KORRESPONDENZBLATT DES CANISIANUMS - Heft 2, Jahrgang 149 - Wintersemester 2016/2017 - Canisianum Innsbruck
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Inhaltsverzeichnis Geleitwort des Rektors ................................................................................................................ 1 1. Herz-Jesu-Fest 2016 Festprogramm ....................................................................................................................... 2 Begrüssung von Rektor P. Friedrich Prassl SJ ..................................................................... 3 Barmherzigkeit allein reicht nicht? Festvortrag von P. Dr. Klaus Vechtel SJ .............................................................................. 5 Bilder vom Herz-Jesu-Fest 2016 . ....................................................................................... 16 2. Vorträge Impulse zum Triduum von Sr. Barbara Flad .......................................................................... 18 1. Impuls: „Im Blickfeld Gottes“ 2. Impuls: „Mit sich versöhnt“ Laudatio für Univ.-Prof. Dr. Józef Niewiadomski. ................................................................. 21 3. Neoingressi 2016/2017 Aneto Emmanuel Onyinye...................................................................................................... 24 Baraza Amos Odhiambo........................................................................................................ 24 Enyam Couston Francis. ...................................................................................................... 25 Mlundi Michael ................................................................................................................... 29 4. Aktuelles und Chronik Alt-Canisianer-Konveniat 2016 in Amerika............................................................................ 27 Mahamboro Bismoko – Bericht aus Indonesien. ..................................................................... 31 Dies Facultatis 2016............................................................................................................ 33 Helvetia Oenipontana – 156. Stiftungsfest 2016................................................................... 35 Chronik von 10. Dezember 2015 bis 10. Dezember 2016....................................................... 36 Die Hausgemeinschaft des Collegium Canisianum 2015/2016 . .............................................. 45 5. Wir gratulieren . ..................................................................................................................... 46 6. Diözesenliste – Studienjahr 2016/17 . ..................................................................................... 51 7. Geburtstage und Weihejubiläen 2017 ...................................................................................... 53 8. Memento Mori ........................................................................................................................ 57 9. Briefe und Grüsse aus aller Welt ........................................................................................... 64 10. Rezensionen und Eingang von Büchern . ................................................................................. 68 11. Terminkalender ..................................................................................................................... 71 12. Wir danken unseren Spendern und Förderern ........................................................................ 73 13. Bankverbindungen ................................................................................................................. 76 14. Impressum.............................................................................................................................. 77
Geleitwort des Rektors Liebe Alt-Canisianer, Freunde und Wohltäter, liebe Canisianer! unserem Dienst für die Weltkirche helfen. „Ich bin dankbar, nicht weil es vorteilhaft ist, sondern weil es Freude macht.“ Mit diesem Wort von Seneca habe ich im vergangenen Jahr oft danken dürfen – voll Freude, ohne den Vorteil für das Canisianum zu verges- sen! „Echte Freude bleibt Freude!“ Diese Erfahrung haben wir am 8. Dezember, an unserem „Besinnlichen Adventabend“ im Canisianum, wieder gemacht. Ein internati- onaler Chor des Canisianums und der Kam- merchor Innsbruck haben dazu beigetra- Echte Freude bleibt Freude gen, mitten in der Adventzeit inne zu halten, um beim „adventlichen Laufschritt“ wieder still und achtsam zu Atem zu kommen. Über 170 Gäste nah- sie kommt aus dem Herzen men unsere Einladung an, ihre Herzen und und strahlt aus den Augen Ohren zu öffnen, um die „Stimme des En- sie kommt zu jenen, gels zu vernehmen, der von Freude singt“. die andere erfreuen Mit diesen Gedanken von Tina Willms lade sie nimmt nicht ab, ich ein, im kommenden Jahr immer wie- wenn sie geteilt wird der auf die Grundstimmung der Freude zu echte Freude bleibt achten. Neben vielem, das unsere Freude manchmal trübt, gibt es doch immer wie- „Freut euch – auf diese Weise!“ – diesen der Anlässe, Gelegenheiten und besondere herzlichen Wunsch spreche ich aus im Na- Momente, bei denen wir die vielen Facetten men der Hausgemeinschaft des Canisia- der Freude im eigenen Leben spüren. nums, im Geiste des „cor unum et anima Ich freue mich über die Aufnahme von sechs una“. Mit einem einfachen „Vergelt’s Gott“ neuen Mitbrüdern im Canisianum. Ich freue für die treue Verbundenheit mit uns wün- mich über den Abschluss von vier Disserta- sche ich allen Freundinnen und Freunden tionen und vier Magisterarbeiten. Ich freue des Canisianums eine gesegnete Weih- mich über die vielen Interessenten für ein nachtszeit und ein friedvolles neues Jahr. Studium im Canisianum. Ich freue mich über die finanzielle Unter- stützung des Canisianums durch zahlreiche Alt-Canisianer, Spenderinnen und Spender sowie dreizehn Patenpfarren, die uns bei P. Friedrich Prassl SJ 1
Herz-Jesu-Fest 1. Herz-Jesu-Fest 1.1 Programm zum Herz-Jesu-Fest Herz-Jesu-Fest am 3. Juni 2016 Triduum am 1. und 2. Juni 2016 Impulse von Sr. Barbara Flad 1. Im Blickfeld Gottes 2. Mit sich versöhnt 16:00 Uhr Festakademie Theresa Sophia Tscholl, Klavier Frédéric Chopin (1810-1849), Etüde Nr. 1 in As-Dur Op. 25 Begrüßung durch Rektor P. Friedrich Prassl SJ Theresa Sophia Tscholl, Klavier Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), aus der Sonate Nr. 11 in A-Dur, KV 331: 3. Satz „Alla Turca“ Festvortrag P. Dr. Klaus Vechtel SJ Professor für Systematische Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen, Frankfurt a. Main Barmherzigkeit allein reicht nicht? Überlegungen zum theologischen Wert der Barmherzigkeit Theresa Sophia Tscholl, Klavier Frédéric Chopin, Etüde Nr. 3 in E-Dur Op. 10 17:30 Uhr Eucharistiefeier mit P. Klaus Vechtel SJ Kapelle des Canisianums Johannes Blaas, Orgel 19:00 Uhr Festliches Abendessen Jesuitenkolleg Sillgasse 6 2
