Tour décolonial Das Hef t zur & Hintergrund- Tour de Lorraine
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MIT 30.4 DEM PR . – 13 O .5. * GRAMM TO U R D E D E R TO No. 33 I 2021 LOR UR D RAIN ÉCO E 20 LON 21 * IA in BE L RN Das Heft zur c o lo n i a l tofeuurnddHeérzen dekolonisieren & Hintergrund- TEXTE Seiten 3 bis 15 Köp 2021 Tour de Lorraine
2 ―3 Glossar Erschreckt nicht, wenn diese Zeitung mit einem Glos- sar beginnt. Ein Glossar soll nicht belehren, sondern Begriffe, Worte und Konzepte erklären, damit wir alle ein gemeinsames Vokabular haben, mit dem wir uns austauschen können. Einige weitere Begriffe werden Kulturalisierung Bezeichnet die Hervor- auch im Text «Huutfarb» auf Seite 6/7 erklärt. Die Be- hebung kultureller Eigenschaften ge- Schwarz Der Begriff ist eine politische deutung von Sprache – und die Macht, die sie mit sich genüber gesellschaftlichen oder indi- Selbstbezeichnung und wird daher im- bringt – führt das Kollektiv Wort&laut in seinem Text viduellen Faktoren. Die «kulturellen» mer grossgeschrieben. Er bezieht sich «Laute Worte, leiser Wortlaut» (Seite 20/21) aus. Zuschreibungen basieren häufig auf nicht auf eine Hautfarbe, sondern auf rassistischen und diskriminierenden eine gemeinsame Position in der Gesell- Ableismus Der Begriff (engl.: able = be- Vorurteilen. schaft und damit auch gemeinsame Er- fähigt) ist das Fachwort für die oft mit fahrungen. Grenzüberschreitungen und stereoty- Pluralität Anerkennt die Vielfalt und He- pen Zuweisungen verbundene Diskri- terogenität der Positionen und Perspek- Sinti*ze m Ez. Sinto, m Mz. Sinti; f Ez. Sin- minierung von Menschen aufgrund tiven. Steht im Gegensatz zur Universa- tez(z)a oder Sintiz(z)a, f Mz. Sintez(z)e oder einer körperlichen oder psychischen lität, die den Anspruch erhebt, für alle Sinti(z)ze Selbstbezeichnung für Nach- Beeinträchtigung oder aufgrund von sprechen zu können. fahren von Roma-Gruppen, die bereits Lernschwierigkeiten. Es beschreibt die im 14. und 15. Jh. in den deutschspra- Tendenz, Menschen an normativen Vor- PoC Abkürzung für Person/People of Co- chigen Raum eingewandert sind. stellungen von Leistungsfähigkeiten zu lor; Selbstbezeichnung von Menschen, messen. die Rassismuserfahrungen machen. Die strukturelle Diskriminierung Benachteili- Bezeichnung ist in der Bürgerrechtsbe- gung einzelner Gruppen, die in der Or- das koloniale Projekt Der Begriff drückt wegung in den USA entstanden und zielt ganisation der Gesellschaft begründet aus, dass während der Kolonialisierung darauf ab, die unterschiedlichen Grup- liegt. Patriarchale, postkoloniale, homo- Gewalt kein zufälliger Kollateralscha- pen, die Rassismus erfahren, zu verei- phobe, religiöse oder wie auch immer be- den war, sondern untrennbar mit der nen, um so Kräfte zu bündeln und ge- gründete Konventionen, Gebräuche und europäischen Expansion einherging. meinsam gegen Rassismus zu kämpfen; Traditionen lassen die Privilegierung (Credits to Halua Pinto de Magalhães für die PoC ist der Begriff, der alle nichtweissen einzelner Gruppen bzw. die Schlechter- Definition) Identitäten vereint. stellung anderer Gruppen als «normal» und vorgegeben erscheinen. Diese Form Intersektionalität Verschiedene Arten von BIPoC Abkürzung für Black, Indigenous, der Diskriminierung ist nicht immer Diskriminierung (bezüglich Herkunft, Person/People of Color; und bedeutet auf einfach zu erkennen, da bestehende und Klasse, Hautfarbe, Sexualität, Alter, Be- Deutsch Schwarz, Indigen und PoC (wird vertraute Strukturen nicht hinterfragt hinderung usw.) lassen sich nicht vonei- nicht auf Deutsch übersetzt). Im deutsch- und auch von den Betroffenen oft sel- nander trennen. Sie addieren sich auch sprachigen Kontext wird das I oft wegge- ber nicht als diskriminierend erkannt nicht einfach, sondern führen zu einer lassen. All diese Begriffe sind politische werden. spezifischen Erfahrung. Intersektionale Selbstbezeichnungen: Sie sind aus einem Theorie analysiert unterschiedliche Po- Widerstand entstanden und stehen bis weiss Wie die Bezeichnungen «Schwarz» sitionen sozialer Ungleichheit und zeigt heute für die Kämpfe gegen Unterdrü- und «PoC» beschreibt der Begriff ihre Überschneidungen und ihr Zusam- ckung und für Gleichberechtigung. «weiss» nicht eine Hautfarbe, sondern menwirken auf. ist ein politischer Begriff, der den Zu- Rom*nja m Ez. Rom, m Mz. Roma; f Ez. Rom- gang zu Macht benennt. Um dies zu Jenische Selbst- und Fremdbezeichnung ni, f Mz. Romn(i)ja Selbstbezeichnung markieren, wird weiss als Adjektiv in die- einer kulturellen Minderheit in der und Sammelbegriff für eine heterogene sem Bedeutungszusammenhang klein- Schweiz und weiten Teilen Mittel- und Gruppe von Menschen, die im 13. und geschrieben und kursiv gesetzt. Westeuropas, die eine nomadische Le- 14. Jh. von Indien und dem heutigen Weisssein bedeutet, Privilegien und bensweise pflegten. Sie verfügen über Pakistan nach Mittel-, West- und Nord- Macht zu besitzen, wie zum Beispiel eine eigene, auf Deutsch gründende europa gekommen sind. Es gibt zahlrei- das Privileg, sich nicht mit Rassismus Sprache. Jenische haben schon immer in che Untergruppen, die sich in Sprachen, auseinandersetzen zu müssen. Weisssein der Schweiz gelebt und sind Schweizer Religionen und Gewohnheiten vonein- wird als Norm etabliert und als solche Bürgerinnen und Bürger. ander unterscheiden. meistens nicht benannt. ANTIDOT.INCLU IMPRESSUM: Mit einer Spende helfen Sie, die Kos Das Format für die widerständige Linke Tour de Lorraine 21 – Tour décolonial ten dieser Zeitung zu decken, und un antidot-inclu erscheint unregelmässig und wird der Wochenzeitung WOZ beige Herausgeberinnen: Verein antidot & TdL terstützen den Verein Tour de Lorraine. legt. Herausgegeben wird das Heft von einem von der WOZ unabhängigen Verein, Redaktion: Nadia Hamouda, Luca Spendenkonto: 60-614796-1, Tour de der der widerständigen Linken die Möglichkeit bietet, ihre Inhalte und Kampagnen Hubschmied, Meret Oehen, Sandra Lorraine, 3000 Bern einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Mehr dazu unter: antidotincl.ch. Ryf, Remziye Tekdag, Sarah Wyss, Und so funktioniert es: Interessierte Gruppen sprechen ihr Projekt mit antidot Meret Zangger | Cover: Eva de Souza Die Texte dieser Zeitung unterstehen ab. antidot bietet im Minimum Beratung bei der Zeitungsproduktion und einen – Inserate: Suse Bachmann der Creative-Commons-Lizenz by-nc-sa. dank der Solidarität mit der WOZ – finanzierbaren und übersichtlichen Kosten Layout: Tom Hänsel | tintenfrisch.net Für nichtkommerzielle Zwecke können rahmen. Das Layout der Zeitung ist vorgegeben, der Inhalt aber bleibt Sache der Korrektorat: Sandra Ryf | varianten.ch sie mit Quellenangabe unter gleichen jeweiligen Redaktion. Wenn ihr Interesse an einer eigenen Zeitung im Rahmen von Druck: CH Media Print Bedingungen frei verwendet werden. antidot-inclu habt, könnt ihr Kontakt mit uns aufnehmen: inclu@antidot.ch. Auflage: 23 000 Ex.
