Die Vielfalt der Region Aktiv gegen Pflegenotstand - Klima-Energie-Portal

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Magazin der Hessischen Apfelwein- und Obstwiesenroute

                                                        HERBST / WINTER 2020

   APFELSORTEN

   Die Vielfalt
   der Region
   STREUOBSTWIESEN

   Aktiv gegen
   Pflegenotstand
   APFELWEIN

   Tradition trifft
   Innovation
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EDITORIAL                                   SEITE 3

                                                                                                  Einschränkungen bedeutet, für die Gas-

  Unsere wunder-                                                                                  tronomen mitunter sogar existenzielle.
                                                                                                  Positiv ist jedoch zu beobachten, dass
                                                                                                  die Freude an der wohnortnahen Erho-

schöne Region mit                                                                                 lung in der Natur zunimmt. Viele Men-
                                                                                                  schen wussten in den letzten Monaten

 ihren Streuobst-
                                                                                                  unsere wunderschöne Region mit ihren
                                                                                                  zahlreichen Streuobstwiesen als Aus-
                                                                                                  flugsziel und Energiequelle zu schätzen.

 wiesen ist Aus-                                                                                        Der Anblick unserer Natur stimmt
                                                                                                  jedoch teilweise nachdenklich, denn der
                                                                                                  dritte trockene Sommer hintereinander

   flugsziel und                                                                                  in Hessen macht der Natur und vielen
                                                                                                  Obstbäumen sehr zu schaffen. Wir müs-

   Energiequelle.
                                                                                                  sen uns den Herausforderungen stellen,
                                                                                                  im Großen wie im Kleinen. Die Mitglieder
                                                                                                  unserer Routen tun genau das, seit vielen
                                                                                                  Jahren und in großer Zahl. Neue Mitstrei-
                                                                                                  ter sind immer willkommen. Auf den fol-
                                                  Liebe Leserin,                                  genden Seiten finden Sie einige Beispiele
                                                                                                  dafür, dass und wie sich gemeinsames
                                                  lieber Leser,                                   Engagement lohnt. Ich wünsche Ihnen
                                                                                                  eine interessante und ermutigende Lek-
                                                  mit dem „Apfelboten“, so habe ich es in         türe sowie eine ertragreiche Ernte.
                                                  der ersten Ausgabe geschrieben, wollen
                                                  wir für die hessische Apfelwein- und            Herzliche Grüße!
                                                  Obstwiesenkultur begeistern. Viele po-
                                                  sitive Reaktionen auf das runderneuerte
                                                  Magazin haben uns bestätigt, dass wir
                                                  dabei auf dem richtigen Weg sind. Nun
                                                  halten Sie die zweite Ausgabe in den
                                                  Händen. Die Herausforderungen sind
                                                  seit Ausgabe eins nicht kleiner gewor-          Rouven Kötter
                                                  den. Natürlich ist da die allgegenwärti-        Erster Beigeordneter
                                                  ge Corona-Krise, die für jeden von uns          Regionalverband FrankfurtRheinMain

INHALT

04   Meldungen                                                       Im Zeichen des Apfels
08   Speierlingsprojekt                                              Von Gießen im Norden bis Rödermark im Süden: In fünf Regio-
09   Kauf von Obstbäumen                                             nen Hessens haben Keltereien, gastronomische Betriebe, Direkt-
10   Apfelsorten der Region                                          vermarkter, Obst- und Gartenbauvereine, Naturschutzinitiativen,
14   Apfelweinvermarktung                                            Baumschulen, Obsthöfe, Museen sowie Städte und Gemeinden
18   Interview zur Baum-                                             ihre Aktivitäten und Attraktionen zu „Regionalschleifen“ ver-
     pflege mit Josef Weimer                                         bunden. Gemeinsam bilden sie die hessische Apfelwein- und
22   Kolumne „Sauers Sicht“                       Obstwiesenroute. Unter diesem Label setzen sich rund 700 Partner aktiv für Nah-
23   Rezept: Apfelcrumble                         erholung, Naturschutz und die Förderung der regionalen Wirtschaft ein. Ziel ist
24   Terminübersicht                              es, ein typisches Stück Hessen zu schützen und erlebbar zu machen: die Natur und
28   Neues aus den Schleifen                      Kultur des Apfels.
30   Das besondere Bild
     Impressum                                    Gießen, Main-Kinzig, Stadt und Kreis Offenbach, Wetterau sowie Main/Taunus

Fotos: Shutterstock (Titelbild); Regionalverband FrankfurtRheinMain
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SEITE 4                     MELDUNGEN

KALENDER                                                                PODCAST

Kunst trifft Apfel                                                      Macher der Region
                                                                        Jörg Stier ist Inhaber der Kelterei Stier
                                                                        und Vorsitzender des Vereins Apfel-
Ein neues Jahr, ein neuer Kalender. Für 2021 zu empfehlen:              wein-Centrum Hessen. Gerhard Weinrich
ein Kalender, der Kunst und Pomologie zusammenbringt.                   ist Vorsitzender des MainÄppelHaus
                                                                        Lohrberg in Frankfurt und Kämpfer für
Ein schwarzer Hintergrund lenkt den Blick auf das Objekt im Vor-        den Erhalt hiesiger Streuobstwiesen.
dergrund. So wie bei diesem Kalender, in dem der Betrachter am          Beide teilen die Leidenschaft „fürs
liebsten in das Objekt reinbeißen möchte. Doch die Äpfel sehen nicht    Stöffche“. Und mit beiden wurde jetzt
nur ebenso ästhetisch wie lecker aus, auch die wesentlichen Merk-       ein Interview für den neuen Podcast des
male der jeweiligen Sorte sind gut zu erkennen. Abgebildet sind zwölf   Regionalverbands FrankfurtRheinMain
typische Sorten vom „hessischen Streuobstwiesenäquator“, dem            geführt. „Gespräche mit den Machern in
Band also, das sich vom Taunus bis in den Kahlgrund zieht. Fotogra-     der Region“, so der Name des neuen
fiert hat sie Dr. Ralf Vandamme vom Arbeitskreis Streuobst Maintal.     Formats. Und da durften natürlich weder
Am 12. September wird der Kalender im Frankfurter MainÄppel-            Stier noch Weinrich fehlen. Wer zuhören
Haus Lohrberg präsentiert (14 bis 16 Uhr). In den darauf folgenden      will, findet die Podcasts in den üblichen
Wochen werden die Motive im künftigen „Gerippten Museum in              Podcast-Portalen oder über die Seite des
Hanau ausgestellt. Käuflich zu erwerben ist der Kalender im Mai-        Regionalverbands – der übrigens auch
nÄppelHaus, in der Kelterei Stier in Maintal-Bischofsheim, im Main      auf Instagram und Facebook regelmäßig
Genuss Laden in Hanau und im Onlineshop des Pomologenvereins.           News zum Thema Streuobst bringt.

https://shop.pomologen-verein.de                                        www.streuobst-frm.de

Foto: Ralf Vandamme
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MELDUNGEN                               SEITE 5

                                                                             OBERDIECKPREIS

                                                                             Preiswürdige Personen
               Bald Kulturerbe?
                 3 Fragen an
                                                                             Jedes Jahr verleiht der Pomolgen-
                                                                             Verein zusammen mit der Stadt

