Editorial - Kultur Natur Deutschfreiburg (KUND)
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Juli 2021 N° 36 FREIBURGER NOTIZEN Editorial Liebe Mitglieder von Kultur Natur Deutschfreiburg KUND Liebe Leserinnen und Leser Und wieder ist ein Jahr vergangen seit dem Erscheinen des letzten Heftes der Freiburger Notizen. Ein Jahr, welches von einem Thema dominiert war: der COVID-19-Pandemie. Nichts mehr war normal, nie wusste man mit auch als Chance, neue Prioritäten zu setzen. Sicherheit, was am folgenden Tag noch mög- Wir denken, dass wir mit dem Schwerpunkt- lich war und welche neuen Restriktionen er- thema des Hefts einige neue Aspekte in die griffen werden mussten, um das Virus mög- «endlose Diskussion» bringen können, und lichst bald in den Griff zu bekommen – vorerst sind gespannt auf Ihre allfälligen Rück mit einem gewissen Erfolg, auch wenn wir meldungen. Für die Redaktion dieses Hefts vermutlich noch lange nicht über den Berg zeichnet übrigens erstmals unser Vorstands- sind. Mittlerweilen dürften alle Impfwilligen mitglied Jean-Claude Goldschmid verant- auch geimpft sein und hat sich eine gewisse wortlich, nachdem der langjährige Redaktor neue Normalität eingestellt. Auch wir kommen Karl Fäh an der Mitgliederversammlung vom um das Thema nicht herum. In Gesprächen 26. September 2020 in Flamatt aus dem Vor- mit dem Oberamtmann des Sensebezirks, mit stand verabschiedet und zum Ehrenmitglied einem Förster und mit den Gründern eines ernannt worden ist. Startups werfen wir einen Blick auf die Situa- tion der Menschen und auch der Natur in Auch an unserem Vereinsleben ging die Pan- Deutschfreiburg. Zudem wagen wir einen demie natürlich nicht spurlos vorüber, ganz historischen Vergleich mit der Spanischen im Gegenteil: einen Grossteil unserer Veran- Grippe vor 100 Jahren und mit der Pest im staltungen mussten wir absagen bzw. auf Mittelalter. Weiter lassen wir in zahlreichen einen späteren Zeitpunkt verschieben. Umso kurzen Texten verschiedene Personen zu mehr freut es mich, dass wir die Publikation Wort kommen, wie sie die Pandemie erlebt «Freiburg/Fribourg – 50 Trouvaillen/Trouvailles» haben, als bedrückende Einschränkung, aber als Band 84 der «Deutschfreiburger Beiträge
Editorial zur Heimatkunde» rechtzeitig für die warme geplanten Rahmen durchführen können – Jahreszeit herausgeben und Ihnen, liebe Mit- das neue Vereinsjahr 2021/22 in Angriff; der glieder, wie üblich kostenlos zustellen konnten. Artikel «KUND bei den Harzern» des Am- Und falls Sie, liebe Leserin, lieber Leser, nicht manns soll euch für den Besuch in Giffers KUND-Mitglied sind, können Sie den handli- «gglùschtig» machen. Schlag auf Schlag fol- chen Stadtführer bei uns (info@kund.ch), gen dann ab Oktober 2021 verschiedene beim Zytglogge-Verlag oder im Buchhandel interessante Veranstaltungen, am 24. No für CHF 26.– erwerben. Und günstig erwer- vember 2021 eine weitere Lesung in unserer ben können Sie auch zahlreiche unserer Erfolgsserie «Va Gschücht zù Gschücht» und früheren Publikationen. Gern verweise ich Sie am 14. Januar 2022 die wegen Corona um ein auf den Artikel «Unsere Publikationen – eine Jahr verschobene Verleihung des Deutsch- wahre Fundgrube» in diesem Heft. freiburger Kulturpreises. Aber nicht nur die Pandemie hat uns beschäf- Was sonst noch alles gelaufen oder geplant tigt. Geärgert haben wir uns über die mutlose ist, finden Sie auf unserer Homepage www. Haltung der konstituierenden Versammlung kund.ch, so auch meinen ausführlichen Jah- für ein mögliches künftiges Grossfreiburg. Mit resbericht für das Vereinsjahr 2020/21. einer fadenscheinigen Begründung lehnt es diese ab, die künftige Gemeinde amtlich als Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre zweisprachig zu bezeichnen. Vielmehr wolle der Freiburger Notizen und freue mich, zu- man, wie das in der Stadt Freiburg heute prak- sammen mit Ihnen das fünfte Vereinsjahr von tiziert werde, einen pragmatischen Umgang KUND in Angriff zu nehmen und Sie hoffent- mit der Zweisprachigkeit pflegen. Was in lich am 