Die negative Einkommensteuer: Reformoption für die Schweiz?
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1 Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV Administration fédérale des contributions AFC Amministrazione federale delle contribuzioni AFC Administraziun federala da taglia AFT Bern, 19/11/2004 Die negative Einkommensteuer: Reformoption für die Schweiz? Von Christoph A. Schaltegger Die negative Einkommensteuer stellt einen Reformvorschlag für die soziale Sicherheit in Verbindung mit dem Einkom- mensteuersystem dar. Haushalte mit tiefem Einkommen erhalten Transferzahlungen – sie bezahlen eine negative Steuer. Mit steigenden Einkommen nehmen die Transferleistungen bis zu einem Schwellenwert ab. Danach müssen Einkom- mensteuern an den Staat abgeliefert werden. Da bei steigendem Einkommen die Transferzahlungen nicht um den selben Betrag gekürzt werden, besteht theoretisch immer ein Anreiz, die Erwerbstätigkeit auszudehnen. Damit vermeidet die negative Einkommensteuer die „Armutsfalle“ für untere Einkommen im heutigen System, bei dem Grenzsteuersätze von über 100 % entstehen können. In der Praxis ist die negative Einkommensteuer jedoch mit einem dreifachen Dilemma verbunden: entweder verursacht sie ein enorm hohes Finanzierungsvolumen oder sie geht von einem sehr tiefen Existenz- minimum aus oder sie verursacht für die Ausdehnung der Erwerbstätigkeit unattraktiv hohe Grenzsteuersätze. Eine Wei- terentwicklung der negativen Einkommensteuer stellen Steuerkredite dar, bei welchen die Transferleistungen an die Be- dingung einer Erwerbstätigkeit geknüpft sind. In den USA werden Steuerkredite in grossem Umfang eingesetzt. Gemäss aktuellen Untersuchungen scheint für die Schweiz das System eines Partizipationseinkommens am attraktivsten zu sein. Es stellt ein Basiseinkommen dar, in Verbindung mit der Verpflichtung, am Arbeitsmarkt teilzunehmen. Einleitung In der internationalen Literatur werden heute verschie- dene Derivate der negativen Einkommensteuer disku- Bei der negativen Einkommensteuer geht es um die tiert. Insbesondere Modelle erwerbsabhängiger Steuer- Verbindung des Steuersystems mit den Zielen der sozia- gutschriften wie der in den USA vor allem in den 1990er len Wohlfahrt. Das Konzept sieht eine in das Steuersys- Jahren eingesetzte „Earned Income Tax Credit“ haben tem integrierte Transferzahlung vor. Das heisst, das ein lebhaftes Interesse bei Politikern und Wissenschaf- Steuersystem besteht dann aus einem positiven und tern gefunden.1 einem negativen Bereich. Haushalte mit tiefem Ein- kommen fallen in den negativen Bereich und erhalten Transferzahlungen – sie bezahlen eine negative Steuer. Negative Einkommensteuer: für und wider Mit steigendem Einkommen nehmen die Transferzah- lungen ab. Ab einer definierten Schwelle beginnt der 1962 propagierte Milton Friedman in seinem Buch „Ca- positive Bereich. Dann beginnt der Bereich des Steuer- pitalism and Freedom“ die negative Einkommensteuer systems, bei dem die Haushalte positive Steuern auf ihre als Ersatz für alle existierenden Wohlfahrtsprogramme. Einkommen bezahlen müssen. Die negative Einkom- Es ging ihm darum, die Arbeitsanreize für Sozialhilfe- mensteuer stellt somit eine theoretische Möglichkeit zur empfänger mit tiefen Grenzsteuersätzen bei steigendem Finanzierung der gesamten oder von Teilen der sozialen Einkommensniveau zu erhalten. Der Vorschlag von Wohlfahrt dar. Friedman (1962) inspirierte