Durchgängige Leseförderung - Überblick, Analysen und Handlungsempfehlungen HANDREICHUNG
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HANDREICHUNG Durchgängige Leseförderung Überblick, Analysen und Handlungsempfehlungen Eine Initiative von: JUGEND- UND FAMILIENMINISTER- KONFERENZ DER LÄNDER Eine Initiative von:
2 | BiSS — Bildung durch Sprache und Schrift Inhalt 1. Durchgängige Leseförderung 4 2. Ausgewählte Umsetzungswerkzeuge 18 2.1 Ausgewählte Hilfen zur Erfassung von leserelevanter Kompetenz als Fördervoraussetzung 20 Elementarbereich: Heidelberger Auditives Screening in der Einschulungsuntersuchung (HASE) 20 Primarstufe: Lautleseprotokoll 22 Sekundarstufe: Lückentexte zur Einschätzung der Lesegeschwindigkeit 23 2.2 Ausgewählte Werkzeuge zur Leseförderung 24 Elementarbereich: Dialogisches Lesen 24 Primarstufe: Lautlesetandem 26 Sekundarstufe: Wir werden Textdetektive 28 3. Ausgewählte Umsetzungsbeispiele aus dem BiSS-Kontext 30 Elementarbereich: Wuppis Abenteuer-Reise (Schleswig-Holstein) 31 Primarstufe: Durchgängige Leseförderung (Hessen) 33 Sekundarstufe: Lautlesetandem (Thüringen) 38 4. Lektürehinweise 40 Elementarbereich: Lektürehinweise zum Dialogischen Lesen 40 P rimarstufe: Leseflüssigkeit fördern: Lautleseverfahren für die Primar- und Sekundarstufe 42 Sekundarstufe: Lesen(d) lernen. Texte besser verstehen. Ein Trainingsprogramm 42 Impressum 43
Handreichung: Durchgängige Leseförderung | 3 Einleitung „Lesen-Können — darauf läuft schließlich alles hinaus.“ Christian Morgenstern Die Fähigkeit zu lesen wird als Schlüsselkompetenz betrachtet, denn sie stellt s innbildlich den Schlüssel zu bedeutenden Lebensbereichen dar: Für das selbstständige Zurecht finden im Alltag, eine erfolgreiche Bildungs- und Berufsbiografie sowie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist Lesen-Können unerlässlich. Über die Vermittlung von Fakten hinaus werden durch die Schriftsprache Ideen, Werte und Kulturen erschlossen. Deshalb bergen fehlende bzw. geringe Lesekompetenzen die Gefahr, ausgeschlossen zu werden von einem erfüllenden Berufsleben und einer aktiven Teilhabe an der Gesellschaft. Die IQB-Ländervergleiche zeigen, dass in Deutschland noch immer sehr viele 15-Jährige im Leseverstehen nicht die Mindeststandards erreichen, die als Voraussetzung für eine berufliche Ausbildung bzw. den Besuch einer weiterführenden Schule gelten. Die Förde rung der Lesekompetenz hat daher aktuell eine hohe gesellschaftliche Bedeutung. Die vorliegende Handreichung richtet sich an pädagogische Fach- und Lehrkräfte und stellt die Idee der durchgängigen Leseförderung von der Kita über die Grundschule bis zur Sekundarstufe in den Mittelpunkt. Dabei nimmt sie in den Blick, dass erste Grund lagen für das Lesenlernen bereits im Kindergartenalter gelegt werden, und sie zeigt, wie Maßnahmen zur Förderung der Lesekompetenz in den einzelnen Bildungsetappen idealerweise aufeinander aufbauen. Dazu gehört auch, dass die pädagogischen Fach- und Lehrkräfte sich jeweils ein möglichst präzises Bild davon machen, was die Kinder bereits gut können und in welchen Bereichen sie eventuell noch Unterstützung benö tigen. Die Handreichung stellt dafür im zweiten Kapitel eine Auswahl von Hilfsmitteln zur Erfassung leserelevanter Kompetenzen und weitere Werkzeuge zur Leseförderung von der Kita bis zur Sekundarstufe I vor. Diese sind entweder nachweislich wirksam, oder ihre Wirksamkeit kann aus theoretisch fundierten Gründen als sehr wahrscheinlich angenommen werden. Im dritten Kapitel stellen Beteiligte des Bund-Länder-Programms Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS) aus allen drei Bildungsetappen vor, welche Förderkonzepte sie im Rahmen des Programms erfolgreich umsetzen. Das vierte Kapitel enthält Lektürehinweise, die eine vertiefende Beschäftigung mit den in Kapitel 2 vorge stellten Werkzeugen ermöglichen.
4 | BiSS — Bildung durch Sprache und Schrift 1. Durchgängige Leseförderung Geübte Leserinnen und Leser können sich meist gar E rlernen der Buchstaben-Laut-Beziehungen zielt der nicht mehr vorstellen, wie es war, als sie noch nicht oder Unterricht in der Grundschule darauf ab, die Kinder noch nicht richtig lesen konnten. Als gute Leserinnen zum flüssigen Lesen zu befähigen. In der Sekundarstufe I und Leser bewältigen wir die komplexen und simultan liegt der Schwerpunkt dann auf der Förderung des ablaufenden Prozesse, die verstehendes Lesen erfordert, Textverstehens. so automatisiert, dass wir nebenbei mühelos über das Gelesene nachdenken können. Für Kinder, die gerade Zur Entwicklung und Förderung der Lesekompetenz und lesen lernen oder dabei Schwierigkeiten haben, kann deren Teilfertigkeiten gibt es zahlreiche gut gesicherte Lesen sehr anstrengend und mitunter frustrierend sein. Erkenntnisse. Besonders hoch ist die Wahrscheinlichkeit Um diese Kinder zu unterstützen, ist es empfehlenswert, dafür, tatsächlich förderliche Wirkungen zu erzielen, Teilleistungen der Lesekompetenz in den Blick zu nehmen wenn die Leseförderkonzepte theoretisch begründet sind und aufeinander aufbauend einzuüben und zu fördern. und ihre Wirksamkeit möglichst bereits unter Beweis gestellt wurde. Das bedeutet, dass in einem Förder Der Erwerb der Lesekompetenz beginnt bereits sehr früh: konzept beschrieben sein sollte, wie die zu erwerbende In den ersten sechs bis acht Lebensjahren machen Kinder Kompetenz aufgebaut ist, welche Teilfertigkeiten zu zu Hause und in der Kita idealerweise vielfältige sprach berücksichtigen sind, wann und wie sie sich im Normalfall liche und literale Erfahrungen, die neben frühen phono entwickeln und welche Aspekte auf welche Weise einer logischen und schriftsprachlichen Kompetenzen auch Förderung zugänglich sind. Im besten Fall wurde die ein erstes Verständnis vom Gebrauch gesprochener und Wirksamkeit schon in Studien empirisch untersucht und geschriebener Sprache mit sich bringen, das Interesse bestätigt. Weiterhin kommt es darauf an, dass Förder an Literatur und die Lesemotivation wecken. Nach dem strategien und -konzepte in der Praxis auf Akzeptanz
