DIVERSITY rückt Frauen und People of Colour in den Fokus - Das Magazin zum Lucerne Festival im Sommer 2022
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Das Magazin zum Lucerne Festival im Sommer 2022 DIVERSITY rückt Frauen und People of Colour in den Fokus
Erleben Sie das Mahler-Festival 2023 in Leipzig Vom 11. bis 29. Mai 2023 lädt das Gewandhausorchester zum Mahler-Festival nach Leipzig ein, wo der Kom- ponist zwei entscheidende Jahre seines Lebens verbrachte. Alle Sinfonien und weitere Orchesterwerke, interpre- tiert von 10 Weltklasseorchestern, in der Stadt zu erleben, in der Mahler zum Sinfoniker wurde, ist einzigartig. Im Mittelpunkt des Mahler-Festivals in Leipzig stehen »Denken Sie sich, dass das Universum zu tönen und zu klingen die sinfonischen Werke Gustav Mahlers, denn hier wurde beginnt“: Unter diesen Leitgedanken, der die Größe von Mahler zu dem, den wir heute kennen: zum Komponisten Mahlers künstlerischer Vision erahnen lässt, stellt das faszinierender Sinfonien. Leipzig und das Gewandhaus- Gewandhausorchester sein Mahler-Festival. Wenn An- orchester versprechen einen einzigartig authentischen dris Nelsons und das Gewandhausorchester 2023 wieder Rahmen für das Festival, da Mahler zwei Jahre seines Le- Weltklasseorchester und Spitzendirigenten zur 19-tägi- bens das Gewandhausorchester nahezu täglich in Leipzig gen Mahler-Werkschau in Leipzig begrüßen und selbst dirigierte. die 2. und 8. Sinfonie beitragen, wird die Musikstadt er- neut zum Zentrum der Mahler-Welt. Dank des Engagements von Gewandhauskapellmeister Ar- thur Nikisch wandte sich das Gewandhausorchester ab Erleben Sie neben dem Gewandhausorchester mit seinem Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt dem sinfonischen Kapellmeister auch die Münchner Philharmoniker, das Ro- Werk Mahlers zu. In der Amtszeit von Riccardo Chailly yal Concertgebouw Orchestra, das City of Birmingham wurde die Bedeutung Leipzigs für die Entwicklung des Symphony Orchestra sowie herausragende Solisten und Komponisten international ins Bewusstsein gehoben und Mahler-Interpreten wie Thomas Hampson und Igor Levit der Ruf des Gewandhausorchesters als genuines Mahler- um nur einige zu nennen. Orchester endgültig festgeschrieben. Weitere Informationen finden Sie unter: www.mahlerfestival.de Ihre Konzertreise zum Mahler Festival nach Leipzig • 2 x Übernachtung (frei wählbar) inkl. Früh- stück im Reisezeitraum 13.05. – 30.05.2023 11.– 29.05. in einem Hotel in der Leipziger Innenstadt 2023 MAH • Teilnahme an einer Stadtführung (Rundgang & Rundfahrt) • Eintritt Bach-Museum • 1 x Abendessen im Gast- LER haus Barthels Hof • Eklusives Vorkaufsrecht für ausgewählte Konzerte im Rahmen des Mahler Festival Festivals in Leipzig Preis ab 399,- € pro Person im DZ Konzertübersicht & Buchung: www.leipzig.travel/reiseangebote
Lucerne FestivalSOMMER Editorial und Inhalt 6 «DIVERSITY» GEGEN GEWALT UND KRIEG Intendant Michael Haefliger zum Festivalthema 9 SCHWARZE MUSIKER SPIELEN DIE ERSTE GEIGE Chi-chi Nwanokus Chineke! Orchestra 15 GROSSE STIMME FÜR ECHTE FRAUEN «artiste étoile» Golda Schultz kehrt Männerblicke um BILD Daniel Felder Urs Mattenberger, Kulturredaktor 20 MIT DEN STARS AUF ENTDECKUNGSTOUR Wieder ganz grosse Orchesterparade nach Corona 25 VERSTÖREND SPONTANEITÄT AUCH IM KLASSIKREZITAL Pianist Sir András Schiff gedenkt Bernard Haitink AKTUELL 26 DOPPELTES JUBILÄUM FÜR DIE NEUE MUSIK Wolfgang Rihm und Dieter Ammann im Gespräch Das diesjährige Thema «Diversity» von Lucerne Festival wurde von der «Black-lives-matter»-Bewegung inspiriert und rückt People of Colour und Frauen in den Fokus. 31 BLACK COMPOSERS – QUEER UND KLASSISCH People of Colour definieren die Debuts neu Und doch hinkt es jetzt, wo Russland Krieg gegen die Ukraine führt, nicht einfach der Aktualität hinterher. 34 EIN LEBEN ZWISCHEN BLUES UND STOCKHAUSEN Grenzgänger Tyshawn Sorey ist «artiste étoile» Denn «Diversity» steht als Plädoyer für Chancengleich- heit quer zu Unterdrückung und totalitärer Gewalt, wie sie Putins Krieg auf die Spitze treibt. Der Auftritt eines 39 ZAUBERFLÖTEN-GAME UND JUGENDORCHESTER Konzerte für und mit jungen Menschen Orchesters aus der Ukraine ist da ein folgerichtiges «Statement gegen den Krieg», wie Intendant Michael Haefliger in dieser Ausgabe des Festival-Magazins PIÙ sagt, das allen CH Medien und der «NZZ am Sonntag» 43 EIN VIOLINKONZERT FÜR ANNE-SOPHIE MUTTER Thomas Adès ist composer-in-residence beiliegt. Die weiteren Beiträge zeigen, wie Schwarze Musikerinnen und Musiker sich einen Platz im Klassik- betrieb erkämpfen mussten. Zu Wort kommen aber 45 VOM STRASSENFESTIVAL INS KKL LUZERN Alle Veranstaltungen auf einen Blick auch People of Colour als Nachwuchsstars oder Stars wie «artiste étoile» Golda Schultz. Und man ertappt sich dabei, dass man über die Vielfalt staunt, die sich da von den Debuts über grenzgängerische neue Musik bis zur grossen Orchesterparade zeigt. Das offenbart erst recht, wie verstörend aktuell das Festivalthema «Diversity» ist. PIÙ 5
Festival-Thema «Diversity» Urs Mattenberger «EINSTATEMENT GEGENDENKRIEG» Mit dem Thema «Diversity» bringt Michael Haef liger Frauen und People of Colour verstärkt ins Bewusstsein des Klassikbetriebs. Und sagt, was es bei ihm selbst ausgelöst hat. Nach Corona sollte Lucerne Festival zur Normalität zurückkehren. Wie stark lastet jetzt der Ukraine-Krieg auf dem Sommer? Michael Haefl iger: Es gibt daraus eine Er- kenntnis, die auch uns als Veranstalter be- triff t: Dieser Krieg wurde auch dadurch er- möglicht, dass es zwischen der Ukraine und dem Westen keinen stärkeren kulturellen Austausch gab. Wir haben als Festival immer stark auf russische Musik und Künstlerinnen und Künstler gesetzt, die beim Publikum sehr beliebt waren. Die meisten hatten da- gegen von der Ukraine keine klaren Vorstel- lungen, auch an ukrainische Künstlerinnen und Künstler hatte kaum jemand gedacht. Da sind wir als Festival in der Verantwortung und müssen das auf bauen. Ihre Festival-Themen orientieren sich an BILD Daniel Auf der Mauer gesellscha spolitischer Aktualität. Themati- sieren Sie als Nächstes Heldenbilder, die durch Selenski eine radikale Umdeutung er- Symphony Orchestra of Ukraine unter Oksa- eine Opernproduktion geleitet und mit ihr fahren? Für solche Gedanken ist es zu früh na Lyniv aus Lwiw engagieren. wollten wir ohnehin etwas machen. Mit dem und der Krieg viel zu nah. Aber wir haben Jugendorchester, das sie 2016 in Lwiw gegrün- bereits darauf reagiert, indem wir die Putin- Kam dieses durch den Krieg auf Ihren Ra- det hat, ergab sich jetzt die Möglichkeit auch nahen Künstler Valery Gergiev und Denis dar? Nicht nur. Oksana Lyniv ist eine gefrag- für ein Statement gegen den Krieg. Das passt Matsuev ausgeladen haben. Und für diesen te, unglaublich charismatische Dirigentin. auch zu unserem Thema «Diversity», weil die Sommer konnten wir kurzfristig das Youth Sie hat letztes Jahr als erste Frau in Bayreuth damit angestrebte Offenheit und Vielfalt PIÙ 6