sofort viele Wissenschafter wie auch die Politik. Präsident Nixon und andere Präsi- Leu und Eisenring (1998) sehen drei Vorteile einer ne- gativen Einkommensteuer: wirksame Armutsbekämp- fung, Abbau negativer Arbeitsanreize und Kosteneffi- 1 Grundsätzlich ist es schwierig, den Sozialstaat der USA mit jenem zienz. Im Gegensatz zur herkömmlichen Sozialhilfe mit eines europäischen Staats zu vergleichen. Die USA geben ca. 10 % Bedürftigkeitsnachweis vermeidet die negative Ein- ihres BIP für staatliche Fürsorge und Umverteilung aus. In Europa kommensteuer die sogenannte „Armutsfalle“. Diese sind es dagegen durchschnittlich fast 18 %. Untere Einkommen entsteht, weil bei einer Erhöhung des Erwerbsumfangs werden in den USA mit einer Steuerbelastung konfrontiert, die um 5 %-Punkte höher liegt, während die Steuersätze für die oberen Ein- unterer Einkommensschichten die Transferzahlungen kommen um ca. 10 %-Punkte tiefer sind als im Durchschnitt der um den selben Betrag gekürzt werden. Es fallen Grenz- europäischen Staaten. Das heisst, die US-amerikanische Gesellschaft steuersätze von 100 % und mehr an. Damit sind die charakterisiert sich trotz schärferer Einkommensunterschiede durch Anreize für Sozialhilfeempfänger gering, eine Erwerbs- einen geringeren Wohlfahrtsstaat. Gemäss einer empirischen Unter- suchung von Alesina und Glaezer (2004) kann diese unterschiedli- tätigkeit aufzunehmen. che Politik im internationalen Vergleich zu einem grossen Teil durch die ethnische Heterogenität einer Gesellschaft erklärt werden.
2 denten der USA nach ihm propagierten eine derartige gramme im Allgemeinen zentralstaatlich organisiert Steuerreform, fanden aber nie die Zustimmung des Kon- werden sollten. Das heisst, es bedarf landesweit einheit- gresses. licher Grundsätze des garantierten Mindesteinkommens. Dies aus der Überlegung, dass dezentrale Umverteilung Neben den verstärkten Arbeitsanreizen notiert Friedman bei der Mobilität der Produktionsfaktoren langfristig (1962) fünf weitere Vorteile seiner negativen Einkom- nicht aufrecht zu erhalten ist. Kantonal unterschiedlich mensteuer: Erstens unterstützt die negative Einkom- ausgestaltete negative Einkommensteuern würden eine mensteuer Haushalte mit geringem Einkommen einzig ruinöse Konkurrenz verursachen, die das garantierte auf Basis des fehlenden Einkommens. Andere Kriterien Mindesteinkommen gegen Null treiben. Folgt man den wie Alter über 65 oder Erwerbstätigkeit als Bauer sind empirischen Ergebnissen von Feld (2000), kann die nur ungenaue Indikatoren für Bedürftigkeit und sollten Gefahr einer ruinösen Konkurrenz dezentral organisier- daher bei der Unterstützung durch Wohlfahrtsprogram- ter Wohlfahrtsprogramme in der Schweiz jedoch als me keine Rolle spielen. Dies hat auch den Vorteil, dass überzogen betrachtet werden. die zu unterstützenden Personen sozial nicht stigmati- siert werden. Zweitens erhalten die Sozialhilfeempfän- Pauly (1973) vertritt beispielsweise den Standpunkt, ger Bargeld, welches Ihnen die grösstmögliche Wahl- dass dezentrale Umverteilung effizienter ist als zentral- freiheit bei der Verwendung der Unterstützung garan- staatlich organisierte Wohlfahrtsprogramme. Dies des- tiert. Drittens macht die negative Einkommensteuer alle halb, weil die Unterstützung auf die regional unter- existierenden Wohlfahrtsprogramme überflüssig. Vier- schiedliche Bedürftigkeit abgestimmt werden kann. tens ist die negative Einkommensteuer