Die zweite Eroberung Das EU-Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru - Thomas Fritz - FDCL

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Die zweite Eroberung Das EU-Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru - Thomas Fritz - FDCL
Die zweite Eroberung
Das EU-Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru
Thomas Fritz

         Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL), Berlin

         Transnational Institute (TNI), Amsterdam
Die zweite Eroberung
Das EU-Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru
Thomas Fritz | FDCL (Berlin), TNI (Amsterdam) | September 2010

Herausgegeben von:
Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika
– FDCL e.V.
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D-10961 Berlin
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eMail: tni@tni.org / Internet: http://www.tni.org
Autor:    Thomas Fritz
Verlag:   FDCL-Verlag, Berlin
Titelfoto: Miguel Araoz, Quisca producciónes, Peru / Proteste gegen
hohe Nahrungsmittelpreise in Cuzco (Peru), Dezember 2008.
Dieses Projekt wird gefördert durch die Europäische Union.
DISCLAIMER: Diese Publikation wurde produziert mit der
Unterstützung der Europäischen Union. Der Inhalt der Publikation
liegt in der alleinigen Verantwortung des Autors und kann in keiner
Weise als Sichtweise der Europäischen Union angesehen werden.
ISBN: 978-3-923020-49-2
© FDCL-Verlag, Berlin, 2010
Die zweite Eroberung
Das EU-Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru

Thomas Fritz

Transnational Institute - TNI, Amsterdam
Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika - FDCL, Berlin
September 2010
INHALT

    1 Einleitung                                                3

    2 Teile und herrsche: Zerschlagung der Andengemeinschaft   4

    3 Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien                  6
    3.1 Europäischer Extraktivismus: Landraub und Gewalt       7
    3.2 Staatsterror: Parapolitik, Armee und Agenten           9

    4 Menschenrechtsverletzungen in Peru                       13

    5 Recht des Stärkeren: Das Freihandelsabkommen             16
    5.1 Monopolisierung von Medikamenten und Saatgut           17
    5.2 Verrechtlichung der Biopiraterie                       20
    5.3 Zahnlose Sozial- und Umweltstandards                   22

    6 Die Ratifizierung stoppen                                24

    Endnoten                                                   26

2
1 EINLEITUNG
Am 19. Mai 2010 wurde das Freihandelsabkom-              Die Analyse des Vertragsentwurfs konzentriert
men zwischen Peru, Kolumbien und der Europä-         sich auf Risiken der forcierten Liberalisierung des
ischen Union beim EU-Lateinamerika-Gipfel in         Güter- und Dienstleistungshandels, der Direktin-
Madrid unterzeichnet. Gleichwohl tritt das Ab-       vestitionen und der geistigen Eigentumsrechte.
kommen damit noch nicht in Kraft, denn noch          Besonderes Gewicht liegt dabei auf den weitrei-
müssen das Europäische Parlament sowie der           chenden Regelungen zum geistigen Eigentum, die
kolumbianische und peruanische Kongress zu-          den freien Zugang zu Medikamenten und Saatgut
stimmen. In der EU bedarf es möglicherweise          gefährden und der Biopiraterie Vorschub leisten
zusätzlich der Ratifizierung durch die Parlamen-     können. Erschwerend kommt hinzu, dass der Ver-
te der Mitgliedstaaten. Im Europaparlament wird      trag nur unzureichend internationale Sozial- und
die Debatte über die Annahme für Anfang 2011         Umweltstandards berücksichtigt. Vor allem man-
erwartet. Doch aufgrund der sozialen und ökolo-      gelt es an effektiven Sanktionsmöglichkeiten bei
gischen Risiken des Abkommens sowie der zahl-        Verstößen gegen internationale Normen.
reichen Menschenrechtsverletzungen vor allem in          Diese Publikation entstand im Rahmen einer
Kolumbien, aber auch in Peru, regt sich nicht nur    Kooperation zwischen dem Transnational Institute
der Protest von zivilgesellschaftlichen Gruppen,     (TNI) in Amsterdam und dem Forschungs- und Do-
sondern auch von manchen Abgeordneten. Unter         kumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL)
Gewerkschaften und sozialen Bewegungen stößt         in Berlin. Beide Institutionen verfolgen bereits seit
der Vertrag auf breite Ablehnung. Sie fordern, ihn   vielen Jahren die Freihandelsagenda der Europäi-
nicht zu ratifizieren.                               schen Union. Mit diversen Veröffentlichungen und
    Die vorliegende Broschüre bietet einen Über-     Veranstaltungen informieren das TNI und das FDCL
blick zur Vorgeschichte des Freihandelsabkom-        über die sozialen, menschenrechtlichen und ökolo-
mens und zur Menschenrechtslage in Kolumbien         gischen Folgen der Freihandels- und Assoziations-
und Peru sowie eine kritische Analyse des Ver-       abkommen, die die EU mit lateinamerikanischen
tragsentwurfs, der kürzlich an die Öffentlichkeit    Staaten und anderen Ländern des Südens aushan-
gelangte. Profiteure des Freihandelsabkommens        delt oder bereits unter Dach und Fach brachte.
wären vor allem europäische Unternehmen, die
entweder in den beiden Andenländern geschäft-
lich aktiv sind oder mit ihnen Handel treiben.
Daher schildert der Text Aktivitäten europäischer
Konzerne in Kolumbien und Peru sowie ihre Ver-
strickung in Menschenrechtsverletzungen, dies
vor allem in den extraktiven Wirtschaftszweigen
Landwirtschaft, Bergbau und Energie.

                                                                                                             3
2 TEILE UND HERRSCHE:
    ZERSCHLAGUNG DER ANDENGEMEINSCHAFT

    Im Juni 2007 begannen die Verhandlungen zwi-           seiner Sojaproduktion in diese beiden Länder, die
    schen der Europäischen Union und den vier Mit-         sich nun aber verpflichteten, ihren Agrarmarkt suk-
    gliedstaaten der Andinen Gemeinschaft von Na-          zessive gegenüber dem hochsubventionierten US-
    tionen (Comunidad Andina de Naciones - CAN)            amerikanischen Agrobusiness zu öffnen, und damit
    Bolivien, Ekuador, Peru und Kolumbien über ein         die bolivianischen Absatzchancen gefährdeten.
    sogenanntes Assoziierungsabkommen, welches                 Im Vorfeld der Verhandlungen mit der Europäi-
    aus drei Säulen bestehen sollte: politischer Dialog,   schen Union legte die Regierung von Evo Morales
    Entwicklungszusammenarbeit und – das eigentli-         einen 17 Punkte umfassenden Kriterienkatalog vor,
    che Herzstück des Vertrags – der Freihandel. Nach-     dem das Assoziierungsabkommen genügen soll-
    dem die EU zuvor bereits bilaterale Assoziations-      te. Nach den Vorstellungen Boliviens müsse der
    abkommen mit Mexiko und Chile unterzeichnete,          Vertrag dazu beitragen, das enorme wirtschaft-
    handelte es sich nunmehr um einen Handelsver-          liche Gefälle zwischen der EU und der Andenge-
    trag zwischen zwei Integrationsblöcken. Doch war       meinschaft abzubauen. Die Verhandlungen sollten
    allen Beteiligten im Vorfeld die mögliche Konflikt-    unter Einschluss der Zivilgesellschaft erfolgen, die
    trächtigkeit klar.                                     andine Integration vertiefen, den Schutz der Bin-
        Noch im Jahr 2006 gehörte auch Venezuela der       nenmärkte erlauben, die Ernährungssouveränität
    Andengemeinschaft an, verließ diesen Block aber        erhalten und den freien Zugang zu Basisdienstleis-
    im April des Jahres, nachdem Peru ein Freihandels-     tungen gewährleisten.1
    abkommen mit den USA unterzeichnete und Ko-                Auch die Regierung Ekuadors meldete Vorbe-
    lumbien ebenfalls mit den US-Amerikanern einen         halte gegenüber dem breiten Verhandlungsansatz
    solchen Vertrag aushandelte. Venezuela kritisier-      der EU-Kommission an, der nicht nur den tradi-
    te, dass diese bilateralen Handelsverträge gegen       tionellen Güteraustausch, sondern auch die Dere-
    die Regeln der Andengemeinschaft verstießen, die       gulierung von Investitionen, Dienstleistungen und
    die Berücksichtigung der Auswirkungen von Ab-          Staatsaufträgen sowie den weitreichenden Schutz
    kommen mit Drittstaaten auf die nicht beteiligten      geistiger Eigentumsrechte europäischer Konzerne
    CAN-Mitglieder vorsehen. Die andine Integration        umfasst.2 Hinzu kam, dass Ekuador, der größte Ba-
    werde durch Importe und Investitionen aus den          nanenexporteur der Welt, zu jener Zeit noch mit
    USA unterlaufen, welche den gesamten Block be-         der EU über deren Bananenmarktordnung stritt
    treffen könnten, nicht nur die Märkte der beiden       – ein Konflikt, der erst im Dezember 2009 bei der
    Unterzeichnerstaaten.                                  Welthandelsorganisation WTO zu einer Einigung
        Ähnliche Befürchtungen trieben auch Bolivien       führte.
    um, das bereits Exporteinbußen durch die US-Ver-           Innerhalb der Andengemeinschaft setzten sich
    träge mit Peru und Kolumbien fürchten musste.          Bolivien und Ekuador – im Vergleich zu Kolumbien
    Das Land exportierte bis dahin rund ein Drittel        und Peru wirtschaftlich schwächere Länder – für