Lucerne FestivalSOMMER einem autokraten Regime wie jenem von Pu- Dirigenten gesprochen, die skeptisch waren, les»: die Sängerin Golda Schultz, die an tin diametral entgegensteht. Zugleich ist die- ob sich Frauen etablieren werden. Das hat Opernhäusern eine grosse Karriere macht, ses allererste Konzert der Auftakt zu den sich geändert. Praktisch jedes Orchester hat und den Multiinstrumentalisten Tyshawn So- Auftritten der Jugendorchester vor dem Er- heute in seiner Saisonplanung eine Dirigen- rey, der zwischen Improvisation und Kompo- öff nungskonzert mit dem Lucerne Festival tin. Und immer mehr Orchester haben Frau- sition einen eigenen Weg geht. Orchestra, das den Sommer mit sechs Kon- en als Chefi nnen. Aber es ist ein ähnliches zerten stark prägt. Problem wie im Fall der Ukraine, dass Diri- Erhoffen Sie sich also von Schwarzen Musi- gentinnen oder Schwarze Musikerinnen und kern frischen Wind für steife Klassikrituale Das Moo «Diversity» legt den Fokus auf Musiker in der Klassik noch nicht im gesell- und den Elfenbeinturm der zeitgenössischen People of Colour und Frauen. Trotzdem schaftlichen Bewusstsein angekommen sind. Musik? Nein, das können alle Musikerinnen kommt nur eine Chefdirigentin nach Luzern, und Musiker, man muss aufpassen, dass man Susanna Mälkki mit ihrem Helsinki Philhar- Jessy Norman oder Barbara Hendricks wa- nicht Schwarze Künstlerinnen und Künstler monic Orchestra. Hat sich seit dem «Prima- ren als Schwarze Sängerinnen schon vor sowie People of Colour in diese Ecke stellt. donna»-Sommer 2016 mit 11 Dirigentinnen Jahrzehnten Stars. Wieso braucht es noch Tatsächlich verbinden die genannten beides. nicht mehr bewegt? Bezogen auf das Festival immer das Thema «Diversity», um eine Sän- Die Mitglieder des Chineke! Orchestra sind stimmt das sicher nicht. Obwohl das Thema gerin wie Golda Schultz als «artiste étoile» topklassisch ausgebildet. Und Sorey kommt jetzt breiter gefasst ist, treten insgesamt sie- zu engagieren? Dass Schwarze Musiker, zwar vom Freejazz, aber er bringt diesen in ben Dirigentinnen auf, fünf davon mit Or- Männer wie Frauen, im Klassikbetrieb unter- seine avantgardistisch komponierte Musik hi- chester. Und Susanna Mälkki dirigiert Dieter repräsentiert sind, hängt sicher mit sozialen nein. Das bringt ein neues Element in die Ammanns Klavierkonzert, das bereits zu Benachteiligungen zusammen. Trotzdem zeitgenössische Musik und macht wiederum einem Hit der Gegenwartsmusik avanciert ist. verwunderte mich das schon während meines ein Versäumnis der Klassikszene bewusst. Mit Oksana Lyniv und ihrem ukrainischen Violinstudiums an der Juillard School in Jugendorchester kommt eine weitere Chefdi- New York. Beim Festival spielt eine Rolle, Im Eröffnungskonzert erklingt ein Violinkon- rigentin hinzu. Das multiethnisch zusam- dass viele Solistinnen und Solisten von Or- zert von Joseph Bologne, einem Schwarzen mengesetzte Chineke! Junior Orchestra wird chestern vorgeschlagen werden. Es gibt eben Zeitgenossen von Mozart. Geht es bei solch von der Dirigentin Glass Marcano geleitet. wenige Kulturinstitutionen, die sich, wie die vergessenen Werken von Frauen und Peop- Elena Schwarz dirigiert das Lucerne Festival Carnegie Hall und New York Philharmonic, le of Colour um Wiedergutmachung oder Contemporary Orchestra, eines der besten in diese Richtung engagieren. Da möchten sind das Entdeckungen fürs Repertoire? Das Orchester für zeitgenössische Musik. Damit wir mit unseren Themen einen Bewusstseins- kann man nur herausfi nden, indem man sie führen wir das «Primadonna»-Thema weiter wandel unterstützen – auch bei uns selbst. auf Topniveau auff ührt. Wir tun das von den und engagieren uns in einem kulturpoliti- Debut-Konzerten über Rezitals bis zu den schen Kontext: um auf Versäumnisse, auch Inwiefern? Das Chineke! Orchestra verfolge Sinfoniekonzerten. So ist Anne-Sophie Mut- eigene, hinzuweisen und einen Beitrag zu ich schon länger, weil es in seinen Konzerten ter Solistin in einem von Bolognes virtuosen leisten, das zu verbessern. Es gibt kein grosses in London ein ganz anderes Publikum an- Violinkonzerten. Yannick Nézet Séguin diri- Festival, das sich in diesem Bereich in diesem spricht. Es vermittelt eine Einstellung zu klas- giert die erste Sinfonie der Schwarzen Kom- Ausmass engagiert. sischer Musik, die so gar nicht «weiss-elitär» ponistin Florence Price, die in den USA einst ist und etwa unserer kostenlosen 40min-Kon- grosse Resonanz fand. Neugier und ein ge- #MeToo hat dazu geführt, dass Regisseurin- zertreihe oder der Liveübertragung des Eröff- wisses Risiko gehört zu unserer Aufgabe, das nen «Superwoman» auf die Leinwand brin- nungskonzerts aufs Inseli entspricht. Aber auf Festival in allen Bereichen ständig weiter zu gen. Dauert dieser Prozess in der Klassik- viele Schwarze Künstlerinnen und Künstler, entwickeln. Am «elitären» Anspruch, grosse branche länger? Gegenüber Frauen als die bei uns auftreten und mit denen wir weiter Musik mit den besten Interpretinnen und Dirigentinnen bei grossen Orchestern ist zusammenarbeiten werden, wurden wir erst Interpreten sowie Spitzenorchestern aufzu- eine grössere Offenheit entstanden. Ich habe durch die Recherchen zu «Diversity» auf- führen, ändert das nichts. vor dem «Primadonna»-Jahr mit bekannten merksam. Das gilt auch für die «artistes étoi- www.lucernefestival.ch PIÙ 7
