Die zweite Eroberung Das EU-Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru - Thomas Fritz - FDCL
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Die zweite Eroberung Das EU-Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru Thomas Fritz Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL), Berlin Transnational Institute (TNI), Amsterdam
Die zweite Eroberung Das EU-Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru Thomas Fritz | FDCL (Berlin), TNI (Amsterdam) | September 2010 Herausgegeben von: Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika – FDCL e.V. Gneisenaustraße 2a D-10961 Berlin Fon: +49 30 693 40 29 / Fax: +49 30 692 65 90 eMail: info@fdcl.org / Internet: http://www.fdcl.org Transnational Institute (TNI) PO Box 14656 1001 LD Amsterdam Niederlande Fon: + 31 20 662 66 08 / Fax: + 31 20 675 71 76 eMail: tni@tni.org / Internet: http://www.tni.org Autor: Thomas Fritz Verlag: FDCL-Verlag, Berlin Titelfoto: Miguel Araoz, Quisca producciónes, Peru / Proteste gegen hohe Nahrungsmittelpreise in Cuzco (Peru), Dezember 2008. Dieses Projekt wird gefördert durch die Europäische Union. DISCLAIMER: Diese Publikation wurde produziert mit der Unterstützung der Europäischen Union. Der Inhalt der Publikation liegt in der alleinigen Verantwortung des Autors und kann in keiner Weise als Sichtweise der Europäischen Union angesehen werden. ISBN: 978-3-923020-49-2 © FDCL-Verlag, Berlin, 2010
Die zweite Eroberung Das EU-Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru Thomas Fritz Transnational Institute - TNI, Amsterdam Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika - FDCL, Berlin September 2010
INHALT 1 Einleitung 3 2 Teile und herrsche: Zerschlagung der Andengemeinschaft 4 3 Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien 6 3.1 Europäischer Extraktivismus: Landraub und Gewalt 7 3.2 Staatsterror: Parapolitik, Armee und Agenten 9 4 Menschenrechtsverletzungen in Peru 13 5 Recht des Stärkeren: Das Freihandelsabkommen 16 5.1 Monopolisierung von Medikamenten und Saatgut 17 5.2 Verrechtlichung der Biopiraterie 20 5.3 Zahnlose Sozial- und Umweltstandards 22 6 Die Ratifizierung stoppen 24 Endnoten 26 2
1 EINLEITUNG Am 19. Mai 2010 wurde das Freihandelsabkom- Die Analyse des Vertragsentwurfs konzentriert men zwischen Peru, Kolumbien und der Europä- sich auf Risiken der forcierten Liberalisierung des ischen Union beim EU-Lateinamerika-Gipfel in Güter- und Dienstleistungshandels, der Direktin- Madrid unterzeichnet. Gleichwohl tritt das Ab- vestitionen und der geistigen Eigentumsrechte. kommen damit noch nicht in Kraft, denn noch Besonderes Gewicht liegt dabei auf den weitrei- müssen das Europäische Parlament sowie der chenden Regelungen zum geistigen Eigentum, die kolumbianische und peruanische Kongress zu- den freien Zugang zu Medikamenten und Saatgut stimmen. In der EU bedarf es möglicherweise gefährden und der Biopiraterie Vorschub leisten zusätzlich der Ratifizierung durch die Parlamen- können. Erschwerend kommt hinzu, dass der Ver- te der Mitgliedstaaten. Im Europaparlament wird trag nur unzureichend internationale Sozial- und die Debatte über die Annahme für Anfang 2011 Umweltstandards berücksichtigt. Vor allem man- erwartet. Doch aufgrund der sozialen und ökolo- gelt es an effektiven Sanktionsmöglichkeiten bei gischen Risiken des Abkommens sowie der zahl- Verstößen gegen internationale Normen. reichen Menschenrechtsverletzungen vor allem in Diese Publikation entstand im Rahmen einer Kolumbien, aber auch in Peru, regt sich nicht nur Kooperation zwischen dem Transnational Institute der Protest von zivilgesellschaftlichen Gruppen, (TNI) in Amsterdam und dem Forschungs- und Do- sondern auch von manchen Abgeordneten. Unter kumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) Gewerkschaften und sozialen Bewegungen stößt in Berlin. Beide Institutionen verfolgen bereits seit der Vertrag auf breite Ablehnung. Sie fordern, ihn vielen Jahren die Freihandelsagenda der Europäi- nicht zu ratifizieren. schen Union. Mit diversen Veröffentlichungen und Die vorliegende Broschüre bietet einen Über- Veranstaltungen informieren das TNI und das FDCL blick zur Vorgeschichte des Freihandelsabkom- über die sozialen, menschenrechtlichen und ökolo- mens und zur Menschenrechtslage in Kolumbien gischen Folgen der Freihandels- und Assoziations- und Peru sowie eine kritische Analyse des Ver- abkommen, die die EU mit lateinamerikanischen tragsentwurfs, der kürzlich an die Öffentlichkeit Staaten und anderen Ländern des Südens aushan- gelangte. Profiteure des Freihandelsabkommens delt oder bereits unter Dach und Fach brachte. wären vor allem europäische Unternehmen, die entweder in den beiden Andenländern geschäft- lich aktiv sind oder mit ihnen Handel treiben. Daher schildert der Text Aktivitäten europäischer Konzerne in Kolumbien und Peru sowie ihre Ver- strickung in Menschenrechtsverletzungen, dies vor allem in den extraktiven Wirtschaftszweigen Landwirtschaft, Bergbau und Energie. 3
2 TEILE UND HERRSCHE: ZERSCHLAGUNG DER ANDENGEMEINSCHAFT Im Juni 2007 begannen die Verhandlungen zwi- seiner Sojaproduktion in diese beiden Länder, die schen der Europäischen Union und den vier Mit- sich nun aber verpflichteten, ihren Agrarmarkt suk- gliedstaaten der Andinen Gemeinschaft von Na- zessive gegenüber dem hochsubventionierten US- tionen (Comunidad Andina de Naciones - CAN) amerikanischen Agrobusiness zu öffnen, und damit Bolivien, Ekuador, Peru und Kolumbien über ein die bolivianischen Absatzchancen gefährdeten. sogenanntes Assoziierungsabkommen, welches Im Vorfeld der Verhandlungen mit der Europäi- aus drei Säulen bestehen sollte: politischer Dialog, schen Union legte die Regierung von Evo Morales Entwicklungszusammenarbeit und – das eigentli- einen 17 Punkte umfassenden Kriterienkatalog vor, che Herzstück des Vertrags – der Freihandel. Nach- dem das Assoziierungsabkommen genügen soll- dem die EU zuvor bereits bilaterale Assoziations- te. Nach den Vorstellungen Boliviens müsse der abkommen mit Mexiko und Chile unterzeichnete, Vertrag dazu beitragen, das enorme wirtschaft- handelte es sich nunmehr um einen Handelsver- liche Gefälle zwischen der EU und der Andenge- trag zwischen zwei Integrationsblöcken. Doch war meinschaft abzubauen. Die Verhandlungen sollten allen Beteiligten im Vorfeld die mögliche Konflikt- unter Einschluss der Zivilgesellschaft erfolgen, die trächtigkeit klar. andine Integration vertiefen, den Schutz der Bin- Noch im Jahr 2006 gehörte auch Venezuela der nenmärkte erlauben, die Ernährungssouveränität Andengemeinschaft an, verließ diesen Block aber erhalten und den freien Zugang zu Basisdienstleis- im April des Jahres, nachdem Peru ein Freihandels- tungen gewährleisten.1 abkommen mit den USA unterzeichnete und Ko- Auch die Regierung