DIPLOMARBEIT / DIPLOMA THESIS - Angewandte
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Universität für Angewandte Kunst Wien DIPLOMARBEIT / DIPLOMA THESIS Titel der Diplomarbeit / Title of the Diploma Thesis FLEISCHLICHE KUNST Eine Untersuchung zu künstlerischen Aspekten im Bodybuilding verfasst von / submitted by Philip Christian Röttl angestrebter akademischer Grad / in partial fulfilment of the requirements for the degree of Magister Artium (Mag. art.) Wien, 2018 / Vienna, 2018 Studienkennzahl lt. Studienblatt / A 190 590 591 degree programme code as it appears on the student record sheet: Studienrichtung lt. Studienblatt / Lehramtsstudium UF Bildnerische Erziehung, UF degree programme as it appears on Werkerziehung the student record sheet: Betreut von / Supervisor: Univ.-Prof. Dr.phil. Mag.art. Marion Elias
Eidesstattliche Erklärung Hiermit erkläre ich, dass ich, Philip Christian Röttl, die Diplomarbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt und die aus fremden Quellen direkt oder indirekt übernommenen Gedanken als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit habe ich bisher keinem anderen Prüfungsamt in gleicher oder vergleichbarer Form vorgelegt. Sie wurde bisher auch nicht veröffentlicht. Ich erkläre mich damit einverstanden, dass die Arbeit mit Hilfe eines Plagiatserkennungsdienstes auf enthaltene Plagiate überprüft wird. ________________________ _________________________ (Ort, Datum) (Unterschrift)
Inhalt Abstract ...................................................................................................................................... 7 Vorwort und Danksagung........................................................................................................... 9 1 Einleitung ............................................................................................................................... 11 1.1 Darstellung der Forschungsfrage............................................................................... 12 1.2 Diplomarbeitsaufbau ................................................................................................. 12 2 Bodybuilding .......................................................................................................................... 14 2.1 Begriffsdefinition ............................................................................................................ 14 2.2 Die Geschichte des Bodybuildings ................................................................................. 16 2.2.1 Antike ...................................................................................................................... 16 2.2.2 Mittelalter ............................................................................................................... 19 2.2.3 Moderne, Körperlichkeit und Bodybuilding ............................................................ 20 2.2.4 Eugen Sandow ........................................................................................................ 25 2.2.5 Bodybuilding im 20. Jahrhundert ............................................................................ 32 2.3 Exkurs: Die Entwicklung des Bodybuildings in Österreich im 20. Jahrhundert .............. 34 2.3.1 Arnold Schwarzenegger .......................................................................................... 34 2.4 Bodybuilding im 21. Jahrhundert ................................................................................... 41 3 Bodybuilding als Kunst .......................................................................................................... 44 3.1 Der Künstler als Kunstwerk – Jörg Scheller .................................................................... 44 3.1.1 Visualisierung ......................................................................................................... 55 3.1.2 Ästhetik der Existenz ............................................................................................... 57 3.1.3 Postmoderne Bildhauer .......................................................................................... 58 3.1.4 Der Bodybuilder als Futurist? .................................................................................. 62 3.2 Bodybuilding im musealen Kontext ............................................................................... 64 3.3 Posing Kür als Kunstperformance .................................................................................. 66
4 Resümee ............................................................................................................................ 70 5 Literaturverzeichnis ........................................................................................................... 73 5.1 Andere Quellen .............................................................................................................. 77 6 Abbildungsverzeichnis ....................................................................................................... 78
Abstract Die hier vorliegende Diplomarbeit trägt den Titel „Fleischliche Kunst. Eine Untersuchung zu künstlerischen Aspekten im Bodybuilding“ und legt das Augenmerk auf die Verbindung des Bodybuilding Sportes und der Kunst. Die Arbeit geht der Frage nach, wie in der wissenschaftlichen/ einschlägigen/ fachspezifischen Literatur und den Medien für den Bodybuilding Sport als künstlerische Schaffensform argumentiert wird. In dem einführenden Teil dieser Diplomarbeit wird zunächst eine Definition des Bodybuildings gegeben und daran anschließend erfolgt ein historischer Abriss über die Entwicklung des Bodybuildings. Das zweite große Kapitel dieser Arbeit unternimmt den Versuch zu zeigen, wie und inwiefern in der wissenschaftlichen/ einschlägigen/ fachspezifischen Literatur für Bodybuilding als Kunstform argumentiert wird, wobei hierzu verschiedene Stellungnahmen zu dieser Thematik vorgestellt werden.
Vorwort und Danksagung Sport begleitet mich bereits mein ganzes Leben und meine Faszination für Kraftsport entdeckte ich vor etwa zehn Jahren. Anfangs noch als Ergänzung zu anderen Sportarten ausgeführt, begann ich schon bald, mich nur noch auf diese Sportart zu konzentrieren. Aufgrund einer Verletzung nutzte ich zur Rehabilitation Bodybuilding-Training und lernte diese Sportart schätzen. Besonders begeisterte mich der Aspekt, sich beim Training ganz bewusst auf bestimmte Muskelgruppen zu fokussieren, da es hierbei nicht um das bewegte Gewicht sondern mehr um die Ausführung und die Bewegung geht. Durch diese Form des Trainings gelingt es einem, eine besondere Verbindung zwischen sich und seinem Körper – die sogenannte Mind-Muscle Connection –aufzubauen. Durch mein Studium begann ich im Bodybuilding Parallelen zu künstlerischen Schaffensprozessen zu erkennen. Aus dem Interesse an diesen Prozessen entstand das Thema, beziehungsweise die Fragestellung für meine Diplomarbeit. Von ganzem Herzen möchte ich mich nun bei einigen besonderen Menschen bedanken, ohne deren Zutun ich diese Arbeit wohl (noch) nicht vollendet hätte! Besonderer Dank gebührt meiner Verlobten und zukünftigen Ehefrau, Rosanna, die mir schon seit der Themenfindung mit Rat und Tat zur Seite stand und mich, mit ihren Fachkenntnissen, Tag und Nacht während des ganzen Entstehungsprozesses begleitete. Ohne dich wäre diese Arbeit in solch einer Qualität nicht in so kurzer Zeit umsetzbar gewesen! Herzlichst möchte ich mich auch bei meiner Familie, meiner Schwester Katharina und insbesondere bei meinen Eltern, Elisabeth und Herwig, bedanken, die mir mein Studium ermöglichten und mich auf meinem ganzen Bildungsweg unterstützten. Danke, dass ihr immer für mich da seid!