kostengünstiger Zusätzlich steigt auch die Akzeptanz des impliziten als das existierende Wohlfahrtssystem, weil alle admi- Vertrags zwischen den Zahlenden und den Begünstigten nistrativen Überprüfungen der Bedürftigkeit überflüssig der Wohlfahrtsleistungen auf lokaler Ebene. Im Gegen- werden und die Transferzahlungen zielgerichteter an die satz dazu sind die Empfänger der Sozialleistungen im Bedürftigen ausgerichtet werden. Fünftens verzerrt die Zentralstaat oft anonym und die Bereitschaft der Zah- negative Einkommensteuer im Gegensatz zu Mindest- lenden zur Unterstützung damit geringer. löhnen, Tarifverträgen und Subventionen die Marktprei- Trotz der vorgebrachten Vor- und Nachteile dezentraler se nicht (Moffitt, 2003). Umverteilung wäre es grundsätzlich denkbar, Elemente In der wissenschaftlichen Diskussion stellte sich trotz einer negativen Einkommensteuer in der Schweiz nur der theoretischen Vorteile dieses Konzepts bald heraus, auf Bundesebene einzuführen, so dass die Kompetenz dass die negative Einkommensteuer in ihrer reinen Form der Kantone im Bereich der Steuer- und Sozialpolitik auch mit verschiedenen Nachteilen verbunden ist. respektiert bliebe. Erste Versuche zur konkreten Umset- zung sind in der Schweiz am Laufen. Der Kanton Basel- Stadt hat beispielsweise im Jahr 2001 ein neues Sozial- 1. Dilemma zwischen garantiertem Mindesteinkom- hilfegesetz eingeführt, das Elemente der negativen Ein- men, Arbeitsanreiz und Gesamtkosten kommensteuer beinhaltet (Lewin und Schwendener, 2004). Die Einführung einer negativen Einkommensteuer stellt die Politik vor ein grundsätzliches Dilemma (Aaron, Bei einem Erfolg der negativen Einkommensteuer auf 1973; Leu und Eisenring, 1998; Stutz und Bauer, 2003): Bundesebene wäre damit zu rechnen, dass weitere Kan- Will man ein hohes garantiertes Grundeinkommen zur tone ein ähnliches System ebenfalls einführen. Solche Verfügung stellen und dabei die Grenzsteuersätze tief Nachahmungseffekte in der Politik lassen sich schon halten, um realistische Arbeitsanreize zu geben, wird die heute beobachten. Sie verlaufen aber in der Regel unter Finanzierung der negativen Einkommensteuer sehr teu- den Kantonen oder von den Kantonen zum Bund (Schal- er. Das heisst die durchschnittliche Steuerbelastung ist tegger, 2004). in diesem Fall sehr hoch. Will man andererseits die Gesamtkosten der negativen Einkommensteuer im ak- zeptablen Rahmen halten, dann ist entweder das garan- 3. Arbeitsmarkteffekte tierte Grundeinkommen sehr tief oder die Grenzsteuer- In den 1970er Jahren wurden in den USA verschiedene sätze sind unattraktiv hoch. Experimente zur Einführung der negativen Einkom- Friedman (1980) selbst erachtet ein relativ tiefes garan- mensteuer durchgeführt. Diese zeigten, dass die Ar- tiertes Grundeinkommen als beste Variante und argu- beitsmarkteffekte entgegen der Intention der negativen mentiert, dass die existierenden Wohlfahrtsprogramme Einkommensteuer zweideutig sind (Moffitt, 2003). Zwar für erwerbslose Personen zu grosszügig ausgestaltet sind am unteren Ende der negativen Einkommensteuer seien. die Arbeitsanreize durchaus positiv, sodass jene Perso- nen ihren Arbeitsumfang erhöhen, die vorher gar nicht gearbeitet haben. Für Personen, die aber ohne Sozial- 2. Umsetzung im Föderalismus transfers schon einer Arbeit nachgehen, verursacht die Unterstützung durch die negative Einkommensteuer eine Das System der negativen Einkommensteuer geht nicht Erhöhung des Einkommens, welches ihnen gestattet, den von Steuerföderalismus aus. Befürworter der negativen Arbeitsumfang zu reduzieren. Die Experimente in Seat- Einkommensteuer argumentieren, dass Wohlfahrtspro-