25. September 2021 an der Mitglieder- Courtepin auch ohne kantonales Sprachen- versammlung in Giffers begrüssen zu dürfen. gesetz seit 20 Jahren problemlos möglich ist – nämlich die amtliche Zweisprachigkeit – soll, ■ Franz-Sepp Stulz, Präsident Kultur auch aus verfassungsrechtlichen Gründen, Natur Deutschfreiburg KUND nicht möglich sein. Man kann sich des Ver- dachts nicht erwehren, dass die rechtlichen Gründe bloss vorgeschoben werden, um die französischsprechende Mehrheit nicht zu ver- unsichern und um der Fusion nicht zusätz liche Steine in den Weg zu legen. Wäre die Stadt Freiburg bereits vor Jahren dem Bei- spiel von Courtepin gefolgt, wer weiss, ob sich die Frage heute gar nicht erst stellen würde? Und der (zweisprachige) Kanton hätte eigent- lich längstens dafür sorgen müssen, dass seine Hauptstadt amtlich zweisprachig ist. Mit ungebrochenem Elan nehmen wir nun mit der Mitgliederversammlung vom 25. Sep- tember 2021 in Giffers – die wir hoffentlich im 2
Oberamt Manfred Raemy «Wir haben fast eine ren. Vorausschauend etwas zu planen war unmöglich – es ging stets nur um stetige verlorene Generation» Brandbekämpfung. Dann kam die Zeit des ersten Lockdowns, Manfred Raemy, Oberamtmann im März 2020. Wie war das bei Ihnen auf des Sensebezirks, schildert im dem Oberamt? Mussten Sie da vom einen Interview mit den «Freiburger Notizen», auf den anderen Tag schliessen? Bei uns war das Oberamt während der gan- wie er die COVID-Zeit im Oberamt zen Lockdown-Phase immer offen. Ganz erlebt hat. wenig Homeoffice war möglich. Denn unsere Arbeit erfordert sehr viel Präsenz. Wenn ich 2000 Strafbefehle pro Jahr habe, kann ich die Wann haben Sie das erste Mal vom nicht elektronisch signieren. Ich brauche je- COVID-Virus gehört? Können Sie sich mand, der sie vorbereitet, und dann müssen noch daran erinnern? sie eingeschrieben verschickt werden. Diese Manfred Raemy: Ja, das war relativ früh im ganze handwerkliche Arbeit im Oberamt ist Jahr 2020. Ich organisiere in der wenigen Frei- nötig. Wir hatten zu diesem Zweck Teams ge- zeit, die mir als Oberamtmann bleibt, sechs bildet – und diese auch auseinandergenom- Dartsturniere pro Jahr. Dabei habe ich schon men, damit wir ein Backup hätten, falls anfangs des letzten Jahres von diesem Virus jemand ausfällt – so dass die Präsenz auf- gehört. Zuerst hiess es, das beschäftige uns rechterhalten wird. nicht, und das sei kein Problem. Aber dann machten wir uns im Januar schon entspre- War die Weiterarbeit dann gut möglich – chende Gedanken. Das Turnier im Februar im Rahmen der Schutzbestimmungen? konnten wir dann noch durchführen. Aber ab Das war gut. Ich habe mit meinen sieben März war es dann wegen dem Lockdown Mitarbeitenden hierfür die Büroräumlichkei- nicht mehr möglich. Im Oberamt tauchte das ten anders aufgeteilt und etwa auch unser Thema etwa gleichzeitig auf, wurde aber Sitzungszimmer als Büro mit zwei Arbeits zunächst nicht als Problem wahrgenommen. plätzen genutzt – um unser Grossraumbüro Überhaupt wurde Corona schweizweit zu- zu entlasten. Unsere Juristen hingegen haben nächst nicht als Gefahr wahrgenommen. teilweise im Homeoffice gearbeitet. Hatte man sich auf Stufe Oberamt auf so Wie haben Sie die COVID-Zeit privat erlebt? ein Szenario der Pandemie vorbereitet? Einerseits fielen von heute auf morgen sämt- Wir haben natürlich in unserem Notfallkon- liche Veranstaltungen wie etwa Generalver- zept so einen Epidemienplan – aber nicht auf sammlungen weg. Die Wochenenden sind Stufe Oberamt, sondern auf Stufe Kanton und dadurch entspannter; auch hatte ich am auf Stufe Bund. Die Realität ist zudem immer Abend weniger Sitzungen. Doch ich habe das anders als es im Lehrbuch aussieht. Die Be- Gefühl, dass die Präsenz insgesamt doch hörden wurden generell völlig überrumpelt grösser als vorher war; dies, weil sich einfach von der Geschwindigkeit dieses Ereignisses überall Baustellen befanden, wo man löschen und waren eigentlich immer nur am Reagie- musste. Wir Oberamtmänner waren a ufgeteilt 3
