Digitales Gesundheitswesen: Chancen, Nutzen, Risiken - FRANKFURTER FORUM : DISKURSE

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Digitales Gesundheitswesen: Chancen, Nutzen, Risiken - FRANKFURTER FORUM : DISKURSE
FRANKFU RTER FORUM   :   DISKURSE              Heft 16
                                               Oktober 2017
                                               ISSN 2190-7366

Digitales Gesundheitswesen:         FRANKFURTER FORUM
                                    für gesellschafts-

Chancen, Nutzen, Risiken            und gesundheitspolitische
                                    Grundsatzfragen
Digitales Gesundheitswesen: Chancen, Nutzen, Risiken - FRANKFURTER FORUM : DISKURSE
Diskurs-Hefte des Frankfurter Forums
Heft 1: Medizinischer Fortschritt in einer alternden Gesellschaft
Heft 2: Versorgungskonzepte für eine alternde Gesellschaft
Heft 3: Priorisierung, Rationierung – begriffliche Abgrenzung
Heft 4: Priorisierung, Rationierung – Lösungsansätze
Heft 5: Versorgung in einer alternden Gesellschaft
Heft 6: Chancen und Risiken individualisierter Medizin
Heft 7: Individualisierte Medizin – die Grenzen des Machbaren
Heft 8: Psychische Erkrankungen – Mythen und Fakten
Heft 9: Psychische Erkrankungen – Konzepte und Lösungen
Heft 10: Menschen in ihrer letzten Lebensphase –
          selbstbestimmt leben, in Würde sterben
Heft 11: Sterbehilfe – Streit um eine gesetzliche Neuregelung
Heft 12: Sozialstaatsgebot und Wettbewerbsorientierung
Heft 13: Preis- und Qualitätsorientierung im Gesundheitssystem
Heft 14: Lebensqualitäts-Konzepte: Chancen und Grenzen
Heft 15: Lebensqualität und Versorgung: Messen, wägen, entscheiden
Alle Diskurs-Hefte sind online abrufbar unter: http://frankfurterforum-diskurse.de
Digitales Gesundheitswesen: Chancen, Nutzen, Risiken - FRANKFURTER FORUM : DISKURSE
Ziele                                                                                                           Heft 16
                                                                                                                Oktober 2017
Das Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen will                         ISSN 2190-7366
zentrale Fragen in der Gesellschafts- und Gesundheitspolitik mit führenden Persönlichkeiten
aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft diskutieren und versuchen, darauf Antworten zu geben.
Die unterschiedlichen ethischen, medizinischen, ökonomischen, politischen und rechtlichen          FRANKFURTER FORUM
Standpunkte sollen transparent und publik gemacht werden. Anregungen und Handlungs-                für gesellschafts-
empfehlungen sollen an die Entscheider in Politik und Gesundheitssystem weitergegeben              und gesundheitspolitische
werden, um so an dessen Weiterentwicklung mitwirken zu können.                                     Grundsatzfragen e.V.

Inhalt
Die Gestaltung der Digitalisierung zum Wohle                                                                      4
der Patienten wird ein Kraftakt

Digitales Gesundheitswesen:
Chancen, Nutzen, Risiken

URS-VITO ALBRECHT
Gesundheits-Apps – Patientennutzen                                                                                6
versus Kommerz
HERBERT REBSCHER
Versichertendaten in der GKV: Wege zur besseren                                                                14
­Steuerung und Effizienz der Versorgung
EVA C. WINKLER
Big Data in Forschung und Versorgung:                                                                          22
ethische Überlegungen und Lösungsansätze
GERD HASENFUSS
Digitalisierung in der Medizin –                                                                               32
Herausforderungen für Ärzte und Patienten

Die Möglichkeiten sind noch unausgelotet, eine                                                                 38
Regulierungsstrategie ist noch nicht erkennbar
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4  
   D I G I TA L E S G E S U N D H E I T S W E S E N : C hancen , N ut z en , R isi k en   :   EDITORIAL

Die Gestaltung der Digitalisierung zum Wohle
der Patienten wird ein Kraftakt
VO N G U D RU N SC H A I C H -WA LC H , STA AT SSE K R E TÄ R I N A . D. | D R . J Ü RG E N BAUSC H

I
      m Zeitalter der Aufklärung in Europa wurden in                      um die „Vermessung des Menschen“. Zum Beispiel mit
      einer enormen geistigen Explosion Kräfte freige-                    Gesundheits-Apps. Oder, noch besser für den Umsatz:
      setzt, die zu einer erstmaligen Vermessung der                      Fitness-Apps. Mehr und mehr liefern die Nutzer dieser
Welt führten. Einerseits mit kolonialen Besitzergreifun-                  Applikationen ihre am und aus dem Körper gelieferten
gen eines Imperialismus, dessen Folgen uns noch heute                     Daten freiwillig und unwissend an kommerzielle Akteure
an verschiedenen Stellen der Welt plagen. Andererseits                    ab, denen der Schutz der Privatsphäre egal ist. Personali-
aber auch mit der Entwicklung bürgerlicher Freiheitsrech-                 sierte Produktwerbung ist das große Geschäft.
te und dem schrittweisen Übergang zu demokratischen
Regierungsformen.                                                         Noch völlig unausgelotet ist das Missbrauchspotenzial
                                                                          dieser Daten: Die makabre Vorstellung, dass ein insulin-
Niemand bestreitet, dass wir uns nun am Beginn eines                      pumpenpflichtiger Diabetiker – automatisch gekoppelt
neuen, digitalen Zeitalters befinden, in dem individuelle                 an ein elektronisches Dauermesssystem des Blutzuckers
Freiheiten und demokratische Grundlagen vor neuen He-                     – durch kriminelle Machenschaften – von Hackern über
rausforderungen stehen. Vor 20 Jahren hat erstmals ein                    das Patientenhandy absichtlich falsche Messergebnisse
IBM-Computer den Schachweltmeister Kasparow schach-                       geliefert bekommt, die zur unkontrollierten und unbe-
matt gesetzt. Nicht weil der Meister schlecht gespielt                    merkten Infusion tödlicher Insulinmengen führen, ist so
hatte, sondern weil der Computer besser war. Wer dieses                   perfide, aber keineswegs unrealistisch, als dass man sich
Ereignis nur sportlich sieht, springt nur kurz.                           darüber nicht Sorgen machen müsste. Ein Thema nicht
                                                                          nur für eine der kommenden „Tatort“-Folgen.
Seitdem vergeht fast kein Tag, an dem nicht digitale
Neuheiten präsentiert werden. Dem Vorwurf der di-                         Doch es stellt sich nicht mehr die Frage nach dem Ob,
gitalen Rückständigkeit sind alle ausgesetzt, die sich                    sondern nur noch nach dem Was und Wie der digitalen
nicht um sofortigen Anschluss bemühen oder sich                           Anwendungen im Gesundheitswesen. Der Wildwuchs
gar weigern, sich diesen Trends auszuliefern. Weil sie                    der Angebote, die weitgehend ohne Qualitätsstandards
instinktiv spüren: Von der „Freiheit eines Christenmen-                   auf den Markt kommen, kennt keine Grenzen. Es wird
schen“, die Luther vor 500 Jahren forderte, bleibt nicht                  schwierig werden, in diesem Dschungel ein konsistentes
mehr viel übrig im Zeitalter von Big Data. Jetzt geht es                  Gesamtversorgungskonzept zu erstellen und umzuset-
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FR ANKFURTER FORUM          :   DISKURSE      5