3 tle und Denver in den 1970er Jahren zeigten, dass die Negative Einkommensteuer und weitere Reformopti- Reduktion des Arbeitsumfangs vor allem bei Paaren zu onen der sozialen Wohlfahrt: Ergebnisse für die beobachten war, während alleinerziehende Mütter ihren Schweiz Arbeitsumfang mit der negativen Einkommensteuer in Es gibt verschiedene Untersuchungen zur Wirkung un- der Regel erhöhten. Das heisst die unterschiedliche terschiedlicher Systeme der sozialen Sicherung in Ver- Elastizität des Arbeitsangebots verschiedener Bevölke- bindung mit dem Steuersystem für die Schweiz. Müller rungsgruppen ist entscheidend für den tatsächlichen (2004) und van Baalen und Müller (2003) haben die Effekt der negativen Einkommensteuer auf den Ar- unterschiedlichen Reformvorschläge in partiellen und beitsmarkt. allgemeinen Gleichgewichtsmodellen miteinander ver- Vor allem aufgrund des Dilemmas zwischen garantier- glichen. Dabei wurden folgende sozialpolitischen In- tem Mindesteinkommen, Arbeitsanreiz und Gesamtkos- strumente evaluiert: ten wurde die negative Einkommensteuer trotz intensi- ver Diskussionen in verschiedenen Ländern nie tatsäch- • Sozialdividende (auch Grundrente oder Basis- lich eingeführt. Eine Weiterentwicklung der negativen einkommen): Beim Modell des „Basic Income“ Einkommensteuer stellen erwerbsabhängige Steuerkre- erhält jeder Bürger ein Grundeinkommen, un- dite dar. Zu dieser Gruppe gehört etwa der in den USA abhängig von der individuellen Situation (Ein- in grossem Umfang eingesetzte Earned Income Tax kommen, Vermögen, Zivilstand, Familiengrös- Credit EITC.2 Im Unterschied zur negativen Einkom- se, Erwerbstätigkeit etc.) zur Existenzsiche- mensteuer sind hier nur Personen transferberechtigt, die rung. Damit ist dieses Modell der negativen tatsächlich erwerbstätig sind. Damit wird vom Grund- Einkommensteuer sehr ähnlich. Auch die Sozi- satz der negativen Einkommensteuer abgewichen, dass aldividende vermeidet die Armutsfalle, da diese Personen nur aufgrund des Kriteriums des fehlenden Grundrente jeder Person bedingungslos zusteht. Einkommens unterstützt werden sollen. Eine Variante des Basiseinkommens stellt das Der EITC wurde erstmals 1972 von Gouverneur Ronald Partizipationseinkommen „Participation Inco- Reagan in Kalifornien eingeführt und dann 1982 mit me“ dar, das an die Bedingung der Erwerbstä- seiner Wahl zum Präsidenten auf die ganzen Vereinigten tigkeit geknüpft ist (Atkinson, 1995). Staaten ausgedehnt. Der spätere Präsident Bill Clinton • Die negative Einkommensteuer ist wie oben baute das System der Steuerkredite stark aus (Stutz und ausgeführt ein der Sozialdividende sehr ähnli- Bauer, 2003). Beim EITC handelt es sich einen Sozial- ches Instrument. Im Unterschied zur Sozialdi- transfer, der im untersten Bereich bis zu einem Maxi- vidende wird in den von Müller durchgeführten mum ansteigt (Phase-in Bereich), und dann wieder aus- Simulationen aber nicht auf individueller Basis läuft (Phase-out Bereich). Die Höhe des Sozialtransfers besteuert, sondern auf Ebene des Haushalts. richtet sich nach der Familiengrösse. Im Jahr 2001 er- hielten beispielsweise Steuerzahler mit einem Kind • Steuerkredit: Wie oben ausgeführt, ist der einen Steuerkredit