Die Vielfalt der Region Aktiv gegen Pflegenotstand - Klima-Energie-Portal
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Magazin der Hessischen Apfelwein- und Obstwiesenroute HERBST / WINTER 2020 APFELSORTEN Die Vielfalt der Region STREUOBSTWIESEN Aktiv gegen Pflegenotstand APFELWEIN Tradition trifft Innovation
EDITORIAL SEITE 3 Einschränkungen bedeutet, für die Gas- Unsere wunder- tronomen mitunter sogar existenzielle. Positiv ist jedoch zu beobachten, dass die Freude an der wohnortnahen Erho- schöne Region mit lung in der Natur zunimmt. Viele Men- schen wussten in den letzten Monaten ihren Streuobst- unsere wunderschöne Region mit ihren zahlreichen Streuobstwiesen als Aus- flugsziel und Energiequelle zu schätzen. wiesen ist Aus- Der Anblick unserer Natur stimmt jedoch teilweise nachdenklich, denn der dritte trockene Sommer hintereinander flugsziel und in Hessen macht der Natur und vielen Obstbäumen sehr zu schaffen. Wir müs- Energiequelle. sen uns den Herausforderungen stellen, im Großen wie im Kleinen. Die Mitglieder unserer Routen tun genau das, seit vielen Jahren und in großer Zahl. Neue Mitstrei- ter sind immer willkommen. Auf den fol- Liebe Leserin, genden Seiten finden Sie einige Beispiele dafür, dass und wie sich gemeinsames lieber Leser, Engagement lohnt. Ich wünsche Ihnen eine interessante und ermutigende Lek- mit dem „Apfelboten“, so habe ich es in türe sowie eine ertragreiche Ernte. der ersten Ausgabe geschrieben, wollen wir für die hessische Apfelwein- und Herzliche Grüße! Obstwiesenkultur begeistern. Viele po- sitive Reaktionen auf das runderneuerte Magazin haben uns bestätigt, dass wir dabei auf dem richtigen Weg sind. Nun halten Sie die zweite Ausgabe in den Händen. Die Herausforderungen sind seit Ausgabe eins nicht kleiner gewor- Rouven Kötter den. Natürlich ist da die allgegenwärti- Erster Beigeordneter ge Corona-Krise, die für jeden von uns Regionalverband FrankfurtRheinMain INHALT 04 Meldungen Im Zeichen des Apfels 08 Speierlingsprojekt Von Gießen im Norden bis Rödermark im Süden: In fünf Regio- 09 Kauf von Obstbäumen nen Hessens haben Keltereien, gastronomische Betriebe, Direkt- 10 Apfelsorten der Region vermarkter, Obst- und Gartenbauvereine, Naturschutzinitiativen, 14 Apfelweinvermarktung Baumschulen, Obsthöfe, Museen sowie Städte und Gemeinden 18 Interview zur Baum- ihre Aktivitäten und Attraktionen zu „Regionalschleifen“ ver- pflege mit Josef Weimer bunden. Gemeinsam bilden sie die hessische Apfelwein- und 22 Kolumne „Sauers Sicht“ Obstwiesenroute. Unter diesem Label setzen sich rund 700 Partner aktiv für Nah- 23 Rezept: Apfelcrumble erholung, Naturschutz und die Förderung der regionalen Wirtschaft ein. Ziel ist 24 Terminübersicht es, ein typisches Stück Hessen zu schützen und erlebbar zu machen: die Natur und 28 Neues aus den Schleifen Kultur des Apfels. 30 Das besondere Bild Impressum Gießen, Main-Kinzig, Stadt und Kreis Offenbach, Wetterau sowie Main/Taunus Fotos: Shutterstock (Titelbild); Regionalverband FrankfurtRheinMain
SEITE 4 MELDUNGEN KALENDER PODCAST Kunst trifft Apfel Macher der Region Jörg Stier ist Inhaber der Kelterei Stier und Vorsitzender des Vereins Apfel- Ein neues Jahr, ein neuer Kalender. Für 2021 zu empfehlen: wein-Centrum Hessen. Gerhard Weinrich ein Kalender, der Kunst und Pomologie zusammenbringt. ist Vorsitzender des MainÄppelHaus Lohrberg in Frankfurt und Kämpfer für Ein schwarzer Hintergrund lenkt den Blick auf das Objekt im Vor- den Erhalt hiesiger Streuobstwiesen. dergrund. So wie bei diesem Kalender, in dem der Betrachter am Beide teilen die Leidenschaft „fürs liebsten in das Objekt reinbeißen möchte. Doch die Äpfel sehen nicht Stöffche“. Und mit beiden wurde jetzt nur ebenso ästhetisch wie lecker aus, auch die wesentlichen Merk- ein Interview für den neuen Podcast des male der jeweiligen Sorte sind gut zu erkennen. Abgebildet sind zwölf Regionalverbands FrankfurtRheinMain typische Sorten vom „hessischen Streuobstwiesenäquator“, dem geführt. „Gespräche mit den Machern in Band also, das sich vom Taunus bis in den Kahlgrund zieht. Fotogra- der Region“, so der Name des neuen fiert hat sie Dr. Ralf Vandamme vom Arbeitskreis Streuobst Maintal. Formats. Und da durften natürlich weder Am 12. September wird der Kalender im Frankfurter MainÄppel- Stier noch Weinrich fehlen. Wer zuhören Haus Lohrberg präsentiert (14 bis 16 Uhr). In den darauf folgenden will, findet die Podcasts in den üblichen Wochen werden die Motive im künftigen „Gerippten Museum in Podcast-Portalen oder über die Seite des Hanau ausgestellt. Käuflich zu erwerben ist der Kalender im Mai- Regionalverbands – der übrigens auch nÄppelHaus, in der Kelterei Stier in Maintal-Bischofsheim, im Main auf Instagram und Facebook regelmäßig Genuss Laden in Hanau und im Onlineshop des Pomologenvereins. News zum Thema Streuobst bringt. https://shop.pomologen-verein.de www.streuobst-frm.de Foto: Ralf Vandamme
MELDUNGEN SEITE 5 OBERDIECKPREIS Preiswürdige Personen Bald Kulturerbe? 3 Fragen an Jedes Jahr verleiht der Pomolgen- Verein zusammen mit der Stadt .. Naumburg, dem Land Hessen und ab diesem Jahr auch dem NABU den mit 2.000 Euro dotierten Oberdieck-Preis Barbara Völksen von der Agenda-Gruppe für Landschaftsschutz – benannt nach Johann Oberdieck und Landschaftspflege in Friedrichsdorf (1794–1880), einem der bedeutends- ten deutschen Pomologen des 19. Jahr- hunderts. Mit dem Preis werden Projekte, wissenschaftliche Arbeiten oder Personen gewürdigt, die zur Er- haltung der Vielfalt alter Obstsorten in Deutschland beitragen oder ver- schollene Sorten wiederentdeckt und die Erhaltung der Sorte veranlasst haben. Bewerbungsschluss ist der 1. Oktober. Ideenreiche, unkonventionel- le Ansätze sind herzlich willkommen, heißt es auf der Internetseite des Pomo- Ausgehend von Ihrer Initiative hat eine regionale Trägerge- logen-Vereins, auf der auch weitere meinschaft – von Landschafts- und Obstbauverbänden über das Infos zum Preis zu finden sind (www. Apfelwein-Centrum-Hessen bis zu Streuobstinitiativen – die pomologen-verein.de). Aufnahme der hessischen Apfelweinkultur in das „Bundeswei- Ein Pomologe ist übrigens keines- te Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes“ beantragt. Glau- wegs nur ein Experte in