zen, in dem man die durchaus vorhandenen Vorteile, die       Aus den vielen Beispielen einer schnellen und lückenlo-
die Digitalisierung bietet, auch verantwortungsvoll nut-     sen Datenübermittlung bei Patienten, die wegen ihrer
zen kann. Es wird ein Kraftakt von Seiten der Politik, der   Erkrankung verschiedene Versorgungsebenen durchlau-
Selbstverwaltung und der Gesundheitsberufe notwendig         fen mussten, haben wir gelernt: Informationsanhäufung
sein: Zum einen, um die notwendigen Regulierungen zu         durch Akkumulation von Untersuchungsergebnissen
schaffen, und zum anderen, um digitale Kompetenzen           führt nicht zwingend zu größerer Klarheit. Big Data wird
bei allen Akteuren – im Besonderen bei den Nutzern – zu      im Fall der Zusammenführung aller elektronischen Infor-
befördern. Denn es gilt, sinnvolle von sinnlosen Angebo-     mationen die Patienten und ihre behandelnden Ärzte
ten zu unterscheiden und Partikularinteressen zu Guns-       neu herausfordern. Die Vereinfachung und Beschleu-
ten einer qualitätsgesicherten, solidarischen Gesund-        nigung von Versorgungsabläufen durch Digitalisierung
heitsversorgung einzuhegen.                                  wird niemand behindern wollen. So wurden beispiels-
                                                             weise in der Abrechnung von ärztlichen Leistungen
Diese Aufgabe ist anspruchsvoll. Denn in dem Moment,         effiziente Verfahren entwickelt, ohne dem Patienten das
wo Messdaten erhoben werden, die nicht im unver­             Recht auf seine informelle Selbstbestimmung zu rauben.
äußerlichen Besitz des Patienten und seines Arztes
bleiben, droht Gefahr. Schon beginnen einzelne Kran-         Die Chancen, die die Digitalisierung bietet, müssen
kenversicherer potenzielle Kunden damit zu locken, dass      offensiv auch und gerade von den Ärzten gestaltet und
diese ihre Fitnessdaten freiwillig liefern mit dem zuge-     genutzt werden. Denn richtig eingesetzt, kann der Ver-
sicherten Ziel, die Kunden dabei zu unterstützen, sich       sorgungsalltag durch Datenaustausch zwischen den Sek-
selbst und aktiv um ihre Gesundheit zu kümmern. Und          toren, den Krankenkassen und Leistungserbringern zum
belohnt sollen natürlich die „Guten“ werden, indem           Nutzen der Patienten erleichtert und verbessert werden.
sich ihre Versicherungsbeiträge reduzieren. Dass alle
diejenigen, die ihre Daten – aus welchen Gründen
auch immer – nicht preisgeben wollen, automatisch
                                                             Kontakt:
mehr zu bezahlen haben werden, wird verschwiegen.            Dietmar Preding | Geschäftsstelle Frankfurter Forum e.V. |
                                                             Mozartstraße 5 | 63452 Hanau |
Der damit entstehende Entsolidarisierungseffekt liegt
                                                             E-Mail: dp-healthcareralation@online.de
auf der Hand.                                                http://frankfurterforum-diskurse.de
6  
   D I G I TA L E S G E S U N D H E I T S W E S E N : C H A N C E N , N U T Z E N , R I S I K E N   :   VORTRAG 1

Digitales Gesundheitswesen:
Chancen, Nutzen, Risiken
Gesundheits-Apps – Patientennutzen
versus Kommerz
PRIV.-DOZ. DR. MED. URS-VITO ALBRECHT, MPH, PETER L. REICHERTZ INSTITUT FÜR MEDIZINISCHE INFORMATIK
DER TU BRAUNSCHWEIG UND DER MEDIZINISCHEN HOCHSCHULE HANNOVER

M
                 obile Technologien können breiten                                Einleitung
                 ­Bevölkerungsschichten die Möglichkeit
                                                                                  Smartphones und Tablet-PC sind allgegenwärtig und be-
                 zur besseren Teilhabe an Gesundheits-
                                                                                  gleiten uns in allen Lebenslagen. Der Gesundheitsbereich
prozessen geben. Wo Patienten in der Versorgung
                                                                                  stellt hier keine Ausnahme dar. Smarte Geräte werden zu
eher eine passive Rolle innehatten, können mobile                                 Fitnesszwecken, zur privaten gesundheitsbezogenen Infor-
Technologien die Anwender nun aktiv einbinden                                     mationsbeschaffung oder zur professionellen Diagnostik
und sie Verantwortung für die eigene Gesundheit                                   und Therapie eingesetzt. Ihr Erfolg gründet sich auf den
übernehmen lassen. Die entsprechenden Potenziale                                  Komfort, den sie zur Erfüllung unterschiedlichster Auf-
                                                                                  gaben bieten. Die stetige technische Weiterentwicklung
werden allerdings bisher kaum genutzt. Von politi-
                                                                                  hinsichtlich Rechenleistung, Miniaturisierung und Vernet-
scher Seite ist eine aufmerksame Ausgestaltung der
                                                                                  zung erweitert rasant das Angebot. Wird die Technologie
Rahmenbedingungen in Form einer Begleitung der                                    verantwortungsvoll eingesetzt, kann sie helfen, zeitgemäße
Entwicklungen des mobilen Sektors geboten. Die                                    und ressourcenschonende Angebote der Gesundheitsver-
Politik sollte mit Vorsicht, aber dennoch wohlwollend                             sorgung bereitzustellen. Sie kann bei der Überwindung
tätig werden, um Entwicklungspotenziale nicht bereits                             von räumlichen, zeitlichen oder gesundheitlichen Zwängen
                                                                                  Hilfestellung bieten und damit den Schlüssel zur Leistungs-
im Keim zu ersticken. Dazu gehört auch das Fördern
                                                                                  steigerung und Versorgungsqualität darstellen.
von Maßnahmen, die Evidenz schaffen und somit
                                                                                       Gesundheit ist von jeher ein attraktives wirtschaftliches
langfristig auch eine Finanzierung mHealth-basierter                              Betätigungsfeld. Es erfährt durch die Technologie neue
Löstungen ermöglichen.                                                            Perspektiven, die dankbar und eifrig von Entrepreneuren
                                                                                  erschlossen werden. Akteure, die vormals vielleicht keine
                                                                                  Berührungspunkte zur Gesundheitsindustrie hatten, ver-
                                                                                  suchen sich mit neuen Ideen hier einzubringen. Es wer-
                                                                                  den Begehrlichkeiten geweckt, die Dank der grenzüber-
                                                                                  schreitenden Mobiltechnologie globaleren Bezug haben.
                                                                                  Aus ihr erwachsen neue ungewohnte Herausforderungen,
                                                                                  was die Schaffung eines Konsenses in Sachen Qualität in
                                                                                  der App-Entwicklung, Formulierung von globalen Anwen-
                                                                                  dungsanforderungen, Interoperabilität, Monetarisierung
                                                                                  und Kompatibilität zu unterschiedlichen Gesundheitssys-
                                                                                  temen angeht.
FRANKFURTER FORUM          :   DISKURSE    7