Oberamt Manfred Raemy in verschiedenste kantonale Gruppen. Wäh- deten. Und dann kamen sehr viele andere rend der ersten Welle habe ich dabei die Dinge dazu, die in keinem Lehrbuch drin Gruppe für schulische und ausserschulische stehen. Unter anderem wurde in der Ober- Betreuung präsidiert. Dabei ging es um alle amtmänner-Konferenz diskutiert, dass man Massnahmen rund um die Organisation des versucht, mit den Gemeinden alle über Unterrichts, des Fernunterrichts sowie der 60-jährigen Menschen zu kontaktieren und Betreuung jener Kinder, für die es keine Alter- zu fragen, ob bei ihnen alles in Ordnung ist. nativlösungen gab, weil die Eltern arbeiten Denn während dem ersten Lockdown muss- mussten, die beispielsweise in den sogenann- ten jene Menschen zuhause bleiben. Da ten Blaulichtberufen tätig waren. Da waren ging es auch schlicht um die Frage, ob die wir intensiv an der Arbeit, um Lösungen zu Menschen nicht geradewegs verhungern suchen. In diese Arbeiten waren alle Oberamt- zuhause. Solche Einsätze wurden von der Be- männer, und der Präsident der Oberamtmän- völkerung sehr geschätzt. In diesem Zusam- ner-Konferenz, Patrice Borcard, nahm auch menhang kam es zu sehr vielen schönen im kantonalen Führungsorgan Einsitz. Bor- Erlebnissen. Die S olidarität war riesengross. card hat während des ersten Lockdowns wohl Es kamen Anfragen von Vereinen, die wissen fast in Granges-Paccot übernachtet. Kurz: wollten, wie sie der Bevölkerung helfen kön- Niemand war vorbereitet auf eine Krise die- nen – etwa mit Einkaufsdiensten oder Trans- ses Ausmasses. portdiensten zu den Ärzten. Man hätte das nicht voraussehen Hatten sich denn die Menschen – zumin- können. . . dest hier im Sensebezirk – im Allgemeinen Es gab schon Prognosen. Man hat sich auf das diszipliniert an die Vorgaben des Bundes vorbereitet, was die Spezialisten angenom- gehalten? men hatten. Doch die Spezialisten lagen falsch. Ja, diesen Eindruck hatte ich im Grossen und Ganzen definitiv. Die Fallzahlen blieben übri- Was waren denn die Hauptaufgaben, gens in den beiden deutschsprachigen Bezir- womit die Oberämter im Zuge dieser Krise ken des Kantons durchwegs unter jenen des spezifisch beauftragt worden sind? französischsprachigen Kantonsteils. Woran Zur normalen Bewilligung von Anlässen das liegt, kann niemand erklären. kamen die ganzen Schutzkonzepte hinzu. Das Tagesgeschäft lief mehr oder weniger weiter. Wie haben Sie die COVID-Zeit gesamt Baugesuche und -bewilligungen liefen weiter. gesellschaftlich erlebt? Das Personal musste seinen täglichen Ar Während der ersten Welle sicher sehr solida- beiten nachgehen. Wir waren aber zusätzlich risch. Alle halfen einander, das war wirklich stundenlang am Telefon – zu diversen Fragen, schön. Der zweite Lockdown war dann nicht zu denen die Menschen die Antworten nicht mehr ganz so streng. Da ist viel von dieser fanden und daher den Oberämtern ange Solidarität verschwunden. Was jetzt fehlt, sind rufen haben. Und wir konnten nicht immer die ganzen sozialen Kontakte. Das Vereins weiterhelfen – obwohl wir natürlich da waren leben lag weitgehend darnieder. Und ich bin und versuchten, diese Leute an den richtigen nicht sicher, wie schnell wir diesbezüglich Ort weiterzuverweisen. Aber das ist unglaub- zum Normalzustand zurückkehren können. lich, wie viele Leute sich da telefonisch mel- Die Folgen von Corona werden da noch lange 4
Oberamt Manfred Raemy Zur Person Der 47-jährige Manfred Raemy (parteilos) aus Wünnewil-Flamatt ist seit 2017 Ober- amtmann des Sensebezirks. Er ist verhei- ratet und Vater zweiter Kinder. tatsächlich minimiert. Und es ist sehr schwie- rig, die Veranstaltungen mit ihrem wichtigen sozialen Austausch – etwa mit Gemeinde räten – einfach durch Videokonferenzen zu er- setzen. Die Emotionen in den Diskussionen gehen auf diese Weise richtiggehend verlo- ren. Schwierige Dossiers vorwärtszutreiben – bei denen es darum geht, die Gemeinden und die Region vorwärts zu bringen –, ist schwie- rig, wenn man die Emotionen der Menschen nicht mitbekommt. Ein Zweiergespräch per Videokonferenz durchzuführen, mag