                       ..                                                    Naumburg, dem Land Hessen und ab
                                                                             diesem Jahr auch dem NABU den mit
                                                                             2.000 Euro dotierten Oberdieck-Preis
  Barbara Völksen von der Agenda-Gruppe für Landschaftsschutz                – benannt nach Johann Oberdieck
             und Landschaftspflege in Friedrichsdorf                         (1794–1880), einem der bedeutends-
                                                                             ten deutschen Pomologen des 19. Jahr-
                                                                             hunderts. Mit dem Preis werden
                                                                             Projekte, wissenschaftliche Arbeiten
                                                                             oder Personen gewürdigt, die zur Er-
                                                                             haltung der Vielfalt alter Obstsorten in
                                                                             Deutschland beitragen oder ver-
                                                                             schollene Sorten wiederentdeckt und
                                                                             die Erhaltung der Sorte veranlasst
                                                                             haben. Bewerbungsschluss ist der 1.
                                                                             Oktober. Ideenreiche, unkonventionel-
                                                                             le Ansätze sind herzlich willkommen,
                                                                             heißt es auf der Internetseite des Pomo-
   Ausgehend von Ihrer Initiative hat eine regionale Trägerge-               logen-Vereins, auf der auch weitere
   meinschaft – von Landschafts- und Obstbauverbänden über das               Infos zum Preis zu finden sind (www.
   Apfelwein-Centrum-Hessen bis zu Streuobstinitiativen – die                pomologen-verein.de).
   Aufnahme der hessischen Apfelweinkultur in das „Bundeswei-                     Ein Pomologe ist übrigens keines-
   te Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes“ beantragt. Glau-            wegs nur ein Experte in Sachen Äpfel.
   ben Sie, dass es klappen wird?                                            Der Name stammt von dem lateini-
   Ich bin sehr zuversichtlich. Unser Antrag hat die erste Hürde in          schen Wort „pomum“, die Baumfrucht,
   einem mehrstufigen Verfahren genommen und ist vom Kultus-                 ab und schließt unter anderen auch
   ministerium als einer von vier Vorschlägen des Landes Hessen              Kirschen, Birnen und Pflaumen ein. Zu
   an die Kultusministerkonferenz weitergereicht worden. Nun                 letzteren hat der Pomologen-Verein
   erstellt ein Expertenkomitee bei der Deutschen UNESCO-Kom-                in diesem Jahr ein wunderbares Plakat
   mission Empfehlungen, über die dann die Kultusministerkonfe-              herausgebracht, das gut drei Dutzend
   renz entscheiden wird.                                                    unterschiedliche Pflaumensorten zeigt.
                                                                             Vielfalt, die es zu erhalten gilt!
   Was macht die hessische Apfelweinkultur zu einem immateriel-
   len Kulturgut?
   Der Apfelwein steht im Zentrum einer Kultur, die auf vielfältige
   Weise gelebt wird und in der Wissen und Können weitergege-
   ben werden: bei der Pflege der Streuobstwiesen und in den Kel-
   tereien, aber auch auf Festen und in Apfelweinwirtschaften, mit
   Trinkzeremonien und Ritualen. All das ist in dieser Art einzigar-
   tig und verbindet Menschen und Generationen miteinander.

   Was würde die Aufnahme in das Bundesweite Verzeichnis be-
   deuten?
   Es wäre eine Anerkennung der Bedeutung dieser Kultur, aber
   auch des großen Engagements vieler Menschen, die sich für ih-
   ren Erhalt und ihre Weiterentwicklung einsetzen. Und es wäre
   ein Zeichen an die Politik, dass noch mehr für die stark gefähr-
   deten Streuobstwiesen getan werden muss. Denn diese sind die
   natürliche Grundlage unserer Apfelweinkultur.

Foto: Privat
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                                                CIDER WORLD

                                                Äppelwoi online
                                                Die Cider World 2020 fand in diesem Jahr „nur“ im Netz statt.
                                                Doch auch offline kann man noch mittrinken.

                                                Zum dritten Mal wurde in diesem Jahr der Cider World Award aus-
                                                getragen. Aufgrund der Corona-Pandemie jedoch nicht im Rahmen
                                                der Frankfurter Apfelweinmesse, sondern online. Verliehen wurden
                                                fünf Awards durch den Frankfurter Wirtschaftsdezernenten Markus
LANDSCHAFTSOBSTBAUER                            Frank und die Frankfurter Apfelweinkönigin Larissa I. Unter den

Mit Zertifikat
                                                vielen internationalen Teilnehmern mit rund 160 eingereichten Pro-
                                                dukten räumte eine Kelterei aus der Wetterau besonders ab: In
                                                der Kategorie „Cider still“ landeten gleich fünf Produkte von Weid-
Der Regionalverband FrankfurtRhein-             mann & Groh aus Friedberg unter den besten acht. Der Boskoop-
Main unterstützt seine Mitgliedskom-            Apfelwein Jahrgang 2018 erreichte die höchste Punktzahl und gewann
munen bei der Pflege und dem Erhalt             damit die CiderWorld Medal.
von Streuobstwiesen. Deshalb wird ab                 Da der rein virtuelle Besuch einer Genussmesse jedoch relativ
Dezember erneut die Spezialfortbildung          freudlos ist, haben sich Cider-World-Chef Michael Stöckl und sein
„Zertifizierter Landschaftsobstbauer“           Team etwas Schönes für die Besucher einfallen lassen: sogenannte
für kommunale Mitarbeiterinnen und              Online-Tastings. Wer teilnehmen will, kann sich unter www.cider-
Mitarbeiter angeboten. Anmeldungen              world.com für 24,90 Euro ein Probierpaket bestellen. Dafür gibt es
für die neue Staffel sind ab sofort             sechs Flaschen besonderer Stöffchen sechs verschiedener Keltereien
möglich. In dem gemeinschaftlichen              aus aller Welt. Und da man frei nach dem bekannten Goethe-Zitat
Projekt des Regionalverbandes mit dem           nur schmeckt, was man weiß, gibt es zu dem Paket noch ein Video,
MainÄppelHaus Frankfurt und dem                 welches kostenlos im Internet gestreamt wird. Dort kann man allerlei
Landschaftsobstbauer Josef Weimer               Lehrreiches über Produzenten und Produkte und über Aromen
(siehe auch Seite 18) erhalten die Teil-        und Äpfel lernen. Die virtuellen Verkostungen dauern eine knappe
nehmenden eine fundierte Ausbildung             Stunde und werden von Stöckl moderiert, einem erfahrenen Apfel-
zum Thema Landschaftsobstbau. Ein               wein-Sommelier, unterstützt von wechselnden Gästen.
Jahr lang werden dabei, dem jahres-                  Und nächstes Jahr? Da soll die Frankfurter Apfelweinmesse
zeitlichen Verlauf folgend, verschiede-         CiderWorld wieder wie gewohnt offline stattfinden – und zwar vom
ne Fertigkeiten vermittelt, von Pflan-          27. bis 28. März im Gesellschaftshaus Palmengarten.
zung, Pflege und Schnitt bis zur Ernte
von Obstgehölzen in der Landschaft.
Die theoretische und praktische Aus-
bildung erfolgt zentral im MainÄppel-
Haus Frankfurt und auf den dort um-
liegenden Streuobstwiesen. Die zehn
ganztägigen Pflichttermine – die über
das Jahr verteilt sind – finden jeweils
unter der Woche dienstags und mitt-
wochs von 9 bis 17 Uhr statt, Verpfle-
gung inbegriffen. Um eine entspre-
chende Betreuung zu gewährleisten,
ist die Teilnehmerzahl auf 18 bis 20 Per-
sonen begrenzt. Die Teilnahmegebühr
in Höhe von rund 1.000 Euro werden
für einen Mitarbeiter pro Kommune
vom Regionalverband übernommen.

Für Rückfragen steht der Streuobstbeauftragte
Bastian Sauer gerne auch telefonisch unter
0 69 25 77–15 78 zur Verfügung.                 Bei den Online-Tastings der Cider-World gibt es den Äppelwoi offline.

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Die Vielfalt der Region Aktiv gegen Pflegenotstand - Klima-Energie-Portal
MELDUNGEN                                 SEITE 7

                                                                                                   lichkeit sowie die Unwissenheit der
                                                                                                   Bevölkerung über die besondere Bedeu-
                                                                                                   tung der Streuobstwiesen und ihrer
                                                                                                   erzeugten Produkte, die als problema-
                                                                                                   tisch zu bewerten sind. Ihre Empfehlung:
                                                                                                   „Neben dem Artenschutz, dem Biotop-
                                                                                                   verbund sowie allgemein der Pflege
                                                                                                   der Streuobstwiesen sehe ich vor allem
                                                                                                   in der Förderung von mehr Fachwissen
                                                                                                   eine wichtige Aufgabe“, so Jakob.
                                                                                                         Hier würde Lina Rötzel sicherlich
                                                                                                   nicht widersprechen, die gerade ihre
                                                                                                   Bachelorarbeit an der Hochschule für
                                                                                                   Polizei und Verwaltung in Mühlheim
                                                                                                   am Main abgeschlossen hat. Für diese
                                                                                                   beschäftigte sie sich mit all jenen Ini-
                                                                                                   tiativen, die sich im Kreis Offenbach für
                                                                                                   das Thema Streuobst engagieren. Da-
Melanie Jakob aus Karben (l.) und Lina Rötzel (r.) aus dem Kreis Offenbach waren in der letzten    neben schaute sie sich im Rahmen ihrer
Zeit viel auf Streuobstwiesen unterwegs.                                                           Studie die Schlaraffenburger Streuobs-
                                                                                                   tagentur genauer an, die am Bayeri-
                                                                                                   schen Untermain für ihre erfolgreiche
                                      BACHELORARBEITEN                                             Arbeit bekannt ist, um dann im nächs-

    Wissen für die Wiese
                                                                                                   ten Schritt beide zu vergleichen. „Die
                                                                                                   Ergebnisse waren wirklich beeindru-
                                                                                                   ckend und erfreulich, gerade weil bei
                                                                                                   uns im Kreis viele motivierte Ehrenamt-
                                                                                                   ler bereits starke Ideen, die auch bei
          Zwei Studentinnen haben sich in ihren Abschlussarbeiten mit dem                          den Schlaraffenburgern gut funktionie-
          Thema Streuobstwiese beschäftigt. Mit interessanten Ergebnissen.                         ren, umsetzen“, berichtet Rötzel.
                                                                                                         Apropos „umsetzen“: Melanie
Gefährdung, Schutz und Entwicklung                sondern wertete auch insgesamt 54                Jakob ist inzwischen bei der Stadt Karben
von Streuobstwiesen im Wetteraukreis              eigens erstellte Fragebögen aus. Am              als Sachbearbeiterin für Umwelt- und
– mit diesen Themen beschäftigte sich             Ende konnte sie stichhaltige Ursachen            Naturschutz beschäftigt, und auch Lina
Melanie Jakob, Absolventin der Hoch-              für die Gefährdung der Wiesen zusam-             Rötzel arbeitet für den Fachdienst
schule Geisenheim, im Rahmen ihrer                menstellen. Demnach sind es vor allem            Umwelt des Kreises Offenbach. Beste
Bachelorarbeit. Dafür arbeitete sie sich          klimatische Herausforderungen, man-              Voraussetzungen also, um ihre Erkennt-
nicht nur gründlich in die Thematik ein,          gelnde Pflege, die geringe Wirtschaft-           nisse in die Praxis zu überführen.