Herz-Jesu-Fest 1.2 Begrüssung und Hinführung seinen Bruder Bernhard Bürgler, unseren Provinzial, herzlich im Canisianum will- P. Friedrich Prassl SJ kommen heißen. Ich freue mich sehr, dass Herz-Jesu-Fest am 3. Juni 2016 Dr. Klaus Vechtel SJ, Professor an unserer Ordenshochschule St. Georgen in Frank- furt, heute den Festvortrag zum kirchlichen Herzensthema von Papst Franziskus halten wird. P. Vechtel hat auch hier in Innsbruck an seiner Habilitation in Dogmatik gearbei- tet und ist gerne in Tirol – lieber Klaus, ein herzliches Willkommen. Liebe Festgäste! Ich danke Ihnen von Herzen, dass Sie heuer wieder unserer Einladung zu einem Fest gefolgt sind. Wir sind heute wahrlich nicht die Einzigen, die das Herz-Jesu- Gedenken in den Mittelpunkt stellen. Bis heute Nachmittag hat es an der Theologi- schen Fakultät ein Symposion zum Thema „Barmherzigkeit – Geschenk und Auftrag“ gegeben. Ich begrüße ganz herzlich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesem Symposium. Zum ersten Mal wird der Lan- desgelöbnisgottesdienst heute Abend um 19.00 Uhr in der Jesuitenkirche gefeiert, P. Friedrich Prassl SJ mit landesüblichem Empfang und Konzert. Der Bischof-Stecher-Gedächtnisverein, mit Sehr geehrte Festgäste, seinem sehr aktiven Obmann Peter Jung- ehrwürdige Schwestern, liebe Mitbrüder mann, hat in diesen Tagen eine breitgefä- aus dem Jesuitenorden und im gemein- cherte Initiative für „eine Kultur der Herz- samen priesterlichen Dienst, liebe Mitar- lichkeit“ gestartet. Zahlreiche Institutionen beiterInnen der Diözese Innsbruck, lie- aus Kirche, Politik, Kunst und Kultur möch- be ProfessorInnen und Lehrende an der ten mit verschiedenen Aktionen und Veran- Theologischen Fakultät, liebe Alt-Canisia- staltungen den heutigen Herz-Jesu-Freitag ner und Canisianer, liebe Freundinnen und zu einem „Tag der Herzlichkeit“ werden Freunde unseres Hauses, liebe Mitarbei- lassen. Vorträge, Ausstellungen, Andach- terinnen und Mitarbeiter des Canisianums ten, Benefizkonzerte, Bergfeuer und vieles und des Jesuitenkollegs! mehr wollen dazu einladen, gemeinsam Im Namen der Hausgemeinschaft des Ca- auf eine „Kultur der Herzlichkeit“ zu achten nisianums begrüße ich Sie alle ganz herz- und diese zu pflegen. Unsere Gesellschaft lich zu unserem Hausfest. Es freut uns und auch unsere Kirche brauchen herzli- sehr, dass wieder so viele der Einladung che Menschen, die offen auf andere zuge- gefolgt sind, das Herz-Jesu-Fest – wie hen und besonders Menschen in Not, auf in den vergangenen Jahren – in diesem der Flucht, auf der Suche nach einer neuen altbekannten Haus zu feiern! Zu Beginn Heimat, Menschen in ihrem Scheitern mit dieser Feier möchte ich ganz besonders Wohlwollen, Respekt und Mitgefühl be- Diözesanadministrator Jakob Bürgler und gegnen. Es braucht beherzte Menschen, 3
Herz-Jesu-Fest die sich vom Leid und von der Freude an- der Vortrag und persönliche Erfahrungen derer berühren lassen. Es braucht Men- nachbesprochen werden. schen, die ihrem Herzen folgen, anderen Mit wenigen Worten begrüße ich Klaus ihre Hilfe anbieten und sich für ein gutes Vechtel noch einmal ganz herzlich und Miteinander einsetzen – in persönlichen stelle ihn kurz vor: Beziehungen, in der Familie, in der Nach- barschaft, am Arbeitsplatz, in der eigenen P. Klaus Vechtel SJ wurde 1963 in Dorma- Ordensgemeinschaft, in der Gesellschaft, gen (NRW) geboren. 1983 begann er mit in unserer Kirche. dem Theologiestudium für die Erzdiözese Auch wir wollen mit unserer Feier dazu Köln in Bonn und ab 1985 im Collegium beitragen, ein Zeichen zu setzen für eine Germanicum et Hungaricum in Rom. 1989 Kultur der Herzlichkeit, der Gastfreund- wurde er in Rom durch Kardinal Joseph lichkeit, der Hilfsbereitschaft und Solida- Ratzinger zum Priester geweiht. Nach dem rität – über viele kulturelle, soziale, religi- Lizentiatsstudium in Rom trat er 1991 in die öse und politische Grenzen hinweg. Viele Gesellschaft Jesu in Münster ein. Ab 1993 Menschen unterstützen uns dabei. Unse- war er viele Jahre in der Priesterausbildung re Hausgemeinschaft im Canisianum ist in Frankfurt und Rom tätig, unterbrochen selbst so ein Zeichen. Wir sind derzeit 35 durch sein Promotionsstudium in Frank- Studenten aus 13 Ländern und 28 Diöze- furt. Das Tertiat verbrachte er in Australien. sen der Weltkirche. In diesem Studienjahr Seit 2007 lehrt er an der Hochschule Sankt haben bereits zwei Studenten ihr Studium Georgen in Frankfurt am Main. 2013 folgte abgeschlossen, zwei weitere werden in die Habilitation an der Universität Mainz. den nächsten Monaten abschließen und in Für seine Habilitationsarbeit wurde ihm ihre Heimatländer zurückkehren, um ihren der Karl-Rahner-Preis 2014 verliehen. Seit Dienst in der Ausbildung bzw. in verschie- 2014 ist er Professor für Dogmatik an un- denen Leitungsaufgaben zu leisten. Zwei serer Philosophisch-Theologischen Hoch- Studenten haben das Canisianum aus per- schule Sankt Georgen, Frankfurt. sönlichen Gründen vorzeitig verlassen. Im Am besten entspannen kann er beim Gi- September werden sechs neue Studenten tarre Spielen – habe ich gehört. Vor dem ins Haus kommen. Wir freuen uns auf sie – Festvortrag hören wir jedoch nicht ihn an die Nachfrage für ein Studium in Innsbruck der Gitarre, sondern noch ein weiteres Kla- ist weiterhin sehr stark. vierstück von Mozart, dargebracht von der Mit dem herzlichen Dank, besonders an Pianistin Theresa Sophia Tscholl, die uns alle Förderer, an alle Freundinnen und heute musikalisch begleitet. Liebe Frau Freunde des Canisianums, für Ihre treue, Tscholl, auch Ihnen herzlichen Dank für langjährige Wegbegleitung, für Ihre viel- Ihre Mitwirkung an unserem Fest. Lieber fältige Unterstützung und Heimat, die Klaus, darf ich Dich um Deinen Festvortrag viele persönlich und als Patengemeinden bitten. schenken, wünsche ich uns allen ein erfüll- tes Herz-Jesu-Fest, das unseren Glauben stärkt und uns „Barmherzigkeit“ schenkt. Klaus Vechtel wird uns dazu in seinem Festvortrag sicher einige herzliche Anre- gungen mitgeben auf unseren Weg. Nach dem Festvortrag und nach der gemeinsa- men Eucharistiefeier mit Klaus Vechtel in der Hauskapelle werden wir miteinander in der Sillgasse 6 ein Mahl halten. Beim gemütlichen Spaziergang hinüber kann 4