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Lucerne FestivalSOMMER Ensemble des Chineke! Orchestra mit Gründerin Chi-chi Nwanoku (Mi e, ohne Instrument). BILD Eric Richmond and Joe Swift EINESPRINTERIN FÜRETHNISCHEVIELFALT Warum spielen praktisch nur weisse ESSENODERKLARINETTENUNTERRICHT Menschen in klassischen Orchestern? Das Ihre grösste Errungenschaft ist die Gründung der Chi- fragte sich Chi- chi Nwanoku und wurde neke! Foundation. Chi-chi Nwanoku hat alles darange- mit ihrem Chineke! Orchestra zur Türöff- setzt, um Schwarzen Musikerinnen und Musikern und nerin für Musikerinnen und Musiker mit minoritären Ethnien den Weg in die klassische Musik unterschiedlicher ethnischer Herkunft. zu ebnen. Sie sagt: «Dass praktisch ausschliesslich weisse Musikerinnen und Musiker in der Klassik anzutreffen Chi-chi Nwanoku ist eine quirlige Frau. Sie ist eine gute sind, ist nicht eine Frage des Talents, sondern der fehlen- Musikerin, eine kommunikative Promoterin, eine ziel- den Möglichkeiten.» Das habe vielfach mit der ökono- strebige Aktivistin. Als Kind spielte sie Klavier, dann misch schwachen Situation vieler Schwarzer oder eth- stand sie als Jugendliche vor einer Karriere als 100-Me- nisch diverser Communites zu tun. «Ein Instrument zu ter-Sprinterin. Aufgrund einer Verletzung musste sie lernen, ist teuer. Wenn ich vor der Entscheidung stehe: den Sport aufgeben. Sie studierte Kontrabass an der Ro- Essen auf dem Tisch oder Klarinettenunterricht, kommt yal Academy of Music und machte in Grossbritannien das Essen auf dem Tisch zuerst, das ist die Realität. Aber eine Karriere in renommierten klassischen Orchestern. beides ist wichtig.» Als einzige Schwarze klassische Musikerin. Und das in einem Land, wo in einigen Städten schon fast die Doch die Ungleichheit basiert auch darauf, dass man als Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner People of gegeben nimmt, was immer so gewesen ist, und keine Colour sind. Anstrengungen macht, daran etwas zu ändern. Das gilt PIÙ 9
Chineke! Orchestra Pirmin Bossart Das Chineke! Orchestra beschliesst das Festival mit Sheku Kanneh-Mason (Cello) und unter der Leitung von Kevin John Edusei. BILD Mark Allan für die staatlichen Bildungsstellen wie die Promotoren DERMEISTERGIBTDURCH und Institutionen der Klassik. Im National Youth Or- Chi-chi Nwanoku ist in einer Familie mit einem nigeria- chestra of Great Britain stammten noch vor zehn Jahren nischen Vater und einer irischen Mutter in London auf- 93 Prozent der 165 Jugendlichen aus privaten Eliteschu- gewachsen. «Zu Hause war immer Musik, ganz verschie- len. «Aber in ganz England besuchen nur sieben Prozent dene Musik. Ich lernte sehr schnell, Klavier zu spielen, aller Jugendlichen private Schulen. Das sagt eigentlich aber wusste nicht, dass das ‹klassische Musik› war. Es alles, was die musikalische Förderung betriff t.» war einfach Musik.» Sie sei «wie eine Blinde» zur klassi- schen Musik gekommen, schiebt Chi-chi Nwanoku Inzwischen hat sich dieses Verhältnis verbessert. Dank nach. «Ich wuchs einfach hinein und realisierte nicht, Förderprogrammen in staatlichen Schulen, die von ver- dass ich da am Ende in einer Kiste der Auserwählten mögenden Privatpersonen gesponsert werden, haben landen würde.» jetzt mehr Kinder aus staatlichen Schulen die Möglich- keit, ein Instrument zu lernen und Zugang zum Natio- Die Familie war bestrebt, sich anzupassen. Beide Länder nal Youth Orchestra zu fi nden. Davon können theore- ihrer Eltern seien durch die Briten kolonialisiert worden. tisch auch mehr Kinder aus Schwarzen oder ethnisch «Wir mussten uns assimilieren, sonst wären wir unwill- diversen Familien profitieren. kommen gewesen. Wir akzeptierten alles, was unsere PIÙ 10
Lucerne FestivalSOMMER Lehrer sagten, wir hinterfrag- tra besteht aus klassischen ten nicht.» Chi-chi Nwanoku Werken der bekannten westli- fasst zusammen: «Der Meister chen Komponisten, aber auch gibt durch, wie es ist, und du aus Werken von Schwarzen hast zu gehorchen. Das war und ethnisch diversen Kompo- meine Generation.» nistinnen und Komponisten aus der Vergangenheit und aus Deshalb habe sie nicht weiter der Gegenwart. über die Verhältnisse nachge- CHI-CHINWANOKU dacht während ihrer Ausbil- «Wir sind nicht hier, um Und beide bringen diese Viel- dung zur professionellen Musi- jemandem etwas wegzunehmen, falt jetzt nach Luzern. Das kerin. «Es kam mir nicht sondern um etwas zu verstärken Chineke! Junior Orchestra einmal in den Sinn, dass es und zu erweitern.» spielt neben Tschaikowsky Schwarze Komponistinnen Musik von Black Composers und Komponisten oder solche aus Spätromantik und Gegen- von anderen Ethnien geben könnte.» Es dauerte bis 2014, wart, geleitet wird es von der jungen venezolanischen als Chi-chi Nwanoku das Kinshasa Orchestra aus dem Dirigentin Glass Marcano, die 2020 in Paris den Wett- Kongo in London hörte. «Ich hatte bis dahin keine Ah- bewerb «La Maestra» gewann. Das Chineke!-Erwach- nung, dass ein solches Orchester im Kongo existierte.» senenorchester beschliesst das Festival mit dem jungen englischen Cellisten Sheku Kanneh-Mason, der bei der ZWEIORCHESTERGEGRÜNDET Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle ein Mil- Das Konzert war für sie selber ein Türöff ner. Chi-chi liardenpublikum rührte. Nach Schostakowitschs zwei- Nwanoku begann sich zu fragen, warum es im 21. Jahr- tem Cellokonzert lässt das Chineke! Orchestra das Fes- hundert in England nur eine People of Colour-Musik- tival mit William Levi Dawsons «African-American erin gab, die Beethoven und Berlioz spielte – nämlich Folk Symphony» von 1934 ausklingen. sie selber. Da wurde ihr klar, dass sie etwas unternehmen musste. Chi-chi Nwanoku knüpfte Kontakte zu Schwar- «ICHWÜNSCHTEICHWÄRESCHWARZ» zen Musikerinnen und Musikern und baute sukzessive Am Anfang stiess Chi-chi Nwanoku mit ihrem Chi- ein kleines Netzwerk auf. 2015 gründete sie «The Chine- neke!