                                                                                Ihre Baumschule in Hessen
                                                                                mit über 60 Apfelsorten, Elsbeere,
                                                                                Speierling, Mispel u.v.m.!

                                                                                Köhler Pflanzen GmbH
                                                                                Hammersbacher Str. 56
                                                                                63486 Bruchköbel
                                                                                0 61 81 7 16 03
                                                                                www.baumschule-koehler.de
                                                                                info@baumschule-koehler.de

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SEITE 8                      THEMEN

STREUOBSTWIESEN                                    Desserts oder Marmeladen verarbeitet       beitragen, dass die Baumriesen Tieren,
                                                   werden. Hinzu kommt: Speierlinge, die      Menschen und der Landschaft möglichst

Droben in                                          200 Jahre alt und über 20 Meter hoch
                                                   werden können, bieten einer Vielzahl
                                                   von Tieren ein Zuhause. In den stattli-
                                                                                              lange erhalten bleiben.

den Riesen                                         chen Kronen tummeln sich Insekten,
                                                   Spinnen, Bilche und Vögel.
                                                        Seit Jahren gibt es Bemühungen für
                                                                                              Umweltlotterie GENAU:
                                                                                              So funktioniert es
Ein Projekt im Main-Kinzig-Kreis ver-              den dauerhaften Erhalt dieser wertvol-     Seit vier Jahren gibt es bei LOTTO Hessen
schafft alten Speierlingen „mehr Luft“             len Bäume. Zusammen mit dem Arbeits-       auch die Umweltlotterie GENAU –
                                                   kreis Streuobst in Maintal und dem Büro    Gemeinsam für Natur und Umwelt. Bei
In Maintal-Hochstadt gibt es hessenweit            AnLand hat der Landschaftspflegever-       dieser profitieren neben einzelnen
die größte Dichte an Speierlingsbäu-               band (LPV) Main-Kinzig bereits vor eini-   Gewinnern auch Landkreise – und die
men. Der zur Familie der Ebereschen ge-            gen Jahren Erhebungen zu Zahl und Zu-      Natur. Denn GENAU unterstützt mit
hörende Sorbus domestica ist hier land-            stand der Charakterbäume durchgeführt.     den Erlösen Naturschutz- und Um-
schaftsprägend durch seinen hohen                  Hierbei zeigte sich, dass einige Altbäu-   weltprojekte in Hessen. Weit über
Wuchs, seine leuchtenden Früchte und               me in keinem guten Gesundheitszu-          200 Projekte, darunter viele zu Streu-
das sich golden verfärbende Laub im                stand sind. Seither wurde ein regionales   obstwiesen, hat GENAU bereits
Herbst. Er kam schon mit den Römern in             Netzwerk zur Betreuung aufgebaut. In       gefördert. Wie GENAU funktioniert –
hessische Breiten und hat sich über Jahr-          diesem Sommer nun hat der LPV – mit        auf www.genau-lotto.de wird es
tausende seinen Wildobstcharakter be-              5.000 Euro Unterstützung durch die         erklärt. Dort kann man auch mehr
wahren können. Traditionell wird der               Umweltlotterie GENAU – das Projekt         über bereits geförderte Umweltpro-
Saft seiner unreifen Früchte dem Apfel-            „Feintuning fürs Stöffche“ umgesetzt:      jekte erfahren. Und Initiativen,
wein zugesetzt: Die Gerbsäure macht                Baumpfleger aus Gelnhausen sind hoch       Verbände oder Privatpersonen kön-
das Stöffche haltbar, klärt es und sorgt           hinaufgestiegen und haben in den im-       nen sich dort mit ihrem Umwelt- oder
für die typische „Speierlings“-Note. Die           posanten Kronen Totholz ausgelichtet.      Naturschutzprojekt bewerben.
reifen Früchte können zu Früchtebrot,              Die hochspezialisierte Aktion soll dazu

Foto: Landschaftspflegeverband Main-Kinzig-Kreis
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THEMEN                                 SEITE 9

NEUPFLANZUNG

Neue Bäume braucht
das Land
Ab Oktober können wieder wurzelnackte Jungobstbäume gekauft und
gepflanzt werden – am besten aus regionaler Produktion.

Im Herbst ist Erntezeit. Das gilt für die    se. Die greisen Bestände der hessischen
Früchte von Obstbäumen, aber auch            Streuobst-Biotope brauchen dringend
für die Bäume selbst. Ob Apfel, Kirsche      Nachwuchs. So kommt es, dass der Land-
oder Zwetschge, nach meist drei Jah-         schaftspflegverband Main-Kinzig die
ren werden die Jungbäume aus dem             Vermittlung unterstützt und schon seit
Boden geholt. Die „wurzelnackte“             elf Jahren Sammelbestellungen organi-
Ware, oben laublos, unten von Erde           siert. „Die Nachfrage wächst stetig“,
befreit, ist im Vergleich zu Container-      freut sich Organisatorin Barbara Fiselius.
oder Ballenware deutlich preiswerter,        Bis Mitte Oktober können Besitzer von
besser zu transportieren und leichter        Streuobstwiesen und Interessierte aus
zu pflanzen. Und im Herbst (am besten        dem Kreisgebiet wieder Hochstämme
bald nach dem Kauf) oder Winter am           bestellen (Infos Tel: 06059 906688). Im
gewünschten Standort gepflanzt, sind         November werden die Baumpflanzen
sie im Frühjahr schon robust ange-           dann an verschiedenen Ausgabestellen
wachsen.                                     im Kreis an die Besteller abgegeben.
      „Die Produktion hessen-typischer       Auch beim MainÄppelHaus Lohrberg
Hochstämme geschieht manufakturhaft          kann man Sortenlisten durchforsten
in vielen Einzelschritten. Das ist die Sa-   und (bis zum 21. Oktober) Bestellungen                                  Anbindung
che von Spezialisten und sehr aufwän-        abgeben. Besitzer oder Pächter von
dig“, meint Wolfgang Zeibig von der          Obstwiesen in den Gemarkungen von
Baumschule Rinn. Die Folge: Die Zahl         Bad Nauheim wiederum können über                                        Pflanzpfahl
spezialisierter Baumschulen mit eigener      den NABU Bad Nauheim hochstämmige
Produktion ist auf einige wenige ge-         Obstbäume beziehen.
schrumpft. Bei diesen findet man jedoch            Spezialisierte Baumschule, Ver-
nicht nur ein großes Sortiment, sondern      band oder Initiative – fachkundige Be-
stets auch alte, regionaltypische und im     ratung gehört überall dazu. Das ist
hiesigen Streuobstanbau verwendete           auch wichtig, schließlich ist schon die
Sorten. In Heuchelheim bei Gießen bie-       Auswahl des passenden Edelgehölzes            Wühlmausschutz
tet neben der Baumschule Rinn mit al-        am richtigen Standort eine Kunst für          (Drahtkorb)
lein mehr als 100 Apfelsorten auch die       sich. Doch ob nun die Mosttauglichkeit
Baumschule Engelhardt junge Obstge-          wichtig ist, ein Baum mit begrenztem
hölze und -bäume an. Weiter im Norden        Pflegeaufwand gewünscht wird oder
gibt es bei der Bioland-Baumschule           die Robustheit angesichts zunehmen-           Gießrand             Veredlungsstelle
Pflanzlust Sortenvielfalt aus eigener An-    der Trockenheit im Fokus steht – in dem
zucht, südlich in Bruchköbel bei Hanau       riesigen Sortiment heimisch gewachse-
ist die Baumschule Köhler der größte         ner Wurzelnackter ist auf jeden Fall das
Anbieter. Chef Hans-Günter Köhler be-        Richtige dabei.
tont den Vorteil heimischer Ware: „Die-
se Bäume müssen sich hier nicht erst         Mehr Infos unter www.rinnbaumschule.de,
akklimatisieren, was bei Importware          www.baumschule-engelhardt.de,                                      Pflanzloch
immer kritisch sein kann“.                   www.baumschule-koehler.de,
      Die Pflanzung von Hochstämmen          www.pflanzlust.de, www.lpv-mkk.de,                   Untergrund
ist ein vorwiegend privates Vergnügen.       www.mainaeppelhauslohrberg.de,                       (gelockert)
Sie ist aber auch in öffentlichem Interes-   www.nabu-bad-nauheim.de