4
eine diversifizierte Strategie ein, die einerseits die   handelsabkommen bereit seien. Zugleich fügte sie
Einheit der Gemeinschaft bewahrt hätte, anderer-         hinzu, „dass die Verhandlungen jederzeit für alle
seits diesen beiden Ländern gesonderte Schutz-           CAN-Mitglieder offenstehen, die dies wünschen.“6
rechte einräumen sollte. Am 8. Juni 2007 verab-              Im Januar 2009 wurden die Gespräche neu
schiedeten die vier CAN-Mitglieder gemeinsam             aufgenommen. Nunmehr aber ging es nicht mehr
die Entscheidung 667 (Decisión 667), die diesen          um ein Assoziationsabkommen, sondern um ein
Bedürfnissen entgegenkam.3                               Freihandelsabkommen: Die Säulen politischer Di-
    Danach sollte das Assoziierungsabkommen              alog und Entwicklungszusammenarbeit fielen un-
mit der EU die Asymmetrien innerhalb der Anden-          ter den Tisch. Auf Seiten der Andengemeinschaft
gemeinschaft berücksichtigen, indem die einzelnen        nahm neben Peru und Kolumbien zunächst auch
CAN-Mitglieder Liberalisierungsverpflichtungen-          Ekuador teil, das sich jedoch im Juli 2009 aufgrund
unterschiedlicher Tiefe hätten übernehmen kön-           des Bananenstreits mit der EU wieder zurückzog.
nen. Das biregionale Abkommen müsse Bolivien             Im März 2010 bereits kamen die „Multi-Partei-
und Ekuador eine sogenannte „Sonder- und Vor-            en“-Verhandlungen zum Abschluss und am 19.
zugsbehandlung“ (Trato Especial y Diferenciado)          Mai 2010 wurde der Freihandelsvertrag zwischen
einräumen, ein traditionelles handelspolitisches         Peru, Kolumbien und der Europäischen Union beim
Prinzip zugunsten von Entwicklungsländern, das           EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid unterzeichnet.
– wenn auch in abgeschwächter Form – auch in die         Doch tritt er damit noch nicht in Kraft, denn noch
WTO-Verträge Eingang fand.4 Trotz dieser gemein-         müssen das Europaparlament sowie der kolumbi-
schaftlichen CAN-Entscheidung aber bekundeten            anische und peruanische Kongress zustimmen. In
die neoliberalen Regierungen Kolumbiens und Pe-          der EU ist unter Umständen auch die Ratifizierung
rus gegenüber der EU in der Folge ihren Wunsch,          durch die Parlamente der Mitgliedstaaten erforder-
bilateral, d.h. an der Andengemeinschaft vorbei,         lich.
Freihandelsabkommen auszuhandeln.5                           Bolivien betonte unterdessen, sich niemals
    Am 30. Juni 2008 schließlich sagte die EU-           selbst aus den interregionalen Verhandlungen mit
Kommission überraschend die vierte biregionale           der Europäischen Union zurückgezogen zu haben,
Gesprächsrunde ab, die Mitte Juli in Brüssel hätte       und reichte im Februar 2010 Klage beim Gerichts-
stattfinden sollen, und legte die Verhandlungen          hof der Andengemeinschaft (Tribunal de Justicia de
mit Verweis auf die CAN-internen Konflikte auf Eis.      la Comunidad Andina) ein. Die Regierung von Evo
Im November 2008 wiederum kündigte die seiner-           Morales wirft Kolumbien, Peru und Ekuador unter
zeitige EU-Kommissarin für auswärtige Beziehun-          anderem vor, gegen die in der CAN-Entscheidung
gen, Benita Ferrero Waldner, an, die Kommission          667 vorgenommene Festlegung auf gemeinsame
wolle nunmehr nur noch mit Peru und Kolumbien            Verhandlungen mit der EU verstoßen zu haben.7
weiterverhandeln, da diese Länder zu einem Frei-

                                                                                                               5
3 MENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN IN
    KOLUMBIEN

     An dem Großteil der Menschenrechtsverletzungen         tungen bleiben ungesühnt. Nur in einem Bruchteil
    in Kolumbien – Zwangsvertreibungen, Morde an            der Fälle nehmen die staatlichen Behörden über-
    GewerkschafterInnen, extralegale Hinrichtungen,         haupt Ermittlungen auf, nur vereinzelt kommt es
    Folter und „Verschwindenlassen“ sozialer Aktivis-       zu Verurteilungen.
    tInnen – sind staatliche Akteure direkt oder indirekt       Für GewerkschafterInnen ist Kolumbien das
    beteiligt. Mehreren kolumbianischen Regierungs-         gefährlichste Land der Erde. Seit dem Amtsan-
    mitgliedern konnten Verbindungen zu rechtsextre-        tritt Álvaro Uribes im Jahr 2002 wurden über 500
    men paramilitärischen Gruppen nachgewiesen wer-         GewerkschafterInnen ermordet. Zwei Drittel der
    den, auf deren Konto der Großteil der Verbrechen        weltweiten Morde an GewerkschafterInnen finden
    geht. Polizei und Militär, die ebenfalls zahlreiche     in Kolumbien statt. Fundamentale Gewerkschafts-
    Menschenrechtsverletzungen begehen, kooperieren         rechte wie die Vereinigungsfreiheit, das Streikrecht
    bis heute mit Paramilitärs, die sie für den Kampf       und das Recht auf Kollektivverhandlungen werden
    gegen Oppositionelle, Gewerkschaften und Gueril-        nicht respektiert. Die gewerkschaftsfeindliche Poli-
    las ausrüsteten. Aber auch die beiden wichtigsten       tik zusammen mit der massiven Repression schlägt
    gegen die Regierung kämpfenden Guerilla-Gruppen         sich in einem überaus niedrigen Organisationsgrad
    FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Co-            von weniger als fünf Prozent der ArbeitnehmerIn-
    lombia) und ELN (Ejército de Liberación Nacional)       nen nieder. Nicht einmal zwei Prozent der Beschäf-
    verüben Menschenrechtsverletzungen wie Morde,           tigten sind durch einen Tarifvertrag erfasst.8
    Entführungen und Zwangsrekrutierungen.                      In den letzten beiden Jahren nahm die Gewalt
        Die konservative Regierung von Álvaro Uribe         gegen GewerkschafterInnen deutlich zu. Im Jahr
    indes blieb bis zuletzt unwillig, die mit staatlicher   2008 wurden 49, im Jahr 2009 48 Gewerkschafte-
    Unterstützung begangenen Verbrechen mit dem             rInnen ermordet. Die von den Morden am stärks-
    nötigen Nachdruck zu verfolgen. Auch unter Uribes       ten betroffene Gewerkschaft war mit 19 Fällen die
    Nachfolger Juan Manuel Santos, der die Stichwahl        Lehrergewerkschaft FECODE, gefolgt vom Natio-
    um die Präsidentschaft am 20.6.2010 gewann, ist         nalen Gewerkschaftsverband der Land- und Vieh-
    eine Besserung der prekären Menschenrechtslage          wirtschaft FENSUAGRO, der 11 Morde zu beklagen
    kaum zu erwarten. Santos, der zuvor Verteidi-           hatte. Hinzu kamen allein im vergangenen Jahr min-
    gungsminister der Regierung Uribe war, kündigte         destens 500 Anschläge auf das Leben, die Freiheit
    die Fortsetzung der umstrittenen Politik der „de-       oder die körperliche Unversehrtheit von Gewerk-
    mokratischen Sicherheit“ seines Vorgängers an.          schafterInnen. Gewerkschaftsfeindliche Praktiken
        Diese aber zeichnet sich durch eine extreme         sind in den Betrieben überaus verbreitet. Auf den
    Straflosigkeit aus: 97 Prozent der Morde an Ge-         Beitritt von 185 ArbeiterInnen der Palmöl-Plantage
    werkschafterInnen, 98 Prozent der Zwangsvertrei-        Finca Palo Alto zur nationalen Landarbeitergewerk-
    bungen und 99 Prozent der extralegalen Hinrich-         schaft SINTRAINAGO reagierte die Betriebsleitung