ja noch möglich sein. Aber bei einer Videokonferenz per Teams mit rund 20 Teilnehmern sehe ich nicht einmal alle Teilnehmer aufs Mal auf mei- nem Bildschirm. Die ganze nonverbale Kom- munikation – wenn etwa jemand den Kopf schüttelt – bekommt man in einer Videokon- ferenz nicht mit. Manfred Raemy, Oberamtmann des Sensebezirks. Bild zvg Wo waren die grössten Brennpunkte der Krise – bei den Altersheimen und Schulen? nachhallen – etwa bei den Chören, in denen Bei den Pflegeheimen war es am schwierigs- viele ältere Menschen mitsingen. Die sind ten. Da kam es wirklich zu tragischen Situa durch Abgänge bedroht Bei den Fussball tionen. Die Bewohner fühlten sie eingesperrt. vereinen ist es ähnlich; dort wurde nun schon Das war auch für die Angehörigen sehr die zweite Saison in Folge unterbrochen. schwierig. Auch die Situation in den Schulen war problematisch, etwa bezüglich des Was hat COVID für Sie verändert – privat, Fernunterrichts. Die Folgen sind nicht abseh- im Oberamt und gesamtgesellschaftlich? bar. Wir haben hier fast eine verlorene Genera Man gibt sich nicht mehr die Hand; das ist das tion. Natürlich gab es schon immer Niveau- Augenfälligste. Wie nachhaltig diese Verän- unterschiede. Aber mit dem Fernunterricht derungen sind, lässt sich noch nicht abschät- gab es Probleme in den Familien. Die Eltern zen. Aber die sozialen Kontakte haben sich mussten arbeiten und hatten gar nicht die 5
Oberamt Manfred Raemy Kapazität, ihre Kinder zu betreuen. Oder gan- ze Klassen wurden in Quarantäne versetzt, und die Eltern sind in Panik verfallen. Da er- lebte man unverhältnismässige Reaktionen. Welches sind für Sie die grössten Verlierer der COVID-Krise? Man kann das nicht verallgemeinern – aber sicher gewisse Berufsgattungen; alle, die mit Gastronomie, Events oder Kultur zu tun ha- ben und ein Berufsverbot auferlegt bekamen. Daneben Schüler, die ein verlorenes Jahr auf- weisen und etwa keine Maturaprüfung ab legen durften. Dieser Makel wird sie vielleicht ihr ganzes Leben verfolgen. Und was war für Sie der positive Lichtblick in dieser ganzen Corona-Zeit? Für das Universitätsleben ist und war die Gesellschaftlich die Solidarität der Menschen. «Coronazeit» einschneidend. Besonders Ganz persönlich war die Zeit sehr intensiv trotz ins Gewicht fiel der weitgehende Wegfall weniger Sitzungen. Dafür war ich viel häufiger der universitären Lehre in Präsenz sowie als früher über Mittag mit meiner Familie zu- der fehlenden direkten und spontanen sammen, da es auch keine Business-Lunches Kontakte der Universitätsangehörigen auf gab. Die Familie war sicher ein ganz wichtiger dem Campus, alles unabdingbare Ele Rückhalt während dieser Krise. mente der universitären Bildung und des universitären Lebens. Gleichzeitig birgt die ■ Interview: Zeit – trotz aller Schwierigkeiten gerade für Dr. Jean-Claude Goldschmid viele Studierende – auch Chancen: z. B. die- jenige sich scheinbar selbstverständlicher Aspekte des Lebens und des Umstands, dass wir nicht alles kontrollieren können, bewusst zu werden. Nicht zuletzt zeigt die Pandemie die Bedeutung rationalen Um- gangs mit solchen Herausforderungen, wofür die Wissenschaft einen wichtigen Beitrag zu leisten hat, wenn die politischen Entscheidungen dann auch von den zuständigen Organen getroffen werden müssen. ■ Astrid Epiney, Rektorin der Universität Freiburg 6
Historie Eine kleine Freiburger Seuchengeschichte Eine kleine Freiburger Seuchengeschichte Die COVID-19-Pandemie ist nicht die erste Epidemie, die den Kanton Freiburg heimsucht. Einer, der sich ausgezeichnet mit dieser Thematik auskennt, ist der Freiburger Medizin historiker Alain Bosson. Für die bakteriellen Komplikationen der In Die Spanische Grippe traf die Stadt und den fluenza, die einige der Todesfälle verursach- Kanton Freiburg in den Jahren 1918 und 1919 ten, habe es noch keine Antibiotika gegeben. hart. Doch im Unterschied zu COVID-19 hat- Den Patienten, die in einem ernsten Zustand ten das medizinische Personal und die Behör- zum Arzt gingen oder ins Krankenhaus