Editorial - Kultur Natur Deutschfreiburg (KUND)

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Editorial - Kultur Natur Deutschfreiburg (KUND)
Juli 2021
                                                                                          N° 36

                            FREIBURGER
                            NOTIZEN
Editorial

 Liebe Mitglieder von Kultur Natur
­Deutschfreiburg KUND
 Liebe Leserinnen und Leser

Und wieder ist ein Jahr vergangen seit dem
Erscheinen des letzten Heftes der Freiburger
Notizen. Ein Jahr, welches von einem Thema
dominiert war: der COVID-19-Pandemie.
Nichts mehr war normal, nie wusste man mit        auch als Chance, neue Prioritäten zu setzen.
Sicherheit, was am folgenden Tag noch mög-        Wir denken, dass wir mit dem Schwerpunkt-
 lich war und welche neuen Restriktionen er-      thema des Hefts einige neue Aspekte in die
griffen werden mussten, um das Virus mög-        «endlose Diskussion» bringen können, und
lichst bald in den Griff zu bekommen – vorerst    sind gespannt auf Ihre allfälligen Rück­
mit einem gewissen Erfolg, auch wenn wir          meldungen. Für die Redaktion dieses Hefts
vermutlich noch lange nicht über den Berg        ­zeichnet übrigens erstmals unser Vorstands-
sind. Mittlerweilen dürften alle Impfwilligen     mitglied Jean-Claude Goldschmid verant-
auch geimpft sein und hat sich eine gewisse       wortlich, nachdem der langjährige Redaktor
neue Normalität eingestellt. Auch wir kommen      Karl Fäh an der Mitgliederversammlung vom
um das Thema nicht herum. In Gesprächen           26. September 2020 in Flamatt aus dem Vor-
mit dem Oberamtmann des Sensebezirks, mit         stand verabschiedet und zum Ehrenmitglied
einem Förster und mit den Gründern eines         ernannt worden ist.
Startups werfen wir einen Blick auf die Situa-
tion der Menschen und auch der Natur in          Auch an unserem Vereinsleben ging die Pan-
Deutschfreiburg. Zudem wagen wir einen            demie natürlich nicht spurlos vorüber, ganz
­historischen Vergleich mit der Spanischen        im Gegenteil: einen Grossteil unserer Veran-
Grippe vor 100 Jahren und mit der Pest im         staltungen mussten wir absagen bzw. auf
Mittelalter. Weiter lassen wir in zahlreichen    ­einen späteren Zeitpunkt verschieben. Umso
 kurzen Texten verschiedene Personen zu           mehr freut es mich, dass wir die Publikation
Wort kommen, wie sie die Pandemie erlebt         «Freiburg/Fribourg – 50 Trouvaillen/Trouvailles»
 haben, als bedrückende Einschränkung, aber       als Band 84 der «Deutschfreiburger Beiträge
Editorial - Kultur Natur Deutschfreiburg (KUND)
Editorial

zur Heimatkunde» rechtzeitig für die warme          geplanten Rahmen durchführen können –
Jahreszeit herausgeben und Ihnen, liebe Mit-        das neue Vereinsjahr 2021/22 in Angriff; der
glieder, wie üblich kostenlos zustellen konnten.    Artikel «KUND bei den Harzern» des Am-
Und falls Sie, liebe Leserin, lieber Leser, nicht   manns soll euch für den Besuch in Giffers
KUND-Mitglied sind, können Sie den handli-          «gglùschtig» machen. Schlag auf Schlag fol-
chen Stadtführer bei uns (info@kund.ch),            gen dann ab Oktober 2021 verschiedene
  beim Zytglogge-Verlag oder im Buchhandel          interessante Veranstaltungen, am 24. No­
                                                    ­
  für CHF 26.– erwerben. Und günstig erwer-         vember 2021 eine weitere Lesung in unserer
  ben können Sie auch zahlreiche unserer            Erfolgsserie «Va Gschücht zù Gschücht» und
 ­früheren Publikationen. Gern verweise ich Sie     am 14. Januar 2022 die wegen Corona um ein
auf den Artikel «Unsere Publikationen – eine        Jahr verschobene Verleihung des Deutsch-
­wahre Fundgrube» in diesem Heft.                   freiburger Kulturpreises.

Aber nicht nur die Pandemie hat uns beschäf-        Was sonst noch alles gelaufen oder geplant
  tigt. Geärgert haben wir uns über die mut­lose    ist, finden Sie auf unserer Homepage www.
 Haltung der konstituierenden Versammlung           kund.ch, so auch meinen ausführlichen Jah-
  für ein mögliches künftiges Grossfreiburg. Mit    resbericht für das Vereinsjahr 2020/21.
einer fadenscheinigen Begründung lehnt es
diese ab, die künftige Gemeinde amtlich als         Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre
zweisprachig zu bezeichnen. Vielmehr wolle          der Freiburger Notizen und freue mich, zu-
man, wie das in der Stadt Freiburg heute prak-      sammen mit Ihnen das fünfte Vereinsjahr von
  tiziert werde, einen pragmatischen Umgang         KUND in Angriff zu nehmen und Sie hoffent-
mit der Zweisprachigkeit pflegen. Was in            lich am 25. September 2021 an der Mitglieder-
­Courtepin auch ohne kantonales Sprachen-           versammlung in Giffers begrüssen zu dürfen.
gesetz seit 20 Jahren problemlos möglich ist –
nämlich die amtliche Zweisprachigkeit – soll,              ■ Franz-Sepp Stulz, Präsident Kultur
auch aus verfassungsrechtlichen Gründen,                          Natur Deutschfreiburg KUND
nicht möglich sein. Man kann sich des Ver-
dachts nicht erwehren, dass die rechtlichen
Gründe bloss vorgeschoben werden, um die
  französischsprechende Mehrheit nicht zu ver-
unsichern und um der Fusion nicht zusätz­
  liche Steine in den Weg zu legen. Wäre die
 Stadt Freiburg bereits vor Jahren dem Bei-
 spiel von Courtepin gefolgt, wer weiss, ob sich
die Frage heute gar nicht erst stellen würde?
Und der (zweisprachige) Kanton hätte eigent-
  lich längstens dafür sorgen müssen, dass
 ­seine Hauptstadt amtlich zweisprachig ist.

Mit ungebrochenem Elan nehmen wir nun
mit der Mitgliederversammlung vom 25. Sep-
tember 2021 in Giffers – die wir hoffentlich im

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Oberamt                                                                          Manfred Raemy

«Wir haben fast eine                               ren. Vorausschauend etwas zu planen war
                                                   ­unmöglich – es ging stets nur um stetige
­verlorene Generation»                              Brandbekämpfung.

                                                     Dann kam die Zeit des ersten Lockdowns,
 Manfred Raemy, Oberamtmann                          im März 2020. Wie war das bei Ihnen auf
des Sensebezirks, schildert im                     dem Oberamt? Mussten Sie da vom einen
­Interview mit den «Freiburger Notizen»,            auf den anderen Tag schliessen?
                                                   Bei uns war das Oberamt während der gan-
 wie er die COVID-Zeit im Oberamt
                                                   zen Lockdown-Phase immer offen. Ganz
erlebt hat.
                                                   ­wenig Homeoffice war möglich. Denn un­sere
                                                   Arbeit erfordert sehr viel Präsenz. Wenn ich
                                                   2000 Strafbefehle pro Jahr habe, kann ich die
 Wann haben Sie das erste Mal vom                  nicht elektronisch signieren. Ich brauche je-
 COVID-Virus gehört? Können Sie sich               mand, der sie vorbereitet, und dann müssen
 noch daran erinnern?                              sie eingeschrieben verschickt werden. Diese
 Manfred Raemy: Ja, das war relativ früh im        ganze handwerkliche Arbeit im Oberamt ist
 Jahr 2020. Ich organisiere in der wenigen Frei-   nötig. Wir hatten zu diesem Zweck Teams ge-
 zeit, die mir als Oberamtmann bleibt, sechs         bildet – und diese auch auseinandergenom-
 Dartsturniere pro Jahr. Dabei habe ich schon      men, damit wir ein Backup hätten, falls
 anfangs des letzten Jahres von diesem Virus        ­jemand ausfällt – so dass die Präsenz auf-
gehört. Zuerst hiess es, das beschäftige uns       rechterhalten wird.
 nicht, und das sei kein Problem. Aber dann
 machten wir uns im Januar schon entspre-          War die Weiterarbeit dann gut möglich –
chende Gedanken. Das Turnier im Februar              im Rahmen der Schutzbestimmungen?
 konnten wir dann noch durchführen. Aber ab        Das war gut. Ich habe mit meinen sieben
 März war es dann wegen dem Lockdown               ­Mitarbeitenden hierfür die Büroräumlichkei-
 nicht mehr möglich. Im Oberamt tauchte das          ten anders aufgeteilt und etwa auch unser
Thema etwa gleichzeitig auf, wurde aber             ­Sitzungszimmer als Büro mit zwei Arbeits­
­zunächst nicht als Problem wahrgenommen.          plätzen genutzt – um unser Grossraumbüro
 Überhaupt wurde Corona schweizweit zu-            zu entlasten. Unsere Juristen hingegen haben
 nächst nicht als Gefahr wahrgenommen.               teilweise im Homeoffice gearbeitet.