Editorial Wir wollen euch mit diesem Heft Türen zu einem Raum öffnen, der von vielen ver- schiedenen Menschen gestaltet wurde. Al- le Texte bis auf einen stammen von People of Color und Schwarzen Menschen, ebenso alle Illustrationen. Den letzten Text ha- ben wir als Redaktion gemeinsam verfasst. Darin wollen wir unsere Reflexionen und Kritik an unseren Entscheidungen zu die- ser Ausgabe mit euch teilen. Die Illustrationen sind zum Ausmalen kon- zipiert. Der Text «Huutfarb» auf Seite 6/7 handelt davon, was es bedeutet, dass wir einen hellrosa Farbstift «Huutfarbstift» nennen. Lasst euch davon zum Nachden- ken anregen und nutzt zum Ausmalen zum Beispiel die Hautfarben-Farbstiften- sets von Giotto ... ihr werdet an der Tour décolonial auf sie treffen. Es ist für uns alle eine aussergewöhnliche Zum Schluss ein Appell. All jene, die ei- Zeit, und das schon seit langem. Auch nen Beitrag für dieses Heft gestaltet haben, wenn wir uns sehr wünschen, dass das und dies für ein höchstens symbolisches Programm der Tour de Lorraine, das ihr Honorar, leisten auch sonst wichtige Ar- im Heft findet, wie geplant auch mit beit. Sie sind Medienschaffende, Akti- Live-Austausch stattfinden kann, können vist*innen, Illustrator*innen, Künst- wir das nicht versprechen. Falls im Mai ler*innen, Autor*innen und vieles mehr. immer noch keine Veranstaltungen mit Unterstützt sie, indem ihr ihre Gedanken Publikum möglich sind, werden wir das weitertragt, die Lektüren weiterempfehlt, Programm online durchführen. Die aktu- ihre Podcasts abonniert und die Künst- ellsten Informationen findet ihr auf der ler*innen für eure Projekte anfragt. Ras- Website tourdelorraine.ch. sismus und Diskriminierung entgegenzu- stehen, bedeutet auch Räume zu öffnen und Menschen sprechen zu lassen, über die allzu oft nur gesprochen wird. Wir wünschen euch viel Spass und Gewinn beim Lesen! Die Redaktion Zu diesem Heft haben beigetragen: Texte Kemal Sadulov Bilder Serafina Ndlovu Julia Marti ExitRacismNow! Tarek Naguib Samira Belorf serafindlovu.tumblr.com juliamarti.com Verein Diversum Allianz gegen Racial Profiling samirabelorf.com, @sambelorf @eatfartsnow @julia_x_marti Mandy Abou Shoak Payal Parekh Mandu dos Santos Pinto Whitney Bursch Ivie Ada Onaiwu Jovita dos Santos Pinto Rahel El-Maawi mandu.ch, exit-racism-now.ch @bee.whitney ivieada.com Anna Butan, lucify.ch Wort&laut Perla Ciommi Aisha Franz @ivieadaonaiwu Marilyn Umurungi (Lyrik) Abinaya Maheswaran perlart.myportfolio.com aishafranz.com Dale Forbes Molina Schwarze Schweiz Nadia Hamouda lucify.ch @aishathesheriff daleforbesmolina.ch Online Archiv Inidigenous People of Biafra Eva de Souza @daleskyn Mohamed Wa Baile Kurdischer Frauenrat Bern evadesouza.com
Exit Racism Now! Eine schweizweite Allianz will den Rassismus in der Schweiz beenden. Am 4. Juli 2020 fand gleichzeitig um 14 Uhr in sieben verschiedenen Städten der Schweiz eine Protestaktion der Allianz «Exit Racism Now!» statt. Schwarze Menschen, People of Color und weisse Menschen sind zusammengekommen, um mit einer Flashmob-Aktion ein Ende von Rassismus in der Schweiz zu fordern. Aus einem Gespräch zwischen Mandu dos Santos Pinto, Elisa da Costa und Laura Rivas von exit-racism-now.ch E xit Racism Now!, eine schweizwei- tigt die physische, psychische und ökono- te Allianz von über 25 Organisa- mische Integrität der Betroffenen. Rassis- tionen und Instituten, ist entstan- musberatungsstellen und staatliche An- den, um die zahlreichen Aktivist*- tirassimusstellen sind zum grossen Teil innen und Initator*innen der Black-Live- von weissen Menschen besetzt und nicht Forderungen Matters-Demos mit bestehenden Organi- von Black, Indigenous und People of Co- (Stand Juli 2020) sationen zu vernetzen und mit gemein- lor (BIPoC). Stellen Sie sich im Vergleich samen Kräften dem Rassismus in der vor, Sie seien eine Frau, die unter Sexismus 1. S top Racial Profiling! Schweiz ein Ende zu setzen. «Der Tod oder häuslicher Gewalt leidet, und dann Black, Indigenous and People of Colour von George Floyd hat uns als Community gehen Sie zu einer Frauenberatungsstelle, (BIPoC) dürfen nicht mehr einzig auf- den Spiegel hingehalten und gezeigt, dass die mehrheitlich mit Männern besetzt ist! grund des Aussehens oder der Haut- noch nichts besser geworden ist. Wir müs- Beratungsstellen und Antirassismusstellen farbe polizeilich kontrolliert werden. sen nun handeln, statt den Schmerz wei- bei Bund, Kantonen und Städten müssen ter zu schlucken», sagt Elisa da Costa, eine mehrheitlich mit BIPoC in Leitungsposi- 2. Wir fordern eine unabhängige der Initiator*innen. tionen besetzt sein. Alles andere ist eine Beschwerdestelle Farce», erklärt Laura Rivas. bei Polizei- und Behördengewalt. «Die Demonstrierenden hielten in den Hän- den die Namen von in den letzten Jahren «Die Geschichte der Schweiz ist eng mit 3. Stopp der tagtäglichen durch Polizeigewalt Verstorbenen und der Geschichte von Rassismus verknüpft. Diskriminierung von BIPoC wir haben uns während 8:46 Minuten – Die Schweiz gehört zu den meistbeteilig- bei der Arbeitssuche, Wohnungssuche, Schwarze Menschen, People of Color und ten Nationen am transatlantischen Handel in der Schule, im Kindergarten, weisse Menschen zusammen – nebeneinan- mit versklavten Menschen und hat vom am Arbeitsplatz, im Gesundheitswesen der auf den Boden gelegt, um der Verstor- Kolonialismus wirtschaftlich enorm pro- benen und der Menschen, die tagtäglich fitiert. Und profitiert immer noch davon. 4. Antirassismusstellen bei Bund, Rassismus erleiden, zu gedenken. Dieser Wir, die Schweiz, waren und sind nicht Kantonen und Städten müssen Moment, 8:46 wie George Floyd am Bo- unbeteiligt an der globalen Ungleichheit, von BIPoC in leitenden Positionen den zu liegen, war sehr beeindruckend», in der wir leben», sagt Mandu dos Santos besetzt sein. erzählt Thomas Asemota von der Plattform Pinto, Co-Koordinator der Allianz. «Diese für Menschen Afrikanischen Erbes – San- Geschichte muss aufgearbeitet und an den 5. D ie Schweiz äussert sich offiziell kofa: «Sich bewusst zu werden, wie lan- Schulen gelehrt werden, damit wir morgen zur eigenen Beteiligung am Kolonialis- ge und grausam dieser Mord gewesen ist. gemeinsam in eine rassismusfreie Zukunft mus und an der Apartheid und integriert Doch unglaublich war es, erst an der Demo starten können!» diese als Bestandteil des Unterrichts zu erfahren, dass auch in der Schweiz in materials an Schulen. den letzten Jahren zwölf Menschen auf- «Als Nächstes will die Allianz Politiker*in- grund von rassistischer Polizeigewalt ge- nen und Gemeinden mit den Forderungen 6. E ntfernung aller Statuen und storben sind.» direkt konfrontieren. Wir wollen ein kla- Umbenennung aller Strassen, res Bekenntnis der Schweiz gegen Rassis- Berge und Plätze, die eine Referenz «Viele Menschen erleiden alltäglichen Ras- mus. Das Ziel bleibt, den Rassismus in der an rassistische/koloniale Figuren sismus in der Schweiz. Dies beeinträch- Schweiz zu beenden.» aufweisen. 7. S topp der rassistischen, unmenschlichen und kriminali- sierenden Ausschaffungs- und Abschottungspolitik in der Schweiz und an den Grenzen der Festung Europas.