Ekuadors meldete Vorbe- lumbien ebenfalls mit den US-Amerikanern einen halte gegenüber dem breiten Verhandlungsansatz solchen Vertrag aushandelte. Venezuela kritisier- der EU-Kommission an, der nicht nur den tradi- te, dass diese bilateralen Handelsverträge gegen tionellen Güteraustausch, sondern auch die Dere- die Regeln der Andengemeinschaft verstießen, die gulierung von Investitionen, Dienstleistungen und die Berücksichtigung der Auswirkungen von Ab- Staatsaufträgen sowie den weitreichenden Schutz kommen mit Drittstaaten auf die nicht beteiligten geistiger Eigentumsrechte europäischer Konzerne CAN-Mitglieder vorsehen. Die andine Integration umfasst.2 Hinzu kam, dass Ekuador, der größte Ba- werde durch Importe und Investitionen aus den nanenexporteur der Welt, zu jener Zeit noch mit USA unterlaufen, welche den gesamten Block be- der EU über deren Bananenmarktordnung stritt treffen könnten, nicht nur die Märkte der beiden – ein Konflikt, der erst im Dezember 2009 bei der Unterzeichnerstaaten. Welthandelsorganisation WTO zu einer Einigung Ähnliche Befürchtungen trieben auch Bolivien führte. um, das bereits Exporteinbußen durch die US-Ver- Innerhalb der Andengemeinschaft setzten sich träge mit Peru und Kolumbien fürchten musste. Bolivien und Ekuador – im Vergleich zu Kolumbien Das Land exportierte bis dahin rund ein Drittel und Peru wirtschaftlich schwächere Länder – für 4
eine diversifizierte Strategie ein, die einerseits die handelsabkommen bereit seien. Zugleich fügte sie Einheit der Gemeinschaft bewahrt hätte, anderer- hinzu, „dass die Verhandlungen jederzeit für alle seits diesen beiden Ländern gesonderte Schutz- CAN-Mitglieder offenstehen, die dies wünschen.“6 rechte einräumen sollte. Am 8. Juni 2007 verab- Im Januar 2009 wurden die Gespräche neu schiedeten die vier CAN-Mitglieder gemeinsam aufgenommen. Nunmehr aber ging es nicht mehr die Entscheidung 667 (Decisión 667), die diesen um ein Assoziationsabkommen, sondern um ein Bedürfnissen entgegenkam.3 Freihandelsabkommen: Die Säulen politischer Di- Danach sollte das Assoziierungsabkommen alog und Entwicklungszusammenarbeit fielen un- mit der EU die Asymmetrien innerhalb der Anden- ter den Tisch. Auf Seiten der Andengemeinschaft gemeinschaft berücksichtigen, indem die einzelnen nahm neben Peru und Kolumbien zunächst auch CAN-Mitglieder Liberalisierungsverpflichtungen- Ekuador teil, das sich jedoch im Juli 2009 aufgrund unterschiedlicher Tiefe hätten übernehmen kön- des Bananenstreits mit der EU wieder zurückzog. nen. Das biregionale Abkommen müsse Bolivien Im März 2010 bereits kamen die „Multi-Partei- und Ekuador eine sogenannte „Sonder- und Vor- en“-Verhandlungen zum Abschluss und am 19. zugsbehandlung“ (Trato Especial y Diferenciado) Mai 2010 wurde der Freihandelsvertrag zwischen einräumen, ein traditionelles handelspolitisches Peru, Kolumbien und der Europäischen Union beim Prinzip zugunsten von Entwicklungsländern, das EU-Lateinamerika-Gipfel in Madrid unterzeichnet. – wenn auch in abgeschwächter Form – auch in die Doch tritt er damit noch nicht in Kraft, denn noch WTO-Verträge Eingang fand.4 Trotz dieser gemein- müssen das Europaparlament sowie der kolumbi- schaftlichen CAN-Entscheidung aber bekundeten anische und peruanische Kongress zustimmen. In die neoliberalen Regierungen Kolumbiens und Pe- der EU ist unter Umständen auch die Ratifizierung rus gegenüber der EU in der Folge ihren Wunsch, durch die Parlamente der Mitgliedstaaten erforder- bilateral, d.h. an der Andengemeinschaft vorbei, lich. Freihandelsabkommen auszuhandeln.5 Bolivien betonte unterdessen, sich niemals Am 30. Juni 2008 schließlich sagte die EU- selbst aus den interregionalen Verhandlungen mit Kommission überraschend die vierte biregionale der Europäischen Union zurückgezogen zu haben, Gesprächsrunde ab, die Mitte Juli in Brüssel hätte und reichte im Februar 2010 Klage beim Gerichts- stattfinden sollen, und legte die Verhandlungen hof der Andengemeinschaft (Tribunal de Justicia de mit Verweis auf die CAN-internen Konflikte auf Eis. la Comunidad Andina) ein. Die Regierung von Evo Im November 2008 wiederum kündigte die seiner- Morales wirft Kolumbien, Peru und Ekuador unter zeitige EU-Kommissarin für auswärtige Beziehun- anderem vor, gegen die in der CAN-Entscheidung gen, Benita Ferrero Waldner, an, die Kommission 667 vorgenommene Festlegung auf gemeinsame wolle nunmehr nur noch mit Peru und Kolumbien Verhandlungen mit der EU verstoßen zu haben.7 weiterverhandeln, da diese Länder zu einem Frei- 5
3 MENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN IN KOLUMBIEN An dem Großteil der Menschenrechtsverletzungen tungen bleiben ungesühnt. Nur in einem Bruchteil in Kolumbien – Zwangsvertreibungen, Morde an der Fälle nehmen die staatlichen Behörden über- GewerkschafterInnen, extralegale Hinrichtungen, haupt Ermittlungen auf, nur vereinzelt kommt es Folter und „Verschwindenlassen“ sozialer Aktivis- zu Verurteilungen. tInnen – sind staatliche Akteure direkt oder indirekt Für GewerkschafterInnen ist Kolumbien das beteiligt. Mehreren kolumbianischen Regierungs- gefährlichste Land der Erde. Seit dem Amtsan- mitgliedern konnten Verbindungen zu rechtsextre- tritt Álvaro Uribes im Jahr 2002 wurden über 500 men paramilitärischen Gruppen nachgewiesen wer- GewerkschafterInnen ermordet. Zwei Drittel der den, auf deren Konto der Großteil der Verbrechen weltweiten Morde an GewerkschafterInnen finden geht. Polizei und Militär, die ebenfalls zahlreiche in Kolumbien statt. Fundamentale Gewerkschafts- Menschenrechtsverletzungen begehen, kooperieren rechte wie die Vereinigungsfreiheit, das Streikrecht bis heute mit Paramilitärs, die sie für den Kampf und das Recht auf Kollektivverhandlungen werden gegen Oppositionelle, Gewerkschaften und Gueril- nicht respektiert. Die gewerkschaftsfeindliche Poli- las ausrüsteten. Aber auch die beiden wichtigsten tik zusammen mit der massiven Repression schlägt gegen die Regierung kämpfenden Guerilla-Gruppen sich in einem überaus niedrigen Organisationsgrad FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Co- von weniger als fünf Prozent der ArbeitnehmerIn- lombia) und ELN (Ejército de Liberación Nacional) nen nieder. Nicht einmal zwei Prozent der Beschäf- verüben Menschenrechtsverletzungen wie Morde, tigten sind durch einen Tarifvertrag erfasst.8 Entführungen und Zwangsrekrutierungen. In den letzten beiden Jahren nahm die Gewalt Die konservative Regierung von Álvaro Uribe gegen GewerkschafterInnen deutlich zu. Im Jahr indes blieb bis zuletzt unwillig, die mit staatlicher 2008 wurden 49, im Jahr 2009 48 Gewerkschafte- Unterstützung begangenen Verbrechen mit dem rInnen ermordet. Die von den Morden am stärks- nötigen Nachdruck zu verfolgen. Auch unter Uribes ten betroffene Gewerkschaft war mit 19 Fällen die Nachfolger