6
mit der umgehenden Entlassung der ArbeiterInnen.      Ein großer Teil der Opfer besaß Land, das sich Un-
Ebenso versucht die kolumbianische Niederlassung      ternehmen, die mit den Paramilitärs kollaborieren,
des spanischen Energiekonzerns Unión Fenosa,          illegal aneigneten. Nach Angaben der Menschen-
Electricaribe, durch Repression den gewerkschaft-     rechtsorganisation CODHES (Consultoría para los
lich organisierten und tarifvertraglich geschützten   Derechos Humanos y el Desplazamiento) mussten
Teil seiner Belegschaft zu minimieren.9               die vertriebenen Familien seit dem Jahr 2000 eine
    Häufig geht die gewerkschaftsfeindliche Un-       Fläche von 5,5 Millionen Hektar Land zurücklassen
ternehmenspraxis Hand in Hand mit paramilitäri-       – ein Gebiet, größer als die Schweiz.12
schem Terror. Ein Dokument der beiden kolumbi-            Von 2002 bis 2006 initiierte die Uribe-Regie-
anischen Unión Fenosa-Töchter, Electricaribe und      rung einen wenig erfolgreichen Demobilisierungs-
Electrocosta, beschuldigte GewerkschafterInnen        prozess, in dessen Rahmen zwar rund 30.000
ihrer Betriebe Mitglieder von Guerillagruppen zu      Paramilitärs der rechtsextremen AUC (Autodefen-
sein – ein lebensbedrohlicher Vorwurf in Kolum-       sas Unidas de Colombia) ihre Waffen abgaben, je-
bien. Acht Unión Fenosa-Gewerkschafter wurden         doch viele von ihnen aktiv blieben. Nur wenigen
zwischen 2000 und 2005 ermordet. Gewerkschaf-         Demobilisierten wurde der Prozess gemacht und
ten vermuten Paramilitärs als Täter, doch eine Auf-   nur selten kam es zur Rückgabe der geraubten
klärung steht noch aus. Das kolumbianische An-        Grundstücke. Rund 45.000 Hektar wurden bisher
waltskollektiv José Alvear Restrepo fordert, dass     an den Staat zurückgegeben – weniger als ein Pro-
der Zusammenhang zwischen den Unión Fenosa-           zent des geraubten Landes. Der Großteil verbleibt
Dokumenten und den Morden gerichtlich geklärt         in den Händen von Unternehmern, paramilitäri-
werden müsse.10                                       schen Kommandeuren oder deren Strohmännern.13
    Im August 2009 wurde Gustavo Gómez, be-           Das geraubte Land dient meist der expandierenden
schäftigt bei Nestlé-Comestibles la Rosa S.A. und     Viehwirtschaft, dem Abbau von Rohstoffen (Kohle,
Mitglied der Nahrungsmittelgewerkschaft SINAL-        Gold) oder agroindustriellen Plantagen (Ölpalmen,
TRAINAL, in seinem Haus ermordet, nachdem die         Zuckerrohr, Kakao).
Gewerkschaft gegenüber Nestlé einen Forderungs-           Kolumbianische Menschenrechtsgruppen un-
katalog präsentiert hatte. Ebenso erhielten SIN-      terstützten einen Gesetzesvorschlag, der die Rück-
TRAINAGO-Mitglieder Morddrohungen, nachdem            gabe der Grundstücke und die Entschädigung der
sie Forderungen für anstehende Verhandlungen mit      Opfer vorsah, das sogenannte „Ley de Víctimas“.
den Bananenplantagen in der Region Urabá vor-         Im Juni 2009 aber brachte die Uribe-Regierung die-
brachten. Gegen die friedlichen Proteste von Ge-      ses Vorhaben zu Fall, weil der Vorschlag die Opfer
werkschaften, die sich gegen Massenentlassungen       von Paramilitärs und Guerillas mit denen des Staa-
im Erziehungssektor der Stadt Barranquilla richte-    tes gleichstellte und als zu kostspielig angesehen
ten, gingen nicht nur die staatlichen Sicherheits-    wurde.14 Statt die Bevölkerung zu schützen, debat-
kräfte mit aller Härte vor, sondern es tauchte auch   tierte das Regierungslager lieber darüber, wie die
eine Todesliste einer paramilitärischen Gruppe auf,   maximale Fläche, die in- und ausländische Agrarin-
die 20 Personen, darunter mehrere Gewerkschaf-        vestoren besitzen dürfen, erhöht werden könne.15
ter, zu „militärischen Zielen zwecks Auslöschung“
erklärten.11
    Die am weitesten verbreitete Menschenrechts-      3.1 Europäischer Extraktivismus
verletzung in Kolumbien ist die gewaltsame Ver-       Landraub und Gewalt
treibung. Seit 1985 wurden über 4,6 Millionen
Menschen – ein Zehntel der Bevölkerung – zumeist      Menschenrechtsgruppen wie die Plataforma Co-
von paramilitärischen Gruppen mit brutaler Gewalt     lombiana de Derechos Humanos, Democracia y
vertrieben. In den Jahren der Uribe-Regierung stie-   Desarrollo befürchten, dass durch das EU-Freihan-
gen die Flüchtlingszahlen massiv an: Allein 2008      delsabkommen die Vertreibungen noch zunehmen
vertrieben bewaffnete Gruppen 380.000 Menschen,       könnten, weil es die Rechtssicherheit für Investi-
im Zeitraum 2006 bis 2008 insgesamt eine Million.     tionen in extraktive Sektoren wie Bergbau, Energie

                                                                                                           7
Foto: Jochen Schüller
                                                                    Flurbereinigung Palmplantage in Kolumbien

    und Landwirtschaft erhöht, ohne aber die sozialen      Hektar – eine Fläche, halb so groß wie Deutsch-
    Rechte der Bevölkerung zu stärken. Nach ihren Er-      land. Knapp 6 Millionen Hektar davon überschnei-
    fahrungen besteht das größte Vertreibungsrisiko        den sich mit indigenen und afrokolumbianischen
    für jene lokalen Gemeinschaften, die in Gebieten       Territorien.18
    leben, die von wirtschaftlichem Interesse für diese        Zahlreiche europäische Firmen tummeln sich im
    extraktiven Industrien sind.16                         kolumbianischen Ölgeschäft, darunter Repsol YPF
         In ihrer „Visión 2019“ setzte die kolumbiani-     (Spanien), British Petroleum, Gold Oil, Global En-
    sche Regierung als zentrales Ziel der wirtschaftli-    ergy Development (Großbritannien), Royal Dutch
    chen Entwicklung die Weltmarktintegration. Der         Shell (Niederlande-Großbritannien), Perenco (Frank-
    Beitrag ausländischer Direktinvestitionen und der      reich-Großbritannien) sowie die französischen
    Exporte zum Bruttoinlandsprodukt sollte drastisch      Unternehmen Total und Hocol. Auch den europä-
    erhöht werden, indem die Investitionssicherheit        ischen Minerölkonzernen werden Menschenrechts-
    verbessert, Handelshemmnisse beseitigt, Unter-         verletzungen vorgeworfen, etwa British Petroleum
    nehmenssteuern gesenkt und Freihandelsabkom-           (BP). Nachdem kolumbianische Bäuerinnen und
    men mit mehreren Regionen und Ländern ausge-           Bauern ein Verfahren gegen BP vor dem englischen
    handelt werden.17 Die Regierung beabsichtigte, vor     Obersten Gerichtshof anstrengten, einigten sie sich
    allem im Agrar-, Bergbau- und Ölsektor massive         mit dem Unternehmen 2006 außergerichtlich auf
    Investitionen anzulocken.                              Entschädigungen in Form eines Treuhandfonds. Die
         Diese „Vision“ wurde zum Teil bereits Realität:   KolumbianerInnen machten geltend, dass eine BP-
    Bereits zwischen 2002 und 2006 vervierfachten          Pipeline ihre Felder zerstörte und sie von Paramili-
    sich die Auslandsinvestitionen im Ölsektor von         tärs, die die Pipeline bewachten, terrorisiert wurden.
    500 Millionen auf 2 Milliarden US-Dollar, 10 neue      Im Dezember 2008 reichte eine weitere Gruppe von
    Erdölkonzerne kamen ins Land und Hunderte neue         Bäuerinnen und Bauern eine Sammelklage gegen BP
    Explorationsverträge wurden unterzeichnet. Das         beim Obersten Gerichtshof ein.19
    Gebiet, das die staatliche Aufsichtsbehörde Agen-          In ihrem Entwicklungsplan für den Bergbausek-
    cia Nacional de Hidrocarburos für Evaluation, Ex-      tor verkündet die kolumbianische Regierung das
    ploration und Produktion an Ölfirmen vergab, be-       Ziel, bis zum Jahr 2019 zu einem der drei wichtigs-
    lief sich im Jahr 2008 schon auf über 17 Millionen     ten weltweiten Zielgebiete für Mineninvestitionen

