Die globale Allianz Acht Gespräche über Aktivismus - Tour de Lorraine

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Die globale Allianz Acht Gespräche über Aktivismus - Tour de Lorraine
No. 32 I 2020

Die globale Allianz
     Acht Gespräche über Aktivismus
                                          20
                                      Tour d Jahre
                                            e Lorra
                                           B er n   ine
                                      Das ganze
                                                  Program
                                                            m
Die globale Allianz Acht Gespräche über Aktivismus - Tour de Lorraine
2―3

                                                                                                                        Neue Wege 11.19
                                                                                                                     Ökotheologie                  «Öko-
                                                                                                                       Mit Beiträgen von:
                                                                                                                Doris Strahm, Rifa’at Lenzin,
                                                                                                                                                feminismus
                                                                                                                     Gaby Knoch-Mund,
                                                                                                                Dolores Zoé Bertschinger und
                                                                                                                                                  ist kein
                                                                                                                  Nicole Maron Oscamayta        esoterischer
                                                                                                                                                  Mutter-
                                                                                        Zeitschrift für
                                                                                        Religion
                                                                                                                       Neue Wege 1/2.20
                                                                                                                   Digitalisierung
                                                                                                                                                Erde-Kult»
                                                                                                                                                     Doris Strahm in
                                                                                        Sozialismus                    Mit Beiträgen von:            Neue Wege 11.19

                                                                                        Kritik                         Stefan Meretz,
                                                                                                                  Christina Aus der Au und
                                                                                        neuewege.ch                    Hannes Bajohr

                                                                          G EG E N DE N DU RST

                                                                                                                        Tiere können nicht selber
                                                                                                                         für ihre Rechte Kämpfen.
                                                                                                                             Darum tun wir es.
                                                                                                                       Helfen Sie uns mit Ihrer Spende auf
                                                                                                                         www.tierimrecht.org. Danke!

augenwerk.ch I marktgasse 52 I 3011 bern I tel 031 311 02 02
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                                                                                                              CAFE

                                                                                                                                                  KAI RO
                                                                                                          Anz_67x107mm_Che-kurzeCopy_Antidot_d_RZ.indd 1               28.11.19 17:15

                                                                                         SI NCE 1998

AUSSTELLUNG
IM STAPFERHAUS
AM BAHNHOF
LENZBURG

                                                               Markt überwinden.
                                                                  Wirtschaft gestalten.
                                                               solidarisch – selbstverwaltet – lokal – kooperativ

                                                               Beteilige dich an Solawi-Initiativen und Foodcoops in deiner Nähe.
Die globale Allianz Acht Gespräche über Aktivismus - Tour de Lorraine
Editorial

                                     Tour de
                                     Lorraine
                                                   2020
     Und täglich grüsst der Klimawandel.           Weise für ökologische Anliegen einsetzen.      fältig sein. Die Interviews halten wichtige
     Während Klimaforscher*innen und Ak-           Da ist beispielsweise Nandini Oza, die sich    Lektionen für die Mobilisierung progressi-
     tivist*innen jahrzehntelang erfolglos ver-    dafür einsetzt, dass Dammprojekte am           ver zivilgesellschaftlicher Kräfte bereit, die
     sucht haben, die globale Erwärmung ins        Fluss Narmada im indischen Gujarat der         die Wirtschaft und Gesellschaft im Sinne
     Bewusstsein von Politik und Medien zu         Bevölkerung nicht ihre Lebensgrundlage         der Klimagerechtigkeit verändern wollen.
     rücken, vergeht nun kaum ein Tag ohne         entziehen. Oder Sina Reisch, die mit dem           Denn Aktivismus ist kein Hobby, kein
     eine Meldung zum Thema. Endlich werden        Bündnis Ende Gelände eine neue Form            Zeitvertreib und auch nicht Subkultur. Akti-
     in den Parlamenten der Welt Ansätze dis-      des gewaltlosen Widerstands in Deutsch-        vismus ist zielstrebiges Handeln mit der Ab-
     kutiert, die Emission von Treibhausgasen      land mitprägt. Rara Ada verbindet auf den      sicht, eine Veränderung in der Gesellschaft
     zu vermindern. So weit, so gut. Doch wir      Philippinen ihren Klimaaktivismus mit          herbeizuführen. Die Interviews in dieser
     haben nicht lediglich ein Klimaproblem,       dem Kampf für soziale Gerechtigkeit und        Zeitung ermutigen, selbst aktiv zu werden.
     das mit einem Wechsel zu erneuerbaren         David Solnit bildet aktivistische Gruppen
     Energien überwunden werden kann. Auch         in den USA weiter. Denise Namburete            Die Tour de Lorraine wurzelt im Wider-
     im Best-Case-Szenario wird sich die Erde      kämpft um die juristische Aufarbeitung         stand gegen das Weltwirtschaftsfo-
     erheblich erhitzen und unsägliches Leid       folgenschwerer illegaler Kredite einer hie-    rum in Davos. Wir sind überzeugt, dass
     über zahllose Menschen bringen, wobei         sigen Grossbank in Mosambik und Olivier        die Probleme dieser Welt nicht in Davos
     Menschen in den armen Regionen der            de Marcellus erklärt, wie er mit Aktionen      gelöst werden, sondern viel eher dort ent-
     Welt am stärksten betroffen sein werden:      zivilen Ungehorsams auf die Geschäfte          springen und vorangetrieben werden. Die
     Diejenigen, die am wenigsten zur Klima-       von Schweizer Banken mit fossilen Brenn-       in diesem Heft porträtierten Aktivist*innen
     katastrophe beigetragen haben, müssen         stoffen aufmerksam macht. Angela Katxu-        haben zum Teil seit Jahrzehnten gegen die
     den grössten Preis dafür zahlen. In inter-    yana setzt sich für den Schutz der indige-     Unternehmen und Regierungen gekämpft,
     nationaler Solidarität müssen wir daher       nen Bevölkerung im Amazonasgebiet ein          deren Vertreter*innen sich in Davos hinter
     Klimagerechtigkeit einfordern. Ohne einen     und Renzo García berichtet vom Sieg über       verschlossenen Türen die Hände reichen
     grundlegenden Systemwandel wird diese         eine geplante Goldmine in Kolumbien, die       und Deals aushandeln. In Solidarität mit
     nicht zu erreichen sein. Doch welche We-      eine ganze Region zerstört hätte. Die In-      den Aktivist*innen in aller Welt werden wir
     ge führen zum Ziel einer gerechten und        terviews machen klar, dass wir alle am         vom 19. bis 21. Januar von Landquart nach
     tatsächlich nachhaltigen globalen Wirt-       selben Strang ziehen – egal in welchem         Davos wandern, um vor Ort zu protestie-
     schaft? Welche Schritte können wir selber     Teil der Welt wir zu Hause sind, egal wie      ren. Die Tour de Lorraine startet dieses Jahr
     gehen und welche Initiativen können wir       alt wir sind oder wie lange unser aktivisti-   bereits am 11. Januar mit Konzerten und
     unterstützen, um die Gewalt des herr-         sches Engagement andauert. Auffällig ist       Partys in verschiedenen Lokalen in Bern.
     schenden Systems zu brechen?                  die Vielfältigkeit der Motive und Aktions-     Am 18. Januar geht es weiter mit Work-
         Diese Antidot-Ausgabe zum zwanzigs-       formen der interviewten Aktivist*innen. Sie    shops und Veranstaltungen zum Thema
     ten Jubiläum der Tour de Lorraine geht die-   spiegelt den globalen Charakter des Wirt-      Klimagerechtigkeit. Das Programm findet
     ser Frage nach. Wir haben mit acht Men-       schaftssystems, das seit Jahrzehnten eine      sich in diesem Heft.
     schen von fünf Kontinenten gesprochen,        Spur der Verwüstung hinterlässt. Auch der
     die sich alle auf unterschiedliche Art und    Widerstand dagegen muss global und viel-          Mit Grüssen, euer Redaktionsgrüppli

 DAS ANTIDOT.INCLU                                                          IMPRESSUM:

 erscheint unregelmässig und                            Die Artikel die-    Herausgeberin: Tour de Lorraine
 wird der Wochenzeitung WOZ bei-      ser Zeitung unterstehen der Cre-      Redaktion: Suse Bachmann, Rebecka Domig,
 gelegt. Herausgegeben wird an-       ative-Commons- Lizenz by-nc-sa.       Simon Egli, Meret Oehen, Sandra Ryf
 tidot.inclu von einem von der        Für nichtkommerzielle Zwecke          Zusätzliche Texte: Olivier Christe, Tatjana Pürro,
 WOZ unabhängigen Verein, der         können sie mit Quellenan­gabe un-     Yvonne Zimmermann                                        Unsere Konto­angaben
 der widerständigen Linken die        ter gleichen Bedingungen frei ver-    Cover: Ivie Onaiwu | ivieada.com                         für Spenden:
 Möglichkeit bietet, ihre Inhalte     wendet werden.                        Layout: Tom Hänsel | #tt | tintenfrisch.net              Verein Tour de Lorraine
 und Kampagnen einer breiten lin-                                           Illustrationen: Urs Gägauf, #tt                          3000 Bern
 ken Öffentlichkeit bekannt zu ma-     Die Redaktion freut sich über        Korrektorat: Sandra Ryf, varianten.ch                    IBAN CH24 0900 0000
 chen. Weitere Informationen dazu     Rückmeldungen zu diesem Heft:         Druck: Mittelland Zeitungsdruck AG, Aargau               6061 4796 1
 unter antidot.ch.                    medien@tourdelorraine.ch              Auflage: 24 500 Stück                                    BIC POFICHBEXXX
Die globale Allianz Acht Gespräche über Aktivismus - Tour de Lorraine
4 ―5

                             Ibagué, Kolumbien.