Juan Manuel Santos, der die Stichwahl Lehrergewerkschaft FECODE, gefolgt vom Natio- um die Präsidentschaft am 20.6.2010 gewann, ist nalen Gewerkschaftsverband der Land- und Vieh- eine Besserung der prekären Menschenrechtslage wirtschaft FENSUAGRO, der 11 Morde zu beklagen kaum zu erwarten. Santos, der zuvor Verteidi- hatte. Hinzu kamen allein im vergangenen Jahr min- gungsminister der Regierung Uribe war, kündigte destens 500 Anschläge auf das Leben, die Freiheit die Fortsetzung der umstrittenen Politik der „de- oder die körperliche Unversehrtheit von Gewerk- mokratischen Sicherheit“ seines Vorgängers an. schafterInnen. Gewerkschaftsfeindliche Praktiken Diese aber zeichnet sich durch eine extreme sind in den Betrieben überaus verbreitet. Auf den Straflosigkeit aus: 97 Prozent der Morde an Ge- Beitritt von 185 ArbeiterInnen der Palmöl-Plantage werkschafterInnen, 98 Prozent der Zwangsvertrei- Finca Palo Alto zur nationalen Landarbeitergewerk- bungen und 99 Prozent der extralegalen Hinrich- schaft SINTRAINAGO reagierte die Betriebsleitung 6
mit der umgehenden Entlassung der ArbeiterInnen. Ein großer Teil der Opfer besaß Land, das sich Un- Ebenso versucht die kolumbianische Niederlassung ternehmen, die mit den Paramilitärs kollaborieren, des spanischen Energiekonzerns Unión Fenosa, illegal aneigneten. Nach Angaben der Menschen- Electricaribe, durch Repression den gewerkschaft- rechtsorganisation CODHES (Consultoría para los lich organisierten und tarifvertraglich geschützten Derechos Humanos y el Desplazamiento) mussten Teil seiner Belegschaft zu minimieren.9 die vertriebenen Familien seit dem Jahr 2000 eine Häufig geht die gewerkschaftsfeindliche Un- Fläche von 5,5 Millionen Hektar Land zurücklassen ternehmenspraxis Hand in Hand mit paramilitäri- – ein Gebiet, größer als die Schweiz.12 schem Terror. Ein Dokument der beiden kolumbi- Von 2002 bis 2006 initiierte die Uribe-Regie- anischen Unión Fenosa-Töchter, Electricaribe und rung einen wenig erfolgreichen Demobilisierungs- Electrocosta, beschuldigte GewerkschafterInnen prozess, in dessen Rahmen zwar rund 30.000 ihrer Betriebe Mitglieder von Guerillagruppen zu Paramilitärs der rechtsextremen AUC (Autodefen- sein – ein lebensbedrohlicher Vorwurf in Kolum- sas Unidas de Colombia) ihre Waffen abgaben, je- bien. Acht Unión Fenosa-Gewerkschafter wurden doch viele von ihnen aktiv blieben. Nur wenigen zwischen 2000 und 2005 ermordet. Gewerkschaf- Demobilisierten wurde der Prozess gemacht und ten vermuten Paramilitärs als Täter, doch eine Auf- nur selten kam es zur Rückgabe der geraubten klärung steht noch aus. Das kolumbianische An- Grundstücke. Rund 45.000 Hektar wurden bisher waltskollektiv José Alvear Restrepo fordert, dass an den Staat zurückgegeben – weniger als ein Pro- der Zusammenhang zwischen den Unión Fenosa- zent des geraubten Landes. Der Großteil verbleibt Dokumenten und den Morden gerichtlich geklärt in den Händen von Unternehmern, paramilitäri- werden müsse.10 schen Kommandeuren oder deren Strohmännern.13 Im August 2009 wurde Gustavo Gómez, be- Das geraubte Land dient meist der expandierenden schäftigt bei Nestlé-Comestibles la Rosa S.A. und Viehwirtschaft, dem Abbau von Rohstoffen (Kohle, Mitglied der Nahrungsmittelgewerkschaft SINAL- Gold) oder agroindustriellen Plantagen (Ölpalmen, TRAINAL, in seinem Haus ermordet, nachdem die Zuckerrohr, Kakao). Gewerkschaft gegenüber Nestlé einen Forderungs- Kolumbianische Menschenrechtsgruppen un- katalog präsentiert hatte. Ebenso erhielten SIN- terstützten einen Gesetzesvorschlag, der die Rück- TRAINAGO-Mitglieder Morddrohungen, nachdem gabe der Grundstücke und die Entschädigung der sie Forderungen für anstehende Verhandlungen mit Opfer vorsah, das sogenannte „Ley de Víctimas“. den Bananenplantagen in der Region Urabá vor- Im Juni 2009 aber brachte die Uribe-Regierung die- brachten. Gegen die friedlichen Proteste von Ge- ses Vorhaben zu Fall, weil der Vorschlag die Opfer werkschaften, die sich gegen Massenentlassungen von Paramilitärs und Guerillas mit denen des Staa- im Erziehungssektor der Stadt Barranquilla richte- tes gleichstellte und als zu kostspielig angesehen ten, gingen nicht nur die staatlichen Sicherheits- wurde.14 Statt die Bevölkerung zu schützen, debat- kräfte mit aller Härte vor, sondern es tauchte auch tierte das Regierungslager lieber darüber, wie die eine Todesliste einer paramilitärischen Gruppe auf, maximale Fläche, die in- und ausländische Agrarin- die 20 Personen, darunter mehrere Gewerkschaf- vestoren besitzen dürfen, erhöht werden könne.15 ter, zu „militärischen Zielen zwecks Auslöschung“ erklärten.11 Die am weitesten verbreitete Menschenrechts- 3.1 Europäischer Extraktivismus verletzung in Kolumbien ist die gewaltsame Ver- Landraub und Gewalt treibung. Seit 1985 wurden über 4,6 Millionen Menschen – ein Zehntel der Bevölkerung – zumeist Menschenrechtsgruppen wie die Plataforma Co- von paramilitärischen Gruppen mit brutaler Gewalt lombiana de Derechos Humanos, Democracia y vertrieben. In den Jahren der Uribe-Regierung stie- Desarrollo befürchten, dass durch das EU-Freihan- gen die Flüchtlingszahlen massiv an: Allein 2008 delsabkommen die Vertreibungen noch zunehmen vertrieben bewaffnete Gruppen 380.000 Menschen, könnten, weil es die Rechtssicherheit für Investi- im Zeitraum 2006 bis 2008 insgesamt eine Million. tionen in extraktive Sektoren wie Bergbau, Energie 7
Foto: Jochen Schüller Flurbereinigung Palmplantage in Kolumbien und Landwirtschaft erhöht, ohne aber die sozialen Hektar – eine Fläche, halb so groß wie Deutsch- Rechte der Bevölkerung zu stärken. Nach ihren Er- land. Knapp 6 Millionen Hektar davon überschnei- fahrungen besteht das größte Vertreibungsrisiko den sich mit indigenen und afrokolumbianischen für jene lokalen Gemeinschaften, die in Gebieten Territorien.18 leben, die von wirtschaftlichem Interesse für diese Zahlreiche europäische Firmen tummeln sich im extraktiven Industrien sind.16 kolumbianischen Ölgeschäft, darunter Repsol YPF In ihrer „Visión 2019“ setzte die kolumbiani- (Spanien), British Petroleum, Gold Oil, Global En- sche Regierung als zentrales Ziel der wirtschaftli- ergy Development (Großbritannien), Royal Dutch chen Entwicklung die Weltmarktintegration. Der Shell (Niederlande-Großbritannien), Perenco (Frank- Beitrag ausländischer Direktinvestitionen und der reich-Großbritannien) sowie die französischen Exporte zum Bruttoinlandsprodukt sollte drastisch Unternehmen Total und Hocol. Auch den europä- erhöht werden, indem die Investitionssicherheit ischen Minerölkonzernen werden Menschenrechts- verbessert, Handelshemmnisse beseitigt, Unter- verletzungen vorgeworfen, etwa British Petroleum nehmenssteuern gesenkt und Freihandelsabkom- (BP). Nachdem kolumbianische Bäuerinnen und men mit mehreren Regionen und Ländern ausge- Bauern ein Verfahren gegen BP vor dem englischen handelt werden.17 Die Regierung beabsichtigte, vor Obersten Gerichtshof anstrengten, einigten sie sich allem im Agrar-, Bergbau- und Ölsektor massive mit dem Unternehmen 2006 außergerichtlich auf Investitionen anzulocken. Entschädigungen in Form eines Treuhandfonds. Die Diese „Vision“ wurde zum Teil bereits Realität: KolumbianerInnen machten geltend, dass eine BP- Bereits zwischen 2002 und 2006 vervierfachten Pipeline ihre Felder zerstörte und sie von Paramili- sich die Auslandsinvestitionen im Ölsektor von tärs, die die Pipeline bewachten, terrorisiert wurden. 