-Projekt auch auf Widerstände. «Es gibt so viel ke! Foundation». Die Organisation hat sich zum Ziel Angst und Snobismus im Zusammenhang mit der klas- gesetzt, Schwarzen, asiatischen und ethnisch vielfälti- sischen Musik. Aber wir sind nicht hier, um jemandem gen klassischen Musikerinnen und Musikern eine Platt- etwas wegzunehmen, sondern um etwas zu verstärken form zu bieten, um auf diese Weise ihre Präsenz in bri- und zu erweitern.» Am Anfang waren die beiden Or- tischen und europäischen Orchestern zu erhöhen. chester ausschliesslich mit Schwarzen Musikerinnen und Musikern besetzt. «Das war ein wichtiges State- 2017 trat das Chineke! Orchestra bei den BBC Proms in ment. Inzwischen sind zahlreiche Nationalitäten mit der Royal Albert Hall in London auf. Seither hat es an verschiedenen ethnischen Hintergründen vertreten. renommierten Festivals gespielt und gewann zahlreiche Auch weisse Musikerinnen und Musiker sind dabei.» Preise. Eng verbunden mit dem Orchester ist das Chi- neke! Junior Orchestra. In ihm spielen 11- bis 18-jährige Die Musikerin lacht. «Chi-chi, ich wünschte, ich wäre Jugendliche, die von Mitgliedern des grossen Orchesters Schwarz, denn ich möchte in eurem Orchester mitspie- gecoacht werden. Das Repertoire des Chineke! Orches- len», hatte ihr ein weisser Musiker nach den ersten Kon- PIÙ 11
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Chineke!-Alltag: Sarah Martin, Didier Osindero ... ... und Jesse Francis. BILDER Ntando Brown/Chris Christodoulou zerten geschrieben und angefügt: «Ich bin an Inklusion scher Vielfalt auf den klassischen Konzertbühnen erfüllt und Diversität interessiert, aber mein Orchester unter- Chi-chi Nwanoku mit Genugtuung. Am meisten freut es stützt nichts davon. Wie kann ich meine Gefühle und sie, wie durch ihre Orchester deren Mitglieder ein neues mein Engagement zeigen, wenn nicht in eurem Orches- Zugehörigkeitsgefühl erleben konnten und erfahren, ter?» Chi-chi Nwanoku gab ihm ihre Haltung durch: «dass sie wirklich dazugehören». «Du musst nicht Schwarz sein. Du musst nur unsere Botschaft, unsere Philosophie teilen und eine Verände- Es sei immer noch schwierig genug für klassische Musi- rung wollen. Aber du musst auch verdammt gut mit dem kerinnen und Musiker, trotz Tausenden von Trainings- Instrument sein, so wie ich das musste, um in deinem stunden einen Job zu bekommen. «Dafür gibt es keine Orchester zu spielen.» Garantie. Das gilt vor allem für Schwarze und ethnisch diverse Musikerinnen und Musiker, die genau gleich viel DASBEISPIELMACHTSCHULE bezahlt haben wie ihre weissen Kolleginnen und Kolle- Die Beharrlichkeit und das Engagement der Kontrabas- gen. Aber sie müssen zusätzlich noch dafür kämpfen, sistin haben sich gelohnt. Das Publikum ist sehr offen dass sie als gleichwertig akzeptiert werden.» für die ethnische Vielfalt des Orchesters und die Musik www.lucernefestival.ch von Schwarzen Komponisten. Auch andere Orchester hätten mitbekommen, wie begeistert das Publikum auf ihre Musik reagiere, sagt Nwanoku: «The London Sym- CHINEKE!JUNIORORCHESTRA Dirigentin: Glass Marcano, Klavier: Gerard Aimontche; phony Orchestra, The London Philharmonic Orchestra Samuel Coleridge-Taylor (Othello-Suite), oder auch das Royal Scottish National Orchestra haben Stewart Goodyear (Callaloo. Karibische Suite für Klavier und Orchester), begonnen, unsere Noten von Werken zu borgen, die sie Peter Tschaikowsky (Sinfonie Nr. 4) noch nie gespielt haben. Das ist immerhin ein Anfang.» 9. August, 19.30 KKL, Konzertsaal Auch auf Behördenebene ist etwas in Bewegung gekom- CHINEKE!ORCHESTRA Dirigent: Kevin John Edusei, Cello: Sheku Kanneh-Mason; men. Die grossen Orchester müssten neuerdings bei Brian Raphael Nabors (Pulse für Orchester), Dmitri Schostakowitsch (Cellokonzert Nr. 2), ihren Bewerbungen für permanente Unterstützungs- William Levi Dawson (African-American Folk Symphony) gelder aufzeigen, was sie für die Inklusion und Diversität 11. September, 17.00 KKL, Konzertsaal tun. Unter weissen Musikerinnen und Musikern greift das Bewusstsein um sich, dass die klassische Musik für MUSICFORFUTURETALK Gesprächsrunde mit Chi-chi Nwanoku u.a. (in Englisch) alle Menschen da ist und nicht nur für die etablierten 9. August, 18.00 Wohlhabenden. Diese Entwicklung hin zu mehr ethni- KKL, Auditorium PIÙ 13
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Die südafrikanische Sängerin Golda Schultz singt weltweit an grossen Opernhäusern. BILD Dario Acosta GRETCHENWIRD ZURECHTENFRAU Weibliche Stimmen sind in der klassi- einem historisch gewachsenen System, das Menschen, schen Musik unterrepräsentiert – die keine Männer waren, und ihre Arbeit schlicht aus- selbst die Frauenrollen auf den Opern- geschlossen hat. Bis heute beobachten wir die Folgen – bühnen stammen aus der Feder von angefangen beim Kanon, in dem ausschliesslich Werke Männern. Die Sopranistin Golda von weissen Männern zu fi nden sind, bis hin zur Sicht- Schultz steht als «artiste étoile» für barkeit von zeitgenössischen Komponistinnen oder Di- einen Perspektivwechsel eigener Art. rigentinnen im Heute, ihrer Bezahlung, ihren Karriere- chancen und dem Diskurs über ihre Arbeit. Wie so vieles in der «westlichen» Kultur ist auch die Ein misogynes, patriarchales und rassistisches System in klassische Musik ein genuiner Männerort. Das hat weni- der Kultur hat aber nicht nur Folgen für die Repräsenta- ger mit den Tönen an sich zu tun, sondern vielmehr mit tion derjenigen, die es übergeht – es reproduziert sich im PIÙ 15
«artiste étoile» Golda Schultz Hannah Schmidt beispielhaften Fall des klassischen Kanons auch immer Komponisten wie Georges Bizet entwarfen zwar Frau- wieder selbst. «Viele Komponisten haben sehr scary Wel- enrollen, die über diskriminierende Stereotypen kaum ten für Frauen geschrieben», sagt hinausreichten, so Schultz, jedoch die aus Südafrika stammende Sop- beschrieben sie auch männliche ranistin Golda Schultz dazu in Archetypen – scary Männer, um einem Interview im März dieses GOLDASCHULTZ bei ihrer Formulierung zu bleiben. Jahres. Beim diesjährigen Sommer- «Diese Lieder sind Dialoge Das resultiere aus einem Mangel an Festival ist sie «artiste étoile» und zwischen den Worten von Selbstreflexion: Die Komponisten unter dem Motto «Diversity» auf Männern und den Tönen schrieben einfach, was sie dachten, einem Podium und mit Liederaben- von Frauen.» wie Männer nun einmal seien – den zu Gast. Zudem singt sie die und das sei ehrlich und entlarvend Clara in George Gershwins Oper zugleich. «Würden wir das