E ine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage führt zu einer Beeinträchtigung der mentalen Gesundheit. à G roße Hilfspakete für die Wirtschaft während der Corona Krise können dazu beitragen, indirekte gesundheitliche Folgen der Pandemie abzufedern. 6
A K TUE LLES NE WS Logo: Clemens Pfeifer Podcast: Bei Anruf Wettbewerb Zum Jahresbeginn startete das DICE gemeinsam mit dem Institut für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf einen eigenen Podcast. In der wöchentlich erscheinenden Sendung fachsimpeln DICE-Direktor Prof. Dr. Justus Haucap und der Direktor des Instituts für Kartellrecht Prof. Dr. Rupprecht Podszun über Marktmacht von Unternehmen und Plattformen oder interessante Neuigkeiten aus dem Bereich des Wettbewerbs. Der Podcast ist überall erhältlich, wo es Podcasts gibt, unter anderem bei Spotify oder Apple-Podcasts. Simon Martin erhält ZEW Förderpreis Distinguished CESifo für Andreas Lichter Affiliate Award Gemeinsam mit Prof. Dr. Sebastian Siegloch, Leiter des ZEW Forschungsbereichs „Soziale Sicherung und Verteilung“ DR. SIMON MARTIN wurde mit dem Distinguished und Ass.-Prof. Dr. Max Löffler (ZEW) wurde JUN.-PROF. DR. CESifo Affiliate Award ausgezeichnet. Geehrt wurde ANDREAS LICHTER vom Förderkreis Wissenschaft und der Post-Doc für seinen Beitrag mit dem Titel „Market Praxis e. V., Mannheim, für die beste wissenschaftliche Transparency and Consumer Search - Evidence from the Arbeit geehrt. In der prämierten Studie „The Long-Term Cost German Retail Gasoline Market“. Darin hat Martin un- of Government Surveillance: Insights from Stasi Spying in tersucht, welchen Einfluss die Preistransparenz im Ben- East Germany“ analysieren die drei Autoren, wie sich die zinmarkt auf die Tankpreise hat. Danach wäre Benzin Überwachungsaktivitäten der Stasi langfristig und negativ in Deutschland etwa um 1 % günstiger, wenn statt der auf die Vertrauensbildung, das kooperative Miteinander so- Preise aller Tankstellen, nur die jeweils günstigsten über wie das politische Engagement der Betroffenen auswirken. Vergleichs-Apps veröffentlicht würden, wie es etwa in Wie die empirische Untersuchung zeigt, hat der durch die Österreich der Fall ist. Stasi-Überwachung verursachte Verlust an Sozialkapital bis heute negative Folgen für die Wirtschaftsleistung in den Mit dem Distinguished CESifo Affiliate Award wird der neuen Bundesländern. Das prämierte Papier wurde in der beste Vortrag im Rahmen der jährlichen CESifo Area Zeitschrift „Journal of the European Economic Association“ Konferenzen ausgezeichnet. Nominiert werden aus- publiziert. Mit dem Preis zeichnet der ZEW – Förderkreis schließlich junge Wissenschaftler, die entweder kurz vor Wissenschaft und Praxis e. V., Mannheim, herausragende dem Abschluss ihrer Doktorarbeit stehen oder die ihre wissenschaftliche Leistungen aus. Der Preis ist mit 5.000 Doktorarbeit in den letzten fünf Jahren abgeschlossen Euro dotiert. haben. Die Kriterien für die Auszeichnung sind wissen- schaftliche Originalität, politische Relevanz und Qualität der Darstellung. Das Gewinnerpapier wird in der CESifo Working Paper Series erscheinen. 7
B2B-Plattformen in NRW: Potenziale, Hemmnisse und Handlungsoptionen Von Dr. Christiane Kehder und Dr. Ina Loebert Apple, Google, Facebook und Amazon („GAFA“) und wie Potenziale weiter gefördert sowie Hemmnisse ab- haben den Alltag der meisten Menschen verändert gebaut werden können. und auch vereinfacht. Aber nicht nur für private Nutzer spielen digitale Plattformen eine bedeutende Rolle, sie Für den Bereich der B2B-Plattformökonomie verfügt NRW gewinnen auch für die Kommunikations- und Geschäfts- über zwei wesentliche Stärken: Zum einen verfügt NRW beziehungen von Unternehmen untereinander zunehmend über einen starken industriellen Sektor, etwa im Bereich an Bedeutung. Maschinenbau, Chemische Industrie oder der Stahl- und Metallindustrie und -verarbeitung, der insgesamt große Chancen im Internet of Things (IoT), aber auch für andere Plattformmärkte, heute als „zweiseitige“ oder auch „mehr- B2B-Plattformen eröffnet. Zum zweiten profitiert NRW da- seitige“ Märkte bekannt, gewinnen in sämtlichen Wirt- von, Standort für viele internationale Messen zu sein, was schaftsbereichen immer weiter an Bedeutung und stellen ein erhebliches Potenzial für Online-Marktplätze birgt. regelmäßig traditionelle Geschäftsmodelle vor neue Her- ausforderungen. So haben die sogenannten GAFA-Unter- NRW beheimatet viele Weltmarktführer. Insbesondere für nehmen (Apple, Google, Facebook und Amazon) unseren jene im industriellen Bereich ergeben sich große Chancen, Alltag oft erheblich vereinfacht. Traditionell decken die eine wichtige Vorreiterrolle in der B2B-Plattformökonomie GAFA-Unternehmen einen Bereich ab, der heute allgemein einzunehmen. Namhafte, weltbekannte Unternehmen als „business-to-consumer“ – („B2C“-) Bereich bezeichnet haben erhebliche Vorteile, Vertrauensprobleme bei der wird, also Geschäfts- und Kommunikationsbeziehungen Plattformgründung relativ einfach zu überwinden, da sie zwischen Unternehmen und Privatpersonen. Neben diesem für Qualität, Verlässlichkeit und Beständigkeit stehen. Zu- B2C-Bereich ist in den letzten Jahren auch eine zunehmende dem verfügen sie über