Durchgängige Leseförderung - Überblick, Analysen und Handlungsempfehlungen HANDREICHUNG

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HANDREICHUNG

Durchgängige Leseförderung
Überblick, Analysen und Handlungsempfehlungen

Eine Initiative von:                  JUGEND- UND FAMILIENMINISTER-
                                      KONFERENZ DER LÄNDER
 Eine Initiative von:
Durchgängige Leseförderung - Überblick, Analysen und Handlungsempfehlungen HANDREICHUNG
2 | BiSS — Bildung durch Sprache und Schrift

  Inhalt

  1.     Durchgängige Leseförderung                                               4

  2.     Ausgewählte Umsetzungswerkzeuge                                         18

  2.1	Ausgewählte Hilfen zur Erfassung von lese­relevanter
       Kompetenz als Fördervoraussetzung                                         20

  	Elementarbereich: Heidelberger Auditives Screening
    in der Einschulungsuntersuchung (HASE)                                       20

         Primarstufe: Lautleseprotokoll                                          22

         Sekundarstufe: Lückentexte zur Einschätzung der Lese­geschwindigkeit    23

  2.2    Ausgewählte Werkzeuge zur Leseförderung                                 24

         Elementarbereich: Dialogisches Lesen                                    24

         Primarstufe: Lautlesetandem                                             26

         Sekundarstufe: Wir werden Textdetektive                                 28

  3.     Ausgewählte Umsetzungsbeispiele aus dem BiSS-Kontext                    30

         Elementarbereich: Wuppis Abenteuer-Reise (Schleswig-Holstein)           31

         Primarstufe: Durchgängige Leseförderung (Hessen)                        33

         Sekundarstufe: Lautlesetandem (Thüringen)                               38

  4.     Lektürehinweise                                                         40

         Elementarbereich: Lektürehinweise zum Dialogischen Lesen                40

         P rimarstufe: Leseflüssigkeit ­fördern: Lautleseverfahren für die ­
          Primar- und Sekundarstufe                                              42

  	Sekundarstufe: Lesen(d) lernen. Texte besser verstehen.
    Ein Trainingsprogramm                                                        42

         Impressum                                                               43
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Handreichung: Durchgängige Leseförderung | 3

Einleitung

„Lesen-Können — darauf läuft schließlich alles hinaus.“
                                                                         Christian Morgenstern

Die Fähigkeit zu lesen wird als Schlüsselkompetenz betrachtet, denn sie stellt s­ innbildlich
den Schlüssel zu bedeutenden Lebensbereichen dar: Für das selbstständige Zurecht­
finden im Alltag, eine erfolgreiche Bildungs- und Berufsbiografie sowie die Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben ist Lesen-Können unerlässlich. Über die Vermittlung von Fakten
hinaus werden durch die Schriftsprache Ideen, Werte und Kulturen erschlossen. Deshalb
bergen fehlende bzw. geringe Lesekompetenzen die Gefahr, ausgeschlossen zu werden
von einem erfüllenden Berufsleben und einer aktiven Teilhabe an der Gesellschaft. Die
IQB-Ländervergleiche zeigen, dass in Deutschland noch immer sehr viele 15-Jährige
im Leseverstehen nicht die Mindeststandards erreichen, die als Voraussetzung für eine
berufliche Ausbildung bzw. den Besuch einer weiterführenden Schule gelten. Die Förde­
rung der Lesekompetenz hat daher aktuell eine hohe gesellschaftliche Bedeutung.

Die vorliegende Handreichung richtet sich an pädagogische Fach- und Lehrkräfte und
stellt die Idee der durchgängigen Leseförderung von der Kita über die Grundschule bis
zur Sekundarstufe in den Mittelpunkt. Dabei nimmt sie in den Blick, dass erste Grund­
lagen für das Lesenlernen bereits im Kindergartenalter gelegt werden, und sie zeigt,
wie Maßnahmen zur Förderung der Lesekompetenz in den einzelnen Bildungsetappen
­idealerweise aufeinander aufbauen. Dazu gehört auch, dass die pädagogischen Fach-
 und Lehrkräfte sich jeweils ein möglichst präzises Bild davon machen, was die Kinder
 bereits gut können und in welchen Bereichen sie eventuell noch Unterstützung benö­
 tigen. Die Handreichung stellt dafür im zweiten Kapitel eine Auswahl von Hilfsmitteln
 zur Erfassung leserelevanter Kompetenzen und weitere Werkzeuge zur Leseförderung
 von der Kita bis zur Sekundarstufe I vor. Diese sind entweder nachweislich wirksam,
 oder ihre Wirksamkeit kann aus theoretisch fundierten Gründen als sehr wahrscheinlich
 angenommen werden. Im dritten Kapitel stellen Beteiligte des Bund-Länder-Programms
 Bildung durch Sprache und Schrift (BiSS) aus allen drei Bildungsetappen vor, welche
 Förderkonzepte sie im Rahmen des Programms erfolgreich umsetzen. Das vierte Kapitel
 enthält Lektürehinweise, die eine vertiefende Beschäftigung mit den in Kapitel 2 vorge­
 stellten Werkzeugen ermöglichen.
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  1.        Durchgängige Leseförderung

  Geübte Leserinnen und Leser können sich meist gar            E­ rlernen der Buchstaben-Laut-Beziehungen zielt der
  nicht mehr vorstellen, wie es war, als sie noch nicht oder    Unter­richt in der Grundschule darauf ab, die Kinder
  noch nicht richtig lesen konnten. Als gute Leserinnen         zum flüssigen Lesen zu befähigen. In der Sekundarstufe I
  und Leser bewältigen wir die komplexen und simultan           liegt der Schwer­punkt dann auf der Förderung des
  ablaufenden Prozesse, die verstehendes Lesen erfordert,       Textverstehens.
  so automatisiert, dass wir nebenbei mühelos über das
  Gelesene nachdenken können. Für Kinder, die gerade           Zur Entwicklung und Förderung der Lesekompetenz und
  lesen lernen oder dabei Schwierigkeiten haben, kann          deren Teilfertigkeiten gibt es zahlreiche gut gesicherte
  Lesen sehr anstrengend und mitunter frustrierend sein.       Erkenntnisse. Besonders hoch ist die Wahrscheinlichkeit
  Um diese Kinder zu unterstützen, ist es empfehlenswert,      dafür, tatsächlich förderliche Wirkungen zu erzielen,
  Teilleistungen der Lesekompetenz in den Blick zu nehmen      wenn die Leseförderkonzepte theoretisch begründet sind
  und aufeinander aufbauend einzuüben und zu fördern.          und ihre Wirksamkeit möglichst bereits unter Beweis
                                                               gestellt wurde. Das bedeutet, dass in einem Förder­
  Der Erwerb der Lesekompetenz beginnt bereits sehr früh:      konzept beschrieben sein sollte, wie die zu erwerbende
  In den ersten sechs bis acht Lebensjahren machen Kinder      Kompetenz aufgebaut ist, welche Teilfertigkeiten zu
  zu Hause und in der Kita idealerweise vielfältige sprach­    berücksichtigen sind, wann und wie sie sich im Normalfall
  liche und literale Erfahrungen, die neben frühen phono­      entwickeln und welche Aspekte auf welche Weise einer
  logischen und schriftsprachlichen Kompetenzen auch           Förderung zugänglich sind. Im besten Fall wurde die
  ein erstes Verständnis vom Gebrauch gesprochener und         Wirksamkeit schon in Studien empirisch untersucht und
  geschriebener Sprache mit sich bringen, das Interesse        bestätigt. Weiterhin kommt es darauf an, dass Förder­
  an Literatur und die Lesemotivation wecken. Nach dem         strategien und -konzepte in der Praxis auf Akzeptanz
Handreichung: Durchgängige Leseförderung | 5