     Aus dem Dargelegten lässt sich bereits das Spannungs-    im Gesundheitswesen tätigen Personen) differenziert wer-
feld erahnen, was sich durch die vielfältigen Möglichkeiten   den. Die Motivationslage zur Nutzung ist sehr variabel. In
und Interessen der unterschiedlichsten Akteure aufbaut. Es    der Literatur wird insbesondere der Nutzen (z.B. Humble
umfasst sämtliche Bereiche des alltäglichen Lebens und ver-   u. a. 2016; Gordon u. a. 2016) für Benachteiligte, auch für
netzt unterschiedlichste Schichten. Die Komplexität steigt    körperlich, kognitiv oder psychisch eingeschränkte Nutzer-
exponentiell mit den Möglichkeiten der Technologie und        gruppen und Ältere (Parker u. a. 2013) gesehen, die einen
der Zahl der beteiligten Akteure. Sie ist aber auch gleich-   vereinfachten Zugang zu bestimmten Gesundheitsleistun-
zeitig ein Ausdruck dafür, wie mächtig die Technologie sein   gen bekommen und so in die Lage versetzt werden, bei
kann, wenn sie entsprechend eingesetzt wird.                  ihrer eigenen Versorgung mitzuwirken.
     Der folgende Beitrag möchte in diesem Kontext einzel-        Die Stärkung der Selbstständigkeit und des Verantwor-
ne relevante Aspekte zu Chancen und Risiken von Gesund-       tungsgefühls für die eigene Gesundheit genauso wie die
heits-Apps erörtern und den Lesern Grundlage für eigene       vereinfachte Kommunikation mit den Behandlern und der
Abwägungsprozesse zu Patientennutzen und Kommerzi-            Austausch mit anderen Betroffenen werden als Erfolgsfak-
alisierung anbieten.                                          toren gewertet. Allerdings gibt es trotz dieser Aussichten
                                                              nur wenige in der Handhabung entsprechend geeignete
Potenzielle und erschlossene Anwendungsfelder                 Apps für diese Nutzergruppen (Albrecht, Höhn und von
                                                              Jan 2016). Grund für die mangelnde Anpassung an die
Umfragen zufolge nutzten 2015 bereits über zwei Drittel       Bedürfnisse mag einerseits die geringe Kaufkraft dieser
der Deutschen ein Smartphone (Weicksel und Pentsi 2015).      Gruppe, andererseits der größere Aufwand der zielgrup-
Der Gebrauch entsprechender Geräte zieht sich quer durch      penspezifischen Entwicklung sein, was sich für die Hersteller
alle Bevölkerungsschichten und Altersgruppen (Weicksel        wirtschaftlich nicht rechnet. Es wird vielfach der Aufwand
und Pentsi 2015). Jüngere Menschen nutzen eher den            gescheut, eine zugängliche Gestaltung vorzunehmen, durch
Zugang zu mobilen Technologien als Ältere, wobei die          die sich die Inhalte der Apps leicht erschließen (zielgrup-
Nutzungsraten von Gesundheits-Apps bei letzteren stetig       pengerechte Aufbereitung der Inhalte) und mit möglichst
steigen (Weicksel und Pentsi 2015). Das Anwenderspek-         geringen Barrieren (durch passende Gestaltungselemente)
trum setzt sich nicht nur aus Angehörigen verschiedener       nutzen ließen, selbst wenn andere Nutzergruppen ebenso
Altersgruppen bzw. Personen mit unterschiedlichem so-         davon profitieren würden.
zialen Hintergrund zusammen, sondern kann auch nach               Gerade auch vor dem Hintergrund der alternden Bevöl-
dem aktuellen Gesundheitszustand (akut oder chronisch         kerung mit häufig damit einhergehenden Einschränkungen
erkrankte Personen mit bereits diagnostizierten Leiden,       und den auch bei Älteren stetig steigenden Nutzerzahlen
Nutzern mit allgemeinen gesundheitlichen Einschränkun-        sind langfristig die Anbieter der Apps gefordert, entspre-
gen) und Professionalität (gesundheitsinteressierten Laien,   chende Anpassungen vorzunehmen: Von einer ansprechend
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   D I G I TA L E S G E S U N D H E I T S W E S E N : C H A N C E N , N U T Z E N , R I S I K E N   :   VORTRAG 1

gestalteten, einfach zugänglichen und angenehmen zu                               u. a. 2016) lieferte noch geringere Zahlen. Einerseits mag
bedienenden App können alle Anwender, Gesundheitsin-                              dies vor dem Hintergrund einer fehlenden Verpflichtung
teressierte ebenso wie akut oder chronisch erkrankte Pa-                          zur Registrierung einleuchten, die z.B. nur von wenigen
tienten, aber auch medizinisches Fachpersonal profitieren                         Verlagen oder Geldgebern gefordert wird. Insgesamt wird
und die Beachtung der nötigen Grundsätze kann letztlich                           so jedoch abseits von der Durchführung vergleichsweise
auch verkaufsfördernd wirken.                                                     aufwendig durchzuführenden systematischen Reviews die
                                                                                  Auffindbarkeit und Nachverfolgbarkeit von Studien, vom
Belegter Nutzen, belegte Risiken                                                  Design bis hin zu den Ergebnissen, deutlich erschwert.

Die Patientenbeteiligung kann durch den Einsatz von Apps                          Erlösmodelle entwickeln
verbessert werden. Sie ist ein wichtiger Faktor für den Er-
folg von gesundheitsbezogenen Maßnahmen der Präven-                               Es wird geschätzt, dass mehr als 100.000 Apps mit Ge-
tion und Therapie (Emanuel und Emanuel 1992; Siegler                              sundheitsbezug in den App-Stores zur Verfügung stehen.
1985). Doch steht die Forschung bzgl. des tatsächlichen,                          Die Nachfrage an Apps im Allgemeinen sowie solchen für
langfristigen Nutzens von Apps im Vergleich zu anderen                            gesundheitliche Anwendungsfälle ist auch ohne Beleg
Interventionen in der Medizin noch am Anfang. Wissen-                             ihres Nutzens ungebrochen. Es fällt jedoch auf, dass ho-
schaftliche Belege existieren bislang eher lückenhaft bzw.                        he Downloadzahlen – und der damit erst mögliche wirt-
sind auf bestimmte eng gesteckte Settings oder Nutzergrup-                        schaftliche Erfolg – nur einigen wenigen Apps vorbehalten
pen beschränkt. Doch ist gerade der Beleg eines Nutzens                           sind (Albrecht, Höhn und von Jan 2016). Im ersten Ge-
von Relevanz, wenn Maßnahmen unter Zuhilfenahme von                               sundheitsmarkt gibt es durchaus Apps, die als Teil einer
Gesundheits-Apps von Patienten und Medizinern akzep-                              Behandlungsmethode im Rahmen von Selektivverträgen
tiert werden sollen. Insbesondere wenn Gesundheits-Apps                           indirekt berücksichtigt werden, doch richten sich fast al-
von der Solidargemeinschaft finanziert werden sollen, sieht                       le Gesundheits-Apps an den zweiten Gesundheitsmarkt
der Gesetzgeber eine positive wissenschaftliche Evaluation                        (siehe Tabelle 1). Tragfähige oder gar gewinnbringende
der Maßnahme vor. Erst dann kann der Zugang zum ersten                            Geschäftsmodelle lassen sich mit den in den Stores ver-
Gesundheitsmarkt überhaupt erwogen werden. Die vor-                               fügbaren Mechanismen zur Monetarisierung (siehe Tabelle
liegende Evidenz zum Nutzen ist derzeit allerdings gering.                        2), also z.B. dem kostenpflichtigen Download von Apps,
Dies ist nicht zuletzt auch den raschen Entwicklungszyklen                        In-App-Käufen oder Abonnement-Modellen, nur einge-
des mobilen Sektors geschuldet, die eine Bewertung mit-                           schränkt umsetzen (research2guidance 2015). Dies liegt
tels konventioneller Studiendesigns erschwert (Albrecht u.                        nicht zuletzt auch an der oft mangelnden Bereitschaft vie-
a. 2016). Evaluiert werden beispielsweise die durch Apps                          ler Nutzer, adäquate Preise für Apps in Kauf zu nehmen
erzielbaren Verbesserungen beim Umgang mit spezifischen                           (EPatient RSD GmbH und Kompetenzbereich eLearning
Erkrankungen wie Diabetes (z.B. Kirwan u. a. 2013) oder                           Charité Virchow Klinikum 2016).
die Therapie-Adhärenz (Anglada-Martinez u. a. 2015; Be-                                Demgegenüber stehen die Kosten, die bei der Ge-
cker u. a. 2015). Ansätze hierfür reichen von in randomi-                         staltung und Bereitstellung einer qualitativ hochwertigen
siert kontrollierten Studien in klinischen Settings bis hin                       App unzweifelhaft entstehen. Sollen also die entstande-
zu Reviews mit Einbezug verschiedenster Studiendesigns.                           nen Kosten refinanziert oder soll gar ein Gewinn gemacht
     Es fehlt der Überblick über App-Studien, da die Veran-                       werden, müssen die Hersteller Wege der indirekten Finan-
kerung entsprechender Studien in üblichen Studienregistern                        zierung beschreiten. Das kann z.B. durch Sponsoring oder
(Albrecht u. a. 2016) kaum vorgenommen wird. So waren                             das Schalten von Werbung innerhalb der Apps geschehen.
im Jahr 2015 bei ClinicalTrials.gov, einem Dienst des U.S.                        Beides kann problematisch sein: Je nach Anwendungsfeld
National Institutes of Health (NIH), der ein Register für öf-                     und Hintergrund des Sponsors kann es leicht zu einem
fentlich und privat finanzierte klinische Studien am Men-                         Interessenkonflikt kommen. Andererseits wurden in der
schen bereitstellt, lediglich 50 Studien mit App-Bezug (welt-                     Vergangenheit im App-Kontext Fälle bekannt, bei denen
weit) registriert (LoPresti u. a. 2015); eine eigene Erhebung                     über Werbenetzwerke Daten wie Identifikationsnummer
bzgl. des Deutschen Registers Klinischer Studien (Albrecht                        oder der Aufenthaltsort der Nutzer an Dritte weitergege-
FRANKFURTER FORUM             :    DISKURSE     9