6 ―7 Huutfarb «Sie, dörf ich en Stift mit Huutfarb?» Meine Freundin Sabrina ist Primarlehrerin und diese Frage wurde ihr vor kurzem von einer Schülerin gestellt. Sabrinas Hautfarbe ist braun, genau wie die ihrer Schülerin. Text: Mani Owzar | Bild: Samira Belorf S abrina streckte also der Schüle- allerdings keineswegs nur um die Hautfar- Wiederaneignung und positive Umdeutung rin ganz selbstverständlich ei- be im eigentlichen Sinne; stattdessen kön- der abwertenden Zuschreibung «colored». nen braunen Stift entgegen. Die nen abwertende Merkmale auch Menschen PoC ist der Begriff, der die meisten nicht- Schülerin antwortet: «Nei, Sie, zugeschrieben werden, die vielleicht sogar weissen Identitäten vereint. Es existieren ich meine Huutfarb», und zeigt auf den noch genauere Bezeichnungen für gewis- hellrosa Stift. Sabrina schaut auf ihren se Gruppen, wie etwa BIPoC (Black, Indi- Arm und auf den Arm der Schülerin. An- genous, People of Color). schliessend schaut sie sich im Klassenzim- «Die Farbe, die du mer um und meint erstaunt zur Schülerin: Es geht nicht um die Farbe der Haut «Ich sehe Adam, Qendrim, Vanessa und Perwin, und jede*r von ihnen hat eine ei- meinst, ist nicht Ich selbst bin auch von Rassismus betrof- fen, daher bezeichne ich mich als Person gene Hautfarbe. Hautfarben haben wir in dieser Farbstiftschachtel ganz viele. Die Hautfarbe, of Color und nicht als weiss, obwohl meine Hautfarbe beige ist. Farbe, die du meinst, ist nicht Hautfarbe, sondern Hellrosa.» sondern Hellrosa.» Der BIPoC-Begriff wird manchmal auch als Black, Indigenous and PoC verwendet, Auch zu meiner Schulzeit war mit da sich einige Schwarze und Indigene Per- «Huutfarb» nicht die tatsächliche Hautfar- sonen nicht als PoC definieren. Schwarz be der anwesenden Kinder, sondern Beige ist die Selbstbezeichnung für Menschen, oder Hellrosa gemeint, also die Hautfarben, eine hellere Hautfarbe haben: «Betrachten die afrikanische bzw. afrodiasporale Be- die oft «Weiss» genannt werden. Wenn ich wir [...] die Entwicklung von ‹Weisssein›, züge haben. Afrodiasporal bedeutet, dass meinen eigenen Arm betrachte, dann ist er wird schnell klar, dass Menschen, die heu- Menschen in ihrer Generationengeschichte zwar nicht gerade hellrosa, aber doch ir- te als weiss gelten, dies nicht immer taten. Herkunftsbezüge zum afrikanischen Kon- gendwie beige und kommt dem, was meist Beispielsweise forderten Hafenarbeiter im tinent haben, aber ausserhalb des afrika- mit «Huutfarb» gemeint ist, ziemlich nahe. New York des 19. Jahrhunderts, ihr Viertel nischen Kontinents leben. Auch Schwarz Es gelten also nur bestimmte Hautfarben solle weiss bleiben, und damit meinten sie bezeichnet natürlich keine tatsächliche als «Huutfarb», und obwohl meine davon neben z. B. Afro-Amerikaner*innen ‹keine Hautfarbe, sondern eine von Menschen er- nicht unbedingt ausgeschlossen ist, be- Ir*innen› und ‹keine Deutschen›» (i-Päd schaffene Kategorie. Um den Widerstands zeichne ich mich dennoch nicht als weiss. Berlin, Glossar). charakter dieses Wortes zu betonen, wird Warum das so ist und was das mit Rassis- das «S» immer grossgeschrieben. mus zu tun hat, möchte ich nun aufdecken. Privilegien als Abwesenheit Während manche PoC, zum Beispiel je- von Diskriminierung ne mit heller Haut, in einigen Gegenden Hautfarbe als koloniale Kategorie Das bedeutet, dass «Weisssein» nicht nur das Privileg haben können, nicht von Ras- der Diskriminierung die Hautfarbe bezeichnet, sondern auch die sismus betroffen zu sein, gibt es Schwarze Die Hautfarbe ist ein wichtiger Bestandteil Privilegien einer Person. Privilegien zu ha- und Indigene Menschen, die dieses Privileg rassistischer Vorstellungen. Seit der euro- ben bedeutet, mit gewissen Problemen und nirgends haben. Dies führt uns zum nächs- päischen Kolonialzeit wird die Hautfarbe Diskriminierungen im Alltag nicht kon- ten Begriff, nämlich «Colorism». als Merkmal benutzt, um Menschen zu frontiert zu sein. Privilegien können sein: «kategorisieren» und ihnen vermeintliche einen Schweizer Pass haben; als weiss gelten; Je heller, desto besser? Eigenschaften zu- beziehungsweise abzu- ein cis Mann sein; nicht behindert werden. Wie wir bereits gesehen haben, werden sprechen. Während europäische Personen Privilegien zu haben bedeutet aber nicht, Menschen in einer rassistischen Gesell- als Norm definiert wurden, galten nichteu- dass man es im Leben immer leicht hat. schaft nach ihren Hauttönen beurteilt. Der ropäische Personen als Abweichung dieser Weisssein bedeutet also das Privileg zu Begriff «Colorism» kommt ursprünglich Norm, als fremd und minderwertig. Die- haben, nicht von Rassismus betroffen zu aus den USA und bezeichnet eine spezi- se erfundenen Unterschiede dienten und sein. In Abgrenzung dazu ist «Person of Co- fische Art der Diskriminierung, bei wel- dienen einzig und allein der Aufrechter- lor» (PoC) die Selbstbezeichnung von Men- cher die Farbe bzw. die Schattierung der haltung eines kolonialen Systems. Die Er- schen, die Rassismuserfahrungen machen. Haut die Basis für die Bevorzugung oder schaffung dieses Systems war nötig, um Die Bezeichnung ist in der Bürgerrechtsbe- die Benachteiligung von Personen bildet. die Ausbeutung, Misshandlung und Er- wegung in den USA entstanden und zielt Colorism hat konkrete Auswirkungen im mordung von Menschen während der Zeit darauf ab, die unterschiedlichen Gruppen, Alltag. PoC oder Schwarze Menschen, die des Kolonialismus und des europäischen die Rassismus erfahren, zu vereinen, um so besonders dunkle Haut haben, werden Versklavungshandels zu rechtfertigen. Kräfte zu bündeln und gemeinsam gegen institutionell und auch im Alltag stärker Bei diesen rassistischen Ideologien geht es Rassismus zu kämpfen. Der Begriff ist eine diskriminiert als jene mit heller Haut. In
Filmen mit Schwarzen Schauspielerinnen man lediglich von «huutfarbig». «Dunkel- Apotheke geht, dann kann sie davon ausge- werden zum Beispiel oft jene bevorzugt, die häutig» im Bezug zu «huutfarbig» ist dar- hen, dass sie ein Pflaster in ihrer Hautfarbe besonders helle Haut haben. um zwingenderweise immer «abweichend finden wird. Eine Schwarze Person kennt Obwohl Sabrina und ich beide PoC sind, von der Norm» bzw. «anders» und kann dieses Privileg nicht. Dies ist eine Form von macht sie also mehr und andere Rassismus so auch nicht zur «normalen» Gesellschaft Alltagsrassismus, wobei es natürlich leider erfahrungen als ich. Als Person of Color mit dazugehören. noch sehr viel gewaltvollere Formen von sehr heller Haut profitiere ich nämlich von Rassismus gibt. Colorism. Ich werde viel weniger diskrimi- Um wirksam gegen rassistische Struktu- niert als Personen, die dunklere Haut ha- ben oder andere rassifizierte Merkmale (wie Diese Normen ren vorzugehen, müssen wir uns bewusst werden, woher diese kommen und wo wir zum Beispiel einen Afro). haben eine reale sie noch immer finden. Die wichtige Lekti- on, die Sabrina ihrer Schülerin mit auf den Weisse Normsetzung Was bedeutet dies nun alles für den Stift Wirkung auf das Weg gegeben hat, ist, dass es keineswegs normal ist, davon auszugehen, dass mit mit «Huutfarb»? Wenn «Huutfarb» die Farbe Rosa oder Beige ist, dann ist darin Leben von Rassis- dem Begriff «Huutfarb» die Farbe Hellrosa bezeichnet wird. eine Wertung erhalten, nämlich, dass die- se Hautfarben «normal» sind. Die anderen musbetroffenen. Mani Owzar (29) lebt in Zürich und ist