stoßen, damit sie so durchgeführt werden, wie sie sich       einzelner Laute des Sprachstroms. Dazu gehört z. B.
als wirksam erwiesen haben (z. B. mit einer bestimmten       das Erkennen, mit welchem Laut ein Wort beginnt oder
Häufigkeit und mit bestimmten Inhalten je Fördereinheit).    endet. Neben der phonologischen Bewusstheit ist auch
                                                             die Geschwindigkeit des Zugriffs auf das sogenannte
Da in der vorliegenden Handreichung nicht alle vorhan­       mentale Lexikon (also der Wort-Speicher) im Langzeit­
denen Maßnahmen beschrieben werden können, wird              gedächtnis eine frühe Kompetenz, die mit dem späteren
hier eine Auswahl an Konzepten und Instrumenten der          Leseerwerb im Zusammenhang steht. Sie lässt sich
Förderung von frühen phonologischen und schriftsprach­       abschätzen über die Feststellung, wie schnell ein Kind
lichen Kompetenzen und der Leseförderung von der Kita        etwas benennen kann (vgl. Hasselhorn, Ehm, Wagner,
bis zur Sekundarstufe I vorgestellt. Diese sind entweder     Schneider & Schöler, 2015). Eine weitere Kompetenz,
nachweislich wirksam oder ihre Wirksamkeit kann aus          die mit dem späteren Leseerwerb in Beziehung steht, ist
theoretisch fundierten Gründen als sehr wahrscheinlich       die Kapazität des klanglichen (phonologischen) Arbeits­
angenommen werden.                                           gedächtnisses. Sie bestimmt darüber, wie gut und wie
                                                             lange eine klangliche Information im Kurzzeitgedächtnis
                                                             aufrechterhalten werden kann. Diese Speicherkapazität
Förderung früher phonologischer und                          für klangliche Informationen ist vor dem Lesenlernen
schriftsprachlicher Kompetenzen im                           relevant, wenn ein Kind zum ersten Mal ein unbekann­
­Elementarbereich                                            tes, mehrsilbiges Wort hört und es nachsprechen und
                                                             behalten möchte. Bei älteren Kindern wird diese Kapa­
                                                             zität wichtig, wenn beim Lesenlernen ein unbekanntes
Im Gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe               Wort Silbe für Silbe erlesen werden muss: Die ersten
Bildung in Kindertageseinrichtungen (KMK & JFMK,             ­gelesenen Laute müssen dann noch präsent sein, um
2004) findet sich bei den zu berücksichtigenden Bil­          alle Silben zu einem Wort zusammenfügen zu können.
dungsbereichen als Erstes der Bereich der Sprache, Schrift    Der spätere Schriftspracherwerb wird außerdem ent­
und Kommunikation. Dort heißt es: „Zentraler Bestandteil      scheidend durch einen ausreichenden Wortschatz und
sprachlicher Bildung sind kindliche Erfahrungen rund um       ­grammatische Fähigkeiten geprägt.
Buch-, Erzähl- und Schriftkultur (literacy).“ Kinder
verfügen bereits im Kindergartenalter über phonologische     Die oben genannten frühen Kompetenzen hängen mit
und schriftsprachliche Kompetenzen, deren Ausprägung         verschiedenen Aspekten der späteren Lesefähigkeit von
einen Einfluss auf die Entwicklung der späteren Lese- und    Kindern zusammen. So sprechen Langzeitstudien aus
Schreibfähigkeiten der Kinder hat. Deshalb ist ihre          dem deutschen Sprachraum dafür, dass frühe Kompe­
kindgerechte Förderung unerlässlich, um das Risiko für       tenzen in der phonologischen Bewusstheit die spätere
einen späteren Bildungsmisserfolg zu verringern.             Lesegenauigkeit und übrigens auch die Rechtschreib­
                                                             leistung eines Kindes beeinflussen. Die Geschwindigkeit,
Bis vor Kurzem stand im deutschen Sprachraum die             mit der Kinder etwas benennen können, hängt dage­
sogenannte phonologische Bewusstheit als eine früh zu        gen vor allem mit ihrer späteren Lesegeschwindigkeit
fördernde Kompetenz im Vordergrund, die relevant für         zusammen. Im ersten Jahr des Schriftspracherwerbs
die Entwicklung der späteren Lese- und Schreibfähig­         scheinen vor allem die phonologische Bewusstheit und
keiten ist. Zur phonologischen Bewusstheit im weiteren       das phonologische Arbeitsgedächtnis relevant zu sein,
Sinne gehört das Erkennen größerer sprachlicher Ein­         während für die Langzeitentwicklung der Lesefähig­
heiten, z. B. die Fähigkeit, Wörter in Silben zu zerlegen    keit die Benennungsgeschwindigkeit bedeutsamer ist.
oder Reime zu erkennen. Phonologische Bewusstheit im         Frühe Kompetenzen im Bereich der phonologischen
engeren Sinne beschränkt sich dagegen auf das ­Erfassen      Informations­verarbeitung beeinflussen vor allem die
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  Lesegenauigkeit und -geschwindigkeit im Grundschul­          Abenteuer-Reise durch die phonologische Bewusstheit
  alter, während das Leseverstehen stärker durch frühe         (Christiansen, 2005). Das Programm Hören, Lauschen,
  Kompetenzen in der mündlichen Sprache (Wortschatz,           Lernen I wird im letzten Kindergartenhalbjahr etwa zehn
  Grammatik) bedingt wird (von Goldammer, Mähler &             Minuten täglich durchgeführt und enthält Lauschspiele,
  Hasselhorn, 2011).                                           Reimspiele, Spiele zum Zerlegen von Sätzen und Wörtern
                                                               sowie Einheiten zu Silben (Klatschen und rhythmisches
  Die im Kita-Alltag spielerisch angelegte Förderung früher    Sprechen). Ein Schwerpunkt von Hören, Lauschen, Lernen
  phonologischer und schriftsprachlicher Kompetenzen           II (Plume & Schneider, 2004) liegt auf der zusätzli­
  wird in der Elementarpädagogik unter dem noch relativ        chen Vermittlung von Buchstaben-Laut-Verknüpfungen
  jungen Begriff der Förderung von Early Literacy oder         für eine Auswahl besonders häufiger Buchstaben. Beim
  Emergent Literacy zusammengefasst. Hier sind drei ein­       Programm Lobo vom Globo (Metz et al., 2010) werden
  ander ergänzende wesentliche Fördermöglichkeiten, die        zweimal wöchentlich zwölf Wochen lang 24 Einheiten
  auf unterschiedliche Kompetenzbereiche fokussieren, zu       durchgeführt, die neben Reim- und Lautspielen auch
  nennen: 1. die spezifische Förderung der phonologischen      Einheiten zu Textverständnis, Wortschatz und Sprachpro­
  Bewusstheit, 2. Literacy Center und 3. Dialogisches          duktion enthalten. Im Training Wuppis Abenteuer-Reise
  Lesen (vgl. Nickel, 2014).                                   durch die phonologische Bewusstheit (Christiansen,
                                                               2005) werden über einen Zeitraum von ca. 18 Wochen
  1. Förderung der phonologischen Bewusstheit                  täglich Übungen zur Förderung der phonologischen
  Im Kita-Alltag findet die Förderung der phonologischen       Bewusstheit durchgeführt. Durch Übungen wie Lauschen,
  Bewusstheit oftmals alltagsintegriert in Form von Reim-,     Reimen oder Silbenerkennen wird die phonologische
  Rhythmus-, Silben-, Anlaut- und Phonemspielen statt          Bewusstheit im weiteren Sinne angesprochen, durch
  (Phoneme sind die kleinsten bedeutungsunterschei­            gezieltes Heraushören oder Zusammenziehen von Lauten
  denden Einheiten der Sprache: So unterscheiden sich          die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne. Das
  die Bedeutungen der Worte „lagen“ und „nagen“ nur            Ziel des Übungsprogramms ist es, den Schriftspracher­
  aufgrund ihrer Eingangsphoneme (Anfangsbuchstaben)).         werb zu erleichtern. Die Einbettung der Übungen in eine
  In spezifischen Förderprogrammen zur phonologischen          Rahmengeschichte führt außerdem zu einer Verknüpfung
  Bewusstheit werden dagegen bestimmte Spieleinheiten          mit dem breiter angelegten frühen Bildungsbereich Early
  nach einem festen Plan über einen bestimmten Zeitraum        Literacy.
  durchgeführt. Letzteres wird von pädagogischen Fach­
  kräften teilweise als zu starr kritisiert. Unter Umständen   Eine aktuelle Übersichtsarbeit zur Wirksamkeit phonolo­
  erleben sie es als schwierig, die Programme spielerisch      gischer Bewusstheitstrainings im deutschen Sprachraum
  in den Alltag einzubauen und dabei alle Vorgaben genau       führt die Ergebnisse vieler Einzelstudien zusammen
  einzuhalten. Es hat sich allerdings in empirischen Studien   (Fischer & Pfost, 2015). Der Vorteil solcher Über­
  gezeigt, dass ihre Umsetzung für Kinder mit nicht            blicksarbeiten ist, dass nicht nur die Ergebnisse einer
  ohnehin schon altersgemäß entwickelten entsprechenden        einzelnen Arbeitsgruppe zu einem einzelnen Programm
  Fertigkeiten nur dann wirksam sind, wenn sie gemäß der       berücksichtigt werden, sondern dass eine größere Anzahl
  Anleitung durchgeführt werden.                               von Ergebnissen zu verschiedenen Programmen zur
                                                               Förderung phonologischer Bewusstheit einfließen, die
  Die im deutschen Sprachraum bekanntesten Programme           zusammengenommen eine stärkere Aussagekraft haben.
  sind die Würzburger Trainingsprogramme Hören, ­Lauschen      In diese Arbeit wurden die bekanntesten Programme
  und Lernen I und II (Küspert & Schneider, 1999; Plume        (die Würzburger Programme und Lobo vom Globo) ein­
  & Schneider, 2004), das Programm Lobo vom Globo              bezogen und auch mit vereinzelt eingesetzten, weniger
  (Metz, Fröhlich & Petermann, 2010) oder auch Wuppis          bekannten Programmen verglichen. Untersucht wurden
Handreichung: Durchgängige Leseförderung | 7