1 Einleitung „Fleischliche Kunst. Eine Untersuchung zu künstlerischen Aspekten im Bodybuilding.“ Wie aus dem Titel dieser Diplomarbeit ersichtlich wird, beschäftigt sich der Inhalt primär mit Bodybuilding und Kunst. Einigen Leserinnen und Leser stellt sich nun bestimmt die Frage, wie Bodybuilding und Kunst denn überhaupt miteinander vereinbar seien, denn wenn der Begriff des Bodybuildings fällt, erzeugt dies in den Köpfen vieler Menschen Bilder, die weit entfernt von den Vorstellungen der Kunst und Ästhetik sind. Viel eher denken diese Menschen dann an aufgedunsene, unästhetische Fleischberge, die durch die Einnahme von Steroiden einen übertrieben muskulösen Körper erzeugen, hinter dem sich komplexbehaftete Persönlichkeiten verstecken. Die Thematik des Bodybuildings polarisiert und erweckt stereotype Denkmuster sowie Klischees. In dieser Arbeit soll es jedoch nicht darum gehen, Stereotype und Klischees in Bezug auf Bodybuilding zurückzuweisen, sondern vielmehr darum, einen anderen Blickwinkel auf das Bodybuilding zu eröffnen. Bei der Beschäftigung mit Bodybuilding ergibt sich ein weites Feld an möglichen Untersuchungsschwerpunkten, sei dies in sportgeschichtlicher, historischer oder sozialer Hinsicht. Der in dieser Arbeit fokussierte Blickwinkel wird sich jedoch darauf konzentrieren, inwiefern und ob Bodybuilding im Sinne einer Kunstwerdung des eigenen Körpers verstanden werden kann. Es geht auch um den Versuch zu zeigen, dass Bodybuilding durchaus als Kunst beziehungsweise Kunstform gesehen werden kann. Ich selbst habe einen persönlichen Bezug zum Bodybuilding. Seit ungefähr 10 Jahren betreibe ich selbst Kraftsport, zuvor in Form von Kraft-Dreikampf, seit einem Jahr mit einem stärkeren Fokus auf Bodybuilding. Immer wieder entdecke und entdeckte ich im sportlichen Tun Parallelen zu künstlerischen Schaffensprozessen – nicht nur bei meiner eigenen, sondern auch in der von mir beobachteten sportlichen Betätigung anderer Bodybuilder. Wie aus diesen Zeilen deutlich hervorgeht, brachte mich mein sehr subjektives Empfinden – in Bezug auf diese Sportart – auf das Thema der hier vorliegenden Diplomarbeit. Ich möchte diesen subjektiven Ansatz an dieser Stelle auch keineswegs „weg-argumentieren“ sondern nehme genau diesen Umstand zum Anlass, um zu 11
untersuchen, welche wissenschaftlichen Argumente für mein subjektives Empfinden in Literatur und Medien auffindbar sind. 1.1 Darstellung der Forschungsfrage Da ich in dieser Diplomarbeit das Augenmerk auf die Verbindung des Bodybuilding Sportes und der Kunst lege, ergibt sich folgende Forschungsfrage: Wie wird in der wissenschaftlichen/einschlägigen/fachspezifischen Literatur und den Medien für den Bodybuilding Sport als künstlerische Schaffensform argumentiert? Die folgenden Subfragen sollen außerdem im Zuge dieser Diplomarbeit beantwortet werden: 1.) Welche Elemente werden im Bodybuilding als besonders künstlerisch betrachtet? 2.) Wie wird der Zusammenhang zwischen dem Künstler/ Sportler und seinem Kunstwerk / Körper gesehen? 3.) Gab es bisher bereits Verbindungen von Bodybuilding und Kunst, beispielsweise in Form von Ausstellungen? 4.) In welche zeitgenössischen Kunstströmungen lässt sich Bodybuilding, wenn es als Kunstform verstanden wird, am ehesten einordnen? 1.2 Diplomarbeitsaufbau Die hier vorliegende Diplomarbeit wird in zwei große Kapitel unterteilt. Im ersten – als Einführung verstandenen – Kapitel soll die Thematik des Bodybuildings ganz allgemein thematisiert werden. Im zweiten großen Kapitel geht es um die Darstellung der künstlerischen Aspekte im Bodybuilding in wissenschaftlicher/ einschlägiger/ fachspezifischer Literatur und den Medien. In dem einführenden Teil der Diplomarbeit wird zunächst eine Definition des Bodybuildings gegeben. Daran anschließend erfolgt ein historischer Abriss über die Entwicklung des Bodybuildings und es werden wichtige Vertreter dieser Sportart genannt. 12
An dieser Stelle ist anzumerken, dass das Augenmerk dieser Arbeit den männlichen Körper fokussiert, der durchaus sehr interessante und ergiebige Gender-Aspekt im Bodybuilding in dieser Arbeit jedoch nicht mit einbezogen wird. Aufgrund der Fokussierung auf männliche Protagonisten in Bezug auf das Bodybuilding wird in der Formulierung dieser Diplomarbeit weitgehend die maskuline Form verwendet. Das zweite große Kapitel dieser Arbeit unternimmt den Versuch zu zeigen, wie und inwiefern in der wissenschaftlichen/einschlägigen/fachspezifischen Literatur und den Medien für Bodybuilding als Kunstform argumentiert wird. Hierzu sollen verschiedene Stellungnahmen zu dieser Thematik vorgestellt werden, die meine eingangs dargestellte Bestrebung, im Bodybuilding Sport auch eine Kunstform zu sehen, unterstützen. Ein Teil dieses Abschnittes wird demnach dem Kunstwissenschaftler Jörg Scheller gewidmet, der in seinem Buch „No Sports! Zur Ästhetik des Bodybuildings“ sehr ausführlich Parallelen zwischen dem Bodybuilding und der Kunst darlegt. Außerdem wird in diesem Kapitel auch darauf eingegangen, welche Parallelen sich zwischen dem Bodybuilding und den Futuristen finden und inwiefern von einem Bodybuilder als ein Readymade gesprochen werden kann. Darüber hinaus wird auch der performative Aspekt im Bodybuilding, in Form der Bodybuilding Kür, besprochen. 13
2 Bodybuilding Bodybuilding, Gewichtheben, Krafttraining, Fitness, Gerätetraining – die genannten Begriffe werden in unserer Alltagssprache oft unsystematisch und synonym verwendet, weshalb nachfolgend eine Definition von Bodybuilding gegeben wird. Auch deshalb, da in dieser Arbeit durchgehend mit dem Begriff des Bodybuildings gearbeitete wird und es notwendig ist, vorab eine Begriffsbestimmung durchzuführen, die ein einheitliches – im Sinne dieser Arbeit angestrebtes – Begriffsverständnis sicherstellt. 2.1 Begriffsdefinition Schlägt man in diversen Sportlexika nach, findet man zum Beispiel in Röthig und Prohls sportwissenschaftlichem Lexikon folgende Definition des Begriffs des Bodybuildings: „Unter morphologischen Aspekt dient Bodybuilding der Modellierung des Körpers[…]durch Muskelaufbautraining und durch diätische Maßnahmen.