ein- den damals laut dem Freiburger Medizin geliefert wurden, habe man nicht wirklich historiker Alain Bosson nicht die Mittel, die helfen können. Bevölkerung zu testen. «Die Ärzte waren erst ab dem 11. Oktober 1918, drei Monate nach Prävention grossgeschrieben Beginn der Epidemie, verpflichtet, Grippefälle Die gesamte Strategie der Behörden basierte zu melden», sagt er. «Was die Zahl der Fälle laut dem Medizinhistoriker folglich auf Prä- betrifft, so schätzt die Freiburger Gesund- vention. Schulen wurden ab dem 12. Juli 1918 heitskommission, dass zwischen 33 und geschlossen, Vorführungen, Kinos und Ver- 50 Prozent der Bevölkerung irgendwann ein- sammlungen wurden vom 19. Juli 1918 bis mal infiziert gewesen sein dürften.» Die Sterb- zum 10. Januar 1919 verboten. «Eine weitere lichkeitszahlen geben uns einen genaueren Massnahme war die Eröffnung von Lazaret- Hinweis: 964 Einwohner des Kantons Freiburg ten, um die Kranken zusammenzufassen und starben an den Folgen der Spanischen G rippe, vom Rest der Bevölkerung zu isolieren», so bei einer Bevölkerung von etwa 140 000 Men- Bosson. «Es gab 23 Lazarette, die über den schen. Unter den Erkrankten lag die Sterblich- ganzen Kanton verstreut waren, und die keitsrate zwischen 1,4 Prozent und 2,34 Pro- B ehörden waren der Meinung, dass diese zent, und die Krankheit forderte das Leben Massnahme am Ende der Krise einigermas- von 0,68 Prozent der Gesamtbevölkerung. sen effektiv war.» In Zahlen ausgedrückt, gab es 1918 im Broye-Bezirk einen Überschuss an «In den Jahren 1918 bis 1919 gab es keine Sterbefällen mit 171 Toten. Grosse Unter B ehandlung für die Influenza», so Bosson schiede zwischen Stadt und Land seien weiter. «Viren waren noch nicht bekannt. Sie dabei nicht auszumachen. sollten erst in den 1930er Jahren entdeckt werden. Nach einem für die Krankheit verant- Im Vergleich zur restlichen Schweiz sei die wortlichen Bazillus suchte man vergeblich.» Situation im Kanton Freiburg damals sogar 7
Historie Eine kleine Freiburger Seuchengeschichte Zur Person Der 53-jährige Alain Bosson ist Doktor der neueren Geschichte an der Universität Freiburg. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt in Freiburg, wo er am Kollegium Gambach Geschichte unterrichtet. Zu seinen Hobbys gehören Geschichte, Reiten und Lesen. sene am stärkste getroffen. 59,7 Prozent der Todesfälle seien d amals auf die 20- bis 39-Jäh- Alain Bosson, Historiker und Lehrer. rigen entfallen. Bei der aktuellen Pandemie sei demgegenüber die überwältigende Mehr- noch etwas schlechter gewesen: Freiburg ver- heit der Todesfälle beim ältesten Teil der lor 0,68 Prozent seiner Bevölkerung, während Bevölkerung zu verzeichnen. der Schweizer Durchschnitt bei 0,61 Prozent liegt. «Man muss bedenken, dass Freiburg Der schwarze Tod des Mittelalters damals ein sehr ländlicher Kanton war. Man Nochmals ganz andere Dimensionen bot sich würde daher einen niedrigeren Wert erwar- im Mittelalter bei der Pest dar. Die Region ten, was aber nicht der Fall ist», bemerkt Freiburg sei während der grossen Epidemie B osson dazu. In der Schweiz kostete die des Schwarzen Todes von 1347 bis 1351 von Spanische Grippe 24 449 Menschen das Le- ihr heimgesucht worden, so Bosson. «Wie der ben, bei einer Bevölkerung von knapp 4 Mil- Rest der Schweiz war auch Freiburg um lionen. Wenn wir die Statistik von Mit- te Mai 2021 mit 10 700 Todes- fällen bei einer Bevölkerung von 8,6 Millionen betrachten und sie mit den Zahlen der Spanischen Grippe verglei- chen, sehen wir, dass die Zahl der Todesopfer der Pandemie von 1918/1919 im Verhältnis fünfmal höher war als die der aktuellen Pandemie. «Aber es gibt noch weitere grosse Unters chiede», hält Bosson weiter fest. So habe die Spani- Über die Jahrhunderte war Freiburg immer wieder von Seuchen sche Grippe junge Erwach betroffen. Bilder zvg 8