kurzfristige (bis zu einem Jahr nach Programmende)            wird, um bei den Kindern die Neugier auf das Lesen und
und langfristige Wirkungen (länger als ein Jahr nach          Schreiben zu wecken. Es geht nicht darum, den Kindern
Programmende) auf die phonologische Bewusstheit, die          verfrüht Lesen oder Schreiben beizubringen, sondern
Buchstabenkenntnis sowie auf das Lesen und Schreiben.         ihnen den Bildungsbereich der Schriftlichkeit spielerisch
Das Ergebnis zeigt, dass die geprüften Programme zur          nahezubringen, wie dies in dem eingangs erwähnten
phonologischen Bewusstheit gleichermaßen wirksam sind,        gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung
ihre Wirksamkeit im deutschen Sprachraum jedoch etwas         in Kindertageseinrichtungen vereinbart wurde (KMK &
geringer ist als im englischen Sprachraum und stark von       JFMK, 2004). Bei der konkreten Durchführung eines
der Einstellung der pädagogischen Fachkräfte zu diesem        Literacy Centers lassen sich drei Phasen unterscheiden
Ansatz abhängig ist.                                          (vgl. Reichert-Garschhammer & Kieferle, 2011). Die
                                                              erste Phase dient der Vorbereitung. Hier wird ein Thema
Als Fazit lässt sich festhalten, dass eine frühzeitige För­   festgelegt, das für die Kinder spannend ist und aus ihrem
derung der phonologischen Bewusstheit erfolgen sollte,        Umfeld, den Medien, eigenen Beobachtungen o. ä. stam­
da die Ausprägung früher phonologischer Kompetenzen           men kann. Dieses Thema wird mit den Kindern erkundet,
den Erwerb des Lesens in der Grundschule beeinflusst.         es werden Informationen dazu eingeholt und beispiels­
Um die Wahrscheinlichkeit dafür zu erhöhen, dass die          weise Exkursionen unternommen. In der zweiten Phase,
Durchführung der Förderung qualitativ hochwertig              der Durchführung, spielen die Kinder in Rollenspielen
erfolgt und die Wirksamkeit einer solchen Förderung           u. a. schriftsprachliche Aktivitäten nach, die sie in dem
gegeben ist, ist es sinnvoll, mit Hilfe jener Programme zu    erkundeten Themenbereich beobachtet haben. Dazu wird
fördern, deren Wirksamkeit bereits nachgewiesen werden        eine Umgebung geschaffen, in der Schreibmaterialien
konnte und nicht allein auf alltagsintegrierte phonologi­     zur Verfügung gestellt und die Kinder zu ihrer Nutzung
sche Spiele zu setzen, auch wenn ersteres u. U. mit mehr      angeregt werden, z. B. eine Tierarztpraxis mit Rezeptblock
Aufwand verbunden ist. Bei phonologischen Spielen, die        und Karteikarten für die „Patienten“ und beschrifteten
im Kita-Alltag eingebaut werden, ist die Wirksamkeit          Schildern, z. B. mit dem Aufdruck „Wartezimmer“. Die
bislang nicht bestätigt. Es ist nicht durch Daten belegt,     dritte Phase dient der Reflexion und kann beispielsweise
ob und wie bei welchem Kind welche Art phonologischer         die Kinder dazu anregen, über das Erlebte nachzudenken
Alltagsspiele welche positiven Wirkungen entfalten. Eine      und die gesammelten Schrifterzeugnisse gemeinsam zu
Untersuchung, die im nächsten Abschnitt kurz vorgestellt      sichten.
wird, spricht jedoch bedingt dafür, dass ein Anreichern
mit phonologischen Spielen im Rahmen von Literacy             Literacy Center fördern nicht nur den Gebrauch dekon­
Centern sogar positivere Wirkungen haben kann als ein         textualisierter Sprache, d. h. einer Sprache, die über
Training der phonologischen Bewusstheit allein.               das „Hier und Jetzt“ hinausgeht und dazu dient, einer
                                                              anderen Person beispielsweise ein früheres Erlebnis
2. Literacy Center                                            zu berichten, sondern sie erhöhen auch den Anteil
Beim Literacy Center handelt es sich im Vergleich zu          schriftbezogener Aktivitäten im Alltag der Kinder. Einige
den strukturierten Programmen der phonologischen              Studien weisen nach, dass die themenspezifischen, struk­
Bewusstheit um eine stärker alltagsintegrierte und            turierten Literacy-Handlungen einem allgemeinen Ange­
breiter angelegte Form der Sprachbildung, die 2002            bot von Lese- und Schreibmaterialien überlegen sind
in den USA entwickelt wurde. Im Prinzip lässt sich das        im Hinblick auf die beobachtete Häufigkeit ­spielerischer
Literacy Center als eine Spielumgebung beschreiben,           Lese- und Schreibhandlungen bei Kindern (Morrow,
die einen bestimmten Kontext simuliert (z. B. Post,           2002). Auch in Deutschland wurden positive Effekte
Tierarztpraxis, Restaurant) und bei der schriftsprach­        des Literacy Centers nachgewiesen (Kammermeyer &
liches Material für Rollenspiele zur Verfügung gestellt       Molitor, 2005). Eine Studie zu den Wirkungen der Lite­
8 | BiSS — Bildung durch Sprache und Schrift