 Wenn das Kollektiv
 die treibende Kraft wird
                             Die Entscheidung, Aktivist zu werden, hat Renzo García nie
                             bewusst getroffen. Angesichts von aktuellen Bedrohungen wie
                             dem industriellen Bergbau sucht er nach Alternativen hin zu einer
                             besseren Gegenwart und Zukunft der Menschheit. Heute kämpft
                             er im Kollektiv darum, eine ganze Region vor der Verschmutzung
                             durch einen multinationalen Konzern zu bewahren.
                                                                                     von Yvonne Zimmermann

                                                                               Wir arbeiten aus
                                                                               Überzeugung und
                                             Renzo, du bist Teil
                                             des «Umweltkomitees
                                                                               mit der Liebe für                               das Projekt wurde mit überwältigender
                                                                                                                               Mehrheit abgelehnt. Als Netzwerk von
                                             zum Schutz des
                                             Lebens» in Ibagué,                   das Leben.                                   Umweltkomitees haben wir die darauf­
                                                                                                                               folgenden Bestrebungen weiterer Ge­
                                             das einige Erfolge im                                                             meinden unterstützt, damit dort eben­
                                             Kampf gegen die                                                                   falls Abstimmungen über Bergbau- und
                                             geplante Goldmine La           Eure Bewegung schafft es, breit zu              Ölförderprojekte durchgeführt wurden.
     Renzo García ist        Colosa verzeichnet. Wie ist eure               mobilisieren. Was sind eure wichtigs-           Diese führten allesamt zu deutlichen Nie­
 Biologe und Umwelt­-        Bewegung entstanden?                           ten Aktionsformen?                              derlagen der extraktiven Projekte.
     aktivist. Er ist Mit-   Sie entstand als kollektive Antwort auf die    Eine der wichtigsten Aktionen ist die «Mar­
       begründer des
                             Politik, die von der Regierung seit Beginn     cha Carnaval» jeweils im Juni. Mit ihrem        Wie sieht eure Informations- und
    «Umweltkomitees
      zum Schutz des         des Jahrtausends forciert wird: Der natür­     künstlerischen, spielerischen und kultu­        Bildungsarbeit zu den Auswirkungen
     Lebens» (Comité         liche Reichtum unseres Landes wird an          rellen Charakter mobilisiert sie jeweils Tau­   des Minenprojekts La Colosa aus?
         Ambiental en        transnationale Konzerne vergeben, welche       sende von Menschen. Die Gemeinschaften          Das ist in unserer Arbeit sehr wichtig: Wir
  Defensa de la Vida)        Bodenschätze ausbeuten. Als sich die Berg­     machen mit Sprechchören, Transparenten,         sind von Tür zu Tür gegangen, haben mit
und eines Netzwerks
                             baufirmen in unserem Land immer weiter         Schildern und Gesängen klar, dass der Berg­     den Menschen gesprochen und mehr als
        verschiedener
     Umweltkomitees          ausgebreitet haben, wurde es notwendig,        bau für den Wasserhaushalt der Region eine      10 000 Faltblätter verteilt. In Schulen und
   und der landeswei-        dass wir uns organisierten und insbeson­       Bedrohung darstellt, dass die Biodiversität     Wohnvierteln haben wir über die gesell-
     ten Umweltbewe-         dere gegen das gigantische Minenprojekt        mehr wert ist als Gold, dass die Lebens­        schaftliche und ökologische Problematik
  gung in Kolumbien.         La Colosa mobilisierten. In der Gemeinde       mittelproduktion in Gefahr ist und dass         des industriellen Bergbaus diskutiert und
                             Cajamarca, wo die Mine geplant ist, werden     Bergbaumultis unerwünscht sind. Diese           etwa 30 000 Schüler*innen informiert. Hin-
                             Nahrungsmittel für weitere Teile Kolum­        Mobilisierung ist gross, bunt und hat einen     zu kommt die Information über alternative
                             biens angebaut. Hier entspringen Wasser­       positiven Ausdruck: «Ja zum Wasser – Nein       und soziale Medien, E-Mails und so weiter.
                             quellen. Das Minenprojekt, vorangetrieben      zur Mine!» Dies trägt zur breiten Ausstrah­     Ebenfalls haben wir an zahlreichen öffent-
                             vom Multi AngloGold Ashanti und von kor­       lung bei. Dieses Jahr konnten wir rund acht­    lichen Anhörungen, Veranstaltungen und
                             rupten Politiker*innen, soll aus einer Tonne   zig Gemeinden und über 200 000 Menschen         parlamentarischen Debatten teilgenom-
                             Fels rund ein Gramm Gold herauslösen. Für      mobilisieren.                                   men und die Behörden aufgefordert, ihre
                             uns war klar, dass dies den Wasserhaushalt        Wir haben zudem die Abstimmungen             Verantwortung wahrzunehmen und die na-
                             beeinträchtigen und den Boden, das Wasser      über den Bergbau in den Gemeinden Pie­          türlichen Ressourcen zu schützen. Parallel
                             und die Luft verschmutzen würde. Zudem         dras und Cajamarca in Tolima unterstützt.       dazu unterstützen wir juristische Schritte
                             würde die Biodiversität verloren gehen und     Die Bewohner*innen dieser Gemeinden             gegen die Behörden. Wir koordinieren uns
                             in der Region würden grosse Mengen hoch        haben erreicht, dass die Bevölkerung über       auch mit anderen Bewegungen.
                             verschmutzter Rückstände zurückbleiben.        das Minenprojekt abstimmen kann – und
Die globale Allianz Acht Gespräche über Aktivismus - Tour de Lorraine
Es ist Zeit, dass wir
                                                    politische Grenzen
Worauf basiert euer Erfolg?
Ich denke, das Wichtigste ist, dass al­           niederreissen und eine
les einen kollektiven Charakter hat.
Wir arbeiten in Teams, die beteiligten
Gruppen sind die Protagonistinnen.
                                                   globale Gesellschaft
Wir zeigen damit auf, dass unsere Kraft                  schaffen.                                          Hintergrund:
im Kollektiv liegt.
   Die Bewegung «Umweltkomitee
                                                                                                           Was La Colosa
zum Schutz des Lebens» ist eine Platt­
form verschiedener Gruppen, die für den           Punkte, die manchmal auf die Moral schla­
                                                                                                           mit Davos
Schutz des Gebiets einstehen, für die Ver­        gen und die Bewegung schwächen. Aber                     verbindet
teidigung des Lebens in all seinen Formen,        ich denke, unsere Überzeugung und unser
und die nicht erlauben, dass die Gegenwart        Engagement sind so stark, dass wir diese                  In der bergigen Gemeinde Cajamarca im Zen-
und die Zukunft der Bewohner*innen dieser         Schwierigkeiten überwunden haben.                         trum Kolumbiens plant der südafrikanische
                                                                                                            Bergbaukonzern AngloGold Ashanti (AGA) seit
Region zerstört werden. Es ist ein Zusam­
                                                                                                            2009 eine der weltweit grössten Tagebau-Gold-
menschluss von Bürger*innen und sozialen          In Kolumbien werden Aktivist*innen
                                                                                                            minen. Für die Mine müssten rund hundert Mil-
Organisationen, die sich für die Verteidi­        immer wieder Opfer von Drohungen
                                                                                                            lionen Tonnen Aushubmaterial zwischen den
gung des Wassers, des Lebens, der Natur           und Attentaten. Inwiefern ist eure                        Bergen aufgeschüttet werden, für die Giftschla-
und unserer Souveränität einsetzen und sich       Bewegung davon betroffen?                                 cke sollte eine 250 Meter hohe Staumauer er-
gegen die Projekte von Bergbau- und Energi­       Unsere Bewegung leidet unter der Verfol-                  richtet werden. Teile der Mine würden in einem
eunternehmen wehren, die diese gefährden.         gung von Aktivist*innen und Führungsper-                  geschützten Hochmoor zu liegen kommen,
Basis für unsere Aktionen sind kollektiv er­      sonen von sozialen Bewegungen. Das ist in                 wichtige Wasserquellen wären betroffen. Seit
arbeitete Kriterien, die auf dem Prinzip der      Kolumbien allgegenwärtig. In diesem Jahr                  Informationen zum Projekt bekannt geworden
Solidarität basieren.                             wurden über 400 Aktivist*innen und Füh-                   sind, hat sich eine breite Widerstandsbewe-
   Und wir sind hartnäckig: Wir arbeiten          rungspersonen ermordet. Wir haben Mord-                   gung gebildet. 2017 sprach sich die Bevölke-
aus Überzeugung und mit der Liebe für das         drohungen erhalten. Einschüchterungen                     rung von Cajamarca in einer Volksabstimmung
Leben, für die Natur und die Menschheit.          kommen immer wieder vor.                                  (consulta popular) mit einer Mehrheit von
Wir handeln mit der Energie von Wasser­                                                                     97,9 Prozent der Stimmen gegen die Pläne von
tropfen, die stets auf denselben Punkt fallen     Seht ihr euch als Teil eines globalen                     AGA aus. Der Konzern betreibt insgesamt
                                                                                                            16 Bergwerke weltweit, hauptsächlich in Süd-
und in der Lage sind, einen Felsen auszuhöh­      Kampfs?
                                                                                                            amerika und Afrika (Stand 2016). 2011 erhielt
len. Die Arbeit ist kontinuierlich, wir bleiben   Natürlich. Der Kampf für das Leben, für
                                                                                                            er pünktlich zum WEF in Davos den Schmäh-
dran und für uns ist klar, dass wir trotz aller   das Recht auf eine gesunde Umwelt und
                                                                                                            preis Public Eye Award für die Vergiftung von
Schwierigkeiten nicht aufgeben können.            dafür, dass die Bevölkerungen frei über die               Land und Menschen beim Goldabbau in
                                                  Zukunft ihres Lebensraums entscheiden                     Ghana.
Wie sorgt ihr dafür, dass die Bewe-               können, ist ein globaler Kampf. Es gibt nur
gung breit abgestützt ist?                        einen Planeten.
Unsere Bewegung umfasst eine Vielfalt an             Ich denke, dass sich die gesamte Mensch­
gesellschaftlichen Gruppen. Das hat da­           heit um das Wohlbefinden der Weltbevölke­
mit zu tun, dass das Umweltthema nicht            rung kümmern muss. Es ist Zeit, dass wir
nur ein Thema von Umweltschützer*innen            politische Grenzen niederreissen und eine
ist. Vom Bergbau sind beispielsweise die          globale Gesellschaft schaffen, die ihre ethi­
Bäuerinnen und Bauern ganz direkt betrof­         sche und moralische Verantwortung für das
fen. Aber auch in der Stadt haben wir es ge­      Gemeingut und die Würde aller Menschen
schafft, dass die Menschen verstehen, dass        wahrnimmt.
die Verschmutzung des Wassers, der Verlust
der Biodiversität und die ganzen negativen        Was würde es für euch bedeuten, zu
Auswirkungen des Bergbaus uns alle tref­          gewinnen?
fen würden. Wir versuchen auch immer, mit         Gewinnen ist eine Verantwortung. Wir kön­
den Kämpfen anderer Gruppen und Bewe­             nen nicht weitermachen in der Annahme,
gungen solidarisch zu sein, es geht darum,        dass diejenigen, die heute die Macht inne­
Vertrauen aufzubauen und gegenseitige             haben, unbesiegbar sind. Die Einheit der so­
Unterstützung zu leisten.                         zialen Bewegungen muss die Grundlage für
                                                  den Erfolg unserer Kämpfe sein. Gewinnen
Gab es auch Momente, in denen ihr                 bedeutet, unseren Kindern einen Planeten
                                                                                                     ieses Thema weiterdenken:
                                                                                                    D
fast den Bettel hingeschmissen                    weiterzugeben, auf dem sie ihre Träume
                                                                                                    Sa, 18.1.2020, 13:30 Uhr
hättet?                                           verwirklichen können.                             Workshop: Globale
Wir erhalten Drohungen, es mangelt an                                                               Geschäfte – globale
Geld, es gab Sanktionen bei der Arbeit, wir          Das Interview wurde schriftlich auf Spanisch   Verantwortung
werden stigmatisiert ... Das sind einige der         geführt.                                       –› Siehe Programmteil Seite 23.
Die globale Allianz Acht Gespräche über Aktivismus - Tour de Lorraine
6 ― 7