Historie Eine kleine Freiburger Seuchengeschichte 1348 betroffen», sagt er. «Gemäss dem bligatorisch. Erst 1872, nach der schweren o hemaligen Staatsarchivar Nicolas Morard e Epidemie von 1870/1871, wurde die Pocken verlor Freiburg zwischen einem Drittel und impfung verpflichtend.» Die Bevölkerung sei der Hälfte seiner Bevölkerung.» Die erste Wel- aber auch danach noch lange Zeit sehr zu- le habe dabei einen regelrechten «gesund- rückhaltend beim Impfen gewesen. Erst im heitlichen Tsu nami» dargestellt, dem zwi- 20. Jahrhundert habe man die Krankheit voll- schen 33 und 50 Prozent der Bevölkerung ständig ausrotten können. Dies ist eine faszi- zum Opfer gefallen sei. Bis zur letzten Epide- nierende Geschichte, die noch weitgehend mie in den Jahren zwischen 1636 und 1640 sei unerforscht ist. die Pest endemisch geworden: Sie kehrte re- gelmässig zurück und verursachte dabei zwar Buchtipp: Alain Bosson. La pharmacie fribour- weniger Todesfälle, blieb aber das «Gesund- geoise du Moyen Âge à la fin de l’Ancien Régime. heitsproblem Nummer Eins für die Bevölke- Avec un dictionnaire biographique des rung». So habe die Pest von 1548 laut der pharmacie 1309–1960. Bern-Liebefeld, 2021. Chronik von Franz Rudella (um 1528–1588) Schweizerische Gesellschaft für Geschichte 600 Freiburger Einwohnern das Leben gekos- der Pharmazie, Bd. 33. tet – etwa jedem Achten! Eine weitere Welle habe im Jahr 1550 weitere 1200 Opfer gefor- ■ Dr. Jean-Claude Goldschmid dert. «Ein sterbend erhebt sich in disen lan- den im sommer und biss nachvolgende fas- nacht gewäret. Sturbend am selben in der statt klein unnd gross 1200 menschen», schreibt Rudella. Aus derselben Quelle erfah- Die Post ist vom riesigen Effort der Mitar- ren wir laut Bosson auch, dass die Pest 1565 beitenden während dieser Coronakrise sehr in Freiburg täglich 50 Menschen tötete und beeindruckt. Diese haben im deutschspra- insgesamt allein in der Stadt 3000 Menschen chigen Teil des Kantons wie auch in der dahinraffte, ausserdem 700 weitere in der ganzen Schweiz Rekordmengen an Pake- Pfarrei Tafers. ten verarbeitet, täglich Briefe und Pakete an die Haustüren gebracht und waren auch Die Pocken und die Impfung während des Lockdowns in den Postfilia- Die Krankheit, welche die Gemeinschaft im len für die Kundinnen und Kunden da. Un- Mittelalter neben der Pest am meisten beun- sere Pöstler haben eine grosse Dankbar- ruhigte, war laut Bosson die Lepra. Doch ab keit seitens der Bevölkerung erlebt und dem 16. Jahrhundert sei sie allmählich ver- viele Kundinnen und Kunden haben sich schwunden. Danach seien es die Pocken ge- bei den Pöstlern auf die eine oder andere wesen, die «regelmässig grosse Verwüs Weise erkenntlich gezeigt, beispielsweise tungen angerichtet» hätten. Erst mit der durch eine Notiz am Briefkasten. Entdeckung des Impfstoffs gegen Pocken durch den englischen Arzt Edward Jenner im ■ Tiziana Boebner, Verantwortliche Jahr 1796 sei eine wirksame Vorbeugungs- Politik und Kommunikation für massnahme zur Verfügung gestanden. «Der die Kantone Waadt und Freiburg, Kanton Freiburg führte die Impfung erstmals La Poste Suisse SA 1826 ein», sagt Bosson. «Sie war aber nicht 9
Natur Thomas Oberson Fauna und Flora alle «hoheitlichen» Fragen im Zusammen- hang mit der Forstgesetzgebung. Er steht da- in Zeichen von Corona für im ständigen Austausch mit Ämtern auf Bundes- und Kantonsebene sowie mit den Gemeinden. Im Interview spricht Thomas Oberson, Förster und Betriebsleiter des Forst Wie stark beschäftigt Sie das Thema Galm Murtensee, über ein ganz speziel- «Freizeitnutzung im Wald» in I hrem beruflichen Alltag? les Jahr. Der Wald hat verschiedenen Funktionen: die Holzernte, den Natur- und Lebensraum, den Schutz und die Erholung. Die Schutzfunk Der Forst Galm Murtensee entstand aus dem tion ist vor allem im Berggebiet wichtig. Im Zusammenschluss der Forstbetriebe Region urbanen Mittelland kommt der Erholungs Murtensee und der Revierkörperschaft Galm. funktion eine wichtige Bedeutung zu. Die Er- Der grösste Teil der Waldfläche (1500 ha) holungsfunktion des Waldes ist im Seeland besteht aus öffentlichem Wald und ist im noch stärker vorhanden als im Sensebezirk. Besitz des Kantons sowie verschiedener Ge- Seit im Bundesgesetz über den