Foto: Shutterstock
Die Vielfalt der Region Aktiv gegen Pflegenotstand - Klima-Energie-Portal
SEITE 10                  THEMEN

                                                           APFELSORTEN

                             Alle anders
                 Äpfel sind nicht gleich Äpfel. Und sie unterscheiden sich
                 keineswegs nur in Form und Farbe. Jede Frucht hat ihre
                eigenen Qualitäten und eignet sich deshalb für bestimmte
               Verwendungen. Genau darauf will der Frankfurter Fotograf
                Georg Dörr mit seinen Portraits typischer Streuobst-Äpfel
                   hinweisen. Die Bilder entstanden in Zusammenarbeit
                  mit Maja Becker vom MainÄppelHaus am Lohrberg, die
                          auch die Texte zu den Äpfeln verfasste.

Goldparmäne – schmackhafte Königin          Gelber Edelapfel – achte Sache                Brettacher – der Saftige
Die Franzosen nennen diesen Apfel Rei-      Zum „guten Kuchen“ backen braucht             Diese aus Baden-Württemberg stam-
ne des Reinettes, also: Königin der Re-     man bekanntlich sieben Sachen. Für einen      mende Sorte ist besonders robust. Die
netten. Seit dem 16. Jahrhundert wird       Apfelkuchen darf jedoch – als achte Zutat     Äpfel sind breit kugelig und haben eine
diese Sorte wegen ihres einzigartigen       – auch der „Golden Noble“, so der Name        hellgrüne Grundfarbe mit leuchtend ro-
milden, nussigen Aromas angebaut. Im        in England, nicht fehlen. Dort 1820 ge-       ten Backen. Die saftigen Früchte sind bis
September geerntet, ist sie als Tafelobst   züchtet, gilt er als hervorragender Back-     in den Mai hinein haltbar und bringen
bis Weihnachten zu genießen. Als Most-      apfel. Er ist aromatisch, mit erfrischender   eine sehr hohe Saftausbeute. Im Okto-
obst gibt sie Saft und Apfelwein eine       Säure und hohem Vitamin C-Gehalt. Beim        ber werden die Äpfel frisch vom Baum
charakteristische feine Würze. Die eben-    Backen „schmilzt“ das Fruchtfleisch und       für den Äppelwoi gekeltert. Die einge-
mäßig runden Früchte sind goldgelb mit      entfaltet sein Aroma. Nicht zuletzt weil      lagerten Äpfel reifen unter einer dicken
orangeroter geflammter Deckfarbe. Sie       die Bäume selbst für raue Lagen mit Spät-     Wachsschicht nach, so dass sie von Weih-
sind für Allergiker geeignet und haben      frösten geeignet sind, kann man sie auf       nachten bis zum Ende des nächsten
einen hohen Polyphenolgehalt.               vielen Streuobstwiesen finden.                Frühjahres verzehrt werden können.
THEMEN                                     SEITE 11

Rote Sternrenette – Schmuckstück           Freiherr von Berlepsch – der Edle           Landsberger Renette – Laterne, Laterne
Wohlklingend beschrieben wird dieser       Diese Sorte wurde 1880 aus einer Kreu-      1850 in Landsberg an der Warthe ge-
Apfel unbekannter Herkunft seit 1850       zung von Ananasrenette und Ribston          züchtet, ist sie in den wärmeren Lagen
als Calville Etoillée. Als dunkelrote      Pepping gezüchtet. Als Tafelapfel ist er    des Rhein-Main-Gebiets schlicht „der
Schönheit zierte er Weihnachtsbäume.       eine Delikatesse, die auch für Allergiker   Tafelapfel“. Ende September werden
Aber auch die robusten und frostharten     geeignet ist. Das feste, gelblich-weiße     die Früchte geerntet und bis Weihnach-
Bäume mit ihren hohen, schlanken Kro-      Fruchtfleisch ist saftig mit fein würzi-    ten als Tafelobst verwendet. Das hell-
nen sind ein Schmuck für jede Streuobst-   gem Aroma. Der Vitamin-C-Gehalt ist         gelbe Fruchtfleisch ist saftig und hat ein
wiese. Die Äpfel mit ihrem sehr aromati-   überdurchschnittlich hoch. Die Ernte        feines, weinsäuerliches Aroma. Die
schen und saftigen weißen Fruchtfleisch    der Äpfel beginnt Ende September, bis       Früchte sind windfest und können noch
eignen sich zum Dörren und als Saftap-     April können sie gut gelagert werden.       lange nach dem Blattfall im Herbst an
fel, nicht jedoch zum längeren Lagern.     Die Bäume sind frostempfindlich und         den kahlen Ästen hängenbleiben. Dort
Ende September können sie geerntet         deshalb in milden Lagen für den Anbau       leuchten sie dann wie gelbe Laternen
verzehrt werden.                           gut geeignet.                               über die winterlichen Streuobstwiesen.

Gewürzluike – schwäbischer Mostapfel       Zabergäurenette – edler Kern                Winterrambur – Äppelwoiäppel
Um 1800 gezüchtet, ist sie im Rhein-       Wer die Überraschung liebt, kommt bei       Im Rhein-Main-Gebiet darf der Rheini-
Main-Gebiet größer und saftiger als in     dieser voll auf seine Kosten. Die raue      sche Winterrambur als zuverlässiger Saft-
ihrer Heimat, den schroffen Hängen der     Schale verdeckt bestes mild-würziges        apfel für den Äppelwoi nicht fehlen.
Schwäbischen Alb. Als Tafelobst sowie      Renetten-Aroma. Die Sorte, 1885 in Ba-      Schon seit dem 17. Jahrhundert wird er
zur Mostherstellung überzeugt die Ge-      den-Württemberg gezüchtet, kann als         als Tafel- und Mostapfel angebaut. Die
würzluike mit ihrem säuerlich-würzigen     Tafel- oder Wirtschaftsapfel verwendet      großen Früchte mit dem hellen Frucht-
Aroma. Die Blüte kommt erst nach den       werden. Die Früchte sind ebenmäßig,         fleisch haben ein angenehmes Verhält-
Spätfrösten im Frühjahr und besticht       zum Kelch leicht verjüngt. Auffällig ist    nis von Süße und Säure und bringen
mit einem feinen Rosaton. Pflückreif       die zimtfarbene Berostung mit großen        eine hohe Saftausbeute. Geerntet und
sind die Früchte etwa Mitte bis Ende Ok-   hellen Schalenpunkten. Nur der hell-        gekeltert wird er im Oktober. Die stark-
tober und von November bis März ge-        grün leuchtende Kelch ist davon ausge-      wüchsigen Bäume bringen jedes Jahr
nussreif. Die Sorte sollte nur in wärme-   spart. Als Standort sind wärmere Lagen      eine hohe Ernte und sind ideal für den
ren Lagen gepflanzt werden.                mit guten Böden zu empfehlen.               extensiven Streuobstanbau.
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Jakob Lebel – leuchtendes Juwel             Roter Hauptmann – spritzig im Glas           Schafsnase – Mutter des Apfelweins
Die breitrunden gelben Äpfel mit den        Ein Paradebeispiel für einen Mostapfel:      Dieser Apfel ist im Rhein-Main-Gebiet
roten Flammen leuchten im September         saftig und frisch, angenehm süßsäuer-        auf jeder Streuobstwiese zu finden und
an den Bäumen. Ab Ende September            lich, bringt er dem Saft und Apfelwein       liefert zuverlässig den Saft für den Äp-
werden die großen Früchte geerntet          einen angenehm frischen Geschmack.           pelwoi. Je später geerntet wird, desto
und können als feinsäuerlich-spritziges     Die Herkunft ist nicht überliefert, es ist   mehr Aroma entwickeln die Früchte, die
Tafelobst oder für die Herstellung von      eine altbekannte traditionelle Apfelsor-     traditionell im Oktober gekeltert wer-
Saft und Äppelwoi verwendet werden.         te, die wegen ihrer Frosthärte auch in       den. Die Rheinische Schafsnase ist leicht
Am besten entfaltet er sein Aroma je-       höheren Lagen angebaut wird. Die rei-        zu erkennen, sie wirkt fast violett, mit
doch als Backapfel. Dieses 1825 in Frank-   fen Früchte sind rote Schönheiten, die       hellgrüner Grundfarbe und dunkelrot
reich gezüchtete Multitalent ist gut für    sich auch gut als Tafelobst eignen. Ge-      geflammter Deckfarbe unter heller Be-
Allergiker geeignet und hat einen sehr      pflückt wird der Apfel ab Ende Septem-       reifung. Dabei verjüngen sich die Früch-
hohen Anteil an gesundheitsfördern-         ber. Bis Ende Dezember kann er gela-         te zum Kelch, der die typische „Schafs-
den Polyphenolen.                           gert und verzehrt werden.                    nase“ bildet.