500 Millionen auf 2 Milliarden US-Dollar, 10 neue Im Dezember 2008 reichte eine weitere Gruppe von Erdölkonzerne kamen ins Land und Hunderte neue Bäuerinnen und Bauern eine Sammelklage gegen BP Explorationsverträge wurden unterzeichnet. Das beim Obersten Gerichtshof ein.19 Gebiet, das die staatliche Aufsichtsbehörde Agen- In ihrem Entwicklungsplan für den Bergbausek- cia Nacional de Hidrocarburos für Evaluation, Ex- tor verkündet die kolumbianische Regierung das ploration und Produktion an Ölfirmen vergab, be- Ziel, bis zum Jahr 2019 zu einem der drei wichtigs- lief sich im Jahr 2008 schon auf über 17 Millionen ten weltweiten Zielgebiete für Mineninvestitionen 8
aufzusteigen. Dazu soll die Produktion von Koh- afrokolumbianischen Gemeinschaften durchgeführt le verdoppelt und von Edelmetallen vervierfacht werden“.27 Die „freie, vorherige und informierte werden. Das Gebiet, in dem die Regierung Berg- Zustimmung“ ist in der UN-Erklärung über Indige- baukonzessionen vergibt, soll verdreifacht werden nen-Rechte aus dem Jahr 2007 verankert.28 – zweifellos eine massive Bedrohung für Kleinbau- Im Agrarsektor strebt die kolumbianische Re- ern, Indigene und AfrokolumbianerInnen.20 gierung Exportsteigerungen nicht nur bei traditi- Die verschiedenen Bergbautitel, die die Regie- onellen Produkten wie Kaffee, Bananen, Zucker rung bereits an Unternehmen vergab, umfassen und Tabak an, sondern auch bei Palmöl, Agro- eine Fläche von 2,9 Millionen Hektar. Es wird ge- treibstoffen und Naturfasern. Hervorstechend ist schätzt, dass die Anträge für weitere Bergbaulizen- dabei das rasante Wachstum der Palmplantagen, zen das Zehnfache dieser Fläche überschreiten. Fast deren Fläche sich zwischen 2001 und 2006 von die Hälfte der von der Regierung ausgewiesenen 150.000 auf 300.000 Hektar verdoppelte29 und im Minendistrikte überschneiden sich mit indigenen Jahr 2009 365.000 Hektar erreichte.30 Zwei Drittel Reservaten. Allein der riesige Steinkohletagebau des kolumbianischen Palmöls landet auf dem euro- von Cerrejón im Departement La Guajira, der zu päischen Markt, Hauptabnehmer ist Deutschland je einem Drittel den Konzernen Anglo American mit rund 40 Prozent der Exporte.31 Über die Hälfte (Großbritannien), BHP Billiton (Australien-Groß- des nach Deutschland eingeführten Palmöls wird britannien) und Xstrata (Schweiz) gehört, verfügt für die Strom- und Wärmeerzeugung in Blockheiz- über Konzessionen von mehr als 124.000 Hektar.21 kraftwerken verwendet.32 Daneben findet es in der Für den Kohletagebau von Cerrejón mussten Produktion von Lebensmitteln, Kosmetika und Bio- bereits mehrere Dörfer weichen, weitere sind durch diesel Verwendung. die Expansion der Mine bedroht. 2001 wurde das Die wichtigsten Importeure des kolumbiani- Dorf Tabaco zerstört und die verbliebenen Bewoh- schen Palmöls auf dem deutschen Markt sind die nerInnen durch Sicherheitskräfte verjagt. Umsied- Agrarhändler Cargill und ADM (Archer Daniels Mid- lungsmaßnahmen und Entschädigungen blieben land) sowie die Daabon Organics Gruppe, ein ko- völlig unzureichend.22 Die Armeeeinheit, die auch lumbianischer Erzeuger biologischer Produkte mit für die Sicherheit von Cerrejón zuständig ist, war Niederlassungen in den USA, Japan und Deutsch- in ein Massaker paramilitärischer Gruppen an Indi- land.33 Die Daabon-Gruppe, deren „Bio-Palmöl“ in genen der Wayúu verwickelt.23 Seifen der Kosmetikkette The Body Shop sowie in Kolumbien ist der viertgrößte Kohleexporteur Bio-Lebensmitteln der Marken Alnatura, Rapunzel der Welt, nahezu die Hälfte der kolumbianischen und Allos enthalten ist, geriet in die Schlagzeilen, Exporte stammt aus Cerrejón. Nach Südafrika und nachdem sie im vergangenen Jahr 500 Menschen Russland ist das Land der wichtigste Kesselkohle- der Siedlung Las Pavas polizeilich räumen ließ, um lieferant Deutschlands. 5,8 Millionen Tonnen nah- Platz für eine Palmplantage zu schaffen. Die Klein- men deutsche Kraftwerke im Jahr 2008 ab.24 Hie- bauern waren schon einmal 2006 von Paramilitärs sige Kraftwerksbetreiber, die kolumbianische Kohle vertrieben worden, kehrten aber ein halbes Jahr verwenden, sind u.a. E.ON, Vattenfall, EnBW und später zurück, gründeten eine Kooperative und be- Evonik. Allein E.ON bezog im Jahr 2009 rund 4 antragten gemeinsam einen Landtitel. Sie betrach- Millionen Tonnen Steinkohle aus Kolumbien, ein ten ihre Räumung durch Daabon als illegal, weil ihr großer Teil davon aus Cerrejón.25 Evonik ist über Anspruch auf das Land ignoriert wurde.34 seine Brennstoffsparte Evonik Trading zusätzlich im Handel mit kolumbianischer Kohle aktiv.26 Das UN-Komitee für wirtschaftliche, soziale 3.2. Staatsterror: Parapolitik, und kulturelle Rechte brachte in seinem jüngsten Armee und Agenten Bericht die Sorge zum Ausdruck, dass in Kolum- bien „Infrastruktur-, Entwicklungs- und Bergbau- Doch Daabon ist kein Einzelfall. Zehntausende Megaprojekte ohne die freie, vorherige und infor- bäuerliche Familien wurden für Palmplantagen mit mierte Zustimmung der betroffenen indigenen und teils brutaler Gewalt verjagt. Allein 17.000 Men- 9
schen, zumeist AfrokolumbianerInnen, vertrieben ca-Skandals seit 2006 ans Licht. PolitikerInnen Armee und Paramilitärs bei einer gemeinsamen bedienten sich des Terrors der Paramilitärs, um so- Militäraktion (Operation Genesis) 1997 aus den ziale AktivistInnen und politische Gegner auszu- Flussbecken des Jiguamiandó und Curvaradó im schalten und an öffentliche Ämter zu kommen. Im Departement Chocó. Mehrere Unternehmen mit Gegenzug reichten sie Informationen und öffent- Verbindungen zu den Paramilitärs legten auf den liche Gelder an die bewaffneten Gruppen weiter. zurückgelassenen Grundstücken illegal Palmplan- Mehrere Politiker und Paramilitärs unterzeichneten tagen an. Manche der Vertriebenen kehren heu- ein geheimes Dokument, das eine durch Drogen- te in die Region zurück und versuchen trotz der gelder finanzierte sukzessive Machtübername im andauernden Übergriffe von Paramilitärs und Ar- Lande vorsah (der sog. Pacto de Ralito). Gegen 93 mee, trotz gezielter Verhaftungen, Entführungen von den 268 gewählten Kongressabgeordneten und Morde, einen Teil der Grundstücke zurückzu- wurden bis Ende 2009 Ermittlungen aufgenom- erhalten. Nachdem ihnen kürzlich die Rückgabe men, 13 Abgeordnete wurden bis dahin verurteilt. von 29.000 Hektar Kollektivterritorien zuerkannt Hinzu kommen weitere 249 Verfahren gegen Gou- wurde, erließ die Staatsanwaltschaft im Mai 2010 verneure, Bürgermeister und Lokalpolitiker.38 Die erstmals Haftbefehl gegen 24 an dem Landraub be- große Mehrheit der in den Skandal verwickelten teiligte Unternehmer.35 PolitikerInnen gehört den Parteien der Regierungs- Doch seither müssen nicht nur die AktivistIn- koalition von Uribe an.39 Der ehemalige Staatsan- nen in der Region Racheakte fürchten, sondern walt Mario Iguarán Arana, der bis Mitte 2009 zu auch Menschenrechtsorganisationen wie die Co- den Parapolítica-Fällen ermittelte, sagte: „Die Poli- misión Intereclesial Justicia y Paz, die sie in ihrem tiker suchten die Paramilitärs, nicht umgekehrt.