Herz-Jesu-Fest 1.3 Festvortrag zum Herz-Jesu-Fest tung des Gesetzes einfordern. Die Gerech- tigkeit genügt nicht, und die Erfahrung lehrt P. Dr. Klaus Vechtel SJ, Frankfurt uns, dass, wer nur an sie appelliert, Gefahr Habilitierter Professor für Systemati- läuft, sie zu zerstören“2. Wie eine Antithese sche Theologie an der Ordenshoch- zu dem Papst-Wort „Gerechtigkeit genügt schule der Jesuiten St. Georgen in nicht“ mutet ein Interview an, das der re- Frankfurt a. M. nommierte Sozialethiker Friedhelm Hengs- bach gegeben hat: „Barmherzigkeit allein reicht nicht“3. Für Hengsbach hat sich die Kirche in eine Sackgasse manövriert, inso- fern sie an verpflichtenden Normen wie der Unauflöslichkeit der Ehe unbeirrbar fest- hält. Gegenüber diesen normativen Ord- nungen sei es ungenügend, mit der Barm- herzigkeit zu operieren. Die Barmherzigkeit wäre eine Art „Hintertür“. Man befinde sich hinsichtlich vieler Fragen kirchlicher Ehe- und Sexualmoral in einer unlösbaren Si- tuation, kaschiere diese aber, indem man sich auf die Barmherzigkeit Gottes beruft. Für Hengsbach reicht es nicht, auf der per- sönlich-individuellen Ebene Barmherzig- keit walten zu lassen. Vielmehr müsse sich die Kirche eine gerechtere Ordnung geben: „Eine Kirche, die nicht in sich Gerechtig- keit verwirklicht, die darf nicht so einseitig auf Barmherzigkeit setzen. Barmherzigkeit P. Dr. Klaus Vechtel SJ ist nicht die Antwort auf Forderungen nach einer gerechten Kirche.“4 Barmherzigkeit allein reicht nicht? Einige Punkte in diesen Äußerungen schei- Überlegungen zum theologischen Stellen- nen mir missverständlich zu sein: So muss wert der Barmherzigkeit differenziert werden zwischen dem sakra- mentalen Charakter der Ehe einerseits und Einleitung1 dem kirchlichen Umgang mit der Realität In seiner Verkündigungsbulle „Misericordi- des Scheiterns von christlichen Ehen an- ae vultus“ hat Papst Franziskus eines seiner dererseits. Kann ein solches Scheitern al- wichtigen Anliegen – die Barmherzigkeit – lein mit rechtlichen Kategorien bewältigt in den Mittelpunkt eines außerordentlichen werden, oder bedarf es dazu einer Dimen- Jubiläumsjahres gerückt: Die Kirche soll zu sion, die die Gerechtigkeit umfasst; einer einem Raum der Barmherzigkeit werden. Dimension, die die Möglichkeit der Um- Der Papst ist überzeugt davon, dass das kehr und eines neuen Anfangs einräumt biblisch-christliche Gottesbild nicht auf die – die der Barmherzigkeit? Auch scheint Gerechtigkeit als Eigenschaft Gottes be- mir die starke Entgegensetzung einer per- schränkt bleiben darf, will man nicht in ei- sönlich-individuellen Ebene des barmher- nen Anthropomorphismus verfallen: „Wenn zigen Verhaltens und der gesellschaftlich- Gott bei der Gerechtigkeit stehen bliebe, strukturellen Ebene der Gerechtigkeit nicht dann wäre er nicht mehr Gott, sondern treffend zu sein. Kann (und muss) nicht vielmehr wie die Menschen, die die Beach- gerade die Barmherzigkeit dazu führen, 5
Herz-Jesu-Fest dass auch kirchliche Norm und Disziplin gen Vater; sie verpflichtet auch die Kirche modifiziert werden? Trotz dieser Einwände und jeden einzelnen Christen. Barmher- sind Hengsbachs Überlegungen bedeut- zigkeit erwächst aus der Sorge um die un- sam, weil sie darauf aufmerksam machen, verlierbare Würde des anderen Menschen. wie Barmherzigkeit nicht zu denken ist: Die Gottes Barmherzigkeit bedeutet eine Aner- Frage nach der Barmherzigkeit darf nicht kennung des Menschen in seiner Würde, als ein „Trick“ verstanden werden, mit eine Anerkennung als Geschöpf und Kind dem man die (unbarmherzige) Rechtsord- Gottes.7 Eine solche Barmherzigkeit wür- nung umgeht. Barmherzigkeit muss mehr de Gerechtigkeit einschließen, die struk- sein als eine Nachsichtigkeit, die im Blick turell zusichert, was die Barmherzigkeit auf die Schuld ein Auge zudrückt. Eine realisieren möchte. Barmherzigkeit stellt solche Barmherzigkeit wäre eine „Gna- somit kein asymmetrisches, den anderen de nach Gutsherrenart“5. Sie würde den demütigendes Verhalten dar, sondern eine „Empfänger“ demütigen und seiner Wür- Begegnung auf Augenhöhe zwischen Gott de berauben. Barmherzigkeit wäre ein rein und Geschöpf sowie auch zwischen den asymmetrisches Verhältnis zwischen dem Menschen. Aber entspricht eine solche „Empfänger“ und dem „Geber“ der Barm- Bestimmung der Barmherzigkeit tatsäch- herzigkeit und hätte schwerwiegende Kon- lich dem biblisch-christlichen Gottesbild? sequenzen für das Gottesbild. Der barm- Wie lässt sich theologisch verantwortlich herzige Gott könnte sich eigentlich auch von der Barmherzigkeit als einer Eigen- ganz anders gegenüber dem Geschöpf schaft Gottes sprechen? Dem möchte ich verhalten, verzichtet aus unerfindlichen in drei Punkten nachgehen: Gründen jedoch darauf. • In einem ersten Punkt möchte ich darauf Johannes Paul II. hat in seiner Enzyklika eingehen, ob die Rede von der Barm- „Dives in misericordia“6 Hinweise zu einem herzigkeit „nur“ eine uneigentliche bzw. differenzierten Verständnis von Barmher- eine schwache Rede von Gott ist, weil zigkeit gegeben. Ausgangspunkt ist das mit dem Begriff der Barmherzigkeit me- Gleichnis vom verlorenen Sohn. Auch taphorisch von Gott gesprochen wird. wenn das Begriffspaar Barmherzigkeit und Reicht es auch deshalb nicht, von Got- Gerechtigkeit nicht explizit genannt wird, tes Barmherzigkeit zu sprechen, weil ein so wird eine Situation beschrieben, in der auf so menschliche Weise beschriebe- der jüngere Sohn keine Ansprüche mehr an ner Gott doch nicht Gott ist? den Vater stellen kann, die der Gerechtigkeit • In einem zweiten Punkt der Frage entsprechen. Dennoch bleibt der Vater sich möchte ich nachgehen, welchen Rang und seinem Vatersein treu. Der Vater bleibt die Barmherzigkeit innerhalb der unter- Vater und der Sohn bleibt Sohn. Die Freude schiedlichen Facetten des biblischen des Vaters „weist auf ein unverletztes Gut Gottesbildes einnimmt. Ist die Barmher- hin: Ein Sohn hört nie auf, in Wahrheit Sohn zigkeit nur eine von vielen Weisen, wie seines Vaters zu sein, selbst dann nicht, wir Gott erfahren? Reicht „Barmherzig- wenn er sich von ihm trennt“. Barmherzig- keit alleine“ auch deshalb nicht, weil das keit stellt kein Verhältnis der Ungleichheit biblische Gottesbild auch andere Züge, dar. Sie demütigt den Menschen nicht, weil etwa den des Zornes, kennt? sie „auf der gemeinsamen Erfahrung jenes • Schließlich möchte ich in einem Ausblick Gutes beruht, das der Mensch ist, auf der auf das „Situative“ der Barmherzigkeit gemeinsamen Erfahrung der ihm eigenen eingehen: Barmherzigkeit entsteht durch Würde“. Die Sorge um die Würde des an- die konkret erfahrene Not des anderen deren, so Johannes Paul II., verpflichtet in und impliziert eine Grenzüberschreitung. einem bestimmten Sinne den barmherzi- In der konkreten Situation kann dabei 6