von 40 % bis zu einem Jahresein- Steuerkredit eine Variante der negativen Ein- kommen von $ 10'020. Dies berechtigte für eine maxi- kommensteuer. Übersteigt der Steuerkredit den male Unterstützung von $ 4'008. Bis zu einem Einkom- geschuldeten Steuerbetrag, erhält der Steuer- men von $ 13'090 blieb der Sozialtransfer konstant, um pflichtige eine Transferleistung vom Staat aus- danach mit einer Grenzrate von 21.06 % bis zu einem bezahlt. Der Steuerkredit knüpft die Unterstüt- Einkommen von $ 32'121 zu sinken (Moffitt, 2003). zung an die Bedingung einer Erwerbstätigkeit. In der Schweiz werden Steuerkredite zur Vermeidung • Lohnsubvention: Ziel der Lohnsubvention ist, von Armut der Working Poors als Alternative zu Min- die Nachfrage nach gering entlöhnter Arbeit in destlöhnen vor allem von Gerfin, Leu, Brun und Tschö- den Unternehmen zu steigern. Dies beispiels- pe (2002) propagiert (Studie im Auftrag des Eidg. weise durch die Subventionierung lohnrelevan- Volkswirtschaftsdepartements). Die Autoren sehen kei- ter Sozialbeiträge. Die in der Schweiz teilweise ne grösseren Probleme bei einer tatsächlichen Einfüh- gewährten Fürsorgegelder zur Aufbesserung rung von Steuerkrediten in der Schweiz, weil diese nach von Tiefstlöhnen können als Lohnsubventionen den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für betrachtet werden (Stutz und Bauer, 2003). Sozialhilfe (SKOS) ausgestaltet werden können, in gros- • Das garantierte Mindesteinkommen ist eine Art sem Umfang praktisch handelbar sind und nach aller Sicherung des Existenzminimums als Ergän- Erfahrung der Missbrauch gering ist. Das Verhältnis zung zum Sozialversicherungssystem. zwischen Kosten und Wirksamkeit schneidet bei den Steuerkrediten deutlich besser ab als beispielsweise bei In den Berechnungen zur Wirkung dieser alternativen Mindestlöhnen. Modelle der sozialen Grundsicherung geht Müller (2004) von Budgetneutralität aus. Das heisst, in allen berechneten Modellen führen die Systemveränderungen 2 Neben den USA kennen auch Grossbritannien, Kanada, Neuseeland, zu Anpassungen auf der Finanzierungsseite, so dass die Irland, Australien und die Niederlande unterschiedliche Formen von übrigen staatlichen Leistungen im bisherigen Umfang Steuerkrediten. Eine Übersicht über verschiedene „Welfare-to- gewährleistet werden können. Die Resultate der Gleich- work“ Programme bietet Ochel (2004).
4 gewichtsberechnungen berücksichtigen die Tatsache, Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Wirkung der dass durch die unterschiedlichen sozialpolitischen In- Steuerkredite auf den Arbeitsmarkt zwiespältig ist. Ei- strumente das Verhalten der wirtschaftspolitischen Ak- nerseits wirken die Steuerkredite als Anreiz, auf dem teure verändert und an die neue Situation angepasst Arbeitsmarkt aktiv zu werden. Andererseits bietet dieses wird. System für Erwerbstätige mit niedrigen Löhnen einen Anreiz, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, da sie ihren An- Die Resultate von Müller (2004) sind in Tabelle 1 dar- spruch auf den Steuerkredit nicht verlieren. gestellt. Der Autor geht davon aus, „dass jedem Haus- halt ein Betrag in der Höhe der Hälfte seines Existenz- Die Sozialdividende, bei der jede über 20-jährige Person minimums entsprechend seiner Familienstruktur und einen bedingungsfreien Transfer von 500 CHF pro Mo- gemäss den SKOS-Kriterien gutgeschrieben wird.