Handreichung: Durchgängige Leseförderung | 5 stoßen, damit sie so durchgeführt werden, wie sie sich einzelner Laute des Sprachstroms. Dazu gehört z. B. als wirksam erwiesen haben (z. B. mit einer bestimmten das Erkennen, mit welchem Laut ein Wort beginnt oder Häufigkeit und mit bestimmten Inhalten je Fördereinheit). endet. Neben der phonologischen Bewusstheit ist auch die Geschwindigkeit des Zugriffs auf das sogenannte Da in der vorliegenden Handreichung nicht alle vorhan mentale Lexikon (also der Wort-Speicher) im Langzeit denen Maßnahmen beschrieben werden können, wird gedächtnis eine frühe Kompetenz, die mit dem späteren hier eine Auswahl an Konzepten und Instrumenten der Leseerwerb im Zusammenhang steht. Sie lässt sich Förderung von frühen phonologischen und schriftsprach abschätzen über die Feststellung, wie schnell ein Kind lichen Kompetenzen und der Leseförderung von der Kita etwas benennen kann (vgl. Hasselhorn, Ehm, Wagner, bis zur Sekundarstufe I vorgestellt. Diese sind entweder Schneider & Schöler, 2015). Eine weitere Kompetenz, nachweislich wirksam oder ihre Wirksamkeit kann aus die mit dem späteren Leseerwerb in Beziehung steht, ist theoretisch fundierten Gründen als sehr wahrscheinlich die Kapazität des klanglichen (phonologischen) Arbeits angenommen werden. gedächtnisses. Sie bestimmt darüber, wie gut und wie lange eine klangliche Information im Kurzzeitgedächtnis aufrechterhalten werden kann. Diese Speicherkapazität Förderung früher phonologischer und für klangliche Informationen ist vor dem Lesenlernen schriftsprachlicher Kompetenzen im relevant, wenn ein Kind zum ersten Mal ein unbekann Elementarbereich tes, mehrsilbiges Wort hört und es nachsprechen und behalten möchte. Bei älteren Kindern wird diese Kapa zität wichtig, wenn beim Lesenlernen ein unbekanntes Im Gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Wort Silbe für Silbe erlesen werden muss: Die ersten Bildung in Kindertageseinrichtungen (KMK & JFMK, gelesenen Laute müssen dann noch präsent sein, um 2004) findet sich bei den zu berücksichtigenden Bil alle Silben zu einem Wort zusammenfügen zu können. dungsbereichen als Erstes der Bereich der Sprache, Schrift Der spätere Schriftspracherwerb wird außerdem ent und Kommunikation. Dort heißt es: „Zentraler Bestandteil scheidend durch einen ausreichenden Wortschatz und sprachlicher Bildung sind kindliche Erfahrungen rund um grammatische Fähigkeiten geprägt. Buch-, Erzähl- und Schriftkultur (literacy).“ Kinder verfügen bereits im Kindergartenalter über phonologische Die oben genannten frühen Kompetenzen hängen mit und schriftsprachliche Kompetenzen, deren Ausprägung verschiedenen Aspekten der späteren Lesefähigkeit von einen Einfluss auf die Entwicklung der späteren Lese- und Kindern zusammen. So sprechen Langzeitstudien aus Schreibfähigkeiten der Kinder hat. Deshalb ist ihre dem deutschen Sprachraum dafür, dass frühe Kompe kindgerechte Förderung unerlässlich, um das Risiko für tenzen in der phonologischen Bewusstheit die spätere einen späteren Bildungsmisserfolg zu verringern. Lesegenauigkeit und übrigens auch die Rechtschreib leistung eines Kindes beeinflussen. Die Geschwindigkeit, Bis vor Kurzem stand im deutschen Sprachraum die mit der Kinder etwas benennen können, hängt dage sogenannte phonologische Bewusstheit als eine früh zu gen vor allem mit ihrer späteren Lesegeschwindigkeit fördernde Kompetenz im Vordergrund, die relevant für zusammen. Im ersten Jahr des Schriftspracherwerbs die Entwicklung der späteren Lese- und Schreibfähig scheinen vor allem die phonologische Bewusstheit und keiten ist. Zur phonologischen Bewusstheit im weiteren das phonologische Arbeitsgedächtnis relevant zu sein, Sinne gehört das Erkennen größerer sprachlicher Ein während für die Langzeitentwicklung der Lesefähig heiten, z. B. die Fähigkeit, Wörter in Silben zu zerlegen keit die Benennungsgeschwindigkeit bedeutsamer ist. oder Reime zu erkennen. Phonologische Bewusstheit im Frühe Kompetenzen im Bereich der phonologischen engeren Sinne beschränkt sich dagegen auf das Erfassen Informationsverarbeitung beeinflussen vor allem die
6 | BiSS — Bildung durch Sprache und Schrift Lesegenauigkeit und -geschwindigkeit im Grundschul Abenteuer-Reise durch die phonologische Bewusstheit alter, während das Leseverstehen stärker durch frühe (Christiansen, 2005). Das Programm Hören, Lauschen, Kompetenzen in der mündlichen Sprache (Wortschatz, Lernen I wird im letzten Kindergartenhalbjahr etwa zehn Grammatik) bedingt wird (von Goldammer, Mähler & Minuten täglich durchgeführt und enthält Lauschspiele, Hasselhorn, 2011). Reimspiele, Spiele zum Zerlegen von Sätzen und Wörtern sowie Einheiten zu Silben (Klatschen und rhythmisches Die im Kita-Alltag spielerisch angelegte Förderung früher Sprechen). Ein Schwerpunkt von Hören, Lauschen, Lernen phonologischer und schriftsprachlicher Kompetenzen II (Plume & Schneider, 2004) liegt auf der zusätzli wird in der Elementarpädagogik unter dem noch relativ chen Vermittlung von Buchstaben-Laut-Verknüpfungen jungen Begriff der Förderung von Early Literacy oder für eine Auswahl besonders häufiger Buchstaben. Beim Emergent Literacy zusammengefasst. Hier sind drei ein Programm Lobo vom Globo (Metz et al., 2010) werden ander ergänzende wesentliche Fördermöglichkeiten, die zweimal wöchentlich zwölf Wochen lang 24 Einheiten auf unterschiedliche Kompetenzbereiche fokussieren, zu durchgeführt, die neben Reim- und Lautspielen auch nennen: 1. die spezifische Förderung der phonologischen Einheiten zu Textverständnis, Wortschatz und Sprachpro Bewusstheit, 2. Literacy Center und 3. Dialogisches duktion enthalten. Im Training Wuppis