Hatte man sich auf Stufe Oberamt auf so            Wie haben Sie die COVID-Zeit privat erlebt?
ein Szenario der Pandemie vorbereitet?             Einerseits fielen von heute auf morgen sämt-
Wir haben natürlich in unserem Notfallkon-         liche Veranstaltungen wie etwa Generalver-
zept so einen Epidemienplan – aber nicht auf       sammlungen weg. Die Wochenenden sind
Stufe Oberamt, sondern auf Stufe Kanton und        dadurch entspannter; auch hatte ich am
auf Stufe Bund. Die Realität ist zudem immer       Abend weniger Sitzungen. Doch ich habe das
anders als es im Lehrbuch aussieht. Die Be-        Gefühl, dass die Präsenz insgesamt doch
hörden wurden generell völlig überrumpelt          grös­ser als vorher war; dies, weil sich einfach
von der Geschwindigkeit dieses Ereignisses         überall Baustellen befanden, wo man löschen
und waren eigentlich immer nur am Reagie-          musste. Wir Oberamtmänner waren a      ­ ufgeteilt

                                                                                                   3
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Oberamt                                                                         Manfred Raemy

 in verschiedenste kantonale Gruppen. Wäh-         deten. Und dann kamen sehr viele andere
rend der ersten Welle habe ich dabei die            Dinge dazu, die in keinem Lehrbuch drin­
Gruppe für schulische und ausserschulische          stehen. ­Unter anderem wurde in der Ober-
Betreuung präsidiert. Dabei ging es um alle         amtmänner-Konferenz diskutiert, dass man
Massnahmen rund um die Organisation des             versucht, mit den Gemeinden alle über
Unterrichts, des Fernunterrichts sowie der          60-jährigen Menschen zu kontaktieren und
­Betreuung jener Kinder, für die es keine Alter-    zu fragen, ob bei ihnen alles in Ordnung ist.
nativlösungen gab, weil die Eltern arbeiten         Denn während dem ersten Lockdown muss-
mussten, die beispielsweise in den sogenann-        ten jene Menschen zuhause bleiben. Da
 ten Blaulichtberufen tätig waren. Da waren        ging es auch schlicht um die Frage, ob die
 wir intensiv an der Arbeit, um Lösungen zu         Menschen nicht geradewegs verhungern
                                                    ­
 suchen. In diese Arbeiten waren alle Oberamt-     ­zuhause. Solche ­Einsätze wurden von der Be-
männer, und der Präsident der Oberamtmän-           völkerung sehr geschätzt. In diesem Zusam-
ner-Konferenz, Patrice Borcard, nahm auch           menhang kam es zu sehr vielen schönen
 im kantonalen Führungsorgan Einsitz. Bor-          Erlebnissen. Die S­ olidarität war riesengross.
card hat während des ersten Lockdowns wohl          Es kamen Anfragen von Vereinen, die wissen
 fast in Granges-Paccot übernachtet. Kurz:          wollten, wie sie der Bevölkerung helfen kön-
Niemand war vorbereitet auf eine Krise die-         nen – etwa mit Einkaufsdiensten oder Trans-
 ses Ausmasses.                                     portdiensten zu den Ärzten.

Man hätte das nicht voraussehen                    Hatten sich denn die Menschen – zumin-
­können. . .                                       dest hier im Sensebezirk – im Allgemeinen
Es gab schon Prognosen. Man hat sich auf das       diszipliniert an die Vorgaben des Bundes
vorbereitet, was die Spezialisten angenom-         gehalten?
men hatten. Doch die Spezialisten lagen falsch.    Ja, diesen Eindruck hatte ich im Grossen und
                                                   Ganzen definitiv. Die Fallzahlen blieben übri-
Was waren denn die Hauptaufgaben,                  gens in den beiden deutschsprachigen Bezir-
 womit die Oberämter im Zuge dieser Krise          ken des Kantons durchwegs unter jenen des
spezifisch beauftragt worden sind?                 französischsprachigen Kantonsteils. Woran
Zur normalen Bewilligung von Anlässen              das liegt, kann niemand erklären.
­kamen die ganzen Schutzkonzepte hinzu. Das
Tagesgeschäft lief mehr oder weniger weiter.       Wie haben Sie die COVID-Zeit gesamt­
Baugesuche und -bewilligungen liefen weiter.       gesellschaftlich erlebt?
Das Personal musste seinen täglichen Ar­           Während der ersten Welle sicher sehr solida-
 beiten nachgehen. Wir waren aber zusätzlich       risch. Alle halfen einander, das war wirklich
stundenlang am Telefon – zu diversen Fragen,        schön. Der zweite Lockdown war dann nicht
zu denen die Menschen die Antworten nicht          mehr ganz so streng. Da ist viel von dieser
fanden und daher den Oberämtern ange­              ­Solidarität verschwunden. Was jetzt fehlt, sind
rufen haben. Und wir konnten nicht immer           die ganzen sozialen Kontakte. Das Vereins­
weiterhelfen – obwohl wir natürlich da waren        leben lag weitgehend darnieder. Und ich bin
und versuchten, diese Leute an den richtigen       nicht sicher, wie schnell wir diesbezüglich
Ort weiterzuverweisen. Aber das ist unglaub-       zum Normalzustand zurückkehren können.
lich, wie viele Leute sich da telefonisch mel-     Die Folgen von Corona werden da noch lange

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Editorial - Kultur Natur Deutschfreiburg (KUND)
Oberamt                                                                       Manfred Raemy

                                                  Zur Person

                                                  Der 47-jährige Manfred Raemy (parteilos)
                                                  aus Wünnewil-Flamatt ist seit 2017 Ober-
                                                  amtmann des Sensebezirks. Er ist verhei-
                                                  ratet und Vater zweiter Kinder.

                                                 tatsächlich minimiert. Und es ist sehr schwie-
                                                 rig, die Veranstaltungen mit ihrem wichtigen
                                                 sozialen Austausch – etwa mit Gemeinde­
                                                 räten – einfach durch Videokonferenzen zu er-
                                                 setzen. Die Emotionen in den Diskussionen
                                                 gehen auf diese Weise richtiggehend verlo-
                                                 ren. Schwierige Dossiers vorwärtszutreiben –
                                                 bei denen es darum geht, die Gemeinden und
                                                 die Region vorwärts zu bringen –, ist schwie-
                                                 rig, wenn man die Emotionen der Menschen
                                                 nicht mitbekommt. Ein Zweiergespräch per
                                                 Videokonferenz durchzuführen, mag ja noch
                                                 möglich sein. Aber bei einer Videokonferenz
                                                 per Teams mit rund 20 Teilnehmern sehe ich
                                                 nicht einmal alle Teilnehmer aufs Mal auf mei-
                                                 nem Bildschirm. Die ganze nonverbale Kom-
                                                 munikation – wenn etwa jemand den Kopf
                                                 schüttelt – bekommt man in einer Videokon-
                                                 ferenz nicht mit.
Manfred Raemy, Oberamtmann
des ­Sense­bezirks.                  Bild zvg   Wo waren die grössten Brennpunkte der
                                                  Krise – bei den Altersheimen und Schulen?
nachhallen – etwa bei den Chören, in denen       Bei den Pflegeheimen war es am schwierigs-
viele ältere Menschen mitsingen. Die sind         ten. Da kam es wirklich zu tragischen Situa­
durch Abgänge bedroht Bei den Fussball­           tionen. Die Bewohner fühlten sie eingesperrt.
vereinen ist es ähnlich; dort wurde nun schon    Das war auch für die Angehörigen sehr
die zweite Saison in Folge unterbrochen.          schwierig. Auch die Situation in den Schulen
                                                  war problematisch, etwa bezüglich des
Was hat COVID für Sie verändert – privat,        ­Fernunterrichts. Die Folgen sind nicht abseh-
im Oberamt und gesamtgesellschaftlich?            bar. Wir haben hier fast eine verlorene Genera­
Man gibt sich nicht mehr die Hand; das ist das    tion. Natürlich gab es schon immer Niveau-
Augenfälligste. Wie nachhaltig diese Verän-      unterschiede. Aber mit dem Fernunterricht
derungen sind, lässt sich noch nicht abschät-    gab es Probleme in den Familien. Die Eltern
zen. Aber die sozialen Kontakte haben sich       mussten arbeiten und hatten gar nicht die

                                                                                               5
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Oberamt                                                                        Manfred Raemy

Kapa­zität, ihre Kinder zu betreuen. Oder gan-
ze Klassen wurden in Quarantäne versetzt,
und die Eltern sind in Panik verfallen. Da er-
lebte man unverhältnismässige Reaktionen.