Sachen Äpfel. ben Sie, dass es klappen wird? Der Name stammt von dem lateini- Ich bin sehr zuversichtlich. Unser Antrag hat die erste Hürde in schen Wort „pomum“, die Baumfrucht, einem mehrstufigen Verfahren genommen und ist vom Kultus- ab und schließt unter anderen auch ministerium als einer von vier Vorschlägen des Landes Hessen Kirschen, Birnen und Pflaumen ein. Zu an die Kultusministerkonferenz weitergereicht worden. Nun letzteren hat der Pomologen-Verein erstellt ein Expertenkomitee bei der Deutschen UNESCO-Kom- in diesem Jahr ein wunderbares Plakat mission Empfehlungen, über die dann die Kultusministerkonfe- herausgebracht, das gut drei Dutzend renz entscheiden wird. unterschiedliche Pflaumensorten zeigt. Vielfalt, die es zu erhalten gilt! Was macht die hessische Apfelweinkultur zu einem immateriel- len Kulturgut? Der Apfelwein steht im Zentrum einer Kultur, die auf vielfältige Weise gelebt wird und in der Wissen und Können weitergege- ben werden: bei der Pflege der Streuobstwiesen und in den Kel- tereien, aber auch auf Festen und in Apfelweinwirtschaften, mit Trinkzeremonien und Ritualen. All das ist in dieser Art einzigar- tig und verbindet Menschen und Generationen miteinander. Was würde die Aufnahme in das Bundesweite Verzeichnis be- deuten? Es wäre eine Anerkennung der Bedeutung dieser Kultur, aber auch des großen Engagements vieler Menschen, die sich für ih- ren Erhalt und ihre Weiterentwicklung einsetzen. Und es wäre ein Zeichen an die Politik, dass noch mehr für die stark gefähr- deten Streuobstwiesen getan werden muss. Denn diese sind die natürliche Grundlage unserer Apfelweinkultur. Foto: Privat
SEITE 6 MELDUNGEN CIDER WORLD Äppelwoi online Die Cider World 2020 fand in diesem Jahr „nur“ im Netz statt. Doch auch offline kann man noch mittrinken. Zum dritten Mal wurde in diesem Jahr der Cider World Award aus- getragen. Aufgrund der Corona-Pandemie jedoch nicht im Rahmen der Frankfurter Apfelweinmesse, sondern online. Verliehen wurden fünf Awards durch den Frankfurter Wirtschaftsdezernenten Markus LANDSCHAFTSOBSTBAUER Frank und die Frankfurter Apfelweinkönigin Larissa I. Unter den Mit Zertifikat vielen internationalen Teilnehmern mit rund 160 eingereichten Pro- dukten räumte eine Kelterei aus der Wetterau besonders ab: In der Kategorie „Cider still“ landeten gleich fünf Produkte von Weid- Der Regionalverband FrankfurtRhein- mann & Groh aus Friedberg unter den besten acht. Der Boskoop- Main unterstützt seine Mitgliedskom- Apfelwein Jahrgang 2018 erreichte die höchste Punktzahl und gewann munen bei der Pflege und dem Erhalt damit die CiderWorld Medal. von Streuobstwiesen. Deshalb wird ab Da der rein virtuelle Besuch einer Genussmesse jedoch relativ Dezember erneut die Spezialfortbildung freudlos ist, haben sich Cider-World-Chef Michael Stöckl und sein „Zertifizierter Landschaftsobstbauer“ Team etwas Schönes für die Besucher einfallen lassen: sogenannte für kommunale Mitarbeiterinnen und Online-Tastings. Wer teilnehmen will, kann sich unter www.cider- Mitarbeiter angeboten. Anmeldungen world.com für 24,90 Euro ein Probierpaket bestellen. Dafür gibt es für die neue Staffel sind ab sofort sechs Flaschen besonderer Stöffchen sechs verschiedener Keltereien möglich. In dem gemeinschaftlichen aus aller Welt. Und da man frei nach dem bekannten Goethe-Zitat Projekt des Regionalverbandes mit dem nur schmeckt, was man weiß, gibt es zu dem Paket noch ein Video, MainÄppelHaus Frankfurt und dem welches kostenlos im Internet gestreamt wird. Dort kann man allerlei Landschaftsobstbauer Josef Weimer Lehrreiches über Produzenten und Produkte und über Aromen (siehe auch Seite 18) erhalten die Teil- und Äpfel lernen. Die virtuellen Verkostungen dauern eine knappe nehmenden eine fundierte Ausbildung Stunde und werden von Stöckl moderiert, einem erfahrenen Apfel- zum Thema Landschaftsobstbau. Ein wein-Sommelier, unterstützt von wechselnden Gästen. Jahr lang werden dabei, dem jahres- Und nächstes Jahr? Da soll die Frankfurter Apfelweinmesse zeitlichen Verlauf folgend, verschiede- CiderWorld wieder wie gewohnt offline stattfinden – und zwar vom ne Fertigkeiten vermittelt, von Pflan- 27. bis 28. März im Gesellschaftshaus Palmengarten. zung, Pflege und Schnitt bis zur Ernte von Obstgehölzen in der Landschaft. Die theoretische und praktische Aus- bildung erfolgt zentral im MainÄppel- Haus Frankfurt und auf den dort um- liegenden Streuobstwiesen. Die zehn ganztägigen Pflichttermine – die über das Jahr verteilt sind – finden jeweils unter der Woche dienstags und mitt- wochs von 9 bis 17 Uhr statt, Verpfle- gung inbegriffen. Um eine entspre- chende Betreuung zu gewährleisten, ist die Teilnehmerzahl auf 18 bis 20 Per- sonen begrenzt. Die Teilnahmegebühr in Höhe von rund 1.000 Euro werden für einen Mitarbeiter pro Kommune vom Regionalverband übernommen. Für Rückfragen steht der Streuobstbeauftragte Bastian Sauer gerne auch telefonisch unter 0 69 25 77–15 78 zur Verfügung. Bei den Online-Tastings der Cider-World gibt es den Äppelwoi offline. Foto: Shutterstock
MELDUNGEN SEITE 7 lichkeit sowie die Unwissenheit der Bevölkerung über die besondere Bedeu- tung der Streuobstwiesen und ihrer erzeugten Produkte, die als problema- tisch zu bewerten sind. Ihre Empfehlung: „Neben dem Artenschutz, dem Biotop- verbund sowie allgemein der Pflege der Streuobstwiesen sehe ich vor allem in der Förderung von mehr Fachwissen eine wichtige Aufgabe“, so Jakob. Hier würde Lina Rötzel sicherlich nicht widersprechen, die gerade ihre Bachelorarbeit an der Hochschule für Polizei und Verwaltung in Mühlheim am Main abgeschlossen hat. Für diese beschäftigte sie sich mit all jenen Ini- tiativen, die sich im Kreis Offenbach für das Thema Streuobst engagieren. Da- Melanie Jakob aus Karben (l.) und Lina Rötzel (r.) aus dem Kreis Offenbach waren in der letzten neben schaute sie sich im Rahmen ihrer Zeit viel auf Streuobstwiesen unterwegs. Studie die Schlaraffenburger Streuobs- tagentur genauer an, die am Bayeri- schen Untermain für ihre erfolgreiche BACHELORARBEITEN Arbeit bekannt ist, um dann im nächs- Wissen für die Wiese ten Schritt beide zu vergleichen. „Die Ergebnisse waren wirklich beeindru- ckend und erfreulich, gerade weil bei uns im Kreis viele motivierte Ehrenamt- ler