Hautfarben werden so zur Abweichung. Mitgründer*in von Diversum. Unterstrichen wird dies etwa auch im Be- Workshop von Diversum am 8.5.21, griff «dunkelhäutig». «Dunkelhäutig» Ein Pflaster in der Farbe meiner Haut siehe Programm. macht nur Sinn im Bezug zu «hellhäutig». Diese Art von Normen haben eine reale Hellhäutig wird jedoch kaum verwendet, Wirkung auf das Leben von Rassismusbe- sondern wie wir gesehen haben, spricht troffenen. Wenn eine weisse Person in eine Medientipp Diversum von Mani Owzar Diversum ist ein Verein für Menschen aller ermöglicht. Hinter einem Safer Space (im Tiffany Jewell und Geschlechter und aller sexuellen Orientie- Sinn eines «möglichst sicheren Raums» Aurélia Durand: rungen, die wegen ethnischer Zuschrei- oder eines Raums, der sicherer ist als an- «Das Buch vom bungen alltäglichen, institutionellen oder dere Räume) steht die Idee, eine inklusive Antirassismus». anderen Formen von Rassismus ausge- Umgebung, frei von diskriminierenden setzt sind. Unser Ziel ist es, einen Safer Äusserungen und Taten, zu schaffen. Space zu kreieren, der den Austausch zwi- verein-diversum.ch schen Menschen, die Rassismus erfahren,
8 ―9 «Schwarze Körper werden als Bedrohung verstanden.» Die Black-Lives-Matter-Bewegung hat in der Schweiz grosse Wellen geschlagen. Die wichtige Diskussion um die Überwachung und Kriminalisierung Schwarzer Körper sei hierzulande aber kaum geführt worden, sagt die Aktivistin und Forscherin Jovita dos Santos Pinto im Podcastgespräch mit Mandy Abou Shoak. Transkription: Luca Hubschmied | Bild: Mandu dos Santos Pinto I m Podcast «Wort.Macht.Widerstand» MAS: Jovita dos Santos Pinto, am Ich erinnere mich, dass ein paar Stunden diskutiert die Social Entrepreneurin 25. Mai 2020 wurde George Floyd vor dem Bekanntwerden des Tods von Ge- Mandy Abou Shoak mit Menschen- umgebracht. In einem Video war orge Floyd eine andere Nachricht die Run- rechtsaktivist*innen in der Schweiz. dieser Mord mitzuerleben. Erinnerst de machte: Eine weisse Frau rief im Central Der folgende Text ist ein überarbeiteter du dich an den Moment, als dir die Park die Polizei, nachdem eine Schwarze Auszug aus der ersten Episode des Podcasts Tragweite des Ereignisses bewusst Person, die Vögel beobachtete, ihr sagte, sie mit Jovita dos Santos Pinto Anfang Som- wurde? solle ihren Hund an die Leine nehmen. Die- mer 2020. Jovita dos Santos Pinto ist Ini Es gab nicht den einen Moment, in dem se beiden Vorfälle habe ich am Anfang stark tiantin der Website histnoire.ch, eine Do- ich die Tragweite komplett erfasst habe. Zu- zusammen gelesen. Gemeinsam stehen sie kumentation von Schwarzen Frauen* aus erst hab ich gelesen, dass jemand gestorben sinnbildlich dafür, wie weisse Privilegien der Schweizer Öffentlichkeit. war, dann auf der Plattform «Democracy wirken. An das erinnere ich mich noch gut. Now!» das Video gesehen. Die Plattform Das Video, das den Tod George Floyds Veranstaltung zu histnoire.ch am 8.5.21, hat sehr sorgfältig darüber berichtet und dokumentiert, ist gewaltvoll. Auf Englisch siehe Progamm etwa gewarnt, dass die Bilder verstörend gibt es den Begriff «disposable life», wert- seien. Ich selbst habe bisher nie das ganze loses und deswegen wegwerfbares Leben. Video ansehen können. Dieses Bild zeigt einen Teil des Auftrags
dieser Institution «Polizei», für Sicherheit wir Parallelen zur Schweiz hätten ziehen organisierten antirassistischen Kollektiven zu sorgen, indem sie überwacht. Dabei hat wollen, hätten diese Punkte im Zentrum in Lausanne. Bisher haben dieser Fall und sich einmal mehr gezeigt, dass Sicherheit der Diskussion stehen müssen. Das ist viele weitere aber nicht zu einer landeswei- für eine ganz spezifische Auswahl von kaum geschehen. ten Aufrüttelung geführt. Der Name Mike Menschen geschaffen wird. Schwarze Kör- Auch in der Schweiz sind Menschen Ben Peter wurde zwar ein paarmal genannt, per gehören nicht dazu. Im Gegenteil, sie durch Polizeigewalt gestorben. Der Fall aber wirklich rezipiert wurde der Fall nicht. werden meist als Bedrohung für die Sicher- von Mike Ben Peter hat viele Ähnlichkei- heit verstanden. Dieses Verständnis zeigte ten mit George Floyds Tod in den USA. MAS: Was war für dich in dieser sich deutlich beim gewaltsamen Tod von Mike Ben Peter wurde 2018 in Lausanne ganzen Zeit von Black Lives Matter George Floyd. von mehreren Polizisten mit den Knien der wichtigste Moment? zu Boden gedrückt und starb daran. Das Ein berührender Moment war die Mahn- Viele Menschen haben sich anfangs Thema wurde in der Romandie aufgegrif- wache zu George Floyd und anderen getöte- gefragt, was die Diskussion um Black fen, aber bekam in der Deutschschweiz erst ten Personen im Rosengarten in Bern. Die Lives Matter in den USA denn mit jetzt etwas Aufmerksamkeit. Die Forderun- Veranstaltung war offen für alle, da das der Schweiz zu tun hat. Erst allmäh- gen, die in den USA gestellt wurden, sind Thema ja alle etwas angeht, aber es war lich ist das Bewusstsein gewachsen, ganz andere als hierzulande und wurden ganz klar, wer welche Repräsentation in dass die Thematik auch hierzulande bei uns kaum rezipiert. diesem Raum hatte. relevant ist. «Abolish the Police» Schwarze Stimmen In der Schweiz wurde teilweise eine an- war eine davon, solche Es fehlt eine und Stimmen von PoC dere Diskussion geführt. Interessant war, Abolitionsbewegungen waren im Zentrum, wie viele Schwarze Menschen, und beson- ders auch Schwarze Frauen, plötzlich in existieren seit langem in den USA, aber auch Debatte, die nach und es wurde zuge- hört. Es war eine der die Öffentlichkeit katapultiert wurden und über Alltagsrassismuserfahrungen berich- in Europa. Die Polizei- gewalt trifft allgemein dem Struktu- ersten geduldeten De- mos seit Corona, und teten. Dies löste eine grosse Debatte darü- ber aus, inwiefern Rassismus ein Teil der Schwarze Körper und nichtweisse Körper. So rellen fragt. es bildeten sich Kreise von Menschen, in de- Kultur in der Schweiz ist. Mein Wermuts sehen wir, dass auch Vo- ren Mitte eine Person tropfen war, dass, wenn es um die Überwa- gelbeobachter nicht davor gefeit sind, in ei- sprach, zum Teil vorbereitet, zum Teil zu chung von Schwarzen Körpern ging, in der ne rassistische Polizeikontrolle zu geraten. etwas, was die Person gerade bewegte. Ich Öffentlichkeit zu selten eine Verbindung Der Systematik, Gewalt und Alltäglichkeit empfand es auch als einen öffentlichen zu Schweizer Institutionen gemacht wurde. sind aber gewisse Körper meist nochmals Trauerprozess; es war nicht nur ein Pro- Nicht nur bei der Polizei bedeutet Sicher- anders ausgesetzt. test, der laut und schreiend war, sondern heit das Polizieren von Schwarzen Körpern. es hatte einen vermenschlichten Aspekt. Auch in Asylunterkünften beispielsweise, MAS: Du hast den Fall Mike Ben Peter Es wurde spürbar, dass es Menschenleben wo private Sicherheitskräfte diese Aufgabe erwähnt – wie erklärst du dir, dass waren, die da ausgelöscht wurden, dass übernehmen und Menschenrechtsorganisa- dieser Fall in der Deutschschweiz diese Menschenleben einen Wert hatten, tionen kaum Zugang haben, um zu wissen, kaum beachtet wurde? dass man deshalb um sie trauert und dies was dort vor sich geht. Ich habe nur Vermutungen. Was ich mir auch öffentlich tut. Das ist Teil eines Ver- Was auch kaum Thema war, ist das Ster- vorstellen kann, ist die starke Sprachgrenze ständnisses von Black Lives Matter. Es