Welches sind für Sie die grössten Verlierer
der COVID-Krise?
Man kann das nicht verallgemeinern – aber
sicher gewisse Berufsgattungen; alle, die mit
Gastronomie, Events oder Kultur zu tun ha-
ben und ein Berufsverbot auferlegt bekamen.
Daneben Schüler, die ein verlorenes Jahr auf-
weisen und etwa keine Maturaprüfung ab­
legen durften. Dieser Makel wird sie vielleicht
ihr ganzes Leben verfolgen.

Und was war für Sie der positive Lichtblick
in dieser ganzen Corona-Zeit?                       Für das Universitätsleben ist und war die
Gesellschaftlich die Solidarität der Menschen.     «Coronazeit» einschneidend. Besonders
Ganz persönlich war die Zeit sehr intensiv trotz    ins Gewicht fiel der weitgehende Wegfall
weniger Sitzungen. Dafür war ich viel häu­figer    der universitären Lehre in Präsenz sowie
als früher über Mittag mit meiner Familie zu-      der fehlenden direkten und spontanen
sammen, da es auch keine Business-­Lunches          Kontakte der Universitätsangehörigen auf
gab. Die Familie war sicher ein ganz wichtiger     dem Campus, alles unabdingbare Ele­
Rückhalt während dieser Krise.                      mente der universitären Bildung und des
                                                    universitären Lebens. Gleichzeitig birgt die
                               ■ Interview:        Zeit – trotz aller Schwierigkeiten gerade für
                Dr. Jean-Claude Goldschmid          viele Studierende – auch Chancen: z. B. die-
                                                    jenige sich scheinbar selbstverständlicher
                                                   Aspekte des Lebens und des Umstands,
                                                   dass wir nicht alles kontrollieren können,
                                                    bewusst zu werden. Nicht zuletzt zeigt die
                                                    Pandemie die Bedeutung rationalen Um-
                                                   gangs mit solchen Herausforderungen,
                                                    wofür die Wissenschaft einen wichtigen
                                                    Beitrag zu leisten hat, wenn die politischen
                                                    Entscheidungen dann auch von den
                                                   ­zuständigen Organen getroffen werden
                                                    müssen.

                                                                             ■ Astrid Epiney,
                                                            Rektorin der Universität Freiburg

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Editorial - Kultur Natur Deutschfreiburg (KUND)
Historie                                            Eine kleine Freiburger Seuchengeschichte

Eine kleine Freiburger
Seuchengeschichte

Die COVID-19-Pandemie ist nicht die
erste Epidemie, die den Kanton
­Freiburg heimsucht. Einer, der sich
 ausgezeichnet mit dieser Thematik
 auskennt, ist der Freiburger Medizin­
 historiker Alain Bosson.

                                                   Für die bakteriellen Komplikationen der In­
Die Spanische Grippe traf die Stadt und den         fluenza, die einige der Todesfälle verursach-
Kanton Freiburg in den Jahren 1918 und 1919         ten, habe es noch keine Antibiotika gegeben.
 hart. Doch im Unterschied zu COVID-19 hat-        Den ­Patienten, die in einem ernsten Zustand
 ten das medizinische Personal und die Behör-      zum Arzt gingen oder ins Krankenhaus ein-
den damals laut dem Freiburger Medizin­            geliefert wurden, habe man nicht wirklich
 historiker Alain Bosson nicht die Mittel, die     ­helfen können.
 Bevölkerung zu testen. «Die Ärzte waren erst
ab dem 11. Oktober 1918, drei Monate nach            Prävention grossgeschrieben
­Beginn der Epidemie, verpflichtet, Grippe­fälle    Die gesamte Strategie der Behörden basierte
zu melden», sagt er. «Was die Zahl der Fälle         laut dem Medizinhistoriker folglich auf Prä-
 betrifft, so schätzt die Freiburger Gesund-         vention. Schulen wurden ab dem 12. Juli 1918
 heitskommission, dass zwischen 33 und             geschlossen, Vorführungen, Kinos und Ver-
 50 Prozent der Bevölkerung irgendwann ein-          sammlungen wurden vom 19. Juli 1918 bis
mal infiziert gewesen sein dürften.» Die Sterb-     zum 10. Januar 1919 verboten. «Eine weitere
 lichkeitszahlen geben uns einen genaueren          Massnahme war die Eröffnung von Lazaret-
 Hinweis: 964 Einwohner des Kantons Freiburg         ten, um die Kranken zusammenzufassen und
 starben an den Folgen der Spanischen G ­ rippe,     vom Rest der Bevölkerung zu isolieren», so
 bei einer Bevölkerung von etwa 140 000 Men-        Bosson. «Es gab 23 Lazarette, die über den
 schen. Unter den Erkrankten lag die Sterblich-    ganzen Kanton verstreut waren, und die
 keitsrate zwischen 1,4 Prozent und 2,34 Pro-       ­B ehörden waren der Meinung, dass diese
zent, und die Krankheit forderte das Leben           Massnahme am Ende der Krise einigermas-
 von 0,68 Prozent der Gesamtbevöl­kerung.            sen ­effektiv war.» In Zahlen ausgedrückt, gab
                                                    es 1918 im Broye-Bezirk einen Überschuss an
«In den Jahren 1918 bis 1919 gab es keine            Sterbefällen mit 171 Toten. Grosse Unter­
­B ehandlung für die Influenza», so Bosson           schiede zwischen Stadt und Land seien
 ­weiter. «Viren waren noch nicht bekannt. Sie     ­dabei nicht auszumachen.
 sollten erst in den 1930er Jahren entdeckt
  werden. Nach einem für die Krankheit verant-     Im Vergleich zur restlichen Schweiz sei die
 wortlichen Bazillus suchte man vergeblich.»       ­Situation im Kanton Freiburg damals sogar

                                                                                                 7
Editorial - Kultur Natur Deutschfreiburg (KUND)
Historie                                                Eine kleine Freiburger Seuchengeschichte

                                                        Zur Person

                                                        Der 53-jährige Alain Bosson ist Doktor der
                                                        neueren Geschichte an der Universität
                                                        Freiburg. Er ist verheiratet, hat drei Kinder
                                                        und lebt in Freiburg, wo er am Kollegium
                                                        Gambach Geschichte unterrichtet. Zu
                                                        ­seinen Hobbys gehören Geschichte, ­Reiten
                                                         und Lesen.

                                                      sene am stärkste getroffen. 59,7 Prozent der
                                                      Todesfälle seien d
                                                                       ­ amals auf die 20- bis 39-Jäh-
Alain Bosson, Historiker und Lehrer.                  rigen entfallen. Bei der aktuellen Pandemie
                                                      sei demgegenüber die überwältigende Mehr-
 noch etwas schlechter gewesen: Freiburg ver-         heit der Todesfälle beim ältesten Teil der
  lor 0,68 Prozent seiner Bevölkerung, während        Bevöl­kerung zu verzeichnen.
der Schweizer Durchschnitt bei 0,61 Prozent
  liegt. «Man muss bedenken, dass Freiburg            Der schwarze Tod des Mittelalters
­damals ein sehr ländlicher Kanton war. Man           Nochmals ganz andere Dimensionen bot sich
  würde daher einen niedrigeren Wert erwar-           im Mittelalter bei der Pest dar. Die Region
  ten, was aber nicht der Fall ist», bemerkt          Freiburg sei während der grossen Epidemie
 B osson dazu. In der Schweiz kostete die
 ­                                                    des Schwarzen Todes von 1347 bis 1351 von
 ­Spanische Grippe 24 449 Menschen das Le-            ihr heimgesucht worden, so Bosson. «Wie der
  ben, bei einer Bevölkerung von knapp 4 Mil-         Rest der Schweiz war auch Freiburg um
  lionen.