Abenteuer-Reise Lesen (vgl. Nickel, 2014). durch die phonologische Bewusstheit (Christiansen, 2005) werden über einen Zeitraum von ca. 18 Wochen 1. Förderung der phonologischen Bewusstheit täglich Übungen zur Förderung der phonologischen Im Kita-Alltag findet die Förderung der phonologischen Bewusstheit durchgeführt. Durch Übungen wie Lauschen, Bewusstheit oftmals alltagsintegriert in Form von Reim-, Reimen oder Silbenerkennen wird die phonologische Rhythmus-, Silben-, Anlaut- und Phonemspielen statt Bewusstheit im weiteren Sinne angesprochen, durch (Phoneme sind die kleinsten bedeutungsunterschei gezieltes Heraushören oder Zusammenziehen von Lauten denden Einheiten der Sprache: So unterscheiden sich die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne. Das die Bedeutungen der Worte „lagen“ und „nagen“ nur Ziel des Übungsprogramms ist es, den Schriftspracher aufgrund ihrer Eingangsphoneme (Anfangsbuchstaben)). werb zu erleichtern. Die Einbettung der Übungen in eine In spezifischen Förderprogrammen zur phonologischen Rahmengeschichte führt außerdem zu einer Verknüpfung Bewusstheit werden dagegen bestimmte Spieleinheiten mit dem breiter angelegten frühen Bildungsbereich Early nach einem festen Plan über einen bestimmten Zeitraum Literacy. durchgeführt. Letzteres wird von pädagogischen Fach kräften teilweise als zu starr kritisiert. Unter Umständen Eine aktuelle Übersichtsarbeit zur Wirksamkeit phonolo erleben sie es als schwierig, die Programme spielerisch gischer Bewusstheitstrainings im deutschen Sprachraum in den Alltag einzubauen und dabei alle Vorgaben genau führt die Ergebnisse vieler Einzelstudien zusammen einzuhalten. Es hat sich allerdings in empirischen Studien (Fischer & Pfost, 2015). Der Vorteil solcher Über gezeigt, dass ihre Umsetzung für Kinder mit nicht blicksarbeiten ist, dass nicht nur die Ergebnisse einer ohnehin schon altersgemäß entwickelten entsprechenden einzelnen Arbeitsgruppe zu einem einzelnen Programm Fertigkeiten nur dann wirksam sind, wenn sie gemäß der berücksichtigt werden, sondern dass eine größere Anzahl Anleitung durchgeführt werden. von Ergebnissen zu verschiedenen Programmen zur Förderung phonologischer Bewusstheit einfließen, die Die im deutschen Sprachraum bekanntesten Programme zusammengenommen eine stärkere Aussagekraft haben. sind die Würzburger Trainingsprogramme Hören, Lauschen In diese Arbeit wurden die bekanntesten Programme und Lernen I und II (Küspert & Schneider, 1999; Plume (die Würzburger Programme und Lobo vom Globo) ein & Schneider, 2004), das Programm Lobo vom Globo bezogen und auch mit vereinzelt eingesetzten, weniger (Metz, Fröhlich & Petermann, 2010) oder auch Wuppis bekannten Programmen verglichen. Untersucht wurden
Handreichung: Durchgängige Leseförderung | 7 kurzfristige (bis zu einem Jahr nach Programmende) wird, um bei den Kindern die Neugier auf das Lesen und und langfristige Wirkungen (länger als ein Jahr nach Schreiben zu wecken. Es geht nicht darum, den Kindern Programmende) auf die phonologische Bewusstheit, die verfrüht Lesen oder Schreiben beizubringen, sondern Buchstabenkenntnis sowie auf das Lesen und Schreiben. ihnen den Bildungsbereich der Schriftlichkeit spielerisch Das Ergebnis zeigt, dass die geprüften Programme zur nahezubringen, wie dies in dem eingangs erwähnten phonologischen Bewusstheit gleichermaßen wirksam sind, gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung ihre Wirksamkeit im deutschen Sprachraum jedoch etwas in Kindertageseinrichtungen vereinbart wurde (KMK & geringer ist als im englischen Sprachraum und stark von JFMK, 2004). Bei der konkreten Durchführung eines der Einstellung der pädagogischen Fachkräfte zu diesem Literacy Centers lassen sich drei Phasen unterscheiden Ansatz abhängig ist. (vgl. Reichert-Garschhammer & Kieferle, 2011). Die erste Phase dient der Vorbereitung. Hier wird ein Thema Als Fazit lässt sich festhalten, dass eine frühzeitige För festgelegt, das für die Kinder spannend ist und aus ihrem derung der phonologischen Bewusstheit erfolgen sollte, Umfeld, den Medien, eigenen Beobachtungen o. ä. stam da die Ausprägung früher phonologischer Kompetenzen men kann. Dieses Thema wird mit den Kindern erkundet, den Erwerb des Lesens in der Grundschule beeinflusst. es werden Informationen dazu eingeholt und beispiels Um die Wahrscheinlichkeit dafür zu erhöhen, dass die weise Exkursionen unternommen. In der zweiten Phase, Durchführung der Förderung qualitativ hochwertig der Durchführung, spielen die Kinder in Rollenspielen erfolgt und die Wirksamkeit einer solchen Förderung u. a. schriftsprachliche Aktivitäten nach, die sie in dem gegeben ist, ist es sinnvoll, mit Hilfe jener Programme zu erkundeten Themenbereich beobachtet haben. Dazu wird fördern, deren Wirksamkeit bereits nachgewiesen werden eine Umgebung geschaffen, in der Schreibmaterialien konnte und nicht allein auf alltagsintegrierte phonologi zur Verfügung gestellt und die Kinder zu ihrer Nutzung sche Spiele zu setzen, auch wenn ersteres u. U. mit mehr angeregt werden, z. B. eine Tierarztpraxis mit Rezeptblock Aufwand verbunden ist. Bei phonologischen Spielen, die und Karteikarten für die „Patienten“ und beschrifteten im Kita-Alltag eingebaut werden, ist die Wirksamkeit Schildern, z. B. mit dem Aufdruck „Wartezimmer“. Die bislang nicht bestätigt. Es ist nicht durch Daten belegt, dritte Phase dient der Reflexion und kann beispielsweise ob und wie bei welchem Kind welche Art phonologischer die Kinder dazu anregen, über das Erlebte nachzudenken Alltagsspiele welche positiven Wirkungen entfalten. Eine und die gesammelten Schrifterzeugnisse gemeinsam zu Untersuchung, die im nächsten Abschnitt kurz vorgestellt sichten. wird, spricht jedoch bedingt dafür, dass ein Anreichern mit phonologischen Spielen im Rahmen von Literacy Literacy Center fördern nicht nur den Gebrauch dekon Centern