bereits starke Ideen, die auch bei Zwei Studentinnen haben sich in ihren Abschlussarbeiten mit dem den Schlaraffenburgern gut funktionie- Thema Streuobstwiese beschäftigt. Mit interessanten Ergebnissen. ren, umsetzen“, berichtet Rötzel. Apropos „umsetzen“: Melanie Gefährdung, Schutz und Entwicklung sondern wertete auch insgesamt 54 Jakob ist inzwischen bei der Stadt Karben von Streuobstwiesen im Wetteraukreis eigens erstellte Fragebögen aus. Am als Sachbearbeiterin für Umwelt- und – mit diesen Themen beschäftigte sich Ende konnte sie stichhaltige Ursachen Naturschutz beschäftigt, und auch Lina Melanie Jakob, Absolventin der Hoch- für die Gefährdung der Wiesen zusam- Rötzel arbeitet für den Fachdienst schule Geisenheim, im Rahmen ihrer menstellen. Demnach sind es vor allem Umwelt des Kreises Offenbach. Beste Bachelorarbeit. Dafür arbeitete sie sich klimatische Herausforderungen, man- Voraussetzungen also, um ihre Erkennt- nicht nur gründlich in die Thematik ein, gelnde Pflege, die geringe Wirtschaft- nisse in die Praxis zu überführen. Ihre Baumschule in Hessen mit über 60 Apfelsorten, Elsbeere, Speierling, Mispel u.v.m.! Köhler Pflanzen GmbH Hammersbacher Str. 56 63486 Bruchköbel 0 61 81 7 16 03 www.baumschule-koehler.de info@baumschule-koehler.de Fotos Privat
SEITE 8 THEMEN STREUOBSTWIESEN Desserts oder Marmeladen verarbeitet beitragen, dass die Baumriesen Tieren, werden. Hinzu kommt: Speierlinge, die Menschen und der Landschaft möglichst Droben in 200 Jahre alt und über 20 Meter hoch werden können, bieten einer Vielzahl von Tieren ein Zuhause. In den stattli- lange erhalten bleiben. den Riesen chen Kronen tummeln sich Insekten, Spinnen, Bilche und Vögel. Seit Jahren gibt es Bemühungen für Umweltlotterie GENAU: So funktioniert es Ein Projekt im Main-Kinzig-Kreis ver- den dauerhaften Erhalt dieser wertvol- Seit vier Jahren gibt es bei LOTTO Hessen schafft alten Speierlingen „mehr Luft“ len Bäume. Zusammen mit dem Arbeits- auch die Umweltlotterie GENAU – kreis Streuobst in Maintal und dem Büro Gemeinsam für Natur und Umwelt. Bei In Maintal-Hochstadt gibt es hessenweit AnLand hat der Landschaftspflegever- dieser profitieren neben einzelnen die größte Dichte an Speierlingsbäu- band (LPV) Main-Kinzig bereits vor eini- Gewinnern auch Landkreise – und die men. Der zur Familie der Ebereschen ge- gen Jahren Erhebungen zu Zahl und Zu- Natur. Denn GENAU unterstützt mit hörende Sorbus domestica ist hier land- stand der Charakterbäume durchgeführt. den Erlösen Naturschutz- und Um- schaftsprägend durch seinen hohen Hierbei zeigte sich, dass einige Altbäu- weltprojekte in Hessen. Weit über Wuchs, seine leuchtenden Früchte und me in keinem guten Gesundheitszu- 200 Projekte, darunter viele zu Streu- das sich golden verfärbende Laub im stand sind. Seither wurde ein regionales obstwiesen, hat GENAU bereits Herbst. Er kam schon mit den Römern in Netzwerk zur Betreuung aufgebaut. In gefördert. Wie GENAU funktioniert – hessische Breiten und hat sich über Jahr- diesem Sommer nun hat der LPV – mit auf www.genau-lotto.de wird es tausende seinen Wildobstcharakter be- 5.000 Euro Unterstützung durch die erklärt. Dort kann man auch mehr wahren können. Traditionell wird der Umweltlotterie GENAU – das Projekt über bereits geförderte Umweltpro- Saft seiner unreifen Früchte dem Apfel- „Feintuning fürs Stöffche“ umgesetzt: jekte erfahren. Und Initiativen, wein zugesetzt: Die Gerbsäure macht Baumpfleger aus Gelnhausen sind hoch Verbände oder Privatpersonen kön- das Stöffche haltbar, klärt es und sorgt hinaufgestiegen und haben in den im- nen sich dort mit ihrem Umwelt- oder für die typische „Speierlings“-Note. Die posanten Kronen Totholz ausgelichtet. Naturschutzprojekt bewerben. reifen Früchte können zu Früchtebrot, Die hochspezialisierte Aktion soll dazu Foto: Landschaftspflegeverband Main-Kinzig-Kreis
THEMEN SEITE 9 NEUPFLANZUNG Neue Bäume braucht das Land Ab Oktober können wieder wurzelnackte Jungobstbäume gekauft und gepflanzt werden – am besten aus regionaler Produktion. Im Herbst ist Erntezeit. Das gilt für die se. Die greisen Bestände der hessischen Früchte von Obstbäumen, aber auch Streuobst-Biotope brauchen dringend für die Bäume selbst. Ob Apfel, Kirsche Nachwuchs. So kommt es, dass der Land- oder Zwetschge, nach meist drei Jah- schaftspflegverband Main-Kinzig die ren werden die Jungbäume aus dem Vermittlung unterstützt und schon seit Boden geholt. Die „wurzelnackte“ elf Jahren Sammelbestellungen organi- Ware, oben laublos, unten von Erde siert. „Die Nachfrage wächst stetig“, befreit, ist im Vergleich zu Container- freut sich Organisatorin Barbara Fiselius. oder Ballenware deutlich preiswerter, Bis Mitte Oktober können Besitzer von besser zu transportieren und leichter Streuobstwiesen und Interessierte aus zu pflanzen. Und im Herbst (am besten dem Kreisgebiet wieder Hochstämme bald nach dem Kauf) oder Winter am bestellen (Infos Tel: 06059 906688). Im gewünschten Standort gepflanzt, sind November werden die Baumpflanzen sie im Frühjahr schon robust ange- dann an verschiedenen Ausgabestellen wachsen. im Kreis an die Besteller abgegeben. „Die Produktion hessen-typischer Auch beim MainÄppelHaus Lohrberg Hochstämme geschieht manufakturhaft kann man Sortenlisten durchforsten in vielen Einzelschritten. Das ist die Sa- und (bis zum 21. Oktober) Bestellungen Anbindung che von Spezialisten und sehr aufwän- abgeben. Besitzer oder Pächter von dig“, meint Wolfgang Zeibig von der Obstwiesen in den Gemarkungen von Baumschule Rinn. Die Folge: Die Zahl Bad Nauheim wiederum können über Pflanzpfahl spezialisierter Baumschulen mit eigener den NABU Bad Nauheim hochstämmige Produktion ist auf einige wenige ge- Obstbäume beziehen. schrumpft. Bei diesen findet man jedoch Spezialisierte Baumschule, Ver- nicht nur ein großes Sortiment, sondern band oder Initiative – fachkundige Be- stets auch alte, regionaltypische und im ratung gehört überall dazu. Das ist hiesigen Streuobstanbau verwendete auch wichtig, schließlich ist schon die Sorten. In Heuchelheim bei Gießen bie- Auswahl des passenden Edelgehölzes Wühlmausschutz tet neben der Baumschule Rinn mit al- am richtigen Standort eine Kunst für (Drahtkorb) lein mehr als 100 Apfelsorten auch die sich. Doch ob nun