“1 Neben dieser kurzen Definition findet man außerdem Informationen über diverse Trainingsmethoden, mit Wiederholungs- und Satzzahlen und verschiedensten Pausenlängen. Eine, meines Erachtens nach, befriedigendere Definition von Bodybuilding findet man im Lexikon der Sportwissenschaften von Schnabel und Giess: Bodybuilding, sportliche Richtung der Körperformung, die dem Aufbau von Muskelmasse und die Ausprägung der Muskulatur zum Ziel hat. Die Muskulatur wird durch spezielle Belastungsformen zur Hypertrophie angeregt. In Wettkämpfen stellen Vertreter des B. ihre oft überdimensionierten Muskeln zur Schau. Bewertet werden u.a. die Ausgeglichenheit in der Entwicklung einzelner Muskeln und Muskelpartien sowie der Ausprägungsgrad des Muskelprofils.2 Bodybuilding Trainingsmethoden zum Muskelaufbau finden in den verschiedensten Benutzergruppen Anwendung. Die Hypertrophie-Methoden des Bodybuildings werden sowohl bei Rehabilitationstherapien aber auch erfolgreich zur Verletzungsprävention eingesetzt. Unter anderem wird die Methode des Bodybuildings auch als Ergänzung zu anderen Sportarten eingesetzt, was die Bereiche des Wettkampf- oder Freizeitsportes einschließt. 1 Röthig, Peter/ Prohl, Robert: Sportwissenschaftliches Lexikon, Schorndorf, Hofmann, 2003, S. 112. 2 Schnabel, Günter/ Giess, Günter: Lexikon der Sportwissenschaft: Leistung, Training, Wettkampf. Band 1. A-K., Berlin, 1993, S. 182. 14
Bodybuilding [bedeutet] die Schulung der energetisch-, konditionellen Fähigkeiten[…] in Bezug auf eine optimierte Muskel, bzw. Körperentwicklung und ist damit ein übergeordneter Begriff für vielfältige sportliche Tätigkeiten mit dem Hauptziel der Verbesserung der körperlichen Fitness. Bodybuilding bezeichnet die eigentliche Aktivität, die oben genannte Fitness zu erwerben. Es bilden sich hierbei, wie bei anderen Sportarten, zwei Hauptgruppen, die prozentual folgendermaßen vertreten sind: - Die Breitensportler (99%) - Die Leistungssportler bzw. Wettkampfathleten (1%) Die o.g. Vermischung des Fachbegriffs Bodybuilding wird dadurch verdeutlicht, dass wenn vom Bodybuilding gesprochen wird […] nur jenes 1 (eine) Prozent angesprochen wird, dass sich an Wettkämpfen beteiligt. Auch in dieser Arbeit wird Bodybuilding als Wettkampfsportart verstanden, bei der die daran teilnehmenden Sportler, nach Hoffmann, folgende Ziele anstreben: Das Ziel beim Bodybuilding ist die Entwicklung einer möglichst großen Muskelmasse unter Berücksichtigung einer ausgewogenen Körpersymmetrie. Darunter ist zu verstehen, dass bei maximaler Muskelausprägung die einzelnen Muskelgruppen in Ihrer Entwicklung in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen [….]. Bei einer Meisterschaft muss der Athlet seine Muskulatur auf der Bühne darstellen.3 In dieser Arbeit beschäftige ich mich weniger mit dem kompetitiven Aspekt des Bodybuilding Sportes, sondern viel mehr mit der Ästhetik, die im direkten Zusammenhang mit dem Wettkampf steht. Dass Bodybuilding in einem erweiterten Verständnis auch als mehr als „nur“ eine Sportart angesehen werden kann, zeigen Penz und Pauser, die Bodybuilding aus einer kulturellen Perspektive definieren: „Für mich ist Bodybuilding zweifelsohne eine Kunstform – Bildhauerei ohne Hammer und Meißel am eigenen Körper.“4 Wie bereits anhand dieser kleinen Auswahl gezeigt wurde, finden sich für das Phänomen des Bodybuildings in der Literatur eine Unzahl an Definitions- und Erklärungsansätzen. Da für den Inhalt der hier vorliegende Diplomarbeit jedoch ein eher allgemeines und überblicksartiges Verständnis dieser Sportart ausreichend ist, wird auf die Anführung 3 Hoffmann, Jürgen: Hormon Report. Verbreitung, Anwendung und Beurteilung von Hormonen als Dopingmittel im Bodybuilding, Arnsberg, 1999, S. 7. 4 Penz, Otto/ Pauser, Wolfgang: Schönheit des Körpers: Ein theoretischer Streit über Bodybuilding, Diät und Schönheitschirurgie, 1995, S. 101. 15
weiterer Definitionen verzichtet und im folgenden Kapitel nun auf die geschichtliche Entwicklung dieser Sportart eingegangen. 2.2 Die Geschichte des Bodybuildings In diesem Abschnitt wird das Ziel verfolgt, darzustellen, wie sich die Sportart des Bodybuildings entwickelte und welche historischen Tendenzen als Wegbereiter des Bodybuildings fungierten. Die historische Rückschau beginnt bei dem wohl berühmtesten Wettkampf der Welt – den Olympischen Spielen, führt über Mittelalter und Neuzeit, geht vertiefend auf wichtige Vertreter dieser Sportart ein und schließt bei einer regionalen Betrachtung – der Entwicklung des Bodybuildings in Österreich. 2.2.1 Antike Die Olympischen Spiele5 der Antike: keine Veranstaltung dieser Zeit wurde mehr mystifiziert, keinem Wettkampf wurde in der Geschichtsforschung mehr Beachtung geschenkt und es mangelt nicht an Legenden, die dieses Ereignis seit jeher begleiten. Seit 776 v. Chr. sind die Spiele urkundlich nachweisbar, seitdem werden Siegerlisten geführt. Damals galt der Fünfkampf als Königsdisziplin, den nur derjenige gewinnen konnte, der alle Tugenden vereinte. In den Augen der Zeitgenossen hatte nur ein harmonischer Held das Zeug zum Olympiasieger.6 Abbildung 1: Statue of the Diadoumenos 5Bei den Olympischen Spielen – unterteilt in „Olympische Spiele“ und „Olympische Winterspiele“ – handelt es sich um eine regelmäßig ausgetragene Sportwettkampfveranstaltung, bei der Athletinnen und Athleten sowie Mannschaften in verschiedenen Sportarten gegeneinander antreten. Wikipedia Eintrag zu Olympische Spiele, online Abgerufen am 06.06.2018: https://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Spiele#cite_note-2. 6 Vgl. Pramann, Ulrich: Fit. Mehr Spaß am Leben mit Bodybuilding und Körpertraining. Bad Homburg, 1983, S. 117-120, im Folgenden: Pramann: Fit, 1983. 16
Bildhauer idealisierten die Ikonen der damaligen Zeit in Marmor, die auch noch heute als Maßstäbe der männlichen Körperästhetik gelten.7 Schon damals ging es um viel mehr, als nur darum, Ruhm und Ehre zu erlangen, denn die Siegerprämien bestanden in der Antike aus Gold, Silber und wertvollen Ölen. Diese blendenden wirtschaftlichen Verheißungen motivierten die Sportler dazu, Profis zu werden und viele unterzogen sie genauen Trainings- und Ernährungsprogrammen um konkurrenzfähig zu bleiben.8 Das 8. Jahrhundert v. Chr. stand im regen Wandel, Athen übernahm die Führungsrolle in der antiken Welt und führte die Demokratie ein. Durch militärischen Erfolg verfügte Athen über unzählige Kriegsgefangene, die als Sklaven einen Teil der Arbeit übernehmen mussten. Durch die von den Sklaven übernommene Arbeit erlangten Teile der Bevölkerung Freizeit, die sie in diesem Ausmaß zuvor nicht hatten. Diese Freizeit wirkte sich auch auf den Sportbetrieb aus. Das Interesse der Bevölkerung daran, selbst Sport zu treiben und sich im Wettkampf zu