war ben am und im Mittelmeer. Auch das ist der Schweiz. Das macht es für viele Akti- sehr eindrücklich und berührend. Es war Teil einer Überwachung, die zwar vor der vist*innen schwierig, zusammenzuarbei- ein Protest und ein politisches Zeichen, zu Schweizer Grenze passiert, aber dennoch ten. An der Demo in Gedenken an Mike Ben dem verschiedenste Emotionen gehörten ist die Schweiz Teil davon, indem sie Gel- Peter war zwar etwa die Allianz gegen Ra- und in dem nicht nur Stärke, nicht nur Wut, der für die Überwachung spricht. Beispiels- cial Profiling dabei, gewisse Verbindungen sondern auch Trauer Platz hatte, aber auch weise hat die Schweiz kürzlich eine Milli- waren also vorhanden, aber medial wurde solidarisches Lachen. Ich kann mich nicht on Franken für die Grenzüberwachung in die Demonstration kaum aufgegriffen. Of- erinnern, so etwas in der Schweiz je erlebt Libyen bezahlt. Diese Überwachung trifft fensichtlich wurde das Thema als zu wenig zu haben. nicht weisse Körper, sie trifft ganz stark relevant erachtet. Es fehlt eine Debatte, die Schwarze und andere nichtweisse Körper. nach dem Strukturellen fragt. Wie solche Ein weiteres Element dieser Strukturen Fälle von Polizeigewalt in den USA dis- Medientipps ist, dass jene Personen, die es entlang der kutiert und dokumentiert werden, hat in von Jovita dos Santos Pinto Migrationsrouten in die Schweiz schaffen, den USA und teilweise auch in Europa eine Oury Jalloh: Doku-Podcast zum ungeklärten hier kriminalisiert werden. Darüber haben lange Geschichte. Das fehlt in der Schweiz. Fall. wdr.de: WDR 5 / Podcast / Tiefenblick / wir in der aktuellen Debatte kaum gespro- Vergleichbar in der Deutschschweiz ist Oury Jalloh chen. Die Schweiz selbst schafft kriminali- beispielsweise die Organisation «augen- Vanessa Thompson in der Sternstunde sierte Schwarze Körper, dadurch, dass viele auf». Sie führt eine Liste mit Namen von Philosophie (SRF): «Rassismus, Polizeigewalt und die Zukunft der Demokratie» auf srf.ch Menschen keine Möglichkeiten haben, ihr Menschen, die durch institutionelle Gewalt oder Youtube. Leben innerhalb des geltenden Rechts zu starben oder «verschwanden». Sie macht Aladin Dampha, Ebuka Anokwa, Lionel Rupp, bestreiten. Zum Teil weil ihre Anwesenheit das unter schwierigsten Umständen, weil Lucas Grandjean, Lucas Morëel, Mamadou selbst schon illegalisiert ist. Dieses Problem viele Menschen verschwinden und oft nur Bamba: «No Apologies», Film. hat mit der Verschränkung von race und Mutmassungen angestellt werden können. Dieser Film wird am 6. und 8.5.21 im Rahmen Klasse zu tun. Die Diskussion darum hat Der Fall Mike Ben Peter war aber dokumen- der Tour décolonial im Kino in der Reitschule aber keine Öffentlichkeit gefunden. Wenn tiert, es gab Zeugen. Zudem war er Teil von gezeigt, siehe Programm.
10 ― 11 Die Kolonialisierung der Denkweise Unsere Stärken und Fähigkeiten sind wie ein wunderschöner Blumenstrauss, den wir in den Waffenlauf kultureller Arroganz schieben. Wenn die Waffe schiessen muss, mögen nur Blumen herauskommen! Wenn wir einen Blumenregen auf die Köpfe anderer Menschen fallen lassen, können wir möglicherweise auch Denk- weisen ändern, die alles nur in banalen Gegensätzen betrachten. Da gibt es kein «uns» gegen «die anderen». Da gibt es nur «uns» und «uns», in all unserer Vielfalt. Text: Anna Butan | Bild: Perla Ciommi D ie Menschheit hat sich schon vor Wenn du nicht direkt einen versklavten von Frauen mit verschiedenen kulturellen langer Zeit von der Kolonialisie- Menschen in sichtbaren Ketten siehst, dann Hintergründen und marschieren in die rung verabschiedet. Zumindest scheint es, als würdest du mit Geistern Schweizer Medienlandschaft mit unseren haben wir das gehofft. Unglück- kämpfen. Aber solange Angst gegenüber Ideen, Perspektiven und alternativen Über- licherweise erleben Menschen auch heute Menschen anderer Kulturkreise in dieser legungen ein. Wir bringen Diversität. Wir noch intellektuelle Unterwerfung und spi- zerschmettern banale Opposition. Wir su- rituelle Versklavung. Das geschieht, weil chen nach Abhilfe gegen die ansteckende der Kolonialismus weniger im physischen lucify sucht Kolonialisierung des Denkens. Bereich stattfindet. Vielleicht bemerkst du Da draussen sind jede Menge talentier- ihn nicht, aber er ist immer noch da. Wie ein Virus infizieren koloniale Werte Heilung gegen te Frauen mit Migrationshintergrund, die Fähigkeiten und Erfahrungen aus der Me- die Gedanken. Die Symptome sind nicht immer offensichtlich. Manchmal bemerkst die neue globale dienbranche mitbringen. Gesellschaftlich finden sie in der Schweiz wenig Beachtung, du es erst, wenn es bereits zu spät ist. Gibt es einen Impfstoff gegen kulturelle Arro- Pandemie. weil Sprachbarrieren und andere sozialpo- litische Faktoren Migrant*innen daran hin- ganz? Kannst du gegen Kolonialmentalität dern, in den Medien aktiv zu sein. Frauen immun sein? Kannst du jene isolieren, die Welt existiert, gibt es diese Geister tatsäch- sind ohnehin noch immer unterbesetzt in andere Menschen diskriminieren und aus- lich. Sie verfolgen derzeit die menschliche der Schweizer Medienlandschaft und für schliessen? Kannst du jenen eine Maske Natur und sie vermehren sich rapide. Migrantinnen ist es noch schwieriger, den verordnen, die ansteckende Informationen In lucify.ch jagen wir diese Geister, be- Zutritt in Medienberufe zu erhalten. elitären kulturellen Denkens verbreiten? waffnet mit Worten. Wir sind eine Armee
lucify.ch wurde von einer Gruppe pro- änderung in der Schweizer Medienland- öffentlichen! Das geht bilingual, in deiner fessioneller medienschaffender Frauen schaft zu bewirken. eigenen Muttersprache und übersetzt in gegründet: von Produzentinnen und Jour- Auf demselben Weg kämpfen wir für die eine der offiziellen Sprachen der Schweiz. nalistinnen mit unterschiedlicher Her- Dekolonialisierung der Schweizer Medien- Schliesse dich jetzt lucify.ch an! kunft, Kultur und Sprache. Das Ziel war landschaft und in unserem Team kämpfen es, sprachliche und kulturelle Barrieren zu wir für demokratische Organisation. Wir überwinden und Medienschaffenden mit treffen Entscheidungen im Kollektiv und Migrationshintergrund ein Medium zur tragen alle gleichermassen Verantwortung professionellen Partizipation zu ermögli- für das Projekt. Wir sind ein multikultu- chen. Wir streckten unsere Hand nach vie- relles Team, und das Modell einer basisde- len talentierten Medienproduzentinnen mokratischen Organisation ist für uns ein aus, die von den offiziellen Medien nicht starkes Tool, um unser Projekt zum Erfolg zur Kenntnis genommen wurden. lucify.ch zu führen. wurde zu einem physischen und virtuel- Hast du genug von kultureller Arroganz, len Raum der Partizipation. Wir brachten psychologischem Kolonialismus und der Licht in die dunklen Ecken der Medien- Versklavung des Geistes? Dann werde be- landschaft, indem wir die Sichtweise von wusst, werde luzid und werde auch eine von Medientipp von Anna Butan Frauen mit Migrationshintergrund in die uns Lucies, werde Teil von lucify.ch! Wenn Patricia Purtschert, Francesca Falk, öffentliche Berichterstattung einbrachten. du an unserem Projekt teilhaben möchtest, Barbara Lüthi (Hg): Postkoloniale Mit lucify.ch begannen wir, eine reale Ver- kannst du eine Community-Schreiberin Schweiz: Formen und Folgen eines werden und deinen Beitrag noch heute ver- Kolonialismus ohne Kolonien.