  racy Center hat diese zudem mit einem Programm zur          gestellten Fragen unterscheidet (vgl. Kraus, 2005).
  Förderung der phonologischen Bewusstheit verglichen         Während zwei- bis dreijährigen Kindern einfache „W-Fra­
  (Geyer, Hartinger & Kammermeyer, 2015). Die beiden          gen“ gestellt werden (Wer, Was, Wo, Wie), kommen bei
  Förderarten unterschieden sich jedoch in ihrer Dauer, so    vier- bis sechsjährigen Kindern „Weshalb“- und „Warum-
  wurden die Literacy Center neun Monate lang durchge­        Fragen“ dazu, um den Kindern Impulse zum Weiterer­
  führt (also etwa 36 Wochen), während das Trainings­         zählen einer Geschichte oder zum Vervollständigen von
  programm instruktionsgemäß über 20 Wochen, täglich          Sätzen zu geben. Neben der Fragetechnik sind lobende
  10—15 Minuten durchgeführt wurde. Die pädagogischen         Wiederholungen, gezielte Ergänzungen kindlicher Äuße­
  Fachkräfte, die die Literacy Center durchführten, sollten   rungen sowie unterstützende bzw. korrektive Modellie­
  schriftsprachliche Aktivitäten in Alltagssituationen oder   rungen kindlicher Aussagen entscheidende Elemente, die
  Projekten mit der ganzen Kindergartengruppe aufgreifen,     zum Gelingen des Dialogischen Lesens beitragen. Neben
  im Rollenspiel intensivieren und diese darüber hinaus       dieser eher „technischen Seite“ kommt es ebenso darauf
  „mit Spielen zur phonologischen Bewusstheit“ anreichern.    an, die emotional-motivationale Ebene bei der Gestal­
  Diese Kombination aus Literacy Center und Spieleinheiten    tung des Dialogischen Lesens zu berücksichtigen (vgl.
  zur phonologischen Bewusstheit hatte offenbar stärkere      Ennemoser, Kuhl & Pepouna, 2013). Hierbei geht es
  förderliche Wirkungen auf die phonologische Bewusstheit     darum, das Kind für seine Äußerungen zu loben und es
  im engeren Sinne als ein Training zur phonologischen        zu bestärken, an den Interessen des Kindes anzuknüpfen
  Bewusstheit allein (Geyer et al., 2015). Dieser Befund      und die gemeinsamen Buchbetrachtungen insgesamt für
  muss jedoch insofern vorsichtig interpretiert werden, als   die Kinder unterhaltsam zu gestalten.
  sich, wie erwähnt, zum einen die Dauer der Förderung
  von Literacy Center und phonologischem Trainingspro­        Zahlreiche Untersuchungen belegen die Wirksamkeit des
  gramm unterschieden und somit positivere Wirkungen          Dialogischen Lesens hinsichtlich einer Erweiterung des
  des Literacy Center auch durch eine längere Förderdauer     Wortschatzes und des Verständnisses grammatischer
  erklärbar sein könnten und zum anderen die ausgewähl­       Strukturen (vgl. Ennemoser et al., 2013; Ennemoser,
  ten Spiele zur phonologischen Bewusstheit im Literacy       Lehnigk, Hohmann & Pepuona, 2015). Solche positiven
  Center nicht näher bezeichnet wurden. Darüber hinaus        Wirkungen entfalteten sich dann, wenn regelmäßig —
  sind Kinder mit spezifischen Auffälligkeiten im Bereich     idealerweise täglich — gelesen und die Kinder für ihre
  der phonologischen Bewusstheit die Zielgruppen der          Beiträge gelobt wurden. Die Fördererfolge fallen bei
  Würzburger Trainingsprogramme, die von dem Angebot          jüngeren Kindern (zwei bis vier Jahre) größer aus als
  besonders profitieren sollen, was beim Literacy Center      bei älteren und bei Individualförderung größer als bei
  nicht der Fall ist.                                         Kleingruppenförderung.

  3. Dialogisches Lesen                                       Eine erste Studie zur Wirksamkeit Dialogischen Lesens
  Das Dialogische Lesen dient der Förderung von Sprach­       im deutschen Sprachraum bei Vorschulkindern haben
  verständnis, Wortschatz und Sprachflüssigkeit. Im           Ennemoser und Kollegen (2013) mit 45 Migranten­
  Gegensatz zum einfachen Vorlesen wendet die durch­          kindern im Alter zwischen fünf und sechseinhalb Jahren
  führende Person bestimmte Fragetechniken an, wie etwa       durchgeführt. 22 Kinder bekamen als sogenannte Experi­
  offene und ergänzende Fragen. Zudem reagiert sie auf        mentalgruppe eine Förderung nach den Prinzipien des
  kindliche Aussagen in Form von Wiederholungen oder          Dialogischen Lesens, 23 Kinder wurden nach dem übli­
  Erweiterungen und fordert die Kinder auf, Sätze zu          chen Konzept der Vorlaufkurse gefördert. Die Förderung
  vervollständigen oder Geschichten in eigenen Worten         erfolgte in Kleingruppen mit je drei bis fünf Kindern, die
  zu erzählen. Die Fragetechniken richten sich nach dem       an acht Sitzungen zu je einer halben Stunde teilnahmen.
  Alter der Kinder, wobei sich hauptsächlich die Art der      Unter Berücksichtigung des jeweiligen Ausgangsniveaus
Handreichung: Durchgängige Leseförderung | 9