sogar positivere Wirkungen haben kann als ein textualisierter Sprache, d. h. einer Sprache, die über Training der phonologischen Bewusstheit allein. das „Hier und Jetzt“ hinausgeht und dazu dient, einer anderen Person beispielsweise ein früheres Erlebnis 2. Literacy Center zu berichten, sondern sie erhöhen auch den Anteil Beim Literacy Center handelt es sich im Vergleich zu schriftbezogener Aktivitäten im Alltag der Kinder. Einige den strukturierten Programmen der phonologischen Studien weisen nach, dass die themenspezifischen, struk Bewusstheit um eine stärker alltagsintegrierte und turierten Literacy-Handlungen einem allgemeinen Ange breiter angelegte Form der Sprachbildung, die 2002 bot von Lese- und Schreibmaterialien überlegen sind in den USA entwickelt wurde. Im Prinzip lässt sich das im Hinblick auf die beobachtete Häufigkeit spielerischer Literacy Center als eine Spielumgebung beschreiben, Lese- und Schreibhandlungen bei Kindern (Morrow, die einen bestimmten Kontext simuliert (z. B. Post, 2002). Auch in Deutschland wurden positive Effekte Tierarztpraxis, Restaurant) und bei der schriftsprach des Literacy Centers nachgewiesen (Kammermeyer & liches Material für Rollenspiele zur Verfügung gestellt Molitor, 2005). Eine Studie zu den Wirkungen der Lite
8 | BiSS — Bildung durch Sprache und Schrift racy Center hat diese zudem mit einem Programm zur gestellten Fragen unterscheidet (vgl. Kraus, 2005). Förderung der phonologischen Bewusstheit verglichen Während zwei- bis dreijährigen Kindern einfache „W-Fra (Geyer, Hartinger & Kammermeyer, 2015). Die beiden gen“ gestellt werden (Wer, Was, Wo, Wie), kommen bei Förderarten unterschieden sich jedoch in ihrer Dauer, so vier- bis sechsjährigen Kindern „Weshalb“- und „Warum- wurden die Literacy Center neun Monate lang durchge Fragen“ dazu, um den Kindern Impulse zum Weiterer führt (also etwa 36 Wochen), während das Trainings zählen einer Geschichte oder zum Vervollständigen von programm instruktionsgemäß über 20 Wochen, täglich Sätzen zu geben. Neben der Fragetechnik sind lobende 10—15 Minuten durchgeführt wurde. Die pädagogischen Wiederholungen, gezielte Ergänzungen kindlicher Äuße Fachkräfte, die die Literacy Center durchführten, sollten rungen sowie unterstützende bzw. korrektive Modellie schriftsprachliche Aktivitäten in Alltagssituationen oder rungen kindlicher Aussagen entscheidende Elemente, die Projekten mit der ganzen Kindergartengruppe aufgreifen, zum Gelingen des Dialogischen Lesens beitragen. Neben im Rollenspiel intensivieren und diese darüber hinaus dieser eher „technischen Seite“ kommt es ebenso darauf „mit Spielen zur phonologischen Bewusstheit“ anreichern. an, die emotional-motivationale Ebene bei der Gestal Diese Kombination aus Literacy Center und Spieleinheiten tung des Dialogischen Lesens zu berücksichtigen (vgl. zur phonologischen Bewusstheit hatte offenbar stärkere Ennemoser, Kuhl & Pepouna, 2013). Hierbei geht es förderliche Wirkungen auf die phonologische Bewusstheit darum, das Kind für seine Äußerungen zu loben und es im engeren Sinne als ein Training zur phonologischen zu bestärken, an den Interessen des Kindes anzuknüpfen Bewusstheit allein (Geyer et al., 2015). Dieser Befund und die gemeinsamen Buchbetrachtungen insgesamt für muss jedoch insofern vorsichtig interpretiert werden, als die Kinder unterhaltsam zu gestalten. sich, wie erwähnt, zum einen die Dauer der Förderung von Literacy Center und phonologischem Trainingspro Zahlreiche Untersuchungen belegen die Wirksamkeit des gramm unterschieden und somit positivere Wirkungen Dialogischen Lesens hinsichtlich einer Erweiterung des des Literacy Center auch durch eine längere Förderdauer Wortschatzes und des Verständnisses grammatischer erklärbar sein könnten und zum anderen die ausgewähl Strukturen (vgl. Ennemoser et al., 2013; Ennemoser, ten Spiele zur phonologischen Bewusstheit im Literacy Lehnigk, Hohmann & Pepuona, 2015). Solche positiven Center nicht näher bezeichnet wurden. Darüber hinaus Wirkungen entfalteten sich dann, wenn regelmäßig — sind Kinder mit spezifischen Auffälligkeiten im Bereich idealerweise täglich — gelesen und die Kinder für ihre der phonologischen Bewusstheit die Zielgruppen der Beiträge gelobt wurden. Die Fördererfolge fallen bei Würzburger Trainingsprogramme, die von dem Angebot jüngeren Kindern (zwei bis vier Jahre) größer aus als besonders profitieren sollen, was beim Literacy Center bei älteren und bei Individualförderung größer als bei nicht der Fall ist. Kleingruppenförderung. 3. Dialogisches Lesen Eine erste Studie zur Wirksamkeit Dialogischen Lesens Das Dialogische Lesen dient der Förderung von Sprach im deutschen Sprachraum bei Vorschulkindern haben verständnis, Wortschatz und Sprachflüssigkeit. Im Ennemoser und Kollegen (2013) mit 45 Migranten Gegensatz zum einfachen Vorlesen wendet die durch kindern im Alter zwischen fünf und sechseinhalb Jahren führende Person bestimmte Fragetechniken an, wie etwa durchgeführt. 22 Kinder bekamen als sogenannte Experi offene und ergänzende Fragen. Zudem reagiert sie auf mentalgruppe eine Förderung nach den Prinzipien des kindliche Aussagen in Form von Wiederholungen oder Dialogischen Lesens, 23 Kinder wurden nach dem übli Erweiterungen und fordert die Kinder auf, Sätze zu chen Konzept der Vorlaufkurse gefördert. Die Förderung vervollständigen oder Geschichten in eigenen Worten erfolgte in Kleingruppen mit je drei bis fünf Kindern, die zu erzählen. Die Fragetechniken richten sich nach dem an acht Sitzungen zu je einer halben Stunde teilnahmen. Alter der Kinder, wobei sich hauptsächlich die Art der Unter Berücksichtigung des jeweiligen Ausgangsniveaus