Herz-Jesu-Fest ein Ruf Gottes erfahrbar werden, wie es bestimmte Lieblingsaussagen wie „Gott ist meiner Meinung nach das nachsynodale Liebe“ (1 Joh 4,16) oder etwa das Hosea- Schreiben „Amoris laetitia“ impliziert. Wort „Denn ich bin Gott, nicht ein Mensch […] Darum komme ich nicht in der Hitze 1. Barmherzigkeit: uneigentliche Rede des Zorns“ (Hos 11,9) zu Spitzenaussagen von Gott? der Bibel zu stilisieren, denen man andere In den biblischen Wissenschaften herrscht Aussagen, wie etwa über den Zorn Gottes, weitgehend Einigkeit darüber, dass die unterordnen kann. Die verschiedenen bib- Bibel nur selten Eigenschaften Gottes er- lischen Aussagen über Gottes Eigenschaf- wähnt und damit keinesfalls unveränder- ten lassen sich für Groß nicht zu einem liche oder zeitlose Eigenschaften meint. einheitlichen Gottesbild zusammenfügen: Wenn Gott Eigenschaften zugesprochen „Die Gottesbilder, weil auf gegenläufigen werden, dann geschieht das im Zusam- Erfahrungen beruhend, bleiben disparat.“9 menhang von Gottes Geschichtshandeln. Die Bibel spricht von menschlichen Er- Wenn man davon ausgeht, dass die me- fahrungen mit Gott und tut dies nicht sel- taphorische Rede für das Sprechen über ten in einer spontanen, vorrationalen und den biblischen Gott eine wesentliche Be- metaphorischen Weise. Dies gilt auch von deutung besitzt, dann scheint sich ein Di- der Barmherzigkeit Gottes. Barmherzig- lemma zu ergeben: Unterschlägt man die keit meint eine das Innerste einer Person Metaphorizität von Gottesaussagen – wie betreffende, von Herzen kommende Rüh- etwa König, Vater oder Richter –, dann rung, die im AT insbesondere durch den wird aus der Metapher ein Idol, ein Göt- Begriff rachamim ausgedrückt wird, der ze: Sollte Gott tatsächlich im Wesentli- sich von der Bezeichnung rechem für den chen ein König oder ein Richter sein, nur Mutterschoß ableitet, bzw. neutestament- eben ein göttlicher, dann wird Gott anth- lich durch den Begriff splanchna (Eingewei- ropomorph gedacht. Wenn man umge- de). Die Rede von der göttlichen Barmher- kehrt jedoch anerkennt, dass wir keine zigkeit ist eine metaphorische Rede: Der „göttliche“ Sprache besitzen, sondern nur Ort, wo Menschen Rührung oder Mitleid bildhaft-metaphorisch unsere Erfahrung empfinden – der Ort unterhalb des Brust- von Gott ausdrücken können, wächst der korbs (rachamim) bzw. die Eingeweide Verdacht, dass menschliche Sprache über (splanchna) – wird „in Gott hinein-getragen eine Wirklichkeit spricht, über die nichts (meta-pherein), weil Menschen das unaus- Verbindliches gewusst und gesagt werden sprechliche Geheimnis Gottes in ihrer Ge- kann: Alle Aussagen über Gott wären „nur schichte und in ihrem Leben so menschlich Bilder“.10 Was folgt daraus für die Rede barmherzig erfahren“8. Der Tübinger Alt- von der Barmherzigkeit Gottes? Kann Got- testamentler Walter Groß betont in diesem tes Barmherzigkeit zur „Grundeigenschaft Zusammenhang, dass die metaphorische Gottes“11 (W. Kasper) bzw. „zum ersten At- Redeweise unverzichtbar ist für die Art tribut Gottes“12 (Papst Franziskus) erklärt und Weise, wie Gottes Wirklichkeit erfasst werden? werden kann. Allerdings lassen sich die verschiedenen metaphorischen Aussage- Die Metapher gilt als ein uneigentlicher weisen Gottes für Groß nicht einfach syste- Wortgebrauch: „Metapher“ wird klassisch matisieren. Ob man vom Zorn oder von der so beschrieben, dass ein sprachlicher Liebe Gottes spricht, es handele sich glei- Ausdruck, der als Prädikat eines anderen chermaßen um metaphorische Aussagen. Ausdrucks fungiert (Alexander war tapfer), Keinesfalls gibt es für ihn Gottesaussagen, durch einen anderen ersetzt wird, der im die mehr, und andere, die weniger meta- Kontext uneigentlich gebraucht wird (Ale- phorisch sind. Deshalb verbiete es sich, xander war ein Löwe). Die Metapher wird 7
Herz-Jesu-Fest als Bewegung (Übertragung) definiert, die 25,31-46) im Blick auf das Verhältnis von sich gemäß der Analogie vollzieht. Die ei- Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes gentliche Bedeutung des zu ersetzenden betrachtet, dann lässt sich sagen: Aus Wortes steht zu dem Ersatz-Wort in einem diesen Gleichnissen kann kein Modell he- Ähnlichkeitsverhältnis. Die Metapher hat rausdestilliert werden, das begrifflich ein- traditionell ihren Platz in der Rhetorik: Sie deutig das Verhältnis von Barmherzigkeit soll einen Gedanken leichter einsichtig ma- und Gerechtigkeit Gottes klärt oder eine chen und die Aufmerksamkeit sowie das kasuistische Anwendbarkeit von Barm- Gefallen der Hörer steigern.13 Wie kann die herzigkeit und Gerechtigkeit in jeder Si- Metapher jedoch mehr sein als ein schmü- tuation begründen könnte. Das Verhalten ckendes Beiwerk der Rede? des barmherzigen Vaters gerät nicht nur in Konflikt mit den Prinzipien menschlicher Eberhard Jüngel hat in seinem Artikel „Me- Erziehung. Das Verhalten des Vaters steht taphorische Wahrheit“ im Anschluss an als göttliches Verhalten auch in einer deut- die aristotelische Lehre von der Metapher lichen Spannung zu den Gerechtigkeits- und an Heideggers Existenzialhermeneu- und Barmherzigkeitsszenarien der anderen tik bedeutsame theologische Hinweise für Gleichnisse. Dies stellt jedoch keinen Ver- das Verständnis einer metaphorologischen lust an Eindeutigkeit dar, weil diese Gleich- Gottesrede gegeben.14 Weil die Metapher nisse keine menschliche, sondern die gött- eine Differenz aussagt zwischen den in der liche Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Metapher genannten Subjekten, ist sie für beschreiben wollen: Gottes Gerechtigkeit die christliche Rede von Gott von großer ist demnach kein letzter Wert in sich, son- Relevanz. Für den christlichen Glauben dern finalisiert hin auf den umfassenderen wird nur dann von Gott geredet, wenn Wert seines schöpferischen Lebenswillens die fundamentale Differenz von Gott und für die gesamte Schöpfung und für jeden Welt nicht nivelliert wird. Gott wäre nicht einzelnen Menschen.15 als Gott ausgesagt, wenn er dabei nur als ein Teil der Wirklichkeit oder als ihre Ein- Die metaphorische Ausdrucksweise wäre heit ausgesagt wird. Nun gilt aber: Unsere kein rhetorisches Zugeständnis an die Sprache kennt nur weltliche Wörter, die auf Grenzen der menschlichen Auffassungs- weltlich Seiendes bezogen sind. Kein von gabe, sondern, so Jürgen Werbick, ein Gott redendes Wort kann von sich aus die „Appell an die Einbildungskraft“16. Wir Differenz von Gott und Welt bezeichnen. empfinden geglückte Metaphern oft als Im Sprechen von Gott muss deshalb eine ansprechend, sie erleichtern unser Verste- Übertragung von anderen Sachverhalten hen. Das spezifisch „Ansprechende“ der her stattfinden. Daraus folgt jedoch: Gott metaphorischen Rede liegt darin, dass sie kommt in seiner spezifischen Differenz zur Menschen auffordert, sich neuen Eviden- Welt insbesondere metaphorisch zur Spra- zen zu öffnen und die Grenzen bisheriger che. Metaphorische Rede erweist sich da- Wahrnehmung zu überschreiten. Die meta- mit nicht als uneigentliche Rede, sondern phorische Rede führt zu einer neuen Sicht- als eine – wenn auch nicht die einzige – weise Gottes und der Art und Weise, wie Form Gott gemäßer und entsprechender er zu seinem Volk steht und an den Men- Rede. schen handelt. Im Buch Hosea beschreibt der Prophet das Erbarmen als eine Be- Die Gleichnisse Jesu sind ein Ausdruck kehrung Gottes im Unterschied zu seinem metaphorisch-bildhafter Gott-Rede: Wenn Volk, das nicht zur Umkehr bereit ist: „Wie man die Gleichnisse vom barmherzigen könnte ich dich preisgeben, Efraim, wie Vater (Lk 15), von den Arbeitern im Wein- dich aufgeben, Israel? Wie könnte ich dich berg (Mt 20,1-16) und vom Weltgericht (Mt preisgeben wie Adma, dich behandeln 8