in unse- «Porgy and Bess». «Carmen zum ren Interpretationen so zeigen, kä- Beispiel», sagt sie, «lebt in einer men wir auf ein ganz anderes Welt, in der die Männer denken, sie könnten jede Frau Niveau im kritischen Gespräch darüber», sagt Schultz. einfach haben.» Zur Erinnerung: Don José bringt die Und dieses kritische Gespräch sei wichtig. Protagonistin um, weil sie seine Avancen ablehnt. KOMPONISTINNENEIGNEN FRAUENSTERBENDEUTLICH SICHMÄNNERDICHTUNGAN ÖFTERALSMÄNNER In ihrem Rezital am 4. September in Luzern singt die Überhaupt sterben Frauen in Opern deutlich öfter als Sopranistin deshalb Stücke, die ausschliesslich von Männer, und meistens werden sie von letzteren ermor- Frauen komponiert wurden: Clara Schumann, Emilie det, weil sie sie zurückweisen, verlassen oder anderwei- Mayer, Rebecca Clarke, Nadia Boulanger, Kathleen tig nicht in ihre Welt passen. Das ist bezeichnend, nicht Tagg. Keine Opernarien, sondern Lieder. Es geht ihr nur für den Kanon und die damalige Gesellschaft, son- dabei einerseits darum, das Werk dieser Frauen sichtbar dern auch für die heutige: Jeden Tag versucht etwa in zu machen – also den Kanon zu erweitern, zu zeigen: Deutschland ein Mann, seine Expartnerin umzubrin- Wir müssen uns diesem System nicht weiter unterwer- gen, jeden dritten Tag gelingt es ihm. Aus einer BKA- fen, das Menschen aufgrund ihres Geschlechts über- Statistik aus dem vergangenen Jahr geht hervor, dass der gangen hat und übergeht. Es gibt diese Komponistin- statistisch gefährlichste Ort für Frauen das eigene Zu- nen und ihr Werk, und es steht dem ihrer männlichen hause ist. Die Zahl der Femizide ist kontinuierlich Kollegen in nichts nach. Der zweite Schritt ist aber hoch. Kultur erzählt am Ende viel über gesellschaftli- nicht minder interessant: «Diese Lieder sind Dialoge che Realität und prägt sie erwiesenermassen mit. zwischen den Worten von Männern und den Tönen von Frauen», sagt Schultz. Nun widmet sich Golda Schultz in ihrem Beruf mit grosser Leidenschaft aber dieser Musik, die aus männ- Clara Schumann und Emilie Mayer etwa vertonten licher Perspektive eine Männerwelt voller sexistischer Heinrich Heines Gedichte «Loreley» und «Du bist Klischees und Besitzansprüche beschreibt. Ist das nicht wie eine Blume» oder Johann Wolfgang Goethes «Erl- ermüdend, will man fragen, Rollen zu verkörpern, die könig». Ihre Vertonungen liefern als Übersetzung des selten in die Tiefe gehen, die hysterisch, verschüchtert, Textes in Musik einen Kommentar, eine Einordnung. sexualisiert, unterdrückt, unselbstständig oder durch- So gesehen legen die Komponistinnen eine eigene Folie trieben sind? «Wir sprechen so viel über schwierige über die Worte und geben ihnen damit einen perspekti- Frauenrollen», sagt Golda Schultz dazu, «aber was ist visch neuen Kontext: Sie machen sich die Dichtung der mit den Männerrollen? Sind nicht die Männer in diesen Männer zu eigen, und schon das ist je nach Zeitalter Geschichten problematisch?» revolutionär. Dass die Sichtweise der Komponistinnen PIÙ 16
Lucerne FestivalSOMMER dabei aber nicht immer eine feministische ist, ist klar – schreibt eine Vergewaltigung. Ihn einfach nur leicht Frauen sind schliesslich eine heterogene Gruppe. und verschmitzt zu singen, widerspräche Golda Schultz’ Ansatz. SCHUBERTS«HEIDENRÖSLEIN» ALSVERGEWALTIGUNGSSZENE Andere Gedichte imaginieren zwar die Perspektive einer Golda Schultz sieht ihre Rolle als weibliche Interpretin weiblichen Figur, erzählen jedoch vor allem etwas über dieser Melodien wie auch die von Liedern männlicher den männlichen Autor: In «Gretchen am Spinnrade» Komponisten in der gleichen Kontinuität – in dem Mo- fasst Goethe den Wunsch nach bedingungsloser An- ment, in dem sie sie singt, werden sie zu den Worten erkennung und Bewunderung durch eine junge, norm- einer Frau. Das verändert mitunter den kompletten An- schöne Frau in Worte, vor allem aber den nach ihrer satz für eine Interpretation. In Franz Schuberts «Hei- existenziellen Abhängigkeit vom Geliebten. Das liebes- denröslein» beispielsweise sieht ein «wilder Knabe» ein trunkene Gretchen kann als patriarchale Macht- und «Röslein» auf der Wiese stehen, so «jung und morgen- Besitzfantasie gelesen werden, was Franz Schubert mit schön», und entscheidet sich, es zu «brechen» – freilich seiner Musik noch weiter betont. Die Spitzentöne, Be- gegen den Willen seines weiblich konnotierten Gegen- schleunigungen und harten Sforzati in seiner Komposi- übers. «Röslein wehrte sich und stach», heisst es im tion erwecken sogar den Eindruck – mehr noch als Goe- Text, «half ihm doch kein Weh und Ach, / Musst’ es thes Text –, Gretchen sei völlig ausser sich und verliere eben leiden.» Es ist erstaunlich, wie lange es in den sich regelrecht hysterisch in ihrer Sehnsucht nach dem Interpretationen übergangen wurde: Dieser Text be- älteren Mann. Der Pianist Jonathan Ware und Golda Schultz gestalten ein Rezital mit Liedern aussschliesslich von Komponistinnen. BILD Vittorio Greco PIÙ 17
«artiste étoile» Golda Schultz Hannah Schmidt Wie klingt so etwas nun, wenn eine Interpretin wie Golda Schultz diesem Gretchen eine Stimme gibt? «Mir geht es am Ende immer darum, für mich zu klä- Golda Schultz will «keine ren: Was will eine Figur?», sagt Golda Schultz. «Ich nut- Archetypen» spielen, sondern echte Frauen. ze den schönen Gesang, die Phrasierungen, um ihren BILD Dario Acosta Willen nachzuzeichnen.» Ihr sei wichtig, zu versuchen, «keine Archetypen zu spielen, sondern echte Frauen». LORELEYENTZIEHTSICH DEMSABBERNDENBLICK Clara Schumanns «Loreley» wird in Golda Schultz’ Interpretation auf diese Weise zu «DIVERSITY–VIELFALTUNDEINHEIT» NZZ-Podium mit Iris Bohnet (Ökonomin), Adam Fischer (Dirigent), Mithu Sanyal (Schriftstellerin), Golda Schultz (Sopranistin), Moderation: Martin Meyer 20. August, 16.00 KKL, Auditorium MYTHENENSEMBLEORCHESTRAL Dirigentin: Graziella Contratto, Sopran: Golda Schultz; Mahler (Vier ausgewählte Lieder: Wo die schönen Trompeten blasen, Das irdische Leben, Ich atmet einen linden Duft, Ich bin der Welt abhanden gekommen, Sinfonie Nr. 5, Bearbeitung für Kammerorchester von Klaus Simon) 21. August, 11.00 KKL, Konzertsaal MIN«SUMMERTIME» Sopran: Golda Schultz, Klavier: Alan Gilbert, weitere Solistinnen und Solisten 24. August, 18.20 KKL, Luzerner Saal NDRELBPHILHARMONIEORCHESTER UNDNDRVOKALENSEMBLE Porgy and Bess Dirigent: Alan Gilbert, Porgy: Morris Robinson, Bess: Elizabeth Llewellyn, Clara: Golda Schultz, weitere Solistinnen und Solisten; G. Gershwin (Porgy and Bess, Oper, halbszenische Auff ührung) 25. August, 18.30 KKL, Konzertsaal GOLDASCHULTZSOPRAN Rezital Klavier: Jonathan Ware; Clara Schumann (Liebst du um Schönheit, Warum willst du and’re fragen, Am Strande, Lorelei), Emilie Mayer (Wenn der Abendstern die Rosen, Du bist wie eine Blume, Erlkönig II), Rebecca Clarke (Down by the Salley Gardens, The Tiger, Cradle Song, The Seal Man), Nadia Boulanger (La mer, Prière, Élégie, Cantique), Kathleen Tagg (This be her verse, Schweizer Erstauff ührung) 4. September, 14.30 Lukaskirche