Wenn wir die Statistik von Mit-
te Mai 2021 mit 10 700 Todes-
fällen bei einer Bevölkerung
von 8,6 Millionen betrachten
und sie mit den ­Zahlen der
Spanischen Grippe verglei-
chen, sehen wir, dass die Zahl
der Todesopfer der Pandemie
von 1918/1919 im Verhältnis
fünfmal höher war als die der
aktuellen Pandemie. «Aber es
gibt noch weitere grosse
Unter­­s chiede», hält Bosson
weiter fest. So habe die Spani-        Über die Jahrhunderte war Freiburg immer wieder von Seuchen
sche Grippe junge Erwach­              betroffen.                                           Bilder zvg

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Historie                                          Eine kleine Freiburger Seuchengeschichte

1348 betroffen», sagt er. «Gemäss dem            ­ bligatorisch. Erst 1872, nach der schweren
                                                 o
­ hemaligen Staatsarchivar ­Nicolas Morard
e                                                Epidemie von 1870/1871, wurde die Pocken­
verlor Freiburg zwischen einem Drittel und       impfung verpflichtend.» Die Bevölkerung sei
der Hälfte seiner Bevölkerung.» Die erste Wel-   aber auch danach noch lange Zeit sehr zu-
le habe dabei ­einen regelrechten «gesund-       rückhaltend beim Impfen gewesen. Erst im
heitlichen Tsu­ nami» dargestellt, dem zwi-      20. Jahrhundert habe man die Krankheit voll-
schen 33 und 50 Prozent der Bevölkerung          ständig ausrotten können. Dies ist eine faszi-
zum Opfer gefallen sei. Bis zur letzten Epide-   nierende Geschichte, die noch weitgehend
mie in den Jahren zwischen 1636 und 1640 sei     unerforscht ist.
die Pest endemisch geworden: Sie kehrte re-
gelmässig zurück und verursachte dabei zwar      Buchtipp: Alain Bosson. La pharmacie fribour-
weniger Todesfälle, blieb aber das «Gesund-      geoise du Moyen Âge à la fin de l’Ancien Régime.
heitsproblem Nummer Eins für die Bevölke-        Avec un dictionnaire biographique des
rung». So habe die Pest von 1548 laut der        ­phar­macie 1309–1960. Bern-Liebefeld, 2021.
Chronik von Franz Rudella (um 1528–1588)         Schweizerische Gesellschaft für Geschichte
600 Freiburger Einwohnern das Leben gekos-       der Pharmazie, Bd. 33.
tet – etwa jedem Achten! Eine weitere Welle
habe im Jahr 1550 weitere 1200 Opfer gefor-                    ■ Dr. Jean-Claude Goldschmid
dert. «Ein sterbend erhebt sich in disen lan-
den im sommer und biss nachvolgende fas-
nacht ­gewäret. Sturbend am selben in der
statt klein unnd gross 1200 menschen»,
schreibt ­Rudella. Aus derselben Quelle erfah-    Die Post ist vom riesigen Effort der Mitar-
ren wir laut ­Bosson auch, dass die Pest 1565     beitenden während dieser Coronakrise sehr
in Freiburg täglich 50 Menschen tötete und        beeindruckt. Diese haben im deutschspra-
insgesamt allein in der Stadt 3000 Menschen       chigen Teil des Kantons wie auch in der
dahinraffte, ausserdem 700 weitere in der         ganzen Schweiz Rekordmengen an Pake-
Pfarrei Tafers.                                   ten verarbeitet, täglich Briefe und Pakete
                                                  an die Haustüren gebracht und waren auch
Die Pocken und die Impfung                        während des Lockdowns in den Postfilia-
Die Krankheit, welche die Gemeinschaft im         len für die Kundinnen und Kunden da. Un-
Mittelalter neben der Pest am meisten beun-       sere Pöstler haben eine grosse Dankbar-
ruhigte, war laut Bosson die Lepra. Doch ab       keit seitens der Bevölkerung erlebt und
dem 16. Jahrhundert sei sie allmählich ver-       viele Kundinnen und Kunden haben sich
schwunden. Danach seien es die Pocken ge-         bei den Pöstlern auf die eine oder andere
wesen, die «regelmässig grosse Verwüs­            Weise erkenntlich gezeigt, beispielsweise
tungen angerichtet» hätten. Erst mit der          durch eine Notiz am Briefkasten.
Entdeckung des Impfstoffs gegen Pocken
durch den englischen Arzt Edward Jenner im              ■ Tiziana Boebner, Verantwortliche
Jahr 1796 sei eine wirksame Vorbeugungs-                      Politik und Kommunikation für
massnahme zur Verfügung gestanden. «Der                     die Kantone Waadt und Freiburg,
Kanton Freiburg führte die Impfung erstmals                                La Poste Suisse SA
1826 ein», sagt Bosson. «Sie war aber nicht

                                                                                                 9
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Natur                                                                         Thomas Oberson

Fauna und Flora                                   alle «hoheitlichen» Fragen im Zusammen-
                                                  hang mit der Forstgesetzgebung. Er steht da-
in ­Zeichen von Corona                            für im ständigen Austausch mit Ämtern auf
                                                  Bundes- und Kantonsebene sowie mit den
                                                  Gemeinden.
Im Interview spricht Thomas Oberson,
Förster und Betriebsleiter des Forst               Wie stark beschäftigt Sie das Thema
Galm Murtensee, über ein ganz speziel-            «Freizeitnutzung im Wald» in I­ hrem
                                                   ­beruflichen Alltag?
les Jahr.
                                                   Der Wald hat verschiedenen Funktionen: die
                                                   Holzernte, den Natur- und Lebensraum, den
                                                   Schutz und die Erholung. Die Schutzfunk­
Der Forst Galm Murtensee entstand aus dem          tion ist vor allem im Berggebiet wichtig. Im
Zusammenschluss der Forstbetriebe Region          ­urbanen Mittelland kommt der Erholungs­
Murtensee und der Revierkörperschaft Galm.         funktion eine wichtige Bedeutung zu. Die Er-
Der grösste Teil der Waldfläche (1500 ha)          holungsfunktion des Waldes ist im Seeland
  ­besteht aus öffentlichem Wald und ist im       noch stärker vorhanden als im Sensebezirk.
­Besitz des Kantons sowie verschiedener Ge-        Seit im Bundesgesetz über den Wald ein
meinden und Pfarreien. Die restlichen 500 ha       Fahrverbot für Waldstrassen (Ausnahme
  sind im privaten Besitz. Der Galmwald ist ein    Forstbetriebe) festgelegt wurde, hat man
  schweizweites, eventuell sogar europaweites     glücklicherweise keinen Verkehr mehr im
Unikum: er ist eine eigene geografische Ge-       Wald aber im Gegenzug viele Biker und Jog-
meinde, zwar ohne Einwohner aber seit 2013        ger. Am Waldrand müssen indes für die Sport-
mit einem eigen Wappen. Bereits vor 300            ler Parkplätze zur Verfügung gestellt werden.
Jahren wurden im Galmwald
­
 ­Eichen angepflanzt, primär für
die Schweinemast. Heute ist der
Wald ein Eichengenreservat von
  schweizerischer Bedeutung.

Herr Oberson, können Sie
uns Ihr Tätigkeitsfeld kurz
umschreiben?
Thomas Oberson: Der Forst
Galm Murtensee beschäftigt
heute ein Team von 13 Personen
wovon drei sich die Geschäftslei-
tung aufteilen. Ich beschäftige
mich hauptsächlich mit dem
Holzverkauf sowie der Kommu-
nikation. Der zweite Geschäfts-
leiter ist zuständig für techni-     Die nächste Generation wird im Galmwald nicht mehr so grosse
sche Fragen und der dritte für       Bäume sehen.                        Bilder Isabelle Baeriswyl

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Natur                                                                         Thomas Oberson