Herz-Jesu-Fest wie Zebojim? Mein Herz wendet sich ge- kannt ist: Um die Metapher „Alexander war gen mich, mein Mitleid lodert auf. Ich will ein Löwe“ nachvollziehen zu können, muss meinen glühenden Zorn nicht vollstrecken bekannt sein, wer Alexander ist und was und Efraim nicht noch einmal vernichten. ein Löwe ist. Vorausgesetzt, es ist klar, was Denn ich bin Gott, nicht ein Mensch, der ein Löwe ist, muss das Individuum „Alex- Heilige in deiner Mitte. Darum komme ich ander“ bekannt gemacht werden. Um me- nicht in der Hitze des Zorns.“ (Hos 11,8- taphorisch zu reden, muss erzählt werden 9). Gott wendet sein Herz gegen sich; er und Vertrautheit hergestellt werden. Für lässt sich durch sein Erbarmen umstimmen die Möglichkeit theologischer Metaphorik und besänftigt seinen Zorn. Der Unter- folgt daraus: Damit Gott sinnvolles Subjekt schied zwischen Gott und den Menschen metaphorischer Prädikation werden kann, besteht gerade darin, „dass er sich ändern muss eine Vertrautheit mit Gott hergestellt und gegen seine ursprünglichen Entschei- werden. Wenn dies aber nur metaphorisch de wenden kann“17. In dieser metaphori- möglich ist, gerät man in einen Zirkel. Die- schen Rede vom Erbarmen Gottes kommt ser Zirkel ist nur zu vermeiden, wenn Gott in „anthropomorpher Anstößigkeit“18 ein sich selbst bekannt macht und Vertrautheit „Mehr“ zur Sprache: Der transzendente mit sich selbst herstellt: Gott muss sich als und heilige Gott, der Gott, der nicht wie die der erweisen, der zur Welt kommt; nur so Menschen ist, dieser Gott transzendiert kann er auch der zur menschlichen Spra- sozusagen seine Transzendenz. Er erweist che Kommende sein20. Anders formuliert: sein Ganz-anders-Sein gegenüber allem Wirklich treffend können Menschen von Menschlichen nicht in seinem gerechten Gott nur sprechen, wenn dieser Menschen Zorn und seiner dem Menschen unzu- so anspricht, dass diese wiederum Gott gänglichen Transzendenz. Er erweist seine entsprechen können in ihrer Sprache und Heiligkeit und Transzendenz darin, dass er ihrem Leben21. Meine Überzeugung ist in sich menschlich anrührend zeigt und darin diesem Zusammenhang: Durch sein barm- anders ist als die hartherzigen Menschen: herziges Tun stellt Gott eine Vertrautheit mit Seine Barmherzigkeit erhebt ihn über alles sich her, die unverbrüchlich ist und auch Menschliche.19 durch andere Aspekte des biblischen Got- teshandelns nicht in Frage gestellt werden Kommt damit im metaphorischen Spre- kann. Das biblische Gottesbild bleibt in der chen über Gottes Barmherzigkeit etwas Vielfältigkeit seiner Aspekte nicht disparat. Wesentliches über Gott zum Ausdruck? Weil Gott sich in seiner Güte und Treue im- Oder wird die Barmherzigkeit nicht doch mer wieder als barmherzig erweist, kann durch andere Züge des Gotteshandelns er verlässlich und eindeutig zur Sprache wieder relativiert? Bleibt das biblisch- gebracht werden und als liebender Gott christliche Gottesbild so disparat, dass erkannt werden. Gott doch als unberechenbar und willkür- lich erscheinen muss, der nach „Gutsher- Nun ist allenthalben bekannt: Wenn die Bi- renart“ sein Anderssein manchmal auch im bel von Gottes Erbarmen spricht, dann ist Erbarmen zeigt? oftmals auch von Gottes Zorn die Rede. Zorn und Erbarmen stehen unmittelbar 2. Erbarmen und Zorn: nebeneinander. Allerdings wird in dem gleichberechtigte Wesenszüge Gottes? schon zitierten 11. Kapitel bei Hosea deut- Es ist nicht der Mensch, der von sich allein lich, dass Gottes Erbarmen den Zorn be- in sprachlicher Souveränität Gott zu Wort grenzt. Der Zorn wird zurückgehalten von bringen kann. Eberhard Jüngel betont, der größeren Langmut und Güte Gottes dass Metaphern nur dann sinnvoll sind, (hesed). Dieses asymmetrische Verhält- wenn das Subjekt der Übertragung be- nis von Zorn und Erbarmen kommt vor 9
Herz-Jesu-Fest allen Dingen in Psalm 30 zum Ausdruck: sterbend für seine Peiniger gebetet“23. „Denn sein Zorn dauert nur einen Augen- Gott, so zeigte sich, muss sich selbst aus- blick, doch seine Güte ein Leben lang“ (Ps sagen und zur Sprache bringen, um eine 30,6). Zorn und Erbarmen, darauf wird aus Vertrautheit mit sich zu ermöglichen. Dies Sicht der Exegese hingewiesen, sind für geschieht in der Geschichte und der Per- die Bibel und ihre Umwelt auch politische son Jesu dergestalt, dass Gott nicht nur Kategorien. Ein Herrscher oder Gottkönig menschlich-metaphorisch von sich spricht, wird durch seinen Zorn zur Aufrichtung sondern sich selbst als Mensch aussagt. In des Rechts und der Gerechtigkeit bewegt. der Hingabe Jesu bestimmt sich Gott un- Ähnlich bewegt die Barmherzigkeit einen widerruflich als bedingungslose Liebe: Der Machthaber dazu, einen dauerhaften Frie- Tod Jesu war Hingabe des Lebens für die den zu errichten. Auch der Kerngehalt der Brüder und Schwestern (Hebr 2,14-18), Verkündigung Jesu – die Botschaft von für die Freunde (Joh 51,13f.) und auch für der Königsherrschaft Gottes – beinhaltet, die Gottlosen, für die Feinde (Röm 5,6.10). „dass Gottes Zorn und Barmherzigkeit, mit Die Selbstaussage Gottes im gekreuzigten denen ein Herrscher auf Ungerechtigkeit Jesus ist „für eine hermeneutisch verant- und Unfriede reagiert, nun endgültig zum wortbare Rede vom Zorn Gottes zentral“24. Zuge kommen“22. Beispielhaft kann dies an Hinter Gottes Selbstmitteilung als Liebe der Erzählung von der Heilung des Man- bleibt kein unberechenbarer deus abscon- nes mit der verdorrten Hand (Mk 3,1-6) ditus zurück, vor dessen Zorn man Angst veranschaulicht werden: In der barmherzi- haben müsste. In der Proexistenz Jesu, gen Zuwendung zu dem Kranken kommen seiner barmherzigen Zuwendung zu den die umfassende Güte und Huld von Got- Menschen, die er auch im Tod nicht zu- tes Herrschaft wirksam und sichtbar zum rücknimmt, schafft Gott eine Vertrautheit Zuge: Auch am Sabbat muss Leben ge- mit sich, die alle menschlichen Gottesvor- rettet werden (vgl. Mk 3,4). Der Zorn Jesu stellungen durchkreuzt: Gott richtet seine hingegen richtet sich gegen die Missach- Herrschaft nicht durch seinen gerechten tung seines lebensfördernden Tuns. Bleibt Zorn auf, sondern durch seine gewaltlose es jedoch neutestamentlich bei einer sol- Hingabe und Liebe. Der Zorn ist „nicht im chen Symmetrie von Gerichtszorn gegen- Wesen Gottes verankert […] wie