“40 langwierigen Kampf unterstützten. Während die Ähnliches gilt auch für den Skandal um den direkt Rückgabe der Grundstücke mittlerweile wieder dem Präsidenten unterstehenden Sicherheitsdienst ausgesetzt wurde, hetzte Präsident Uribe gegen DAS (Departamento Administrativo de Seguridad). die Nichtregierungsorganisationen, denen er vor- Aus DAS-Dokumenten, die die Staatsanwaltschaft warf, Zwietracht unter den afrokolumbianischen im April 2010 beschlagnahmte, geht hervor, dass Gemeinden im Chocó zu säen und sich als „neue der Sicherheitsdienst mit kriminellen Praktiken im Kolonisatoren“ zu gerieren.36 In- und Ausland auf Oppositionelle Hatz machte, Doch derartige Vorwürfe sind für Menschen- darunter PolitikerInnen, JournalistInnen, Nichtre- rechtsverteidigerInnen in Kolumbien lebensbedroh- gierungsorganisationen und Gewerkschaften. Zu lich. In den vergangenen Jahren haben die Aggres- seinen Methoden gehörten nicht nur illegale Be- sionen gegen sie deutlich zugenommen, darunter schattungen und Abhörungen, sondern gezielte Morde, Attentate, Drohungen, Körperverletzungen, Verleumdungen, Todesdrohungen, Erpressungen Folter willkürliche Gerichtsverfahren und Verhaftun- und Terrorakte. Gegen den ehemaligen Direktor des gen. Nach Angaben des Programms Somos Defenso- DAS und Uribe-Vertrauten, Jorge Noguera, läuft res gab es 2009 177 Angriffe auf Menschenrechts- ein Verfahren vor dem Obersten Gericht, da er Lis- verteidigerInnen, darunter 32 Morde. Im Zeitraum ten mit den Namen von GewerkschafterInnen und 2002 bis 2008 zählte das Programm noch durch- MenschenrechtsverteidigerInnen an Paramilitärs schnittlich 16 Morde pro Jahr. Die vermuteten Ur- weitergab. Nach Angaben der Internationalen Fö- heber der Angriffe im Jahr 2009 sind zu 47 Prozent deration für Menschenrechte (FIDH) wurden min- Paramilitärs, 18 Prozent staatliche Institutionen destens drei Personen auf Grundlage dieser Listen und 9 Prozent Guerillas. Ein Viertel der vermuteten umgebracht.41 Urheber ist unbekannt. Im gesamten Zeitraum 2002 Ferner sollte die „Operation Europa“ des DAS bis 2009 zählte das Programm 1057 Angriffe, d.h. die Arbeit europäischer Menschenrechtsinstitu- durchschnittlich 134 Opfer pro Jahr.37 tionen sabotieren, etwa des Menschenrechtsaus- Die engen Verbindungen zwischen staatlichen schusses des Europaparlaments oder des Büros des RepräsentantInnen und den Paramilitärs kamen UN-Hochkommissariats für Menschenrechte. Nach besonders im Zuge des sogenannten Parapolíti- Angaben belgischer Medien war es das Ziel, die De- 10
batte um die Annahme des Freihandelsabkommens Es besteht daneben der Verdacht, dass deutsche mit der Europäischen Union zu beeinflussen. DAS- Geheimdienste, und hier vor allem der Bundes- Spione forschten dazu nicht nur Europaparlamen- nachrichtendienst BND, mit dem DAS bei dessen tarierInnen aus, sondern auch mehrere belgische illegalen Aktivitäten kollaborierten. In den von der Nichtregierungsorganisationen, darunter Oxfam kolumbianischen Staatsanwaltschaft beschlag- Solidarité, das Hilfswerk Broederlijk Delen und das nahmten DAS-Dokumenten finden sich Vermerke Netzwerk OIDHACO. Mit Schmutzkampagnen über Anfragen bei deutschen Geheimdiensten zu sollten die Agenten deren Glaubwürdigkeit unter- Reisen von MenschenrechtlerInnen. In einer kleinen minieren und ihren Einfluss „neutralisieren“.42 Anfrage an die Bundesregierung wollen Abgeord- Opfer der DAS-Aktivitäten waren u.a. der Be- nete der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die rater der Europäischen Linksfraktion (GUE/NGL) Grünen daher wissen, ob „deutsche Geheimdienste Paul-Emile Dupret und der in Brüssel tätige Ge- Informationen über Reisen kolumbianischer Men- neralsekretär der Internationalen Föderation für schenrechtsverteidigerinnen- und verteidiger ge- Menschenrechte (FIDH) Luis Guillermo Perez. Auf sammelt und an den DAS oder andere kolumbiani- einer Webseite tauchte eine gefälschte Meldung sche Behörden weitergegeben“ haben.44 auf, die Dupret als Unterstützer der FARC-Gueril- In einer Antwort auf eine schriftliche Anfrage la diskreditieren sollte. Perez, selbst Kolumbianer, des Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbe- wurden in seinem Haus in Belgien Computer und le bestätigte die Staatsministerin im Auswärtigen eine Festplatte gestohlen, seine Mutter erhielt einen Amt, Cornelia Pieper (FDP), dass der BND bereits Drohanruf aus Kolumbien. Zu weiteren Zielen der seit Ende der 1980er Jahre Kontakte mit dem DAS DAS-Agenten gehörten die internationalen Men- unterhalte. Sie beteuerte zwar, diese Kontakte hät- schenrechtsorganisationen Human Rights Watch ten keinen Bezug zu den illegalen DAS-Aktivitäten, und Peace Brigades International. Eine Gruppe von blieb aber Belege für ihre Behauptung schuldig.45 Europaabgeordneten forderte die Kommission dazu Sollte sich die deutsche Unterstützung der krimi- auf, die „Operation Europa“ zu untersuchen. Doch nellen DAS-Praktiken bewahrheiten, gefährdete der diese fürchtet, eine Untersuchung könne die Ratifi- BND das Leben und die Gesundheit von Menschen- zierung des Freihandelsabkommens torpedieren.43 rechtsverteidigerInnen. Kolumbien: Dörfer im Chocó gegen den Zutritt bewaffneter Gruppen 11