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aufzusteigen. Dazu soll die Produktion von Koh-       afrokolumbianischen Gemeinschaften durchgeführt
le verdoppelt und von Edelmetallen vervierfacht       werden“.27 Die „freie, vorherige und informierte
werden. Das Gebiet, in dem die Regierung Berg-        Zustimmung“ ist in der UN-Erklärung über Indige-
baukonzessionen vergibt, soll verdreifacht werden     nen-Rechte aus dem Jahr 2007 verankert.28
– zweifellos eine massive Bedrohung für Kleinbau-         Im Agrarsektor strebt die kolumbianische Re-
ern, Indigene und AfrokolumbianerInnen.20             gierung Exportsteigerungen nicht nur bei traditi-
    Die verschiedenen Bergbautitel, die die Regie-    onellen Produkten wie Kaffee, Bananen, Zucker
rung bereits an Unternehmen vergab, umfassen          und Tabak an, sondern auch bei Palmöl, Agro-
eine Fläche von 2,9 Millionen Hektar. Es wird ge-     treibstoffen und Naturfasern. Hervorstechend ist
schätzt, dass die Anträge für weitere Bergbaulizen-   dabei das rasante Wachstum der Palmplantagen,
zen das Zehnfache dieser Fläche überschreiten. Fast   deren Fläche sich zwischen 2001 und 2006 von
die Hälfte der von der Regierung ausgewiesenen        150.000 auf 300.000 Hektar verdoppelte29 und im
Minendistrikte überschneiden sich mit indigenen       Jahr 2009 365.000 Hektar erreichte.30 Zwei Drittel
Reservaten. Allein der riesige Steinkohletagebau      des kolumbianischen Palmöls landet auf dem euro-
von Cerrejón im Departement La Guajira, der zu        päischen Markt, Hauptabnehmer ist Deutschland
je einem Drittel den Konzernen Anglo American         mit rund 40 Prozent der Exporte.31 Über die Hälfte
(Großbritannien), BHP Billiton (Australien-Groß-      des nach Deutschland eingeführten Palmöls wird
britannien) und Xstrata (Schweiz) gehört, verfügt     für die Strom- und Wärmeerzeugung in Blockheiz-
über Konzessionen von mehr als 124.000 Hektar.21      kraftwerken verwendet.32 Daneben findet es in der
    Für den Kohletagebau von Cerrejón mussten         Produktion von Lebensmitteln, Kosmetika und Bio-
bereits mehrere Dörfer weichen, weitere sind durch    diesel Verwendung.
die Expansion der Mine bedroht. 2001 wurde das            Die wichtigsten Importeure des kolumbiani-
Dorf Tabaco zerstört und die verbliebenen Bewoh-      schen Palmöls auf dem deutschen Markt sind die
nerInnen durch Sicherheitskräfte verjagt. Umsied-     Agrarhändler Cargill und ADM (Archer Daniels Mid-
lungsmaßnahmen und Entschädigungen blieben            land) sowie die Daabon Organics Gruppe, ein ko-
völlig unzureichend.22 Die Armeeeinheit, die auch     lumbianischer Erzeuger biologischer Produkte mit
für die Sicherheit von Cerrejón zuständig ist, war    Niederlassungen in den USA, Japan und Deutsch-
in ein Massaker paramilitärischer Gruppen an Indi-    land.33 Die Daabon-Gruppe, deren „Bio-Palmöl“ in
genen der Wayúu verwickelt.23                         Seifen der Kosmetikkette The Body Shop sowie in
    Kolumbien ist der viertgrößte Kohleexporteur      Bio-Lebensmitteln der Marken Alnatura, Rapunzel
der Welt, nahezu die Hälfte der kolumbianischen       und Allos enthalten ist, geriet in die Schlagzeilen,
Exporte stammt aus Cerrejón. Nach Südafrika und       nachdem sie im vergangenen Jahr 500 Menschen
Russland ist das Land der wichtigste Kesselkohle-     der Siedlung Las Pavas polizeilich räumen ließ, um
lieferant Deutschlands. 5,8 Millionen Tonnen nah-     Platz für eine Palmplantage zu schaffen. Die Klein-
men deutsche Kraftwerke im Jahr 2008 ab.24 Hie-       bauern waren schon einmal 2006 von Paramilitärs
sige Kraftwerksbetreiber, die kolumbianische Kohle    vertrieben worden, kehrten aber ein halbes Jahr
verwenden, sind u.a. E.ON, Vattenfall, EnBW und       später zurück, gründeten eine Kooperative und be-
Evonik. Allein E.ON bezog im Jahr 2009 rund 4         antragten gemeinsam einen Landtitel. Sie betrach-
Millionen Tonnen Steinkohle aus Kolumbien, ein        ten ihre Räumung durch Daabon als illegal, weil ihr
großer Teil davon aus Cerrejón.25 Evonik ist über     Anspruch auf das Land ignoriert wurde.34
seine Brennstoffsparte Evonik Trading zusätzlich
im Handel mit kolumbianischer Kohle aktiv.26
    Das UN-Komitee für wirtschaftliche, soziale       3.2. Staatsterror: Parapolitik,
und kulturelle Rechte brachte in seinem jüngsten      Armee und Agenten
Bericht die Sorge zum Ausdruck, dass in Kolum-
bien „Infrastruktur-, Entwicklungs- und Bergbau-      Doch Daabon ist kein Einzelfall. Zehntausende
Megaprojekte ohne die freie, vorherige und infor-     bäuerliche Familien wurden für Palmplantagen mit
mierte Zustimmung der betroffenen indigenen und       teils brutaler Gewalt verjagt. Allein 17.000 Men-