 Nun zum Corona-Jahr 2020/21.                     Wald nur natürliche Methoden an und ver-
Wie hat sich dieses auf die Nutzung der            wenden absolut keine chemischen Mittel. Es
Wälder generell ausgewirkt?                        ist für uns eine Aufgabe und Herausforderung,
Während dem Lockdown waren eindeutig              den Leuten diese Zusammenhänge zu erklä-
 viel mehr Leute im Wald, meiner Schätzung        ren. So haben wir zum Beispiel einen Lehr-
nach s­ icher mehr als doppelt so viel. Die Zu-   pfad eingerichtet, der Kindern aber auch
nahme hat sich vor allem bei den Spaziergän-      ­Erwachsenen die Funktionen des Galmwal-
gern bemerkbar gemacht, weniger bei den           des erklärt.
Bikern und E-Bikern. Die Parkplätze am Wald­
rand waren vermehrt besetzt. Diese Zunah-         Hat sich Ihre Arbeit in dieser Zeit,
me an Leuten hat jedoch unseren Betrieb           das heisst seit März 2020, verändert?
nicht behelligt. An den Picknickplätzen haben     Wenn ja, wie?
 wir keine Probleme festgestellt. Da wir keine    Die Arbeit im Wald hat sich für uns in dieser
Abfallkübel aufstellen, nehmen die Leute ihre     Zeit grundsätzlich nicht verändert. Wie über-
Abfälle wieder mit und wir finden nur sehr        all sonst mussten wir sanitäre Sicherheits-
­wenig davon auf dem Waldboden.                   massnahmen ergreifen, aber da wir haupt-
                                                  sächlich draussen arbeiten, waren die
Wie steht es mit der Fauna und Flora?             Einschränkungen nur minim.
 Stellen Sie hier eine Veränderung fest?
Die Zunahme der Freizeitnutzung hat sich          Wie sehen Sie die Zukunft des Waldes,
nicht nachteilig auf Fauna und Flora ausge-       etwa bezüglich klimatischen
 wirkt. Anders war es vermutlich im urbaneren     ­Verän­derungen oder Freizeit­nutzung?
Gebiet wie zum Beispiel um Murten, wo die          Heute sehen wir Veränderungen im Wald,
Nutzung der Wälder in der Coronazeit stark         welche ein Förster normalerweise in seiner
zunahm. Der Wald hat in dieser Zeit eine           Berufskarriere nicht zu sehen bekommt. Was
«Renaissance» erlebt, was uns grundsätzlich        ich in meiner Ausbildung gelernt habe ist zum
 freut. Die Leute haben ihn wieder entdeckt       Teil nicht mehr gültig. Die über Generationen
als Erholungs- und Genussraum, auch ohne          angewendeten Waldbauprinzipien müssen
 sport­lichen Challenge. Darin liegt aber auch     fortlaufend angepasst werden. Es geht dar-
ein gewisses Konfliktpotential. Die Leute ha-     um, Arten zu fördern, welche resistenter für
 ben das Gefühl, dass sie Anspruch auf eine       die neuen klimatischen Bedingungen sind.
­Infrastruktur im Wald haben und begreifen        Im Galmwald wurden früher viele Rottannen
nicht, dass Waldwege primär für die Holznut-      gepflanzt. Heute sieht man, dass diese der
zung angelegt wurden. Auch fehlt manchmal         Trockenheit nicht widerstehen können.
das Verständnis für die Aufgabe der Förster       Grundsätzlich ist der Mischwald die beste
 im Wald. Sie werden zum Teil als «Baumkiller»     Form der Waldnutzung. Dieser verlangt aber
angesehen und meine Mitarbeiter wurden            auch ganz klar eine Steuerung durch den
auch schon verbal angegriffen. Förster sind        Menschen, das heisst durch uns Förster. Wenn
aber primär Schützer des Waldes und die Nut-       wir nicht eingreifen würden, hätten wir bald
zung der Bäume geschieht seit 300 Jahren          eine Buchenmonokultur. Die wirtschaftliche
gemäss dem Prinzip der Nachhaltigkeit. Die         Seite spielt hier natürlich auch eine Rolle. Der
oberste Maxime dabei ist: es wird nicht mehr      Wald ist ein Produkt, das verkauft werden
genutzt als nachwächst. Auch wenden wir im        muss. Unser Betrieb sollte selbsttragend sein.

                                                                                                11
Natur                                                                          Thomas Oberson

                                                    Zur Person

                                                    Thomas Oberson wohnt in Kleinbösingen,
                                                    ist verheiratet und hat 2 Kinder. Seit 1992
                                                    ist er als Förster tätig, zuerst während
                                                    18 Jahren im Sensebezirk und seit 2010 als
                                                    Betriebsleiter im Galmwald.

                                                   den neuen Bedingungen gut standhalten wer-
Dem Förster und Betriebsleiter des Forst Galm      den. So werden im Galmwald die bereits vor-
Murtensee, Thomas Oberson, ist die Artenvielfalt   handenen, trockenresistenten Trauben­eichen
ein wichtiges Anliegen.                            noch mehr gefördert. Die nächste ­Generation
                                                   wird nicht mehr so grosse Bäume sehen und
Die durch den Holzverkauf erwirtschafteten         auch neue Arten wie zum Beispiel den Baum-
Einnahmen verwenden wir auch für Schutz-           hasel, der in Südosteuropa heimisch ist.
und Sensibilisierungsmassnahmen.
                                                                ■ Interview: Isabelle Baeriswyl
Welchen Wunsch haben Sie an die
Besucher/-innen des Waldes?
Wir wünschen uns mehr Toleranz und Ver-
ständnis für die Abläufe und Zusammen­hänge         Eigentlich ist der Föderalismus eine tolle
im Wald und ein besseres Bewusstsein dafür,         Sache, doch in Krisenzeiten kann dieser
dass der Wald, so wie er heute besteht, das         auch zu einem Problem werden. Hier hat
Resultat unserer Arbeit ist. Auch wünschen wir      aber einer der kulturell vielfältigsten Kanto-
uns mehr Respekt gegenüber den Förstern             ne der Schweiz bewiesen, dass es sich mit
seitens der verschiedenen Nutzer wie Reiter,        gegenseitigem Respekt und etwas weni-
Biker, Jogger und auch mehr gegenseitigen           ger Egoismus viel leichter lebt. Und dabei
Respekt zwischen diesen Gruppen.                    hat die Deutschfreiburger Bevölkerung de-
                                                    monstriert, dass ein Miteinander viel mehr
Und Ihr Schlusswort                                 bringt als das Gegeneinander. Die Entbeh-
Heute erleben wir grosse Veränderungen in           rungen waren gross, gewisse Schicksale ir-
der Gesellschaft und gleiches kann man auch         reparabel und trotzdem ziehen wir nach
auf den Wald beziehen. Die wichtigste Ände-         wie vor am selben Strick. Wir alle wollen
rung ist natürlich die Klimaerwärmung. Wir          wieder ein Leben in Sicherheit, Geborgen-
sind aber diesbezüglich positiv gestimmt und        heit und etwas Zuversicht. Also schaffen
überzeugt, dass die Natur sich anpassen wird.       wir das letzte Stück auch noch zusammen.
Andere Arten werden mehr in den Vorder-
grund treten. Wir Förster aber auch die For-                  ■ Bernard Vonlanthen, Adjunkt
scher der Versuchsanstalt für Wald, Schnee                   ­Kommunikation und Prävention,
und Landschaft in Birmensdorf sind fortlau-                          Kantonspolizei Freiburg
fen darum bemüht, Arten zu finden welche

12
WirtschaftRegiova-Sensekiste

Gemüse liefern statt                                 zusammen mit einem Freund, der seine
                                                     Arbeits­s telle im Tourismusbereich aufgrund
­Partys planen                                       Corona verloren hatte, trafen sich Alain Ducrey
                                                     und Kevin Haas an einem Abend im März
                                                     2020 zu einem Bier. Sie sinnierten über das
Die Regiova-Sensekiste:                              Schicksal und je länger der Abend dauerte,
eine Geschichte von zwei Senslern,                   desto mehr Ideen für die Überbrückung die-
die 100 Prozent in der Eventbranche                  ser schweren Zeit tauchten auf und plötzlich
                                                     war da eine Idee in den Köpfen, die sich ein-
­tätig w
       ­ aren als die Coronakrise das
                                                     nistete und nicht mehr verabschiedete: Ge-
Land erreichte...
                                                     müse und Früchte von und für Sensler/-innen.
                                                     Ein Abonnement für eine Gemüsekiste, ge-
                                                     füllt mit regionalen Bio-­Produkten und einem
Alain Ducrey und Kevin Haas von der Kult-­           «Gudeli», um den SenslerInnen die Zeit des
Agentur Hauta AG waren vollends damit be-            Lockdowns zu versüssen. Abgerundet wer-
   schäftigt, Hochzeiten zu organisieren, Festzel-   den sollte der Gemüsekorb mit einem pas-
    te zu vermieten und Marketingarbeiten zu         senden Rezept, um auch unerfahrenen Kö-
 erledigen. Fünf Jahre nach der Gründung des         chen beizustehen und diese von der Idee zu
 Unternehmens hatten sie langsam aber                überzeugen.
  ­sicher die schwierige Anfangsphase eines
  Startups überstanden und waren zufrieden:
 alles funktionierte nach Plan, die Aufträge
   ­waren da, viele Hochzeiten und Feste für den
  Sommer 2020 in Vorbereitung, und das
 ­Unternehmen begann langsam aber sicher
 zu rentieren. Die beiden jungen Männer freu-
    ten sich auf einen schönen, langen und
­erfolgreichen Sommer mit vielen Events.