das nötige Branchen-Know-how zur Plattformnutzung im sogenannten „Business-to-Business“- Entwicklung von B2B-Plattformen in ihren Branchen. Viele Bereich (B2B) zu beobachten. Auch im B2B-Bereich können Unternehmen in NRW, insbesondere im Bereich Maschinen- Plattformen zu einer erheblichen Senkung von Transaktions- bau, Chemische Industrie und Stahl- und Metallindustrie und kosten auf sämtlichen Stufen der unternehmerischen Wert- -Verarbeitung weisen damit die wesentlichen Erfolgskriterien schöpfung beitragen und so die Effizienz der Unternehmen für B2B-Plattformen auf. Durch die große Anzahl an kleine deutlich erhöhen. Ein Blick in die wissenschaftliche Literatur und mittelständische Unternehmen in den einzelnen Bran- gibt Grund zur Annahme, dass digitale Plattform-Modelle chen in NRW finden sich zudem schnell Plattformnutzer, die das wirtschaftliche Geschehen in Zukunft in vielen Bereichen zumindest in manchen Fällen bei der Plattformgründung prägen werden. hilfreich sein können, schnell die kritische Masse zu errei- chen. Der starke industrielle Sektor bietet damit grundsätz- B2B-LAND NRW? lich optimale Bedingungen, eine Vorreiterrolle in der B2B- Plattformökonomie in einzelnen Branchen einzunehmen. In einer aktuellen Studie haben wir im Auftrag des Ministe- riums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie Neben dem starken industriellen Sektor profitiert NRW da- des Landes Nordrhein-Westfalen (MWIDE NRW) für NRW von, Standort zweier international bekannter Messegesell- untersucht, welche Potenziale für den Aufbau von Plattfor- schaften zu sein, an denen das Land zudem Beteiligungen men im B2B-Bereich liegen, aber auch welche Hemmnisse hält. Messegesellschaften bieten optimale Voraussetzungen das Land für die Entwicklung von B2B-Plattformen aufweist dafür, die B2B-Plattformökonomie im Bereich der Markt- 8
B2B -PL ATTFOR MEN I N NRW: POTENZI ALE,HEMMNI SSE UND HAND LU N G S OP TI ON EN B2B-Plattformen in Nordrhein-Westfalen Bielefeld Münster Paderborn Essen Düsseldorf Köln Aachen Bonn 1 – 2 Plattformen 3 – 4 Plattformen 5 – 10 Plattformen > Plattformen plätze nachhaltig zu beeinflussen, da sie über die notwendi- zureichende Digitalisierungskompetenzen in den Unter- gen internationalen Kontakte und Vertriebsnetzwerke sowie nehmen und die Kosten und Investitionen, die aufgebracht das erforderliche Branchen-Know-how verfügen. Hierdurch werden müssen, um B2B-Plattformen zu nutzen oder zu vermögen es Messegesellschaften einfach und schnell, die entwickeln. Bei der Identifizierung von Hemmnissen kann wesentlichen Hemmnisse für die erfolgreiche Gründung von zwischen Hemmnissen für die Plattformnutzung einer- B2B-Plattformen wie die Schaffung von Vertrauen im Markt seits und Hemmnissen, welche die eigene Entwicklung und die Bildung einer kritischen Masse an Teilnehmern zu von B2B-Plattformen hindern andererseits, unterschieden überwinden. Der Markt für den B2B-E-Commerce ist eines werden. Die Grenzen verlaufen jedoch fließend, da Fakto- der größten Segmente der deutschen Internetwirtschaft mit ren, welche die Plattformnutzung auf Unternehmensseite hohen Wachstumserwartungen in den nächsten Jahren. In hemmen gleichzeitig auch einen negativen Effekt auf die diesem Bereich besteht ein erhebliches Potenzial für bran- Entstehung neuer B2B-Plattformen entfalten, da diese nur chenspezifische Marktplätze. Für die Politik in NRW ergibt erfolgreich sein werden, wenn entsprechend viele Unter- sich damit die einmalige Chance, aktiv dazu beizutragen, nehmen auch B2B-Plattformen nutzen. Solange es nicht Messegesellschaften mit Plattformgründern und innovati- gelingt, potenzielle Kunden von der Nutzung der Plattform ven Start-Ups zusammenzubringen und zum weiteren Auf- zu überzeugen, hemmt dies natürlich auch die Entwicklung bau von Online-Marktplätzen beizutragen. von B2B-Plattformen. Die identifizierten Hemmnisse sind grundsätzlich bei KMU und Unternehmen, die bislang keine Im Bereich der Dienstleistungen wurden Potenziale für NRW B2B-Plattformen nutzen, größer als bei großen Unterneh- insbesondere in den Bereichen Gesundheitswesen, Logistik, men und Konzernen und solchen Unternehmen, die bereits Handel, IKT und der Entsorgungsbranche identifiziert. Vortei- B2B-Plattformen nutzen. le ergeben sich hier beispielsweise durch die Ballungsräume und die Bevölkerungsdichte NRWs sowie mit Blick auf die HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN Logistik durch die zentrale Lage zu vielen angrenzenden eu- ropäischen Ländern. Aus den Hemmnissen für die Plattformnutzung und -ent- wicklung lassen sich verschiedene Handlungsoptionen für Als zentrale Hemmnisse für die Plattformnutzung und -ent- die Politik ableiten. So kann die Politik beispielsweise zur wicklung wurde fehlendes Vertrauen in die Plattformen und Kommunikation und Bewusstseinsbildung durch zielge- ihren dauerhaften Fortbestand identifiziert, aber auch un- richtete, branchenspezifische Veranstaltungen beitragen, 9