                                                                                                             9
schen, zumeist AfrokolumbianerInnen, vertrieben         ca-Skandals seit 2006 ans Licht. PolitikerInnen
     Armee und Paramilitärs bei einer gemeinsamen            bedienten sich des Terrors der Paramilitärs, um so-
     Militäraktion (Operation Genesis) 1997 aus den          ziale AktivistInnen und politische Gegner auszu-
     Flussbecken des Jiguamiandó und Curvaradó im            schalten und an öffentliche Ämter zu kommen. Im
     Departement Chocó. Mehrere Unternehmen mit              Gegenzug reichten sie Informationen und öffent-
     Verbindungen zu den Paramilitärs legten auf den         liche Gelder an die bewaffneten Gruppen weiter.
     zurückgelassenen Grundstücken illegal Palmplan-         Mehrere Politiker und Paramilitärs unterzeichneten
     tagen an. Manche der Vertriebenen kehren heu-           ein geheimes Dokument, das eine durch Drogen-
     te in die Region zurück und versuchen trotz der         gelder finanzierte sukzessive Machtübername im
     andauernden Übergriffe von Paramilitärs und Ar-         Lande vorsah (der sog. Pacto de Ralito). Gegen 93
     mee, trotz gezielter Verhaftungen, Entführungen         von den 268 gewählten Kongressabgeordneten
     und Morde, einen Teil der Grundstücke zurückzu-         wurden bis Ende 2009 Ermittlungen aufgenom-
     erhalten. Nachdem ihnen kürzlich die Rückgabe           men, 13 Abgeordnete wurden bis dahin verurteilt.
     von 29.000 Hektar Kollektivterritorien zuerkannt        Hinzu kommen weitere 249 Verfahren gegen Gou-
     wurde, erließ die Staatsanwaltschaft im Mai 2010        verneure, Bürgermeister und Lokalpolitiker.38 Die
     erstmals Haftbefehl gegen 24 an dem Landraub be-        große Mehrheit der in den Skandal verwickelten
     teiligte Unternehmer.35                                 PolitikerInnen gehört den Parteien der Regierungs-
         Doch seither müssen nicht nur die AktivistIn-       koalition von Uribe an.39 Der ehemalige Staatsan-
     nen in der Region Racheakte fürchten, sondern           walt Mario Iguarán Arana, der bis Mitte 2009 zu
     auch Menschenrechtsorganisationen wie die Co-           den Parapolítica-Fällen ermittelte, sagte: „Die Poli-
     misión Intereclesial Justicia y Paz, die sie in ihrem   tiker suchten die Paramilitärs, nicht umgekehrt.“40
     langwierigen Kampf unterstützten. Während die               Ähnliches gilt auch für den Skandal um den direkt
     Rückgabe der Grundstücke mittlerweile wieder            dem Präsidenten unterstehenden Sicherheitsdienst
     ausgesetzt wurde, hetzte Präsident Uribe gegen          DAS (Departamento Administrativo de Seguridad).
     die Nichtregierungsorganisationen, denen er vor-        Aus DAS-Dokumenten, die die Staatsanwaltschaft
     warf, Zwietracht unter den afrokolumbianischen          im April 2010 beschlagnahmte, geht hervor, dass
     Gemeinden im Chocó zu säen und sich als „neue           der Sicherheitsdienst mit kriminellen Praktiken im
     Kolonisatoren“ zu gerieren.36                           In- und Ausland auf Oppositionelle Hatz machte,
         Doch derartige Vorwürfe sind für Menschen-          darunter PolitikerInnen, JournalistInnen, Nichtre-
     rechtsverteidigerInnen in Kolumbien lebensbedroh-       gierungsorganisationen und Gewerkschaften. Zu
     lich. In den vergangenen Jahren haben die Aggres-       seinen Methoden gehörten nicht nur illegale Be-
     sionen gegen sie deutlich zugenommen, darunter          schattungen und Abhörungen, sondern gezielte
     Morde, Attentate, Drohungen, Körperverletzungen,        Verleumdungen, Todesdrohungen, Erpressungen
     Folter willkürliche Gerichtsverfahren und Verhaftun-    und Terrorakte. Gegen den ehemaligen Direktor des
     gen. Nach Angaben des Programms Somos Defenso-          DAS und Uribe-Vertrauten, Jorge Noguera, läuft
     res gab es 2009 177 Angriffe auf Menschenrechts-        ein Verfahren vor dem Obersten Gericht, da er Lis-
     verteidigerInnen, darunter 32 Morde. Im Zeitraum        ten mit den Namen von GewerkschafterInnen und
     2002 bis 2008 zählte das Programm noch durch-           MenschenrechtsverteidigerInnen an Paramilitärs
     schnittlich 16 Morde pro Jahr. Die vermuteten Ur-       weitergab. Nach Angaben der Internationalen Fö-
     heber der Angriffe im Jahr 2009 sind zu 47 Prozent      deration für Menschenrechte (FIDH) wurden min-
     Paramilitärs, 18 Prozent staatliche Institutionen       destens drei Personen auf Grundlage dieser Listen
     und 9 Prozent Guerillas. Ein Viertel der vermuteten     umgebracht.41
     Urheber ist unbekannt. Im gesamten Zeitraum 2002            Ferner sollte die „Operation Europa“ des DAS
     bis 2009 zählte das Programm 1057 Angriffe, d.h.        die Arbeit europäischer Menschenrechtsinstitu-
     durchschnittlich 134 Opfer pro Jahr.37                  tionen sabotieren, etwa des Menschenrechtsaus-
         Die engen Verbindungen zwischen staatlichen         schusses des Europaparlaments oder des Büros des
     RepräsentantInnen und den Paramilitärs kamen            UN-Hochkommissariats für Menschenrechte. Nach
     besonders im Zuge des sogenannten Parapolíti-           Angaben belgischer Medien war es das Ziel, die De-

10
batte um die Annahme des Freihandelsabkommens               Es besteht daneben der Verdacht, dass deutsche
mit der Europäischen Union zu beeinflussen. DAS-        Geheimdienste, und hier vor allem der Bundes-
Spione forschten dazu nicht nur Europaparlamen-         nachrichtendienst BND, mit dem DAS bei dessen
tarierInnen aus, sondern auch mehrere belgische         illegalen Aktivitäten kollaborierten. In den von der
Nichtregierungsorganisationen, darunter Oxfam           kolumbianischen Staatsanwaltschaft beschlag-
Solidarité, das Hilfswerk Broederlijk Delen und das     nahmten DAS-Dokumenten finden sich Vermerke
Netzwerk OIDHACO. Mit Schmutzkampagnen                  über Anfragen bei deutschen Geheimdiensten zu
sollten die Agenten deren Glaubwürdigkeit unter-        Reisen von MenschenrechtlerInnen. In einer kleinen
minieren und ihren Einfluss „neutralisieren“.42         Anfrage an die Bundesregierung wollen Abgeord-
    Opfer der DAS-Aktivitäten waren u.a. der Be-        nete der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die
rater der Europäischen Linksfraktion (GUE/NGL)          Grünen daher wissen, ob „deutsche Geheimdienste
Paul-Emile Dupret und der in Brüssel tätige Ge-         Informationen über Reisen kolumbianischer Men-
neralsekretär der Internationalen Föderation für        schenrechtsverteidigerinnen- und verteidiger ge-
Menschenrechte (FIDH) Luis Guillermo Perez. Auf         sammelt und an den DAS oder andere kolumbiani-
einer Webseite tauchte eine gefälschte Meldung          sche Behörden weitergegeben“ haben.44
auf, die Dupret als Unterstützer der FARC-Gueril-           In einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage
la diskreditieren sollte. Perez, selbst Kolumbianer,    des Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbe-
wurden in seinem Haus in Belgien Computer und           le bestätigte die Staatsministerin im Auswärtigen
eine Festplatte gestohlen, seine Mutter erhielt einen   Amt, Cornelia Pieper (FDP), dass der BND bereits
Drohanruf aus Kolumbien. Zu weiteren Zielen der         seit Ende der 1980er Jahre Kontakte mit dem DAS
DAS-Agenten gehörten die internationalen Men-           unterhalte. Sie beteuerte zwar, diese Kontakte hät-
schenrechtsorganisationen Human Rights Watch            ten keinen Bezug zu den illegalen DAS-Aktivitäten,
und Peace Brigades International. Eine Gruppe von       blieb aber Belege für ihre Behauptung schuldig.45
Europaabgeordneten forderte die Kommission dazu         Sollte sich die deutsche Unterstützung der krimi-
auf, die „Operation Europa“ zu untersuchen. Doch        nellen DAS-Praktiken bewahrheiten, gefährdete der
diese fürchtet, eine Untersuchung könne die Ratifi-     BND das Leben und die Gesundheit von Menschen-
zierung des Freihandelsabkommens torpedieren.43         rechtsverteidigerInnen.