Weißer Winterkalvill – der Tafelapfel       Schöner von Nordhausen – Winterapfel         Boskop – ein Multitalent
Der Apfel schmückte im 16. Jahrhundert      Seite Ende des 19. Jahrhunderts wird         1850 in den Niederlanden gezüchtet, hat
mit seiner charakteristischen kantigen      dieser Tafelapfel mit fein säuerlichem       der „Schöne aus Boskoop“ es als einzige
Form die Tafel der französischen Köni-      Geschmack in den Baumschulen ver-            Wirtschaftssorte in unsere Supermärkte
ge. Erst später bezog sich die Verwen-      mehrt. Die saftigen Früchte eignen sich      geschafft. Er kann gekocht, gebacken, zu
dung als Tafelapfel auf den Frischver-      auch hervorragend zum Keltern. Seine         Saft, Wein und Schnaps verarbeitet oder
zehr und nicht allein auf die Eignung       Bäume und Blüten sind unempfindlich          direkt frisch gegessen werden. Die Bäu-
zur Dekoration der Tafel. Im Oktober        gegen Frost und sehr robust. Die helle       me haben breit ausladenden Kronen
sind die hellgrünen Äpfel erntereif. Die    Grundfarbe mit rosafarbenen Backen           und strotzen vor Gesundheit. So sind
Genussreife beginnt im Dezember,            scheinen die Namensgebung dieses             auch die Früchte: Hinter dem sauren Ge-
wenn der Apfel sich auf dem Lager gelb      Winterapfels beeinflusst zu haben. Die       schmack verbergen sich viele gesund-
färbt und an Aroma gewinnt. Der Ge-         Ernte ist Mitte Oktober, genussreif sind     heitsfördernde Polyphenole, eine große
schmack wird als mildaromatisch mit         die Äpfel bei feuchtkühler Lagerung im       Allergikerverträglichkeit und – Vorsicht! –
Erdbeernote beschrieben.                    nächsten Jahr bis ins Frühjahr hinein.       ein hoher Zuckergehalt.

Fotos: Georg Dörr, www.lumenphoto.de
Feintuning fürs Stöffche —
Sanierung von Speierlingen
Gefördert von GENAU.

                                                                                                   g e w i n n
                                                                   Hö                       ch s t
                                                                         0 .0 0 0                                                                                        €!
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                                                        VERMARKTUNG

                                Die jungen
                                  Wilden
             Cooles Design, modernes Marketing, geschickter Vertrieb –
               und fertig ist die Erfolgsgeschichte? Ganz so einfach ist
           es natürlich nicht. Auch auf die Qualität des Stöffchens kommt
              es an! Und für die sorgen auch bei den „jungen, wilden“
                   Quereinsteigern im Markt Traditionskeltereien
                                 wie Heil oder Trageser.

           Apfelwein ist in Hessen Kult. Man denke nur an        sicherlich Benedikt Kuhn, der mit seiner Marke
           Heinz Schenk und den Blauen Bock, an Bembel           Bembel with Care den Markt ab 2007 ein Stück
           und Geripptes, an rustikale Gemütlichkeit und         weit umkrempelte. Kuhn hatte vorher mit Apfel-
           zünftiges Brauchtum. Und genau das war das            wein nicht viel am Hut, bekam aber während sei-
           Problem. Denn nicht alle fühlten sich dadurch         nes Studiums die Aufgabe, ein „totes“ Produkt
           angesprochen. Gerade junge Leute griffen in der       mithilfe eines geeigneten grafischen Vermark-
           Vergangenheit eher zu trendigen Biermixge-            tungskonzeptes wiederzubeleben. Seine Lösung
           tränken, Alkopops oder Energydrinks, die einen        war so einfach wie genial: Man befreie den Apfel-
           höheren Lifestyle-Faktor versprachen, als zum         wein aus seinen ästhetisch wenig ansprechenden
           guten alten Stöffche der Eltern und Großeltern.       braunen 1-Liter-Flaschen und gebe ihn in cool ge-
           Diese ungute Entwicklung blieb freilich auch der      staltete Aludosen. Dazu muss man nur noch – da-
           etablierten Apfelweinwirtschaft nicht verbor-         runter macht man es nicht – die Apfelweinrevolu-
           gen, die deshalb schon seit Jahren auf „die neue      tion ausrufen und fertig ist das neue Trendprodukt.
           Vielfalt“ setzt (siehe auch den gleichnamigen Ar-           Die Idee war so gut, dass Kuhn, nachdem er
           tikel in der letzten Ausgabe des Apfelboten) und      die Traditionskelterei Krämer aus Reichelsheim
           innovative Produkte entwickelt: Ob Cider oder         im Odenwald überzeugen konnte, ins Geschäft
           Secco, mit Johannisbeere oder mit Cola, beim          einzusteigen, tatsächlich mit seinem „Dosen-
           Apfelwein geht es schon lange nicht mehr nur          obst“ nicht nur den regionalen Markt eroberte,
           um die Frage „pur oder gespritzt“. Und auch in        sondern auch deutschlandweit und sogar inter-
           der Vermarktung gingen die etablierten Herstel-       national große Erfolge feierte. Diese Success-
           ler neue Wege – wenngleich manch einem alt-           Story ging allerdings nur so lange, bis Kuhn im
           eingesessenen Kelterer der Imagewechsel oder          Mai dieses Jahres sich mit rechtsextremistischen
           dessen Ausweitung nicht immer ganz leichtfällt.       Parolen in sozialen Netzwerken zu Wort melde-
                 Ungleich leichter haben es da Quereinstei-      te. In der Folge kam es zum Bruch mit der Kel-
           ger, die sich nicht lange mit Tradition und Nostal-   terei Krämer, die seitdem die Marke ohne ihren
           gie aufhalten müssen. Ein Vorreiter war hier          Gründer weiterführt.
STORY                                              SEITE 15

Im Uhrzeigersinn: Lars Contzen und Rocky Musleh („Mein Main“), Friedrich und Maximilian Krings („Der Wilde Hirsch“) sowie Kjetil Dahlhaus
(„Born in the Wetterau“) sind Experten der Apfelwein-Vermarktung.
SEITE 16                STORY