Lucerne FestivalSOMMER einer anderen Geschichte als der, die Heinrich Heine in re-Ley getan» klingt so in Schumanns und Schultz’ Ver- seinem Text beschreibt. Da lauert nicht mehr die sion auch eher nach den letzten Worten des Untergehen- vermeintlich schadenfrohe Sirene auf ihrem Felsen und den, der in gewohnter Manier einer Frau die Schuld für bringt arme Schiffer um Verstand und Leben. Die Lore- sein eigenes Versagen gibt. Hier ist klar: Die Loreley be- ley in Schultz’ Version ist im Gegenteil eine Frau, die sich kommt von all dem noch nicht einmal etwas mit. einfach nur in Ruhe die Haare kämmen will. Sie genügt sich selbst und ist zufrieden, singt ohne verführerischen «Wie bringe ich das, was ich bin und was ich erlebt habe, Unterton entspannt vor sich hin. Dass der Mann im Boot in diese Geschichte ein, meine Realität, meine Lebens- von den Wellen «verschlungen» wird, ist in der Folge ein- erfahrung?», sagt Golda Schultz über ihre Interpretatio- zig und allein seine Schuld: Er denkt, die Frau auf dem nen. «Wenn ich das nicht mache, werde ich es nicht Felsen existiere für ihn und seinen sabbernden Blick, er schaffen, das Publikum für diese Fragen zu aktivieren will ihr näher sein, geifert sie «mit wildem Weh» an. Dass und ihm eine neue Perspektive aufzuzeigen.» Das sei ihr dieser Mann eine potenzielle Bedrohung für die Frau ist, Job als Sängerin. «Nicht nur schön zu singen.» Der Titel legt übrigens bereits Clara Schumann in der Klavierstim- ihres Debüt-Albums liest sich vor diesem Hintergrund me an: Darin begleiten seinen Auftritt die gleichen Ach- gleichsam wie ein Appell: «This be her verse» – «Das hier tel wie bei Schubert den todbringenden «Erlkönig». Der sei ihr Vers». anklagende Schluss: «Das hat mit ihrem Singen / die Lo- www.lucernefestival.ch Anzeige RÜEGGIGRAFIKDESIGN SCHLUNDSTRASSE 80, 6010 KRIENS – LUZERN, TEL 041 318 50 05, WWW.AMREIN.CH
Symphony Roman Kühne «SUMMERTIME» Von der Kammermusik bis zur grossen Besetzung: Das Lucerne Festival Orchestra BEIDEN gibt sechs Konzerte, drei unter Riccardo Chailly. BILD Priska Ketterer/ Lucerne Festival Bei den Orchestern bestätigen Da blieb sogar der schlagfertigen, amerika- re ist dies her. Heute kann Marisol Montal- sich Trends zur Diversität, nischen Sopranistin Marisol Montalvo für vo darüber lachen: «Zu wenig hell! Nicht stilistisch wie im wachsenden einen Moment die Luft weg. «Als ich für die einmal das stimmt!» – und zeigt auf ihre nur Anteil an Frauen. Aber Rolle der Maria in der ‹West Side Story› in leicht gebräunte Haut. Sie hat sich im People of Colour sind in Bregenz vorsang», erzählte sie während Opern- und Konzertbetrieb in vorwiegend der Klassikszene keine eines Konzerts, «wurde mir beschieden, ich «weissen» Rollen durchgesetzt. Selbstverständlichkeit. Mit sei zu wenig hell!» Dabei stammt die Sänge- dem Festivalmotto erhalten rin aus Puerto Rico, der gleichen Insel, von Das Beispiel zeigt, wie People of Colour und sie prominente Präsenz, auch der auch die Maria aus Bernsteins Musical vor allem Schwarze Künstlerinnen und in den Sinfoniekonzerten. stammt. Wie diese ist sie eine Latina. 20 Jah- Künstler im westlichen Klassikbetrieb mar- PIÙ 20
Lucerne FestivalSOMMER SINFONIEORCHESTERN ginalisiert wurden, mit Folgen bis heute. die auftreten, sind die meisten bei «Music terdam (unter Herreweghe) oder Mozarts Lucerne Festival setzt dagegen mit dem The- for Future» anzutreffen. Oper «La clemenza di Tito» mit Cecilia Bar- ma «Diversity» ein Zeichen für Chancen- toli. Das West-Eastern Divan Orchestra gleichheit, und zwar bezüglich der Hautfar- Wie wird aber das Thema «Diversity» in der steht mit arabischen und jüdischen Musi- be, des «Geschlechts, der Religion, der Sparte «Symphony» umgesetzt, also den kern für Diversität auch in kulturpolitischer sexuellen Orientierung oder der sozialen Sinfoniekonzerten, die den Weltruf von Lu- Hinsicht. Herkunft», wie es bei der Präsentation des cerne Festival ausmachen? Da kehrt, nach Programms für diesen Sommer hiess. Der den Festivals mit Corona-Auflagen, zu- Den jüngsten Trend bestätigt das Lucerne Fokus liegt jetzt auf Frauen und People of Festival Orchestra. Es gibt drei Konzerte Colour. Er wird umgesetzt auch in den Or- unter Chefdirigent Riccardo Chailly (u. a. chesterkonzerten, und da über alle drei mit Rachmaninow und Mahler) und eines Sparten hinweg, in die das Festivalpro- unter Jakob Hrůša (mit Dvor̆ák). Aber das gramm seit letztem Jahr gegliedert ist. Orchester beweist Eigeninitiative, indem es – mit Beethoven – ohne Dirigent und mit NACHCORONAKEHRENDIVERSE dem Mandolinisten Avi Avital auftritt. ORCHESTERTRENDSZURÜCK Doch bringen die weltbesten Sinfonieor- In der Jugendsparte «Music for Future» tritt chester damit auch die Diversität auf die in der Reihe der Jugendorchester, die das Bühne, die das Festivalthema meint? Sucht Festival eröff nen, aus London das Chineke! KOMPONISTIN man im Programm danach, so fi nden sich Junior Orchestra auf, das sich «Diversity» FLORENCEPRICE einige Trouvaillen. mit People of Colour zum Programm ge- «Ich habe zwei Handicaps: macht hat. Es wird geleitet von einer Frau, Ich bin eine Frau DERSOHNEINERSKLAVINWARIN der Venezolanerin Glass Marcano, wie auch und schwarzes Blut fliesst PARISERFOLGREICHERALSMOZART das Zusatzkonzert des Youth Symphony Or- in meinen Adern.» Dies beginnt prominent beim