messen, sank jedoch wieder, als die sportlichen Anforderungen stiegen und sich allmählich Spitzensportler herausbildeten. Diese erzielten Spitzenleistungen, die für die „Hobbysportler“ unerreichbar wurden und der Sport verlagerte sich daraufhin auf die Zuschauertribünen. Die Gruppe der Berufsathleten war geboren.9 Schon damals entwickelten Berufsathleten spezielle Techniken und Trainingsmethoden, um die Kraftleistungen ihrer Muskeln zu steigern um in diversen Kraftdisziplinen bessere Leistungen zu vollbringen. Besonders hohes Ansehen in der Bevölkerung genossen Ringkämpfe und Kraftproben, wie die des Gewichthebens oder Steinstoßens.10 Bei den Römern war Sport weitgehend Zuschauersport, wie Gladiatorenkämpfe in den Amphitheatern oder Wagenrennen im Zirkus belegen. Um bei den Massen populär zu bleiben, war es für einen Herrscher unverzichtbar, solche sportlichen Spektakel zu veranstalten. Das Laufen wurde als körperliche Ertüchtigung betrachtet und rückte weiter in den Vordergrund, auch die Sprungdisziplin war zu dieser Zeit eine gefragte Disziplin. Wie auch im antiken Griechenland, wurde der Sprung mit Hanteln geübt, um 7 Vgl. Pramann: Fit, 1983, S. 117-120. 8 Vgl. ebda. 9 Vgl. ebda. 10 Vgl. ebda. 17
den Widerstand zu erhöhen und dadurch eine Leistungssteigerung zu erzielen. Allgemein wurden Hanteln auch schon damals als Kraftgeräte eingesetzt.11 Abbildung 2: Grieche in halb kauernder Stellung bei scheinbarer Armübung mit zwei Hanteln Diskuswerfen wird besonders oft in den Überlieferungen erwähnt und auf Mosaiken und Fresken dargestellt, daher lässt sich eine Vorliebe für diese Disziplin vermuten. Neben Diskuswerfen erfreute sich auch der Ringkampf und Boxen großer Beliebtheit.12 Abbildung 3: Roman copy of a 5th century BC Greek original by Myron 11 Vgl. Pramann: Fit, 1983, S. 121-122. 12 Vgl. ebda. 18
2.2.2 Mittelalter Im Mittelalter, nach dem Untergang des Römischen Reiches (510 v. Chr. bis 530 n. Chr.), setzte eine vollkommen neue Geschichtsepoche ein, die sich auch auf die Entwicklung des Sportes auswirkte. Obwohl in diesem Zeitraum jegliche Indizien für hanteltrainingsähnliche Betätigungen vorläufig abbrachen, spielten jedoch trotzdem Körperkraft und Körperertüchtigungsprogramme eine nicht zu unterschätzende Rolle.13 „Jedoch ist abgesehen von den großen Ritterturnieren, die sich im Grunde lediglich am ritterlichen Kampfe orientierten, nur wenig Konkretes zu >Kräftigungsprogrammen< jener Zeit überliefert.“14 Die immer schwerer werdenden Waffen und Rüstungen der Ritter sorgten in Verbindung mit Fechtübungen für eine Art Krafttraining. Wesensbestimmende Merkmale des Ritterstandes waren rohe Körperkraft, Geschicklichkeit sowie Standhaftigkeit und somit auch obligatorische Elemente der ritterlichen Erziehung.15 „Das ganze Leben [wurde] vom körperlichen Einsatz geprägt: Training, Turniere, Jagd, Krieg, Kampf.“16 In Geschichtsbüchern tauchen immer wieder Namen, wie beispielsweise „August der Starke aus Sachsen“, auf, die auf Menschen verwiesen, die aufgrund ihrer Körperkraft im ganzen Land berühmt gewesen sein mussten. Laut Überlieferungen konnte „August der Starke“ Hufeisen auseinander biegen und Münzen verunstalten, was darauf schließen lässt, dass körperliche Kraft auch im Mittelalter eine besondere Faszination ausübte.17 Die gesamte Zeitspanne des Mittelalters wurden Kräftigungsübungen zur Leistungssteigerung des Körpers ausgeübt – vorwiegend von den Rittern, Söldnern und ähnlichen Berufsgruppen.18 „Die Übungen bestanden hierbei hauptsächlich aus Steinheben sowie –werfen und erinnern an die heutigen sog. Strong-Men- Wettbewerbe, die sich unter Kraftathleten der Gegenwart großer Beliebtheit erfreuen.“19 13 Kläber, Mischa: Moderner Muskelkult: Zur Sozialgeschichte des Bodybuildings, Bielefeld, 2013 ,S. 95, im Folgenden: Kläber: Muskelkult, 2013. 14 Ebda. 15 Vgl. ebda, S. 96. 16 Schulz, Knut: Mittelalterliche Vorstellungen von der Körperlichkeit. In: Arthur E., Imhof (Hrsg.): Der Mensch und sein Körper. Von der Antike bis heute, München, 1983, S.46-64, hier: S. 55. 17 Vgl. Bührle, Martin: Grundlagen des Maximal-und Schnellkrafttrainings. Schorndorf, 1985, S. 182, im Folgenden: Bührle: Grundlagen, 1985. 18 Vgl. Groth, Lothar: Die starken Männer. Eine Geschichte der Kraftakrobatik. Berlin, 1987, S. 18ff. 19 Kläber: Muskelkult, 2013, S. 96. 19
Auffallend ist, dass im Mittelalter sportliche Kraftproben meist in einem militärischen Kontext verortbar sind, denn im Vergleich zu den sportlichen Akteuren der Antike, die oft Berufsathleten waren, stammten die sportlichen Hauptakteure des Mittelalters meist aus dem Militärwesen.20 Dass ab dem Einsetzen des Mittelalters jedoch ein eklatanter Abriss des geschichtlichen Erkenntnisstandes über vormoderne Körperertüchtigungsprogramme vorliegt, liegt an der Genese und Weiterentwicklung mittelalterlicher Leib- sowie Körperfeindlichkeit, die in engem Zusammenhang mit der mittelalterlichen katholischen Kirche steht.21 2.2.3 Moderne, Körperlichkeit und Bodybuilding Als zentrale Bezugsgröße für die Soziogenese des Bodybuildings ist das Programm der sogenannten Moderne anzusehen. Der Umbau von einer, mittels Schichtordnung stratifizierter Gesellschaft zu einer horizontalen Matrix mit relativ autonomen gesellschaftlichen Teilsystemen und deren eigendynamische Entfaltung, bildete sich in dieser Zeitspanne aus. In Europa ereignete sich ab dem 18. Jahrhundert der Vorgang einer „Entfusionierung“ vormals diffus verschränkter Lebenswelten und der Prozess einer Auflösung von traditionalen Gesellschaftsformationen. „Das eigentliche Verlaufsschema des abendländischen Zivilisationsprozesses ist zugleich eine Geschichte veränderter Einstellungen und Haltungen zu allen denkbaren Dimensionen des Körperlichen (…).“22 Der Begriff des „zivilisierten Körpers“ verdeutlicht die im Zuge der Moderne entstehenden Entwicklungsprozesse und deren Resultate in Bezug auf den individuellen Körper.23 Die Beherrschung der Sinne, die Lenkung von Bedürfnissen, das Zurückdrängen körperlicher Regungen in gesellschaftlich eigens dafür definierte Bereiche führen in Verbindung mit einer zunehmenden Abstraktion von allem Natürlichen zu einem Verlegen körperlicher Bereiche hinter die Kulissen des gesellschaftlichen Alltages.24 Vom Spätmittelalter bis hin zum Ende des viktorianischen Zeitalters wurde der menschliche Körper eher versteckt als bewusst in Szene gesetzt. Besonders anschaulich 20 Vgl. Kläber: Muskelkult, 2013, S. 97. 21 Vgl. ebda, S. 106. 22 Ebda, S. 102. 23 Vgl. ebda, S. 103. 24 Emrich, Eike: Bodybuilding aus Athletensicht. Analysen, Interpretationen und Assoziationen. Witten, 1992, S. 11. 20