  Es begann bei einem Bier
 Dann kam der 16. März 2020, mit einem Schlag
  war alles vorbei: 80 Prozent des Einkommens
  von ­einem Tag auf den andern weg. Corona
 ­s tellte – wie bei so vielen Menschen – das
 Leben der beiden Jungunternehmer auf
 ­                                                   Eine Geschichte von zwei Senslern, die 100 Prozent
den Kopf: Unglauben machte sich breit, Auf-          in der Eventbranche tätig waren.       Bilder zvg
  träge lösten sich in Luft auf, geplante Perso-
naleinstellungen mussten sie rückgängig              Aus der Bieridee am lustigen Männerabend
­machen, Existenzängste tauchten auf... Die          entstanden bald die ersten konkreten Pro-
  beiden füllten zig Formulare aus und erstell-      jektskizzen. Aufgebaut wurde das Projekt auf
  ten Finanzpläne für den Kanton; dennoch gab        einer bereits bestehenden, aber noch nicht
es kaum Hilfsgelder, wie Alain Ducrey erzählt.       ausgebauten Plattform für Künstler, Events
 Die Zeit des Lockdowns war nicht einfach –          und Eventlokale in der Region – dem

                                                                                                     13
WirtschaftRegiova-Sensekiste

­Onlineportal «Regiova», das bereits früher zu   wieder kochen (mussten), stärker Wert auf ge-
einem zweiten Standbein der Kult-Agentur         sunde Ernährung setzten und die Regiona­
 Hauta AG werden sollte. Die Initianten führ-    lität schätzten. «Das Projekt scheint zu über-
 ten bei Freunden eine kleine Marktforschung     zeugen, ohne dass wir gross Werbung
durch, organisierten Kisten, fragten Bauern      machen mussten», sagt Ducrey. Ein Erfolgs-
 für Gemüse an und schon konnte das junge        projekt also, das nur dank Corona entstanden
Unternehmen am 8. Juli 2020 erstmals neun        ist und weiterbesteht. Auf die Frage, was ihm
 Kisten Gemüse ausliefern. Die Rückmeldun-       denn bei Corona in den Sinn komme, antwor-
gen waren durchwegs positiv, worauf sich im-     tet Alain Ducrey nach längerem Überlegen
mer mehr SenslerInnen für das Abo anmel-         mit einem Lächeln auf dem Gesicht: «Es ist
deten. Die Jungunternehmer setzten sich          eine Hassliebe.» Er, der von der Coronakrise
zum Ziel, bis Ende Jahr 100 Abonnenten zu        beruflich stark getroffen und von Existen-
erreichen – dies schafften sie dann bereits im   zängsten geplagt wurde, konnte gleichzeitig
 September. Die Abonnentenzahl stieg stetig:     dank dieser Krise ein zweites Standbein auf-
der Platz, auf dem normalerweise Festzelte       bauen. Er habe in dieser Zeit auch sehr viel für
gewaschen und repariert werden, wurde nun        das Leben gelernt: «Es wird dir nichts ge-
 für das Abpacken und den Vertrieb einge-        schenkt» und «Wenn du deiner Intuition
 setzt. Familienmitglieder und Freunde, die      folgst, ergeben sich immer unverhoffte Lö-
ebenfalls wegen Corona ihre Arbeitsstelle ver-   sungen»: seien zwei Fazits, die diese schwie-
 loren hatten, halfen tatkräftig mit. Da die     rige Zeit für ihn persönlich und das Projekt
 Sensler Bio-Bauern bald nicht mehr genü-        der Sensekiste gut umschreiben würden.
gend und vielfältige Ware liefern konnten,
 suchten Ducrey und Haas neue Produzenten        Erfolgsgeschichte geht weiter
und holten die grossen Gemüsebauern aus          Die Zahl der Abonnenten steigt auch heute
dem Seeland ins Boot. Die Initianten wurden      noch stetig: 360 Abnehmer im Sensebezirk
 von ihrem eigenen Erfolg überrascht.            sind es unterdessen und das Projekt läuft im-
                                                 mer professioneller. Diesen Sommer pflanzen
Alain Ducrey ist überzeugt, dass die Gemüse-     erstmals Landwirte im Sensebezirk extra
kiste wohl unter anderem so guten Erfolg hat-    Kräuter und Gemüse an für den Vertrieb
te, weil die Leute vermehrt zuhause waren,       durch die Sensekiste. Den Landwirten wird

14
WirtschaftRegiova-Sensekiste

mit der Sensekiste ein regelmässiger Absatz        darüber geführt werden müsse. Zurzeit sehe
und eine faire Entlöhnung ihrer Produkte ga-       es aus, als ob es die Chance gewesen sei,
rantiert. Zu den bestehenden Sensekisten, bei      ein zweites Standbein aufzubauen; ob es
welchen das Angebot ausgebaut werden soll,         auch längerfristig ein Gewinn sei, bleibe abzu­
                                                    warten...
                                                   Zu wünschen wäre es den engagierten Jung­
                                                   unternehmern, die sich nicht nur für die
                                                    S ensler Kultur, sondern auch die Sensler
                                                    ­
                                                   ­Regionalität einsetzen.

                                                   Weitere Infos unter: sensekiste.regiova.ch

                                                                                  ■ Maria Riedo

                                                     Die Corona-Pandemie hat meinen Alltag
                                                     als vollamtlicher Syndic von Freiburg durch-
                                                    einandergerüttelt. Einerseits hatte ich plötz-
                                                     lich mehr Zeit für andere Aufgaben, da
                                                     praktisch alle Veranstaltungen, Versamm-
                                                     lungen, Sportanlässe, Konzerte usw. weg-
  wird nun rund ein Jahr nach dem Start im          gefallen sind, doch andererseits musste ich
  Rahmen eines Pilotprojekts der Vertrieb von        zusammen mit dem Krisenstab dringliche
  Gemüse an Restaurants und Dorfläden ge-           Aufgaben priorisieren, unter anderem die
  testet. Mit Stolz in der Stimme erzählt Alain      sehr kurzfristige Umstellung der Gemeinde­
  Ducrey auch, dass es inskünftig in der alten       verwaltung auf Homeoffice sowie die Ein-
  Metzgerei in Alterswil einen Selbstbedie-          setzung einer Hotline und die Nothilfe für
 nungsladen geben wird. Dies erlaube es              die am schwersten betroffenen Personen.
­einerseits flexibler Produkte zu vertreiben und    Am meisten beeindruckt hat mich in die-
 grössere Mengen einzukaufen. All dies benö-         ser Zeit die Solidarität der Freiburgerinnen
  tigt Personal, Aufwand und Platz. Mit den          und Freiburger, die im Rahmen der Nach-
  neuen Räumlichkeiten in der Metzgerei ha-          barschaftshilfe den älteren Bewohnerin-
  ben sich die beiden Sensler die nötige Infra-      nen und Bewohnern die Einkäufe erledig-
  struktur geschaffen. Sie holen ausserdem           ten und andere Aufgabe unentgeltlich
 ­regionale soziale Institutionen wie zum Bei-       übernahmen. Es ist ein gutes Zeichen, dass
  spiel Applico ins Boot, welche die Kisten mit-    die Leute sogar in unserer individualisier-
 gestalten und ausliefern.                           ten Gesellschaft zusammenrücken und
                                                    ­einander aushelfen, wenn es ernst wird.
Die Frage, ob die Coronakrise nun beruflich
für ihn ein Fluch oder ein Segen war, beant-                                 ■ Thierry Steiert,
wortet Alain Ducrey lachend mit dem Hinweis,                        Freiburger Stadtammann
dass in einem Jahr noch einmal ein Interview

                                                                                                15
Giffers                                                                     KUND bei den Harzern

KUND bei den Harzern                                  leute des Klosters Altenryf waren. Die bedeu-
                                                      tendsten Vertreter dieses Geschlechts waren
                                                      Nocherus und seine Söhne.

Am 25. September 2021 ist KUND                        Geographische Lage
für die Mitgliederversammlung zu Gast                 Die Gemeinde Giffers gehört zum Oberland
bei den Harzern, wie die Giffersner                   des Sensebezirkes und umfasst eine Fläche
                                                      von 5,22 km2 . Sie hat einen gemeinsamen
genannt werden. Ein Gemeindeporträt.
                                                      Grenzverlauf mit den Gemeinden Tentlingen,
                                                      St. Silvester, Rechthalten und Plasselb. In ei-
                                                      nem Punkt fallen die Gemeindegrenzen von
                                                      Giffers, Rechthalten, Plasselb und Plaffeien
                                                      zusammen. Giffers liegt an der Aergera; der
                                                      Fluss ist eingebettet in eine atemberaubend
                                                      schöne und intakte Auenlandschaft.