“ nat erhält, schneidet im allgemeinen Gleichgewicht (Müller, 2004, S. 17). Wie in Tabelle 1 ersichtlich, wür- besser ab als die negative Einkommensteuer. Zwar de die Einführung einer negativen Einkommensteuer zu nimmt die Einkommensungleichheit zu und die Armut einer erheblichen Angleichung der Einkommen führen. kann weniger stark vermindert werden als bei der nega- Dies wird durch den Gini-Koeffizienten3 dargestellt, der tiven Einkommensteuer, dafür sinkt aber das durch- sich deutlich verringert. schnittliche Einkommen weniger stark und der Finanzie- rungsbedarf sinkt beträchtlich. Bei Tabelle 1: Auswirkungen unterschiedlicher Systeme der sozialen Wohlfahrt einem einheitlichen Satz von 20.4 Ø-Einkommen % als Ersatz für die direkte Bun- Ungleichheit Armutsquote Satz Direkte dessteuer wäre bei der Sozialdivi- (%- Abweichung von d (Gini-Koeffizient) in % Steuern Basisszenario) dende die Steuerkompetenz der __ Progressiver Kantone und Gemeinden im Ge- Basisszenario 0.211 2.2 Tarif gensatz zur negativen Einkom- Garantiertes -1.4 0.219 0.0 7.9a mensteuer gewahrt. Mindesteinkommen Steuerkredit 0 0.217 1.6 6.7a Am besten schneidet das Partizipa- Negative tionseinkommen (Participation -5.6 0.161 0.5 50.4b Einkommensteuer Income) in den allgemeinen Partizipations- Gleichgewichtsanalysen ab. Müller 0.5 0.196 1.4 14.6a einkommen (2004) geht vom Szenario aus, dass Sozialdividende -2.6 0.180 0.9 20.4a jede erwerbstätige Person, die c mindestens 30 Stunden pro Woche Lohnsubvention 0.2 0.199 1.6 1.9 arbeitet, ein Zusatzeinkommen von Quelle: Müller (2004, S.18) 500 CHF pro Monat erhält. Zudem a Einheitlicher Satz für den das Existenzminimum übersteigenden Teil des Einkommens. Ersetzt die direkte Bundessteuer wird die direkte Bundessteuer b Einheitlicher Satz gemäss a. Ersetzt alle direkten Einkommenssteuern durch eine Einheitssteuer von 14.6 c d Einheitlicher Satz gemäss a. Zusätzlich zu den bestehenden direkten Steuern % auf den das Existenzminimum Gemäss Existenzminimum nach SKOS-Kriterien von 23’690 CHF pro Jahr überstei- genden Teil des Einkommens er- Allerdings würde auch das Durchschnittseinkommen als setzt. Das nach Müller (2004) konzipierte Partizipati- Folge des Rückgangs der geleisteten Arbeitsstunden onseinkommen reduziert die Arbeitslosenquote stark. abnehmen. Die Armut könnte mit der Einführung einer Dies ist die Reaktion des Arbeitsmarktes auf die Ver- negativen Einkommensteuer relativ stark vermindert meidung der Armutsfalle mit dem Partizipationsein- werden. Hingegen würde der Ersatz des heutigen Steu- kommen. Im Weiteren reduziert das Partizipationsein- ersystems für alle direkten Steuern bei Bund, Kantonen kommen die Armut, die Ungleichheit, erhöht das Durch- und Gemeinden mit einem Einheitssteuersatz von 50,4 schnittseinkommen und steigert damit auch die wirt- % einer massiven Erhöhung der Fiskalquote gleich schaftliche Leistungsfähigkeit (Tabelle 1). kommen. Dabei ist die Belastung durch indirekte Steu- ern nicht eingerechnet. Die Lohnsubvention sähe eine Subventionierung von Sozialabgaben der Arbeitgeber für Löhne unter 3'000 Das Steuerkreditsystem berechtigt im Unterschied zur CHF durch den Staat vor. Danach laufen die Lohnsub- negativen Einkommensteuer nur jene an Transfers teil- ventionen bis zur Schwelle von 4'000 CHF aus. Die zuhaben, die erwerbstätig sind. Damit reduziert sich das Verminderung von Armut und die Ungleichheit kann Finanzierungsvolumen des Systems, wie Tabelle 1 zeigt. mit der Lohnsubvention