                         Davao, Mindanao/Philippinen.

Wenn man Häuser
fliegen sieht
                         Rara Ada beschreibt sich selbst als frustrierte Karaoke-Sängerin und
                         scherzt, dass sie sich mit Joggen für die jeweils nächste Demo fit hält.
                         Die Auswirkungen des Klimawandels spürt sie auch im Alltag. Für sie ist klar,
                         dass sich klimabedingte Katastrophen auf den Philippinen häufen werden.
                         Umso wichtiger sei es, junge Menschen jetzt zu mobilisieren und zu organisieren.
                                                                                                            von Simon Egli

                                        Wo bist du auf-                    Bruder und ich zogen mit unserer Mutter           wie unser Haus wegen eines heftigen Taifuns
                                         gewachsen?                        nach Davao City in die südlichen Philippi­        langsam zusammenbrach. Als starke Taifu­
                                         Ich verbrachte die meis­          nen. Hier konnte ich dank der Hilfe meiner        ne zu einer «neuen Normalität» wurden und
                                         te Zeit meiner Jugend             älteren Geschwister studieren. Ich war wäh­       Regierung nach Regierung die Realität der
                                         in einer ländlichen Ge­           rend dem Studium ehrenamtlich aktiv, bei­         Klimasituation leugnete, wurde mir klar,
                                         gend im Norden der In­            spielsweise bei psychosozialen Interventio­       dass es in der Verantwortung aller liegt, die­
                                         sel Samar in den Zentral­-        nen bei Kindern, die Kriegstraumata erlebt        sen Planeten für die nächsten Generationen
                                         philippinen. Meine Eltern         hatten. Parallel engagierte ich mich in meh­      zu erhalten. Menschen sterben, und doch
                                         waren      Saisonbauern,                                                                machen unsere Regierungen weiterhin
                                         die Kopra (getrocknetes                                                                 ihre Geschäfte wie gewohnt, anstatt sich

      Rara Ada ist 24
                                         Kokos­fleisch, Anm. d.
                         Redaktion) herstellten und verarbeite­             Die Klimakrise ist                                   mit den Auswirkungen des Klimawan­
                                                                                                                                 dels zu befassen. Die Klimakrise ist real,

                                                                             real und wir sind
        Jahre alt und    ten. Da der Verkauf von Kopra nicht für                                                                 und wir sind die Generation, die die Aus­
   Klimaaktivistin auf   unseren Unterhalt ausreichte, suchte                                                                    wirkungen des Klimawandels zu spüren
den Philippinen. Als     mein Vater Arbeit auf dem Bau. Der                                                                      bekommt. Unsere Zukunft ist in Gefahr,
     eine Leiterin der
Jugendorganisation
                         Haushalt, in dem ich aufgewachsen bin,
                         ist konservativ, religiös und sehr aber­
                                                                            die Generation, die                                  und ich glaube, dass wir – die jungen Leu­
                                                                                                                                 te – im Kampf um Klimagerechtigkeit an
    Youth for Climate
   Justice (Y4CJ) will
                         gläubisch. Meine Eltern waren streng
                         und beschützend.
                                                                            die Auswirkungen                                     vorderster Front stehen sollten.