Herkunft und Bedeutung
In ältesten Zeiten war beinahe das ganze Ge-
biet von Giffers mit Wald bedeckt. Nur die
sonnigen, windgeschützten Hänge beim
heutigen Dorf waren vom Wald befreit und
dienten als Weideplätze für Ziegen. Auch ei-
nige bewohnte Hütten und Ställe standen
wohl da. Die Romanen nannten den Ort Cap-
rilia (Ziegenstall). Daraus entwickelte sich Chi-
uriles (1150), später Chivrilles (1324), Chiurilles
(1445) und schliesslich Giffers. Chevrilles, der
französische Name der Gemeinde, bestätigt
heute noch diese Herleitung. 2010 konnte Gif-
fers mit einer Sagennacht und einem Festakt
das 850-jährige Bestehen feiern.

Das Wappen der Gemeinde Giffers wurde erst
im 20. Jahrhundert festgelegt. Es bezieht sich
jedoch auf weit zurückliegenden Zeiten, auf
das seit dem 17. Jahrhundert der lehensherr-
lichen Familie von Giffers zugeschriebene
Wappen: «geviert von Rot und Gold mit vier
durchgehenden eingeschnürten Tatzenkreu-
zen in gewechselten Farben». Die Ritter von
Giffers haben ausser ihrem Wappen aber
kaum Spuren hinterlassen. Ein Dokument                Die Aergera mit intakter Auenlandschaft.
­bezeugt, dass sie im 12. Jahrhundert Dienst-                                              Bilder zvg

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Giffers                                                                 KUND bei den Harzern

Der Dorfkern mit Kirche und Gemeindehaus.

Der tiefste Punkt der Gemeinde liegt auf           Im Dorfkern befinden sich Kirche und Ge-
679 m über Meer (Poplera an der Aergera), das     meindehaus, die zusammen mit dem kleinen
Dorfzentrum auf rund 800 m und der ­höchste        Park ein einladendes und schmuckes Bild er-
Punkt auf 1032 m (Lanthershubel, oberhalb         geben. Die Kirche, die 1380 erstmals erwähnt
Eichholz).                                          wurde, ist dem heiligen Tiburtius geweiht. Die
                                                    letzte markante Veränderung erfuhr die
 Sehenswürdigkeiten                                Kirche 1976, als der aus dem Jahre 1930
                                                   ­
Das Wasserreservoir bietet den Besucherin-         ­stammende Turm (Höhe 29,5 m) mit seinem
nen und Besuchern eine Nahsicht hinab auf         pyramidenförmigen Ziegeldach durch einen
das Dorf und eine Weitsicht gegen Norden.         neuen Turm ersetzt wurde. Der neue Turm
Die Lourdes-Grotte der Pfarrei Giffers-Tentlin-   (Höhe 38,2 m) gleicht nun wieder dem Turm,
gen liegt, 1902 in den Felsen gehauen, idyl-      der 1929 durch einen Blitzschlag einen gros­
 lisch oberhalb der Aergera und lädt beson-         sen Schaden erlitten hatte. Das heutige
ders an warmen Sommertagen zu einer               ­Gemeindehaus diente bis in die Mitte des
angenehmen Auszeit ein. Nach einer Wan­             ­letzten Jahrhunderts als Pfarrhaus. Als die
derung empfehlen sich der Gasthof «Zum             Pfarrei ein neues Pfarrhaus bauen liess, er-
­Roten Kreuz» und das Restaurant «Zur Pinte»        warb die Gemeinde das Gebäude und errich-
 für eine Stärkung.                                 tete darin 1986 ihre Gemeindeverwaltung.

                                                                                               17
Giffers                                                                KUND bei den Harzern

Die Grabenmühle.

Am Weg zwischen der Flachsnera und der            Aufschrift «Lauper Peak 18 700 km» und einen
Grabenmühle an der Aergera entdeckt man           grossen Gedenkstein mit einer Schrifttafel, die
auf halbem Wege einen Wegweiser mit der           dem berühmten Giffersner Jakob «Zaaggi»
                                                  Lauper (1815–1891) gewidmet ist. «Zaaggi» hat
                                                   sich als Entdecker von Pfaden in Neuseeland
                                                  einen Namen gemacht. Dank einer wagemu-
                                                   tigen Expedition wurde ein Berg nach ihm
                                                   benannt: Lauper Peak. Als der Schweizer
                                                  ­Botschafter in Neuseeland vom Gedenkstein
                                                  erfuhr, besuchte er diesen in Begleitung von
                                                   Nachfahren von «Zaaggi» und dem Gemein-
                                                  derat Giffers.

                                                   Eine besondere Wanderung verspricht aus­
                                                   serdem sportliche Betätigung in Verbindung
                                                   mit kriminalistischer Spannung. Dieser
Gedenkstein mit Schrifttafel, die dem berühmten   ­« KrimiSpass» beginnt im Dorfzentrum und
Giffersner Auswanderer Jakob «Zaaggi» Lauper       führt durch die Gemeinden Giffers und Tent-
gewidmet ist.                                      lingen.

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Giffers                                                              KUND bei den Harzern

Bevölkerung und Dorfleben                       Gemeinsam mit der Gemeinde Tentlingen bil-
Heute (2021) zählt die Gemeinde Giffers fast    det die Gemeinde Giffers im Bezirk ein inter-
1700 Einwohnerinnen und Einwohner. Die          kommunales Zentrum. Dank der intensiven
Zahl ist in den letzten Jahrzehnten markant     Zusammenarbeit dieser beiden Gemeinden
angestiegen:                                    konnte beispielsweise 1994 die Dreifachsport-
                                                halle eröffnet werden.
            Jahr    Bevölkerung
           1950             770                 Die Gemeinden Giffers und Tentlingen bilden
           1960             812                 auch einen gemeinsamen Kulturkreis. Eine
           1970            1084                 Vielzahl von Vereinen bieten so den Einwoh-
           1980            1185                 nerinnen und Einwohner beider Gemeinden
           1990            1363                 die Möglichkeit zur sportlichen, musischen
           2000            1393                 und kreativen Freizeitgestaltung.
           2010            1420
           2020            1661                 Der Harzer und sein Brauchtum
                                                Der Giffersner Lehrer German Kolly (1898–
Die Nähe zur Stadt und Agglomeration Frei-      1980) sammelte leidenschaftlich Sagen und
burg liess Giffers zu einer attraktiven Wohn-   Märchen aus dem Senseland und publizierte
gemeinde mit einem intakten und vitalen         sie auch. So haben eine Vielzahl der Erzählun-
Dorfleben anwachsen. In Giffers besteht         gen einen direkten Bezug zu Giffers und der
heute ein breites Dienstleistungsangebot
­                                               unmittelbaren Umgebung: Der Hutätä, der
(mit Kleingewerbe, Restaurants, Einkaufs-       auch entlang der Aergera sein Unwesen trieb,
möglichkeiten, Bank, Post, Apotheke und         das Ungeheuer im Flachsnerawald, das als
Arztpraxen).                                    Geist eines verstorbenen Menschen keine

                                                                                           19
Giffers                                                                   KUND bei den Harzern

Ruhe fand, und der Tambour, der siegesfroh           Bereits weit über die Kantonsgrenze hinaus
von einer Schlacht heimkehrte und der Beu-            ist der «Güffersch-Tee» als beliebtes Getränk
te wegen umgebracht wurde.                            bekannt, das gerne in den Wintermonaten
                                                     getrunken wird. Dabei werden Wasser, Ge-
                                                      würze wie Anis und Zimtstangen sowie
                                                     ­Kandiszucker aufgekocht. Hernach vollendet
                                                     der grosszügig dazugegebene Rotwein das
                                                    ­Aroma. Der typische «Güfferschner» geniesst
                                                     dieses Getränk auch während der warmen
                                                     Jahreszeit, wenn auch in leicht abgeänderter
                                                      Rezeptur (ohne Wasser, Gewürze, Zucker und
                                                     natürlich ungekocht).

                                                                             ■ Othmar Neuhaus,
                                                                             Ammann von Giffers

Die Lourdes-Grotte der Pfarrei Giffers-Tentlingen
wurde 1902 in den Felsen gehauen.