wird diese damals tradierte Einstellung zum individuellen Körper anhand der Gewohnheiten in zurückliegenden Zeitepochen, in denen sich die Akteure der höheren Gesellschaftsschichten vorzugsweise einpuderten und parfümierten als sich angemessen zu waschen.25 Mit dem Ausbruch der Pestepidemie Anfang des 17. Jahrhunderts wurde die öffentliche Hygiene stark eingeschränkt und vernachlässigt. Erst im 19. Jahrhundert setzte sich schließlich die Erkenntnis durch, dass die körperliche Hygiene Krankheiten vorbeugen kann.26 Während der Aufklärung konnten, „wenn auch nur mit wenig gesellschaftlicher Durchschlagskraft, spezifische Formen der Körperaufwertung simultan zur weiter voranschreitenden Körperdistanzierung in immer größerem Umfang wiederbelebt werden.“27 Die geistigen und kulturellen Reformbestrebungen des aufsteigenden Bürgertums gewannen während der Aufklärung an Einfluss auf die Menschen. Durch die Philanthropen und deren Reformbewegungen wurde ein quantitativ und qualitativ anspruchsvolles System der körperlichen Bildung – Gymnastik – konzipiert und leitete in der Folge auch die erste planmäßige schulische Sporterziehung ein.28 Noch während des Idealismus und der >nationalen Bewegung< von 1780-1815 entstanden sowohl ein humanistisch-idealistisches Menschenbild als auch die Etablierung eines neuen Bildungsideals. >Sport< – noch primär in der Gestalt des Turnens und der Gymnastik – spielte eine wichtige Rolle in der Konzeption der damaligen Bildungsziele, wie etwa dem von Pestalozzi.29 Im 18. Jahrhundert, mit dem Aufkommen der Turnbewegung, wurde das Hanteltraining neue entdeckt. Spezielle Übungsformen mit Hanteln wurden entwickelt, wobei auch deren positive Auswirkung auf die Gesundheit beschrieben wurde.30 25 Vgl. Sandow, Eugen: Kraft und wie man sie erlangt, Hannover, 1993, S. 20ff, im Folgenden: Sandow, Kraft, 1993. 26Vgl.: O.A.: Parfüm statt Wasser, 2017, online Abgerufen am 06.06.2018: https://www.planetwissen.de/gesellschaft/sauberkeit/hygiene/pwiewissensfrage308.html. 27 Kläber: Muskelkult, 2013, S. 107. 28 Krüger, Arnd/ Bernd Wedemeyer: Kraft-Körper – Körper-Kraft. Zum Verständnis von Körperkultur und Fitness gestern und heute. Göttingen, 1995, S. 25ff. 29 Kläber: Muskelkult, 2013, S. 108. 30 Vgl. Bührle: Grundlagen, 1985, S. 186. 21
Abbildung 4: Stützübung für Jungen vor 150 Jahren Jedoch fehlte es an einer führenden Persönlichkeit, die dazu in der Lage war, die gesundheitlichen Aspekte des Hanteltrainings breitenwirksam zu propagieren. Erst mit dem Pädagogen Christoph Gutsmuths (1759-1839), der die neuzeitliche Körpererziehung in Theorie und Praxis begründete und als untrennbaren Bestandteil der Gesamterziehung umsetzte, konnte dies umgesetzt werden. Sein Werk „Gymnastik für die Jugend“ hatte grundlegende Bedeutung für die Körpererziehung im 19. Jahrhundert. Er strebte mit seiner Gymnastik Geschicklichkeit, Kraft und Ausdauer an – Eigenschaften, welche für ihn unmittelbar mit den Attributen der Willensstärke und der Männlichkeit in Verbindung gebracht wurden.31 Ein weiterer wichtiger Vertreter der neuzeitlichen Körpererziehung war der deutsche Pädagoge Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852), der als der Begründer der deutschen Turnbewegung gilt. Sein Grundsatz lautete „frisch, fromm, fröhlich und frei“ und seine Turnbewegung war von Anbeginn mit der frühen Nationalbewegung verknüpft. Eines seiner Ziele war es, in den Turnern kräftige Verteidiger des Vaterlandes zu erschaffen.32 31 Vgl. Erbach, Günther: Körperkult und Sport. Kleine Enzyklopädie, Leipzig, 1979, S. 26-27, im Folgenden: Erbach: Sport, 1989. 32 Vgl. ebda. 22
Abbildung 5: Bilder vom Stiftungsfest des Leipziger Allgemeinen Turnvereins 1895 Am austrainierten, muskulösen männlichen Körper, zeigte man am Ende des 19. Jahrhunderts wieder Interesse – inspiriert durch die griechischen Athleten der Antike, die der Bevölkerung vor allem durch Statuen bekannt waren.33 Das moderne Gewichtheben entwickelte sich aus der alten und vor allem im Mittelalter beliebten Tradition des Steinhebens. Zwar können die frühmodernen Formen der Körper- und Kräfteschulung noch nicht als reguläre Sportarten bezeichnet werden, aus ihnen entwickelte sich allerdings neben dem Bodybuilding noch eine weitere klassische Sportart, die inzwischen seit etlichen Jahrzehnten zum Repertoire der Olympischen Sportdisziplinen gehört: das Gewichtheben. Bereits im Jahr 1896 wurde diese Sportart zur Olympischen Disziplin34 erklärt. Zunächst wurde das Gewichtheben noch in den 33 Vgl. Erbach: Sport, 1989. 34 In den olympischen Sportarten werden Wettbewerbe bei den Olympischen Spielen, sowie den Olympischen Winterspielen ausgetragen. Anzahl und Art werden vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) zu den jeweiligen Spielen festgelegt. Die Anzahl der Sportarten kann von Olympischen Spielen zu Olympischen Spielen schwanken. Auch die Unterteilungen und die Wettbewerbe einer Sportart werden oftmals geändert. Für jede olympische Sportart ist ein vom IOC anerkannter internationaler Sportverband verantwortlich, dabei vertreten einige Verbände mehrere Sportarten. Wikipedia Eintrag zu Olympische Sportarten, online Abgerufen am 06.06.2018: https://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Sportarten 23
traditionsreichen Turnvereinen betrieben, ab den 1880er Jahren bildeten sich dann jedoch selbstständige Schwerathletikvereine heraus.35 Hauptklientel der frühen als auch der späten Entwicklungsphase des Gewichthebens waren Menschen, die überwiegend dem klein- und unterbürgerlichen Milieu angehörten. Das Körperideal dieser Menschen lang mehr in einer bestmöglichen Kraftentwicklung als in einer harmonischen Körperoptik beziehungsweise Figur. Das Streben nach einer harmonischen Körperoptik war für die neuen Bürgerlichen kennzeichnend.36 Im Gegensatz zu herkömmlichen Darstellungen fand sehr wohl eine wechselseitige Beeinflussung zwischen Gewichthebern und Bodybuildern statt. Es gab nicht nur einen emsigen Austausch hinsichtlich neuer, innovativer Trainingstechniken, sondern auch einen Austausch hinsichtlich der Optimierungsmöglichkeiten, was beispielsweise Rahmenbedingungen, wie Regeneration, Ernährung, Motivation u.