schnitten die nach den Prinzipien des Dialogischen            1. Lesegeschwindigkeit
Lesens geförderten Kinder in einem Sprachtest besser ab       Eine angemessen hohe Lesegeschwindigkeit ergibt sich
als die Kinder der Kontrollgruppe.                            aus einer genauen Worterfassung und einem hohen Grad
                                                              an Automatisierung. Es geht dabei jedoch nicht um das
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Elemen­        Erreichen einer Höchstgeschwindigkeit, da zu schnelles
tarbereich sowohl wirksame alltagsintegrierte Ansätze         Lesen — ebenso wie zu langsames — das Leseverständnis
zur Verfügung stehen, um breitere sprachliche Kom­            beeinträchtigt. Vielmehr sollte eine Mindestgeschwindig­
petenzen, wie Grammatik und Wortschatz zu fördern,            keit beim Lesen erreicht werden, die bei ca. 100 gelese­
nämlich das Dialogische Lesen und die Literacy Center,        nen Wörtern pro Minute liegt (Rosebrock et al., 2011).
als auch spezifische Programme zur Förderung der pho­
nologischen Bewusstheit. Diese Ansätze sollten einander       2. Lesegenauigkeit
ergänzend eingesetzt werden, da gezeigt werden konnte,        Gute Leserinnen und Leser können Wörter zudem genau
dass verschiedene frühe phonologische und schrift­            und korrekt lesen. Wenn sie doch einmal Fehler machen,
sprachliche Kompetenzen jeweils mit unterschiedlichen         bemerken sie dies und korrigieren sich selbst.
Aspekten späterer Lesefähigkeit zusammenhängen.
                                                              Bei schwächeren Leserinnen und Lesern weist fehlerhaf­
                                                              tes (Vor-) Lesen ohne Selbstkorrektur darauf hin, dass
Förderung von Leseflüssigkeit in der                          die Kinder die Wörter beim Lesen nicht korrekt erfas­
­Grundschule                                                  sen und noch nicht in der Lage sind, ihren Leseprozess
                                                              zu „überwachen“. Da durch Lesefehler das Verstehen
                                                              erschwert wird, können Kinder, die noch ungenau lesen,
Im Anschluss an den Erstleseunterricht steht die              oft den Satz- und Textzusammenhang nicht verstehen.
Förderung basaler Lesefertigkeiten, insbesondere der          Erst wenn mehr als 95 Prozent der Wörter eines Textes
Leseflüssigkeit im didaktischen Fokus. Leseflüssigkeit wird   korrekt gelesen werden können, kann er ohne Hilfe
definiert als die Fähigkeit, angemessen schnell, genau,       verstanden werden (nach Rasinski, 2003, in Rosebrock
automatisiert und sinngestaltend zu lesen (Rosebrock,         et al., 2011).
Nix, Rieckmann & Gold, 2011).
                                                              3. Automatisierung
Entsprechend werden vier Teilfertigkeiten der Leseflüssig­    Die Automatisierung des Leseprozesses stellt ­kognitive
keit unterschieden:                                           Ressourcen für das komplexere Textverstehen zur
1. Lesegeschwindigkeit,                                       Verfügung. Bei geübten Leserinnen und Lesern benö­
2. Lesegenauigkeit,                                           tigt das Erkennen der Wörter nur noch wenig mentale
3. Automatisierung sowie                                      Aufmerksamkeit. Der Zugriff auf die Wortbedeutungen
4. prosodische Segmentierungsfähigkeit.                       erfolgt bei ihnen überwiegend automatisiert. Zögerliches
                                                              bzw. stockendes Lesen deutet dementsprechend darauf
Im Folgenden werden sie genauer beschrieben.                  hin, dass Kinder noch nicht automatisiert lesen, sondern
                                                              dem Erkennen von Buchstaben bzw. Worten noch viel
                                                              Aufmerksamkeit widmen müssen.

                                                              4. Prosodische Segmentierungsfähigkeit
                                                              Gute Leserinnen und Leser können nicht nur angemessen
                                                              schnell und korrekt lesen, sondern auf Satz- und lokaler
                                                              Textebene auch betont und sinngestaltend laut lesen.
10 | BiSS — Bildung durch Sprache und Schrift

   An der Betonung, Intonation und Pausengestaltung ist          Lesetandem. Die Zuordnung kann beispielsweise auf
   zu erkennen, ob die Kinder die im Satz zusammenhän­           Grundlage der Ergebnisse des Lautleseprotokolls erfol­
   genden Wörter und Einheiten erfassen und beim Lesen           gen (siehe Seite 22). Das lesestärkere Kind dient beim
   als zusammengehörig kennzeichnen können. Wird ein             chorischen, gemeinsamen Lesen eines Textes als Lese­
   Text hingegen Wort für Wort erlesen und nicht sinnbe­         modell und korrigiert als Tutorin bzw. Tutor nach vorher
   zogen betont, deutet dies darauf hin, dass die Kinder         besprochenen Regeln Lesefehler der Tutandin bzw. des
   die Bedeutung der aufeinanderfolgenden Wörter und             Tudanden. Wird deren bzw. dessen Lesen flüssiger, setzt
   Satzteile nicht adäquat miteinander in Beziehung setzen       die Tutorin bzw. der Tutor so lange aus, bis das lese­
   können (vgl. Rosebrock et al., 2011).                         schwächere Kind erneut einen Fehler macht. Das Ver­
                                                                 fahren sollte so lange mit demselben Text durchgeführt
   Wie aus den Beschreibungen der Teilfertigkeiten der           werden, bis die Schülerinnen und Schüler ca. 100 Wörter
   Leseflüssigkeit hervorgeht, lassen diese sich bereits durch   pro Minute flüssig lesen können und nicht mehr als zwei
   individuelles Vorlesen relativ gut einschätzen. Es stehen     sinnentstellende Fehler je 100 Wörter machen (Rose­
   jedoch auch einige schnell und leicht durchzuführende         brock et al., 2011). Lautlesetrainingseinheiten sollten 15
   Verfahren zur Verfügung (z. B. das Lautleseprotokoll),        bis 20 Minuten dauern und mindestens acht Wochen lang
   mit denen die jeweiligen Fertigkeiten genauer erfasst und     regelmäßig mehrmals in der Woche durchgeführt werden.
   individuelle Ausgangslagen als Basis für die Förderung        Sie lassen sich aufgrund ihrer Kürze gut in Einheiten des
   erhoben werden können.                                        Deutsch-, aber auch des Fachunterrichts integrieren, wo
                                                                 sie neben dem Training der Leseflüssigkeit dazu genutzt
   Für die unterrichtsintegrierte Förderung der Leseflüs­        werden können, das Leseverstehen von Fachtexten zu
   sigkeit lassen sich derzeit zwei methodische Zugänge          unterstützen.
   unterscheiden (vgl. Rosebrock et al., 2011):
                                                                 Lautleseverfahren, insbesondere Lautlesetandems, sind
   1. Lautleseverfahren, die durch angeleitete Trainings         eine Fördermethode, die theoretisch begründet, unter­
   unmittelbar auf die Verbesserung der Leseflüssigkeit          richtspraktisch erprobt und zudem auch nachgewiesen
   abzielen,                                                     wirksam ist. In der angloamerikanischen Leseforschung
                                                                 wurde die Wirksamkeit von Lautleseverfahren in den
   und                                                           letzten vier Jahrzehnten wiederholt nachgewiesen (z. B.
                                                                 Kuhn & Stahl, 2003; Meyer & Felton, 1999; Therrien,
   2. Vielleseverfahren, bei denen es allgemein um die           2004). Auch für den deutschsprachigen Raum — in
   Steigerung des Lesepensums sowie die Förderung der            dem Lautleseverfahren erst seit einigen Jahren Eingang
   Lesemotivation durch freie Lesezeiten im Unterricht geht.     in die Unterrichtspraxis gefunden haben — konnte die
                                                                 Wirksamkeit von Lautleseverfahren für die Förderung der
   1. Lautleseverfahren                                          Leseflüssigkeit, aber auch des Leseverstehens wiederholt
   Lautleseverfahren zeichnen sich durch das wiederholte         nachgewiesen werden (Lauer-Schmalz, Rosebrock &
   Trainieren des (halb-)lauten Vorlesens von kurzen Texten,     Gold, 2014; Nix, 2011; Rosebrock et al., 2011).
   meist in kooperativen Lernsettings, aus. Wesentlich bei
   der Durchführung ist, dass alle Schülerinnen und Schüler      Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Wirksamkeit
   im Unterricht (halb-)laut lesen. So werden die kogniti­       von Lautleseverfahren nicht unabhängig ist von der
   ven Teilprozesse des Lesens und die damit verbundenen         Beschaffenheit der verwendeten Texte. Die Schwierig­
   Schwierigkeiten — im Gegensatz zum stillen Lesen —            keitsgrade der Texte sollten sich an den Lesefähigkeiten
   überprüfbar. Idealerweise bilden bei Lautleseverfahren        der Kinder orientieren. Für die unterrichtsintegrierte
   ein leseschwaches und ein lesekompetenteres Kind ein          Umsetzung von Lautleseverfahren sollte daher ein
Handreichung: Durchgängige Leseförderung | 11