die Mosttauglichkeit Baumschule Engelhardt junge Obstge- wichtig ist, ein Baum mit begrenztem hölze und -bäume an. Weiter im Norden Pflegeaufwand gewünscht wird oder gibt es bei der Bioland-Baumschule die Robustheit angesichts zunehmen- Gießrand Veredlungsstelle Pflanzlust Sortenvielfalt aus eigener An- der Trockenheit im Fokus steht – in dem zucht, südlich in Bruchköbel bei Hanau riesigen Sortiment heimisch gewachse- ist die Baumschule Köhler der größte ner Wurzelnackter ist auf jeden Fall das Anbieter. Chef Hans-Günter Köhler be- Richtige dabei. tont den Vorteil heimischer Ware: „Die- se Bäume müssen sich hier nicht erst Mehr Infos unter www.rinnbaumschule.de, akklimatisieren, was bei Importware www.baumschule-engelhardt.de, Pflanzloch immer kritisch sein kann“. www.baumschule-koehler.de, Die Pflanzung von Hochstämmen www.pflanzlust.de, www.lpv-mkk.de, Untergrund ist ein vorwiegend privates Vergnügen. www.mainaeppelhauslohrberg.de, (gelockert) Sie ist aber auch in öffentlichem Interes- www.nabu-bad-nauheim.de Foto: Shutterstock
SEITE 10 THEMEN APFELSORTEN Alle anders Äpfel sind nicht gleich Äpfel. Und sie unterscheiden sich keineswegs nur in Form und Farbe. Jede Frucht hat ihre eigenen Qualitäten und eignet sich deshalb für bestimmte Verwendungen. Genau darauf will der Frankfurter Fotograf Georg Dörr mit seinen Portraits typischer Streuobst-Äpfel hinweisen. Die Bilder entstanden in Zusammenarbeit mit Maja Becker vom MainÄppelHaus am Lohrberg, die auch die Texte zu den Äpfeln verfasste. Goldparmäne – schmackhafte Königin Gelber Edelapfel – achte Sache Brettacher – der Saftige Die Franzosen nennen diesen Apfel Rei- Zum „guten Kuchen“ backen braucht Diese aus Baden-Württemberg stam- ne des Reinettes, also: Königin der Re- man bekanntlich sieben Sachen. Für einen mende Sorte ist besonders robust. Die netten. Seit dem 16. Jahrhundert wird Apfelkuchen darf jedoch – als achte Zutat Äpfel sind breit kugelig und haben eine diese Sorte wegen ihres einzigartigen – auch der „Golden Noble“, so der Name hellgrüne Grundfarbe mit leuchtend ro- milden, nussigen Aromas angebaut. Im in England, nicht fehlen. Dort 1820 ge- ten Backen. Die saftigen Früchte sind bis September geerntet, ist sie als Tafelobst züchtet, gilt er als hervorragender Back- in den Mai hinein haltbar und bringen bis Weihnachten zu genießen. Als Most- apfel. Er ist aromatisch, mit erfrischender eine sehr hohe Saftausbeute. Im Okto- obst gibt sie Saft und Apfelwein eine Säure und hohem Vitamin C-Gehalt. Beim ber werden die Äpfel frisch vom Baum charakteristische feine Würze. Die eben- Backen „schmilzt“ das Fruchtfleisch und für den Äppelwoi gekeltert. Die einge- mäßig runden Früchte sind goldgelb mit entfaltet sein Aroma. Nicht zuletzt weil lagerten Äpfel reifen unter einer dicken orangeroter geflammter Deckfarbe. Sie die Bäume selbst für raue Lagen mit Spät- Wachsschicht nach, so dass sie von Weih- sind für Allergiker geeignet und haben frösten geeignet sind, kann man sie auf nachten bis zum Ende des nächsten einen hohen Polyphenolgehalt. vielen Streuobstwiesen finden. Frühjahres verzehrt werden können.
THEMEN SEITE 11 Rote Sternrenette – Schmuckstück Freiherr von Berlepsch – der Edle Landsberger Renette – Laterne, Laterne Wohlklingend beschrieben wird dieser Diese Sorte wurde 1880 aus einer Kreu- 1850 in Landsberg an der Warthe ge- Apfel unbekannter Herkunft seit 1850 zung von Ananasrenette und Ribston züchtet, ist sie in den wärmeren Lagen als Calville Etoillée. Als dunkelrote Pepping gezüchtet. Als Tafelapfel ist er des Rhein-Main-Gebiets schlicht „der Schönheit zierte er Weihnachtsbäume. eine Delikatesse, die auch für Allergiker Tafelapfel“. Ende September werden Aber auch die robusten und frostharten geeignet ist. Das feste, gelblich-weiße die Früchte geerntet und bis Weihnach- Bäume mit ihren hohen, schlanken Kro- Fruchtfleisch ist saftig mit fein würzi- ten als Tafelobst verwendet. Das hell- nen sind ein Schmuck für jede Streuobst- gem Aroma. Der Vitamin-C-Gehalt ist gelbe Fruchtfleisch ist saftig und hat ein wiese. Die Äpfel mit ihrem sehr aromati- überdurchschnittlich hoch. Die Ernte feines, weinsäuerliches Aroma. Die schen und saftigen weißen Fruchtfleisch der Äpfel beginnt Ende September, bis Früchte sind windfest und können noch eignen sich zum Dörren und als Saftap- April können sie gut gelagert werden. lange nach dem Blattfall im Herbst an fel, nicht jedoch zum längeren Lagern. Die Bäume sind frostempfindlich und den kahlen Ästen hängenbleiben. Dort Ende September können sie geerntet deshalb in milden Lagen für den Anbau leuchten sie dann wie gelbe Laternen verzehrt werden. gut geeignet. über die winterlichen Streuobstwiesen. Gewürzluike – schwäbischer Mostapfel Zabergäurenette – edler Kern Winterrambur – Äppelwoiäppel Um 1800 gezüchtet, ist sie im Rhein- Wer die Überraschung liebt, kommt bei Im Rhein-Main-Gebiet darf der Rheini- Main-Gebiet größer und saftiger als in dieser voll auf seine Kosten. Die raue sche Winterrambur als zuverlässiger Saft- ihrer Heimat, den schroffen Hängen der Schale verdeckt bestes mild-würziges apfel für den Äppelwoi nicht fehlen. Schwäbischen Alb. Als Tafelobst sowie Renetten-Aroma. Die Sorte, 1885 in Ba- Schon seit dem 17. Jahrhundert wird er zur Mostherstellung überzeugt die Ge- den-Württemberg gezüchtet, kann als als Tafel- und Mostapfel angebaut. Die würzluike mit ihrem säuerlich-würzigen Tafel- oder Wirtschaftsapfel verwendet großen Früchte mit dem hellen Frucht- Aroma. Die Blüte kommt erst nach den werden. Die Früchte sind ebenmäßig, fleisch haben ein angenehmes Verhält- Spätfrösten im Frühjahr und besticht zum Kelch leicht verjüngt. Auffällig ist nis von Süße und Säure und bringen mit einem feinen Rosaton. Pflückreif die zimtfarbene Berostung mit großen eine hohe Saftausbeute. Geerntet und sind die Früchte etwa Mitte bis Ende Ok- hellen Schalenpunkten. Nur der hell- gekeltert wird er im Oktober. Die stark- tober und von November bis März ge- grün leuchtende Kelch ist davon ausge- wüchsigen Bäume bringen jedes Jahr nussreif. Die Sorte sollte nur in wärme- spart. Als Standort sind wärmere Lagen eine hohe Ernte und sind ideal für den ren Lagen gepflanzt werden. mit guten Böden zu empfehlen. extensiven Streuobstanbau.