  Die Sage des Harzers ist jedoch untrennbar
mit Giffers verbunden: Es begab sich ein              Mit welcher Abgeklärtheit und fast stoi-
 ­Giffersner in die Wälder zwischen Giffers und        scher Ruhe die Mehrzahl der stark betrof-
  Praroman, um Harz für die Herstellung von            fenen Unternehmen und Arbeitnehmer
  Harzkuchen (Verwendung beim Schlachten)            die Krise angegangen sind, hat mich zu-
zu holen. Gleichzeitig jagten die Jäger aus            tiefst beeindruckt. Die Solidarität zwischen
  ­Praroman in den Wäldern einen Bären. Der           Deutsch- und Welschfreiburg wurde aller-
   Bär kam dem Giffersner gefährlich nahe, so-       dings arg strapaziert. Im Herbst hatte es in
dass dieser auf eine Tanne flüchten musste.           Deutschfreiburg viel weniger positive Fäl-
  Die Hunde der Jäger kamen heran und bell-            le und trotzdem hat der Kanton eine Teil-
   ten zur Tanne hinauf. Die Jäger vermuteten          schliessung des ganzen Kantons beschlos-
den Bären auf der Tanne und legten die                 sen, der solidarisch von uns mitgetragen
­Gewehre an. Der Giffersner rief angsterfüllt:         wurde. Wichtig ist aber: Die Menschen las-
«Halt! Schiess nit. I bü nit de Bäär; i bü nÙme        sen sich trotz Leid und Ungemach nicht
an arma Harzer va Güffersch». Diese Ge-              unterkriegen. Im Sommer 2020 konnten
   schichte wurde bald im ganzen Land bekannt          wir in Deutschfreiburg touristisch gross
und man bezeichnete von da an die Giffers-           auftrumpfen und der ganzen Schweiz
ner als Harzer. Zum Gedenken an German Kol-          ­unsere legendäre Gastfreundschaft unter
   ly und den Harzer wurden zwei Strassen nach        ­Beweis stellen und unsere Sehenswürdig-
   ihnen benannt: German-Kolly-Weg und Har-            keiten näherbringen.
zerweg. Das Harzerschiessen der hiesigen
  Feldschützengesellschaft hält ebenfalls die                         ■ Olivier Curty, Staatsrat
  Erinnerung an diese Geschichte wach.

20
Aus der Sprachenecke                                 Zweisprachige Klassen in der Stadt Freiburg

Aus der Sprachenecke                              wurde. Die zweisprachigen Schulprojekte, die
                                                  informell schon initiiert worden waren, muss-
                                                  ten nach und nach unter Berufung auf eine
Zweisprachige Klassen in der Stadt                illegale Unterrichtspraxis und auf einen Ver-
Freiburg: Was lange währt . . .                   stoss gegen das Territorialprinzip eingestellt
                                                  werden. Gewisse Eltern, die in und um Frei-
                                                  burg ihren Kindern eine Ausbildung auf
 Die Nachricht hat junge Eltern gefreut: Ab       Deutsch bieten wollten, damit diese zwei-
 Herbst 2021 können 45 Kinder zweisprachi-        sprachig werden, zogen daraufhin in den
gen Unterricht in der Vignettaz-Schule besu-      S ense- und deutschsprachigen Seebezirk
                                                  ­
chen. Es handelt sich um ein Projekt ab Kin-      oder haben sogar die Konfession gewechselt,
dergarten (1H/2H) in zwei Pilotklassen, die       um ihnen den Besuch der reformierten Schu-
nach dem Prinzip der reziproken Immersion         le auf Deutsch zu ermöglichen.
unterrichtet werden. Die Kinder erhalten da-
 bei zweisprachigen Unterricht in gemischt-
 sprachigen Klassen, sie lernen also auch von-
einander. Die Klassen werden evaluiert, bevor
das Angebot gegebenenfalls auf die Primar-
 schule und andere Schulhäuser ausgeweitet
 wird. Da das Interesse die zur Verfügung
 s tehenden Plätze überstieg, mussten die
 ­
­Kinder ausgelost werden. Damit verfügt die
 Stadt über ein schulisches Angebot für junge
 Schulkinder, das schon seit Langem überall
auf der Welt existiert und die sprachlichen
 Ressourcen optimal nutzt. Das Projekt
 schliesst an das kantonale Konzept für den
 Sprachunterricht an, das verschiedene zwei-
 sprachige Modelle vorschlägt, und entspricht
politischen Vorstössen auf Gemeinde- und
 Kantonsebene.

Aber die Initiative zur Schaffung von zweispra-
chigen Klassen ab Kindergarten kam schon          Fahrverbot nach Eröffnung der Poyabrücke 2014.
1991 vom «Verein zweisprachige Schule Frei-                                 Bilder Claudine Brohy
 burg», dessen Umfrage in Freiburg und Um-
gebung das Interesse der Eltern für diese          Sag, wie hast du’s mit der
­Unterrichtsform schon damals gezeigt hatte.      ­Zweisprachigkeit?
 Daraufhin erarbeitete eine Arbeitsgruppe der     Diese Gretchenfrage steht in Zusammenhang
 Direktion für Erziehung, Kultur und Sport ein    mit der amtlichen Zweisprachigkeit der
 Konzept zum zweisprachigen Unterricht aus,       Gemeinde Freiburg seit Jahrzehnten im
                                                  ­
dessen Verankerung im Schulgesetz in einem        Raum, welche von der Deutschfreiburgischen
 Referendum im Jahr 2000 knapp verworfen          Arbeitsgemeinschaft (DFAG) immer begrüsst

                                                                                               21
Aus der Sprachenecke                                Zweisprachige Klassen in der Stadt Freiburg

   wurde und auch das Ziel politischer Vorstös-      Umsetzung des Territorialprinzips ist. Auf
   se war. Mit dem Fusions­projekt Grossfreiburg    ­ inen Hinweis auf ein Sprachengesetz wurde
                                                    e
   hat sie an Brisanz gewonnen, wurde doch            sowohl im revidierten Sprachen­artikel von
 2018 zunächst von der Arbeitsgruppe                1990 und in den sprachenrechtlichen
« Geschichte und Identität» eine offi­
­                                          zielle    ­Bestimmungen der neuen Verfassung von
Zweisprachigkeit für die neue Gemeinde in            2004 verzichtet. Nicht das Sprachengesetz,
Aussicht gestellt, bevor eine Ad-hoc-Arbeits-         sondern die Diskussion um das Gesetz könn-
gruppe einen Rückzieher machte. Die                   te die beiden Sprachgemeinschaften und die
 ­Communauté romande du Pays de Fribourg             Gruppe der Zweisprachigen stark polarisieren.
erwachte aus dem Koma und machte sich für            Ein kantonales Sprachengesetz ist nicht un-
eine französische Einsprachigkeit stark, ausser     abdingbar, die Vor- und Nachteile für b     ­ eide
   für das Kerngebiet der Stadt. Der Verein,          Sprachgemeinschaften und für die verschie-
­dessen Motto in sprachlichen Belangen frü-         denen Bereiche des öffentlichen Lebens
   her «Légifère le mieux qui légifère le moins»    ­müssen klar abgewogen werden. Der Bund
   war, ­
        fordert nun lautstark ein kantonales          besitzt erst seit 2007 ein Sprachengesetz, der
  ­Sprachengesetz, dessen primäres Ziel wohl        dreisprachige Kanton Graubünden seit 2006,
 eine extrem restriktive Interpretation und         darin wird auch der Gebrauch und der Status
                                                                der Minderheitensprachen Roma-
                                                                 nisch und Italienisch bei Gemeinde-
                                                                 fusionen geregelt. Der Kanton Jura
                                                                 verfügt seit 2010 über ein Sprachen-
                                                                gesetz, die zweisprachigen Kanto-
                                                                 ne Wallis und Bern besitzen keines,
                                                                 aber die Berner Verfassung erklärt
                                                                die Verwaltungsregion Seeland,
                                                                den Verwaltungskreis Biel/Bienne
                                                                 und die G ­ emeinden Biel/Bienne
                                                                 und Leubringen als amtlich zwei-
                                                                 sprachig.

                                                               Der Staatsrat hatte 1992 die Stadt
                                                               Freiburg als amtlich zweisprachig
                                                               erklärt, was 1993 vom Verwaltungs-
                                                               gericht des Kantons Freiburg bestä-
                                                               tigt wurde, der Entscheid wurde aus
                                                               unerklärlichen Gründen nie umge-
                                                               setzt. Der Verfassungsrat hat sich
                                                               zwischen 2000 und 2004 intensiv
                                                               mit den Themen Sprachen und
                                                              ­Zweisprachigkeit auseinanderge-
                                                               setzt. Die These der Sprachenkom-
                                                               mission «Die Hauptstadt heisst Frei-
Plakat im Rahmen von 50 Jahre Pro Freiburg.                    burg/Fribourg, sie ist zweisprachig»

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