Kolumbianische Nichtregierungsorganisationen mit 15 Tagen Urlaub honoriert wurde. Die genaue bezweifeln, dass es unter der Präsidentschaft von Zahl der Opfer ist unbekannt, Schätzungen reichen Juan Manuel Santos zu einer Besserung der Men- von 1.000 bis zu über 2.000 Opfern im Zeitraum schenrechtssituation kommt. Während dessen 2002 bis 2009. Die Staatsanwaltschaft berichtete Amtszeit als Verteidigungsminister (2006-2009) im Mai 2009, dass sie in über 2.000 Fällen ermittle. kam einer der schmutzigsten Armeeskandale ans Nach wie vor aber können die Täter mit weitgehen- Licht, die sogenannten „falschen Erfolgsmeldun- der Straflosigkeit rechnen. Bis Ende April 2009 kam gen“ (falsos positivos). Um Erfolge im Anti-Gueril- es nur in 16 Fällen von Armeemorden, die an die la-Kampf vorzuweisen, entführten und ermordeten Staatsanwaltschaft übertragen wurden, zu Verur- Soldaten der kolumbianischen Streitkräfte Zivilisten teilungen.46 und präsentierten sie gegenüber den Medien als Santos indes kündigte im Wahlkampf an, die Guerilleros, die im Kampf getötet wurden. Zwar Soldaten durch Stärkung der Armeegerichtsbarkeit reicht diese Praxis schon weit zurück, unter der vor einer unabhängigen Strafverfolgung durch die Amtszeit von Santos und seinem Vorgänger erhöh- Justiz zu schützen (sog. fuero militar). Ebenso will ten sich die Armeemorde jedoch massiv. er die Gewaltenteilung erodieren, indem er künftig Stimuliert wurde diese Praxis mit Belohnungen die Staatsanwaltschaft an die Regierung bindet. Die für Personen, die der Armee Opfer zuführten, sowie Staatsanwaltschaft, so Santos, verstünde nichts mit verschiedenen Anreizen für die Soldaten: Ur- von den Regeln des Militärs und sei daher in ihren laubstage, Auszeichnungen und Beförderungen. Ein Urteilen „sehr ungerecht“ gewesen.47 Soldat berichtete, dass in seiner Einheit eine Tötung 12
4 MENSCHENRECHTSVERLETZUNGEN IN PERU Auch in Peru befürchten soziale Bewegungen, dass würden sich wie der Wachhund des Gärtners ver- die Menschenrechte durch das Freihandelsabkom- halten, der das Gemüse nicht selber frisst, es aber men weiter unter die Räder kommen. Diese Erfah- auch nicht von anderen essen lässt.48 rung mussten sie bereits mit dem Freihandelsab- Ganz in diesem Sinne zielten Garcías Liberalisie- kommen zwischen Peru und den USA machen, das rungsdekrete darauf ab, Investoren aus dem Berg- nach der Ratifizierung im peruanischen Kongress bau-, Öl- und Agrarsektor den Zugang zu Land zu (Juni 2006) und im US-Kongress (Dezember 2007) erleichtern. Das Dekret 1015 sah dazu vor, den Pro- im Jahr 2009 in Kraft trat. Um die Liberalisierungs- zentsatz der Gemeindemitglieder, die dem Landver- anforderungen des Vertrags umzusetzen, ließ sich kauf an Dritte zustimmen müssen, von zwei Drittel die Regierung von Alan García Sondervollmachten der Abstimmungsberechtigten auf 50 Prozent plus erteilen, die zwischen März und Juni 2008 die Ver- 1 der Anwesenden einer Versammlung zu verrin- abschiedung von 99 Dekreten ermöglichten. Meh- gern. Dekret 1064 sollte es dem Staat ermöglichen, rere davon betrafen die Landrechte von bäuerlichen Gemeindeflächen zu Brachland zu erklären und sie und indigenen Gemeinschaften, die häufig über damit zu enteignen. Investoren, die auf diesen Flä- keine sicheren, in den staatlichen Katastern einge- chen Rohstoffe ausbeuten wollen, sollten zugleich tragene Eigentumstitel verfügen. von der Verpflichtung befreit werden, eine vorheri- Im September 2007 beschrieb Präsident García ge Zustimmung der Bodeneigentümer einzuholen. in seinem Artikel „Das Syndrom des Hundes des Mit dem Dekret 1090 schließlich wollte die Regie- Gärtners“ (El sindrome del perro del hortelano) Bau- rung Waldflächen im amazonischen Tiefland Perus erngemeinden als Fortschrittsfeinde, deren Rechts- zu landwirtschaftlichen Nutzflächen umwidmen, ansprüche illegitim seien. In ganz Peru gebe es die dann vornehmlich dem Anbau agroenergeti- „künstliche“ bäuerliche Gemeinschaften, die zwar scher Rohstoffe wie Ölpalmen oder Zuckerrohr an- auf dem Papier 200.000 Hektar besäßen, aber heimfallen sollten.49 nicht in der Lage seien, mehr als 10.000 Hektar Über keines dieser Dekrete gab es vorherige zu beackern. Sie lebten in Armut und erwarteten Konsultationen mit VertreterInnen der betroffenen Hilfe vom Staat. Das Eigentum all der Bäuerinnen Gemeinden – ein klarer Verstoß gegen die Konven- und Bauern, die weder über die Kenntnisse noch tion 169 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Ressourcen seiner Bewirtschaftung verfü- ILO50 und gegen die UN-Erklärung über Indige- gen, sei, so García, nur ein „scheinbares“. Würde nenrechte.51 Die Liberalisierungsdekrete führten ihr Land stattdessen an kapitalkräftige Investoren zu massiven Protesten von Bauernorganisationen, verkauft, könne es zum allseitigen Nutzen in Wert Indigenen und Gewerkschaften, die teils gewalt- gesetzt und damit zu „wahrem“ Eigentum werden. sam niedergeschlagen wurden. Am 5. Juni 2009 Doch überkommene kommunitäre Ideologien stün- gingen Spezialeinheiten der Nationalpolizei gegen den dieser Lösung im Weg. Bäuerinnen und Bauern Straßenblockaden protestierender Indigener in der 13
„Die Selva verblutet“ Polizeieinsatz am 5. Juni 2009 in Bagua (Titel von La República am 6. Juni 2009) nordperuanischen Provinz Bagua vor – ein Einsatz, bereits im Mai vom Kongress angenommen wurde, bei dem 33 Menschen getötet und 200 verletzt entspreche den Anforderungen der ILO-Konven- wurden.52 Angesichts des anhaltenden Wider- tion 169 und des internationalen Rechts. Daher stands sah sich die Regierung schließlich gezwun- solle ihn auch die Regierung unterzeichnen und gen, einzelne der Dekrete auszusetzen. umsetzen, so die Forderung Anayas.54 Doch weicht die Regierung von Alan García Die Mehrheit der sozioökologischen Konflikte nicht von ihrem rücksichtslosen Kurs gegenüber in Peru spielt sich im Bergbau, der Ölexploration Indigenen und bäuerlichen Gemeinschaften ab. So und im Forstsektor ab. Nach offiziellen Angaben torpediert sie nach Kräften ein Gesetz, das die vor- wurden bereits 11,6 Prozent des nationalen Terri- herige Konsultation Indigener bei den sie betreffen- toriums in Form von Konzessionen an Bergbauun- den gesetzlichen und administrativen Maßnahmen ternehmen vergeben.55 Noch umfassender ist die regeln soll. Das Gesetz dient der Umsetzung der Landnahme durch den Ölsektor. Bis zu 64 Blocks von Peru ratifizierten ILO-Konvention 169. Nach- verpachtete die Regierung bisher an multinatio- dem der peruanische Kongress den Gesetzentwurf nale Konzerne für die Exploration und Förderung im Mai 2010 annahm, machte Präsident García von Öl und Gas. Mit einer Fläche von 49 Millionen mehrere Einwände geltend und verwies ihn zurück Hektar umfassen diese circa 72 Prozent des peru- an das Parlament, wo er zum Verdruss sozialer Be- anischen Amazonasgebiets – ein Gebiet, größer wegungen von einem Parlamentsausschuss gemäß als Deutschland (35,7 Millionen Hektar). 58 dieser den Wünschen Garcías wieder verwässert wurde. Blocks überschneiden sich mit Gebieten, über die Aufgrund der Obstruktion der Regierung wird das indigene BewohnerInnen Landtitel halten.56 Gesetz möglicherweise erst in der nächsten Le- Zu den Investoren gehören zahlreiche europäi- gislaturperiode nach den allgemeinen Wahlen im sche Mineralölkonzerne, darunter Repsol YPF (Spa- April 2011 weiterverhandelt.53 nien), ENI (Italien), Skanska (Schweden), Perenco In einer Erklärung vom Juli 2010 kritisierte der (Großbritannien/Frankreich), Gold Oil (Großbritan- UN-Sonderberichterstatter über die Menschen- nien) und CEPSA (Spanien). Das Freihandelsabkom- rechte und Grundfreiheiten Indigener, James Ana- men wird die Rechtssicherheit dieser Erdölfirmen ya, das Vorgehen der Regierung. Der Entwurf, der zulasten der traditionellen BewohnerInnen stärken. 14