Funktionstypologie von Gesundheits-Apps

                                                                                             iOS/Apple*                  Android/Google*
  Kategorie (zugehörige Funktionstypen)
                                                                                               n=335                          n=306
  Bereitstellung von Informationen                                                          129 / 38.5 %                    112 / 36.6 %
  (Nachrichten, Information/Referenz, Lehr- und Lernmittel, Player/Viewer, Makler)
  Unterstützungs-Apps                                                                        88 / 26.3%                        90 / 29.4 %
  (Hilfsmittel, Trainingsunterstützung, Gesundheits-Manager)
  Apps zur Datenerfassung, -verarbeitung, -auswertung                                         67 / 20 %                        64 / 20.9%
  (Entscheidungsunterstützung, Rechner, Messgerät, Monitor, Überwachung/Tracker)
  Kalender- und terminbezogene Apps (Tagebuch, Erinnerung, Kalender)                         14 / 3.9 %                        12 / 3.9%
  Verwaltungs-Apps (Administration)                                                          10 / 2.9 %                         3 / 0.9%
  Andere (Aktuator, Kommunikator, Spiel, Geschäft, sonstige)                                 26 / 7.8 %                        25 / 8.2 %

Quelle: Albrecht, Höhn und von Jan 2016

Tabelle 1: Fast alle Gesundheits-Apps richten sich an den zweiten Gesundheitsmarkt, nur wenige sind im ersten Gesundheitsmarkt etabliert.

ben wurden, ohne dass die Anwender hierüber informiert                       Anwendungszweckes geschieht, findet kaum statt. Dies ist
worden wären (Sannappa und Cranor 2016). Anwender                            gerade im sensiblen Bereich Gesundheit kritisch zu sehen.
sollten sich insgesamt klar darüber sein, dass ihre Daten zu                     Abhilfe wäre möglich, wenn mHealth-basierte Lösungen
einer „Währung” werden können, wenn diese durch den                          und Apps analog zu anderen Arzneien, Gesundheitspro-
Hersteller ausgewertet und die Ergebnisse evtl. weiterver-                   dukten und Hilfsmitteln erstattungsfähig würden und sich
kauft werden. Bei vielen kostenfreien Gesundheits-Apps,                      somit den geltenden Ansprüchen unterwerfen müssten. Ei-
die in der innerhalb der CHARISMHA-Studie durchgeführ-                       ne entsprechende Finanzierung findet allenfalls im Rahmen
ten Analyse mit 20 Prozent (Kategorie „Medizin”) bis 40                      von Pilotprojekten statt (Albrecht, Höhn und von Jan 2016;
Prozent (Kategorie „Gesundheit und Fitness”) einen großen                    Knöppler, Neisecke und Nölke 2016; Aumann, Frank und Pra-
Anteil stellten, ist Entsprechendes zu befürchten. Eine trans-               mann 2016). Die Aufnahme in die Erstattungssysteme wäre
parente Informationspolitik seitens der Anbieter, was mit                    ein wichtiger Beitrag, die Situation auf Anbieter- wie Nachfra-
den der App anvertrauten Daten außerhalb des eigentlichen                    geseite zu entspannen. Einerseits könnte die kostendeckende

Erlösmodelle von Gesundheits-Apps

  Erlösmodell                                                  iOS/Apple (alle Geräte)                    Android/Google (alle Geräte)
                                                            n = 335                  %                n = 306                        %
  Kostenfrei                                                   107              31,9 %                    135                     44,3 %
  Kostenfrei mit                                                51              15,2 %                     50                     16,4 %
  In-App-Kauf
  Kostenpflichtig                                              147              43,9 %                    111                     36,4 %
  Kostenpflichtig mit                                           11               3,3 %                     7                       2,3 %
  In-App-Kauf
  Abonnement                                                    13               3,9 %                     2                       0,7 %
  Anderes Bezahlmodell                                           5               1,5 %                     1                       0,3 %