seine Lie- über den Verstockten und Barmherzigkeit be, die sein Erbarmen leitet“25. gegenüber denjenigen, die ihr Vertrauen in die Hände Jesu legen? Ist durch das Leiden und Sterben Jesu Gottes Gerechtigkeit so angebrochen, Die Evangelien bezeugen, dass Jesus auch dass endgültig kein Raum mehr bleibt für angesichts des zunehmenden Widerstands seinen Zorn, auch im Blick auf das Gericht gegenüber seiner Person an der Gültigkeit Gottes? Lässt sich eine Begrenzung des seiner Heilsbotschaft festhält. Auch im Zorns durch das Erbarmen Gottes auch Angesicht des Todes nimmt er das ange- eschatologisch rechtfertigen? Interessan- kündigte Heil der Gottesherrschaft nicht terweise hat kürzlich der Berliner Philo- zurück, sondern schreibt seinem Tod in soph Holm Tetens eine Begründung der den Abendmahlsworten eine positive, süh- Hoffnung auf einen Erlösergott, in dessen nende Wirkung zu. Jesus bewahrt diese im Macht allein es steht, die Übel und das Abendmahlsgeschehen bezeugte Haltung Leiden endgültig zu überwinden, aus phi- in der „gewaltigen Gewaltlosigkeit“ (Gott- losophischer Perspektive stark gemacht.26 hard Fuchs) seiner Hingabe am Kreuz: Auf Tetens Argumentation kann an dieser „Statt den Schrei der Opfer um die Ver- Stelle nicht ausführlich eingegangen wer- nichtung ihrer Feinde mitzuvollziehen (vgl. den. Nur einen Gedanken möchte ich er- Ps 137,7-9), hat er – nach Lk 23,34 – noch wähnen: Die Vorstellung einer Erlösung 10
Herz-Jesu-Fest von den Übeln und Leiden wäre für Tetens gibt es im Gericht keine Symmetrie „zwi- pervertiert, wenn das Leiden, das Men- schen retten-wollender Barmherzigkeit und schen einander angetan haben und antun, verwerfen-müssender Gerechtigkeit“28. Um einfach einem großen Vergessen anheim- der Freiheit des Menschen willen ist zwar fallen würde, wenn die erlöste Welt einfach an der Möglichkeit festzuhalten, dass sich so wäre, als ob nie etwas Schreckliches der Mensch dem schmerzlich-läuternden geschehen wäre. Insofern muss für den Geschehen der Versöhnung mit Gott und Philosophen Tetens der Gottes- und der den Mitmenschen verweigern kann. Der Erlösungsgedanke so etwas wie einen Erlöser-Richter Jesus kennt von sich her Gerichtsprozess einschließen: „Ohne den nur die unbedingte Zuwendung zum Men- Gedanken des Gerichts […] wäre Erlösung schen als Gestalt des Gerechtigkeit schaf- ein Geschehen, in dem die Menschen gar fenden Versöhnungswillens Gottes. Wir nicht als vernünftige und selbstverantwort- dürfen für die Eschata optimistisch sein, liche Wesen ernst genommen würden. Wer dass die Lebenshingabe Jesu genügt, um vom Gericht nicht reden will, sollte daher die Menschen, die sich dem Versöhnungs- von Erlösung schweigen“27. willen Gottes nicht endgültig verschließen, zu retten, so dass kein Raum mehr bleibt Der Gerichtsgedanke beinhaltet für Tetens für den Zorn Gottes. Die Art und Weise, wie allerdings nicht, dass die Täter ihrerseits Gott sich in der Geschichte seines Volkes mit Leiden bestraft werden und von einem und in der Geschichte Jesu durch sein Er- besseren Leben ausgeschlossen werden. barmen den Menschen vertraut macht, er- Erlösungshoffnung impliziert Gerechtigkeit möglicht es, Gott auch eschatologisch als und einen Gerichtsprozess. Erlösungshoff- Liebe zu bestimmen. Die barmherzige Zu- nung darf jedoch nicht zu neuem Leiden wendung zu den Armen, Elenden und Sün- durch eine menschlich gedachte Straf- dern ist keinesfalls ein uneigentlicher oder Gerechtigkeit führen. Die Hoffnung auf Er- ein marginaler Aspekt des christlichen Got- lösung richtet sich vielmehr darauf, dass tesbildes, sondern die heilsgeschichtliche die Konfrontation mit der ungeschminkten Konkretion seines Wesens, das Liebe ist.29 Wahrheit des eigenen Lebens die Men- schen dazu führt, sich miteinander zu 3. Barmherzigkeit: versöhnen, um Vergebung zu bitten und der konkrete Anruf Gottes einander zu vergeben. Eine solche philo- In diesem letzten Punkt möchte ich im Sin- sophisch postulierte Hoffnung entspricht ne eines Ausblicks auf einige Folgerungen dem christlichen Gerichtsgedanken: Aus bzw. Konkretionen eingehen, die sich aus christlicher Perspektive kann Gottes Ge- dem Sprechen von Gottes Barmherzigkeit richt nicht nach dem Modell menschlicher ergeben, und die auch Papst Franziskus in Strafjustiz verstanden werden. Im Unter- seinem Schreiben „Amoris Laetitia“ andeu- schied zur weltlichen Justitia, die mit ver- tet. Zunächst: Wer barmherzig handelt, re- bundenen Augen ohne Ansehen der Per- agiert meistens in einer konkreten und un- son richtet, erhofft der christliche Glaube verwechselbaren Situation30. Das bedeutet das Gericht als die unverhüllte Begegnung unter Umständen auch, dass er Regeln und mit Gottes richtender Liebe. Das Gericht Normen der religiösen Tradition, der Sitte, ist dem gekreuzigten und auferweckten Er- der Moral und des Anstandes übertritt. löser Jesus übertragen (vgl. Mt 25,31–46, Diese Grenzüberschreitung erklärt sich Apg 10,42): Der Erlöser-Richter hat die in- daraus, dass vom anderen, notleidenden neren Konsequenzen der Sünde an sich Menschen ein einzigartiger Anspruch bzw. selbst erfahren, um auch den gottverlas- Anruf ausgeht: Der Notleidende statuiert sensten Sünder mit der Barmherzigkeit ein eigenes, hier und jetzt mit einer eigen- Gottes in Berührung zu bringen. Deshalb artigen Unbedingtheit geltendes „Gesetz“. 11
Herz-Jesu-Fest Aus diesem Grund ist Barmherzigkeit nur dieser Unterscheidung steht die „Logik schwer institutionalisierbar. Vielmehr müs- der pastoralen Barmherzigkeit“, die „im- sen Institutionen mit ihren Normen einen mer geneigt ist zu verstehen, zu begleiten, Raum offen lassen, in dem sich Barmher- zu hoffen und vor allen Dingen einzuglie- zigkeit ereignen kann. dern“33. Mir scheint, dass das Schreiben „Amoris Den einen gehen diese Gedanken nicht laetitia“ nicht nur ein solches Verständ- weit genug, sie wünschen sich konkrete nis von Barmherzigkeit voraussetzt, son- „Zugeständnisse“, während andere die dern auch eine entsprechende theologi- kirchliche Tradition aufgegeben sehen. sche Basis zumindest implizit enthält. Im Meiner Meinung nach ist hier etwas viel 8. Kapitel „Die Zerbrechlichkeit begleiten, Grundsätzlicheres und Wichtigeres ausge- unterscheiden und eingliedern“ steht die sprochen als eine Pastoral relativierender Forderung nach einem barmherzigen Han- Nachsichtigkeit oder Zugeständnisse. Das deln der Kirche im Kontext einer pasto- Schreiben sagt: Es gibt einen Willen und ralen Unterscheidung: Den Hirten obliegt Anruf Gottes für Menschen in ihrer konkre- eine „pastorale Unterscheidung der Situa- ten Lebenssituation, die auf die ein oder tion vieler Menschen, die die Wirklichkeit andere Weise vielleicht nicht den kirchli- [einer christlichen Ehe] nicht mehr leben chen Normen entspricht. Dieser