B2 B - PL ATT FO RM E N I N N RW: P OT ENZ IAL E, H EMMNIS S E UND H A ND LUNGSOPTI ONEN beispielsweise durch die Organisation von Netzwerkveran- IT- oder Geschäftsmodell-Fachleuten zusammenarbeiten, staltungen. Eine gezielte Kommunikation würde vor allem tragen zu einer offenen Innovationspolitik bei und können im Mittelstand zur Wissensbildung und Wahrnehmung der dabei helfen, Informationsdefizite in Unternehmen abzu- Potenziale von B2B-Plattformen beitragen – insbesondere bauen und gemeinsame Lösungsansätze zu erarbeiten. auch mit Blick auf die potenzielle Vorreiterrolle, die deutsche industrielle Unternehmen dabei einnehmen können. Zudem Ein weiterer Vorschlag, die B2B-Plattformentwicklung in können gezielte Bildungs- und Weiterbildungsangebote zu Nordrhein-Westfalen zu forcieren, liegt in der Förderung einer Reduzierung des allgemeinen Informationsdefizits zur von Gemeinschafts-Plattformen im B2B-Bereich, z. B. in der Plattformökonomie, aber auch ganz spezifisch zur Erhöhung Rechtsform einer Genossenschaft. Genossenschaften tragen von IT-Kompetenz beitragen. Hier kann die Landesregierung durch ihre speziellen Corporate Governance-Strukturen zur aktiv einen Beitrag leisten, derartige Angebote bereitzustel- Vertrauensbildung im Markt bei. Genossenschaftlich orga- len und als wichtiger Vermittler fungieren, indem Veranstal- nisierte B2B-Plattformen können sich demnach eignen, das tungen organisiert werden, bei denen Plattformbetreiber Vertrauensproblem bei der Gründung von B2B-Plattformen die Möglichkeit bekommen, ihre Lösungen bei potenziellen zu überwinden. Die Landesregierung kann hier einen Beitrag Plattformnutzern vorzustellen. Derartige Kommunikati- leisten, indem sie politische Entscheidungsträger, Genossen- onsstrategien sind insbesondere auch im Hinblick auf das schaftsverbände, Experten und KMU an einen Tisch bringt identifizierte Potenzial der Messen im Rahmen der Online- und über finanzielle Anreize oder explizite staatliche Förde- Marktplätze hervorzuheben. Auch hier kann es hilfreich sein, rungsmöglichkeiten zur Gründung von genossenschaftlichen Entscheidungsträger mit Plattformgründern und -experten B2B-Plattformen berät. zusammenzubringen. Branchenverbände oder gegebenen- falls auch die Kammern oder eine Kombination aus beiden DI C E P U B LI K AT I O N können als wichtige Kommunikatoren derartiger Veranstal- tungen fungieren. Zudem könnten Digital Hubs sogenannte Justus Haucap, Christiane Kehder und Ina Loebert (2021), B2B-Platt- „Plattform-Scouts“ implementieren, die eine wichtige Infor- formen in Nordrhein-Westfalen: Potenziale, Hemmnisse und Hand- mations- und Vermittlungsfunktion im Rahmen solcher Ver- lungsoptionen. Ein Gutachten im Auftrag des Ministeriums für Wirt- schaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein- anstaltungen einnehmen und zur Bewusstseinsschärfung Westfalen, Nomos Verlag: Baden-Baden. beitragen. Förderprogramme, in denen Unternehmen mit KOM PA KT B2B-Plattformen in NRW: Potenziale, Hemmnisse und Handlungsoptionen à NRW beheimatet viele große Unternehmen, was die Plattformgründung erleichtert. à D ie zentrale Lage und die hohe Bevölkerungsdichte erweist sich als Vorteil für Plattformgründungen. à U m Plattformgründungen zu forcieren, sollte die Landespolitik Informationsdefizite zur Plattformökonomie durch gezielte Weiterbildungsangebote und Netzwerk- veranstaltungen abbauen und B2B-Plattformentwicklungen fördern, indem sie Gespräche zwischen Verbänden, Experten und KMUs vermittelt. 10
I N TE RV I E W ALUMN I IM G ESP R ÄCH „Lernen Sie fürs Leben, nicht für eine Klausur.“ Elena Geifmann-Klöpfel absolvierte ihren Master am DICE und arbeitet heute der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Momentan berät sie dort als Management-Beraterin Mandanten aus dem Asset Management zu Fragestellungen mit Investmentbezug. Neben ihrem Beruf promoviert sie extern an der HHU. In ihrer Dissertationsschrift vereint sie ihre Expertise im Kunstmarkt und dem Portfolio Management, indem sie die Bedeutung von Kunst als Asset Klasse untersucht. Zudem ist sie Mitglied des Vorstandes der Förderstiftung des Kinder- und Jugendhospizes Regenbogenland. Frau Geifmann-Klöpfel, Sie haben im Jahr 2015 Ihren Master- Rückblickend auf Ihre Studienzeit: Was möchten Sie den Abschluss am DICE gemacht. Wie ist es seitdem mit Ihnen aktuellen VWL-Studierenden mit auf den Weg geben? beruflich weitergegangen? Lernen Sie fürs Leben, nicht für eine Klausur. Vieles, was ich Während des Studiums war ich bereits für die HSBC Trinkaus im Laufe des Studiums gelernt habe, habe ich auch auf andere und später auch für ein internationales Family Office tätig. Der Themengebiete übertragen können. Neben den Studieninhalten Schwerpunkt meiner Arbeit lag zunächst auf dem Portfolio ist es meiner Ansicht nach ebenfalls von Bedeutung, möglichst Management, später dann auf dem Management von Projek- viele praktische Erfahrungen zu sammeln und das theoretische ten mit Wertpapierbezug, in dessen Rahmen ich mit Unter- Wissen aus dem Studium direkt in der Praxis anzuwenden. nehmensberatern zusammengearbeitet habe. Dies weckte in Neben dem Fachlichen ist auch die persönliche Entwicklung mir den Wunsch, selbst in die Beratung zu gehen, zunächst zu entscheidend für den späteren Erfolg – insbesondere zu wis- CAPCO – The Capital Markets Company und dann zu der KPMG sen, was die eigenen Stärken sind und wie man diese gezielt AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, in der ich