Quelle: Albrecht, Höhn und von Jan 2016

Tabelle 2: Die Möglichkeiten der Monetarisierung für die in den Stores verfügbaren Apps sind sehr begrenzt.
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oder gar gewinnträchtige Bereitstellung von qualitativ hoch-                      Bedürfnisse des Nutzers, etwa durch den praktischen Nutzen
wertigen Apps gewährleistet werden. Andererseits würde                            und möglichen Komfort, die sie bietet, trägt dies zur Zufrie-
durch die Kostenübernahme auch solchen Interessenten der                          denheit der Anwender bei. Der Nutzer oder die Nutzerin darf
Zugang zur Technologie ermöglicht, denen er ansonsten z.B.                        darauf vertrauen, dass sich die App wie beabsichtigt verhält.
aufgrund finanzieller Probleme erschwert wäre. Andernfalls                             Um diese Aspekte zu erfüllen, muss die App zudem
bestünde auf lange Sicht die Gefahr, ausgerechnet die Tei-                        hohen Qualitätsmaßstäben in produktbezogenen Bereichen
le der Bevölkerung, die mit am stärksten von der Nutzung                          genügen; mit den zugehörigen Aspekten beschäftigen sich
mobiler Technologien profitieren könnten, von der Nutzung                         neben der ISO 25010 auch die PAS 277:2015 (Brönner u.
auszuschließen. Bestehende Ungleichheiten in der Gesund-                          a. 2016). Zu nennen sind in diesem Zusammenhang ins-
heitsversorgung würden so mit zunehmendem Einfluss der                            besondere Kriterien wie Funktionalität, Effizienz, Kompati-
Technologie noch stärker zementiert, statt die Potenziale zur                     bilität und Gebrauchstauglichkeit, aber auch Wartbarkeit,
deren Abbau zu nutzen (Allen und Christie 2016).                                  Portabilität und Nutzersicherheit (Brönner u. a. 2016). Hin-
                                                                                  zu kommen auch Rechtskonformität sowie datenschutz-
Qualität schaffen                                                                 rechtlich relevante Aspekte, zu denen beispielsweise die
                                                                                  „Orientierungshilfe zu den Datenschutzanforderungen an
„Qualität” ist das Stichwort, wenn mobile Technologien                            App-Entwickler und App-Anbieter“ des Düsseldorfer Kreises
Erfolg haben sollen. Liegen Qualitätsprobleme oder Män-                           (Düsseldorfer Kreis 2014) Hilfestellung geben kann. Nähe-
gel bei der Sicherheit einer App vor, beruht dies nur selten                      res ist unter (Brönner u. a. 2016) beschrieben.
auf Absicht. Vielmehr werden aus Unkenntnis häufig die
entsprechenden Anforderungen vernachlässigt, was im                               Qualität erkennen, Transparenz pflegen
Zweifelsfall auch haftungsrechtliche Konsequenzen zur
Folge haben kann. Hersteller werden von den App-Stores                            Ist die Auseinandersetzung mit dem Begriff „Qualität” schon
größtenteils mit ihrer Verantwortung allein gelassen. So                          auf Entwicklerseite nicht einfach, ist die Einschätzung auf
liegt es in ihrem eigenen Interesse, sich nicht nur über den                      Anwenderseite auch nicht leichter. Anwendern ist meist
Markt, sondern vor allem auch über regulatorische Erfor-                          nicht bewusst, woran sie – von technischen Aspekten abge-
dernisse und bindende Vorgaben zu informieren und diese                           sehen, die die wenigsten überhaupt bewerten können – die
im gesamten Lebenszyklus der Apps zu berücksichtigen.                             „Qualität” einer App überhaupt festmachen können (siehe
Dennoch kennen sich die wenigsten Entwickler tatsächlich                          Tabelle 3). So ist es nur verständlich, dass für eine erste Be-
damit aus, was alles bei der Gestaltung qualitativ hochwer-                       wertung oft auf die Meinungsäußerungen anderer Anwen-
tiger Gesundheits-Apps über den gesamten Lebenszyklus                             der zurückgegriffen wird. Diese sind zwar scheinbar über
hinweg, also von Design und der Umsetzung bis hin zur                             die Sternebewertungen und zugehörigen Bewertungstexte
Bereitstellung und Pflege beachtet werden sollte oder gar                         in den App Stores leicht zugänglich, können aber allenfalls
muss. Verschiedene Normen und Richtlinien, sowohl sol-                            erste Indizien für oder gegen eine App liefern. Es ist insge-
che, die spezifisch auf den medizinischen Anwendungs-                             samt zu wenig über diejenigen bekannt, die ihre Meinung
bereich zielen als auch solche, die generell bei der Soft-                        auf diesem Wege kundtun. Welchen Hintergrund haben sie
ware-Entwicklung Beachtung finden, bieten Orientierung.                           beispielsweise, oder welche Kenntnisse befähigen sie dazu,
     Zur Erläuterung: Allgemeine bzw. anwendungsbezoge-                           die App zu bewerten? Zudem können „gekaufte” Sterne
ne Qualitätskriterien für Software, auf die die Entwicklung                       ein zu positives Bild zeichnen, andererseits negative Bewer-
abzielen muss, finden sich u.a. in der ISO 25010. Nach                            tungen, z.B. von Konkurrenten, Apps auch unberechtigt in
ihren Vorgaben muss qualitativ hochwertige Software für                           ein negatives Licht rücken. Die Berücksichtigung anderer
den gewünschten Zweck, möglichst sogar darüber hinaus                             Kriterien, die eine ausgewogene Beurteilung der Qualität
flexibel einsetzbar sein. Sie soll ihre Aufgaben dabei richtig                    einer App erlauben, scheint daher dringend geboten.
(effektiv) und effizient erfüllen und Anwender somit bei der                           Die Entscheidung zum Download und zur Nutzung trifft
Erreichung ihrer Ziele unterstützen. Zudem soll sie risikofrei                    letztendlich immer der Anwender – und er trägt auch die
einsetzbar sein und den Anwender weder wirtschaftlich, so-                        Verantwortung für sein Tun. Ziel muss es daher sein, die
zial oder gesundheitlich Risiken aussetzen. Erfüllt die App die                   Anwender in die Lage zu versetzen, eine eigene fundierte
FRANKFURTER FORUM                :   DISKURSE   11

Elf Schlüsselfragen zur Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit einer Gesundheits-App

  7 Kategorien                        11 Schlüsselfragen

  1. Status der App                   Ist die App ein Medizinprodukt und werden die dafür nötigen Voraussetzungen erfüllt
                                       (Durchlaufen der regulatorischen Prozesse, z.B. bzgl. CE-Kennzeichen, FDA-Zulassung)?
  2. Zweck                            Wird der Zweck der App (inkl. der Zielgruppe) klar angegeben und beschrieben?
  3. Funktionalitäten                 Werden die in der App enthaltenen Funktionen umfassend und verständlich beschrieben?
  4. Limitationen                     Werden Informationen zu möglichen Limitationen und Risiken bereitgestellt und ausführlich
     und Risiken                       erläutert (z.B. in Bezug auf die Gesundheit, erfasste Daten, technische Aspekte/Geräte)?
  5. Zuverlässigkeit                  Ist die Identität der Autorinnen/Autoren bzw. Entwickler/innen bekannt, und gibt es
     der Inhalte                       Informationen über ihre Qualifikationen?
                                      Ist klar, aus welchen Quellen die bei der Umsetzung der Inhalte und Funktionen verwendeten
                                       Informationen stammen, und ist etwas zu deren Zuverlässigkeit bekannt?
                                      Bestehen möglicherweise Interessenkonflikte, die einen Bias (Verzerrung) der bereitgestellten
                                       Inhalte bzw. Funktionen zur Folge haben könnten?
  6. Datenschutz                      Ist eine Nutzung auch ohne Preisgabe sensibler Informationen möglich bzw. ist diese freiwillig?
     und Datensicherheit
                                      Behalten die Anwenderinnen und Anwender die Kontrolle über ihre Daten, d.h. was genau
                                       erfasst wird, und werden sie darüber informiert, wie sie auf den Datensammlungsprozess
                                       Einfluss nehmen können, z.B. über Einstellungen in der App?
                                      Wenn Daten erfasst werden: Wie sieht es mit Datenschutz/Datensicherheit aus?
                                       Hier geht es um die in diesem Kontext verwendeten Methoden, und in welchem Umfang
                                       darüber informiert wird, was genau erfasst und evtl. übertragen wird (und wofür/wohin).
                                       Von Interesse ist auch, ob und in welchem Umfang eine Einwilligung eingeholt
                                       wird und Anwenderinnen und Anwender auf ihre Rechte aufmerksam gemacht werden.
  7. Impressum                        Sind aktuelle / gültige Kontaktdaten verfügbar? Dies ist insbesondere im Fall von Problemen
                                       oder auch bei Fragen, z.B. zum Datenschutz oder der Nutzung bestimmter Funktionen wichtig.