12 ― 13 13 Schwarze Repräsentation ist wichtig! Im Internet ist ein neues Gefäss geboren. Ein Gefäss der Schwarzen Schweiz für die Schwarze Schweiz. Es lässt sich füllen und aus ihm lässt sich schöpfen. Text: Mohamed Wa Baile, SSOA | Bild: Serafina Ndlovu I n Schwarze Schweiz Online Archive (SSOA) werden Beiträge von Schwarzen Menschen in der Schweiz dokumentiert und zugänglich gemacht. Die Idee dazu entstand im März 2018 an einem Treffen von «Black Switzerland: Building Networks». An diesem Tref- fen wurde die Uno-Resolution 68/237 diskutiert, mit der die Uno die Jahre 2015 bis 2024 zur internationalen Deka- de für Menschen afrikanischer Herkunft erklärt hat. Viele Anwesende sagten, dass sie sich schon allein dadurch er- mutigt fühlten, in der Schweiz in einem Raum mit so vie- len Schwarzen Menschen zu sein. Wir sprachen über die Notwendigkeit, einander zu finden und voneinander zu lernen, uns zu vernetzen oder miteinander zu arbeiten. SSOA möchte Schwarzen Menschen in der Schweiz zeigen, wo Schwarze Menschen sind, was Schwarze Menschen tun und mit welchen Ressourcen sie sich identifizieren. Wissenstransfer und Vernetzung SSOA möchte Werke, Wissen, Netzwerke, Firmen und Ge- schichten von Schwarzen Menschen in der Schweiz sicht- bar machen. Diese Arbeit könnte auch für nachfolgende Generationen interessant sein, als ein Weg, um von der Ge- schichte zu lernen und Schwarze Geschichte und Beiträge zumindest innerhalb von Schwarzen Communitys in den Mainstream zu bringen. Da die Mainstream-Narrative per se exklusiv sind, versucht SSOA das Schweizer Repertoire von Bildern und Geschichten zu erweitern. Wenn du etwas Schwarzes in der Schweiz suchst, egal ob eine Ärztin, ei- nen Künstler, eine Moderatorin, einen Coiffeur, ein Buch, einen Film oder einen Podcast, dann such danach auf SSOA! SSOA möchte aber darüber hinaus Schwarze Com- munitys zusammenbringen, um einander zu unterstützen und unsere Erfolge zu feiern. Ja, es soll einen Beitrag zum Wissenstransfer und zur Vernetzung leisten. SSOA will ewig leben! Toni Morrison sagt: «Die Funktion, die sehr ernste Funk- tion des Rassismus ist die Ablenkung. Es hält dich davon ab, deine Arbeit zu tun. Es lässt dich immer wieder erklä- ren, warum du so bist. Jemand sagt, dass du keine Spra- che hast, und du verbringst 20 Jahre damit, zu beweisen, dass du sie hast. Jemand sagt, dass dein Kopf nicht richtig geformt sei, also findest du Wissenschaftler*innen, die an der Tatsache arbeiten, dass er es ist. Jemand sagt, dass du keine Kunst hast, also baggerst du das aus. Jemand sagt, dass du keine Königreiche hast, also schaufelst du das aus. Aber all dies ist vergeblich. Es wird immer noch eine weitere Sache geben.» SSOA ist eine Befürworterin Medientipp von SSOA des Wandels und weigert sich, Opfer zu sein. SSOA hat Veranstaltung von SSOA im Kino der Reitschule, mit Film, am 1. Mai, siehe Institut Neue Schweiz INES: eine grosse Familie: histnoire.ch, justhis.ch, nunyola.ch, Programm. Für Schwarze Menschen, Handbuch Neue Schweiz afrolitt.com, rollingeddie.com, we-talk.ch – wir können family und friends. (erscheint im Juni 2021) gar nicht alle aufzählen.
So schlimm war’s vorher auch nicht Marilyn Umurungi Von Zeit zu Zeit Da ich mit dir wandere Schau ich dich an Und wundere mich Wie kam’s dazu – dass Dein Stern auf meinen traf Es zur Verschmelzung kam Ich zum neuen Stern ward Für mich war Zweisamkeit nie was für Kämpferinnen Fühlte mich zu umtrieben, um zu lieben, Zu verhalten, um gehalten zu werden Nun ist mein Herz voller einsilbiger Liebeslieder So erwache ich durch dich Aus unserem symbiotischen Schlaf Blicke mit neuen Augen auf diese Welt Seh wohl verblümte Schönheit in ihr, ja Ihr Chaos erschreckt mich nicht mehr Ich möcht ’ sie umarmen, diese Welt Und dann Erwache ich durch dich Aus unserem symbiotischen Schlaf Möchte sie umarmen, diese Welt Mit dir durchwandern und verstehen Mit ihr Frieden schliessen Bin zum Verhandeln bereit, Leg mein Misstrau’n beiseit’ Schau auf das, was ist Und nicht auf das, was war Lass Vergangenes vergangen sein Schliess den Kreis Sollte ich mich wieder verlieren, Weiss ich nun durch dich, So schlimm war’s vorher auch nicht.
14 ― 15 «Gemeinsam eine Art Gegenmacht aufbauen» Drei Mitglieder der Koordinationsgruppe der Allianz gegen Racial Profiling, Kemal Sadulov, Tarek Naguib und Mohamed Wa Baile, sprechen darüber, was für sie Aktivismus bedeutet, wie sie als Gruppe funktionieren, was die Allianz im Jahr 2021 vorhat und wie solidarische Menschen aktiv werden können. Transkription: Sandra Ryf | Bild: Aisha Franz Mohamed Wa Baile: Ich möchte als ze dekolonisieren. Wir sind hier, wir leben Vertrauen ineinander da, wir haben relativ Erstes mit euch darüber sprechen, alle hier und wir möchten hier bleiben. Da- wenig darüber gesprochen, ob und wann warum Aktivismus wichtig ist und zu müssen wir uns organisieren und dazu und wie wir die Dinge tun sollten. Es ging was für euch darin wichtig ist. Wie braucht es Aktivismus. darum, Aufmerksamkeit zu generieren. ist das für euch? Tarek Naguib: Die Dinge ändern sich nicht Mit der Zeit begannen wir gewisse inter- Kemal Sadulov: Für mich bedeutet Aktivis- von alleine, gerade in der Schweiz nicht, ne Strukturen zu hinterfragen, merkten, mus, aus der Ohnmacht herauszukommen, die für sich selbst schon fast ein über- dass es auch darum gehen muss, Arbeits- die uns dazu bringt, die herrschenden hebliches Selbstbild last zu verteilen, noch Verhältnisse anzunehmen und uns nicht von «Uns geht es gut mehr Vertrauen zu zu wehren. Im Aktivismus kann ich versu- chen, etwas gegen diese Ungerechtigkeiten und wir haben keine Probleme» pflegt und Wir arbeiten schaffen, mehr Bezie- hungsarbeit zu leisten zu tun, und ich kann auch solidarisch sein. Viele Menschen haben keinen Zugang zu auch eine gewisse Apa- thie an den Tag legt. daran, dass sich und auch langfristig zu überlegen, wo wir Macht oder sind den Machtverhältnissen ausgeliefert. Als Rom*nja, Sinti*ze oder Je- Es ist deshalb sehr wichtig, dass wir die etwas verändert. etwas bewirken wollen. Heute sind wir, glaube nische erleben wir das seit Jahrhunderten, Dinge selbst in Hand ich, noch etwas in uns doch erst in den letzten zwanzig, dreissig nehmen. Über Racial gekehrt und suchen ei- Jahren, seit die Minderheiten auch selber Profiling wurde im Sommer etwas mehr nen Weg, wieder eine neue Kraft zu finden, aktiv geworden sind, bahnen sich langsam gesprochen, weil die Geschichte mit Geor- und wir tun das zunehmend gemeinsamer. Veränderungen an. Und bevor es die Alli- ge Floyd öffentlich geworden ist. Aber wir Kemal Sadulov: Ich finde, wir sind eine tol- anz gab, wurde wenig über Racial Profiling sollten die Dinge nicht den schrecklichen le Gruppe mit unterschiedlichen Menschen in der Polizei- oder Grenzschutzarbeit ge- Zufällen des Zusammenwirkens von extre- bezüglich Alter, Geschlecht, Erfahrungen, sprochen, aber ich hatte diese Erfahrungen