                                          Kolumbien: Dörfer im Chocó gegen den Zutritt bewaffneter Gruppen

                                                                                                               11
Kolumbianische Nichtregierungsorganisationen        mit 15 Tagen Urlaub honoriert wurde. Die genaue
     bezweifeln, dass es unter der Präsidentschaft von       Zahl der Opfer ist unbekannt, Schätzungen reichen
     Juan Manuel Santos zu einer Besserung der Men-          von 1.000 bis zu über 2.000 Opfern im Zeitraum
     schenrechtssituation kommt. Während dessen              2002 bis 2009. Die Staatsanwaltschaft berichtete
     Amtszeit als Verteidigungsminister (2006-2009)          im Mai 2009, dass sie in über 2.000 Fällen ermittle.
     kam einer der schmutzigsten Armeeskandale ans           Nach wie vor aber können die Täter mit weitgehen-
     Licht, die sogenannten „falschen Erfolgsmeldun-         der Straflosigkeit rechnen. Bis Ende April 2009 kam
     gen“ (falsos positivos). Um Erfolge im Anti-Gueril-     es nur in 16 Fällen von Armeemorden, die an die
     la-Kampf vorzuweisen, entführten und ermordeten         Staatsanwaltschaft übertragen wurden, zu Verur-
     Soldaten der kolumbianischen Streitkräfte Zivilisten    teilungen.46
     und präsentierten sie gegenüber den Medien als              Santos indes kündigte im Wahlkampf an, die
     Guerilleros, die im Kampf getötet wurden. Zwar          Soldaten durch Stärkung der Armeegerichtsbarkeit
     reicht diese Praxis schon weit zurück, unter der        vor einer unabhängigen Strafverfolgung durch die
     Amtszeit von Santos und seinem Vorgänger erhöh-         Justiz zu schützen (sog. fuero militar). Ebenso will
     ten sich die Armeemorde jedoch massiv.                  er die Gewaltenteilung erodieren, indem er künftig
         Stimuliert wurde diese Praxis mit Belohnungen       die Staatsanwaltschaft an die Regierung bindet. Die
     für Personen, die der Armee Opfer zuführten, sowie      Staatsanwaltschaft, so Santos, verstünde nichts
     mit verschiedenen Anreizen für die Soldaten: Ur-        von den Regeln des Militärs und sei daher in ihren
     laubstage, Auszeichnungen und Beförderungen. Ein        Urteilen „sehr ungerecht“ gewesen.47
     Soldat berichtete, dass in seiner Einheit eine Tötung

12
4 MENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN IN PERU
Auch in Peru befürchten soziale Bewegungen, dass       würden sich wie der Wachhund des Gärtners ver-
die Menschenrechte durch das Freihandelsabkom-         halten, der das Gemüse nicht selber frisst, es aber
men weiter unter die Räder kommen. Diese Erfah-        auch nicht von anderen essen lässt.48
rung mussten sie bereits mit dem Freihandelsab-            Ganz in diesem Sinne zielten Garcías Liberalisie-
kommen zwischen Peru und den USA machen, das           rungsdekrete darauf ab, Investoren aus dem Berg-
nach der Ratifizierung im peruanischen Kongress        bau-, Öl- und Agrarsektor den Zugang zu Land zu
(Juni 2006) und im US-Kongress (Dezember 2007)         erleichtern. Das Dekret 1015 sah dazu vor, den Pro-
im Jahr 2009 in Kraft trat. Um die Liberalisierungs-   zentsatz der Gemeindemitglieder, die dem Landver-
anforderungen des Vertrags umzusetzen, ließ sich       kauf an Dritte zustimmen müssen, von zwei Drittel
die Regierung von Alan García Sondervollmachten        der Abstimmungsberechtigten auf 50 Prozent plus
erteilen, die zwischen März und Juni 2008 die Ver-     1 der Anwesenden einer Versammlung zu verrin-
abschiedung von 99 Dekreten ermöglichten. Meh-         gern. Dekret 1064 sollte es dem Staat ermöglichen,
rere davon betrafen die Landrechte von bäuerlichen     Gemeindeflächen zu Brachland zu erklären und sie
und indigenen Gemeinschaften, die häufig über          damit zu enteignen. Investoren, die auf diesen Flä-
keine sicheren, in den staatlichen Katastern einge-    chen Rohstoffe ausbeuten wollen, sollten zugleich
tragene Eigentumstitel verfügen.                       von der Verpflichtung befreit werden, eine vorheri-
    Im September 2007 beschrieb Präsident García       ge Zustimmung der Bodeneigentümer einzuholen.
in seinem Artikel „Das Syndrom des Hundes des          Mit dem Dekret 1090 schließlich wollte die Regie-
Gärtners“ (El sindrome del perro del hortelano) Bau-   rung Waldflächen im amazonischen Tiefland Perus
erngemeinden als Fortschrittsfeinde, deren Rechts-     zu landwirtschaftlichen Nutzflächen umwidmen,
ansprüche illegitim seien. In ganz Peru gebe es        die dann vornehmlich dem Anbau agroenergeti-
„künstliche“ bäuerliche Gemeinschaften, die zwar       scher Rohstoffe wie Ölpalmen oder Zuckerrohr an-
auf dem Papier 200.000 Hektar besäßen, aber            heimfallen sollten.49
nicht in der Lage seien, mehr als 10.000 Hektar            Über keines dieser Dekrete gab es vorherige
zu beackern. Sie lebten in Armut und erwarteten        Konsultationen mit VertreterInnen der betroffenen
Hilfe vom Staat. Das Eigentum all der Bäuerinnen       Gemeinden – ein klarer Verstoß gegen die Konven-
und Bauern, die weder über die Kenntnisse noch         tion 169 der Internationalen Arbeitsorganisation
über die Ressourcen seiner Bewirtschaftung verfü-      ILO50 und gegen die UN-Erklärung über Indige-
gen, sei, so García, nur ein „scheinbares“. Würde      nenrechte.51 Die Liberalisierungsdekrete führten
ihr Land stattdessen an kapitalkräftige Investoren     zu massiven Protesten von Bauernorganisationen,
verkauft, könne es zum allseitigen Nutzen in Wert      Indigenen und Gewerkschaften, die teils gewalt-
gesetzt und damit zu „wahrem“ Eigentum werden.         sam niedergeschlagen wurden. Am 5. Juni 2009
Doch überkommene kommunitäre Ideologien stün-          gingen Spezialeinheiten der Nationalpolizei gegen
den dieser Lösung im Weg. Bäuerinnen und Bauern        Straßenblockaden protestierender Indigener in der

                                                                                                               13
„Die Selva verblutet“ Polizeieinsatz am 5. Juni
                                                            2009 in Bagua (Titel von La República am 6. Juni 2009)

     nordperuanischen Provinz Bagua vor – ein Einsatz,      bereits im Mai vom Kongress angenommen wurde,
     bei dem 33 Menschen getötet und 200 verletzt           entspreche den Anforderungen der ILO-Konven-
     wurden.52 Angesichts des anhaltenden Wider-            tion 169 und des internationalen Rechts. Daher
     stands sah sich die Regierung schließlich gezwun-      solle ihn auch die Regierung unterzeichnen und
     gen, einzelne der Dekrete auszusetzen.                 umsetzen, so die Forderung Anayas.54
         Doch weicht die Regierung von Alan García              Die Mehrheit der sozioökologischen Konflikte
     nicht von ihrem rücksichtslosen Kurs gegenüber         in Peru spielt sich im Bergbau, der Ölexploration
     Indigenen und bäuerlichen Gemeinschaften ab. So        und im Forstsektor ab. Nach offiziellen Angaben
     torpediert sie nach Kräften ein Gesetz, das die vor-   wurden bereits 11,6 Prozent des nationalen Terri-
     herige Konsultation Indigener bei den sie betreffen-   toriums in Form von Konzessionen an Bergbauun-
     den gesetzlichen und administrativen Maßnahmen         ternehmen vergeben.55 Noch umfassender ist die
     regeln soll. Das Gesetz dient der Umsetzung der        Landnahme durch den Ölsektor. Bis zu 64 Blocks
     von Peru ratifizierten ILO-Konvention 169. Nach-       verpachtete die Regierung bisher an multinatio-
     dem der peruanische Kongress den Gesetzentwurf         nale Konzerne für die Exploration und Förderung
     im Mai 2010 annahm, machte Präsident García            von Öl und Gas. Mit einer Fläche von 49 Millionen
     mehrere Einwände geltend und verwies ihn zurück        Hektar umfassen diese circa 72 Prozent des peru-
     an das Parlament, wo er zum Verdruss sozialer Be-      anischen Amazonasgebiets – ein Gebiet, größer
     wegungen von einem Parlamentsausschuss gemäß           als Deutschland (35,7 Millionen Hektar). 58 dieser
     den Wünschen Garcías wieder verwässert wurde.          Blocks überschneiden sich mit Gebieten, über die
     Aufgrund der Obstruktion der Regierung wird das        indigene BewohnerInnen Landtitel halten.56
     Gesetz möglicherweise erst in der nächsten Le-             Zu den Investoren gehören zahlreiche europäi-
     gislaturperiode nach den allgemeinen Wahlen im         sche Mineralölkonzerne, darunter Repsol YPF (Spa-
     April 2011 weiterverhandelt.53                         nien), ENI (Italien), Skanska (Schweden), Perenco
         In einer Erklärung vom Juli 2010 kritisierte der   (Großbritannien/Frankreich), Gold Oil (Großbritan-
     UN-Sonderberichterstatter über die Menschen-           nien) und CEPSA (Spanien). Das Freihandelsabkom-
     rechte und Grundfreiheiten Indigener, James Ana-       men wird die Rechtssicherheit dieser Erdölfirmen
     ya, das Vorgehen der Regierung. Der Entwurf, der       zulasten der traditionellen BewohnerInnen stärken.