Quelle: Albrecht, Pramann und von Jan 2014

Tabelle 3: Die Anwendern fehlen ganz überwiegend Kriterien, an denen sie die „Qualität“ einer App festmachen könnten.

Risiko-Nutzen-Abwägung über die Produkte vornehmen                          eine Zulassung (USA) und damit je nach möglichem Gefähr-
zu können. Sie können nur auf Basis ausreichender Infor-                    dungsniveau Prüfungen durchlaufen haben müssen (Pra-
mationen sinnvoll entscheiden, ob eine App für ihren An-                    mann 2016).
wendungszweck geeignet ist und sie der App ihr Vertrauen                         Die Hersteller haben es in der Hand, das Vertrauen der
schenken wollen. „Qualitätsnachweise” in Form von fun-                      Anwender in die Technologie nicht zu enttäuschen, einer-
dierten Testberichten, Zertifikaten oder Gütesiegeln, die im                seits durch die qualitätsgesicherte Entwicklung, anderer-
Idealfall von neutralen Dritten auf Basis valider Verfahren er-             seits durch eine transparente Information ihrer Nutzer über
stellt werden, sind meist ebenso Mangelware wie Angaben                     sämtliche nutzerrelevante Aspekte der App. Diese sollten
der Hersteller, ob bestimmte (Verhaltens-)Kodizes eingehal-                 nicht nur umfänglich sein sondern auch leicht aufzufinden.
ten wurden. Selbst wenn Zertifikate oder ähnliches verge-                   Das gelingt durch die Bereitstellung oder zumindest die
ben wurden, wird nicht immer transparent kommuniziert,                      Verlinkung an zentraler Stelle, z.B. im jeweiligen App-Sto-
auf welchen Kriterien die Bewertung erfolgte (siehe Tabelle                 re. Ideal ist die Darlegung dieser Information in standar-
4). Abhilfe von offiziellen Stellen bzgl. der Einschätzung der              disierter Form, z.B. einer App-Synopse folgend, in der die
Qualität und Vertrauenswürdigkeit von Gesundheits-Apps                      oben erwähnten und weitere Informationen standardisiert
ist schon angesichts der übergroßen Zahl verfügbarer Apps                   hinterlegt sind (Albrecht, Noll und von Jan 2014; Albrecht
kaum zu erwarten. Nur selten handelt es sich bei Apps um                    2016). Anwender können so auf einfache Weise mit den
Medizinprodukte, die ein Verfahren zur Bestätigung ihrer                    erforderlichen Informationen versorgt werden. Diese Trans-
Konformität mit den regulatorischen Vorgaben (EU) bzw.                      parenz kann durchaus auch als ein Faktor zum kommer-
1 2  
     D I G I TA L E S G E S U N D H E I T S W E S E N : C H A N C E N , N U T Z E N , R I S I K E N   :   VORTRAG 1

Anforderungen an Siegel, Zertifizierungen und Tests

  Kriterium                      Erläuterung
  Unabhängigkeit                 Die Motivation des Anbieters, seine Finanzierung etc. soll auf Unabhängigkeit zielen.
  Analyseziele                   Die Analyseziele müssen realisierbar sein und klar benannt werden.
  Analysemethode                 Diese richtet sich nach dem Analyseziel. Die Analysetiefe muss zumindest ausreichend sein, um das Ziel zu erreichen.
  Methodengüte                   Die Methoden müssen angemessen, nach dem neuesten Stand der Technik,
                                 veröffentlicht bzw. erläutert werden und legal sein.
  Qualitätsmanagement            Die Methoden müssen den Testgütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität entsprechen.
  Transparenz                    Offener Umgang mit allen oben genannten Punkten inkl. Interessenkonflikten zur Einschätzung der
                                 Vertrauenswürdigkeit. Benennung von externen Zertifizierern / Prüfbeauftragten und eine klare und umfangreiche
                                 Formulierung der Zertifizierungskriterien, die öffentlich zur Verfügung gestellt werden.

Quelle: Albrecht 2016

Tabelle 4: Bei der Vergabe von Siegeln oder Zertifikaten wird oft nicht transparent kommuniziert, auf welchen Kriterien die Bewertung fußt.

ziellen Erfolg einer App beitragen, da sie hilft, mögliche                        Anwender hingegen sind gefordert, sich stärker als bisher
Frustrationen der Anwender schon im Vorfeld zu reduzie-                           ausführlich über die Apps zu informieren die sie nutzen
ren. Einer transparenten Informationspolitik muss aber eine                       wollen, um ihrerseits ein besseres Verständnis der Möglich-
qualitätsgesicherte und dem Stand der Technik entspre-                            keiten zu entwickeln und selbst aktiv Risiken zu minimieren.
chenden Entwicklung vorausgehen (Brönner u. a. 2016).                                  Alle Beteiligten müssen auf eine faire Abwägung zwi-
                                                                                  schen Nutzen und möglichen Risiken bedacht sein. Risiken
Fazit                                                                             dürfen hier nicht überbewertet werden: Tatsächliche Nach-
                                                                                  weise eingetretener Schäden durch Apps sind vielfach sogar
Mobile Technologien können breiten Bevölkerungsschichten                          noch schwieriger zu führen, als dies bzgl. des Nutzens der
die Möglichkeit zur besseren Teilhabe an Gesundheitspro-                          Fall ist. So können auch Vorkommnisse, die in der berich-
zessen geben. Wo Patienten traditionell in der Versorgung                         teten Form nicht vollständig den Tatsachen entsprechen,
eher eine passive Rolle innehatten, können mobile Techno-                         aber auch übersteigerte oder nicht erfüllte Hoffnungen
logien die Anwender nun aktiv einbinden und sie Verant-                           der Anwender zu Frustration und Vertrauensverlust führen
wortung für die eigene Gesundheit übernehmen lassen. Die                          und die Technologie in einem schlechten Licht erscheinen
entsprechenden Potenziale werden bisher allerdings kaum                           lassen. Es besteht die Gefahr, dass selbst qualitativ hoch-
ausreichend genutzt. Einige Faktoren, die hierzu beitragen,                       wertige Apps aufgrund unzureichender Informationen bzw.
wurden im vorliegenden Beitrag erörtert. Von politischer                          der übersteigerten Darstellung möglicher Risiken nicht als
Seite ist eine aufmerksame Ausgestaltung der Rahmenbe-                            solche wahrgenommen werden. Hieraus können auch
dingung in Form einer Begleitung der Entwicklungen des                            überbordende regulatorische Maßnahmen resultieren, die
mobilen Sektors geboten. Sie sollte hier mit Vorsicht, aber                       mobile Innovationen im Gesundheitsbereich hemmen und
dennoch wohlwollend tätig werden, um Entwicklungspo-                              verhindern, dass der tatsächliche Nutzen erkannt wird und
tenziale nicht bereits im Keim zu ersticken. Dazu gehört                          die Potenziale mobiler Technologien ausgeschöpft werden:
auch das Fördern von Maßnahmen, die Evidenz schaffen                              So würden spannende Neuentwicklungen, noch bevor ein
und somit langfristig auch eine Finanzierung mHealth-ba-                          Verständnis der dahinterstehenden Technologien entwickelt
sierter Lösungen ermöglichen. Hersteller und Entwickler                           werden kann, nicht weiter berücksichtigt werden, und die
müssen die Schaffung von Lösungen in den Vordergrund                              Chancen, die sie für die Verbesserung der Versorgung bie-
stellen, die höchsten Qualitätsansprüchen genügen und den                         ten können würden ungenutzt verstreichen.
Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppen entsprechen. Dies
setzt auch einen Austausch mit den Anwendern voraus.                              E-Mail-Kontakt: Albrecht.Urs-Vito@mh-hannover.de
FRANKFURTER FORUM                     :   DISKURSE          13