aktuell als Senior einsetzen kann. Überdies empfehle ich, sich bereits im Laufe Consultant unterschiedliche Mandanten aus dem Asset Manage- des Studiums ein Netzwerk aufzubauen. Nie war es leichter als ment bei Projekten und Fragestellungen mit Investmentbezug heute in Zeiten von Xing und LinkedIn. berate. Sie sind auch Vorstandsmitglied der Stiftung Kinder- und Wie sieht Ihr Berufsalltag konkret aus? Jugendhospiz Regenbogenland. Was machen Sie dort genau Einen Berufsalltag im „klassischen“ Sinne gibt es bei mir nicht. und wie sind Sie dazu gekommen? Als Management-Beraterin bin ich sehr stark eingebunden in Seit vielen Jahren unterstütze ich das Kinder- und Jugendhospiz Projekte, Prozesse und Fragestellungen meiner Mandanten. Ich Regenbogenland bei Fragestellungen rund um das Management verbringe viel Zeit in Kundenmeetings, vor Corona bin ich sehr seines Vermögens. Seit 2019 habe ich die Ehre, Mitglied des viel gereist, seit einem Jahr verläuft die Zusammenarbeit mit Vorstandes der Förderstiftung zu sein. Neben der Beschaffung den Mandanten komplett digital, was aber äußerst gut funk- der erforderlichen Mittel für das Kinder- und Jugendhospiz tioniert. Das Spannende an meiner Tätigkeit als Management- ist ein bedeutender Schwerpunkt unserer Arbeit bei der Stif- Beraterin ist die Vielschichtigkeit der Themen – zum einen kann tung die Unterstützung und Förderung von Projekten in der ich immer wieder Neues dazulernen, zum anderen das Gelernte medizinischen Forschung und Wissenschaft, deren Fokus auf auf andere Bereiche übertragen und damit Prozesse optimieren Kinder-Onkologie und der pädiatrischen Palliativmedizin liegt. oder etwas Innovatives initiieren. Dies geschieht u. a. gemeinsam mit namenhaften Kliniken und Universitäten. In den vergangenen Jahren haben wir ein breites Was haben Sie aus dem VWL-Studium an der HHU mitgenommen? Netzwerk an Förderern und Kooperationspartnern erfolgreich er- Insbesondere Abstraktes zu strukturieren und komplexe Sach- richten können, aus dem unterschiedliche gemeinsame Projekte verhalte zu vereinfachen. Dies hilft nicht nur in meinem Job als entwachsen sind. Die Arbeit in der Stiftung liegt mir sehr am Beraterin ungemein weiter, sondern auch im Alltag. Ein Dozent Herzen und führt mir immer wieder vor Augen, was im Leben sagte in einer Vorlesung zu mir: „Es gibt nichts, was man nicht wirklich wichtig ist. in zwei Sätzen erklären könnte, sodass es jeder versteht.“ Und genauso ist es. 2008 bis 2010 Student Trainee (WSH Deutsche Vermögenscontrolling) 2010 bis 2014 Student Trainee (BSBC Trinkaus & Burkhardt) 2015 Master Volkswirtschaftslehre Universität Düsseldorf (DICE) 2014 bis 2015 Assistant to Managing Director (Anthos Düsseldorf) 2015 bis 2016 Project Manager (Anthos Düsseldorf) 2016 bis 2017 Consultant (Capco) 2017 bis heute Management Beraterin (KPMG) 11
A KT U E LLE S NE WS IHK-Preis für die besten Abschlussarbeiten an Jana Gieselmann und Kai Fischer Im Rahmen der traditionellen HHU Examensfeier wurden die Abschlussarbeiten von JANA GIESELMANN (Master) und KAI FISCHER (Bachelor) von der IHK zu Düsseldorf ausgezeichnet und mit dem IHK Preis geehrt. Jana Gieselmann erhielt den mit 2.000 Euro dotierten Preis für ihre Masterarbeit mit dem Titel „Platform Investment Incentives in Two-Sided Markets“. Darin beschäftigt sie sich mit zwei Plattformen, die in Preisen und Investitionen konkurrieren. Diese Investitionen nutzen die Plattformen, um in einem zweiseitigen Markt die Netzwerkgröße der einen Seite zu beeinflussen. In ihrem Beispiel nutzen Dating-Plattformen Fake-Profile, um die Netzwerkgröße der Frauen künstlich zu erhöhen. Mit ihrer Analyse konnte Jana Gieselmann zeigen, dass diese Praxis für die Plattformen häufig nicht profitabel ist. Den Preis für die beste Bachelorarbeit (Dotierung 1.000 Euro) erhielt Kai Fischer für seine Arbeit mit dem Titel „Spillovers from Nightly Off-Premise Alcohol Prohibition on Gasoline Prices? Evidence from Germany“. Fischer konnte zeigen, dass Tank- stellen bewusst die Preise senken, um Verbraucher anzulocken, die dann im tankstelleneigenen Shop Produkte mit hohen Gewinnmargen einkaufen. Die Arbeit zeigt die Mehrdimensionalität des Tankstellengeschäftes, die in der Literatur häufig keine oder nur wenig Berücksichtigung findet. Katharina Erhardt verstärkt das DICE Seit 1. Februar 2021 ist KATHARINA ERHARDT Professorin für Wirtschaftspolitik, insb. Handels- und Wettbewerbspolitik, am DICE. Erhardt war bis Januar 2021 an der ETH Zürich beschäftigt, zunächst als Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin, anschließend als Post-Doc. Von 2019 bis 2021 war sie zudem Post-Doc am MIT in Cambridge, Massachusetts. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich des internationalen Handels, insbesondere der Firmenheterogenität, ihrer Entstehung und ihrer Rolle für den internationalen Han- del, des Firmenverhaltens im Kontext des internationalen Handels, der Handelspolitik, der Lieferanten-Käufer-Beziehungen und der internationalen Produktionsnetzwerke, sowie der Wirtschaftsgeographie. Katharina Erhardt Würdigung für André Sterzel DR. ANDRÉ STERZEL wurde von der Kreissparkasse Düsseldorf für die beste Dissertation des Jahres 2019 der Wirtschafts- wissenschaftlichen Fakultät (gemeinsam mit Dr. Kai Alexander Bauch, Lehrstuhl für BWL, insb. Accounting Prof. Weißen- berger) ausgezeichnet. In seiner Dissertation beschäftigte sich Sterzel mit den Auswirkungen einer Entprivilegierung von Staatsanleihen in der Bankenregulierung auf den Bankensektor und die Finanzstabilität. Derzeit werden Staatsanleihen in den meisten Regulierungsnormen sowohl als ausfallrisikofrei wie auch als jederzeit ohne Wertverlust handelbar eingestuft. Die Arbeit wurde von Prof. Dr. Ulrike Neyer betreut. 12