Wald ein meinden und Pfarreien. Die restlichen 500 ha Fahrverbot für Waldstrassen (Ausnahme sind im privaten Besitz. Der Galmwald ist ein Forstbetriebe) festgelegt wurde, hat man schweizweites, eventuell sogar europaweites glücklicherweise keinen Verkehr mehr im Unikum: er ist eine eigene geografische Ge- Wald aber im Gegenzug viele Biker und Jog- meinde, zwar ohne Einwohner aber seit 2013 ger. Am Waldrand müssen indes für die Sport- mit einem eigen Wappen. Bereits vor 300 ler Parkplätze zur Verfügung gestellt werden. Jahren wurden im Galmwald Eichen angepflanzt, primär für die Schweinemast. Heute ist der Wald ein Eichengenreservat von schweizerischer Bedeutung. Herr Oberson, können Sie uns Ihr Tätigkeitsfeld kurz umschreiben? Thomas Oberson: Der Forst Galm Murtensee beschäftigt heute ein Team von 13 Personen wovon drei sich die Geschäftslei- tung aufteilen. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit dem Holzverkauf sowie der Kommu- nikation. Der zweite Geschäfts- leiter ist zuständig für techni- Die nächste Generation wird im Galmwald nicht mehr so grosse sche Fragen und der dritte für Bäume sehen. Bilder Isabelle Baeriswyl 10
Natur Thomas Oberson Nun zum Corona-Jahr 2020/21. Wald nur natürliche Methoden an und ver- Wie hat sich dieses auf die Nutzung der wenden absolut keine chemischen Mittel. Es Wälder generell ausgewirkt? ist für uns eine Aufgabe und Herausforderung, Während dem Lockdown waren eindeutig den Leuten diese Zusammenhänge zu erklä- viel mehr Leute im Wald, meiner Schätzung ren. So haben wir zum Beispiel einen Lehr- nach s icher mehr als doppelt so viel. Die Zu- pfad eingerichtet, der Kindern aber auch nahme hat sich vor allem bei den Spaziergän- Erwachsenen die Funktionen des Galmwal- gern bemerkbar gemacht, weniger bei den des erklärt. Bikern und E-Bikern. Die Parkplätze am Wald rand waren vermehrt besetzt. Diese Zunah- Hat sich Ihre Arbeit in dieser Zeit, me an Leuten hat jedoch unseren Betrieb das heisst seit März 2020, verändert? nicht behelligt. An den Picknickplätzen haben Wenn ja, wie? wir keine Probleme festgestellt. Da wir keine Die Arbeit im Wald hat sich für uns in dieser Abfallkübel aufstellen, nehmen die Leute ihre Zeit grundsätzlich nicht verändert. Wie über- Abfälle wieder mit und wir finden nur sehr all sonst mussten wir sanitäre Sicherheits- wenig davon auf dem Waldboden. massnahmen ergreifen, aber da wir haupt- sächlich draussen arbeiten, waren die Wie steht es mit der Fauna und Flora? Einschränkungen nur minim. Stellen Sie hier eine Veränderung fest? Die Zunahme der Freizeitnutzung hat sich Wie sehen Sie die Zukunft des Waldes, nicht nachteilig auf Fauna und Flora ausge- etwa bezüglich klimatischen wirkt. Anders war es vermutlich im urbaneren Veränderungen oder Freizeitnutzung? Gebiet wie zum Beispiel um Murten, wo die Heute sehen wir Veränderungen im Wald, Nutzung der Wälder in der Coronazeit stark welche ein Förster normalerweise in seiner zunahm. Der Wald hat in dieser Zeit eine Berufskarriere nicht zu sehen bekommt. Was «Renaissance» erlebt, was uns grundsätzlich ich in meiner Ausbildung gelernt habe ist zum freut. Die Leute haben ihn wieder entdeckt Teil nicht mehr gültig. Die über Generationen als Erholungs- und Genussraum, auch ohne angewendeten Waldbauprinzipien müssen sportlichen Challenge. Darin liegt aber auch fortlaufend angepasst werden. Es geht dar- ein gewisses Konfliktpotential. Die Leute ha- um, Arten zu fördern, welche resistenter für ben das Gefühl, dass sie Anspruch auf eine die neuen klimatischen Bedingungen sind. Infrastruktur im Wald haben und begreifen Im Galmwald wurden früher viele Rottannen nicht, dass Waldwege primär für die Holznut- gepflanzt. Heute sieht man, dass diese der zung angelegt wurden. Auch fehlt manchmal Trockenheit nicht widerstehen können. das Verständnis für die Aufgabe der Förster Grundsätzlich ist der Mischwald die beste im Wald. Sie werden zum Teil als «Baumkiller» Form der Waldnutzung. Dieser verlangt aber angesehen und meine Mitarbeiter wurden auch ganz klar eine Steuerung durch den auch schon verbal angegriffen. Förster sind Menschen, das heisst durch uns Förster. Wenn aber primär Schützer des Waldes und die Nut- wir nicht eingreifen würden, hätten wir bald zung der Bäume geschieht seit 300 Jahren eine Buchenmonokultur. Die wirtschaftliche gemäss dem Prinzip der Nachhaltigkeit. Die Seite spielt hier natürlich auch eine Rolle. Der oberste Maxime dabei ist: es wird nicht mehr Wald ist ein Produkt, das verkauft werden genutzt als nachwächst. Auch wenden wir im muss. Unser Betrieb sollte selbsttragend sein. 11