SEITE 12 THEMEN Jakob Lebel – leuchtendes Juwel Roter Hauptmann – spritzig im Glas Schafsnase – Mutter des Apfelweins Die breitrunden gelben Äpfel mit den Ein Paradebeispiel für einen Mostapfel: Dieser Apfel ist im Rhein-Main-Gebiet roten Flammen leuchten im September saftig und frisch, angenehm süßsäuer- auf jeder Streuobstwiese zu finden und an den Bäumen. Ab Ende September lich, bringt er dem Saft und Apfelwein liefert zuverlässig den Saft für den Äp- werden die großen Früchte geerntet einen angenehm frischen Geschmack. pelwoi. Je später geerntet wird, desto und können als feinsäuerlich-spritziges Die Herkunft ist nicht überliefert, es ist mehr Aroma entwickeln die Früchte, die Tafelobst oder für die Herstellung von eine altbekannte traditionelle Apfelsor- traditionell im Oktober gekeltert wer- Saft und Äppelwoi verwendet werden. te, die wegen ihrer Frosthärte auch in den. Die Rheinische Schafsnase ist leicht Am besten entfaltet er sein Aroma je- höheren Lagen angebaut wird. Die rei- zu erkennen, sie wirkt fast violett, mit doch als Backapfel. Dieses 1825 in Frank- fen Früchte sind rote Schönheiten, die hellgrüner Grundfarbe und dunkelrot reich gezüchtete Multitalent ist gut für sich auch gut als Tafelobst eignen. Ge- geflammter Deckfarbe unter heller Be- Allergiker geeignet und hat einen sehr pflückt wird der Apfel ab Ende Septem- reifung. Dabei verjüngen sich die Früch- hohen Anteil an gesundheitsfördern- ber. Bis Ende Dezember kann er gela- te zum Kelch, der die typische „Schafs- den Polyphenolen. gert und verzehrt werden. nase“ bildet. Weißer Winterkalvill – der Tafelapfel Schöner von Nordhausen – Winterapfel Boskop – ein Multitalent Der Apfel schmückte im 16. Jahrhundert Seite Ende des 19. Jahrhunderts wird 1850 in den Niederlanden gezüchtet, hat mit seiner charakteristischen kantigen dieser Tafelapfel mit fein säuerlichem der „Schöne aus Boskoop“ es als einzige Form die Tafel der französischen Köni- Geschmack in den Baumschulen ver- Wirtschaftssorte in unsere Supermärkte ge. Erst später bezog sich die Verwen- mehrt. Die saftigen Früchte eignen sich geschafft. Er kann gekocht, gebacken, zu dung als Tafelapfel auf den Frischver- auch hervorragend zum Keltern. Seine Saft, Wein und Schnaps verarbeitet oder zehr und nicht allein auf die Eignung Bäume und Blüten sind unempfindlich direkt frisch gegessen werden. Die Bäu- zur Dekoration der Tafel. Im Oktober gegen Frost und sehr robust. Die helle me haben breit ausladenden Kronen sind die hellgrünen Äpfel erntereif. Die Grundfarbe mit rosafarbenen Backen und strotzen vor Gesundheit. So sind Genussreife beginnt im Dezember, scheinen die Namensgebung dieses auch die Früchte: Hinter dem sauren Ge- wenn der Apfel sich auf dem Lager gelb Winterapfels beeinflusst zu haben. Die schmack verbergen sich viele gesund- färbt und an Aroma gewinnt. Der Ge- Ernte ist Mitte Oktober, genussreif sind heitsfördernde Polyphenole, eine große schmack wird als mildaromatisch mit die Äpfel bei feuchtkühler Lagerung im Allergikerverträglichkeit und – Vorsicht! – Erdbeernote beschrieben. nächsten Jahr bis ins Frühjahr hinein. ein hoher Zuckergehalt. Fotos: Georg Dörr, www.lumenphoto.de
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SEITE 14 STORY VERMARKTUNG Die jungen Wilden Cooles Design, modernes Marketing, geschickter Vertrieb – und fertig ist die Erfolgsgeschichte? Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Auch auf die Qualität des Stöffchens kommt es an! Und für die sorgen auch bei den „jungen, wilden“ Quereinsteigern im Markt Traditionskeltereien wie Heil oder Trageser. Apfelwein ist in Hessen Kult. Man denke nur an sicherlich Benedikt Kuhn, der mit seiner Marke Heinz Schenk und den Blauen Bock, an Bembel Bembel with Care den Markt ab 2007 ein Stück und Geripptes, an rustikale Gemütlichkeit und weit umkrempelte. Kuhn hatte vorher mit Apfel- zünftiges Brauchtum. Und genau das war das wein nicht viel am Hut, bekam aber während sei- Problem. Denn nicht alle fühlten sich dadurch nes Studiums die Aufgabe, ein „totes“ Produkt angesprochen. Gerade junge Leute griffen in der mithilfe eines geeigneten grafischen Vermark- Vergangenheit eher zu trendigen Biermixge- tungskonzeptes wiederzubeleben. Seine Lösung tränken, Alkopops oder Energydrinks, die einen war so einfach wie genial: Man befreie den Apfel- höheren Lifestyle-Faktor versprachen, als zum wein aus seinen ästhetisch wenig ansprechenden guten alten Stöffche der Eltern und Großeltern. braunen 1-Liter-Flaschen und gebe ihn in cool ge- Diese ungute Entwicklung blieb freilich auch der staltete Aludosen. Dazu muss man nur noch – da- etablierten Apfelweinwirtschaft nicht verbor- runter macht man es nicht – die Apfelweinrevolu- gen, die deshalb schon seit Jahren auf „die neue tion ausrufen und fertig ist das neue Trendprodukt. Vielfalt“ setzt (siehe auch den gleichnamigen Ar- Die Idee war so gut, dass Kuhn, nachdem er tikel in der letzten Ausgabe des Apfelboten) und die Traditionskelterei Krämer aus Reichelsheim innovative Produkte entwickelt: Ob Cider oder im Odenwald überzeugen konnte, ins Geschäft Secco, mit Johannisbeere oder mit Cola, beim einzusteigen, tatsächlich mit seinem „Dosen- Apfelwein geht es schon lange nicht mehr nur obst“ nicht nur den regionalen Markt eroberte, um die Frage „pur oder gespritzt“. Und auch in sondern auch deutschlandweit und sogar inter- der Vermarktung gingen die etablierten Herstel- national große Erfolge feierte. Diese Success- ler neue Wege – wenngleich manch einem alt- Story ging allerdings nur so lange, bis Kuhn im eingesessenen Kelterer der Imagewechsel oder Mai dieses Jahres sich mit rechtsextremistischen dessen Ausweitung nicht immer ganz leichtfällt. Parolen in sozialen Netzwerken zu Wort melde- Ungleich leichter haben es da Quereinstei- te. In der Folge kam es zum Bruch mit der Kel- ger, die sich nicht lange mit Tradition und Nostal- terei Krämer, die seitdem die Marke ohne ihren gie aufhalten müssen. Ein Vorreiter war hier Gründer weiterführt.
STORY SEITE 15 Im Uhrzeigersinn: Lars Contzen und Rocky Musleh („Mein Main“), Friedrich und Maximilian Krings („Der Wilde Hirsch“) sowie Kjetil Dahlhaus („Born in the Wetterau“) sind Experten der Apfelwein-Vermarktung.