A K TUE LLES Promotionen und Abgänge Ende Dezember wurden gleich zwei Doktorandinnen und Doktoranden erfolgreich am DICE promoviert. OLIVIA BODNAR setzte sich im Rahmen ihrer Dissertation mit der empirischen Evaluation von bestimmten Case Studies zu den Themenfeldern Kartell- recht und regulatorische Angelegenheiten auseinander. Dabei hat sie mit Koautoren einen Indikator zur Messung von Marktmacht im Bereich Energiegroßhandel entwi- Olivia Bodnar ckelt, die Wettbewerbswirkung von vertikalen Minderheitsbeteiligungen und privaten Schadensersatzklagen analysiert, sowie die Effekte von Selbstdispensationsrechten von Hausärzten untersucht. Die Promotion wurde von Prof. Dr. Annika Herr (Univer- sität Hannover, ehemals DICE) und Prof. Dr. Justus Haucap betreut. Bodnar verlässt das DICE und ist künftig als Economist für DICE Consult tätig. Ebenfalls erfolgreich schloss NICOLAS WELLMANN seine Promotion ab, die von Prof. Dr. Justus Haucap und Prof. Dr. Ulrich Heimeshoff betreut wurde. Die Arbeit beschäftigt sich empirisch mit Konsumentenverhalten und Wettbewerb. Wellmann arbeitet seit Januar 2021 bei der Deutschen Telekom. Chi Trieu Die erste Promotion des Jahres 2021 am DICE schloss CHI TRIEU im Februar 2021 erfolg- reich ab. Sie untersuchte mit Hilfe von Laborexperimenten drei weit verbreitete Konzepte der Verhaltensökonomie: Fairness, Überzeugungen und begrenzte Aufmerksamkeit, je- weils in ihrem relevanten institutionellen Kontext. Betreut wurde die Arbeit von Prof. Dr. Hannah Schildberg-Hörisch und Prof. Dr. Hans-Theo Normann. DR. JOHANNES ODENKIRCHEN und DR. FLORIAN KNAUTH wechselten zum 1. Februar 2021 zur wettbewerbsökonomischen Beratungsgesellschaft Compass Lexecon. Odenkirchen war seit dem Jahr 2017 am DICE, zunächst als Doktorand, spä- ter als Post-Doc. Florian Knauth promovierte von 2014 bis 2018 am DICE und forschte Nicolas Wellmann anschließend ebenfalls als Post-Doc. Das DICE ebenfalls verlassen hat DR. NICO STEFFEN. Steffen war zunächst Doktorand, später Post-Doc am DICE und arbeitet künftig als Senior Economist beim Wissenschaft- lichen Institut für Infrastruktur und Kommunikationsdienste (WIK). Neue Mitgliedschaften Neue Aufgaben bringen gleich drei neue Mitgliedschaften von DICE Direktor PROF. DR. JUSTUS HAUCAP mit sich: Zum einen ist er seit Januar 2021 neues Mitglied des Academic Advisory Board of the European Crowdfunding Networks (ECN). Das ECN ist gemeinnützige Organisation mit über 70 Mitgliedern, die von führenden alternativen Finanzplattformen und verwandten Interessengruppen in ganz Europa unterstützt wird. Ziel der Organisation ist es, die wissenschaftliche Debatte und Forschung zu alternativen Finanzierungen zu vertiefen und den Dialog zwischen Akademikern und Praktikern in diesem Sektor zu fördern. Zum anderen wurde Haucap in den Beirat des Instituts für ökonomische Bildung an der Universität Oldenburg berufen. Ferner wurde er in den Verwaltungsrat des Bundes der Steuerzahler NRW gewählt. 13
Der Einfluss der Arbeitslosen- versicherung auf die Arbeitssuche Von Jun.-Prof. Dr. Andreas Lichter Die finanzielle Absicherung von Arbeitslosen ist oder einen höheren Lohn für einen Wiedereinstieg ins Be- eine der wichtigsten Säulen moderner Sozialver- rufsleben fordern. Empirische Evidenz zu den beschriebenen sicherungssysteme. Über die optimale Ausgestaltung der Verhaltensanpassungen war bislang jedoch rar. Hier setzt Arbeitslosenversicherung wird jedoch nach wie vor kon- unsere Studie mit dem Titel „Benefit Duration, Job Search trovers diskutiert. Eine neue Studie legt dar, wie die Aus- Behavior and Re-employment” an. Wir untersuchen am gestaltung der Arbeitslosenversicherung die Suche nach Beispiel Deutschlands detailliert, wie eine Verlängerung der Wiederbeschäftigung und die Dauer der Arbeitslosigkeit möglichen Bezugsdauer von Arbeitslosengeld den Suchauf- betroffener Personen beeinflussen kann. wand nach Wiederbeschäftigung von Arbeitslosen und de- ren Reservationslohn – den Lohn, zu dem ein Arbeitnehmer Der Verlust des eigenen Arbeitsplatzes ist für viele Men- gerade noch bereit ist zu arbeiten – beeinflusst. Erkenntnis- schen ein einschneidendes Erlebnis und oftmals mit be- se zu möglichen Effekten auf diese zwei Parameter indivi- trächtlichen monetären wie auch nicht-monetären Konse- duellem Sucherverhaltens liefern dabei Aufschluss darüber, quenzen verbunden. Staatliche Arbeitslosenversicherungen mit welchen konkreten Politikmaßnahmen ungewünschte dienen dann als wichtiges Sicherheitsnetz, welches Lohn- Verhaltensanpassungen vermieden und Fehlanreize eines ausfälle zumindest teilweise über einen gewissen Zeitraum großzügigen Versicherungssystems reduziert oder ganz ver- hinweg