                 Doch schon lange ist Bembel with Care mit               Wie die „Mein Main“-Macher setzt auch
           dem Ansatz, aus Apfelwein ein cooles, trendiges         Kjetil Dahlhaus auf Heimatliebe und Lokalpatri-
           Partygetränk für junge Leute zu schaffen, nicht         otismus. Der Kommunikationsdesigner und Ap-
           mehr alleine. Viele Keltereien gehen diesen Weg         felweinliebhaber ist der Kopf hinter „Born in the
           – und weitere Quereinsteiger: Dabei berufen             Wetterau – my local Stöffche“. Geärgert hatte
           sich zwar die Köpfe hinter „Mein Main“, „Wilder         ihn vor einigen Jahren, dass beim Thema Äppler
           Hirsch“ oder „Born in the Wetterau“ durchaus            alle nur an Frankfurt und Alt-Sachsenhausen
           auf den Pionier der ersten Stunde, um sich aller-       denken, obwohl doch seine Heimatregion für
           dings schon im nächsten Atemzug von ihm zu              den besten Apfelwein weit und breit bekannt sei
           distanzieren. „Wir setzen dem Hass die Liebe            – oder es zumindest sein sollte. Was folgte, war
           entgegen“, sagt zum Beispiel Lars Contzen. Der          ein konsequenter Markenaufbau, auch hier wie-
           gebürtige Frankfurter hat zusammen mit Rocky            der mit einem Keltereipartner, in diesem Fall die
           Musleh – gebürtiger Afghane – Anfang des Jah-           Kelterei Müller aus Butzbach. Ähnlich wie Bem-
           res die Marke „Mein Main“ gegründet. Verkauft           bel with Care setzt Dahlhaus dabei inzwischen
           wird der Apfelwein in einer ebenso edlen wie            hauptsächlich auf eine Abfüllung der Sorten Pur,
           stylishen Glasflasche, deren Etikett das marken-        Sauer, Süß und Cola in – von ihm selbst – modern
           bildende Herz zeigt. Dabei betont Contzen, dass         gestaltete Getränkedosen. Mit seinem lokalen
           das Logo ursprünglich ein Produkt einer frei-           Branding zeigt er sich dabei aber deutlich be-
           künstlerischen Arbeit und keineswegs für eine           scheidener: „Wir haben nicht so ein Sendungs-
           kommerzielle Verwendung vorgesehen war.                 bewusstsein, unser Anspruch ist nicht die
           Aber es passte einfach so wunderbar, so Contzen         Weltherrschaft“, sagt er, um dann aber lachend
           – und er muss es wissen,                                                        hinzuzufügen. „Aber wer
           denn er ist nicht nur                                                           weiß? Jack Daniel’s hat
           Künstler, sondern auch                                                          auch als kleiner Tennes-
           Inhaber einer Werbe-
           agentur für Markenauf-
                                            Wichtig ist, dass die                          see-Whiskey angefangen
                                                                                           und ist heute die meist-
           bau: „Wichtig ist, dass
           die Marke glaubwürdig,
                                             Marke glaubwürdig,                            verkaufte amerikanische
                                                                                           Whiskeymarke weltweit.“
           authentisch und nicht
           aufgesetzt wirkt.“
                                           authentisch und nicht                               Doch selbst wenn es
                                                                                           bis dahin noch etwas
                 Wie alle der Quer-
           einsteiger keltern auch
                                              aufgesetzt wirkt.                            dauert, immerhin kann
                                                                                           Dahlhaus inzwischen von
           Lars Contzen und Rocky                                                          dem Geschäft mit dem
           Musleh ihren Apfelwein                                                          Wetterau-Äppler leben.
           nicht selbst. Partner ist in diesem Fall die Kelterei   Während er die ersten drei Jahre „Born in the
           Trageser in Freigericht. „Die hatten wahrschein-        Wetterau“ nur nebenberuflich betrieb, konzent-
           lich den größten Nachholbedarf in Sachen zeit-          riert er sich seit Sommer 2017 voll auf den Aus-
           gemäßes Marketing, aber ihr Apfelwein war ein-          bau und die Pflege der Marke. Besonders stolz
           fach der beste“, lacht Contzen. Bei der Zusam-          ist er dabei auf seinen Hessen-Caipi, einen Som-
           menarbeit ging es aber trotzdem nicht nur dar-          merdrink aus Apfelwein und Apfelschnaps, der
           um, den alten Wein in neuen Schläuchen zu ver-          selbstverständlich ebenfalls aus Wetterauer Ap-
           kaufen, vielmehr wurden gemeinsam neue Krea-            felwein gebrannt ist.
           tionen entwickelt, die auch neue Zielgruppen                  Bleibt noch der Wilde Hirsch. Auch hinter
           ansprechen sollen. So würde zum Beispiel der            dieser neuen Marke steht erst einmal keine lan-
           Rosé – ein Apfelwein-Mischgetränk aus Apfel-            ge Tradition des Apfelweinkelterns. „Nur eine
           wein, Apfelsaft und schwarzem Johannisbeer-             lange Tradition des Apfelweintrinkens“, lacht
           saft – insbesondere junge Frauen ansprechen,            Friedrich (Fritz) Krings. Zusammen mit seinem
           die zuvor überhaupt noch keinen Kontakt zum             Bruder Maximilian kommt er eigentlich aus dem
           Stöffche hatten, erzählt Contzen. Und die Mar-          Festival- und Musikbusiness. Und ihr Cidre „Der
           ketingstrategie geht auf: Trotz Corona brummt           Wilde Hirsch“ entstand eher zufällig und durch-
           das gerade erst angelaufene Geschäft, die Kel-          aus „wild“. Denn am Anfang war nicht etwa ein
           terei habe sogar schon vorgeschlagen, die Mar-          tolles Getränk, sondern ein tolles Musikfestival:
           ketingaktivitäten etwas herunterzufahren, weil          das „Sound of the Forest“, das 2009 erstmals im
           sie mit den Bestellungen kaum hinterherkämen.           Odenwald stattfand. Aber weil die Krings-Brü-
           „Aber das kommt natürlich gar nicht in Frage.“          der wussten, dass es in Sachen Community-Buil-
STORY                                    SEITE 17

ding und Markenbindung gut wäre, ein eigenes          Dabei ist das Getränk schon längst nicht
Festivalgetränk zu haben, mixten sie in großen   mehr so wild wie in den Anfangstagen. Verant-
200-Liter-Kanistern selbst ein solches Mix-Ge-   wortlich dafür ist nicht zuletzt der neue Kelterei-
bräu aus Apfelwein und Marajucasaft zusam-       partner, die Kelterei Heil aus dem Hochtaunu-
men – schön grün, dank zugefügter Lebens-          skreis. Zwar gibt es heute immer noch den
mittelfarbe. Trotzdem kam das Getränk              Klassiker mit Maracuja und inzwischen neben
an, anfangs zählte wohl mehr der                    dem Puren auch noch eine Variante mit Holun-
damit verbundene Lifestyle und                      der. Statt Lebensmittelfarbe setzt man heute
das damit verbundene Festival-                      jedoch auf regionale Zutaten und Bioqualität.
Feeling. Doch auch im nächsten                           Der Wilde Hirsch ist ein Stück weit erwach-
und übernächsten Jahr ver-                               sen geworden und auf dem Weg, Deutsch-
langten die Festivalbesucher wie-                        land zu erobern. Genauso wie Bembel
der ihren Wilden Hirschen und                                   with Care wenige Jahre zuvor. Ein
irgendwann wollten sie es eben                                  Vorbild? „Natürlich“, gibt Krings
auch zu Hause oder in ihrer                                     zu, auch sie wollten das Stöffche in
Stammkneipe trinken, erzählt                                    die Welt tragen. Die Botschaft sei
Krings. Und damit war ein zweites                                dabei allerdings eine andere:
Standbein geboren, das gerade                                    „Auch unsere Festivals stehen im-
jetzt in Corona-Zeiten, in denen                                 mer für Diversität, Internationali-
das Musik- und Festivalbusiness                                  tät und Offenheit. Und was bringt
weitgehend zum Erliegen gekom-                                   Menschen besser zusammen als
men ist, Gold wert ist.                                          ein gutes Glas Äppler?“
SEITE 18            INTERVIEW

                                        Er hat Hunderte Hessen im
                                        Landschaftsobstbau fortgebil-
                                        det: ein Interview mit „Wan-
                       STREUOBSTWIESE
                                        derlehrer“ Josef Weimer über
                                        Baumpflege, die Wiederent-

                Bäume der               deckung bäuerlichen Wissens
                                        und die Zukunft der Streuobst-
                                        wiesen.

                Erkenntnis              Wie sieht ein gut gewachsener und gepflegter
                                        hochstämmiger Obstbaum aus?
                                        Ein erwachsener Baum hat eine klare Struktur mit
                                        drei oder vier stabilen Gerüstästen, die gut ver-
                                        teilt und nicht zu steil vom Stamm abgehen. Aus
                                        ihnen sind balkonartig die untergeordneten
                                        Fruchtäste gewachsen. Die Regel ist: In der Auf-
                                        richte treibt es, in der Waagrechten fruchtet es.
                                        Die Krone ist ausgelichtet, denn Belüftung und
                                        Belichtung sorgen für geringen Pilzbefall und gut