Handreichung: Durchgängige Leseförderung | 9 schnitten die nach den Prinzipien des Dialogischen 1. Lesegeschwindigkeit Lesens geförderten Kinder in einem Sprachtest besser ab Eine angemessen hohe Lesegeschwindigkeit ergibt sich als die Kinder der Kontrollgruppe. aus einer genauen Worterfassung und einem hohen Grad an Automatisierung. Es geht dabei jedoch nicht um das Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Elemen Erreichen einer Höchstgeschwindigkeit, da zu schnelles tarbereich sowohl wirksame alltagsintegrierte Ansätze Lesen — ebenso wie zu langsames — das Leseverständnis zur Verfügung stehen, um breitere sprachliche Kom beeinträchtigt. Vielmehr sollte eine Mindestgeschwindig petenzen, wie Grammatik und Wortschatz zu fördern, keit beim Lesen erreicht werden, die bei ca. 100 gelese nämlich das Dialogische Lesen und die Literacy Center, nen Wörtern pro Minute liegt (Rosebrock et al., 2011). als auch spezifische Programme zur Förderung der pho nologischen Bewusstheit. Diese Ansätze sollten einander 2. Lesegenauigkeit ergänzend eingesetzt werden, da gezeigt werden konnte, Gute Leserinnen und Leser können Wörter zudem genau dass verschiedene frühe phonologische und schrift und korrekt lesen. Wenn sie doch einmal Fehler machen, sprachliche Kompetenzen jeweils mit unterschiedlichen bemerken sie dies und korrigieren sich selbst. Aspekten späterer Lesefähigkeit zusammenhängen. Bei schwächeren Leserinnen und Lesern weist fehlerhaf tes (Vor-) Lesen ohne Selbstkorrektur darauf hin, dass Förderung von Leseflüssigkeit in der die Kinder die Wörter beim Lesen nicht korrekt erfas Grundschule sen und noch nicht in der Lage sind, ihren Leseprozess zu „überwachen“. Da durch Lesefehler das Verstehen erschwert wird, können Kinder, die noch ungenau lesen, Im Anschluss an den Erstleseunterricht steht die oft den Satz- und Textzusammenhang nicht verstehen. Förderung basaler Lesefertigkeiten, insbesondere der Erst wenn mehr als 95 Prozent der Wörter eines Textes Leseflüssigkeit im didaktischen Fokus. Leseflüssigkeit wird korrekt gelesen werden können, kann er ohne Hilfe definiert als die Fähigkeit, angemessen schnell, genau, verstanden werden (nach Rasinski, 2003, in Rosebrock automatisiert und sinngestaltend zu lesen (Rosebrock, et al., 2011). Nix, Rieckmann & Gold, 2011). 3. Automatisierung Entsprechend werden vier Teilfertigkeiten der Leseflüssig Die Automatisierung des Leseprozesses stellt kognitive keit unterschieden: Ressourcen für das komplexere Textverstehen zur 1. Lesegeschwindigkeit, Verfügung. Bei geübten Leserinnen und Lesern benö 2. Lesegenauigkeit, tigt das Erkennen der Wörter nur noch wenig mentale 3. Automatisierung sowie Aufmerksamkeit. Der Zugriff auf die Wortbedeutungen 4. prosodische Segmentierungsfähigkeit. erfolgt bei ihnen überwiegend automatisiert. Zögerliches bzw. stockendes Lesen deutet dementsprechend darauf Im Folgenden werden sie genauer beschrieben. hin, dass Kinder noch nicht automatisiert lesen, sondern dem Erkennen von Buchstaben bzw. Worten noch viel Aufmerksamkeit widmen müssen. 4. Prosodische Segmentierungsfähigkeit Gute Leserinnen und Leser können nicht nur angemessen schnell und korrekt lesen, sondern auf Satz- und lokaler Textebene auch betont und sinngestaltend laut lesen.
10 | BiSS — Bildung durch Sprache und Schrift An der Betonung, Intonation und Pausengestaltung ist Lesetandem. Die Zuordnung kann beispielsweise auf zu erkennen, ob die Kinder die im Satz zusammenhän Grundlage der Ergebnisse des Lautleseprotokolls erfol genden Wörter und Einheiten erfassen und beim Lesen gen (siehe Seite 22). Das lesestärkere Kind dient beim als zusammengehörig kennzeichnen können. Wird ein chorischen, gemeinsamen Lesen eines Textes als Lese Text hingegen Wort für Wort erlesen und nicht sinnbe modell und korrigiert als Tutorin bzw. Tutor nach vorher zogen betont, deutet dies darauf hin, dass die Kinder besprochenen Regeln Lesefehler der Tutandin bzw. des die Bedeutung der aufeinanderfolgenden Wörter und Tudanden. Wird deren bzw. dessen Lesen flüssiger, setzt Satzteile nicht adäquat miteinander in Beziehung setzen die Tutorin bzw. der Tutor so lange aus, bis das lese können (vgl. Rosebrock et al., 2011). schwächere Kind erneut einen Fehler macht. Das Ver fahren sollte so lange mit demselben Text durchgeführt Wie aus den Beschreibungen der Teilfertigkeiten der werden, bis die Schülerinnen und Schüler ca. 100 Wörter Leseflüssigkeit hervorgeht, lassen diese sich bereits durch pro Minute flüssig lesen können und nicht mehr als zwei individuelles Vorlesen relativ gut einschätzen. Es stehen sinnentstellende Fehler je 100 Wörter machen (Rose jedoch auch einige schnell und leicht durchzuführende brock et al., 2011). Lautlesetrainingseinheiten sollten 15 Verfahren zur Verfügung (z. B. das Lautleseprotokoll), bis 20 Minuten dauern und mindestens acht Wochen lang mit denen die jeweiligen Fertigkeiten genauer erfasst und regelmäßig mehrmals in der Woche durchgeführt werden. individuelle Ausgangslagen als Basis für die Förderung Sie lassen sich aufgrund ihrer Kürze gut in Einheiten des erhoben werden können. Deutsch-, aber auch des Fachunterrichts integrieren, wo sie neben dem Training der Leseflüssigkeit dazu genutzt Für die unterrichtsintegrierte Förderung der Leseflüs werden können, das Leseverstehen von Fachtexten zu sigkeit lassen sich derzeit zwei methodische Zugänge unterstützen. unterscheiden (vgl. Rosebrock et al., 2011): Lautleseverfahren, insbesondere Lautlesetandems, sind 1. Lautleseverfahren, die durch angeleitete Trainings eine Fördermethode, die theoretisch begründet, unter unmittelbar auf die Verbesserung der Leseflüssigkeit richtspraktisch erprobt und zudem auch nachgewiesen abzielen, wirksam ist. In der angloamerikanischen Leseforschung wurde die Wirksamkeit von Lautleseverfahren in den und letzten vier Jahrzehnten wiederholt nachgewiesen (z. B. Kuhn & Stahl, 2003; Meyer & Felton, 1999; Therrien, 2. Vielleseverfahren, bei denen es allgemein um die 2004). Auch für den deutschsprachigen Raum — in Steigerung des