auffängt. Während daher das generelle Konzept mieden werden könnten. einer Arbeitslosenversicherung als sinnvolles und wichti- ges Politikinstrument der sozialen Absicherung anerkannt Zur Bestimmung des Effektes der Arbeitslosenversicherung wird, wird die optimale Ausgestaltung der Arbeitslosenver- auf das Suchverhalten von Arbeitslosen betrachten wir im sicherung in Politik und Wissenschaft nach wie vor intensiv Konkreten die Verlängerung der möglichen Bezugsdauer von diskutiert. Dies zeigt sich unter anderem in den teils sehr Arbeitslosengeld für ältere Arbeitslose (50+) in Deutschland unterschiedlichen Versicherungssystemen einzelner Län- seit dem 1. Januar 2008. Die Reform führte zu einer Erhö- der, als auch in den fortlaufenden institutionellen Anpas- hung der Bezugsdauer für Arbeitssuchende im Alter von sungen der einzelnen Versicherungen. Allen Unterschieden 50 – 54 Jahren von 12 auf 15 Monate, sowie für Arbeitssu- und Änderungen liegt dabei letztlich ein einziger Konflikt chende im Alter von 58+ von 18 auf 24 Monate, falls wie hier, zu Grunde: die Bereitstellung eines bestmöglichen Versi- die Dauer der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung cherungsschutzes bei möglichst geringen Fehlanreizen. vor Arbeitslosigkeit über fünf Jahre betragen hat. Jüngere Problematisch ist dieser Konflikt vor allem dadurch, dass Arbeitslose waren hingegen nicht betroffen, ihre Bezugs- die wichtigste Stellschraube in der konkreten Ausgestal- dauer blieb konstant. Die Reform kam überraschend, sowohl tung der Arbeitslosenversicherung – die Bezugsdauer des für die Betroffenen als auch die allermeisten Politikerinnen Arbeitslosengeldes – einerseits den persönlichen und volks- und Politiker selbst. Sie war nicht im Koalitionsvertrag der wirtschaftlichen Wert der Arbeitslosenversicherung erhöht, damaligen Regierung vereinbart, und der Reformvorschlag andererseits aber den Anreiz zur intensiven Jobsuche min- durch Kurt Beck (SPD) am 1. Oktober 2007 traf nicht nur beim dert. Dies zeigen übereinstimmend verschiedene Studien Koalitionspartner (der CDU/CSU), sondern auch innerhalb der aus beispielswiese Deutschland, den USA oder Frankreich eigenen Partei auf Gegenwehr. Politische Dynamiken führ- – Länder mit sehr unterschiedlich ausgestalteten Versiche- ten letztlich aber dazu, dass die Anpassungen der Arbeits- rungssystemen. Eine Verlängerung der Bezugsdauer erhöht losenversicherung bereits wenige Wochen später innerhalb die Verweildauer in Arbeitslosigkeit substanziell. der Koalition abgesegnet und bereits am 11. Dezember 2007 als Gesetzvorschlag in den Bundestag eingebracht wurden. Theoretisch kann dieser Effekt dadurch erklärt werden, dass Der Gesetzesentwurf wurde Mitte Januar 2008 verabschie- Arbeitssuchende aufgrund längerer Versicherungsleistun- det und die Anpassungen rückwirkend zum 1. Januar 2008 gen die Suche nach Wiederbeschäftigung reduzieren und/ in Kraft gesetzt. 14
D ER EI NF LUSS D ER AR BEI TSLOSENVER SI CHER UNG AUF D I E A R BEI TS S UCH E Gesamtzahl der Bewerbungen INDIVIDUALS AGED 50 – 54 INDIVIDUALS AGED 45 – 49 .06 .06 Equality-of-Distributions: Equality-of-Distributions: p-value=0.012 p-value=0.874 .04 .04 DESTINY DESTINY .02 .02 0 0 Pre reform 0 20 40 60 80 0 20 40 60 80 Post reform NUMBER OF APPLICATIONS NUMBER OF APPLICATIONS Abbildung 1 Ein aus wissenschaftlicher Sicht glücklicher Zufall: Die be- Um den kausalen Effekt der Reform der Arbeitslosen- schriebene Reform fällt in den Erhebungszeitraum des IZA versicherung auf das Suchverhalten und die Dauer der Evaluation Datasets, einer repräsentativen Befragung von Arbeitslosigkeit zu schätzen, nutzen wir daher den soge- Personen im Alter von 18 bis 54 Jahren, die sich im Zeitraum nannten Differenz-in-Differenzen (Diff-in-Diff) Ansatz. Juni 2007 bis Mai 2008 arbeitslos meldeten. Der Datensatz Dieser erlaubt es, den eigentlichen Effekt der Reform von beinhaltet für jede befragte Person detaillierte Angaben zur saisonalen oder konjunkturellen Einflüssen zu trennen, in- eigenen Beschäftigungshistorie, dem Reservationslohn zum dem eine zweite Gruppe arbeitsloser Personen betrachtet Zeitpunkt des Interviews sowie der Anzahl an Bewerbun- wird, die nicht von der Reform betroffen war. Arbeitslose gen, die in den ersten 6 bis 10 Wochen der Arbeitslosigkeit die jünger als 50 Jahre waren, erhielten keine längere Be- verschickt wurden. In diesem Datensatz können folglich ar- zugsdauer. In unserem empirischen Design vergleichen wir beitssuchende Personen im Alter von 50 – 54 Jahren vor und daher Veränderungen im Suchverhalten der betroffenen nach der Reform beobachtet werden. Gruppe an Arbeitslosen (der 50 – 54-Jährigen) vor und nach der Reform mit Veränderungen im Suchverhalten Ein simpler Vorher-Nachher Vergleich des Such- etwas jüngerer Arbeitsloser (45 – 49 Jahre), verhaltens dieser Personen würde jedoch deren mögliche Bezugsdauer unberührt bei kaum den tatsächlichen Effekt der Reform Eine großzügige 12 Monaten verblieb, über den gleichen darstellen. Arbeitssuchende im Alter von Arbeitslosen- Zeitraum. Saisonale sowie konjunkturelle versicherung bei 50 – 54 Jahren, die in unserem Datensatz Unterschiede können nun herausgerechnet geringen Fehlanreizen ein Anrecht auf