zwar verringert werden, aber Die Resultate zu den Steuerkrediten unterscheiden sich weniger effektiv als beim Partizipationseinkommen. aber nicht gross vom heutigen Zustand (Basisszenario). Schlussfolgerungen: Partizipationseinkommen 3 schneidet besser ab als negative Einkommensteuer Der Gini-Koeffizent ist ein statistisches Mass für Ungleichheit, entwickelt vom italienischen Statistiker Corrado Gini. Je höher der Der Vorschlag einer negativen Einkommensteuer als Wert, der zwischen 0 und 1 liegen kann, ist, desto grösser ist die Ersatz für die gesamten Wohlfahrtsausgaben des Staats Ungleichkeit (z.B einer Einkommensverteilung). Der Gini-Index nach dem Vorschlag von Friedman (1962) besitzt einen liegt in Deutschland bei 0,300; in Frankreich bei 0,327; in Grossbri- tannien bei 0,361; in Japan bei 0,249 und in den USA bei 0,408. intuitiven Charme. Das System bietet verstärkte Arbeits-
5 anreize, weil es die Armutsfalle vermeidet. Die Trans- wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Die direkte Bundes- ferleistungen werden einzig auf Basis fehlenden Ein- steuer wird in diesem Modell durch eine Einheitssteuer kommens ausgerichtet und vermeiden dadurch die Stig- von 14.6 % auf den das Existenzminimum übersteigen- matisierung der unterstützten Gruppen. Sozialhilfeemp- den Teil des Einkommens abgelöst. fänger erhalten Bargeld, welches Ihnen die grösstmögli- che Wahlfreiheit bei der Verwendung der Unterstützung garantiert. Das gesamte existierende Wohlfahrtssystem Literatur zur administrativen Überprüfung der Bedürftigkeit wird überflüssig und letztlich verzerrt die negative Einkom- Aaron, H. (1973), Why is Welfare so Hard to Reform?, Brookings Institution. mensteuer im Gegensatz zu Mindestlöhnen, Tarifverträ- gen und Subventionen die Marktpreise nicht. Alesina, A. und E. Glaeser (2004), Fighting Poverty in Die Umsetzung der Friedman’schen negativen Einkom- the U.S and Europe – A World of Difference, Oxford mensteuer in die Realität ist aber mit einigen gravieren- University Press. den Problemen verbunden. Die Effekte auf dem Ar- Atkinson, A.B. (1995), Public Economics in Action, The beitsmarkt sind durchaus nicht nur positiv. Zwar sind die Basic Income/Flat tax Proposal, Oxford Clarendon Anreize zur Aufnahme einer Arbeit positiv. Für er- Press. werbstätige Personen verursacht die Unterstützung durch die negative Einkommensteuer aber eine Erhö- Feld, L.P. (200), Steuerwettbewerb und seine Auswir- hung des Einkommens, das ihnen einen Anreiz gibt, den kungen auf Allokation und Distribution: Ein Über- Arbeitsumfang zu reduzieren. blick und eine empirische Analyse für die Schweiz, Tübingen, Mohr. Zudem besteht bei der negativen Einkommensteuer ein grundsätzliches Dilemma: Will man ein hohes garantier- Friedman, M. (1962), Capitalism and Freedom, Chi- tes Grundeinkommen zur Verfügung stellen, erfordert cago, University of Chicago Press. dies sehr hohe Grenzsteuersätze und damit ein hohes Friedman, M. and R. Friedman (1980), Free to Choose, Finanzierungsvolumen. Will man andererseits die Ge- Harcourt Brace Jovanovich. samtkosten der negativen Einkommensteuer im akzep- tablen Rahmen halten, dann ist entweder das garantierte Gerfin, Leu, Brun und Tschöpe (2002), Armut unter Grundeinkommen sehr tief oder die Grenzsteuersätze Erwerbstätigen in der Schweiz: Eine Beurteilung al- sind unattraktiv hoch. ternativer wirtschaftspolitischer Lösungsansätze, Studie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirt- Bessere