 sie das Konzept der
  Klimagerechtigkeit     Wie wohnst du jetzt?
                                                                           des Klimawandels zu                                   Wie akut bedroht der Klimawan-
                                                                                                                                 del deine Heimat?
      bei jungen Men-
schen in der Region
                         Der Ort, in dem ich jetzt lebe, ist ein typi­
                         sches Stadtviertel – wir haben die ganze
                                                                             spüren bekommt.                                     Das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin,
                                                                                                                                 ist anfällig für Überschwemmungen
  Mindanao bekannt       Zeit Strom, und grundlegende Dienstleis­                                                                und Erdrutsche. Dazu kommt, dass un­
   machen. Zugleich      tungen wie Gesundheitsversorgung, ÖV                                                                    sere Region eine der taifungefährdetsten
  arbeitet sie auch in   und Bildung sind besser zugänglich. Nach­         reren progressiven Gruppen, die 2013 Hilfs­       Regionen des Landes ist. Vor allem die land­
 der philippinischen     dem ich mein Studium 2015 abgeschlossen           massnahmen in von Taifunen betroffenen            wirtschaftliche Bevölkerung ist betroffen.
       Bewegung für      hatte, bekam ich sofort eine Vollzeitstelle als   Gebieten durchführten. Da wurde mir klar,         Das Ackerland auf Samar ist durch den Kli­
  Klimagerechtigkeit     Entwicklungshelferin bei einer NGO namens         wie viel Ungerechtigkeit herrscht und wie         mawandel bedroht, der die Bodenqualität
              (PMCJ).    Gitib, Inc. Jetzt arbeite ich als Mindanao-Cam­   sehr besonders die armen und machtlosen           beeinträchtigt. Aufgrund extremer Wetter­
                         paigner für die Philippinische Bewegung für       Menschen von Ungleichheit betroffen sind.         ereignisse sind sich die Bäuer*innen nicht
                         Klimagerechtigkeit (PMCJ).                                                                          sicher, wann sie ihre Pflanzen anbauen oder
                                                                           Wie ist es zu deinem Engagement für               ernten sollen. Im Jahr 2016 war Nordsamar
                         Wann bist du Aktivistin geworden?                 Klimagerechtigkeit gekommen?                      eine der zwanzig ärmsten Provinzen der
                         Das begann im zweiten Jahr meines Studi­          Ich bin in einer taifungefährdeten Provinz        Philippinen und der Klimawandel wird die
                         ums. Einige Jahre nach der Trennung meiner        aufgewachsen. Als ich zehn Jahre alt war, ha­     Armut sicherlich verschlimmern. Im April
                         Eltern verliessen wir Samar. Mein jüngerer        be ich Häuser fliegen sehen und 2006 erlebt,      dieses Jahres erlebte die Insel Mindanao
Die globale Allianz Acht Gespräche über Aktivismus - Tour de Lorraine
Der Kampf für
                                               Klimagerechtigkeit ist
                                               der Kampf für soziale
eine Dürre, von der tausende Hektar                                                                  Ihrer Meinung nach sollte ich lieber hart
landwirtschaftlicher Nutzfläche und                Gerechtigkeit.                                    arbeiten, um im Leben «erfolgreich» zu
tausende Bäuer*innen betroffen wa­                                                                   sein, statt mich gegen die Regierung auf­
ren. Die Dürre verursachte eine Preis­                                                               zulehnen. Sie finden auch, dass es gefähr­
erhöhung für Gemüse, Obst, Fisch und                                                                 lich ist, Aktivistin zu sein. Ich habe viele
Fleisch.                                                                                             Familientreffen wegen meiner «Prinzi­
                                               bedeuten. Die Emissionsreduktion ist also        pien» – wie sie es nennen würden – verpasst.
Die Philippinen sind ein Land, das             keine nationale Priorität. Vor kurzem er­        Meine Beziehung zu meinen Geschwistern
bisher vergleichsweise wenig zum               klärte Präsident Duterte aber in seiner State    ist aufgrund unserer unterschiedlichen poli­
Klimawandel beigetragen hat.                   of the Nation Address die Notwendigkeit der      tischen Ansichten heute angespannt. Es gibt
Wir tragen nur wenig dazu bei, aber wir        Philippinen, die Abhängigkeit von Kohle          aber auch positive Seiten. Ich habe gelernt,
leiden am meisten. Das ist die traurige Re­    zu verringern und den Ausbau erneuerba­          durchsetzungsfähiger zu werden. Ich wurde
alität, mit der Entwicklungsländer wie die     ren Energien zu beschleunigen. Wir hoffen,       aufgeschlossener und lernte, individuelle Un­
Philippinen jeden Tag konfrontiert sind. Als   dass er diesen Worten Taten folgen lässt.        terschiede zu respektieren, da ich jeden Tag
Aktivistin sehe ich diese Realität immer als                                                    verschiedene Menschen treffe.
eine Gelegenheit, um die Gemeinschaft zu       Wird dein Aktivismus in erster Linie
organisieren und zu mobilisieren – insbe­      durch Umweltbelange motiviert oder               Hast du nie Zweifel an deinem En-
sondere die Jugend. Es ist eine Ungerechtig­   siehst du darin auch einen Weg, um               gagement? Verlierst du nie den Mut?
keit, und wir fordern, dass die grossen Ver­   Veränderungen in sozialen Bereichen              Doch, durchaus. Aber die Realität, dass wir
ursacher*innen und Kapitalist*innen zur        herbeizuführen?                                  mehr Menschen mobilisieren müssen, ist
Rechenschaft gezogen werden!                   Der Kampf für den Umweltschutz und an­           mein täglicher Antrieb. Zu wissen, dass vie­
                                               dere soziale Fragen sollten Hand in Hand         le unter Ungerechtigkeit und Ungleichheit
Wie reagiert die philippinische Poli-          gehen, denn sie sind verbunden. Der Kampf        leiden, dass gierige Kapitalist*innen die
tik in Bezug auf die Klimafragen?              für Klimagerechtigkeit ist der Kampf für         Ressourcen der Welt ausbeuten und ich mir
Die Regierung hat sich mit dem Pariser Ab­     soziale Gerechtigkeit. Ich sehe Umweltak­        Sorgen um meine Zukunft machen muss,
kommen dazu verpflichtet, ihre Treibhaus­      tivismus als eine Möglichkeit, Menschen          motiviert mich weiterzumachen. Diese Welt
gasemissionen zu reduzieren. Einen Monat       zu integrieren und mit ihnen über andere         braucht uns. Kapitulation ist keine Option.
nach der Klimakonferenz weihte die Regie­      soziale Themen in der Gesellschaft zu spre­      Es ist okay, Angst zu haben, aber wir sollten
rung jedoch ein 300-MW-Kohlekraftwerk in       chen. Umweltaktivismus ist ein wirksamer         weiterkämpfen.
Davao City ein. Wir haben viele potenzielle    Weg, um das Bewusstsein der Menschen für
erneuerbare Energiequellen im Land, aber       Ungerechtigkeit zu erhöhen und potenzielle          Das Interview wurde schriftlich
die Regierung ist nicht ernsthaft bemüht,      (soziale) Aktivist*innen zu mobilisieren.           und auf Englisch geführt.
                                                                                                                                         ieses Thema weiterdenken:
                                                                                                                                        D
diese zu entwickeln. Im Jahr 2015 kündigte
                                                                                                                                        Sa, 18.1.2020, 11:30 Uhr
das Energieministerium an, dass bis 2025       Bringt dein Aktivismus Schatten-                                                         Workshop: Klimanotstand
ein noch grösseres Kohlekraftwerk gebaut       seiten mit sich?                                                                         und die Rolle des Finanz-
werden soll. Dies würde einen Anstieg der      Da meine Familie konservativ ist, muss ich sie                                           sektors
Treibhausgasemissionen der Philippinen         davon überzeugen, dass meine Arbeit gut ist.                                             –› Siehe Programmteil Seite 23.
Die globale Allianz Acht Gespräche über Aktivismus - Tour de Lorraine
8 ― 9

                           Maputo, Mosambik.

Mit internationaler Zusammen­
arbeit der Repression trotzen
                           Die mosambikanische Aktivistin Denise Namburete lebt in einem Land, das
                           von illegalen Krediten der Credit Suisse stark gezeichnet ist. Ein Gespräch
                           über den Zusammenhang der Schweizer Grossbank und zunehmender Repres-
                           sion im südostafrikanischen Land – und wie Aktivist*innen unter diesen Umstän-
                           den erfolgreich auf internationale Netzwerke zurückgreifen.
                                                                                                                 von Olivier Christe