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                                                                                        dizinischen Einsatzes von Gesundheits-Apps auseinan-
   dicine and Telecare 22 (1): 32–38. doi:10.1177/1357633X15586641.
                                                                                        dersetzt. Zudem entwickelt die Gruppe zum gesamten
16 Kirwan, Morwenna, Corneel Vandelanotte, Andrew Fenning und Mitch J. Dun-
   can. 2013. „Diabetes Self-Management Smartphone Application for Adults               Gesundheitsbereich eigene Anwendungen, die erfolgreich
   with Type 1 Diabetes: Randomized Controlled Trial“. Journal of Medical Internet
   Research 15 (11): e235. doi:10.2196/jmir.2588.                                       international eingesetzt werden.
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     D I G I TA L E S G E S U N D H E I T S W E S E N : C H A N C E N , N U T Z E N , R I S I K E N   :   VORTRAG 2

Digitales Gesundheitswesen:
Chancen, Nutzen, Risiken
Versichertendaten in der GKV: Wege zur besseren
Steuerung und Effizienz der Versorgung
PROF. DR. H. C. HERBERT REBSCHER, INSTITUT FÜR GESUNDHEITSÖKONOMIE UND VERSORGUNGSFORSCHUNG

D
              ie Idee eines wettbewerblichen Suchpro-                             1. Selektivverträge in der GKV als Suchprozess für eine
              zesses begleitet die gesundheitspolitischen                         bessere Patientenversorgung

              Diskussionen der letzten Jahre. Die tech-
                                                                                  Die Idee einer „Solidarischen Wettbewerbsordnung“ in der
nisch-instrumentelle Ausgestaltung eines solchen
                                                                                  GKV (Rebscher 1993 S. 39f.) hatte eine zentrale Zielset-
Konzepts wird dabei allerdings wenig beachtet. Ins-                               zung: Die Akteure des Systems sollten motiviert und in die
besondere die Nutzung der Versichertendaten für die                               Lage versetzt werden, durch systematische Suchprozesse
bessere Steuerung und Versorgung der Patienten wird                               (selektive Vertragsmodelle) die Versorgung der Patienten
einseitig unter dem wichtigen Aspekt des Datenschut-                              stetig zu verbessern, die Prozesse der Versorgung zu be-
                                                                                  schleunigen, die Angebotsstrukturen am Versorgungs-
zes und nur nachrangig unter dem ebenso wichtigen
                                                                                  bedarf zu orientieren und die Qualität der Versorgung
Aspekt einer (individuell und kollektiv) bedarfs-
                                                                                  (Outcomes) zu steigern (vgl. Cassel/Jakobs/Vauth/Zerth
adäquaten, qualitativ hochwertigen und wirtschaft-                                (Hrsg.) 2014).
lichen Patientenversorgung geführt. Der Beitrag dis-                                   Dieses Konzept wurde politisch nur zurückhaltend um-
kutiert die Möglichkeiten und Grenzen der Datennut-                               gesetzt und insbesondere auf Angebotsseite, aus Rücksicht
zung anhand prägnanter Beispiele. Die Notwendigkeit                               auf die Interessen der gewachsenen Strukturen der Leis-
                                                                                  tungserbringung und der rechtlich komplexen Einbettung
einer neuen Balance zwischen Persönlichkeitsschutz
                                                                                  der Sektoren, nie wirklich konsequent verfolgt (Cassel 2006,
des Einzelnen und der Versorgungsoptimierung für
                                                                                  S.55ff; Jakobs/Rebscher 2014, S.45ff).
Einzelne und Viele wird begründet. Ein konkretes                                       Im Gegensatz dazu wurden auf dem Versicherungs-
Lösungsmodell wird daraus entwickelt.                                             markt durch die Elemente „Wahlfreiheit der Versicherten“
                                                                                  und „Risikostrukturausgleich“ wesentliche Voraussetzungen
                                                                                  für ein wettbewerbliches GKV-System geschaffen. Insbe-
                                                                                  sondere der Risikostrukturausgleich als „technischer Kern
                                                                                  einer Solidarischen Wettbewerbsordnung“ (Jakobs 1990,
                                                                                  S.122) könnte die Voraussetzung schaffen (bei konsequen-
                                                                                  ter Ausgestaltung als morbiditätsorientierter Risikostruktur-
                                                                                  ausgleich), um die Versorgung der Patienten als zentrales
                                                                                  inhaltliches Ziel der Wettbewerbsordnung zu fixieren.
                                                                                       Ohne eine entsprechende Öffnung und Liberalisie-
                                                                                  rung der Angebotsstrukturen, insbesondere aber durch
                                                                                  fragwürdige Anreize und Unvollkommenheiten in vor-
FRANKFURTER FORUM         :   DISKURSE    15