Lesepensums sowie die Förderung der dem Lautleseverfahren erst seit einigen Jahren Eingang Lesemotivation durch freie Lesezeiten im Unterricht geht. in die Unterrichtspraxis gefunden haben — konnte die Wirksamkeit von Lautleseverfahren für die Förderung der 1. Lautleseverfahren Leseflüssigkeit, aber auch des Leseverstehens wiederholt Lautleseverfahren zeichnen sich durch das wiederholte nachgewiesen werden (Lauer-Schmalz, Rosebrock & Trainieren des (halb-)lauten Vorlesens von kurzen Texten, Gold, 2014; Nix, 2011; Rosebrock et al., 2011). meist in kooperativen Lernsettings, aus. Wesentlich bei der Durchführung ist, dass alle Schülerinnen und Schüler Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Wirksamkeit im Unterricht (halb-)laut lesen. So werden die kogniti von Lautleseverfahren nicht unabhängig ist von der ven Teilprozesse des Lesens und die damit verbundenen Beschaffenheit der verwendeten Texte. Die Schwierig Schwierigkeiten — im Gegensatz zum stillen Lesen — keitsgrade der Texte sollten sich an den Lesefähigkeiten überprüfbar. Idealerweise bilden bei Lautleseverfahren der Kinder orientieren. Für die unterrichtsintegrierte ein leseschwaches und ein lesekompetenteres Kind ein Umsetzung von Lautleseverfahren sollte daher ein
Handreichung: Durchgängige Leseförderung | 11 Repertoire von Übungstexten mit unterschiedlichen verfahren ist die Sicherstellung der Durchführung des Schwierigkeitsniveaus vorliegen, damit die Kinder weder Leseprozesses. Vielleseverfahren hingegen können durch über- noch unterfordert sind. Beides könnte sich negativ freie Lesezeiten und die selbstständige Auswahl der auf die Wirksamkeit des Verfahrens sowie die Motivation Lektüre die Lesemotivation der Schülerinnen und Schüler der Kinder auswirken. Möglichkeiten zur Auswahl bzw. eventuell besser steigern. Der Fokus der Leseförderung Anpassung geeigneter Texte sind im Buch „Leseflüssigkeit sollte erst dann auf komplexere Lese- und Verstehens fördern: Lautleseverfahren für die Primar- und Sekundar prozesse gerichtet werden, wenn die Schülerinnen und stufe“ von Rosebrock und Kolleginnen (2011) beschrie Schüler hinreichend flüssig lesen können. ben (siehe Seite 42). 2. Vielleseverfahren Erfolgreiche Lesestrategien für Kinder und Im Gegensatz zu den Lautleseverfahren basieren die Jugendliche Vielleseverfahren auf dem Ansatz, dass Lesen selbst einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Lese kompetenz hat, da die Leseflüssigkeit vor allem durch In der Sekundarstufe I verlagert sich der Schwerpunkt Leseübung gefördert wird. Der Kern dieses Ansatzes der Leseförderung auf die Vermittlung von Lesestrate besteht darin, dass das individuelle Lesepensum erhöht gien. Lesestrategien sind „mentale Werkzeuge“, die dem wird, indem ein bestimmtes Zeitkontingent im Unterricht Textverständnis dienen und zu den Lernstrategien festgelegt wird (z. B. ca. 20 Minuten, ca. 3—4 Mal pro gehören (vgl. Philipp 2015; Rosebrock et al., 2011). Bei Woche), das für die Lektüre von selbst gewählten Texten der Unterscheidung von hierarchieniedrigen und hierar und Büchern zur Verfügung steht. Um die Motivation der chiehöheren Leseprozessen werden Lesestrategien — im Kinder aufrecht zu erhalten, sind mit dem Lesen im Rah Gegensatz zur Leseflüssigkeit — im zweiten Bereich men des Vielleseverfahrens keine Vorgaben zu Art und verortet (Philipp & Schilcher, 2012). Dass die Kinder bei Qualität der Texte und auch keine Aufgabenstellungen Eintritt in eine weiterführende Schule flüssig lesen verbunden. Somit findet jedoch auch keine Überprüfung können, sollte jedoch nicht stillschweigend vorausge des Leseprozesses statt. Es ist daher nicht auszuschlie setzt, sondern überprüft werden. Kann ein Kind noch ßen, dass insbesondere leseschwache Schülerinnen und nicht schnell genug oder fehlerfrei lesen, muss auch in Schüler die freien Lesezeiten als frustrierend empfinden, der Sekundarstufe die Leseflüssigkeit weiterhin gefördert wenn sie nicht beim Lesen der Texte unterstützt werden. werden, statt den alleinigen Fokus auf die Lesestrategien Studien zur Wirksamkeit von Vielleseverfahren kommen zu setzen. bisher nicht zu eindeutigen Ergebnissen (vgl. NICHD, 2000). Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass Viellesever Lesestrategien sind durch verschiedene Merkmale fahren dann effektiv sind, wenn die Lehrkräfte die Kinder gekennzeichnet: Sie werden zielgerichtet und mit bei der Auswahl der Texte, beim Lesen selbst und nach Absicht eingesetzt, um sich einen Text zu erschließen, der Lektüre durch die Reflexion des Gelesenen begleiten sind erlernbar und können im Unterricht vermittelt und und unterstützen. trainiert werden. Bei häufigem Gebrauch werden sie mit der Zeit automatisiert, d. h. man benutzt sie, ohne es sich Die Integration regelmäßiger Leseübungen sollte ein bewusst zu machen (vgl. Bönnighausen & Winter, 2012; zentrales Element der Förderung der Leseflüssigkeit im Philipp, 2015). Es gibt eine Vielzahl von Lesestrategien, Primarbereich sein. Die beiden methodischen Ansätze — wobei die einzelnen Strategien sich miteinander kom Lautlese- und Vielleseverfahren — sind keine konkurrie binieren lassen und sich ergänzen können, sodass eine renden Maßnahmen, sondern im Rahmen des Unterrichts Leserin oder ein Leser jeweils auswählen muss, welche gut kombinierbar. Ein deutlicher Vorteil der Lautlese Strategien bei einem Text zum Einsatz kommen. Um ein