14
Die Biotreibstoffe sorgten ebenfalls bereits für     lichen Maßnahmen wie der gezielten Entlassung
Konflikte. Im nordperuanischen Departement Piura         von GewerkschafterInnen, etwa ENI (Italien)60, Te-
produziert das Unternehmen Caña Brava Zucker-            lefónica (Spanien)61, ING (Niederlande)62 und Rep-
rohrethanol, das von Mitsui und British Petroleum        sol YPF (Spanien)63.
auf den deutschen Markt gebracht und hier dem                Die Eskalation von Bagua ist keine Ausnahme:
Benzin beigemischt wird.57 Die Regionalregierung         Immer wieder gehen die staatlichen Sicherheits-
von Piura hatte die dafür genutzten Agrarflächen         kräfte mit exzessiver Gewalt gegen soziale Wider-
versteigert, obwohl sie anerkanntermaßen von             standsbewegungen vor. Dutzende von Demonst-
lokalen Gemeinschaften als Viehweiden und zum            rantInnnen wurden bei Polizeioperationen in den
Feuerholz-Sammeln genutzt wurden. Nach Pro-              vergangenen zwei Jahren getötet. Im April 2010
testen der Betroffenen bot Caña Brava einzelnen          erschoss die Polizei fünf Bergarbeiter der infor-
Familien Entschädigungszahlungen, die Mehrheit           mellen Minenindustrie, die sich an Blockadeakti-
von ihnen verlangte jedoch die Rückgabe des Lan-         onen in Chala im südperuanischen Departement
des.58                                                   Arequipa beteiligten. Nach Anschlägen auf eine
    Verstöße gegen die Gewerkschaftsrechte sind          Kupfermine im Dezember 2009 widersetzten sich
in Peru ebenfalls an der Tagesordnung. Da die ge-        BewohnerInnen des Dorfes Cajas-Canchaque in
setzliche Schwelle zur Gründung einer Betriebsge-        Nordwest-Peru einer Fahndungsaktion der Polizei,
werkschaft bei 20 Mitgliedern liegt, gibt es in vielen   die daraufhin zwei Dorfbewohner erschoss. Acht
kleinen und mittleren Betrieben keine Gewerkschaf-       weitere Personen erlitten Schussverletzungen.64
ten. ArbeitnehmerInnen können willkürlich ohne               Auf die Protestwelle reagierte die Regierung von
Angabe von Gründen entlassen werden. Auch darf           Alan García mit der Kriminalisierung von sozialen
die staatliche Arbeitsbehörde nicht überprüfen, ob       Bewegungen. MenschenrechtsverteidigerInnen, die
bei Massenentlassungen Gewerkschaftsmitglie-             die Betroffenen von Bergbauaktivitäten im Departe-
der in diskriminierender Weise vor die Tür gesetzt       ment Piura unterstützten, warf die Staatsanwalt-
werden. Über die Legalität eines Streiks befindet        schaft eine ganze Flut von Verbrechen vor, darun-
die der Regierung unterstellte Arbeitsverwaltung,        ter Terrorismus, Bildung krimineller Vereinigun-
nicht die Justiz.59                                      gen, Anstiftung zur Gewalt, Verschwörungen und
    In diesem Umfeld griffen auch europäische Un-        Überfälle. Auch GewerkschafterInnen werden Op-
ternehmen in Peru häufiger zu antigewerkschaft-          fer ungerechtfertigter Verhaftungen.65

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5 RECHT DES STÄRKEREN:
     DAS FREIHANDELSABKOMMEN

     Die Befürchtungen über die möglichen Folgen des         bisher auch nur ansatzweise gelöst wurden. Dane-
     Freihandelsabkommens zwischen der EU, Peru und          ben vermindert die EU bis zum Jahr 2020 kontinu-
     Kolumbien sind durchaus begründet. Der durchge-         ierlich den Zollsatz auf Bananen, erlaubt jährlich um
     sickerte Vertragsentwurf, den das europäisch-la-        3 Prozent wachsende zollfreie Zuckerkontingente
     teinamerikanische Bewegungsnetzwerk Enlazando           sowie zollfreie Rindfleischkontigente. Schließlich
     Alternativas veröffentlichte, zeigt, dass das Ab-       bietet sie freien Marktzugang für Ethanol und Bio-
     kommen die traditionelle Arbeitsteilung zwischen        diesel aus Kolumbien und Peru.68 Aufgrund all dieser
     europäischen Industriestaaten und lateinamerika-        Vergünstigungen könnte die Landnahme für einige
     nischen Rohstoffexporteuren verfestigt.66 Es for-       der expansivsten Agrarprodukte, unter anderem zur
     ciert die Extraktion natürlicher Ressourcen, die Pri-   Herstellung von Agroenergie, weiter zunehmen.
     vatisierung öffentlicher Dienstleistungen und den            Zugleich aber werden die beiden Andenstaaten
     Schutz von Investitionen und geistigem Eigentum         zu Opfern der verfehlten europäischen Agrarpoli-
     in den beiden Andenländern, ohne aber ein effek-        tik. Mit der Ausweitung der europäischen Milch-
     tives Gegengewicht durch soziale und ökologische        produktionsmenge, der umstrittenen Milchquote,
     Standards oder die Stärkung der Menschenrechte          forciert die Europäische Union ein Preisdumping,
     zu schaffen.                                            das kleine Milchviehhalter zugunsten der über-
         Der Vertrag geht dabei nicht nur über die Rege-     proportional subventionierten exportorientierten
     lungen der Welthandelsorganisation WTO hinaus,          Großerzeuger aus dem EU-Markt wirft. Kehrseite
     etwa durch die weitreichendere Liberalisierung von      dieser politisch forcierten Flurbereinigung: Wie
     Investitionen, Patenten, des Wettbewerbsrechts          viele andere Länder des Südens müssen auch Ko-
     und der öffentlichen Aufträge, sondern auch über        lumbien und Peru ihren Markt für die überschüs-
     andere bilaterale Abkommen. Die EU-Kommission           sigen Milchprodukte der europäischen Agrar- und
     jubelt in ihrer Bewertung der Verhandlungen, dass       Lebensmittelindustrie aufmachen. Beide Länder
     Peru und Kolumbien gegenüber der EU größere Zu-         bieten den EU-Exporteuren zollfreie Quoten für
     geständnisse machten als in ihren jeweiligen Han-       Milchpulver, Käse und verarbeitete Milchprodukte,
     delsverträgen mit den USA, so beim Zollabbau für        die jährlich um 10 Prozent wachsen. Vollständig
     Automobile, Elektroartikel und Maschinen.67             freien Marktzugang, d.h. den Wegfall sämtlicher
         Bei den Agrargütern bietet die Europäische Uni-     Milchzölle und –quoten, bietet Peru 17 Jahre nach
     on den andinen Exporteuren für eines der konflik-       Inkrafttreten des Vertrags und Kolumbien bereits
     tivsten Produkte die Zollfreiheit: rohes Palmöl (Cru-   nach 15 Jahren.69
     de palm oil, for technical or industrial uses). Doch         Damit droht in beiden Ländern nicht nur Milch-
     steigende Absatzmöglichkeiten in der EU befördern       viehhaltern, sondern auch Teilen der verarbeiten-
     die weitere Ausbreitung der Palmplantagen, ohne         den Industrie die Verdrängung durch die europäi-
     dass die Landbesitzkonflikte vor allem in Kolumbien     schen Wettbewerber. Dabei ist zu berücksichtigen,