men Krisen überlassen. und das ist sehr bereichernd. Wir haben al- jahrzehntelang gemacht und eine Wut in Ich finde wichtig, dass wir im Aktivismus le einen Wunsch nach Veränderungen, und mir gespürt darüber, was mit mir passiert nicht mehr grosszügig sind mit den Fehlern, das, worüber wir in den letzten Minuten und wie ich behandelt werde. Dank der Al- die passiert sind. Nicht mehr grosszügig gesprochen haben, das ist unser Grundkon- lianz und dank Menschen, die bereit sind, mit dem Staat, nicht mit den Entscheid- sens. Wir nutzen unsere Ressourcen, so gut sich zu engagieren, arbeiten wir nun daran, träger*innen und auch nicht mehr gross- es geht, und ich bin froh um jede Person, dass sich etwas verändert. zügig mit uns selbst, die auch Teil dieses die dabei ist, denn jede bringt etwas, das Mohamed Wa Baile: Mit der Allianz ist der rassistischen Systems sind. Wir müssen mit uns noch weiter stärkt. Begriff «Racial Profiling» endlich ange- all unseren unterschiedlichsten Kompeten- Mohamed Wa Baile: Ich finde, wir sind im- kommen. Rassistische Polizeipraktiken zen auf eine so vielfältige Art und Weise wie mer etwas chaotisch, aber das ist auch unse- können wir nicht ohne eine gemeinsame nur möglich sagen: Stopp, das geht nicht re Stärke, wir machen diese Arbeit schluss Organisierung bekämpfen. Uns organisie- mehr! Wichtig finde ich aber auch bewuss- endlich auch für uns selber. Wir sind alle ren heisst Beziehungen aufbauen, um Din- te Selfcare: Dass wir achtsam miteinander betroffen, Schwarze Menschen, People of ge zu schaffen, die wir alleine nicht schaffen umgehen und einander daran erinnern, wie Color, aber auch weisse Menschen. Klar, können. Wir können Druck aufsetzen und wichtig es ist, sich auch zu erholen – denn mehr Struktur und kollektive Arbeit ist gemeinsam eine Art Gegenmacht aufbauen. es gibt wahrscheinlich keine Aktivistin und noch besser. Es braucht dazu verschiedene Mittel, poli- keinen Aktivisten, die*der nicht einmal ir- tische wie kulturelle, und es braucht ganz gendeine Art Erschöpfung erlebt hat. Was plant die Allianz 2021? sicher einen langen Atem. Beim Kampf um Tarek Naguib: Zum einen wollen wir die ihr Stimm- und Wahlrecht haben sich die Mohamed Wa Baile: Ich frage dich, Tarek: Leute stärker öffentlich dazu auffordern, Frauen über lange Zeit organisiert, mit Wie funktionieren wir als Gruppe, hinzusehen, wenn sie Polizeikontrollen vielen Aktionen, die viel Aufmerksamkeit die Koordinationsgruppe der Allianz? erleben oder beobachten. Dazu geben wir erregten. – Wie wärs, zum Beispiel, wenn Tarek Naguib: Ich glaube, sehr unterschied- ein Leaflet heraus, das bewusst an Verbün- wir mit zweihundert Menschen ohne Doku- lich über die Zeit hinweg. Als wir 2016 be- dete geht, aber auch an Menschen, die diese mente über die Grenze reisen und wieder gonnen haben, uns zu organisieren, war Kontrollen erfahren. Wir werden versuchen, zurück? Wie werden die Grenzpolizist*in- das Motto: Let’s do things. Wer etwas tun uns stärker europaweit zu vernetzen, gera- nen damit umgehen? Ja, lass uns die Gren- wollte, hat etwas getan, es war ein grosses de mit dem Verfahren von dir, Mohamed,
das jetzt vor dem Europäischen Gerichtshof Was würdet ihr anderen sant*innen und bitte sie, ebenfalls stehen ist und bei dem uns bereits internationale Menschen empfehlen? zu bleiben. Frage sie nach der Kontrolle Organisationen wie Amnesty International Kemal Sadulov: Die Gewissheit, dass in der auch, ob sie bereit sind, den Kontakt auszu- unterstützen. Und ein Thema könnte auch Schweiz alles perfekt läuft, zu hinterfragen tauschen, und bitte sie, ein Gedächtnispro- sein, die Frage nach dem grösseren Zusam- ist die erste Voraussetzung dafür, dass man tokoll zu machen und als Zeug*in auszu- menhang zu stellen: Was hat eigentlich anfängt, einen klareren Blick zu bekom- sagen. Bitte sprich nach der Kontrolle auch diese Kontrolle auf der Strasse mit unse- men für die Zustände, die in der Schweiz mit der kontrollierten Person und sage ihr, rer Sicherheitspolitik als Staat zu tun? Da bezüglich Rassismus und struktureller Dis- dass du dabei bist, wenn sie rechtlich gegen versuchen wir uns stärker gesamtschweize- kriminierung herrschen. die Kontrolle vorgehen will. Aber, klar, ak- risch zu vernetzen. Tarek Naguib: Zu diesem klareren Blick ge- zeptiere auch, wenn sie das ablehnt. Mohamed Wa Baile: Wir haben eine Veran- hört auch, dass sich Menschen davon ver- staltung an der Tour de Lorraine, wir pla- abschieden, Rassismus als ein individuelles Veranstaltung der Allianz gegen Racial Profiling nen direkte Aktionen, und wichtig sind Problem zu verstehen. Da müsste eine Aus- am 8.5.21, siehe Progamm. auch zukünftige Workshops zusammen weitung im Bewusstsein stattfinden: Was mit anderen Aktivist*innen und Kollekti- hat es eigentlich mit unserer Geschichte Medientipps ven. Wir drucken und verkaufen T-Shirts, zu tun, weshalb wir rassistisch agieren? von Tarek Naguib: bedruckt mit den Namen von Schwarzen Was macht es mit uns selbst, sei es als an- Patrisse Khan-Cullors: Menschen und People of Color, die hier in gestellte Person an einer Schule, sei es als #Blacklivesmatter. Eine Geschichte vom Überleben. der Schweiz durch Polizeigewalt ums Le- Forscher*in oder in einer Freundschaft oder ben gekommen sind. Und klar, die beiden Liebesbeziehung? von Mohamed Wa Baile: strategischen Verfahren, mein Fall und der Mohamed Wa Baile: Wenn du eine Polizei- Alicia Garza: The Purpose of Fall von Wilson A., laufen auch noch. Das kontrolle siehst, bitte nimm dir Zeit: Schau Power: How to Build Movements for the 21st Century. heisst, wir möchten uns vernetzen, uns ge- nicht weg, zeige der kontrollierten Person, genseitig empowern und mehr Druck auf dass du ihre Bedürfnisse erkennst und sie von Kemal Sadulov: Institutionen ausüben. unterstützt. Du hast das Recht, Polizeikon- Philippe Sands: Die Rattenlinie. trollen zu beobachten, und sogar verbal Ein Nazi auf der Flucht. Lügen, Liebe und die Suche nach der Wahrheit. zu intervenieren. Sprich mit anderen Pas-
16 ― 17 Gekommen, um dazuzugehören! Die linksalternative Szene und linke NGOs haben es sich in ihrer Bubble bequem gemacht. Von Inklusion zu reden und sie zu praktizieren scheinen zwei verschiedene Paar Schuhe zu sein. Payal Parekh schildert ihre Erfahrungen als migrantische Aktivistin of Color in weissen linken Räumen. Text: Payal Parekh | Bild: Whitney Bursch I m Gegensatz zu vielen anderen Mi- Der Anfang in Bern war etwas schwie- nende Forschungsprojekte und Diskussio- grant*innen in der Schweiz flüchtete rig – aufgrund des Alltagsrassismus war es nen mit neuen Kolleg*innen, das Schwim- ich nicht vor Krieg, Folter, Dürre oder schwer, eine Wohnung zu bekommen, trotz men in der Aare und kreative Aktionen mit einem nicht funktionierenden Staat: der gut bezahlten Stelle. Dann gab es den anderen jungen Leuten gegen die restrikti- Als privilegierte und gut ausgebildete Frau Doktoranden, der meinte, dass ich mein ve Migrationspolitik. Das Allerschönste war kam ich mit einem Visum für hochqualifi- Stipendium nur bekommen hatte, weil ich aber, mich zu verlieben. zierte Arbeitskräfte in die Schweiz, um als eine indische Frau war, und mir mein Le- Ich hatte das Gefühl, dazuzugehören Post-Doktorandin an der Universität Bern ben so schwer wie möglich machen wollte. und eine zusätzliche Heimat gefunden zu in der Abteilung für Klima- und Umwelt- Aber beide Probleme lösten sich, und haben. Trotzdem war es Zeit weiterzuge- physik zu arbeiten. dann war das Leben richtig schön. Span- hen. Ich merkte, dass es sehr schwierig war,