SEITE 16 STORY Doch schon lange ist Bembel with Care mit Wie die „Mein Main“-Macher setzt auch dem Ansatz, aus Apfelwein ein cooles, trendiges Kjetil Dahlhaus auf Heimatliebe und Lokalpatri- Partygetränk für junge Leute zu schaffen, nicht otismus. Der Kommunikationsdesigner und Ap- mehr alleine. Viele Keltereien gehen diesen Weg felweinliebhaber ist der Kopf hinter „Born in the – und weitere Quereinsteiger: Dabei berufen Wetterau – my local Stöffche“. Geärgert hatte sich zwar die Köpfe hinter „Mein Main“, „Wilder ihn vor einigen Jahren, dass beim Thema Äppler Hirsch“ oder „Born in the Wetterau“ durchaus alle nur an Frankfurt und Alt-Sachsenhausen auf den Pionier der ersten Stunde, um sich aller- denken, obwohl doch seine Heimatregion für dings schon im nächsten Atemzug von ihm zu den besten Apfelwein weit und breit bekannt sei distanzieren. „Wir setzen dem Hass die Liebe – oder es zumindest sein sollte. Was folgte, war entgegen“, sagt zum Beispiel Lars Contzen. Der ein konsequenter Markenaufbau, auch hier wie- gebürtige Frankfurter hat zusammen mit Rocky der mit einem Keltereipartner, in diesem Fall die Musleh – gebürtiger Afghane – Anfang des Jah- Kelterei Müller aus Butzbach. Ähnlich wie Bem- res die Marke „Mein Main“ gegründet. Verkauft bel with Care setzt Dahlhaus dabei inzwischen wird der Apfelwein in einer ebenso edlen wie hauptsächlich auf eine Abfüllung der Sorten Pur, stylishen Glasflasche, deren Etikett das marken- Sauer, Süß und Cola in – von ihm selbst – modern bildende Herz zeigt. Dabei betont Contzen, dass gestaltete Getränkedosen. Mit seinem lokalen das Logo ursprünglich ein Produkt einer frei- Branding zeigt er sich dabei aber deutlich be- künstlerischen Arbeit und keineswegs für eine scheidener: „Wir haben nicht so ein Sendungs- kommerzielle Verwendung vorgesehen war. bewusstsein, unser Anspruch ist nicht die Aber es passte einfach so wunderbar, so Contzen Weltherrschaft“, sagt er, um dann aber lachend – und er muss es wissen, hinzuzufügen. „Aber wer denn er ist nicht nur weiß? Jack Daniel’s hat Künstler, sondern auch auch als kleiner Tennes- Inhaber einer Werbe- agentur für Markenauf- Wichtig ist, dass die see-Whiskey angefangen und ist heute die meist- bau: „Wichtig ist, dass die Marke glaubwürdig, Marke glaubwürdig, verkaufte amerikanische Whiskeymarke weltweit.“ authentisch und nicht aufgesetzt wirkt.“ authentisch und nicht Doch selbst wenn es bis dahin noch etwas Wie alle der Quer- einsteiger keltern auch aufgesetzt wirkt. dauert, immerhin kann Dahlhaus inzwischen von Lars Contzen und Rocky dem Geschäft mit dem Musleh ihren Apfelwein Wetterau-Äppler leben. nicht selbst. Partner ist in diesem Fall die Kelterei Während er die ersten drei Jahre „Born in the Trageser in Freigericht. „Die hatten wahrschein- Wetterau“ nur nebenberuflich betrieb, konzent- lich den größten Nachholbedarf in Sachen zeit- riert er sich seit Sommer 2017 voll auf den Aus- gemäßes Marketing, aber ihr Apfelwein war ein- bau und die Pflege der Marke. Besonders stolz fach der beste“, lacht Contzen. Bei der Zusam- ist er dabei auf seinen Hessen-Caipi, einen Som- menarbeit ging es aber trotzdem nicht nur dar- merdrink aus Apfelwein und Apfelschnaps, der um, den alten Wein in neuen Schläuchen zu ver- selbstverständlich ebenfalls aus Wetterauer Ap- kaufen, vielmehr wurden gemeinsam neue Krea- felwein gebrannt ist. tionen entwickelt, die auch neue Zielgruppen Bleibt noch der Wilde Hirsch. Auch hinter ansprechen sollen. So würde zum Beispiel der dieser neuen Marke steht erst einmal keine lan- Rosé – ein Apfelwein-Mischgetränk aus Apfel- ge Tradition des Apfelweinkelterns. „Nur eine wein, Apfelsaft und schwarzem Johannisbeer- lange Tradition des Apfelweintrinkens“, lacht saft – insbesondere junge Frauen ansprechen, Friedrich (Fritz) Krings. Zusammen mit seinem die zuvor überhaupt noch keinen Kontakt zum Bruder Maximilian kommt er eigentlich aus dem Stöffche hatten, erzählt Contzen. Und die Mar- Festival- und Musikbusiness. Und ihr Cidre „Der ketingstrategie geht auf: Trotz Corona brummt Wilde Hirsch“ entstand eher zufällig und durch- das gerade erst angelaufene Geschäft, die Kel- aus „wild“. Denn am Anfang war nicht etwa ein terei habe sogar schon vorgeschlagen, die Mar- tolles Getränk, sondern ein tolles Musikfestival: ketingaktivitäten etwas herunterzufahren, weil das „Sound of the Forest“, das 2009 erstmals im sie mit den Bestellungen kaum hinterherkämen. Odenwald stattfand. Aber weil die Krings-Brü- „Aber das kommt natürlich gar nicht in Frage.“ der wussten, dass es in Sachen Community-Buil-
STORY SEITE 17 ding und Markenbindung gut wäre, ein eigenes Dabei ist das Getränk schon längst nicht Festivalgetränk zu haben, mixten sie in großen mehr so wild wie in den Anfangstagen. Verant- 200-Liter-Kanistern selbst ein solches Mix-Ge- wortlich dafür ist nicht zuletzt der neue Kelterei- bräu aus Apfelwein und Marajucasaft zusam- partner, die Kelterei Heil aus dem Hochtaunu- men – schön grün, dank zugefügter Lebens- skreis. Zwar gibt es heute immer noch den mittelfarbe. Trotzdem kam das Getränk Klassiker mit Maracuja und inzwischen neben an, anfangs zählte wohl mehr der dem Puren auch noch eine Variante mit Holun- damit verbundene Lifestyle und der. Statt Lebensmittelfarbe setzt man heute das damit verbundene Festival- jedoch auf regionale Zutaten und Bioqualität. Feeling. Doch auch im nächsten Der Wilde Hirsch ist ein Stück weit erwach- und übernächsten Jahr ver- sen geworden und auf dem Weg, Deutsch- langten die Festivalbesucher wie- land zu erobern. Genauso wie Bembel der ihren Wilden Hirschen und with Care wenige Jahre zuvor. Ein irgendwann wollten sie es eben Vorbild? „Natürlich“, gibt Krings auch zu Hause oder in ihrer zu, auch sie wollten das Stöffche in Stammkneipe trinken, erzählt die Welt tragen. Die Botschaft sei Krings. Und damit war ein zweites dabei allerdings eine andere: Standbein geboren, das gerade „Auch unsere Festivals stehen im- jetzt in Corona-Zeiten, in denen mer für Diversität, Internationali- das Musik- und Festivalbusiness tät und Offenheit. Und was bringt weitgehend zum Erliegen gekom- Menschen besser zusammen als men ist, Gold wert ist. ein gutes Glas Äppler?“
SEITE 18 INTERVIEW Er hat Hunderte Hessen im Landschaftsobstbau fortgebil- det: ein Interview mit „Wan- STREUOBSTWIESE derlehrer“ Josef Weimer über Baumpflege, die Wiederent- Bäume der deckung bäuerlichen Wissens und die Zukunft der Streuobst- wiesen. Erkenntnis Wie sieht ein gut gewachsener und gepflegter hochstämmiger Obstbaum aus? Ein erwachsener Baum hat eine klare Struktur mit drei oder vier stabilen Gerüstästen, die gut ver- teilt und nicht zu steil vom Stamm abgehen. Aus ihnen sind balkonartig die untergeordneten Fruchtäste gewachsen. Die Regel ist: In der Auf- richte treibt es, in der Waagrechten fruchtet es. Die Krone ist ausgelichtet, denn Belüftung und Belichtung sorgen für geringen Pilzbefall und gut Fotos: Felix Russ