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dass sich Kolumbien und Peru nicht nur gegenüber       Wirkung entfalten zu können, dürfen diese nicht
der EU, sondern in ihren jeweiligen Freihandelsab-     erst im Krisenfall eingeführt werden.
kommen mit den USA und Kanada auch gegenüber               Bei der Niederlassungsfreiheit bieten Kolum-
den Milcherzeugern dieser Länder zu Marktöffnun-       bien und Peru europäischen Investoren Marktzu-
gen bereit erklärten. Ferner planen beide Staaten      gang und Inländerbehandlung in der Land- und
Freihandelsabkommen mit dem ebenfalls überaus          Forstwirtschaft, in der Extraktion von Kohle, Öl,
wettbewerbsfähigen Milchexporteur Australien.70        Gas und Mineralien sowie in einem breiten Spek-
In Kolumbien, wo die Milcherzeuger ohnehin unter       trum von Dienstleistungen an.72 Das Abkommen
Überproduktion und niedrigen Ankaufspreisen lei-       stärkt in erheblichem Maße den Investorenschutz,
den, protestierten Tausende von Milchviehhaltern       denn die Europäische Union könnte etwaige Ver-
gegen den Vertrag mit der Europäischen Union. Die      stöße gegen die Gleichbehandlungsgrundsätze vor
Hälfte der über 400.000 kolumbianischen Viehbe-        den Streitschlichtungsmechanismus des Vertra-
triebe besitzt weniger als 10 Stück Vieh. Gerade       ges bringen (Title XI: Dispute Settlement), der als
diese Kleinbetriebe sind am wenigsten in der Lage,     Vergeltungsmaßnahmen Kompensationen durch
dem durch die Milchimporte forcierten Wettbe-          die beklagte Partei oder die Aussetzung von Han-
werb standzuhalten.71                                  delsvergünstigungen durch die beschwerdeführen-
     Im Dienstleistungsbereich sieht das Abkommen      de Partei ermöglicht, so es in einem Verfahren zu
unter anderem Liberalisierungen der Telekommuni-       einem entsprechenden Urteil kommt.73 Auf diese
kation, des Transportwesens, der Finanz-, Umwelt-      Weise wird der Extraktivismus in den beiden An-
und Energiedienstleistungen vor. Trotz der Wirt-       denstaaten weiter festgeschrieben und forciert.
schafts- und Finanzkrise hält die EU-Kommission            EU-Anbieter bekommen ergänzend überaus
dabei unbeirrt an riskanten Deregulierungen der        weitreichenden Zugang zu den öffentlichen Be-
Finanzmärkte fest. So machen Kolumbien und Peru        schaffungsmärkten in Kolumbien und Peru. Sie
nicht nur einzelne Zugeständnisse beim Marktzu-        haben das Recht an Ausschreibungen der natio-
gang und der Inländerbehandlung (d.h. der Gleich-      nalen Regierungen, Departements und Kommunen
behandlung in- und ausländischer Anbieter) von         sowie staatlicher Unternehmen teilzunehmen und
Versicherungs- und Bankdienstleistern, sondern         treten damit in unmittelbare Konkurrenz zu natio-
auch beim Zahlungs- und Kapitalverkehr. Damit          nalen Anbietern.74
aber behindert das Abkommen die Einführung von
Kapitalverkehrskontrollen, die – etwa durch obli-
gatorische Hinterlegung bestimmter Prozentsätze        5.1 Monopolisierung von
der Investitionssummen bei der Zentralbank – dem       Medikamenten und Saatgut
abrupten Kapitalabzug im Krisenfall vorbeugen.
     Laut Vertragsentwurf sollen die Parteien grund-   Das EU-Freihandelsabkommen dehnt den Schutz
sätzlich den mit Direktinvestitionen einherge-         geistiger Eigentumsrechte75 über die ohnehin pro-
henden freien Kapitalverkehr sicherstellen, ein-       blematischen Bestimmungen des TRIPS-Abkom-
schließlich der Liquidierung und Rückführung der       mens (Trade-Related Aspects of Intellectual Property
Investitionen und sämtlicher anfallender Gewinne       Rights) der Welthandelsorganisation WTO aus.
(Title V: Current Payments and Movement of Capi-       Solch weitreichende Anforderungen werden da-
tal). Nur in „Ausnahmesituationen“, die „ernsthaf-     her auch „TRIPS-plus“-Regelungen genannt. Noch
te Schwierigkeiten“ der Wechselkurs- oder Geldpo-      stärker als die WTO bedrohen diese den Zugang
litik verursachen, dürften Kapitalverkehrskontrollen   zu Medikamenten und Saatgut und erleichtern die
verfügt werden, die jedoch nicht länger als ein Jahr   Biopiraterie durch Pharma- und Biotechfirmen.
in Kraft bleiben sollen. Eine Verlängerung wäre           Das Abkommen beinhaltet eine fünfjährige Ex-
wiederum nur in Ausnahmesituationen und nach           klusivität der Testdaten von Pharmakonzernen, die
vorheriger Konsultation mit den anderen Vertrags-      den Zugang zu preisgünstigeren Nachahmer-Me-
parteien möglich. Das Freihandelsabkommen stellt       dikamenten, den sogenannten Generika, erheblich
damit den Sinn von Kapitalverkehrskontrollen auf       behindert. Diese Testdaten müssen die Konzerne
den Kopf. Denn um greifen und eine präventive          bei Arzneimittelbehörden als Unbedenklichkeits-

                                                                                                              17
nachweise für die Zulassung ihrer Medikamente         mensgruppen, beeinträchtigt.“77 Dies gilt zweifel-
     einreichen. Über fünf Jahre dürfen Arzneimittel-      los auch für das EU-Freihandelsabkommen.
     behörden bei Anträgen von Generikaherstellern,            Daneben enthält das Abkommen die der EU
     deren Medikamente die gleiche Zusammensetzung         besonders wichtigen Vollzugsmaßnahmen des
     aufweisen wie die Originalpräparate, nicht die        geistigen Eigentumsschutzes, die u.a. für Generi-
     Testdaten des ursprünglichen Herstellers für die      kahersteller eine abschreckende Wirkung entfalten
     Bewertung der Sicherheit des generischen Medika-      sollen. So wird es den Pharmamultis erleichtert, Be-
     ments zugrunde legen.                                 hörden zum Eingreifen gegen Konkurrenzprodukte
        Wollten Generikaproduzenten für ihre äquivalen-    zu nötigen, die vorgeblich geistige Eigentumsrechte
     ten Medikamente eine frühere Zulassung erreichen,     verletzen. Vorbeugende Maßnahmen (Provisional
     müssten sie dieselben Tests selbst noch einmal        and Precautionary Measures) sollen es ermöglichen,
     durchführen – eine überflüssige und teure Proze-      Waren schon im Verdachtsfall per einstweiliger Ver-
     dur, die faktisch nur das Monopol der Pharmakon-      fügung die Zulassung zu entziehen. Hinzu kommen
     zerne verlängern soll. Dabei können die Konzerne      strenge Strafen bei Verstößen gegen geistige Eigen-
     die Generikakonkurrenz auch dann über fünf Jahre      tumsrechte, die von hohen Entschädigungszahlun-
     blockieren, wenn ihr Ursprungsprodukt keinen Pa-      gen bis zur Zerstörung der in Verkehr gebrachten
     tentschutz genießt. Die EU folgt mit dieser Klausel   Waren auf Kosten der Beklagten reichen.
     dem schlechten Vorbild der Vereinigten Staaten,           Grenzmaßnahmen (Boarder Measures) erlauben
     die in ihren Freihandelsabkommen mit Kolumbien        es den Konzernen, Zollbehörden zur Beschlagnah-
     und Peru nebst weitreichenden „TRIPS-plus“-Be-        me von Gütern aufzufordern – allein mit Verweis
     stimmungen ebenfalls eine fünfjährige Testdaten-      auf eine vermutete Verletzung von Copyrights
     exklusivität durchsetzten.76                          oder Markenrechten. Nach den Bestimmungen des
        Das UN-Komitee für wirtschaftliche, soziale        Freihandelsabkommens können diese Maßnahmen
     und kulturelle Rechte warnte in seinem jüngsten       auch Produkte betreffen, die sich lediglich im Tran-
     Kolumbienbericht, dass das Freihandelsabkom-          sit befinden und weder im Herkunfts- noch im Ziel-
     men mit den USA „Bestimmungen über geistiges          land markenrechtlich geschützt sind. Die EU will
     Eigentum enthält, die zu einem Anstieg der Me-        damit ihre Praxis der Beschlagnahme von Generika,
     dikamentenpreise führen können und das Recht          die für Entwicklungsländer bestimmt sind, legali-
     auf Gesundheit, insbesondere bei Niedrigeinkom-       sieren und internationalisieren.

                                                                                                            Foto: Juliane Litsch-Landfried

                                                     Zentrum der Vielfalt von Kartoffelsorten Bauern in Peru

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