Repertoire von Übungstexten mit unterschiedlichen           verfahren ist die Sicherstellung der Durchführung des
Schwierigkeitsniveaus vorliegen, damit die Kinder weder     Leseprozesses. Vielleseverfahren hingegen können durch
über- noch unterfordert sind. Beides könnte sich negativ    freie Lesezeiten und die selbstständige Auswahl der
auf die Wirksamkeit des Verfahrens sowie die Motivation     Lektüre die Lesemotivation der Schülerinnen und Schüler
der Kinder auswirken. Möglichkeiten zur Auswahl bzw.        eventuell besser steigern. Der Fokus der Leseförderung
Anpassung geeigneter Texte sind im Buch „Leseflüssigkeit    sollte erst dann auf komplexere Lese- und Verstehens­
fördern: Lautleseverfahren für die Primar- und Sekundar­    prozesse gerichtet werden, wenn die Schülerinnen und
stufe“ von Rosebrock und Kolleginnen (2011) beschrie­       Schüler hinreichend flüssig lesen können.
ben (siehe Seite 42).

2. Vielleseverfahren                                        Erfolgreiche Lesestrategien für Kinder und
Im Gegensatz zu den Lautleseverfahren basieren die          Jugendliche
Vielleseverfahren auf dem Ansatz, dass Lesen selbst
einen positiven Einfluss auf die Entwicklung der Lese­
kompetenz hat, da die Leseflüssigkeit vor allem durch       In der Sekundarstufe I verlagert sich der Schwerpunkt
Leseübung gefördert wird. Der Kern dieses Ansatzes          der Leseförderung auf die Vermittlung von Lesestrate­
besteht darin, dass das individuelle Lesepensum erhöht      gien. Lesestrategien sind „mentale Werkzeuge“, die dem
wird, indem ein bestimmtes Zeitkontingent im Unterricht     Textverständnis dienen und zu den Lernstrategien
festgelegt wird (z. B. ca. 20 Minuten, ca. 3—4 Mal pro      gehören (vgl. Philipp 2015; Rosebrock et al., 2011). Bei
Woche), das für die Lektüre von selbst gewählten Texten     der Unterscheidung von hierarchieniedrigen und hierar­
und Büchern zur Verfügung steht. Um die Motivation der      chiehöheren Leseprozessen werden Lesestrategien — im
Kinder aufrecht zu erhalten, sind mit dem Lesen im Rah­     Gegensatz zur Leseflüssigkeit — im zweiten Bereich
men des Vielleseverfahrens keine Vorgaben zu Art und        verortet (Philipp & Schilcher, 2012). Dass die Kinder bei
Qualität der Texte und auch keine Aufgabenstellungen        Eintritt in eine weiterführende Schule flüssig lesen
verbunden. Somit findet jedoch auch keine Überprüfung       können, sollte jedoch nicht stillschweigend vorausge­
des Leseprozesses statt. Es ist daher nicht auszuschlie­    setzt, sondern überprüft werden. Kann ein Kind noch
ßen, dass insbesondere leseschwache Schülerinnen und        nicht schnell genug oder fehlerfrei lesen, muss auch in
Schüler die freien Lesezeiten als frustrierend empfinden,   der Sekundarstufe die Leseflüssigkeit weiterhin gefördert
wenn sie nicht beim Lesen der Texte unterstützt werden.     werden, statt den alleinigen Fokus auf die Lesestrategien
Studien zur Wirksamkeit von Vielleseverfahren kommen        zu setzen.
bisher nicht zu eindeutigen Ergebnissen (vgl. NICHD,
2000). Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass Viellesever­    Lesestrategien sind durch verschiedene Merkmale
fahren dann effektiv sind, wenn die Lehrkräfte die Kinder   gekennzeichnet: Sie werden zielgerichtet und mit
bei der Auswahl der Texte, beim Lesen selbst und nach       Absicht eingesetzt, um sich einen Text zu erschließen,
der Lektüre durch die Reflexion des Gelesenen begleiten     sind erlernbar und können im Unterricht vermittelt und
und unterstützen.                                           trainiert werden. Bei häufigem Gebrauch werden sie mit
                                                            der Zeit automatisiert, d. h. man benutzt sie, ohne es sich
Die Integration regelmäßiger Leseübungen sollte ein         bewusst zu machen (vgl. Bönnighausen & Winter, 2012;
zentrales Element der Förderung der Leseflüssigkeit im      Philipp, 2015). Es gibt eine Vielzahl von Lesestrategien,
Primarbereich sein. Die beiden methodischen Ansätze —       wobei die einzelnen Strategien sich miteinander kom­
Lautlese- und Vielleseverfahren — sind keine konkurrie­     binieren lassen und sich ergänzen können, sodass eine
renden Maßnahmen, sondern im Rahmen des Unterrichts         Leserin oder ein Leser jeweils auswählen muss, welche
gut kombinierbar. Ein deutlicher Vorteil der Lautlese­      Strategien bei einem Text zum Einsatz kommen. Um ein
12 | BiSS — Bildung durch Sprache und Schrift