                                           Mosambik befindet sich         weitgehend von persönlichen Informatio­           öffentlich kaum noch Positionen ein. Sie
                                           seit 2016 in einer             nen absehen.                                      konfrontieren die Elite nicht, was die Mög­
                                           umfassenden Finanz­                                                              lichkeit einer Lösung und Verantwortung
                                           krise, ausgelöst durch         Wer steckt dahinter?                              zugunsten der mosambikanischen Bevöl­
                                           illegale Kredite der           Repression ist üblich in Mosambik. Teile          kerung reduziert. Credit Suisse ist dafür
                                           Credit Suisse und              der Regierung haben kein Interesse an ei­         vollumfänglich mitverantwortlich, da sie
                                           korrupte mosambikani-          ner Aufarbeitung des Falls. Die aktuelle          die illegalen Kredite und Eurobonds im Wis­
                                           sche Politiker wie den         Regierung wird durch jene Partei gebildet,        sen arrangiert haben, dass Mosambik diese
                                           ehemaligen Finanzmi-           die mindestens 10 Millionen USD an Beste­         nicht bezahlen werden kann.
                                           nister Manuel Chang.           chungsgeldern für den Betrug erhalten hat,
                                           In Südafrika wird              wie gegenwärtige Erkenntnisse aus dem Ge­         Du warst diesen Frühling in der
                                           zurzeit über dessen            richtsverfahren in New York ergeben.              Schweiz und hast an der GV von
                                           Auslieferung an die                                                                  Credit Suisse vorgesprochen.
   Als eine Vertreterin    USA entschieden. In New York                                                                         Wie war das?
      des Civil Society    zeigen währenddessen Zeugen-                                                                         Die Aktionär*innen zeigten sich inte­
        Budget Forum
    (FMO), eines Netz-
                           aussagen vor Gericht Changs
                           Mitwisserschaft sowie jene der
                                                                              Die Folgen der                                    ressiert und liessen verlauten, dass ih­
                                                                                                                                nen daran gelegen sei, eine vernünftige
   werks von 21 Nicht-
     regierungs­organi­-
                           CS. Was bedeutet das für dich?
                           Es bedeutet einerseits, dass die juris­
                                                                          Repression sind viel-                                 Lösung für Mosambik zu finden. Zwei
                                                                                                                                Tage nach der GV hatte unsere Delega­
sationen aus Mosam-
     bik für öffentliche
                           tische Aufarbeitung der illegalen Kre­
                           dite von Credit Suisse in Mosambik             fältig. Die Menschen                                  tion ein Gespräch mit dem Rechtsaus­
                                                                                                                                schuss der Bank. Dieser zeigte wenig
   Finanztransparenz,
       kämpft Denise
                           voranschreitet. Andererseits heisst
                           es für mich, dass die Sicherheitsrisi­          nehmen öffentlich                                    Interesse an unserem Fall und machte
                                                                                                                                klar, dass CS diese Schulden nicht strei­
                           ken für mich steigen, während wir in                                                                 chen werde. Dieses Desinteresse wird
                                                                            kaum noch Posi-
   Namburete für die
      Aufarbeitung der     Richtung finaler Entscheidung durch                                                                  umso deutlicher nach den jüngsten
illegalen Kreditverga-     die Gerichte schreiten.                                                                              Schuldbekenntnissen von CS-Bankern
   be durch die Credit
    Suisse (siehe Box).    Was fürchtest du?
                                                                                tionen ein.                                     im US-Gerichtsfall, die klar zeigen,
                                                                                                                                dass die Bank schon sehr früh über die
         Namburete ist     Physische Gewalt. Ich wurde mehr­                                                                    Kredite im Bilde war.
 Direktorin von N’weti,    fach verfolgt, meine elektronischen
einer nichtstaatlichen     Geräte werden überwacht. Dass ein süd­             Wir haben 2017 einen Protest gegen die        Unternehmen wie Credit Suisse
 Organisation mit Sitz     afrikanisches Gericht in einem Zwischen­       illegalen Kredite organisiert. Die zivilgesell­   arbeiten global. FMO ist ein Zusam-
in Maputo, die darauf      schritt zum Fall Chang zum Beispiel gerade     schaftliche Beteiligung war jedoch gering.        menschluss lokaler NGOs. Welche
       abzielt, zu einer   erst zugunsten von FMO entschied – dem         Die Menschen fürchten Repression.                 Möglichkeiten bieten sich, wenn die
    besseren Gesund-       NGO-Zusammenschluss «Budget Monito­                Seither beschränkt sich der Protest auf       Bank die Augen verschliesst?
heit der Bürger*innen      ring Forum», für den ich arbeite –, steiger­   zivilgesellschaftliche Gruppierungen oder         Wichtig ist, dass wir unsere Fähigkeiten rea­
  und der mosambika-       te mein Risiko zusätzlich und ich musste       Menschen, die ihre Stimme in den sozialen         listisch einschätzen und im Sinne des Falls ar­
      nischen Gemein-      fliehen. Für meinen Schutz und den anderer     Netzwerken erheben. Die Folgen der Repres­        beiten. Der Aufbau von Partnerschaften mit
schaften beizutragen.      Menschen muss ich im Folgenden deshalb         sion sind vielfältig: Die Menschen nehmen         zivilgesellschaftlichen Organisationen im
Die globale Allianz Acht Gespräche über Aktivismus - Tour de Lorraine
Viel bedeutender als
Globalen Norden ist besonders wichtig,          Wut ist Angst. Es hilft,
da dies den Zugang zu den an diesem Fall
beteiligten Gerichtsbarkeiten ermöglicht.       ständig aufmerksam                              Hintergrund:
    Auf der anderen Seite sehen wir täg­
lich, was diese illegalen Schulden vor                zu bleiben.                               Mosambik am
Ort auslösen. Das Gesundheitssystem
ist in Mosambik sehr schlecht geworden.
                                                                                                Paradeplatz
Es fehlt an medizinischer Versorgung und        Ist Wut eine andere Energiequelle?              Gemeinsam mit der russischen Bank VTB
an Medikamenten. So gibt es Gesundheits­        Nein, meine Herausforderung besteht viel­       Capital hat die Credit Suisse 2013 und 2014
einrichtungen, die seit zwei Jahren ohne        mehr, diese zu kontrollieren. Ich muss je­      gesamthaft Kredite über zwei Milliarden
Medikamente auskommen müssen. Auch              de Sekunde über meine Schultern blicken.        Dollar an drei halbstaatliche mosambi­
das Bildungssystem ist stark betroffen. Wir     Unkontrollierte Wut ist da gefährlich. Aber     kanische Firmen vermittelt. Treibende Kraft
sehen unsere Aufgabe deshalb darin, welt­       wenn wir über Gefühle sprechen: Viel bedeu­     war die Schiffsbau-Firma Privinvest mit Sitz in
weit unterschiedliche Kenntnisse und Fä­        tender als Wut ist Angst. Es hilft, ständig     Beirut und Abu Dhabi, die in Mosambik Schiffe
higkeiten mit der Dringlichkeit vor Ort zu      aufmerksam zu bleiben.                          für ein Küstenschutzprojekt und den Thunfisch-
verbinden.                                         Um Angst produktiv umzuwandeln, sind         fang bauen wollte. Die Schiffe waren um mindes­
    Nach den Zeugenaussagen in New York         vor allem gute Sicherheitsvorkehrungen          tens 700 Millionen Dollar überteuert, mindes­
von Ende Oktober ist der CS-Aktienkurs          notwendig. Wir müssen uns über die Ge­          tens 200 Millionen wurden in Schmier­gelder
                                                                                                investiert, und von weiteren 500 Millionen fehlt
deutlich gesunken. Er hat sich inzwischen       fahren im Klaren sein und diese antizipieren.
                                                                                                noch immer jede Spur. Die drei Firmen waren
wieder erholt, aber das zeigt, dass wir auf
                                                                                                nie rentabel. Ob der mosam­bikanische Staat
dem richtigen Weg sind.                         Die Schweizer Staatsanwaltschaft
                                                                                                aufgrund einer verfassungswidrigen Staatsga-
                                                blieb bislang inaktiv. Nun prüft sie            rantie für die Schulden einspringen muss, ist ei-
Du beschreibst ein Land, das von den            den Fall als Folge des internationalen          ne offene juristische Frage. Weil die Kredite ge-
Schulden schwer gezeichnet ist.                 Drucks. Was braucht es, damit sich              heim gehalten worden waren, stoppten der IWF
Während Armut und Repression                    dies beschleunigt?                              und Gläubigerstaaten – darunter die Schweiz –
zunehmen, zieht sich die juristische            Menschen in der Schweiz müssen Lärm ma­         fast die gesamte Budgethilfe. Im Oktober 2016
Aufarbeitung in die Länge. Wie gehst            chen und auf die Ermittlungen der Finanz­       erklärte Mosambik deswegen seine Zahlungs-
du damit um?                                    marktaufsicht und der Bundesanwaltschaft        unfähigkeit. Das Land kann die Schulden auch
Ich muss mich jeden Tag aufs Neue antrei­       drängen. Sie müssen sicherstellen, dass die     heute nicht bedienen – 2 Milliarden Dollar ent-
ben. Entscheidend hierfür ist das Leiden der    Schweizer Regierung öffentlich gegen diese      sprechen rund der Hälfte des jährlichen Staatsbud-
Menschen in Mosambik sowie die Qualität         illegalen Praktiken Stellung bezieht. Kurz:     gets. Ein Bericht des unabhängigen Wirtschafts-
der internationalen Allianzen, die wir ein­     Der Skandal muss sichtbar werden.               prüfers Kroll zeigt, dass interne Kontrollstellen der
gegangen sind. Auch und gerade wenn die             Kein Handeln der Schweizer Bevölke­         Credit Suisse versagt haben. Gegenüber der
                                                                                                US-amerikanischen Justiz gaben drei CS-Banker
Repression zunimmt. Ziel dieser Repression      rung und ihrer Regierung bedeutet für die
                                                                                                zu, Schmiergelder entgegengenommen zu haben.
ist es ja, den Fall unter den Teppich zu keh­   Menschen in Mosambik, dass diese das
                                                                                                In einem eben erst zu Ende gegangenen Prozess
ren. Dass dies trotz der Anstrengungen nicht    CS-System zum Betrug des Globalen Südens
                                                                                                in New York gegen Privinvest-Verkaufschef Jean
gelingt, gibt uns Mut zum Weitermachen.         gutheissen.                                     Boustani wurde deutlich, dass die CS sehr früh um
                                                                                                Ungereimtheiten im Zusammenhang mit den Kre-
                                                   Das Interview wurde auf Englisch geführt.    diten gewusst haben muss.
Die globale Allianz Acht Gespräche über Aktivismus - Tour de Lorraine
10 ― 11

                           Cariana, Pará/Brasilien.