12 | BiSS — Bildung durch Sprache und Schrift bestimmtes lesebezogenes Ziel zu erreichen, können eines Textes, das Unterstreichen, Erstellen von Randno mehrere Lesestrategien gleichzeitig oder in verschiede tizen oder eines Schaubilds ebenso wie das Aktivieren nen Schritten genutzt werden (Philipp, 2015). von Vorwissen, das Klären unbekannter Wörter und Begriffe oder das Vorhersagen weiterer Textinhalte. Kompetente Leserinnen und Leser zeichnen sich dadurch Kognitive Strategien vertiefen das Textverständnis und aus, dass sie verschiedene Lesestrategien kennen und sie verknüpfen neues und vorhandenes Wissen, z. B. wenn anwenden können. Sie müssen wissen, welche Einsatz Vorwissen aktiviert, ein Schaubild zu einem Text erstellt möglichkeiten eine Strategie hat und welche Alternativen oder Hypothesen über den weiteren Verlauf des Textes sich bieten. Zusätzlich steuern sie ihren Leseprozess gebildet werden. und überprüfen immer wieder, ob sie ihr lesebezogenes Ziel erreicht haben. Es zeigt sich, dass leseschwächere Metakognitive Lesestrategien stehen dagegen in engem Schülerinnen und Schüler weniger Lesestrategien kennen Zusammenhang mit der Fähigkeit, selbstreguliert zu und nutzen als kompetente Leserinnen und Leser, die lernen. Sie gewährleisten, dass Leserinnen und Leser aus einer größeren Anzahl von Strategien auswählen, um ihren Lese- und Verstehensprozess gezielt planen — z. B. sich einen Text zu erschließen (Philipp, 2013; Philipp & indem sie die Aufgabe analysieren und entsprechende Schilcher, 2012). Voraussetzung für den Einsatz von Strategien auswählen —, ihn während des Lesens kontrol Lesestrategien ist neben dem dargestellten Wissen aber lieren und steuern sowie am Ende überprüfen, ob sie ihr auch die Bereitschaft und Motivation, mit den Strategien lesebezogenes Ziel erreicht haben. Das kann geschehen, zu arbeiten. Dafür muss eine Leserin oder ein Leser von indem sie auf Verständnisschwierigkeiten achten und ggf. ihrem Nutzen überzeugt sein. eine andere oder zusätzliche Strategie auswählen, wenn sie ihr Ziel nicht erreichen. Arten von Lesestrategien Einige Lesestrategien werden vorbereitend vor dem Lesen Stützstrategien unterstützen das Lesen indirekt. Sie eines Textes eingesetzt, z. B. wenn man sich Bilder oder beziehen sich auf das eigene Verhalten und die Moti andere visuelle Informationen zunutze macht, um erste vation, die z. B. durch eingeplante Belohnungen erhöht Hypothesen zum Inhalt des Textes zu formulieren. Andere werden kann. Zeitmanagement aber auch eine Hilfe von kommen während des Lesens zum Einsatz, beispiels anderen Personen oder die Nutzung von Bibliotheken weise wenn man mit Randnotizen oder Unterstreichun oder ähnlichen Ressourcen gehören zu diesen Strategien. gen arbeitet. In der Phase nach dem Lesen lassen sich wiederum Strategien nutzen bei denen z. B. unbekannte Zielgruppe Wörter nachgeschlagen werden. Auch muss die Leserin Die Einführung der Strategien ist dann sinnvoll, wenn die oder der Leser beurteilen, ob sie oder er das eigene Wort- und Satzerkennung bereits automatisiert abläuft. Leseziel erreicht hat, welche Ursachen für den Erfolg Das bedeutet, dass die Schülerinnen und Schüler flüssig bzw. Misserfolg des Vorgehens infrage kommen und lesen können. Außerdem müssen sie die entwicklungs welche weiteren Schritte ggf. anzuschließen sind (vgl. psychologischen Voraussetzungen dafür mitbringen, Philipp & Schilcher, 2012). ihren Leseprozess zu planen und strategieorientiert vorzugehen. Lesestrategien werden daher ungefähr ab Darüber hinaus lässt sich nach kognitiven und meta Ende der dritten Grundschulklasse eingesetzt, für För kognitiven Strategien sowie Stützstrategien unter derprogramme empfehlen Gold, Trenk-Hinterberger und scheiden (Philipp & Schilcher, 2012): Kognitive Souvignier (2009) ein Alter von zehn bis zwölf Jahren. Lesestrategien helfen dabei, Informationen im Text zu Die Vermittlung von kognitiven und metakognitiven organisieren, zu verarbeiten, zu behalten und Textstruk Lesestrategien hat sich als wirksame Fördermaßnahme turen zu nutzen. Dazu gehören das wiederholte Lesen erwiesen (Philipp, 2013), von der alle Schülerinnen und
Handreichung: Durchgängige Leseförderung | 13 Schüler profitieren können. Einige Studien haben auch die schiedenen Strategien zugrunde liegen. Durch das laute Gruppe der schwächeren Leserinnen und Leser sowie der Aussprechen ihrer Gedanken und Überlegungen erleben Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Zweitsprache die Schülerinnen und Schüler, wie auch eine erfahrene untersucht. Für beide Gruppen konnten positive Effekte Leserin bzw. ein erfahrener Leser beim Lesen einen von Lesestrategietrainings nachgewiesen werden (ebd.). Problemlöseprozess durchläuft und dabei verschiedene Strategien zu Rate zieht und ggf. wieder verwirft. Vermittlung von Lesestrategien Lesestrategien müssen gelernt werden. Es gibt einige Nach der Einführung und Auseinandersetzung mit den Prinzipien, die bei der Einführung und Vermittlung Lesestrategien muss ihr Einsatz intensiv an unter beachtet werden sollten, um eine wirksame Förderung schiedlichen Texten geübt werden. Anfangs sollte dieser sicherzustellen. Die Lesestrategien müssen explizit im Prozess stark angeleitet werden, sodass die Schülerinnen Unterrichtsgespräch vermittelt werden (vgl. Schneider und Schüler noch nicht die volle Verantwortung für et al., 2013), da insbesondere schwächere Schülerinnen die Anwendung der Strategien übernehmen, sondern und Schüler sie sich in der Regel nicht allein im Rahmen z. B. in kooperativen Arbeitsformen üben oder Strate der eigenen Textarbeit implizit aneignen können. Wenn giekarten als Hilfsmittel nutzen (vgl. Philipp, 2015). neue Lesestrategien im Unterricht erlernt werden, tritt Nach und nach können die Schülerinnen und Schüler häufig nicht direkt eine Leistungssteigerung auf, sondern zu selbstständigeren Übungsformen übergehen bis hin die Leseleistungen verschlechtern sich zeitweilig, weil die zu einem unabhängigen Üben. Es muss bei der Planung Strategien noch nicht richtig angewendet werden, aber also berücksichtigt werden, dass der Erwerb von Lese kognitive Ressourcen in Anspruch nehmen. Das kann für strategien bis hin zu einer selbstregulierten, effizienten die Schülerinnen und Schüler demotivierend sein. Die Anwendung Zeit