Ä., anbelangte.37 Die Wurzeln des Gewichthebens und des Bodybuildings sind eng miteinander verschlungen. Nach heutigem Verständnis wurden um 1900 dort, wo mit Gewichten trainiert wurde, mehrere Sportarten gleichzeitig ausgeübt, denn in den Kraftsport- Vereinen jener Zeit wurden Elemente aus dem Gewichtheben, dem Bodybuilding, dem Ringen und Boxen als auch fernöstliche Körperübungen gemischt.38 Die hier genannten Betätigungsformen waren noch nicht unter eigenständigen Dachverbänden organisiert und es gab außerdem keine niedergeschriebenen Regelwerke, weshalb man zu diesem Zeitpunkt noch nicht von einer Sportart im eigentlichen Sinne sprechen kann. „Die Geburtsstunde des Bodybuildings wie auch des Fitness-Sports lässt sich nicht exakt datieren. Doch nach aktuellstem Stand der vorliegenden (sport)historischen Literatur beziffert man sie für das Bodybuilding in etwa um den Beginn des 20. Jahrhunderts.“39 Hardcorebodybuilder, Naturalbodybuilder, Bodyshaper oder Fitness-Sportler – nach unserem heutigen Begriffsverständnis – konnten die ersten Athleten, die durch zielgerichtetes Hanteltraining einen Muskelaufbau und Kraftzuwachs forcierten, nicht 35 Vgl. Wedemeyer-Kolwe, Bernd: Der neue Mensch. Körperkultur im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. Würzburg, 2004, S. 295 f, im Folgenden: Wedemeyer-Kolwe: Körperkultur, 2004. 36 Vgl. Wedemeyer-Kolwe: Körperkultur, 2004, S. 295 f, 37 Kläber: Muskelkult, 2013, S. 122. 38 Ebda. 39 Ebda. 24
genannt werden. Viel eher können sie als bizarre Paradiesvögel beschrieben werden, die aus einem extravaganten Milieu stammten.40 „Die Protagonisten des frühen Bodybuildings um 1900 entstammten dem Zirkus- und Berufsartistenmilieu.“41 Die starken Männer und Frauen im Zirkus, „gesellschaftliche Außenseiter, die zwar ob ihrer Kraft und Muskelformung angestaunt wurden, aber aufgrund ihres Berufes jenseits jeder bürgerlichen Existenz standen“42, können als die eigentlichen Initiatoren des voranschreitenden Körperkults und Bodybuildings gesehen werden.43 Die ersten Bodybuilding Bücher und Poster stammten von bestimmten Zirkusartisten, die es verstanden, ihren Körper zu vermarkten. Durch die Fotografie und die damit zusammenhängende Verarbeitung und Vermarktung verschiedener Athleten-Poster wurde die Kraftathletik zunehmend populär.44 Die zuvor genannten Bodybuilding Bücher wurden nicht aus uneigennützigen Beweggründen geschrieben – vielmehr wollten die Autoren möglichst viel Geld damit erwirtschaften. Im nun folgenden Abschnitt wird das Leben von Eugen Sandow (1867-1925) genauer beleuchtete, da er als Superstar der Körperkultur um die Jahrhundertwende galt und eine hervorzuhebende Rolle unter den zahlreichen Top-Athleten der frühen Bodybuilding Geschichte einnahm.45 2.2.4 Eugen Sandow Es ist nicht notwendig, wie manche Leute glauben, stark geboren zu sein, um stark zu werden. Anders wie der Dichter, welcher, wie man uns erzählt, als Dichter geboren werden muss, kann sich der starke Mann selbst bilden.46 Diesem Grundsatz nach konzipierte Eugen Sandow (1867-1925) sein Leben – und dies so erfolgreich, dass er auch heute noch aus historischen Darstellungen über die Entwicklung des Bodybuildings kaum wegzudenken ist. 40 Vgl. Kläber: Muskelkult, 2013, S. 122. 41 Wedemeyer-Kolwe: Körperkultur, 2004, S. 297. 42 Wedemeyer, Bernd: Der Athletenvater Theodor Siebert (1866-1961). Eine Biographie zwischen Körperkultur, Lebensreform und Esoterik. Göttingen, 1999, S. 415. 43 Vgl. Kläber: Muskelkult, 2013, S. 124. 44 Vgl. ebda, S. 127. 45 Schwarzenegger, Arnold/ Dobbins, Bill: Das große Bodybuilding Buch. München, 1993, S. 24, im Folgenden: Schwarzenegger/ Dobbins: Bodybuilding, 1993. 46 Sandow: Kraft, 1993, S. 113. 25
Mit zehn Jahren war der junge Eugen mit seinem Vater, einem Königsberger Gemüsehändler, auf einer Italienreise und besuchte dort unter anderem auch die Kunstgalerien von Rom und Florenz, wo er Skulpturen und Athleten der Antike zu sehen bekam. Der Eindruck, den diese Statuen bei ihm hinterließen, war so nachhaltig, dass sie ihn sein restliches Leben begleiten sollten und er fasste daher in der Folge den Vorsatz, selbst einen so wohlgeformten und austrainierten Körper zu erlangen.47 Er studierte aufmerksam seinen eigenen Körper und erarbeitete sich ein System, welches jedem Muskel eine bestimmte Übung zuwies, um ihn so gezielt trainieren zu können. Er widmete sich täglich 15 Minuten seinen eigens konzipierten Übungen. Erst nach seinem Achtzehnten Lebensjahr gelang es ihm, immer mehr Muskelmasse und Stärke aufzubauen, denn wie er selbst beschreibt, blieb er davor eher zart.48 Meine Lebensjahre zwischen 18 und 25 können übergangen werden mit der Bemerkung, dass sie eine stetige Zunahme der Kraft und einige wenige Versuche als Amateurathlet und Ringer sahen.49 In dieser von Sandow beschriebenen Zeitspanne, um 1880, zog er bereits mit kleineren Zirkussen und Schaustellern durch ganz Europa. Erst durch die Bekanntschaft mit dem sogenannten Professor Attila, Louis Dürlacher – Besitzer des damals bekanntesten Sportstudios in New York, konnte Sandow lernen, wie er aus seiner unglaublichen Kraft und seinem faszinierenden Körperbau Profit schlagen konnte.50 „By the beginning of the twentieth century, Eugen Sandow was one of the best known men in the world. Perhaps just as significantly, he was the possessor of the world`s best known body.“51 Am Zenit seiner Karriere besaß Sandow neben seinem ausgeprägten Geschäftssinn auch den Ruf, der „stärkste Mensch der Welt“ zu sein, was sicherlich eine der ausschlaggebendsten Prämissen für seinen geschäftlichen Erfolg darstellte.52 In Europa kam Sandow vor allem deshalb zu Ruhm, da er immer wieder andere Athleten zum direkten Kräftevergleich herausforderte, diese auch in ihren eigenen Kraftübungen besiegte und obendrein auch gleich noch neue Rekorde aufstellte.53 47 Vgl. Sandow: Kraft, 1993, S. 113. 48 Vgl. ebda, S. 114. 49 Ebda, S. 115. 50 Vgl. Wedemeyer-Kolwe: Körperkultur, 2004, S. 298. 51 Dutton, Kenneth R.: The perfectible Body. The Western Ideal of male physical Development. New York, 1995. S. 124f. 52 Vgl. Strzeletz, Joachim: Aus Liebe zum Eisen. Bodybuilding gestern und heute. Düsseldorf, 1982, S.19ff. 53 Vgl. Schwarzenegger/ Dobbins: Bodybuilding, 1993, S. 25. 26