INTERVIEW SEITE 19 ausgereifte Früchte. Durch jeden Baum muss eine Ja, die Baumbestände sind nicht nur überaltert, Josef Weimer Krähe fliegen können. Und wir brauchen freie sondern vergreist und viele Wiesen sind ver- Der Gärtnermeister hat Leitergassen in der Krone, damit wir pflegen und buscht. Zwar wurden in den vergangenen Jahr- seine Passion für Garten- ernten können. Eine solche Struktur muss in den zehnten hier und da wieder Nachpflanzungen bzw. Landschaftsobstbau ersten Jahren angelegt werden: Alles, was man gefördert. Man hat aber unterschätzt, dass Land- stets mit pädagogischer hier unterlässt, kann später zum Problem werden. schaftsbäume Pflege benötigen. Das ist ja das Arbeit verbunden. So war Besondere an den Streuobstwiesen: Es sind Bio- er lange Gartenbaulehrer Der Baum muss erzogen werden? tope, die durch ihren stockwerkartigen Aufbau an einer Waldorfschule. Man gestaltet seine Biografie. In der Jungphase von Gras-, Kraut- und Baumschicht eine starke Seit 2013 selbstständig, geht es darum, die zukünftige Vitalität, Stabilität Lebendigkeit und große Artenvielfalt hervor- gibt er Kurse sowie Semi- und Struktur vorzubereiten. Bis ein Baum sicher bringen – und die gleichzeitig auf die pflegende nare (siehe auf der nächsten auf „eigenen Wurzeln“ steht, muss ich ihn schüt- Hand des Menschen angewiesen sind. Seite „Die Fortbildung“) zen, zum Beispiel vor Verbiss, pflegen und näh- und leistet Fachberatung. ren. Für die Versorgung mit Vitalstoffen ist zum Mit Ihren Vorträgen, Kursen und Fortbildungen Josef Weimer lebt in Beispiel der richtige Umgang mit der Baumschei- bilden Sie „Pflegekräfte“ aus. Auch auf diesem Schaafheim im Landkreis be wichtig. Um die Struktur muss ich mich küm- Feld gibt es ein Generationsproblem. Darmstadt-Dieburg und mern, weil Bäume ihrem Entwicklungsmotiv nach Das kann man so sagen. Wie oft habe ich bei bewirtschaftet in Kirchzell in die Aufrichte streben: Von sich aus würden die Obst- und Gartenbauvereinen Vorträge gehal- im Odenwald Streuobst- Birne, die Süßkirsche und viele Apfelsorten ein- ten und war mit der jüngste Anwesende. Aber wiesen mit rund 200 fach hoch hinauswachsen. Obsternte würde dann da ist zum Glück einiges in Bewegung gekom- Bäumen, auf denen 80 auf Leitern in zehn Meter Höhe unter Lebensge- men. Wenn ich heute eine Fortbildung zum Obstsorten, darunter 15 fahr stattfinden. Das ist nicht unser Ziel. Und Landschaftsobstbauer gebe, kommen da ganz Wildapfelsorten, wachsen. ohne ein tragfähiges Kronengerüst kann ein gemischte Gruppe zusammen, Männer und Frau- www.josef-weimer.de Baum auch nicht zentnerweise Obst tragen. Er en, jung und alt, von Förster, Baumpfleger und würde brechen. Also forme ich in den ersten fünf Landwirt über Pädagoge und Hobbygärtner bis bis zehn Jahren mit Erziehungsschnitten und zum städtischen Angestellten, der von seiner -maßnahmen die gewünschte Kronenstruktur. Kommune geschickt wurde. Ich hatte auch schon junge Eltern in meinen Kursen, die ihren Urlaub Macht ein Baum in der Reifezeit dann weniger lieber mit den Kindern in der Obstwiese ver- Arbeit? bringen wollten als in die Ferne zu fliegen. Die Aufgaben der Pflege ändern sich: Es geht zum einen darum, das aufgebaute Grundgerüst Wir erklären Sie sich das wachsende Interesse? zu erhalten, und zum zweiten, ein Gleichgewicht Ich glaube, dass viele Menschen eine Art Verlust zwischen Trieb- und Fruchtbildung herzustellen: spüren. Unsere Gesellschaft wurde ja relativ ab- Treibt der Baum zu stark, geht das zulasten der rupt von einem alten, aber elementaren Wissen Fruchtbildung. Aber zu viele Früchte sind auch abgeschnitten. Vor 100 Jahren sind die meisten nicht gut. Das kann ich regulieren, indem ich in noch in und mit der Landwirtschaft großgewor- der Blütephase den Fruchtbehang ausdünne den und Landwirtschaft war noch Teil jedes aka- oder die Triebe reduziere. Das ist wie beim er- demischen Studiums. Auch Lehrer und Ärzte wachsenen Menschen: Der muss auch schauen, kannten sich mit Bienenzucht, Obstschnitt oder dass er es nicht übertreibt und eine gute Balance Viehwirtschaft aus. Noch unsere Großeltern ver- zwischen Spannung und Entspannung findet. fügten über eine intime Kenntnis der Sorten, die in dem Obstgürtel wuchsen, der ihr Dorf umgab. Wenn man das bei sich selbst schon schwierig Für die Selbtversorgung war dieses Wissen wich- findet: Woran merkt man, dass ein Baum im tig. Manche Apfelsorten sind früh reif, andere las- Gleichgewicht ist? sen sich lange lagern, dritte sind so robust, dass sie Beim Obstbaum gibt es ein Maß: Wächst ein Trieb auch späten Frost überstehen. Während die einen im Jahr zwischen fünf und 30 Zentimetern und perfekt für Saft sind, eignen sich andere für Kom- kommen auf eine Frucht rund 30 bis 40 Blätter pott oder Dörrobst. Beim Horneberger Pfannku- am Ast, ist ein gutes Gleichgewicht gefunden. chenapfel verrät schon der Name den Zweck. Wir haben über gepflegte Obstbäume gespro- Sie haben von einem „abrupten Bruch“ gespro- chen. Die Realität auf vielen hessischen Streu- chen. Wann fand der statt? obstwiesen sieht anders aus: Hier herrscht akuter Der Obstbau als Kulturgut und Teil des bäuerli- Pflegenotstand. chen Betriebes hatte um 1930 seinen Höhe-
SEITE 20 INTERVIEW In seinen Kursen zum Landschaftsobstbau geht es Josef Weimer um weit mehr als reine Schnitttechniken. Die Fortbildung punkt. Nach und nach aber wurde der Obstbau stand, kann man nicht gleich wieder einen Apfel- Vor rund zehn Jahren hat intensiviert. Dann kamen die schwachen Unter- baum pflanzen, man schafft mit einer Kirsche Josef Weimer die einjährige lagen auf, also kurzstämmige Bäume. Ab 1960 oder einer Zwetschge einen Wechsel. Generatio- Spezialfortbildung zum führte dies zusammen mit neuen Formen des nen von Obstbauern haben das befolgt. Auf der „Zertifizierten Landschafts- Pflanzenschutzes und Sortenzüchtungen zum Plantage geht das nicht, dort folgt Apfel auf Ap- obstbauer“ entwickelt und Aufstieg des erwerbsmäßigen Plantagenanbaus. fel. Das wird umso mehr zum Problem, weil Plan- diese zunächst über den Fortan ging es um Märkte, Wirtschaftlichkeit tagensträucher im Gegensatz zu Landschaftsobst- Landschaftspflegeverband und maximale Erträge. Die Politik förderte dies bäumen, die sehr alt werden können, schon nach Main-Kinzig-Kreis ange- bis in die 1980er-Jahre hinein, indem sie Prämien rund 30 Jahre ersetzt werden müssen. Deswegen boten. Viele weitere für die Rodung von Landschaftsobstbäumen und gibt es schon jetzt, in der zweiten oder dritten Veranstalter folgten. Um für die Anlage von Plantagen zahlte. In Hessen Generation, eklatante Wuchsprobleme. die Verbandskommunen hat sich die Zahl von Landschaftsobstbäumen so bei der Erhaltung ihrer binnen 30 Jahren von 12 Millionen auf 1,5 Milli- Wie hat sich der vorherrschende Erwerbsanbau Streuobstwiesen zu unter- onen reduziert. Übrigens ist auch der Begriff auf die Sortenvielfalt ausgewirkt? stützen, bietet der Regional- Streuobst eine Folge dieser Zeit: Er meint die Re- Aus der Vielfalt Tausender Sorten hat er Einfalt verband FrankfurtRhein- likte des einstigen bäuerlichen Obstbaus, die die gemacht. Die modernen Züchtungen, die zu Main den Kurs speziell für zunehmende Besiedelung, Rodung und Flurbe- Leitsorten erkoren wurden, haben neben markt- kommunale Mitarbeiter- reinigung „verstreut“ überstanden haben. Ich tauglichen Vorzügen alle auch Nachteile. Der innen und Mitarbeiter an selbst spreche lieber vom Landschaftsobstbau, Golden Delicious bringt schnell Erträge und dies – siehe Seite 6. weil das die Beziehungen des Baums mit und in in Masse – ist aber extrem schorfanfällig. Der Cox der Landschaft betont. Orange hat ein wunderbares Aroma – und eine Disposition für Mehltau. Der Jonathan besticht Mit dem Rückgriff auf den bäuerlichen Land- durch eine schöne Rotfärbung – und neigt zum schaftsobstbau, auf die Wiese mit ihren Hoch- Holzkrebs. Durch den uferlosen Anbau der Sor- stämmen, grenzen Sie sich auch von dem moder- ten haben sich auch ihre Krankheitsdispositio- nen Erwerbsobstbau, den Plantagen mit ihren nen genetisch verbreitet. Auch das versucht der Sträuchern, ab. Erwerbsanbau mit einem immer stärkeren Ein- Der Plantagenanbau ersetzt bunte Wiesen durch satz von Pestiziden auszugleichen und bekämpft Monokulturen. Seine schwachen Unterlagen ma- dabei doch nur Symptome. chen Pflege und Ernte effizienter, aber die Bo- dennähe fördert die Pilz- und Frostanfälligkeit. Sie plädieren für eine Kehrtwende zurück zur Ein strukturelles Problem hat damit zu tun, dass Wiese bzw. in die Landschaft? Ist das unter dem Obstbäume Rosengewächse sind. Bei diesen muss Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit über die Ni- man Fruchtfolgen einbauen: Wo ein Apfelbaum sche hinaus realistisch?