Erfahrungen wurden mit Steuerkrediten ge- schaft SECO. macht, die als eine Weiterentwicklung der Idee von Friedman zur negativen Einkommensteuer angesehen Leu, R.E. und C. Eisenring (1998), Effizienz und Wirk- werden können. Transferberechtigt ist nur, wer auch samkeit von Sozialtransfers: Ein Beitrag zur aktuel- einer Erwerbstätigkeit nachgeht. Steuerkredite werden len Diskussion, Aussenwirtschaft 53, 435-465. vor allem in den USA als sogenannte „Earned Income Lewin, R. und P. Schwendener (2004), Arbeit soll sich Tax Credit“ eingesetzt. Beim EITC handelt es sich um lohnen: Das Anreizmodell der Basler Sozialhilfe, in: einen Sozialtransfer, der im untersten Bereich bis zu Schaltegger, C.A. und S.C. Schaltegger (Hrsg.): Per- einem Maximum ansteigt (Phase-in Bereich), und dann spektiven der Wirtschaftspolitik, vdf, Zürich. wieder ausläuft (Phase-out Bereich). Da die Schweiz im Unterschied zu anderen Ländern nicht an Massenarbeits- Moffitt, R.A. (2003), The Negative Income Tax and the losigkeit leidet, stellen Steuerkredite hierzulande vor Evolution of U.S. Welfare Policy, Journal of Eco- allem ein mögliches Instrument zur Bekämpfung von nomic Perspectives 17, 119-140. Armut der Working Poor und weniger eine Massnahme Müller, T. (2004), Verschiedene Reformvorschläge für zur Reduktion der Arbeitslosigkeit dar. die Soziale Sicherheit in der Schweiz und ihre wirt- In einer aktuellen Untersuchung verschiedener sozialpo- schaftlichen Auswirkungen, Volkswirtschaft 7, 16- litischer Instrumente in Verbindung mit dem Steuersys- 20. tem in einer allgemeinen Gleichgewichtsanalyse schnei- Ochel, W. (2004), Welfare-to-Work Experiences with det das Partizipationseinkommen für die Schweiz am Specific Work-First Programs in Selected Countries, besten ab. Das Partizipationseinkommen ist ein Grund- CESifo Working Paper No. 1153. einkommen, das mit einer Gegenleistung des Transfer- empfängers verbunden wird. Die Gegenleistung besteht Pauly, M.V. (1973), Income Redistribution as a Local in der Regel aus der Verpflichtung, am Arbeitsmarkt Public Good, Journal of Public Economics 2, 35-58. teilzunehmen, wobei es sich auch um eine gemeinwohl- Schaltegger, C.A. (2004), Finanzpolitik als Nachah- orientierte Arbeit (Bürgerarbeit) handeln kann. Das von mungswettbewerb: Empirische Ergebnisse zu Bud- Müller (2004) für die Schweiz berechnete Partizipati- getinterdependenzen unter den Schweizer Kantonen, onseinkommen reduziert die Arbeitslosenquote, die Schweizerische Zeitschrift für Politikwissenschaft 10. Armut und die Ungleichheit. Zusätzlich erhöht es das Durchschnittseinkommen und steigert damit auch die
6 Stutz, H. und T. Bauer (2003), Modelle zu einem garan- tierten Mindesteinkommen, Bundesamt für Sozial- versicherungen Forschungsbericht Nr. 15/03. Van Baalen, B. und T. Müller (2003), Social Welfare Effects of Income Tax Reform under Endogenous Participation and Unemployment, mimeo, University of Geneva. Christoph A. Schaltegger Eigerstrasse 65 CH-3003 Bern Tel: ++41 31 322 73 89 Fax: ++41 31 324 92 50 Email: Christoph.Schaltegger@estv.admin.ch Die Arbeitspapiere und Notizen widerspiegeln nicht notwendigerweise die offiziellen Positionen des Amtes, des Departements oder des Bundesrats. Für die in den Arbeiten vertretenen Thesen und allfällige Irrtümer sind ausschliesslich die Autoren verantwortlich.
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