„Sandow war ohne jeden Zweifel der Glamour-Athlet seiner Zeit. Allerdings war es damals so eine Sache mit dem Attribut >stärkster< Mensch (bzw. Mann) der Welt.“54 Diese Zeit war auch die Zeit des Schwergewichtshebens und da es weder einheitliche Regeln noch irgendwelche einheitlichen Messlatten zur Ermittlung der dargebotenen Kraftleistungen gab, gab es auch immer mehrere Athleten gleichzeitig, die sich mit dem Titel „stärkster Mann der Welt“ rühmten.55 Wenn jemand in der Lage war eine 127 Kilogramm Hantel zu heben, dauerte es nicht lange, bis schon der nächste ein Plakat anschlug und behauptete er könne eine 136 Kilogramm schwere Hantel heben. Dieses Spiel setzte sich immer weiter fort, bis Sandow sich entschloss, etwas Neues ins Leben zu rufen. Er wendete sich von den starren Hanteln ab und widmete sich lebenden Gewichten und führte dann schließlich seine Kraftproben mit Menschen und Pferden vor.56 Abbildung 6:Eugen Sandow: The Sandow Trocadero Vaudevilles Im Sommer des Jahres 1893 wurde Sandow ein Engagement in den USA angeboten, wo er im „Casino Theater“ und am „Broadway“ auftreten sollte. Er nahm das Angebot an, 54 Vgl. Kläber: Muskelkult, 2013, S. 129. 55 Vgl. Wedemeyer, Bernd: Starke Männer starke Frauen. Eine Kulturgeschichte des Bodybuildings. München, 1996, S. 25, im Folgenden: Wedemeyer, Männer, 1996. 56 Sandow: Kraft, 1993. S. 138-141. 27
hatte jedoch zu Beginn wenig Erfolg mit seiner Show, bis ihn Florenz Ziegfeld57 in sein Showprogramm aufnahm. Florenz Ziegfeld war einer der bekanntesten und erfolgreichsten Theaterproduzenten seiner Zeit.58 Ziegfeld gelang es, Sandow richtig in Szene zu setzen. Die meisten Kraftathleten zu dieser Zeit trugen Leopardenfell, welches den größten Teil des muskulösen Oberkörpers bedeckte. Ziegfeld lies den aufstrebenden Star jedoch mit einem Lorbeerkranz und fast nackt auftreten. Die von Ziegfeld inszenierte Show rief Begeisterungsstürme hervor. Sandow stemmte beispielsweise einen Mann mit seiner flachen Hand, hob bis zu 136 Kilogramm oder verbog einen Schürhacken mit seinen bloßen Händen. Nach dem Ende der Darbietungen durften jene Damen, die dazu bereit waren, 300 Dollar für wohltätige Zwecke zu spenden, die Muskeln des jungen Athleten befühlen:59 Abbildung 7: Eugen Sandow, Father of Bodybuilding 57Florenz Ziegfeld Jr. (1967-1932) war ein amerikanischer Showman und Theaterproduzent. Ziegfeld übernahm das Management einiger Künstler und Künstlerinnen, unter ihnen auch Eugen Sandow oder die Französische Schauspielerin Anna Held. Seine erfolgreichste Produktion waren die jährlich stattfindenden „Ziegfeld Follies“ die von 1907 bis in die späten 1930er Jahre zu sehen waren. Vgl. Aldrete, Marcos Eduardo Acosta: IMDb Mini Biography. Online abgerufen am 06.06.2018: https://www.imdb.com/name/nm0956067/bio. 58 Vgl. Sandow: Kraft, 1993. S. 138-141. 59 Vgl. ebda. 28
„Bald interessierte sich das Publikum mehr für Sandows Körper als für seine Kraftakte, und er ging dazu über, auf die Darbietung von Kraftakten ganz zu verzichten und lediglich mit einem Feigenblatt bekleidet zu posieren.“60 Dieser Übergang von der Zurschaustellung von Kraftakten hin zur Präsentation des wenig bekleideten Körpers wird oft als die Entstehungsstunde des Bodybuildings gedeutet.61 Sandow, der zu Lebzeiten als der Stärkste der Stärksten gehandelt wurde, erreichte seinen weltweiten Ruhm letztendlich durch die geschickte Nutzung des damals revolutionären Mediums der Fotografie.62 Etliche Bilder von ihm mit geschmackvoll abgestimmten Hintergrundmotiven und kraftvollen Posen, in denen er seinen Körper in atemberaubender Weise zur Schau stellt, waren besonders in Nordamerika und Europa zu regelrechten Verkaufsschlagern geworden.63 Das Foto (siehe Abbildung 7) welches Sandow lediglich mit einem Feigenblatt bekleidet in einer sehr eleganten und zugleich kraftvollen Pose zeigt, avancierte zu einem Klassiker in der Bodybuilding Szene, welches auch heute noch zu dekorativen Zwecken viele Studiowände ziert.64 1897 eröffnete der erfolgreiche Snadow seine erste Sportschule in der Londoner St. James Street. Durch den unglaublichen Erfolgt wurden bald weitere Schulen, so beispielsweise in Australien, Neuseeland oder Indien, gegründet.65 Durch Sandows unglaubliche Popularität und seinen Einfluss, stieg der Verkauf von Lang- und Kurzhanteln rapide an und er öffnete durch den Verkauf seiner Bücher, Zeitschriften und verschiedenster Trainingsgeräte einen neuen Markt, den er mit seinen Produkten bespielte.66 Sandow nimmt gerade unter den zahlreichen Top-Athleten der frühen Bodybuilding Szene eine hervorzuhebende Rolle ein, 60 Gießing, Jürgen/ Hildenbrandt, Eberhard: Bodybuilding: Körperbau und Muskelschau, in: Sportwissenschaft, 35. Jg., H. 2, 2005, S. 139-151, hier: S. 141. 61 Vgl. Würzberg, Gerd: Muskelmänner in den Maschinenhallen der neuen Körperkultur. Reinbek bei Hamburg, 1987. S. 92ff, im Folgenden: Würzberg: Muskelmänner, 1987. 62 Vgl. ebda. 63 Kläber: Muskelkult, 2013, S. 129. 64 Vgl. Schwarzenegger/ Dobbins: Bodybuilding, 1993 S. 25f. 65 Vgl. Sandow: Kraft, 1993. S. 180-182. 66 Vgl. Schwarzenegger/ Dobbins: Bodybuilding, 1993, S. 26. 29
denn nur durch ihn wurde der Terminus „Bodybuilding“ überhaupt erst zu einer gesellschaftlich etablierten Begrifflichkeit. Er veröffentlichte im Jahr 1905 ein Buch mit dem Titel „Body Building or Man in the Making“, das nicht nur ein Klassiker werden sollte, sondern einer sich neu konstituierenden Sportform bzw. Sportart seinen Namen gab.67 Sandow sprach mit seinem Buch nicht nur junge Menschen an, die einen massigen Leib aufbauen wollten.68 Er zeigte bereits in diesem Buch, dass Bodybuilding als mehr als nur eine Sportart zu verstehen sei, sondern als ganzheitliches Konzept positive Auswirkungen für Menschen aller Altersklassen und in allen Lebensbereichen haben konnte.69 Abbildung 8: Eugen Sandow: Body Building Sandow prangerte in seinem Werk vor allem die für ihn eklatante Vernachlässigung des Körpers an und bemerkte dazu: Der Druck und der Kamp des modernen Lebens haben gesunde Gewohnheiten ziemlich erheblich unterdrückt. Es gibt tausende und abertausende unserer Bevölkerung, welche nachts müde zu Bett gehen und morgens müde wieder aufwachen. Ein vielleicht noch größerer Teil weiß, was es heißt, Tag und Nacht unter nervösen Anspannungen zu leiden, welche durch die übermäßige Konkurrenz verursacht worden sind. […] Das ist ein 67 Kläber: Muskelkult, 2013, S. 130. 68 Vgl. Schwarzenegger/ Dobbins: Bodybuilding, 1993. S. 25. 69 Vgl. ebda. 30