Fotos: Felix Russ
INTERVIEW                                       SEITE 19

ausgereifte Früchte. Durch jeden Baum muss eine       Ja, die Baumbestände sind nicht nur überaltert,          Josef Weimer
Krähe fliegen können. Und wir brauchen freie          sondern vergreist und viele Wiesen sind ver-             Der Gärtnermeister hat
Leitergassen in der Krone, damit wir pflegen und      buscht. Zwar wurden in den vergangenen Jahr-             seine Passion für Garten-
ernten können. Eine solche Struktur muss in den       zehnten hier und da wieder Nachpflanzungen               bzw. Landschaftsobstbau
ersten Jahren angelegt werden: Alles, was man         gefördert. Man hat aber unterschätzt, dass Land-         stets mit pädagogischer
hier unterlässt, kann später zum Problem werden.      schaftsbäume Pflege benötigen. Das ist ja das            Arbeit verbunden. So war
                                                      Besondere an den Streuobstwiesen: Es sind Bio-           er lange Gartenbaulehrer
Der Baum muss erzogen werden?                         tope, die durch ihren stockwerkartigen Aufbau            an einer Waldorfschule.
Man gestaltet seine Biografie. In der Jungphase       von Gras-, Kraut- und Baumschicht eine starke            Seit 2013 selbstständig,
geht es darum, die zukünftige Vitalität, Stabilität   Lebendigkeit und große Artenvielfalt hervor-             gibt er Kurse sowie Semi-
und Struktur vorzubereiten. Bis ein Baum sicher       bringen – und die gleichzeitig auf die pflegende         nare (siehe auf der nächsten
auf „eigenen Wurzeln“ steht, muss ich ihn schüt-      Hand des Menschen angewiesen sind.                       Seite „Die Fortbildung“)
zen, zum Beispiel vor Verbiss, pflegen und näh-                                                                und leistet Fachberatung.
ren. Für die Versorgung mit Vitalstoffen ist zum      Mit Ihren Vorträgen, Kursen und Fortbildungen            Josef Weimer lebt in
Beispiel der richtige Umgang mit der Baumschei-       bilden Sie „Pflegekräfte“ aus. Auch auf diesem           Schaafheim im Landkreis
be wichtig. Um die Struktur muss ich mich küm-        Feld gibt es ein Generationsproblem.                     Darmstadt-Dieburg und
mern, weil Bäume ihrem Entwicklungsmotiv nach         Das kann man so sagen. Wie oft habe ich bei              bewirtschaftet in Kirchzell
in die Aufrichte streben: Von sich aus würden die     Obst- und Gartenbauvereinen Vorträge gehal-              im Odenwald Streuobst-
Birne, die Süßkirsche und viele Apfelsorten ein-      ten und war mit der jüngste Anwesende. Aber              wiesen mit rund 200
fach hoch hinauswachsen. Obsternte würde dann         da ist zum Glück einiges in Bewegung gekom-              Bäumen, auf denen 80
auf Leitern in zehn Meter Höhe unter Lebensge-        men. Wenn ich heute eine Fortbildung zum                 Obstsorten, darunter 15
fahr stattfinden. Das ist nicht unser Ziel. Und       Landschaftsobstbauer gebe, kommen da ganz                Wildapfelsorten, wachsen.
ohne ein tragfähiges Kronengerüst kann ein            gemischte Gruppe zusammen, Männer und Frau-              www.josef-weimer.de
Baum auch nicht zentnerweise Obst tragen. Er          en, jung und alt, von Förster, Baumpfleger und
würde brechen. Also forme ich in den ersten fünf      Landwirt über Pädagoge und Hobbygärtner bis
bis zehn Jahren mit Erziehungsschnitten und           zum städtischen Angestellten, der von seiner
-maßnahmen die gewünschte Kronenstruktur.             Kommune geschickt wurde. Ich hatte auch schon
                                                      junge Eltern in meinen Kursen, die ihren Urlaub
Macht ein Baum in der Reifezeit dann weniger          lieber mit den Kindern in der Obstwiese ver-
Arbeit?                                               bringen wollten als in die Ferne zu fliegen.
Die Aufgaben der Pflege ändern sich: Es geht
zum einen darum, das aufgebaute Grundgerüst           Wir erklären Sie sich das wachsende Interesse?
zu erhalten, und zum zweiten, ein Gleichgewicht       Ich glaube, dass viele Menschen eine Art Verlust
zwischen Trieb- und Fruchtbildung herzustellen:       spüren. Unsere Gesellschaft wurde ja relativ ab-
Treibt der Baum zu stark, geht das zulasten der       rupt von einem alten, aber elementaren Wissen
Fruchtbildung. Aber zu viele Früchte sind auch        abgeschnitten. Vor 100 Jahren sind die meisten
nicht gut. Das kann ich regulieren, indem ich in      noch in und mit der Landwirtschaft großgewor-
der Blütephase den Fruchtbehang ausdünne              den und Landwirtschaft war noch Teil jedes aka-
oder die Triebe reduziere. Das ist wie beim er-       demischen Studiums. Auch Lehrer und Ärzte
wachsenen Menschen: Der muss auch schauen,            kannten sich mit Bienenzucht, Obstschnitt oder
dass er es nicht übertreibt und eine gute Balance     Viehwirtschaft aus. Noch unsere Großeltern ver-
zwischen Spannung und Entspannung findet.             fügten über eine intime Kenntnis der Sorten, die
                                                      in dem Obstgürtel wuchsen, der ihr Dorf umgab.
Wenn man das bei sich selbst schon schwierig          Für die Selbtversorgung war dieses Wissen wich-
findet: Woran merkt man, dass ein Baum im             tig. Manche Apfelsorten sind früh reif, andere las-
Gleichgewicht ist?                                    sen sich lange lagern, dritte sind so robust, dass sie
Beim Obstbaum gibt es ein Maß: Wächst ein Trieb       auch späten Frost überstehen. Während die einen
im Jahr zwischen fünf und 30 Zentimetern und          perfekt für Saft sind, eignen sich andere für Kom-
kommen auf eine Frucht rund 30 bis 40 Blätter         pott oder Dörrobst. Beim Horneberger Pfannku-
am Ast, ist ein gutes Gleichgewicht gefunden.         chenapfel verrät schon der Name den Zweck.

Wir haben über gepflegte Obstbäume gespro-            Sie haben von einem „abrupten Bruch“ gespro-
chen. Die Realität auf vielen hessischen Streu-       chen. Wann fand der statt?
obstwiesen sieht anders aus: Hier herrscht akuter     Der Obstbau als Kulturgut und Teil des bäuerli-
Pflegenotstand.                                       chen Betriebes hatte um 1930 seinen Höhe-
SEITE 20                        INTERVIEW

In seinen Kursen zum Landschaftsobstbau geht es Josef Weimer um weit mehr als reine Schnitttechniken.

Die Fortbildung                 punkt. Nach und nach aber wurde der Obstbau             stand, kann man nicht gleich wieder einen Apfel-
Vor rund zehn Jahren hat        intensiviert. Dann kamen die schwachen Unter-           baum pflanzen, man schafft mit einer Kirsche
Josef Weimer die einjährige     lagen auf, also kurzstämmige Bäume. Ab 1960             oder einer Zwetschge einen Wechsel. Generatio-
Spezialfortbildung zum          führte dies zusammen mit neuen Formen des               nen von Obstbauern haben das befolgt. Auf der
„Zertifizierten Landschafts-    Pflanzenschutzes und Sortenzüchtungen zum               Plantage geht das nicht, dort folgt Apfel auf Ap-
obstbauer“ entwickelt und       Aufstieg des erwerbsmäßigen Plantagenanbaus.            fel. Das wird umso mehr zum Problem, weil Plan-
diese zunächst über den         Fortan ging es um Märkte, Wirtschaftlichkeit            tagensträucher im Gegensatz zu Landschaftsobst-
Landschaftspflegeverband        und maximale Erträge. Die Politik förderte dies         bäumen, die sehr alt werden können, schon nach
Main-Kinzig-Kreis ange-         bis in die 1980er-Jahre hinein, indem sie Prämien       rund 30 Jahre ersetzt werden müssen. Deswegen
boten. Viele weitere            für die Rodung von Landschaftsobstbäumen und            gibt es schon jetzt, in der zweiten oder dritten
Veranstalter folgten. Um        für die Anlage von Plantagen zahlte. In Hessen          Generation, eklatante Wuchsprobleme.
die Verbandskommunen            hat sich die Zahl von Landschaftsobstbäumen so
bei der Erhaltung ihrer         binnen 30 Jahren von 12 Millionen auf 1,5 Milli-        Wie hat sich der vorherrschende Erwerbsanbau
Streuobstwiesen zu unter-       onen reduziert. Übrigens ist auch der Begriff           auf die Sortenvielfalt ausgewirkt?
stützen, bietet der Regional-   Streuobst eine Folge dieser Zeit: Er meint die Re-      Aus der Vielfalt Tausender Sorten hat er Einfalt
verband FrankfurtRhein-         likte des einstigen bäuerlichen Obstbaus, die die       gemacht. Die modernen Züchtungen, die zu
Main den Kurs speziell für      zunehmende Besiedelung, Rodung und Flurbe-              Leitsorten erkoren wurden, haben neben markt-
kommunale Mitarbeiter-          reinigung „verstreut“ überstanden haben. Ich            tauglichen Vorzügen alle auch Nachteile. Der
innen und Mitarbeiter an        selbst spreche lieber vom Landschaftsobstbau,           Golden Delicious bringt schnell Erträge und dies
– siehe Seite 6.                weil das die Beziehungen des Baums mit und in           in Masse – ist aber extrem schorfanfällig. Der Cox
                                der Landschaft betont.                                  Orange hat ein wunderbares Aroma – und eine
                                                                                        Disposition für Mehltau. Der Jonathan besticht
                                Mit dem Rückgriff auf den bäuerlichen Land-             durch eine schöne Rotfärbung – und neigt zum
                                schaftsobstbau, auf die Wiese mit ihren Hoch-           Holzkrebs. Durch den uferlosen Anbau der Sor-
                                stämmen, grenzen Sie sich auch von dem moder-           ten haben sich auch ihre Krankheitsdispositio-
                                nen Erwerbsobstbau, den Plantagen mit ihren             nen genetisch verbreitet. Auch das versucht der
                                Sträuchern, ab.                                         Erwerbsanbau mit einem immer stärkeren Ein-
                                Der Plantagenanbau ersetzt bunte Wiesen durch           satz von Pestiziden auszugleichen und bekämpft
                                Monokulturen. Seine schwachen Unterlagen ma-            dabei doch nur Symptome.
                                chen Pflege und Ernte effizienter, aber die Bo-
                                dennähe fördert die Pilz- und Frostanfälligkeit.        Sie plädieren für eine Kehrtwende zurück zur
                                Ein strukturelles Problem hat damit zu tun, dass        Wiese bzw. in die Landschaft? Ist das unter dem
                                Obstbäume Rosengewächse sind. Bei diesen muss           Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit über die Ni-
                                man Fruchtfolgen einbauen: Wo ein Apfelbaum             sche hinaus realistisch?
THEMEN   SEITE 21

Die vorherrschende Form der Ertragsorientie-
rung ist maßlos. Hier werden eher Krankheits-
mittel statt Lebensmitteln hergestellt. Und die
Folgekosten für Umwelt und Gesellschaft sind so
groß, dass es langfristig nicht wirtschaftlich ist.
Auch in dem Landschaftsobstbau, wie ich ihn
vertrete, geht es um Ertrag und um Wirtschaft-
lichkeit – aber auf eine nachhaltige Weise. Des-
wegen glaube ich, dass ihm die Zukunft gehört.