Im Kreuzfeuer des brasilianischen
Kapitalismus und Nationalismus
                           Für die Kampagne «Nenhuma gota a mais!» (Nicht ein Tropfen mehr!)
                           besuchte eine Delegation von indigenen Leader*innen während vier
                           Wochen zwölf Länder in Europa, um auf die Angriffe gegen indigene
                           Gemeinschaften in Brasilien seit Beginn der Präsidentschaft von Jair
                           Bolsonaro aufmerksam zu machen. Das Gespräch mit Angela Katxuyana
                           fand im Rahmen des Aufenthalts der Gruppe in der Schweiz statt.
                                                                                                       von Meret Oehen

                                          Seit wann engagierst            lich war für die Rückgabe der Territorien.      ren wir über den Kampf für die garantierte
                                          du dich politisch?              Es wurde nur anerkannt, weil wir in Genf        Rück­gabe der indigenen Territorien. Ein
                                          Seit meiner Schulzeit. Seit     bei der UNO Druck gemacht hatten. Dort          weiteres Thema ist die Nachhaltigkeit. Wir
                                          ich sieben Jahre alt bin,       hatten sich viele indigene Volksgruppen ge­     unterstützen lokale Organisationen beim
                                          probiere ich mich zu            troffen und hatten Druck gemacht, um die        Verwalten ihrer Gebiete. Ein sehr wichtiges
                                          engagieren.                     Anerkennung zu erhalten. Das war ein ganz       Thema ist die Eröffnung des «Fundo Indí-
                                                                          besonderer Moment in meinem Aktivismus          gena da Amazônia Brasileira». Es geht um
                                          Warum bist schon so             und Kampf.                                      das Managen des Fonds und um Fundrai-
                                          jung politisch aktiv               Unser Aktivismus war sehr wichtig für        sing zur Unterstützung indigener Commu-
                                          geworden?                       die ganze indigene Bevölkerung im gesam-        nitys. Das vierte Thema ist der Support von
                                          Die Motivation war der                                                             zahlreichen indigenen Bevölkerungs-
                                          Kampf für unsere Rech-                                                             gruppen, die in freiwilliger Isolation
                                          te. Ich besuchte eine in-                                                          leben. Auch die Landesrechte und die
  Angela Katxuyana         digene Schule, keine Regelschule. Des-                                                            Verteidigung des indigenen Territori-
 ist von der indigenen     halb haben wir für eine bessere Schule                                                            ums sind wichtige Themen.
         Gemeinschaft      gekämpft. Der Kampf für bessere Bil-
             Cariana im
                           dung, ein besseres Gesundheitssystem  –                                                            Und auf der lokalen Ebene, was
 Bundesstaat Pará im
       nördlichsten Teil   alles Grundrechte, die uns zustehen  –
                           waren Dinge, die mich motivierten,
                                                                          Natürlich werden wir                                macht ihr dort für Aktionen?
                                                                                                                              Eine der wichtigen Aktionen ist die
      Brasiliens an der
  Grenze zu Suriname.
    Sie ist im Vorstand
                           mich politisch zu engagieren.                  bedroht und verfolgt.                               Überwachung, Kontrolle und Vertei­
                                                                                                                              digung der territorialen Grenzen der
        von COIAB, der
                           Was waren Erfolgserlebnisse, die                                                                   indigenen Gebiete. Diese Arbeit wird
      Koordination der
 indigenen Organisati-     dir besonders in Erinnerung                                                                        von den lokalen Organisationen und der
      onen des brasilia-   geblieben sind?                                                                                    Gemeindebevölkerung gemacht und
   nischen Amazonas.       Ein grosses Erfolgserlebnis war, als wir                                                           wir unterstützen sie dabei. Wir helfen
  Der rechtsnationale      unsere traditionellen indigenen Territo­                                                           ihnen, Landinvasoren zu konfrontieren
         Präsident Jair    rien nach vierzig Jahren zurückerhiel­                                                             und anzuzeigen. Manchmal kommt es
   Bolsonaro will den      ten. Die Militärdiktatur hatte unser Volk,     ten Brasilien. Das Neuste ist: Für die Grenz-   auch zu direkten Konflikten. Im Falle von
    Amazonas-Regen-
                           wie viele andere Bevölkerungsgruppen, in       ziehung der indigenen Territorien sollte        Landbesetzungen wird die Gemeindebevöl­
  wald für Holzschlag,
   Bergbau und Land­-      ein anderes Gebiet umgesiedelt. Meine Ge­      nicht mehr das Justizministerium zustän-        kerung selbst aktiv. Das Problem ist, dass der
  wirtschaft freigeben     neration hat zehn Jahre lang um die staatli­   dig sein, sondern das Landwirtschaftsminis-     brasilianische Staat extrem wenig tut, um
 und geht hart gegen       che Anerkennung und um die Rückgabe des        terium. Da waren wir auch sehr stark enga-      indigene Territorien zu schützen. Deshalb
  Proteste vor. Seit er    Territoriums gekämpft. Im Jahr 2015 aner­      giert, und wir konnten erreichen, dass die      ist es an der lokalen Bevölkerung, ihre Ter­
im Amt ist, haben die
                           kannte die brasilianische Regierung den        Kompetenz beim Justizministerium bleibt.        ritorien zu verteidigen und Eindringlinge
        Rodungen und
        Waldbrände im      Anspruch und 2018 erhielten wir vom Justiz­                                                    zu vertreiben.
    Amazonasbecken         minister unser Territorium zurück. Das war     Welche Aktionen organisiert ihr und
           drastisch zu­   nur 15 Tage vor dem Ende der Amtszeit von      wie setzt ihr sie um?                           Also physisch verteidigen?
            genommen.      Präsident Michel Temer. Das war die letzte     Bei COIAB haben wir vier wichtige The-          Ja.
                           Aktion des Justizministers, der verantwort­    men. Beim Thema Grenzziehung diskutie-
Das Problem ist, dass
Und das funktioniert?
Das hat bis jetzt mehr oder weniger             der brasilianische Staat                             den, zum Beispiel der Anbau von Ge­
                                                                                                     müsegärten. Da entscheiden die Frauen,
funktioniert. Wenn die indigene Bevöl­
kerung nichts tut, nimmt die Zahl von            extrem wenig tut, um                                wann welche Sorten von Gemüse ange­
                                                                                                     baut werden. Wenn die Frauen das nicht

                                                indigene Territorien zu
Landbesetzungen zu. Weil die Behör­                                                                  entscheiden, hat die Gemeinschaft
den nichts machen, müssen wir selber                                                                 nichts zu essen. Nach der Jagd entschei­
unser Land verteidigen. Es gibt eine Or­                                                             den die Frauen, ob die Beute in der Ge­
ganisation von Freiwilligen, die «Guar­
dião da floresta» (Wächter des Waldes),
                                                       schützen.                                     meinde geteilt wird oder nicht. Wenn
                                                                                                     die Männer weg sind, übernehmen die
deren Engagement schon Wirkung ge­                                                                   Frauen die Verteidigung der Gemeinde.
zeigt hat. Aber es ist gefährlich. Dieses                                                            Und die Frauen werden immer gefragt,
Jahr wurde ein indigener Wächter bei seiner      Das scheint ein Vollzeitjob zu sein!           bevor eine gemeinsame Entscheidung ge­
Arbeit von Holzfällern ermordet.                 Ja, das ist ein Einsatz von 100 Prozent. Ich   troffen wird.
                                                 bin in den Vorstand von COIAB gewählt             Die Beteiligung der Frauen in der Be­
Gibt es auch Positives bei der Über-             worden und meine Amtszeit dauert vier          wegung ist sehr wichtig, weil die Frauen
wachungsarbeit?                                  Jahre. Diese Arbeit ist nicht bezahlt, wie     im Alltagsleben wichtige Entscheidungen
Ja, die Tatsache, dass es eine Überwachung       bei allen anderen indigenen Organisatio­       treffen. Es waren die weissen Kolonisten,
gibt, ist positiv. Dies gewährleistet die Si­    nen. Aber wir erhalten finanzielle             die unsere Gesellschaft immer als eine von
cherheit der indigenen Bevölkerung und           Unterstützung für Reisen wie diese jetzt.      Männern dominierte zeigten. Sie haben im­
verhindert das Fortschreiten der illegalen                                                      mer die Männer als Handels- und Geschäfts­
Abholzung des Regenwaldes, des Bergbaus          Im vergangenen August fand der                 partner bestimmt. So glaubten alle, dass wir
und der Goldwäscherei. Auch Landbeset­           Marsch der indigenen Frauen statt.             Frauen weniger wichtig sind als die Männer.
zungen können so verhindert werden. Na­          Welche Rolle spielen die Frauen in             Das ist eine falsche Annahme. Der indige­
türlich werden wir bedroht und verfolgt und      diesem Kampf?                                  ne Frauenmarsch zeigte, dass die Rolle der
stehen unter grossem Druck, aber wir sind        Es ist sehr wichtig, den Mythos zu beenden,    Frau fundamental ist in unserer Bewegung.
mit diesen Aktionen auf verschiedenen Ebe­       dass in den indigenen Dörfern nur Männer       Die Idee, dass die Frauen keine relevante
nen erfolgreich gewesen. Deshalb ist unsere      Entscheidungen treffen können. Gewisse         Rolle spielen, entspricht nicht unserer Kul­
Bilanz positiv.                                  Entscheidungen liegen im Dorf und in der       tur, ebenso wenig die Missachtung auf Basis
                                                 Bewegung ausschliesslich in Frauenhän­         von Alter oder Gender.