   bestimmtes lesebezogenes Ziel zu erreichen, können         eines Textes, das Unterstreichen, Erstellen von Randno­
   mehrere Lesestrategien gleichzeitig oder in verschiede­    tizen oder eines Schaubilds ebenso wie das Aktivieren
   nen Schritten genutzt werden (Philipp, 2015).              von Vorwissen, das Klären unbekannter Wörter und
                                                              Begriffe oder das Vorhersagen weiterer Textinhalte.
   Kompetente Leserinnen und Leser zeichnen sich dadurch      Kognitive Strategien vertiefen das Textverständnis und
   aus, dass sie verschiedene Lesestrategien kennen und sie   verknüpfen neues und vorhandenes Wissen, z. B. wenn
   anwenden können. Sie müssen wissen, welche Einsatz­        Vorwissen aktiviert, ein Schaubild zu einem Text erstellt
   möglichkeiten eine Strategie hat und welche Alternativen   oder Hypothesen über den weiteren Verlauf des Textes
   sich bieten. Zusätzlich steuern sie ihren Leseprozess      gebildet werden.
   und überprüfen immer wieder, ob sie ihr lesebezogenes
   Ziel erreicht haben. Es zeigt sich, dass leseschwächere    Metakognitive Lesestrategien stehen dagegen in engem
   Schülerinnen und Schüler weniger Lesestrategien kennen     Zusammenhang mit der Fähigkeit, selbstreguliert zu
   und nutzen als kompetente Leserinnen und Leser, die        lernen. Sie gewährleisten, dass Leserinnen und Leser
   aus einer größeren Anzahl von Strategien auswählen, um     ihren Lese- und Verstehensprozess gezielt planen — z. B.
   sich einen Text zu erschließen (Philipp, 2013; Philipp &   indem sie die Aufgabe analysieren und entsprechende
   Schilcher, 2012). Voraussetzung für den Einsatz von        Strategien auswählen —, ihn während des Lesens kontrol­
   Lesestrategien ist neben dem dargestellten Wissen aber     lieren und steuern sowie am Ende überprüfen, ob sie ihr
   auch die Bereitschaft und Motivation, mit den Strategien   lesebezogenes Ziel erreicht haben. Das kann geschehen,
   zu arbeiten. Dafür muss eine Leserin oder ein Leser von    indem sie auf Verständnisschwierigkeiten achten und ggf.
   ihrem Nutzen überzeugt sein.                               eine andere oder zusätzliche Strategie auswählen, wenn
                                                              sie ihr Ziel nicht erreichen.
   Arten von Lesestrategien
   Einige Lesestrategien werden vorbereitend vor dem Lesen    Stützstrategien unterstützen das Lesen indirekt. Sie
   eines Textes eingesetzt, z. B. wenn man sich Bilder oder   beziehen sich auf das eigene Verhalten und die Moti­
   andere visuelle Informationen zunutze macht, um erste      vation, die z. B. durch eingeplante Belohnungen erhöht
   Hypothesen zum Inhalt des Textes zu formulieren. Andere    werden kann. Zeitmanagement aber auch eine Hilfe von
   kommen während des Lesens zum Einsatz, beispiels­          anderen Personen oder die Nutzung von Bibliotheken
   weise wenn man mit Randnotizen oder Unterstreichun­        oder ähnlichen Ressourcen gehören zu diesen Strategien.
   gen arbeitet. In der Phase nach dem Lesen lassen sich
   wiederum Strategien nutzen bei denen z. B. unbekannte      Zielgruppe
   Wörter nachgeschlagen werden. Auch muss die Leserin        Die Einführung der Strategien ist dann sinnvoll, wenn die
   oder der Leser beurteilen, ob sie oder er das eigene       Wort- und Satzerkennung bereits automatisiert abläuft.
   Leseziel erreicht hat, welche Ursachen für den Erfolg      Das bedeutet, dass die Schülerinnen und Schüler flüssig
   bzw. Misserfolg des Vorgehens infrage kommen und           lesen können. Außerdem müssen sie die entwicklungs­
   welche weiteren Schritte ggf. anzuschließen sind (vgl.     psychologischen Voraussetzungen dafür mitbringen,
   Philipp & Schilcher, 2012).                                ihren Leseprozess zu planen und strategieorientiert
                                                              vorzugehen. Lesestrategien werden daher ungefähr ab
   Darüber hinaus lässt sich nach kognitiven und meta­        Ende der dritten Grundschulklasse eingesetzt, für För­
   kognitiven Strategien sowie Stützstrategien unter­         derprogramme empfehlen Gold, Trenk-Hinterberger und
   scheiden (Philipp & Schilcher, 2012): Kognitive            Souvignier (2009) ein Alter von zehn bis zwölf Jahren.
   Lesestrategien helfen dabei, Informationen im Text zu      Die Vermittlung von kognitiven und metakognitiven
   organisieren, zu verarbeiten, zu behalten und Textstruk­   Lesestrategien hat sich als wirksame Fördermaßnahme
   turen zu nutzen. Dazu gehören das wiederholte Lesen        erwiesen (Philipp, 2013), von der alle Schülerinnen und
Handreichung: Durchgängige Leseförderung | 13