Arbeitslosengeld über ei- und ein kausaler Effekt geschätzt werden. muss kein Widerspruch nen Zeitraum von 12 Monate haben, wurden bleiben. im Sommer und Herbst 2007 arbeitslos, Per- Abbildung 1 illustriert die Ergebnisse dieses sonen im gleichen Alter, die ein Anrecht auf 15 Ansatzes. Betrachtet wird die Anzahl an Bewer- Monate Arbeitslosengeld haben, im Winter und bungen für die beiden Altersgruppen (50 – 54 Jahre Frühling 2008. Der deutsche Arbeitsmarkt verzeichnet vs. 45 – 49 Jahre) jeweils vor und nach der Reform. jedoch im Allgemeinen weniger Arbeitslose und mehr Stel- Panel A der Grafik zeigt, dass 50 – 54-jährige Arbeitslose lenangebote in den Sommer- und Herbstmonaten als im nach der Reform deutlich weniger Bewerbungen abschick- Winter. Gleichzeitig sank die Arbeitslosigkeit in Deutschland ten als vor der Reform. Panel B verdeutlicht, dass dieser aufgrund allgemeiner konjunktureller Erholung zwischen Rückgang vor allem auf die Reform selbst, und nicht auf 2006 und 2009 von 12 auf 7 %. Es ist daher möglich, dass saisonale oder konjunkturelle Faktoren zurückgeführt wer- saisonale und konjunkturelle Unterschiede ebenfalls das den kann: die Anzahl an Bewerbungen der 45 – 49-Jährigen Suchverhalten der beiden Gruppen beeinflussten, und somit blieb über den betrachteten Zeitraum hinweg konstant. den eigentlichen Effekt der Reform verwischen. Quantitativ implizieren die Ergebnisse des Diff-in-Diff An- 15
D E R E IN F LU SS D E R A RB E I T S LOS ENV ERS IC H ERUNG AUF DIE ARBEI TSSUCHE satzes, dass jeder zusätzliche Monat Arbeitslosengeld den einer großzügigen Versicherungsleistung zeigt sich hierbei Suchaufwand betroffener Arbeitsloser um circa 10 % redu- explizit. Gleichzeitig führen großzügigere Versicherungsleis- ziert. Der Reservationslohn betroffener Personen ändert sich tungen zu Fehlanreizen bei Personen, die erst relativ kurz hingegen durch die beschriebene Politikmaßnahme nicht in arbeitslos sind. Wichtig erscheinen vor diesem Hintergrund messbarer Weise. folglich Politikmaßnahmen, die bereits zu Beginn der Ar- beitslosigkeit das Suchverhalten von Arbeitssuchenden be- Im Einklang mit vorherigen Studienergebnissen kommen wir obachten, effizient unterstützen und steuern. Eine Vielzahl darüber hinaus zu dem Befund, dass die Verlängerung der wissenschaftlicher Studien zeigt, dass solche Maßnahmen möglichen Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes die Dauer der existieren und zu relativ niedrigen Kosten implementiert Arbeitslosigkeit betroffener Personen substanziell erhöhte. werden könnten. Eine großzügige Arbeitslosenversiche- Interessanterweise zeigt sich hierbei jedoch, dass besonders rung bei geringen Fehlanreizen muss also kein Widerspruch Kurzzeitarbeitslose ihr Verhalten aufgrund der Reform änder- bleiben. Es bedarf jedoch geeigneter Politikmaßnahmen, die ten. Langzeitarbeitslose passten ihr Suchverhallten deutlich das Grundgerüst der Arbeitslosenversicherung begleiten und weniger an, profitierten aber gleichzeitig von der verlänger- stärken. ten Versicherungsleistung, die die Gefahr eines Falls in das soziale Sicherungssystem (Hartz-IV) minderte. DI C E P U B LI K AT I ON Die Erkenntnisse unserer Studie haben direkte Politikimpli- Andreas Lichter & Amelie Schiprowski (2021): Benefit Duration, Job kationen. Zunächst zeigt sich, dass eine längere Bezugs- Search Behavior and Re-employment, Journal of Public Economics 193, dauer des Arbeitslosengeldes dafür sorgen kann, dass sub- Artikel 104326. stanziell weniger Personen in soziale Sicherungsleistungen fallen. Der individuelle als auch volkswirtschaftliche Nutzen KOM PA KT Der Einfluss der Arbeitslosenversicherung auf die Arbeitssuche à D urch eine längere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes benötigen weniger Personen soziale Sicherungsleistungen. à G roßzügigere Versicherungsleistungen erzeugen Fehlanreize bei Personen, die erst relativ kurz arbeitslos sind. Die Intensität ihrer Jobsuche lässt nach. à M it einer Verlängerung der möglichen Bezugsdauer sollten Maßnahmen implementiert werden, die bereits zu Beginn der Arbeitslosigkeit das Suchverhalten von Arbeitssuchenden beobachten, effizient unterstützen und steuern. 16
Verkehrsbelästigung: Was Stadtbewohnern eine Verkehrsberuhigung wert wäre Von Dr. Nicolas Wellmann und Daniel Czarnowske Abgase, Lärm, Staus und Unfälle. Die Folgen des in der EU insgesamt Schäden von 190 Mrd. Euro verursacht. Autoverkehrs werden in der Gesellschaft zuneh- Weitere Kosten entstehen für die Gesellschaft durch Staus mend kritisch wahrgenommen. Aber was wäre eine Lärm- und Unfälle im Automobilverkehr. reduktion den Anwohnern wert? Eine aktuelle Studie untersucht, welchen Einfluss der Autoverkehr auf die Eine aktuelle Studie hat empirisch für neun deutscher Groß- Mietpreise in neun deutschen Großstädten hat. städte untersucht, welchen Betrag Haushalte für eine Re- duzierung des Straßenverkehrs bezahlen würden. Dazu wur- Das vergangene Jahrhundert war für das Auto ein goldenes den über drei Jahre Wohnungsanzeigen aus Berlin, Hamburg, Zeitalter. Durch die Möglichkeit jederzeit überall hinfahren zu München, Frankfurt am Main, Köln, Düsseldorf, Stuttgart, können, symbolisierte das Auto nicht nur Freiheit, sondern