Leben, welchem das körperliche Element nicht existiert und welches absolut sicher mit vollständigem körperlichem Ruin endigen wird. 70 Durch das in seinem Buch propagierte Bodybuilding wollte Sandow den Menschen ein erfolgsversprechendes Gegenmittel, gegen die von ihm angeprangerte Dekadenz und den körperlichen Verfall, an die Hand geben.71 Eine besondere Pionierarbeit leistete er darin, dass er Frauen und Kinder in seinen Methoden miteinbezog, was zu dieser Zeit nicht üblich war.72 An dieser Stelle muss jedoch angemerkt werden, dass Sandow, wie auch andere seiner Mitstreiter, nicht als „altruistisch motivierte Gesellschaftskritiker“ zu verstehen sind, sondern es ihm und anderen vordergründig darum ging, mit ihren Produkten Geld zu verdienen.73 Mit 35 Jahren war Sandow mit einer Größe von 174 Zentimetern 91.5 Kilogramm schwer.74 Erstaunlich daran ist, dass er diesen Körperbau ohne wissenschaftliche Erkenntnisse bezüglich Krafttraining oder sportspezifischer Ernährung erlangte. Gegen die heutigen Ikonen des Bodybuildings würde er jedoch schmal aussehen, denn Athleten wie Arnold Schwarzenegger brachten bis zu 120 Kilogramm auf die Waage.75 Neben den bereits genannten Betätigungsfeldern von Sandow veranstaltete er außerdem auch Wettbewerbe, bei denen die Athleten nach ihren Körpermaßen beurteilt wurden. Dem Gewinner wurde von ihm persönlich ein Pokal in Form einer Miniaturstatue Sandows überreicht. Auch heute noch erhält der Gewinner des „Mr. Olympia“ Wettbewerbes – dem höchsten im Bodybuilding zu erreichenden Titel –einen Pokal in Form von Eugen Sandow.76 70 Sandow, 1902, S. 22. 71 Vgl. Kläber S. 131. 72 Vgl. Sandow: Kraft, 1993, S. 186-188. 73 Vgl. Kläber, S. 131. 74 Vgl. ebda, S. 172. 75 Vgl. Leimlehner, Vokmar: Entwicklung des Bodybuildings unter besonderer Berücksichtigung Österreichs, unveröffentlichte Diplomarbeit, Wien, 1995 S. 26, im Folgenden: Leimlehner: Bodybuilding Österreich, 1995. 76 Vgl. Schwarzenegger/ Dobbins: Bodybuilding, 1993. S. 26-28. 31
2.2.5 Bodybuilding im 20. Jahrhundert Da der muskulöse Körper in der automatisierten Industriegesellschaft seine Aufgabe als nützliches und funktionierendes Arbeitswerkzeug weitgehend verloren hat, wandelte sich seine Funktion allmählich zu einem Symbol für Ästhetik, Gesundheit und Identität um.77 Nun wurde die neue Funktion des muskulösen Körpers nicht mehr in seiner industriellen Verwendung gesehen, sondern in der individuellen Präsentation, auch in den jenseits der Wirtschaft stehenden Lebensbereichen. Ab dem Ende des 19. Jahrhunderts formierten sich – als Resultat der Folgeerscheinungen der Industrialisierung – „Körperkultbewegungen“, die sich als Gegen- oder Protestbewegungen verstanden. „Zu Beginn des 20. Jahrhunderts forderte man im Rahmen der Lebensreformbewegung, die eine Erneuerung der bisher üblichen Lebensführung beabsichtigte, gravierende Änderungen im Umgang mit dem eigenen Körper.“78 Wie bereits Sandow verlangte, wurde im Zuge dieser Lebensreform ein gezieltes körperliches Training gefordert, um der – als Folge des Zivilisationsprozesses verstandenen – „Verkümmerung“ der Körperfunktionen entgegenzuwirken.79 Sandow sah insbesondere im Bodybuilding alle Zielsetzungen der Lebensreform erfüllt.80 Das Bodybuilding hat sich als eine günstige Chance angeboten, den mannigfaltigen Fehlständen der Moderne mit Vehemenz entgegenzuwirken. Viele schlechte Einwirkungen auf die physische und psychische Gesundheit glaubte man durch ein systematisch-planvolles Krafttraining inklusive des bodybuildingspezifischen Lebensstils umkehren zu können. Der Kraftsport nährte sich gewissermaßen aus den Defiziten der (westlichen) Industrienationen.81 Hiermit lässt sich auch begründen, warum sich das Bodybuilding in den großen Industrienationen dauerhaft etablieren und in der Folge immer weiter ausdifferenzieren konnte. Wie Kläber schreibt, kann Bodybuilding als eine subtile Form des Protestes verstanden werden, welche sich „als Gegenbewegung mit entsprechendem ideologischem Unterbau zu vermarkten wusste – und auch heute noch weiß.“82 77 Wedemeyer, Bernd: Körperkult als Lebenskonzept. Bodybuilding und Fitnessboom. In: Hans, Sarkowitz (Hrsg.): Schneller, höher, weiter. Eine Geschichte des Sports, Frankfurt am Main, 1999, S. 409. 78 Kläber: Muskelkult, 2013, S. 136. 79 Vgl. ebda, S. 136. 80 Vgl. ebda, S. 137. 81 Ebda, S. 138. 82 Kläber: Muskelkult, 2013, S. 139. 32
Aufgrund der Pionierarbeit von Kraftsportgrößen wie Eugen Sandow aber auch Arthur Saxon waren bereits am Beginn des 20. Jahrhunderts erste Ansätze des moderne Bodybuildings zu beobachten.83 Im Jahr 1921 machte die kommerzielle Vermarktung des Bodybuildings einen riesigen Schritt nach vorne – ausgelöst durch Angelo Siciliano, alias Charles Atlas.84 Sein Buch mit dem Namen „dynamic tension“, bestehend aus einer speziellen Trainingsmethode, die er selbst entwickelt haben soll, wurde in sieben Sprachen übersetzt und jährlich wurden mehrere 10.000 Exemplare davon verkauft. Unter anderem durch Atlas Leistung, wurde das Bodybuilding einer breiteren Masse zugänglich.85 Jedoch wurde Kraft, die durch Gewichtstraining erworben wurde, in den 30er Jahren noch immer mit Skepsis betrachtet. Dies änderte sich aber im Jahr 1939, als im Madison Square Garden der erste „Mr. Amerika“- Wettbewerb stattfand. Doch die Teilnehmer waren noch immer keine richtigen Bodybuilder, sie kamen von allen möglichen Sportarten. Die Gewichtheber konnten jedoch für sich einen großen Vorteil verbuchen, da kein Sport den Körper mehr veränderte als das Gewichtheben.86 In den frühen vierziger Jahren bildete sich Bodybuilding immer mehr als eine eigenständige Sportrichtung heraus und es wurde eine Unterscheidung zwischen Gewichtheben und Bodybuilding gemacht. Trotzdem blieb der Bodybuilding Sport eine Randerscheinung und keiner der Champions war der breiteren Öffentlichkeit bekannt. Das änderte sich erst, als Steve Reeves auf der Bildfläche erschien. Er gewann im Jahr 1948 den „Mr. Universe“ Titel in London. In den 1950er Jahre zog er nach New York, begann sein Schauspielstudium und wurde schlussendlich für die Titelrolle von „Herkules“ gecastet. Durch diese Rolle wurde er nicht nur zum Star sondern auch zum mit Abstand bekanntesten Bodybuilder in den 1950er Jahren.87 83 Vgl. Pramann: Fit, 1983, S. 141. 84 Vgl. Schwarzenegger/ Dobbins: Bodybuilding, 1993, S. 30. 85 Vgl. Gaines, Charles/ Butler, Georg: Bodybuilding der Meisterklasse. Technik und Training der berühmten Champions. München, 1986, S. 129. 86 Vgl. Schwarzenegger/ Dobbins: Bodybuilding, 1993, S. 33. 87 Vgl. ebda, S. 33-37. 33
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