die Klimapolitik mit wissenschaftlicher Entscheidungen getroffen werden, war ich re Ideen mitzuteilen, oder sie verlässt die Arbeit zu beeinflussen, und trat eine neue über die Reaktionen auf meine Fragen per- Gruppe. Stelle als professionelle Campaignerin bei plex. Bei einer Organisation hiess es, dass Es ist sehr einfach zu vergessen, dass je- einer Umwelt-NGO in San Francisco an. es für alle anderen klar sei, wie die Gruppe de Person eine Situation anders erlebt; na- Die Arbeit gefiel mir und ich spürte, funktioniere, und dass es Zeitverschwen- türlich gibt es auch Differenzen zwischen dass gut gemachtes Campaigning die Po- dung sei, darüber zu reden. Bei einer an- Menschen der gleichen Kultur, aber die Re- litik unter Druck set- deren stiessen meine alitätsschere ist viel grösser zwischen einer zen kann. Um meinem Fragen auf taube Oh- Migrantin und einer Einheimischen. Ein Liebsten näher zu sein, Die Spielregeln ren und Entscheidun- paar Wochen nach den Terroranschlägen kehrte ich nach Bern gen wurden weiterhin in den USA vom 11. September 2001 trug zurück und leitete Klimakampagnen in waren für mich hinter geschlossenen Türen gefällt. Bei ei- ich für zwei Tage ein Kopftuch, da es viele Angriffe gegen Muslim*innen gab. Sofort Zusammenarbeit mit Aktivist*innen aus der oft schwer zu nem dritten Komitee versuchten einige Mit- merkte ich, wie anders ich wahrgenommen wurde. Viele haben mich angestarrt, nah- ganzen Welt, bis ich Ende 2018 entschied, entziffern. glieder, meine Fragen ehrlich zu beantwor- men Abstand von mir oder griffen mich so- gar verbal an, als ich am zweiten Tag auch eine Pause von interna- ten, und merkten dabei, meine indischen Kleider trug. Obwohl man tionaler Arbeit zu machen. Angesichts des dass sie selber weder die Struktur noch die ein solches Experiment nicht immer ma- Aufstiegs der Klimastreikbewegung war es Entscheidungsprozesse formalisiert hat- chen kann, können wir uns daran erinnern, ein guter Zeitpunkt. ten und dass Leute, die länger dabei wa- dass wir unsere Realität nicht als die einzi- Plötzlich wollten alle etwas zum The- ren, Entscheidungen einfach in die Hand ge annehmen sollten. ma Klima organisieren, ob politische Ak- nahmen. Was braucht es, damit Migrant*innen tivist*innen, Denkfabriken oder politische und andere, die am Rand der Gesellschaft Parteien. Am Anfang machte es Spass – ei- Informelle Strukturen und intranspa- sind, sich als Teil der Gesellschaft fühlen? ne neue Bewegung mit frischer Energie. rente Entscheidungsprozesse machen es Wenn eine Gesellschaft wirklich inklusiv Ich bekam viele Anfragen und meine Ex- denjenigen, die aus unterschiedlichen ge- sein soll, heisst das auch, dass Einheimi- pertise wurde anerkannt. Mit Elan tauchte sellschaftlichen Milieus kommen, nahezu sche bereit sind, ihre Privilegien zu unter- ich in die Arbeit bei verschiedenen Komi- unmöglich, gleichbe- suchen und manche tees ein. rechtigt zu partizipie- davon aufzugeben. Es ren, sie zementieren Integration soll ist auch wichtig, offen Das ewiggleiche Muster informelle Machtdy- für konstruktive Kritik Sehr schnell aber fiel mir etwas auf – ich war immer die einzige Person of Color und namiken und verhin- dern eine Kultur der auch in Gruppen zu sein und nicht die eigenen gekränkten die einzige Migrantin von ausserhalb West- europas, und auch Personen mit Migrati- Rechenschaftspf licht und Transparenz. nicht eine Ein- Gefühle in den Mittel- punkt zu stellen, son- onshintergrund der zweiten Generation gab es nur sehr wenige. Bei der Forderung nach Diversität geht es bahnstrasse sein. dern das eigene rassis- tische Verhalten. Oft Zudem war Mitgliedschaft oft nur auf nicht um Identitätspo- reagieren weisse Leute Einladung möglich, das heisst, dass nur die litik, sondern um die Beteiligung aller an mit Abwehr, da sie nicht glauben möchten, Zugang haben, die schon ein Teil des richti- zivilem Leben. Natürlich ist es am Anfang dass sie sich rassistisch verhalten könnten, gen Kreises sind. Unter solchen Umständen für alle Beteiligten unangenehm, in einer weil sie ja links und/oder liberal sind. ist es schwierig, aus den verschiedenen Kri- diversen Gruppe zu arbeiten. Aber damit Viele Migrant*innen wie ich mögen die sen der Welt rauszukommen, da wir dazu innovative Ideen entstehen, braucht es Schweiz und wir möchten etwas zurück- eine breitere Bewegung brauchen. Diese meistens ein bisschen Reibung und die Be- geben und kreieren, aber nicht, wenn wir zu bilden gelingt nur, wenn wir auf neue reitschaft, sich als Gruppe mit Meinungs- dafür unsere Kultur ganz abgeben müssen – Leute zugehen und wenn existierende Kul- verschiedenheiten intellektuell auseinan- dann verlieren wir uns. Von der Gastrono- turen, Strukturen und Normen dehnbar derzusetzen. mie zur Musik, von Forschung zur Kunst und flexibel sind. Wie in der Gesellschaft, gibt es zahlreiche Beispiele, was entstehen soll Integration auch in Gruppen und Be- Perspektivenwechsel kann, wenn Kulturen zusammenkommen, wegungen nicht eine Einbahnstrasse sein. Neuen Ideen mit Offenheit anstatt mit Wi- sich mischen und es einen Austausch auf derstand zu begegnen ist der erste Schritt, Augenhöhe gibt. Ich bin eine wütende Op- Lost in Translation um die Gewinne von Diversität zu ernten. timistin und ich möchte sehen, dass die In- Die Spielregeln in Komitees und Gruppen Wenn eine Person hört, dass es «hier nicht tegration gegenseitig und die Gesellschaft waren für mich oft schwer zu entziffern. so gemacht wird», oder wenn man ihr sagt, inklusiv ist. Wenn ich es aber wagte, mich zu erkundi- sie habe falsch verstanden oder sie mache gen, welche Struktur eine Gruppe hat, was eine grosse Geschichte aus nichts, wenn sie Workshop am 8.5.21, siehe Programm. die Kommunikationsnormen sind und wie etwas infrage stellt, dann hört sie auf, ih- Medientipps von Payal Parekh Taiye Selasi: Pierre Koralnik: Rolf Lissy: Don’t ask where I’m from, ask where I’m a local. Un étranger dans le village. Die Schweizermacher. Ted Talk (ted.com) Film über den Schriftsteller James Baldwin in der Film (1978) Schweiz der frühen 1960er Jahre. Ta-Nehisi Coates: F. Aydemir, H. Yaghoobifarah u. v. m.: Between The World and Me. EIn Brief. Eure Heimat ist unser Albtraum.
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