THEMEN SEITE 21 Die vorherrschende Form der Ertragsorientie- rung ist maßlos. Hier werden eher Krankheits- mittel statt Lebensmitteln hergestellt. Und die Folgekosten für Umwelt und Gesellschaft sind so groß, dass es langfristig nicht wirtschaftlich ist. Auch in dem Landschaftsobstbau, wie ich ihn vertrete, geht es um Ertrag und um Wirtschaft- lichkeit – aber auf eine nachhaltige Weise. Des- wegen glaube ich, dass ihm die Zukunft gehört. Auch über der Zukunft des heimischen Obstbaus schwebt die Bedrohung durch den Klimawandel. Wir haben nun drei sehr trockene Jahre hinterei- nander – es ist eine Katastrophe. Die Folgen des Trockenstresses erlebe ich auf meinen Wiesen. In diesem Sommer habe ich etwas entdeckt, was ich noch nie zuvor gesehen habe: Das „Most- wunder“ Hilde, ein traditioneller Kelterapfel, hat Sonnenbrand bekommen. Anders ist es beim Roten Trierer Weinapfel: Er hat ein anderes Ver- hältnis von Süße und Säure und zeigt keinerlei Anzeichen von Sonnenbrand. Wir werden nicht darum herumkommen, Sorten nachzupflanzen, die mit den neuen Klimaverhältnissen besser zu- rechtkommen. Und ich fürchte, dass wir die Hil- de vergessen können. Wir haben über Überalterung, Pflegenotstand und fehlendes Pflegepersonal gesprochen, über Dauerstress, neue Krankheitssymptome und pharmazeutische Symptombekämpfung: Man könnte meinen, dass sich im Obstbau aktuelle Probleme der Gesellschaft widerspiegeln. Im Grunde versuche ich, genau das zu vermit- teln: Alles steht miteinander in Beziehung und interagiert – sei es Gesellschaft und Individuum, sei es Wiese und Baum. Wenn ich einen gesun- den Baum haben will, muss ich mich auch um die Wiese kümmern. Zum Beispiel mähe ich diese nie komplett. Dadurch gibt es immer Blühimpluse, also Vielfalt. Oder: Indem ich Fledermauskästen anbringe, hole ich mir genau die Tiere auf die Wiese, die am besten gegen die Obstmade, den Apfelwickler, helfen. Meine Kurse sind Einladun- gen, sich selbst in Beziehung zu dem Baum zu setzen, ihn aus verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten und nicht nur technisch wahrzu- nehmen. Zu einem Baum gehören seine sorten- typischen Eigenheiten und seine Wuchsgesetze ebenso wie der Duft der Blüten, das Summen der Insekten oder das Rauschen der Blätter. Ich bin überzeugt, dass die Beschäftigung mit Bäumen helfen kann, sich selbst ein bisschen besser zu verstehen. Daneben bin ich aber einfach gerne bei meinen Bäumen.
SEITE 22 KOLUMNE Sauers Sicht Diesmal: Dürre Realitäten. Wie die Trockenheit unsere Obstbäume stresst und wie man ihnen helfen kann Der dritte Dürresommer in Folge hat un- Rückschnitt gilt, dass weniger oft mehr reichend groß sein, die darin befindliche sere Streuobstbestände weiter ge- ist. Viele der alten Obstbäume sind mit Erde sollte gelockert und gedüngt sein. schwächt. Vor allem die leichten, sandi- Nährstoffen unterversorgt. Unter dem Es empfiehlt sich, den Jungbaum in ei- gen Böden des Rhein-Main-Gebiets sind Kronenbereich sollte daher gedüngt nen Wühlmausdrahtkorb zu pflanzen. derzeit bis in die tieferen Bodenschich- werden. Ideal sind Stallmist und reifer Ein stabiler Baumpfahl begünstigt sein ten durchtrocknet. Einige Obstbäume Kompost, auch Horn- und Gesteinsmehl Anwachsen. Der Verbissschutz aus lufti- sind dadurch ganz oder in Teilen ver- verbessern den Boden. Wo immer es gem Drahtgeflecht sollte mit Abstand dorrt, Trockenstress macht sie anfälliger geht, sollten Nützlinge gefördert wer- zum Stamm installiert werden. Wichtig für Krankheiten und Schädlinge. Beson- den (z.B. durch Nistkästen, Insektenho- ist auch, dass die Pflanzscheibe über ei- ders betroffen sind Flachwurzler wie tels, Stein- oder Gehölzhaufen) und nen ordentlichen Gießrand verfügt. Äpfel und Kirschen. Was kann man an- Schädlinge moderat bekämpft werden. Faustregel hier: Eine Baumscheibe von gesichts dieser „dürren Realität“ auf Neben der intensiven Pflege geht einem Meter Durchmesser mit einem den Wiesen tun? Vor allem zwei Maß- es darum, unsere Wiesen durch Neu- etwa 10 Zentimeter hohen Gießrand nahmenbündel scheinen ratsam. fasst 80 Liter Wasser. Zum einen: Eine intensive Pflege Eine Streuobstwiese zu bewirt- soll die Vitalität der Bäume erhalten schaften macht Arbeit, gerade bei einer bzw. stärken. Bei anhaltender Trocken- heit sollten auch ältere Obstbäume ge- Pflegen, was Neupflanzung. Es lohnt sich aber – we- gen der Früchte und weil wir dadurch wässert werden. Dabei gilt: Lieber sel- ten, aber ausgiebig. Denn ist die Erde da ist. Und neu- bzw. einen der wertvollsten Lebensräume in unserem Land erhalten. Welchen klima- gut durchfeuchtet, bilden sich die Wur- zelsysteme tiefer aus. Über den Daumen nachpflanzen! tischen Belastungen und Wetterextre- men unsere Obstbäume in Zukunft aus- gepeilt, sollten es einmal pro Woche 50 gesetzt sein werden, wird allerdings bis 100 Liter Wasser je Baum sein. Ein an- nicht „auf der Wiese“ entschieden. Das derer Tipp: Vor den ersten Frösten soll- bzw. Nachpflanzungen zu verjüngen. Im hängt maßgeblich davon ab, ob die ten die Stämme mit einer groben Draht- Herbst ist die beste Pflanzzeit für Obst- Welt bereit ist, den Weg zu einer klima- bürste abgebürstet und abgekehrt, bäume, ideal ist hochstämmige, wurzel- freundlichen, nachhaltigen Produk- dann mit einer weißen, beständigen nackte Ware (siehe S. 9). Dazu sollte der tions- und Lebensweise einzuschlagen. Stammschutzfarbe bestrichen werden. Standort beachtet werden. Zu leichte Das schützt die Rinde vor Schäden durch und sandige Böden sowie Hanglagen Frost sowie Hitze und beugt Pilz- und sind in Trockenzeiten problematisch. An- Bastian Sauer ist ausgebildeter Landschafts- Schädlingsbefall vor. Wenn das Laub ge- gesichts des fortschreitenden Klimawan- gärtner und studierter Biologe. Beim Regional- fallen ist, ist es – je nach Alter und Zu- dels sollten robuste, regionaltypische verband FrankfurtRheinMain ist er als Regio- stand des Baumes – Zeit für einen zielge- Sorten ausgewählt werden, die mit Tro- naler Streuobstbeauftragter tätig. richteten Erziehungs-, Pflege- oder ckenheit und großer Hitze besser zu- Ihre Meinung zum Thema? Schreiben Sie an Erhaltungsschnitt (siehe S. 18). Beim rechtkommen. Das Pflanzloch muss aus- sauer@region-frankfurt.de
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