Wille Got- können“31. Die unterschiedlichsten, un- tes für einen einzelnen Menschen bzw. für verwechselbaren Situationen, in denen eine Familie oder ein Paar lässt sich nicht Menschen leben, müssen dazu führen, einfachhin aus allgemeinen Glaubenssät- „Urteile zu vermeiden, welche die Komple- zen oder Kirchengeboten ableiten. Das xität der verschiedenen Situationen nicht kann (und muss) dazu führen, dass Men- berücksichtigen“32. Die Unterschiedlichkeit schen mit Gott den Weg zu einer volleren menschlicher Geschichten und Situatio- Teilnahme am Leben der Kirche geführt nen, die verschiedenen Grade, in denen werden, die auch das sakramentale Leben Menschen, dem christlichen Ideal (der nicht ausschließt.34 Der Wille und das Wir- Ehe) entsprechen können, impliziert, dass ken Gottes in einer bestimmten Lebens- die Synode und auch das Schreiben des situation kann jedoch, wie Karl Rahner Papstes keine neuen, auf alle Fälle anzu- es ausdrückt, in einer Logik existentieller wendenden gesetzlichen Regelungen ver- Erkenntnis („Unterscheidung der Geister“) abschieden will. An die Stelle von immer vernommen werden.35 Dies scheint mir das geltenden Gesetzen und einer Kasuistik, eigentlich „Spannende“ an dem päpstli- die für jeden Fall eine entsprechende Lö- chen Schreiben zu sein: Es gibt eine Un- sung bereit hält, tritt ein Prozess der Un- mittelbarkeit Gottes und seines Willens terscheidung und der Begleitung für die zum Menschen, die sich in einzigartigen, betroffenen Menschen, deren Lebensum- unverwechselbaren Situationen eines Le- stände kirchlichen Gesetzen nicht entspre- bens manifestieren und nicht erschöpfend chen, für die Seelsorgerinnen und Seel- in allgemeinen Normen, sondern in der sorger und für die Kirche als Ganze. Die Bewegung der Geister, in Trost, in Hoff- Einzelnen sollen – mit den Seelsorgerinnen nung, Liebe und Glauben wahrgenommen und Seelsorgern – nach dem Willen Gottes werden kann. Eine solche Unmittelbarkeit in ihrer jetzigen Situation fragen und su- Gottes setzen wir etwa für die persönli- chen: Wo ist Gott mitten in der Schwach- che Berufung von Menschen voraus. Das heit und Hinfälligkeit des Lebens präsent päpstliche Schreiben geht davon aus, mit seinem Geist? Wohin führt mich Got- dass Gott auch darüber hinaus in vielfäl- tes Anruf in meinem Leben, wie kann ich tigen Situationen und Lebensumständen ihm am besten entsprechen? Im Rahmen am Werk ist und wahrgenommen werden 12
Herz-Jesu-Fest kann. Hier scheint mir noch einmal in be- 1 Die einleitenden Überlegungen finden sich auch sonderer Weise der theologische Ort der unter K. Vechtel, Barmherzigkeit allein reicht Barmherzigkeit zu sein: Die Barmherzigkeit nicht?: GuL 89 (2016), 223–224. reagiert auf den konkreten Anruf Gottes in 2 Papst Franziskus, Misericordiae vultus. Verkün- der Situation der Not, der Hinfälligkeit des digungsbulle von zum Außerordentlichen Jubi- menschlichen Lebens. Die Barmherzigkeit läum der Barmherzigkeit, (Verlautbarungen des rechnet damit, dass der persönliche Gott Apostolischen Stuhls Nr.200, Bonn 2015), Nr.21. auch in individuellen, unverwechselbaren 3 F. Hengsbach, Barmherzigkeit allein reicht nicht; Situationen Menschen anspricht und ruft, http://www.rp-online.de/kultur/barmherzigkeit- weil dieser Gott sich selbst von konkre- allein-reicht-nicht-aid-1.5690529, letzter Aufruf ten geschichtlichen Situationen berühren 14.04.16. und ansprechen lässt. Aufgrund der Un- 4 Ebd. verwechselbarkeit und Einzigartigkeit ge- 5 Th. Söding, Barmherzigkeit – Gottes Gabe und schichtlicher Situationen lässt die Barm- Aufgabe: G. Augustin (Hg.), Barmherzigkeit le- herzigkeit auch die Grenzüberschreitung ben. Eine Neuentdeckung der christlichen Beru- religiöser, sittlicher und kultureller Normen fung (Freiburg 2016), 19–34, hier 32. zu: Hier in diesen Situation der Grenzüber- 6 Papst Johannes Paul II, Enzyklika Dives in Mi- schreitung kann Gottes Barmherzigkeit an- sericordia (Verlautbarungen des Apostolischen getroffen werden. Stuhls Nr.26, Bonn 1980), Nr.6. 7 Ein solches Verständnis von Barmherzigkeit, Ich komme zum Ausgangspunkt zurück: so Ursula Nothelle-Wildfeuer, lässt sich anthro- Natürlich reicht Barmherzigkeit alleine pologisch und sozialphilosophisch anhand der nicht. Es bedarf gerechter Strukturen in Vorstellung einer gegenseitigen Anerkennung Gesellschaft und auch in Kirche. Allerdings plausibilisieren. Anerkennung vollzieht sich auf kann die Barmherzigkeit angemessen auf der Ebene von Primärbeziehungen, wie Freund- die unverwechselbaren, geschichtlichen schaften oder Eltern-Kind-Beziehungen. Aner- Situationen von Menschen reagieren, in- kennung vollzieht sich auf der Ebene des Rechts dem sie sich von der konkreten Not be- und basiert auf der Erkenntnis und Erfahrung rühren lässt und Grenzüberschreitungen menschenrechtlicher Gleichheit, und schließlich zulässt. Ist Barmherzigkeit damit eine vollzieht sich Anerkennung als Solidarität, die asymmetrische Gnade nach Gutsherren- die unterschiedlichen Fähigkeiten und Möglich- art? Ich darf zum Schluss noch einmal auf keiten von Individuen wertschätzt und berück- Karl Rahner verweisen und seine kurze, sichtigt. Der Begriff der Anerkennung würde die aber „dichte“ Abhandlung über den Preis Barmherzigkeit und auch die Gerechtigkeit nicht der Barmherzigkeit36: Barmherzigkeit, so ersetzen, sondern als gemeinsames Fundament Rahner, die sich über den anderen nicht er- für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit fungieren. hebt, den anderen nicht demütigt, kann nur Vgl. U. Nothelle-Wildfeuer, Anerkennung statt geschehen, wenn man sich selbst demü- Barmherzigkeit?: Diakonia 47 (2016), 22–30. tigt, leer wird und die Armut und Nichtigkeit 8 A. Wucherpfennig, Kein Zorn Gottes ohne sein des anderen teilt. Menschen können dies Erbarmen – biblische Perspektiven zur Barm- in der Geschichte der Hingabe Jesu ent- herzigkeit: Diakonia 47 (2016), 9–15, hier 11; vgl. decken: Barmherzigkeit, die nicht demü- auch L. Schwienhorst-Schönberger, Metapho- tigt, schenkt sich selbst. Es wäre zu wün- risch wahr – Offenheit und Eindeutigkeit alttes- schen, dass die Kirche immer mehr diese tamentlicher Gottesrede: G. Kruck – C. Sticher Barmherzigkeit entdeckt, indem sie nicht (Hg.), „Deine Bilder stehn vor dir wie Namen“. vorschnell (ver)urteilt, sondern das Leben Zur Rede von Zorn und Erbarmen Gottes in der der Menschen in ihren unverwechselbaren Heiligen Schrift (Mainz 2005), 115–124. Situationen teilt und begleitet. 13