Eröff nungs- chestra of Ukraine unter der gefragten Diri- konzert des Lucerne Festival Orchestra unter gentin Oksana Lyniv. In der Sparte «Con- Riccardo Chailly (Freitag, 12. August). Da temporary» sind viele Komponistinnen und nächst die Diversität zurück, zu der Orches- interpretiert Anne-Sophie Mutter ein Violin- Black Composers vertreten. Im Lucerne Fes- tertrends in den letzten Jahren ohnehin ge- konzert von Joseph Bologne, Chevalier de tival Contemporary Orchestra, dem Labor führt haben. Nicht nur bringen wieder Saint-Georges (1745–1799). Als Kind einer der Zukunftsmusik, beträgt der Anteil der Spitzenorchester auch aus den USA Gross- Sklavin aus Guadeloupe und eines Franzo- Frauen etwa 50 Prozent, geleitet wird es in sinfonik von Mahler oder Bruckner nach sen stieg er in Frankreich als Geigenvirtuose einem seiner Konzerte von der Schweizerin Luzern. Historisch informierte Auff ührun- und Komponist zu einem Topstar auf. Wäh- Elena Schwarz. Von sieben Dirigentinnen, gen sind Haydns «Die Schöpfung» aus Ams- rend er in unserer Zeit (2002) als «Schwarzer PIÙ 21
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Lucerne FestivalSOMMER Mozart» apostrophiert wurde, hätte sich Mo- Schwarze Frau, deren Musik 1933 von einem die erste zur Auff ührung. Price setzt immer zart damals glücklich schätzen können, wäre führenden Orchester der USA, dem Chica- wieder folkloristische Elemente ein. In ihrer er in Paris, wo er keinen Erfolg hatte, «Bolog- go Symphony Orchestra, aufgeführt wurde. ersten Sinfonie ist statt des Scherzos ein ne blanc» genannt worden. Bologne war «Juba» zu hören, ein Tanz afrikanischer nicht nur musikalisch talentiert. Während Auch wenn man damals nicht von Black Sklaven. Ein weiteres Werk von Price, ihr der Französischen Revolution leitete der her- Composer sprach, sondern der Titel des Klavierquintett in a-Moll, spielen Solistin- vorragende Fechter seine eigene Truppe mit Konzerts nach heutiger Auffassung rassis- nen und Solisten des Lucerne Festival Or- Soldaten aus den Kolonien. Am Sonntag, tisch «Negro in Music» lautete, war das ein chestra mit dem Pianisten Kit Armstrong 28. August, spielt das Mahler Chamber Or- frühes Bestreben nach «Diversity». Dennoch (Dienstag, 16. August). chestra zudem seine zweite Sinfonie. geriet Price nach ihrem Tod in Vergessen- heit – wie die meisten Schwarzen Komponis- Das Philadelphia Orchestra bringt auch eine EINESCHWARZEKOMPONISTINHAT tinnen und Komponisten in der Klassik zeitgenössische Schwarze Komponistin nach ERFOLGUNDGEHTDOCHVERGESSEN auch. Dass ihre Werke heute aufgeführt wer- Luzern. Valerie Coleman (*1970) war die »Sehr geehrter Dr. Koussevitzky, zuerst den, ist dem Zufall und dem Zeitgeist zu ver- erste Afroamerikanerin, die einen Komposi- möchte ich sagen, dass ich zwei Handicaps danken. Im Jahr 2009 entdeckte ein Ehepaar tionsauftrag des Orchesters erhielt. Für die habe – ich bin eine Frau und schwarzes Blut in einem frisch gekauften, baufälligen Haus Sopranistin Angel Blue, ebenfalls eine Afro- fl iesst in meinen Adern.» So beginnt der zahlreiche Noten. Viele waren mit dem Na- amerikanerin, hat sie ein Werk geschaffen, Brief der Afroamerikanerin Florence Price men «Florence Price» versehen. Die Entde- das als Schweizer Erstauff ührung erklingt. (1887–1953) an den Generalmusikdirektor ckung der 300 bis 400 Kompositionen führte des Boston Symphony Orchestra. Antwort zu einem kleinen Florence-Price-Boom. WOBLEIBEN erhielt sie nie. Aber mit ihrem selbstbewuss- DIEDIRIGENTINNEN? ten Auftritt setzte sie sich trotz widriger Das Philadelphia Orchestra ist zum Beispiel Dass «Frauen am Pult eines Orchesters heute Umstände durch und war zu Lebzeiten daran, alle Sinfonien einzuspielen, und eine fast schon selbstverständliche Erschei- durchaus erfolgreich. So war sie die erste bringt am Sonntag, 4. September, im KKL nung geworden sind», wie es im Programm- Lange erwarteter Höhepunkt: Susanna Mälkki bringt mit dem Helsinki Philharmonic Orchestra und Andreas Haefl iger am Flügel Dieter Ammanns Klavierkonzert «Gran Toccata» in die Schweiz. BILD Sakari Viika PIÙ 23
Symphony Roman Kühne geschlagen. Aber zum Thema «Diversity» spielen sie Mahlers 7. Sinfonie, die in der Art einer Collage das Triviale mit dem Erhabe- nen, Kitsch und Marsch verbindet und erst- mals Gitarre und Mandoline ins Orchester Stil-Diversität: Alte-Musik- Pionier Philippe Herrweghe einführte (Mittwoch, 31. August). Alfred leitet das Concertgebouw Orchestra in Haydns Schnittkes Konzert für Viola und Orchester «Schöpfung» . bildet das Festivalthema mit seiner Polystilis- BILD Wouter Maeckelberghe tik ab (Donnerstag, 1. September). «SUMMERTIME»FÜR MUSIKALISCHEVIELFALT Simon Rattle, der ehemalige Chef der Berli- ner, gastiert mit dem London Symphony Orchestra in Luzern. In seinen Program- men bringt er immer wieder moderne Werke und scheut sich nicht, mit seinen Orchestern auch in kleinen Besetzungen aufzutreten. Kaum ein anderer Spitzendiri- buch heisst, bestätigt sich bei den traditions- Pianistin Yuja Wang und Cécile Lartigau an gent hat ein ähnlich breites Repertoire wie reichen Sinfonieorchestern aber keineswegs. den Ondes Martenot. Dann erklingt die Tu- Obwohl immer mehr Orchester Frauen als rangalîla-Sinfonie von Olivier Messiaen. ERÖFFNUNGSKONZERT Chefi nnen haben, kommt – neben der kurz- Mit ihren indischen Rhythmen und indone- Lucerne Festival Orchestra, Dirigent: Riccardo Chailly, Violine: Anne-Sophie Mutter; fristig engagierten Oksana Lyniv – nur eine sischen Gamelan-Klängen ein Muss an Rihm (Verwandlung 4), Bologne, Chevalier de mit ihrem Orchester nach Luzern: Susanna einem Diversity-Festival. Saint-Georges (Violinkonzert op. 5 Nr. 2), Rachmaninow (Sinfonie Nr. 2) Mälkki führt mit ihrem Helsinki Philhar- 12. August, 18.30 monic ein hochkarätiges Programm auf – EINVORHANG KKL, Konzertsaal und Live-Übertragung aufs Inseli mit Dieter Ammanns Klavierkonzert, das FÜRMEHRFRAUEN wegen Corona verschoben werden musste Übrigens: Bei den Big Five der USA lag 1970 WEST-EASTERNDIVANORCHESTRA Dirigent: Daniel Barenboim; und nach seiner gefeierten Urauff ührung der Frauenanteil nur bei 5 Prozent. Dann be- Smetana (Má vlast – Mein Vaterland) 14. August, 19.30 endlich auch in Luzern zu hören ist (Diens- gann man die Bewerberinnen und Bewerber KKL, Konzertsaal tag, 30. August). hinter einem Vorhang vorspielen zu lassen, worauf der Frauenanteil kontinuierlich ROYALCONCERTGEBOUWORCHESTRA Während Frauen als Chefi nnen noch auf stieg – aktuell auf immerhin über 35 Pro- Collegium Vocale Gent Dirigent: Philippe Herreweghe, dem Vormarsch sind, haben sich in den Or- zent. Nicht dass die Männer doch die Sopran: Robin Johannsen, chestern die Zeiten bereits gründlich geän- besseren Musiker wären, wie der Dirigent Tenor: Werner Güra, Bass: Florian Boesch; Haydn (Oratorium Die Schöpfung) dert. Erst 1997 nahmen die Wiener Philhar- Leonard Bernstein, ein Gegner des Vorhang- 29. August, 19.30 moniker eine erste Frau ins Orchester auf, spiels, glaubte. Die Wiener haben bis heute KKL, Konzertsaal die Harfenistin Anna Lelkes. 