handenen Instrumenten, fand eine weitgehend einsei-            sischen Debatte, die dort unter den Begriffen „Managed
tige Fokussierung auf den Wettbewerbsmarkt zwischen            Competition“ bzw. „Regulated Competition“ die gleichen
den Krankenversicherungsträgern statt. Reiner Preiswett-       Sachverhalte besprach (Enthoven 1993, S, 24ff.).
bewerb, Vermeidung von Zusatzbeiträgen, eine enorm                  Bei einer groben Unterscheidung lassen sich grundsätz-
schnelle Marktkonzentration (nur ca. zehn Prozent der          lich drei Wettbewerbsebenen unterscheiden. Die Ebene
Kassen haben seit 1993 überlebt), eine subtile Risikoselek-    eines Kassenwettbewerbs (Versicherungsmarkts), die Ebe-
tion durch zielgruppenbezogene Angebote für ein „junges        ne des Vertragswettbewerbs um Preise und die Ebene des
und gesundes“ Klientel, entsprechend selektive Vertriebs-      Wettbewerbs um die Leistungsprozesse, Qualitäten und die
modelle mit teilweise fragwürdigen und nicht evidenz-          Wirtschaftlichkeit des Outcomes. Der Wettbewerb auf dem
basierten Leistungsangeboten und versicherungsmathe-           Versicherungsmarkt dreht sich um Beiträge/Zusatzbeiträ-
matisch unsinnigen Wahltarifen zur Beitragsoptimierung         ge der Kassen, Wahltarife, Satzungsleistungen, Serviceas-
durch Selbstselektion junger und gesunder Versicherter         pekte und Beratungskonzepte. Der Preiswettbewerb auf
waren die erwartbaren Folgen einer ordnungspolitisch           Leistungsseite zeigt sich prototypisch bei Ausschreibungen
unausgereiften Politik.                                        im Generikamarkt oder bei Hilfsmitteln. Er verfolgt eine
      Diese fehlsteuernde Grundstruktur ist der wahre Grund,   Kostensenkung bei homogenen Gütern.
warum die zarten Ansätze und Öffnungen der Strukturen               Die gesundheitsökonomisch interessanteste Ebene ist
hin zu selektiven Vertragsmodellen lange ungenutzt, dann       die der wettbewerblichen Gestaltung der Versorgungs-
dank Anschubfinanzierungen zwar zögerlich, jedenfalls          und Leistungsprozesse, insbesondere der differenzierten
nie konsequent und flächendeckend umgesetzt wurden.            Organisation der Patientenführung und dem Management
Auch die fehlende Evaluation der Programme war für die         komplexer Versorgungsabläufe (Versorgungsmanagement).
Veränderungsdynamik der bestehenden Angebotsstruktu-           Ergänzend zu den genannten politischen und ordnungsöko-
ren hinderlich. Dieser Tatbestand war nicht zuletzt Grund      nomischen Restriktionen des Models selektiven Kontrahie-
für die Etablierung des ordnungsökonomisch hoch prob-          rens kommt hinzu, dass die Beteiligten des Gestaltungspro-
lematischen Innovationsfonds, der als zentralisierte Instanz   zesses die methodischen und praktischen Voraussetzungen
der Mittelvergabe keinerlei wettbewerbliche Anreize setzt.     für eine zielgerichtete Handhabung des Konzeptes gemein-
      Dabei sind Selektivverträge der zentrale ordnungspo-     hin unterschätzt haben.
litische Ansatz des Konzeptes einer „Solidarischen Wett-            Die Mittelverwendung in einem öffentlich-rechtlich
bewerbsordnung“, sozusagen ihr „ökonomischer Kern“             gebundenen System ist zwingend an den Nachweis des
(Oberender/Zerth 2014, S.173). Erst selektive Vertrags-        damit erzielten Nutzens zu knüpfen. Dieser kann in der
modelle eröffnen ein Suchverfahren nach der besseren           Reduktion der Kosten, aber auch – und das ist in ambiti-
Versorgungslösung für Patienten. (Jakobs 2008, S.133f.)        onierten Versorgungskonzepten die Regel – in der Steige-
Sie waren ebenfalls der Kern der zeitgleichen angelsäch-       rung der Versorgungsqualität für Patienten, im Vermeiden
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     D I G I TA L E S G E S U N D H E I T S W E S E N : C H A N C E N , N U T Z E N , R I S I K E N   :   VORTRAG 2

Routinedaten der GKV                                                              2. „Daten für Taten“ (Gröhe) – was können
                                                                                  und dürfen gesetzliche Krankenversicherer?
 Routinedaten sind prozessproduzierte Daten,
 die im Rahmen der Rechnungslegung bzw.                                           2.1 Routinedaten in der GKV – Möglichkeiten und
 Kostenerstattung elektronisch erfasst sind
                                                                                  Grenzen
                                                                                  Ein Überblick über die vorhandenen Routinedaten der ge-
  Versichertenstammdaten
                                                                                  setzlichen Krankenversicherung (vgl. Swart u.a. 2014) zeigt
             Stationäre Daten
                                                                                  die Vielfalt der vorhandenen Informationen. Diese sind
                    Ambulante Daten
                                                                                  grundsätzlich nur zu Abrechnungs- und Prüfzwecken nutz-
                         Arzneimitteldaten                                        bar und dienen eben gerade nicht der patientenbezogenen
                             Heil- und Hilfsmitteldaten                           Zusammenschau zum Zwecke der Versorgungsanalyse und
                                  Arbeitsunfähigkeitsdaten                        des Versorgungsmanagements.
                                       Sonstiges (z.B. Hebammen)                       Es gibt keine andere Stelle im Gesundheitswesen, an
                                             Pflegeversicherungsdaten             der patienten- und leistungserbringer-bezogene Gesund-
                                                                                  heitsdaten in dieser Dichte zusammengeführt vorliegen.
                                                                                  Alle anderen Stellen, Ärzte, Krankenhäuser, Rehabilitati-
Quelle: Prof. Rebscher
                                                                                  onseinrichtungen, sonstige Heilberufe besitzen nur jeweils
Abbildung 1: An verschiedenen Stellen der Behandlungskette wer-                   ausschnittsweise Daten ihres eigenen Tuns, nicht jedoch
den patienten- und leistungserbringer-bezogene Daten erhoben.                     des patientenbezogenen Behandlungsprozesses. Die Mög-
                                                                                  lichkeiten die mit der Nutzung der Routinedaten der GKV
                                                                                  einhergehen, sind vielfältig (Glaeske, Rebscher, Willich,
vermeidbarer Eskalationen, in besserer Patientenführung,                          2010, A1295).
in einem zweckmäßigen Management komplexer Versor-                                Sie sind im Einzelnen
gungsabläufe und in mittel- bis langfristigen Effekten für                        • sehr vollständig, da zu Abrechnungszwecken erstellt,
Krankheitslast und Kostenstrukturen liegen.                                       • zeitnah und mit geringem Aufwand verfügbar,
     Diese inhaltliche Orientierung stellt hohe Anforderun-                       • für eine sektorübergreifende Längsschnittbetrachtung
gen an die Analyse des Status quo und der Evaluation des                             einer großen Population geeignet,
angestrebten Status quo ante. Begriffe wie Effizienzmes-                          • lassen Prävalenz- und/oder Inzidenzschätzungen zu,
sung, Risikoadjustierung, Qualitätsindikatoren und deren                          • sind bezüglich „Recall-Bias“ und „Non-Response-
Messung, Evaluation komplexer Interventionen oder Ver-                               Bias“ verzerrungsfrei,
sorgungsforschung müssen methodisch und durch geeig-                              • könnten über die wesentlichen Leistungsbereiche hin-
nete Datenanalytik in das Handlungskonzept der Beteiligten                           weg personenbezogen verknüpft werden,
eingebettet werden. Dies bedarf erheblicher logistischer                          • sind grundsätzlich für alle Studientypen nutzbar.
und technischer Vorbereitungen (z. B. Data Ware House)                            Diese Daten zeigen jedoch nur den abrechnungstechni-
und datenschutzrechtlicher Klärungen.                                             schen Nachweis des Status quo. Ambitionierte Manage-
     Ohne die Analyse der Ergebnisse verschiedener Versor-                        mentprojekte zur Patientensteuerung benötigen darüber
gungsalternativen oder Vertragskonzepte bleibt das Kon-                           hinaus aktuelle medizinisch/klinische Daten, die in der Part-
zept der selektiven Vertragsgestaltung allerdings inhaltsleer.                    nerschaft der jeweiligen Vertragsmodelle bereitgestellt wer-
Es würde sonst gerade seine zentrale ordnungsökonomi-                             den können und in den „datenschutzrechtlichen Schutz-
sche Funktion, die eines systematischen Suchverfahrens                            räumen“ der beteiligten Leistungserbringer verbleiben.
und eines Benchmarks für alternative Problemlösungen,                                  Die Nutzung von GKV-Routinedaten hat deshalb selbst-
nicht erfüllen können. Damit würden selektive Vertragsmo-                         verständlich inhaltliche Grenzen, die sorgfältig zu beachten
delle gerade eben nicht die Regelversorgung befruchten                            sind (vgl. Cole, Francis, 2015):
und auf ein höheres qualitatives Niveau heben und durch                           • Es handelt sich um Abrechnungsdaten, die wenig Aus-
Vergleich und Nachahmung die bessere Lösung sich am                                  sagen zur Nutzenbewertung der Interventionen bein-
Markt durchsetzen können.                                                            halten.
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