Herz-Jesu-Fest 9 W. Groß, Keine Gerechtigkeit Gottes ohne Zorn neuen Wortgebrauch vollzieht sich eine Wis- Gottes – Zorn Gottes in der christlichen Bibel: G. senserweiterung, und nach Aristoteles gelingt Kruck – C. Sticher (Hg.), „Deine Bilder stehn vor der Metapher eine solche Wirkung in besonderer dir wie Namen“, 13–29, hier 15. Weise. Aristoteles beschränkt die Bedeutung der 10 Die biblischen Metaphern, so skizziert Veronika Metapher dennoch auf den Bereich der rhetori- Hoffmann dieses Missverständnis metaphori- schen Funktion der Sprache. Im Bereich der auf scher Gottesrede, würden damit nicht zu Grund- Richtigkeit zielenden Dialektik – für das Definie- metaphern, sondern nur zu Beispielen werden, ren – ist die Metapher ungeeignet. Diese Ein- wie metaphorisch von Gott gesprochen werden schränkung hängt für Jüngel damit zusammen, kann. Eine solche Einsicht würde die Grundlage dass der grundsätzliche Anrede-Charakter der religiöser Toleranz bilden und dazu führen, dass Sprache nicht genügend beachtet wird. wir de facto diejenigen Metaphern vorziehen, die 15 So R. Miggelbrink, Die Barmherzigkeit Gottes: G. in unser Weltverständnis passen und dieses ab- Kruck – C. Sticher (Hg.), „Deine Bilder stehn vor sichern. Vgl. V. Hoffmann, Alles nur Bilder. Zum dir wie Namen“, 69–85, hier 75; zum Ganzen vgl. Verständnis metaphorischer Rede von Gott: St. auch Hoffmann, Alles nur Bilder, 72–73. Orth – S. Kleymann (Hg.), Die neue Lust für Gott 16 J. Werbick, Prologomena: Th. Schneider (Hg.), zu streiten (Freiburg 2006), 69 –79, hier 73–76. Handbuch der Dogmatik Bd.1 (Düsseldorf 1992), 11 Walter Kardinal Kasper, Barmherzigkeit. Grund- 1–48, hier 31. begriff des Evangeliums – Schlüssel christlichen 17 Wucherpfennig, Kein Zorn Gottes ohne sein Er- Lebens (Freiburg 2012), 89. barmen, 10. 12 Papst Franziskus, Der Name Gottes ist Barmher- 18 Söding, Barmherzigkeit, 21. zigkeit. Ein Gespräch mit Andrea Tornielli (Mün- 19 Vgl. Kasper, Barmherzigkeit. Grundbegriff des chen 2016), 110. Evangeliums, 57–59. 13 Vgl. J. Hartl, Metaphorische Theologie, Gram- 20 Vgl. Jüngel, Metaphorische Wahrheit, 146–150. matik, Pragmatik und Wahrheitsgehalt religiöser 21 Vgl. Werbick, Prologomena, 31–33; Hoffmann, Sprache (Berlin 2008), 95–101; M. Titzmann u.a., Alles nur Bilder, 76–78. Art. Metapher: LThK³ Bd.7, 187–190. 22 Wucherpfennig, Kein Zorn Gottes ohne sein Er- 14 Vgl. zum Folgenden E. Jüngel, Metaphorische barmen, 13. Wahrheit. Erwägungen zur theologischen Rele- 23 J.-H. Tück, Der Zorn – die andere Seite der Liebe vanz der Metapher als Beitrag zur Hermeneu- Gottes: ThPh 83 (2008), 385–409, hier 401. tik einer narrativen Theologie: Entsprechun- 24 Tück, Der Zorn, 404. gen. Gott, Wahrheit, Mensch (München 1980), 25 W. R. Dietz, Biblische und systematisch-theolo- 103–157. Jüngel macht darauf aufmerksam, gische Aspekte zur Rede von Gottes Zorn und dass bereits Aristoteles, der das Verständnis der Erbarmen: G. Kruck – C. Sticher (Hg.), Deine Metapher als Übertragung geprägt hat, wichti- Bilder stehn vor dir wie Namen, 31–54, hier 39. ge Ansätze bietet, die über das Verständnis der Der Zorn kann hingegen als Verhältnisbegriff be- Metapher als uneigentlicher Rede hinausweisen. stimmt werden. Gottes Zorn bezeichnet den ent- Metaphern müssen glücken bzw. sie müssen schiedenen Widerstand Gottes gegen die Sünde, stimmen. Damit sie stimmen, ist es notwendig, wo sie sich sozial-gesellschaftlich und individuell eine Ähnlichkeit zu erkennen. Wenn Metaphern manifestiert. Vgl. Tück, Der Zorn, 388–396. Weil stimmig sind, dann folgt die Sprache einer Ent- die biblischen Schriften immer wieder festhal- sprechung, die die Wirklichkeit durchwaltet. Die ten, dass der Zorn durch Gottes Erbarmen be- Stimmigkeit der Metapher entspringt der Ana- grenzt wird, kommt Wolfhart Pannenberg zu dem logie. Es kommt darauf an, dass Metaphern die Schluss: „Der Zorn ist keine Eigenschaft Gottes, Wirklichkeit zur Sprache bringen und das, weil denn sein Handeln ist nicht generell durch Zorn (bzw. obwohl) sie mehr als das Wirkliche sagen. bestimmt. […] Er ist die gleichsam naturgesetz- Das metaphorische Reden hat gerade darin sei- liche Folge der Untreue gegen Gott (Ps 78,7-60; nen Sinn, dass es mehr zur Sprache bringen Ri 2,10-22), die aber immer wieder unterbrochen, kann als das begriffliche Reden: Durch einen aufgebrochen oder abgewendet wird durch sein 14
Herz-Jesu-Fest Erbarmen (Ps 78,83, Amos 7,2ff., Hos 11,8ff.).“ 30 So H. Zaborowski, Vom Anderen berührt. Die Re- W. Pannenberg, Systematische Theologie Bd.1 volution der Barmherzigkeit: Diakonia 74 (2016), (Göttingen 1988), 474. 39–44, hier 41–42. 26 Für Tetens gilt: Wer die Meinung vertritt, dass 31 Papst Franziskus, Nachsynodales Apostolisches die Erfahrungswelt, wie sie von den empirischen Schreiben Amoris Laetitia über die Liebe in der Wissenschaften beschrieben wird, die ganze Familie (Freiburg 2016), Nr. 293; vgl. dazu auch Wirklichkeit ist, für den wird der Tod das unwi- J. Knop, Leben und Lehre im Licht des Evangeli- derrufliche Verlöschen des Welterlebens und der ums. Das nachsynodale Schreiben „Amoris laeti- Personalität des Menschen darstellen. Wer so tia“: IKaZ Communio 45 (2016), 378–387. denkt, kann sich für eine Verbesserung der Welt 32 Papst Franziskus, Amoris Laetitia, Nr. 296. einsetzen und alle verfügbaren Kräfte dafür ein- 33 Ebd. Nr. 312. setzen, dass die Leiden und die Übel abnehmen. 34 Weil zu unterscheiden ist zwischen einer Situa- Was jedoch ist mit den unzähligen Opfern von tion, die objektiv nicht den Anforderungen des Verbrechen, von Schrecken und Katastrophen? Evangeliums entspricht und der subjektiven Für sie muss jede Überwindung von Leid zu spät Schuldhaftigkeit eines Menschen, ist es nicht kommen. Im Grunde werden die Opfer in Kauf möglich zu behaupten, „dass alle, die in einer genommen im Bemühen, eine bessere Welt zu sogenannten „irregulären“ Situation leben, sich realisieren. Letztlich kann für Holm Tetens nur in einem Zustand der Todsünde befinden und die Theismus die Hoffnung begründen, dass die heiligmachende Gnade verloren haben“. Ebd. Nr. Welt gut wird, ohne dass die Leiden und Übel in 301; Nr. 305, Anmerkung 355. Kauf genommen werden für eine Verbesserung 35 Vgl. K. Rahner, Die Logik der existentiellen Er- der Welt. Vgl. zum Ganzen H. Tetens, Gott den- kenntnis. Über einige theologische Probleme in ken. Ein Versuch über rationale Theologie (Stutt- den Wahlregeln der Exerzitien des heiligen Ig- gart 2015). natius: F. Wulf (Hg.), Ignatius von Loyola. Seine 27 Ebd. 70. geistliche Gestalt und sein Vermächtnis (Würz- 28 M. Kehl, Und was kommt nach dem Ende? Von burg 1956), 345–405; K. Rahner, Wesensbestim- Weltuntergang und Vollendung, Wiedergeburt mung und Darbietung der Exerzitien heute: Wag- und Auferstehung (Freiburg 1999), 130. nis des Christen (Freiburg 1974), 95–101. 29 Vgl. Pannenberg, Systematische Theologie Bd.1, 36 K. Rahner, Preis der Barmherzigkeit: Schriften 466ff; Kasper, Barmherzigkeit, 89–96. zur Theologie Bd. VII (Einsiedeln 1966), 259–264. 15
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