Die Biotreibstoffe sorgten ebenfalls bereits für lichen Maßnahmen wie der gezielten Entlassung Konflikte. Im nordperuanischen Departement Piura von GewerkschafterInnen, etwa ENI (Italien)60, Te- produziert das Unternehmen Caña Brava Zucker- lefónica (Spanien)61, ING (Niederlande)62 und Rep- rohrethanol, das von Mitsui und British Petroleum sol YPF (Spanien)63. auf den deutschen Markt gebracht und hier dem Die Eskalation von Bagua ist keine Ausnahme: Benzin beigemischt wird.57 Die Regionalregierung Immer wieder gehen die staatlichen Sicherheits- von Piura hatte die dafür genutzten Agrarflächen kräfte mit exzessiver Gewalt gegen soziale Wider- versteigert, obwohl sie anerkanntermaßen von standsbewegungen vor. Dutzende von Demonst- lokalen Gemeinschaften als Viehweiden und zum rantInnnen wurden bei Polizeioperationen in den Feuerholz-Sammeln genutzt wurden. Nach Pro- vergangenen zwei Jahren getötet. Im April 2010 testen der Betroffenen bot Caña Brava einzelnen erschoss die Polizei fünf Bergarbeiter der infor- Familien Entschädigungszahlungen, die Mehrheit mellen Minenindustrie, die sich an Blockadeakti- von ihnen verlangte jedoch die Rückgabe des Lan- onen in Chala im südperuanischen Departement des.58 Arequipa beteiligten. Nach Anschlägen auf eine Verstöße gegen die Gewerkschaftsrechte sind Kupfermine im Dezember 2009 widersetzten sich in Peru ebenfalls an der Tagesordnung. Da die ge- BewohnerInnen des Dorfes Cajas-Canchaque in setzliche Schwelle zur Gründung einer Betriebsge- Nordwest-Peru einer Fahndungsaktion der Polizei, werkschaft bei 20 Mitgliedern liegt, gibt es in vielen die daraufhin zwei Dorfbewohner erschoss. Acht kleinen und mittleren Betrieben keine Gewerkschaf- weitere Personen erlitten Schussverletzungen.64 ten. ArbeitnehmerInnen können willkürlich ohne Auf die Protestwelle reagierte die Regierung von Angabe von Gründen entlassen werden. Auch darf Alan García mit der Kriminalisierung von sozialen die staatliche Arbeitsbehörde nicht überprüfen, ob Bewegungen. MenschenrechtsverteidigerInnen, die bei Massenentlassungen Gewerkschaftsmitglie- die Betroffenen von Bergbauaktivitäten im Departe- der in diskriminierender Weise vor die Tür gesetzt ment Piura unterstützten, warf die Staatsanwalt- werden. Über die Legalität eines Streiks befindet schaft eine ganze Flut von Verbrechen vor, darun- die der Regierung unterstellte Arbeitsverwaltung, ter Terrorismus, Bildung krimineller Vereinigun- nicht die Justiz.59 gen, Anstiftung zur Gewalt, Verschwörungen und In diesem Umfeld griffen auch europäische Un- Überfälle. Auch GewerkschafterInnen werden Op- ternehmen in Peru häufiger zu antigewerkschaft- fer ungerechtfertigter Verhaftungen.65 15
5 RECHT DES STÄRKEREN: DAS FREIHANDELSABKOMMEN Die Befürchtungen über die möglichen Folgen des bisher auch nur ansatzweise gelöst wurden. Dane- Freihandelsabkommens zwischen der EU, Peru und ben vermindert die EU bis zum Jahr 2020 kontinu- Kolumbien sind durchaus begründet. Der durchge- ierlich den Zollsatz auf Bananen, erlaubt jährlich um sickerte Vertragsentwurf, den das europäisch-la- 3 Prozent wachsende zollfreie Zuckerkontingente teinamerikanische Bewegungsnetzwerk Enlazando sowie zollfreie Rindfleischkontigente. Schließlich Alternativas veröffentlichte, zeigt, dass das Ab- bietet sie freien Marktzugang für Ethanol und Bio- kommen die traditionelle Arbeitsteilung zwischen diesel aus Kolumbien und Peru.68 Aufgrund all dieser europäischen Industriestaaten und lateinamerika- Vergünstigungen könnte die Landnahme für einige nischen Rohstoffexporteuren verfestigt.66 Es for- der expansivsten Agrarprodukte, unter anderem zur ciert die Extraktion natürlicher Ressourcen, die Pri- Herstellung von Agroenergie, weiter zunehmen. vatisierung öffentlicher Dienstleistungen und den Zugleich aber werden die beiden Andenstaaten Schutz von Investitionen und geistigem Eigentum zu Opfern der verfehlten europäischen Agrarpoli- in den beiden Andenländern, ohne aber ein effek- tik. Mit der Ausweitung der europäischen Milch- tives Gegengewicht durch soziale und ökologische produktionsmenge, der umstrittenen Milchquote, Standards oder die Stärkung der Menschenrechte forciert die Europäische Union ein Preisdumping, zu schaffen. das kleine Milchviehhalter zugunsten der über- Der Vertrag geht dabei nicht nur über die Rege- proportional subventionierten exportorientierten lungen der Welthandelsorganisation WTO hinaus, Großerzeuger aus dem EU-Markt wirft. Kehrseite etwa durch die weitreichendere Liberalisierung von dieser politisch forcierten Flurbereinigung: Wie Investitionen, Patenten, des Wettbewerbsrechts viele andere Länder des Südens müssen auch Ko- und der öffentlichen Aufträge, sondern auch über lumbien und Peru ihren Markt für die überschüs- andere bilaterale Abkommen. Die EU-Kommission sigen Milchprodukte der europäischen Agrar- und jubelt in ihrer Bewertung der Verhandlungen, dass Lebensmittelindustrie aufmachen. Beide Länder Peru und Kolumbien gegenüber der EU größere Zu- bieten den EU-Exporteuren zollfreie Quoten für geständnisse machten als in ihren jeweiligen Han- Milchpulver, Käse und verarbeitete Milchprodukte, delsverträgen mit den USA, so beim Zollabbau für die jährlich um 10 Prozent wachsen. Vollständig Automobile, Elektroartikel und Maschinen.67 freien Marktzugang, d.h. den Wegfall sämtlicher Bei den Agrargütern bietet die Europäische Uni- Milchzölle und –quoten, bietet Peru 17 Jahre nach on den andinen Exporteuren für eines der konflik- Inkrafttreten des Vertrags und Kolumbien bereits tivsten Produkte die Zollfreiheit: rohes Palmöl (Cru- nach 15 Jahren.69 de palm oil, for technical or industrial uses). Doch Damit droht in beiden Ländern nicht nur Milch- steigende Absatzmöglichkeiten in der EU befördern viehhaltern, sondern auch Teilen der verarbeiten- die weitere Ausbreitung der Palmplantagen, ohne den Industrie die Verdrängung durch die europäi- dass die Landbesitzkonflikte vor allem in Kolumbien schen Wettbewerber. Dabei ist zu berücksichtigen, 16