Leipzig, Dresden von zwei großen und bekannten Immobi- erfreute sich auch schnell wachsender Popularität. Aktuell lienportalen gesammelt. Insgesamt umfasst der Datensatz besitzen in Europa durchschnittlich fünf von zehn Personen 533.402 Wohnungsanzeigen mit detaillierten Angaben zur ein Auto, in den USA sogar acht von zehn Personen. Ausstattung (z. B. Anzahl der Zimmer, Zustand der Woh- nung). Außerdem enthält der Datensatz genaue Informatio- Allerdings wird der Automobilverkehr mittlerweile auch nen zur Lage der Wohnung, die mit geografischen Daten aus zunehmend als Problem empfunden. Autos emittieren ver- OpenStreetMap verknüpft wurden. Dies ermöglicht es für schiedene Schadstoffe, die der Gesundheit und der Umwelt jede einzelne Wohnung, die Distanzen zu lokalen Geschäften wesentlich schaden. Verschiedene Untersuchungen zeigen und Dienstleistungen, wie z. B. zum nächsten Supermarkt, z. B., dass das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Restaurant oder Kindergarten zu berechnen. Zudem wurde Krebs, Allergien, Asthma wesentlich durch die Luftver- für alle Städte in jeder Straße die höchstmögliche Verkehrs- schmutzung beeinflusst wird. Darüber hinaus wird in der EU intensität berechnet. Diese ergibt sich aus der durchschnittli- 21 % des CO2 Ausstoßes durch den Straßenverkehr verur- chen Länge eines deutschen Autos inkl. Sicherheitsabstand, sacht. Schätzungen gehen davon aus, dass der Klimawandel der erlaubten Geschwindigkeit und der Anzahl der Spuren. VERKEHRSREDUKTION - 10% - 20% - 30% VERKEHRSREDUKTION - 10% - 20% - 30% Berlin 32.6 € 104.4 € 215.5 € Berlin 634.035 € 2.029.263 € 4.185.684 € Dresden 34.7 € 110.5 € 227.6 € Dresden 163.970 € 524.672 € 1.082.107 € Düsseldorf 36.6 € 115.9 € 237.6 € Düsseldorf 229.919 € 723.694 € 1.481.325 € Frankfurt am Main 59.2 € 158.3 € 297.4 € Frankfurt am Main 459.525 € 1.223.798 € 2.292.818 € Hamburg 33.9 € 118.0 € 252.0 € Hamburg 316.951 € 1.100.094 € 2.349.430 € Köln 33.0 € 109.6 € 229.7 € Köln 209.467 € 694.436 € 1.454.908 € Leipzig 30.9 € 103.5 € 217.8 € Leipzig 144.610 € 484.023 € 1.018.240 € München 33.4 € 107.0 € 220.8 € München 1 019.454 € 3.261.837 € 6.727.148 € Stuttgart 30.3 € 32.6 € 190.6 € Stuttgart 398.046 € 1.230.718 € 2.498.014 € Tabelle 1: Durchschnittliche Zahlungsbereitschaft eines Haushalts Tabelle 2: Erwarteter Nutzengewinn für verschiedene Städte pro Jahr für verschiedene exemplarische Verkehrseduktionen. für verschiedene exemplarische Verkehrsreduktionen. 17
V E R KE H R S B E L Ä ST I G U N G : WAS S TADT B E WOH NERN EINE V ERK E HR SBER UHI GUNG WERT WÄR E In einem ersten Schritt wurde zunächst geschätzt, welchen schen Straßenverkehrs erhöht den Wert von innerstädtischen Einfluss die Charakteristika der Wohnungen und insbeson- Immobilien. Besitzer einer Immobilie, die diese vermieten oder dere die Verkehrsintensität vor der jeweiligen Wohnung auf veräußern wollen, könnten somit von dieser Wertsteigerung die Mietpreise haben. In einem zweiten Schritt lässt sich profitieren, indem sie die Werterhöhung auf die Mieten oder mithilfe eines ökonomischen Strukturmodells daraus ab- Kaufpreise umlegen. Vor dem Hintergrund, dass die Immo- leiten, wie hoch die Zahlungsbereitschaft eines Mieters für bilienmärkte in den untersuchten Großstädten bereits durch verschiedene exemplarische Verkehrsreduktion ist. Tabelle 1 zahlreiche Preissteigerung angespannt sind, könnte dies hin- zeigt die jährliche Zahlungsbereitschaft eines Haushalts für derlich für Politikmaßnahmen zur Verkehrsreduktion sein. verschiedene exemplarische Verkehrsreduktionen. Des Weiteren könnte eine Verkehrsberuhigung die inner- Mit 297,40 Euro pro Wohnung und Jahr für eine Redukti- städtischen Mobilitätskosten erhöhen. Wenn sich z. B. durch on des Verkehrs um 30 % ist die Zahlungsbereitschaft der die Einführung von verkehrsberuhigten Zonen die Gefahr von Frankfurter (a.M.) am höchsten. Die Berliner wären bereit Staus erhöht, dann müssten Autofahrer höhere Fahrzeiten dafür 215,50 Euro pro Wohnung und Jahr zu bezahlen. einplanen. Dies hätte wiederum unmittelbare Konsequenzen für Nutzer des ÖPNVs, da durch die höhere Fahrzeit mit dem Tabelle 2 berechnet den Nutzengewinn auf Städteebene und Auto dieser als Alternative interessanter, aber auch voller berücksichtigt dafür zusätzlich die Anzahl der Haushalt pro wird. Ein möglicher Anstieg der Mobilitätskosten würde Stadt und den Aufbau des Straßennetzes. Um sicherzustellen, sowohl Arbeitnehmer als auch Unternehmen wie z. B. Ein- dass die Ergebnisse belastbar sind, wurden verschiedene alter- zelhandelsgeschäfte betreffen. In den untersuchten Städ- native Schätzung durchgeführt, die die Ergebnisse bestätigen. ten pendeln 46 % der Erwerbstätigen zum Arbeiten in die Neben der Schätzung der Zahlungsbereitschaft für eine Re- Stadt. Eine Erhöhung der Fahrtkosten senkt somit auch die duktion des Straßenverkehrs erörtert die Studie auch mögliche Attraktivität von innerstädtischen Arbeitsstellen. Dies gilt ökonomische Auswirkungen. Eine Reduktion des innerstädti- insbesondere für Erwerbstätige mit niedrigem Einkommen. Lage der berücksichtigten Wohnungen in der statistischen Auswertung LONGITUDE LATITUDE Abbildung 1 18
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