25 Jahre später keinen Vorhang. Die Berliner Philharmoni- HELSINKIPHILHARMONICORCHESTRA Dirigentin: Susanna Mälkki, Klavier: Andreas weisen sie einen Frauenanteil von 25 Pro- ker, das andere europäische «Männer»- Haefl iger; Saariaho (Vista für Orchester, zent auf. Beim Auftritt in Luzern haben die Orchester, übrigens auch nicht. In Deutsch- Schweizer Erstauff ührung), Ammann (The Piano Concerto (Gran Toccata), Wiener immerhin beide Male Solistinnen land ist der Frauenanteil in Sinfonieorches- Schweizer Erstauff ührung), dabei: Am Mittwoch, 7. September, ist es tern inzwischen zwar bei durchschnittlich Nørgård (Sinfonie Nr. 8), Sibelius (Tapiola, Sinfonische Dichtung für Orchester) die Schweizer Saxofonistin Valentine Mi- 40 Prozent, aber die Berliner sind hier mit 30. August, 19.30 chaud, und am Dienstag, 6. September, die 22 Frauen bei 120 Angestellten ziemlich ab- KKL, Konzertsaal PIÙ 24
Lucerne FestivalSOMMER Rezital András Schiff Urs Mattenberger Yannick Nézet-Séguin setzt sich mit dem Philadelphia Orchestra für ANDRÁSSCHIFF afroamerikanische Komponistinnen ein. GEDENKTHAITINK BILD Pete Checchia Wenn «Diversity» bedeutet, starre Formen variabler zu handhaben, ist auch das Rezital des Pianisten András Schiff ein prominenter Beitrag zum Festivalmotto. So führt das Programm zwar die Komponis- ten Bach, Mozart, Beethoven und Schubert auf. Aber welche Stücke von ihnen er spielt, wird er spontan am Tag des Konzerts bestimmen. Über das Überraschungsmoment hinaus hat das einen weiteren der Engländer. So spielt er unter anderem eigenen Schrift kommuniziert: Hebräisch, Vorteil. Weil man nicht im Pro- «Die Okeaniden» von Jean Sibelius (Sams- Deutsch, Russisch und Japanisch. Auch das grammheft nach- oder vorlesen tag, 3. September) oder bringt die Schweizer ist gelebte Vielfalt. kann, wird Schiff in seiner Matinee Erstauff ührung des «Sun Poem» von Daniel die Werke anmoderieren und mit www.lucernefestival.ch Kidane (*1986), einem Briten mit eritrei- ihren Besonderheiten vorstellen. schen Wurzeln (Sonntag, 4. September). Bei einem Auftritt in Gstaad hat er BERLINERPHILHARMONIKER Ebenfalls gut in das diesjährige Programm- selbst das als Beitrag verstanden, um Dirigent: Kirill Petrenko, Viola: Tabea motto passt «Porgy and Bess» von George Zimmermann; Schnittke (Konzert für Viola das etwas steife Konzertritual zu und Orchester), Schostakowitsch (Sinfonie Nr. 10) Gershwin, die erste Oper, die ausschliess- 1. September, 19.30 beleben. Natürlich tragen dazu auch lich unter Schwarzen spielt und in der «ar- KKL, Konzertsaal seine Anmerkungen bei, die ebenso tiste étoile» Golda Schultz mit «Summer- LONDONSYMPHONYORCHESTRA von Sachwissen wie von Mensch- time» zu hören ist (NDR Elbphilharmonie Dirigent: Sir Simon Rattle; Berlioz (Ouvertüre lichkeit geprägt sind. Darin erinnert Le Corsaire), Kidane (Sun Poem, Schweizer Orchester, Donnerstag, 25. August). Wäh- Erstauff ührung), Sibelius (Sinfonie Nr. 7), Schiff an den grossen, am 21. Okto- rend in «Porgy and Bess» nur Schwarze Sän- Ravel (La Valse) ber 2021 verstorbenen Dirigenten 4. September, 11.00 gerinnen und Sänger mitwirken dürfen, ist KKL, Konzertsaal Bernard Haitink. Das lässt vielleicht im Lucerne Festival Orchestra der Anteil an doch Rückschlüsse auf die Werk- THEPHILADELPHIAORCHESTRA People of Colour eher gering. Im Vorgän- Dirigent: Yannick Nézet-Séguin, Sopran: wahl an dieser Matinee zu. Denn Angel Blue; Rachmaninow (Die Toteninsel), gerorchester, dem Schweizerischen Fest- Coleman (This Is Not a Small Voice, Schweizer diese widmet Schiff dem «Gedenken spielorchester, stand aber 1971 mit Dean Erstauff ührung), Price (Sinfonie Nr. 1 e-Moll) an Bernard Haitink». 4. September, 18.30 Dixon der erste Schwarze am Dirigierpult. KKL, Konzertsaal Und im aktuellen Orchester ist Diversity in WIENERPHILHARMONIKER anderer Art durchaus zu fi nden. So spielen Dirigent: Esa-Pekka Salonen, Klavier: Yuja Wang, REZITAL hier Menschen aus über 20 Nationen mit. Ondes Martenot: Cécile Lartigau; Klavier: András Schiff; Bach, Messiaen (Turangalîla-Sinfonie) In der Familie des Konzertmeisters Gregory Mozart, Beethoven, Schubert 6. September, 19.30 14. August, 11.00, KKL, KKL, Konzertsaal Ahss wird gar in vier Sprachen mit je einer Konzertsaal PIÙ 25
Lucerne Festival Academy Urs Mattenberger Auch als Moderatoren in den Konzerten des Composer Seminar ein starkes Team: Wolfgang Rihm und Dieter Ammann. BILD Peter Fischli/LF «HAUDOCHMAL AUFDENTISCH!» Sie begannen als Junge Wilde, jetzt sind sogar sieben Frauen und nur ein Mann teil. Komponie- sie bedeutende Geburtstagsjubilare: die ren Frauen besser oder haben Sie bei der Auswahl das Komponisten Wolfgang Rihm (70) und Festivalthema übererfüllt? Dieter Ammann: Als wir uns Dieter Ammann (60) über eine Künstler- die Partituren der über 200 Bewerber anschauten und freundschaft, die am Composer Seminar uns ihre Musik anhörten, haben wir keinen Moment der Lucerne Festival Academy begann. überlegt, ob das Frauen oder Männer sind. Da war kein Zwang und keine Quote mit im Spiel. «Diversity» gehört zur DNA der zeitgenössischen Mu- Wolfgang Rihm: Für unser Composer Seminar wählen wir sik, an Ihrem Composer Seminar nehmen dieses Jahr aber auch nicht einfach jene aus, die «besser» komponie- PIÙ 26
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