Schüler profitieren können. Einige Studien haben auch die     schiedenen Strategien zugrunde liegen. Durch das laute
Gruppe der schwächeren Leserinnen und Leser sowie der         Aussprechen ihrer Gedanken und Überlegungen erleben
Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Zweitsprache         die Schülerinnen und Schüler, wie auch eine erfahrene
untersucht. Für beide Gruppen konnten positive Effekte        Leserin bzw. ein erfahrener Leser beim Lesen einen
von Lesestrategietrainings nachgewiesen werden (ebd.).        Problemlöseprozess durchläuft und dabei verschiedene
                                                              Strategien zu Rate zieht und ggf. wieder verwirft.
Vermittlung von Lesestrategien
Lesestrategien müssen gelernt werden. Es gibt einige          Nach der Einführung und Auseinandersetzung mit den
Prinzipien, die bei der Einführung und Vermittlung            Lesestrategien muss ihr Einsatz intensiv an unter­
beachtet werden sollten, um eine wirksame Förderung           schiedlichen Texten geübt werden. Anfangs sollte dieser
sicherzustellen. Die Lesestrategien müssen explizit im        Prozess stark angeleitet werden, sodass die Schülerinnen
Unterrichtsgespräch vermittelt werden (vgl. Schneider         und Schüler noch nicht die volle Verantwortung für
et al., 2013), da insbesondere schwächere Schülerinnen        die Anwendung der Strategien übernehmen, sondern
und Schüler sie sich in der Regel nicht allein im Rahmen      z. B. in kooperativen Arbeitsformen üben oder Strate­
der eigenen Textarbeit implizit aneignen können. Wenn         giekarten als Hilfsmittel nutzen (vgl. Philipp, 2015).
neue Lesestrategien im Unterricht erlernt werden, tritt       Nach und nach können die Schülerinnen und Schüler
häufig nicht direkt eine Leistungssteigerung auf, sondern     zu selbstständigeren Übungsformen übergehen bis hin
die Leseleistungen verschlechtern sich zeitweilig, weil die   zu einem unabhängigen Üben. Es muss bei der Planung
Strategien noch nicht richtig angewendet werden, aber         also berücksichtigt werden, dass der Erwerb von Lese­
kognitive Ressourcen in Anspruch nehmen. Das kann für         strategien bis hin zu einer selbstregulierten, effizienten
die Schülerinnen und Schüler demotivierend sein. Die          Anwendung Zeit braucht.
Lehrkraft sollte darauf vorbereitet sein und gegensteuern,
z. B. durch das Vereinbaren von realistischen Zielen mit      Lesestrategietrainings
den Schülerinnen und Schülern oder indem gemeinsam            Lesestrategien sind insgesamt ein gut erforschter und
überlegt wird, wie mit Schwierigkeiten in der Umsetzung       wirksamer Ansatz, für den eine Vielzahl von Förder­
der Strategien umzugehen ist (Philipp, 2015).                 programmen und -instrumenten zur Verfügung steht.
                                                              Ergebnisse zu einzelnen Strategien liegen jedoch kaum
Zur Vermittlung von Lesestrategien gehört es auch,            vor, da normalerweise mehrere Lesestrategien gemein­
Nutzen und Einsatzmöglichkeiten darzulegen und in der         sam zum Einsatz kommen (Philipp, 2015). Auch gibt
Klasse zu diskutieren. Da Lesestrategien bewusst ein­         es neben den reinen Strategietrainings kombinierte
gesetzt werden, ist es notwendig, dass die Schülerinnen       Programme, bei denen Leseflüssigkeit, Lesestrategien
und Schüler die Vorteile, die sich durch das Anwenden         und Lesemotivation verbunden werden, wie z. B. Wir
einer Strategie ergeben, auch für sich erkennen. Nur          werden Textdetektive (siehe Seite 28). Für beide Typen
unter dieser Voraussetzung greifen sie auch beim eigen­       von Fördermaßnahmen — reine Strategieförderung oder
ständigen Lesen auf ihr Strategiewissen zurück.               kombinierte Programme — finden sich in der Forschung
                                                              positive Effekte. Kombinierte, komplexe Trainings stellen
Die Methode des Lauten Denkens, bei dem die Lehrkraft         jedoch hohe Anforderungen an die Lehrkraft und müssen
als Modell fungiert, hat sich für die Vermittlung von         daher entsprechend sorgfältig und umfassend, möglichst
Lesestrategien in der Praxis bewährt. Die Lehrkraft ver­      durch eine Schulung, vorbereitet werden. Denn eine
balisiert dabei an einem Beispieltext, was ihr durch den      fachgerechte Umsetzung dieser Programme ist Voraus­
Kopf geht und wie sie beim Lesen des Textes vorgeht.          setzung für die erfolgreiche Steigerung der Lesekompe­
Zudem kommentiert sie ihr Vorgehen und ermöglicht der         tenz der Schülerinnen und Schüler.
Klasse, auch die Absichten zu erkennen, die den ver­
14 | BiSS — Bildung durch Sprache und Schrift

   Da es mittlerweile eine sehr große Anzahl von Verfahren         konnte. Langzeitstudien zeigen, dass frühe phonologi­
   zur Förderung von Lesestrategien gibt, kann an dieser           sche und schriftsprachliche Kompetenzen, die die Kinder
   Stelle keine Übersicht gegeben werden. Stattdessen              bereits vor Eintritt in die Schule erwerben, Teilbereiche
   wird für die Sekundarstufe I exemplarisch ein Programm          der ­späteren Lesekompetenz beeinflussen. Eine frühe
   dargestellt, das bereits empirisch überprüft wurde und          Förderung kann somit auch langfristig positive Wirkungen
   dessen Wirksamkeit nachgewiesen werden konnte.                  erzielen. Die Förderung früher phonologischer und schrift­
                                                                   sprachlicher Kompetenzen wird hierbei meist in den Alltag
   Reziprokes Lehren — ein Beispiel                                der Kita integriert. Bewährt haben sich dabei L­ iteracy
   Reziprokes Lehren (reciprocal teaching) ist ein reines          Center und Dialogisches Lesen. Für die Förderung der
   Strategietraining, in dem einzelne Lesestrategien vermit­       phonologischen Bewusstheit haben sich bislang vor allem
   telt werden. Das Programm kommt ursprünglich aus dem            strukturierte Trainingsprogramme als wirksam erwiesen.
   englischsprachigen Raum (Palincsar & Brown, 1984,
   zitiert nach Artelt et al., 2007) und wurde für die Klas­       In der Primarstufe steht die Entwicklung der Leseflüs­
   senstufe 7 entwickelt. Den Schülerinnen und Schülern            sigkeit im Vordergrund, die durch Lautleseverfahren
   sollen damit vier Lesestrategien vermittelt werden:             erfolgreich gefördert und verbessert werden kann.
   (1) Fragen an den Text stellen, (2) Text zusammen­              Vielleseverfahren oder Maßnahmen zur Motivationsstei­
   fassen, (3) Wortbedeutungen oder unklare Textstellen            gerung erreichen dagegen oft nur die lesestarken Kinder.
   klären, (4) Vorhersagen treffen. Die Vermittlung dieser
   vier Strategien erfolgt nach der Methode des lauten             Der Schwerpunkt der Förderung verlagert sich ab Ende
   Denkens. Zunächst übernimmt die Lehrkraft die Rolle des         der Grundschulzeit allmählich hin zur Vermittlung von
   Modells und erläutert, wie sie die Strategie anwendet.          Lesestrategien und zur Förderung des selbstregulierten
   In der Folge arbeiten die Schülerinnen und Schüler in           Lesens. Es ist jedoch wichtig, auch in der Sekundarstufe
   Kleingruppen zusammen, wobei je eine Schülerin oder ein         noch zu überprüfen, ob die Schülerinnen und Schüler
   Schüler die Rolle der Lehrkraft übernimmt und mit einem         schon ausreichend flüssig lesen, da die Teilfertigkeiten
   Gruppenmitglied die Strategie an einem Sachtext übt.            und -fähigkeiten des Lesens aufeinander aufbauen. Ist
   Nacheinander übernehmen verschiedene Schülerinnen               dies nicht der Fall, muss auch bei älteren Kindern und
   und Schüler die Lehrerrolle (Philipp, 2013). Das Rezi-          Jugendlichen erst die Leseflüssigkeit erhöht werden,
   proke Lehren wurde bereits verschiedentlich angepasst           bevor Strategietrainings eingesetzt werden. Bei der
   und zeigte bei unterschiedlichen Altersstufen positive          Vermittlung von Lesestrategien sollten die skizzierten
   Resultate sowohl für Kinder ab der Klasse 4 als auch für        Prinzipien berücksichtigt werden, um zu einem selbst­
   jugendliche und erwachsene Leserinnen und Leser (Artelt         regulierten Lesen anzuleiten. Ziel ist, dass sich die
   et al., 2007).                                                  Schüler­innen und Schüler über die drei Bildungsetappen
                                                                   hinweg durchgängig zu kompetenten Leserinnen und
                                                                   Lesern entwickeln.
   Fazit

   Insgesamt handelt es sich bei der Leseförderung um
   einen Bereich der Sprachbildung, der durchgängig von der
   frühen kindlichen Bildung bis zur Sekundarstufe relevant
   ist. Da sie bereits relativ intensiv erforscht wurde, gibt es
   eine Reihe von Förderkonzepten und -instrumenten, deren
   erfolgreiche Umsetzung empirisch nachgewiesen werden
Handreichung: Durchgängige Leseförderung | 15

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