braucht. Lehrkraft sollte darauf vorbereitet sein und gegensteuern, z. B. durch das Vereinbaren von realistischen Zielen mit Lesestrategietrainings den Schülerinnen und Schülern oder indem gemeinsam Lesestrategien sind insgesamt ein gut erforschter und überlegt wird, wie mit Schwierigkeiten in der Umsetzung wirksamer Ansatz, für den eine Vielzahl von Förder der Strategien umzugehen ist (Philipp, 2015). programmen und -instrumenten zur Verfügung steht. Ergebnisse zu einzelnen Strategien liegen jedoch kaum Zur Vermittlung von Lesestrategien gehört es auch, vor, da normalerweise mehrere Lesestrategien gemein Nutzen und Einsatzmöglichkeiten darzulegen und in der sam zum Einsatz kommen (Philipp, 2015). Auch gibt Klasse zu diskutieren. Da Lesestrategien bewusst ein es neben den reinen Strategietrainings kombinierte gesetzt werden, ist es notwendig, dass die Schülerinnen Programme, bei denen Leseflüssigkeit, Lesestrategien und Schüler die Vorteile, die sich durch das Anwenden und Lesemotivation verbunden werden, wie z. B. Wir einer Strategie ergeben, auch für sich erkennen. Nur werden Textdetektive (siehe Seite 28). Für beide Typen unter dieser Voraussetzung greifen sie auch beim eigen von Fördermaßnahmen — reine Strategieförderung oder ständigen Lesen auf ihr Strategiewissen zurück. kombinierte Programme — finden sich in der Forschung positive Effekte. Kombinierte, komplexe Trainings stellen Die Methode des Lauten Denkens, bei dem die Lehrkraft jedoch hohe Anforderungen an die Lehrkraft und müssen als Modell fungiert, hat sich für die Vermittlung von daher entsprechend sorgfältig und umfassend, möglichst Lesestrategien in der Praxis bewährt. Die Lehrkraft ver durch eine Schulung, vorbereitet werden. Denn eine balisiert dabei an einem Beispieltext, was ihr durch den fachgerechte Umsetzung dieser Programme ist Voraus Kopf geht und wie sie beim Lesen des Textes vorgeht. setzung für die erfolgreiche Steigerung der Lesekompe Zudem kommentiert sie ihr Vorgehen und ermöglicht der tenz der Schülerinnen und Schüler. Klasse, auch die Absichten zu erkennen, die den ver
14 | BiSS — Bildung durch Sprache und Schrift Da es mittlerweile eine sehr große Anzahl von Verfahren konnte. Langzeitstudien zeigen, dass frühe phonologi zur Förderung von Lesestrategien gibt, kann an dieser sche und schriftsprachliche Kompetenzen, die die Kinder Stelle keine Übersicht gegeben werden. Stattdessen bereits vor Eintritt in die Schule erwerben, Teilbereiche wird für die Sekundarstufe I exemplarisch ein Programm der späteren Lesekompetenz beeinflussen. Eine frühe dargestellt, das bereits empirisch überprüft wurde und Förderung kann somit auch langfristig positive Wirkungen dessen Wirksamkeit nachgewiesen werden konnte. erzielen. Die Förderung früher phonologischer und schrift sprachlicher Kompetenzen wird hierbei meist in den Alltag Reziprokes Lehren — ein Beispiel der Kita integriert. Bewährt haben sich dabei L iteracy Reziprokes Lehren (reciprocal teaching) ist ein reines Center und Dialogisches Lesen. Für die Förderung der Strategietraining, in dem einzelne Lesestrategien vermit phonologischen Bewusstheit haben sich bislang vor allem telt werden. Das Programm kommt ursprünglich aus dem strukturierte Trainingsprogramme als wirksam erwiesen. englischsprachigen Raum (Palincsar & Brown, 1984, zitiert nach Artelt et al., 2007) und wurde für die Klas In der Primarstufe steht die Entwicklung der Leseflüs senstufe 7 entwickelt. Den Schülerinnen und Schülern sigkeit im Vordergrund, die durch Lautleseverfahren sollen damit vier Lesestrategien vermittelt werden: erfolgreich gefördert und verbessert werden kann. (1) Fragen an den Text stellen, (2) Text zusammen Vielleseverfahren oder Maßnahmen zur Motivationsstei fassen, (3) Wortbedeutungen oder unklare Textstellen gerung erreichen dagegen oft nur die lesestarken Kinder. klären, (4) Vorhersagen treffen. Die Vermittlung dieser vier Strategien erfolgt nach der Methode des lauten Der Schwerpunkt der Förderung verlagert sich ab Ende Denkens. Zunächst übernimmt die Lehrkraft die Rolle des der Grundschulzeit allmählich hin zur Vermittlung von Modells und erläutert, wie sie die Strategie anwendet. Lesestrategien und zur Förderung des selbstregulierten In der Folge arbeiten die Schülerinnen und Schüler in Lesens. Es ist jedoch wichtig, auch in der Sekundarstufe Kleingruppen zusammen, wobei je eine Schülerin oder ein noch zu überprüfen, ob die Schülerinnen und Schüler Schüler die Rolle der Lehrkraft übernimmt und mit einem schon ausreichend flüssig lesen, da die Teilfertigkeiten Gruppenmitglied die Strategie an einem Sachtext übt. und -fähigkeiten des Lesens aufeinander aufbauen. Ist Nacheinander übernehmen verschiedene Schülerinnen dies nicht der Fall, muss auch bei älteren Kindern und und Schüler die Lehrerrolle (Philipp, 2013). Das Rezi- Jugendlichen erst die Leseflüssigkeit erhöht werden, proke Lehren wurde bereits verschiedentlich angepasst bevor Strategietrainings eingesetzt werden. Bei der und zeigte bei unterschiedlichen Altersstufen positive Vermittlung von Lesestrategien sollten die skizzierten Resultate sowohl für Kinder ab der Klasse 4 als auch für Prinzipien berücksichtigt werden, um zu einem selbst jugendliche und erwachsene Leserinnen und Leser (Artelt regulierten Lesen anzuleiten. Ziel ist, dass sich die et al., 2007). Schülerinnen und Schüler über die drei Bildungsetappen hinweg durchgängig zu kompetenten Leserinnen und Lesern entwickeln. Fazit Insgesamt handelt es sich bei der Leseförderung um einen Bereich der Sprachbildung, der durchgängig von der frühen kindlichen Bildung bis zur Sekundarstufe relevant ist. Da sie bereits relativ intensiv erforscht wurde, gibt es eine Reihe von Förderkonzepten und -instrumenten, deren erfolgreiche Umsetzung empirisch nachgewiesen werden
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