                                                                                                Das Interview wurde auf Englisch
                                                                                                und Portugiesisch geführt.
                                                                                                Übersetzt haben Gasparini              Weiterlesen:
                                                                                                Kaingang und Pedro Paulo de
                                                                                                                                   Kampagne «Nenhuma gota a
                                                                                                Araujo Moraes.
                                                                                                                                   mais!»: en.nenhumagotamais.org
                                                                                                                                   Lichterbeck, Philipp: «Wir werden
                                                                                                                                   den Amazonas ausbeuten. Er
                                                                                                                                   gehört uns!», in: Republik vom
                                                                                                                                   22.8.2019. Online auf: republik.ch
12 ― 13

                                              Berlin, Deutschland.

Globale Gerechtigkeit
als Perspektive
                                               Als wir Sina anrufen, ist sie gerade in Berlin, um die Protest-
                                               aktionen von Ende Gelände im Lausitzer Braunkohlerevier mitvorzu-
                                               bereiten. Ende Gelände ist eine in lokalen und überregionalen
                                               Arbeitsgruppen organisierte Bewegung, die sich seit 2015 in deut-
                                               schen Kohlerevieren für den Kohleausstieg und Klimagerechtigkeit
                                               engagiert. Zum Auftakt der UN-Klimakonferenz in Madrid protestierte
                                               Ende Gelände gemeinsam mit Fridays for Future an einem grossen
                                               Aktionswochenende für Klimagerechtigkeit in der Lausitz.
                                                                                            von Suse Bachmann und Meret Oehen

                                                Warum ist Ende Ge-           Wir müssen nicht perfekt sein. Wir machen             Zum anderen pflegen wir internationa­
                                                lände so erfolgreich?        so viel, wie eben gerade geht – auch wenn es      le Kooperationen. Vergangenes Jahr war es
                                                Ein ganz wichtiger           nur eine Stunde pro Woche ist. Diese Stunde       das tschechische Klimacamp Limity jsme my
                                                Punkt ist die Orga­          ist wertvoll.                                     (Wir sind die Grenzwerte), eine Massenakti­
                                                nisationskultur. Wir                                                           on gegen Kohle, ähnlich wie die Proteste von
                                                geben uns Mühe, nie­         Inwieweit seht ihr euch als Teil einer            Ende Gelände in Deutschland. Oder Code
                                                derschwellig zu sein         internationalen Bewegung?                         Rood, eine Massenaktion zivilen Ungehor­
      Sina Reisch ist     und Willkommensstrukturen zu haben.                In der Theorie, in der Analysearbeit spielt die   sams gegen Gas in den Niederlanden. Dieses
        Aktivistin. Für   Für Menschen, die zum ersten Mal an ein            internationale Perspektive eine grosse Rolle.     Jahr hatte Ende Gelände eine Kooperation
   Ende Gelände ist       Bündnistreffen kommen, gibt es ein Bud­            Ende Gelände hat die Perspektive, dass Kli­       mit Reclaim the Power in Grossbritannien.
  sie im Presseteam       dy-Prinzip. Wir versuchen den Leuten den           magerechtigkeit bedeutet: Leute im Globa­         Sie verbinden mit dem Klimakampf auch
   aktiv. An der Tour     Einstieg in die Arbeit zu erleichtern. Der         len Süden leiden zuerst und stärker und jetzt     eine antirassistische Perspektive und den
 de Lorraine gibt sie     zweite Punkt ist, dass es eine sehr vielfältige    schon unter der Klimakrise, obwohl wir im         Kampf gegen Abschiebungen (Ausschaf­
 einen Workshop zu        Arbeit ist. Da ist für alle etwas dabei. Es gibt   Norden sie verursacht haben. Das ist eine         fungen) von Geflüchteten. Oder in Italien
Öffentlichkeitsarbeit     etwa Leute, die sehr gern die Finanzarbeit         historische Ungerechtigkeit. Diese globale        die Aktionen gegen Kreuzfahrtschiffe. Mit
  und dem Umgang          machen und in Dokumentübersichten und              Perspektive von Gerechtigkeit unterscheidet       den Pacific Climate Warriors hatten wir auch
          mit Medien.     im Rechnen aufgehen können. Oder wie ich,          sich vom Narrativ «Ihr zerstört unsere Zu­        schon tolle Kooperationen. Als sie aus dem
                          die gerne mit Journalistinnen redet. Andere        kunft», wo das eigene Leben im Mittelpunkt        Pazifik für die UN-Klimakonferenz gekom­
                          designen lieber, bereiten das Camp vor oder        steht. Auch die eigene Zukunft schützen zu        men sind und dort gesprochen haben, das
                          planen Aktionen. Das Dritte ist – für mich         wollen, ist natürlich völlig legitim, aber wir    war sehr bewegend.
                          ein wichtiger Punkt –, dass die Arbeit de­         machen uns eher für die globale Gerechtig­            Das heisst, bei Ende Gelände steht zwar
                          zentral ist. Viel Arbeit findet online statt. So   keitsperspektive stark.                           das Thema Kohle im Mittelpunkt, aber es
                          können sich auch Leute auf dem Land betei­                                                           ist eingebettet in eine globale Analyse, und
                          ligen, die nicht in der Grossstadt Anschluss       Was heisst das für eure Praxis?                   entsprechend versuchen wir auch an andere
                          an Politgruppen haben.                             Wir versuchen zum einen unsere Organisa­          Kämpfe anzuknüpfen.
                             Zu unserer Kultur gehört auch das               tionsformen sprachlich offen zu halten. So
                          Grundverständnis, dass wir vielfältig sind         haben wir bei den Camps Simultanüber­             Was würde es für dich heissen, zu
                          und jeder noch so kleine Beitrag hilft. Es gibt    setzungen, und unsere grossartige «AG In­         gewinnen?
                          bei Ende Gelände eine grosse Akzeptanz da­         ternationales» übersetzt unsere Texte und         Ich habe nicht das Verständnis, dass die Re­
                          für, dass Leute verschiedene Sachen machen         unsere Webseite. Durch die Mehrsprachig­          volution kommen wird und danach ist alles
                          und unterschiedlich viel Zeit für Ende Ge­         keit können sich verschiedene Menschen            gut. Das wird eher ein längerer Prozess sein,
                          lände mitbringen. Das heisst, wir versuchen,       beteiligen.                                       der komplex und schwierig ist. Es ist gefähr­
                          dem Leistungsdruck entgegenzuwirken.                                                                 lich zu denken, dass es irgendwann fertig sei.
Wir müssen immer wieder an den aktuellen          Was waren Erfolgserlebnisse für dich          Passau. Wir waren nur zehn bis fünfzehn
Problemen der Gesellschaft arbeiten. Es ist       persönlich?                                   Leute, die nachts am Bahnhof standen, als
nicht frei von Widersprüchen. Klimagerech­        Ein Erfolgserlebnis war, eine neue Aufga-     der erste Zug nach Deutschland kam. Dann
tigkeit ist ein Ideal und wir können nur ver­     be im Bündnis anzunehmen, von der ich         fing ein verrückter Monat an. Auf den Pas-
suchen, uns immer weiter anzunähern.              überzeugt war, dass ich ihr nicht gewach-     sauer Strassen begegneten wir auch Leuten,
   Die Vision wäre, dass zunächst einmal kei­     sen und völlig überfordert sein würde. Und    die eigentlich gar nicht nach Deutschland
ne fossilen Energieträger mehr verbrannt wer­     dann zu merken: Ich kann das! Diesen Pro-     wollten, sondern zu Verwandten in andere
den, ein ökologisches Gleichgewicht besteht,      zess des Wachsens beschreiben viele Leute     Länder weiterreisen wollten. Doch sobald
in dem die Menschen ein anderes Verhältnis        bei Ende Gelände. Sie fordern sich selber     die Polizei sie registriert, müssen sie auf-
zur Natur haben. Dass man solidarischer           heraus, gehen über ihre eigenen Grenzen       grund des Dublin-Systems in Deutschland
miteinander umgeht, die Ungerechtigkeiten         und merken dann erst, wie viel sie eigent-    bleiben. Obwohl wir die Gesetze kannten,
nicht mehr so stark sind und sich alle nach ih­   lich können und was in ihnen steckt.          waren wir auf diese Situation nicht vorbe-
ren Bedürfnissen und Fähigkeiten in                                                                   reitet. Trotzdem war sofort klar, dass
dieser Gesellschaft einbringen können.                                                                wir diese Menschen vor der Registrie-
                                                                                                      rung schützen und Weiterreisen orga-
Was sind Erfolgserlebnisse für
dich in deinem Kampf?
                                                         Wir müssen                                   nisieren wollten.
                                                                                                         Ich bin mit ein paar Leuten von
Wir von Ende Gelände denken wohl
jedes Mal am Tag vor der Aktion: Das                     nicht perfekt                                damals immer noch auf Facebook be­
                                                                                                      freundet und sehe nun etwa die Fotos
wird alles nix, das kann ja gar nicht
funktionieren! All die Hürden, die                       sein. Wir ma-                                von einem Mann und seinem Bruder in
                                                                                                      Dänemark und denke: Wenn wir uns