dass sich Kolumbien und Peru nicht nur gegenüber Wirkung entfalten zu können, dürfen diese nicht der EU, sondern in ihren jeweiligen Freihandelsab- erst im Krisenfall eingeführt werden. kommen mit den USA und Kanada auch gegenüber Bei der Niederlassungsfreiheit bieten Kolum- den Milcherzeugern dieser Länder zu Marktöffnun- bien und Peru europäischen Investoren Marktzu- gen bereit erklärten. Ferner planen beide Staaten gang und Inländerbehandlung in der Land- und Freihandelsabkommen mit dem ebenfalls überaus Forstwirtschaft, in der Extraktion von Kohle, Öl, wettbewerbsfähigen Milchexporteur Australien.70 Gas und Mineralien sowie in einem breiten Spek- In Kolumbien, wo die Milcherzeuger ohnehin unter trum von Dienstleistungen an.72 Das Abkommen Überproduktion und niedrigen Ankaufspreisen lei- stärkt in erheblichem Maße den Investorenschutz, den, protestierten Tausende von Milchviehhaltern denn die Europäische Union könnte etwaige Ver- gegen den Vertrag mit der Europäischen Union. Die stöße gegen die Gleichbehandlungsgrundsätze vor Hälfte der über 400.000 kolumbianischen Viehbe- den Streitschlichtungsmechanismus des Vertra- triebe besitzt weniger als 10 Stück Vieh. Gerade ges bringen (Title XI: Dispute Settlement), der als diese Kleinbetriebe sind am wenigsten in der Lage, Vergeltungsmaßnahmen Kompensationen durch dem durch die Milchimporte forcierten Wettbe- die beklagte Partei oder die Aussetzung von Han- werb standzuhalten.71 delsvergünstigungen durch die beschwerdeführen- Im Dienstleistungsbereich sieht das Abkommen de Partei ermöglicht, so es in einem Verfahren zu unter anderem Liberalisierungen der Telekommuni- einem entsprechenden Urteil kommt.73 Auf diese kation, des Transportwesens, der Finanz-, Umwelt- Weise wird der Extraktivismus in den beiden An- und Energiedienstleistungen vor. Trotz der Wirt- denstaaten weiter festgeschrieben und forciert. schafts- und Finanzkrise hält die EU-Kommission EU-Anbieter bekommen ergänzend überaus dabei unbeirrt an riskanten Deregulierungen der weitreichenden Zugang zu den öffentlichen Be- Finanzmärkte fest. So machen Kolumbien und Peru schaffungsmärkten in Kolumbien und Peru. Sie nicht nur einzelne Zugeständnisse beim Marktzu- haben das Recht an Ausschreibungen der natio- gang und der Inländerbehandlung (d.h. der Gleich- nalen Regierungen, Departements und Kommunen behandlung in- und ausländischer Anbieter) von sowie staatlicher Unternehmen teilzunehmen und Versicherungs- und Bankdienstleistern, sondern treten damit in unmittelbare Konkurrenz zu natio- auch beim Zahlungs- und Kapitalverkehr. Damit nalen Anbietern.74 aber behindert das Abkommen die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen, die – etwa durch obli- gatorische Hinterlegung bestimmter Prozentsätze 5.1 Monopolisierung von der Investitionssummen bei der Zentralbank – dem Medikamenten und Saatgut abrupten Kapitalabzug im Krisenfall vorbeugen. Laut Vertragsentwurf sollen die Parteien grund- Das EU-Freihandelsabkommen dehnt den Schutz sätzlich den mit Direktinvestitionen einherge- geistiger Eigentumsrechte75 über die ohnehin pro- henden freien Kapitalverkehr sicherstellen, ein- blematischen Bestimmungen des TRIPS-Abkom- schließlich der Liquidierung und Rückführung der mens (Trade-Related Aspects of Intellectual Property Investitionen und sämtlicher anfallender Gewinne Rights) der Welthandelsorganisation WTO aus. (Title V: Current Payments and Movement of Capi- Solch weitreichende Anforderungen werden da- tal). Nur in „Ausnahmesituationen“, die „ernsthaf- her auch „TRIPS-plus“-Regelungen genannt. Noch te Schwierigkeiten“ der Wechselkurs- oder Geldpo- stärker als die WTO bedrohen diese den Zugang litik verursachen, dürften Kapitalverkehrskontrollen zu Medikamenten und Saatgut und erleichtern die verfügt werden, die jedoch nicht länger als ein Jahr Biopiraterie durch Pharma- und Biotechfirmen. in Kraft bleiben sollen. Eine Verlängerung wäre Das Abkommen beinhaltet eine fünfjährige Ex- wiederum nur in Ausnahmesituationen und nach klusivität der Testdaten von Pharmakonzernen, die vorheriger Konsultation mit den anderen Vertrags- den Zugang zu preisgünstigeren Nachahmer-Me- parteien möglich. Das Freihandelsabkommen stellt dikamenten, den sogenannten Generika, erheblich damit den Sinn von Kapitalverkehrskontrollen auf behindert. Diese Testdaten müssen die Konzerne den Kopf. Denn um greifen und eine präventive bei Arzneimittelbehörden als Unbedenklichkeits- 17
nachweise für die Zulassung ihrer Medikamente mensgruppen, beeinträchtigt.“77 Dies gilt zweifel- einreichen. Über fünf Jahre dürfen Arzneimittel- los auch für das EU-Freihandelsabkommen. behörden bei Anträgen von Generikaherstellern, Daneben enthält das Abkommen die der EU deren Medikamente die gleiche Zusammensetzung besonders wichtigen Vollzugsmaßnahmen des aufweisen wie die Originalpräparate, nicht die geistigen Eigentumsschutzes, die u.a. für Generi- Testdaten des ursprünglichen Herstellers für die kahersteller eine abschreckende Wirkung entfalten Bewertung der Sicherheit des generischen Medika- sollen. So wird es den Pharmamultis erleichtert, Be- ments zugrunde legen. hörden zum Eingreifen gegen Konkurrenzprodukte Wollten Generikaproduzenten für ihre äquivalen- zu nötigen, die vorgeblich geistige Eigentumsrechte ten Medikamente eine frühere Zulassung erreichen, verletzen. Vorbeugende Maßnahmen (Provisional müssten sie dieselben Tests selbst noch einmal and Precautionary Measures) sollen es ermöglichen, durchführen – eine überflüssige und teure Proze- Waren schon im Verdachtsfall per einstweiliger Ver- dur, die faktisch nur das Monopol der Pharmakon- fügung die Zulassung zu entziehen. Hinzu kommen zerne verlängern soll. Dabei können die Konzerne strenge Strafen bei Verstößen gegen geistige Eigen- die Generikakonkurrenz auch dann über fünf Jahre tumsrechte, die von hohen Entschädigungszahlun- blockieren, wenn ihr Ursprungsprodukt keinen Pa- gen bis zur Zerstörung der in Verkehr gebrachten tentschutz genießt. Die EU folgt mit dieser Klausel Waren auf Kosten der Beklagten reichen. dem schlechten Vorbild der Vereinigten Staaten, Grenzmaßnahmen (Boarder Measures) erlauben die in ihren Freihandelsabkommen mit Kolumbien es den Konzernen, Zollbehörden zur Beschlagnah- und Peru nebst weitreichenden „TRIPS-plus“-Be- me von Gütern aufzufordern – allein mit Verweis stimmungen ebenfalls eine fünfjährige Testdaten- auf eine vermutete Verletzung von Copyrights exklusivität durchsetzten.76 oder Markenrechten. Nach den Bestimmungen des Das UN-Komitee für wirtschaftliche, soziale Freihandelsabkommens können diese Maßnahmen und kulturelle Rechte warnte in seinem jüngsten auch Produkte betreffen, die sich lediglich im Tran- Kolumbienbericht, dass das Freihandelsabkom- sit befinden und weder im Herkunfts- noch im Ziel- men mit den USA „Bestimmungen über geistiges land markenrechtlich geschützt sind. Die EU will Eigentum enthält, die zu einem Anstieg der Me- damit ihre Praxis der Beschlagnahme von Generika, dikamentenpreise führen können und das Recht die für Entwicklungsländer bestimmt sind, legali- auf Gesundheit, insbesondere bei Niedrigeinkom- sieren und internationalisieren. Foto: Juliane Litsch-Landfried Zentrum der Vielfalt von Kartoffelsorten Bauern in Peru 18
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