Auch über der Zukunft des heimischen Obstbaus
schwebt die Bedrohung durch den Klimawandel.
Wir haben nun drei sehr trockene Jahre hinterei-
nander – es ist eine Katastrophe. Die Folgen des
Trockenstresses erlebe ich auf meinen Wiesen. In
diesem Sommer habe ich etwas entdeckt, was
ich noch nie zuvor gesehen habe: Das „Most-
wunder“ Hilde, ein traditioneller Kelterapfel,
hat Sonnenbrand bekommen. Anders ist es beim
Roten Trierer Weinapfel: Er hat ein anderes Ver-
hältnis von Süße und Säure und zeigt keinerlei
Anzeichen von Sonnenbrand. Wir werden nicht
darum herumkommen, Sorten nachzupflanzen,
die mit den neuen Klimaverhältnissen besser zu-
rechtkommen. Und ich fürchte, dass wir die Hil-
de vergessen können.

Wir haben über Überalterung, Pflegenotstand
und fehlendes Pflegepersonal gesprochen, über
Dauerstress, neue Krankheitssymptome und
pharmazeutische Symptombekämpfung: Man
könnte meinen, dass sich im Obstbau aktuelle
Probleme der Gesellschaft widerspiegeln.
Im Grunde versuche ich, genau das zu vermit-
teln: Alles steht miteinander in Beziehung und
interagiert – sei es Gesellschaft und Individuum,
sei es Wiese und Baum. Wenn ich einen gesun-
den Baum haben will, muss ich mich auch um die
Wiese kümmern. Zum Beispiel mähe ich diese nie
komplett. Dadurch gibt es immer Blühimpluse,
also Vielfalt. Oder: Indem ich Fledermauskästen
anbringe, hole ich mir genau die Tiere auf die
Wiese, die am besten gegen die Obstmade, den
Apfelwickler, helfen. Meine Kurse sind Einladun-
gen, sich selbst in Beziehung zu dem Baum zu
setzen, ihn aus verschiedenen Gesichtspunkten
zu betrachten und nicht nur technisch wahrzu-
nehmen. Zu einem Baum gehören seine sorten-
typischen Eigenheiten und seine Wuchsgesetze
ebenso wie der Duft der Blüten, das Summen der
Insekten oder das Rauschen der Blätter. Ich bin
überzeugt, dass die Beschäftigung mit Bäumen
helfen kann, sich selbst ein bisschen besser zu
verstehen. Daneben bin ich aber einfach gerne
bei meinen Bäumen.
SEITE 22                  KOLUMNE

                                      Sauers Sicht
                    Diesmal: Dürre Realitäten. Wie die Trockenheit unsere
                     Obstbäume stresst und wie man ihnen helfen kann

Der dritte Dürresommer in Folge hat un-      Rückschnitt gilt, dass weniger oft mehr     reichend groß sein, die darin befindliche
sere Streuobstbestände weiter ge-            ist. Viele der alten Obstbäume sind mit     Erde sollte gelockert und gedüngt sein.
schwächt. Vor allem die leichten, sandi-     Nährstoffen unterversorgt. Unter dem        Es empfiehlt sich, den Jungbaum in ei-
gen Böden des Rhein-Main-Gebiets sind        Kronenbereich sollte daher gedüngt          nen Wühlmausdrahtkorb zu pflanzen.
derzeit bis in die tieferen Bodenschich-     werden. Ideal sind Stallmist und reifer     Ein stabiler Baumpfahl begünstigt sein
ten durchtrocknet. Einige Obstbäume          Kompost, auch Horn- und Gesteinsmehl        Anwachsen. Der Verbissschutz aus lufti-
sind dadurch ganz oder in Teilen ver-        verbessern den Boden. Wo immer es           gem Drahtgeflecht sollte mit Abstand
dorrt, Trockenstress macht sie anfälliger    geht, sollten Nützlinge gefördert wer-      zum Stamm installiert werden. Wichtig
für Krankheiten und Schädlinge. Beson-       den (z.B. durch Nistkästen, Insektenho-     ist auch, dass die Pflanzscheibe über ei-
ders betroffen sind Flachwurzler wie         tels, Stein- oder Gehölzhaufen) und         nen ordentlichen Gießrand verfügt.
Äpfel und Kirschen. Was kann man an-         Schädlinge moderat bekämpft werden.         Faustregel hier: Eine Baumscheibe von
gesichts dieser „dürren Realität“ auf              Neben der intensiven Pflege geht      einem Meter Durchmesser mit einem
den Wiesen tun? Vor allem zwei Maß-          es darum, unsere Wiesen durch Neu-          etwa 10 Zentimeter hohen Gießrand
nahmenbündel scheinen ratsam.                                                            fasst 80 Liter Wasser.
     Zum einen: Eine intensive Pflege                                                         Eine Streuobstwiese zu bewirt-
soll die Vitalität der Bäume erhalten                                                    schaften macht Arbeit, gerade bei einer
bzw. stärken. Bei anhaltender Trocken-
heit sollten auch ältere Obstbäume ge-
                                                  Pflegen, was                           Neupflanzung. Es lohnt sich aber – we-
                                                                                         gen der Früchte und weil wir dadurch
wässert werden. Dabei gilt: Lieber sel-
ten, aber ausgiebig. Denn ist die Erde
                                              da ist. Und neu- bzw.                      einen der wertvollsten Lebensräume in
                                                                                         unserem Land erhalten. Welchen klima-
gut durchfeuchtet, bilden sich die Wur-
zelsysteme tiefer aus. Über den Daumen
                                                 nachpflanzen!                           tischen Belastungen und Wetterextre-
                                                                                         men unsere Obstbäume in Zukunft aus-
gepeilt, sollten es einmal pro Woche 50                                                  gesetzt sein werden, wird allerdings
bis 100 Liter Wasser je Baum sein. Ein an-                                               nicht „auf der Wiese“ entschieden. Das
derer Tipp: Vor den ersten Frösten soll-     bzw. Nachpflanzungen zu verjüngen. Im       hängt maßgeblich davon ab, ob die
ten die Stämme mit einer groben Draht-       Herbst ist die beste Pflanzzeit für Obst-   Welt bereit ist, den Weg zu einer klima-
bürste abgebürstet und abgekehrt,            bäume, ideal ist hochstämmige, wurzel-      freundlichen, nachhaltigen Produk-
dann mit einer weißen, beständigen           nackte Ware (siehe S. 9). Dazu sollte der   tions- und Lebensweise einzuschlagen.
Stammschutzfarbe bestrichen werden.          Standort beachtet werden. Zu leichte
Das schützt die Rinde vor Schäden durch      und sandige Böden sowie Hanglagen
Frost sowie Hitze und beugt Pilz- und        sind in Trockenzeiten problematisch. An-    Bastian Sauer ist ausgebildeter Landschafts-
Schädlingsbefall vor. Wenn das Laub ge-      gesichts des fortschreitenden Klimawan-     gärtner und studierter Biologe. Beim Regional-
fallen ist, ist es – je nach Alter und Zu-   dels sollten robuste, regionaltypische      verband FrankfurtRheinMain ist er als Regio-
stand des Baumes – Zeit für einen zielge-    Sorten ausgewählt werden, die mit Tro-      naler Streuobstbeauftragter tätig.
richteten Erziehungs-, Pflege- oder          ckenheit und großer Hitze besser zu-        Ihre Meinung zum Thema? Schreiben Sie an
Erhaltungsschnitt (siehe S. 18). Beim        rechtkommen. Das Pflanzloch muss aus-       sauer@region-frankfurt.de
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