                                                       chen so viel, wie
uns in den Weg gelegt werden. Wie                                                                     damals nicht auf der Strasse getroffen
sollen wir das denn jemals schaffen?                                                                  hätten, wären die Brüder jetzt nicht
Und dann sind wir plötzlich doch in                                                                   zusammen. Er war schon auf dem Weg
der Grube.                                             eben gerade geht.                              zur Auffangstation der Polizei.
   Es ist jedes Mal wieder ein über­                                                                     Da war wohl der erste Moment, wo
wältigendes Erfolgserlebnis, zu sehen,                                                                ich wirklich zivil ungehorsam war, al­
dass eine Aktion funktioniert, und wie                                                                so bewusst aus politischen Gründen
viele Rädchen da ineinandergreifen. Dass die                                                    gegen Gesetze verstossen habe. Wo ich ge­
vielen entstehenden Probleme einfach gelöst       Wie wurdest du politisiert?                   merkt habe: Das ist das Richtige. Ich habe
werden, von hunderten Leuten, die auf einem       Ich war schon immer ein sehr gerechtig-       damit einen starken Einfluss auf das Leben
Camp ihre Arbeit tun. Ohne dass es eine zen­      keitsbedachter Mensch, sagt meine Mama        von Menschen. Mein Handeln hat eine po­
trale Koordinierungsstelle gibt, die bestimmt,    immer. In der Jugend habe ich angefangen,     litische Tragweite. Diese Erfahrung der
was alle Leute machen sollen.                     mich politisch zu betätigen, und im Studi-    Selbstwirksamkeit ist auch bei Ende Gelän­
   Natürlich versuchen wir bei Ende Gelän­        um habe ich dann viel für das linke Zen-      de ganz zentral.
de, die Arbeiten zu koordinieren, aber nie­       trum in Passau gemacht. Dann kam 2015
mand hat den kompletten Überblick. Es sind        ein wichtiger Moment für mich, wo ich
kleine Teilsysteme, die in sich funktionieren.    zum ersten Mal so richtig verstanden habe,
Das macht immer wieder Hoffnung, dass es          was es bedeutet, ein politisches Subjekt zu
auch im grösseren Massstab so funktionie­         sein und tatsächlich mit meinem Handeln
ren kann, selbstverwaltet; dass man keine         etwas zu beeinflussen. Damals kamen sehr
                                                                                                                                     ieses Thema weiterdenken:
                                                                                                                                    D
autoritäre Top-down-Organisationsstruk­           viele Flüchtende nach Deutschland und ei-                                         Sa, 18.1.2020, 13:30 Uhr
tur braucht.                                      ner der wichtigen Grenzübergänge war bei                                          Workshop: Radikal und
                                                                                                                                    solidarisch! Alles eine Frage
                                                                                                                                    der Organisation
                                                                                                                                    Sa, 18.1.2020, 17:00 Uhr
                                                                                                                                    Workshop: Medientraining:
                                                                                                                                    Wie rocke ich Interviews,
                                                                                                                                    Podien und Talkshow-Sofas?
                                                                                                                                    –› Siehe Programmteil Seite 24.
14 ― 15
 
      t a uF S ta  dt
 rech                      S ch ü tzen!
           ek u l a n te n                     !
 Statt  Sp                          9. Februa r
                     ItI atIv e a m
    zur  W o hn  -In
 Ja

                                viele Kämpfe...
                                       ...eine Spende
                                                          SOLIFONDS
                                Emanzipatorische soziale Kämpfe im Globalen Süden
                                    mit einer Spende aus der Schweiz stärken.

                                                          SOLIFONDS.ch /spenden
                                                          IBAN CH52 0900 0000 8000 7761 7

         KULTURWERBUNG
      IST KULTURFÖRDERUNG
                     passiveattack.ch

         PROGRAMM
           20 Jahre
       Tour de Lorraine              BE

                             11.01.2020       S E IT
                                              16 –1EN
                                                     9

10. & 11.01.2020             35 Bands in
4 Filme   SEITE
           21                15 Lokalen
                                          SEITEN

16., 17. und      S E IT
                         E   18.01.2020    22–25

18.01.2020                   25 Workshops
                     20

› Klimahalle
                             19. – 21.01.2020
                             3 Tage Winter-
                             wanderung
                                                   SEITEN
                                                   25 & 4 0
16 ― 17
KONZERTE und mehr                                                                           

  TURNHALLE                                  O’BOLLES                              K APITEL                               DACHSTOCK
  Speichergasse 4                            Bollwerk 35                           Bollwerk 41                            Reitschule. Neubrückstrasse 8
  Doors 21:30                                Tagsüber offen ab 9:30                Doors 18:00                            20:00 BLACK. SPACE. RACE.
  22:00 IRINA MOSSI & BAND                   22:30 willibald                       Burger und Barbetrieb as usual ...     A Supersonic Afrobeat
  danach DJ Kermit                                                                 22:00 Biandapid                        Performance
                                          willibald                                ab 24:00 Princess P.,                  (Manaka Empowerment Prod.)
IRINA MOSSI & BAND                           Bern/ Noise Rock                               Racker, Bird                  Danach: Afrobeats Party & DJs
    Biel/ Soul                               Das ist eruptiver Noise Rock, der
   Soulgetränkt und warmgeschlif-         die Welt in einen Malstrom aus         Biandapid                              BLACK. SPACE. RACE.
fen. Irina Mossi ist nicht leicht zu      Lärm und Liebe reisst. Strauchelnd        Bern, Zürich/ Live Electro          A Supersonic Afrobeat
fassen: Die Töne fliessen wie Öl          entdeckst du bald aufflackernde           Das Kapitel ist erstmalig mit       Performance
und sind weich wie Samt. Mal frönt        Heiterkeit, bald schwarzlöchrige       einem Live-Konzert an der Tour            Theaterperformance
die Bieler Sängerin dem sonnen-           Abgründe, bald flirrend-lärmig,        de Lorraine dabei: Biandapid – ein        BLACK. SPACE. RACE. – A Su-
getränkten Reggae, mal peitscht           bald eingängig-treibende Sounds –      energie­geladenes Duo aus Bern und     personic Afrobeat Performance
sie altgediente Klassiker der Black       immer und immer wieder. Ein            Zürich, das wohl kurz vor einem        zeigt anhand der bemerkenswerten
Music voran. Sie füllt und sie dehnt      Sog, der dich nicht mehr loslässt!     grossen Durchbruch steht (verdient     Geschichte von Edward Mukuka
die Balladen. Irina Mossi & Band –        Treibsand ist Dreck dagegen.           wäre er jedenfalls!), gibt ein dun-    Nkoloso und des sambischen Welt-
das ist musikalische Dringlichkeit,                                              kel-zerbrechliches Elektroständchen.   raumprogramms der 1960er Jahre,
die sich zurücklehnt. Denn aus der           danach                                                                     wie eindimensional und kolonialis-
Laid-Back-Perspektive lässt sich der      DJ Caschiel                            Princess P.                            tisch der Blick der westlichen Welt
Soul am besten begreifen.                    CH/ 60ʼs Soul & more                Racker Midilux                         auf Afrika ist. Damals wie heute.
                                             Mit Strom gegen den Strom –         Bird Sirion Records                    In einer vibrierenden Afrobeat-Per-
DJ Kermit                                 von 60’s Soul, Surf & Garage über         Bern/ Electro                       formance mit Gesang, Storytelling,
   Bern/ Nice Sound                       Punk bis in die Neuzeit – voyage          Zur tosenden Afterparty bis         Tanz und Physical Theatre und
   Seine ersten Erfolge erzielte DJ       avec fromage!                          frühmorgens stehen erfahrene           unter Einbezug von politischen
Kermit vor 20 Jahren. Als Member                                                 Plattenkünstler*innen am DJ-Tre-       Kontexten zelebriert die Berner
der FM-Productions-DJ-Crew machte                                                sen im schmucken Ecklokal am           Gruppe Manaka Empowerment
er die Schweizer Clubs unsicher. Für                                             Bollwerk. Princess P., Racker und      Prod. rund um Ntando Cele und
eine Zusammenarbeit mit ihm ge-                                                  Bird sind allesamt Profis, die nicht   Raphael Urweider das Bild eines
ben sich Schweizer Acts wie L Deep,                                              nur ihr Handwerk bis zur Perfekti-     zukunftshungrigen, humorvollen
Steff la Cheffe, Wurzel 5, Lo & Leduc,                                           on beherrschen, sondern auch wie       und selbstbewussten Afrikas. The
Boys on Pills, Kaiser & Dimitri die                                              in guten alten Zeiten Musik am         future is black!
Klinke in die Hand. Dazu kommen                                                  schwarzen Gold präsentieren. Die
internationale Projekte mit Maylay                                               Vorfreude ist gross! Lasst uns tan-
Sparks, Spleen, 2 Tungs, Dabbla                                                  zen, für Gleichberechtigung, gegen
oder Lords of the Underground und                                                den Klimawandel und den World
anderen. Ein abwechslungsreiches                                                 Economic Failure!
DJ-Set, das es in sich hat.

                    TICKETS
                    Kein Vorverkauf.

                    Abendkasse ab 19 Uhr bei der
                    Turnhalle im Progr, bei der Reit-
                    schule und beim Quartierhof in
                    der Lorraine.
                                 Solipreis: 35 Fr.
                                   regulär: 30 Fr.
                                 reduziert: 25 Fr.
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