Natur Thomas Oberson Zur Person Thomas Oberson wohnt in Kleinbösingen, ist verheiratet und hat 2 Kinder. Seit 1992 ist er als Förster tätig, zuerst während 18 Jahren im Sensebezirk und seit 2010 als Betriebsleiter im Galmwald. den neuen Bedingungen gut standhalten wer- Dem Förster und Betriebsleiter des Forst Galm den. So werden im Galmwald die bereits vor- Murtensee, Thomas Oberson, ist die Artenvielfalt handenen, trockenresistenten Traubeneichen ein wichtiges Anliegen. noch mehr gefördert. Die nächste Generation wird nicht mehr so grosse Bäume sehen und Die durch den Holzverkauf erwirtschafteten auch neue Arten wie zum Beispiel den Baum- Einnahmen verwenden wir auch für Schutz- hasel, der in Südosteuropa heimisch ist. und Sensibilisierungsmassnahmen. ■ Interview: Isabelle Baeriswyl Welchen Wunsch haben Sie an die Besucher/-innen des Waldes? Wir wünschen uns mehr Toleranz und Ver- ständnis für die Abläufe und Zusammenhänge Eigentlich ist der Föderalismus eine tolle im Wald und ein besseres Bewusstsein dafür, Sache, doch in Krisenzeiten kann dieser dass der Wald, so wie er heute besteht, das auch zu einem Problem werden. Hier hat Resultat unserer Arbeit ist. Auch wünschen wir aber einer der kulturell vielfältigsten Kanto- uns mehr Respekt gegenüber den Förstern ne der Schweiz bewiesen, dass es sich mit seitens der verschiedenen Nutzer wie Reiter, gegenseitigem Respekt und etwas weni- Biker, Jogger und auch mehr gegenseitigen ger Egoismus viel leichter lebt. Und dabei Respekt zwischen diesen Gruppen. hat die Deutschfreiburger Bevölkerung de- monstriert, dass ein Miteinander viel mehr Und Ihr Schlusswort bringt als das Gegeneinander. Die Entbeh- Heute erleben wir grosse Veränderungen in rungen waren gross, gewisse Schicksale ir- der Gesellschaft und gleiches kann man auch reparabel und trotzdem ziehen wir nach auf den Wald beziehen. Die wichtigste Ände- wie vor am selben Strick. Wir alle wollen rung ist natürlich die Klimaerwärmung. Wir wieder ein Leben in Sicherheit, Geborgen- sind aber diesbezüglich positiv gestimmt und heit und etwas Zuversicht. Also schaffen überzeugt, dass die Natur sich anpassen wird. wir das letzte Stück auch noch zusammen. Andere Arten werden mehr in den Vorder- grund treten. Wir Förster aber auch die For- ■ Bernard Vonlanthen, Adjunkt scher der Versuchsanstalt für Wald, Schnee Kommunikation und Prävention, und Landschaft in Birmensdorf sind fortlau- Kantonspolizei Freiburg fen darum bemüht, Arten zu finden welche 12
WirtschaftRegiova-Sensekiste Gemüse liefern statt zusammen mit einem Freund, der seine Arbeitss telle im Tourismusbereich aufgrund Partys planen Corona verloren hatte, trafen sich Alain Ducrey und Kevin Haas an einem Abend im März 2020 zu einem Bier. Sie sinnierten über das Die Regiova-Sensekiste: Schicksal und je länger der Abend dauerte, eine Geschichte von zwei Senslern, desto mehr Ideen für die Überbrückung die- die 100 Prozent in der Eventbranche ser schweren Zeit tauchten auf und plötzlich war da eine Idee in den Köpfen, die sich ein- tätig w aren als die Coronakrise das nistete und nicht mehr verabschiedete: Ge- Land erreichte... müse und Früchte von und für Sensler/-innen. Ein Abonnement für eine Gemüsekiste, ge- füllt mit regionalen Bio-Produkten und einem Alain Ducrey und Kevin Haas von der Kult- «Gudeli», um den SenslerInnen die Zeit des Agentur Hauta AG waren vollends damit be- Lockdowns zu versüssen. Abgerundet wer- schäftigt, Hochzeiten zu organisieren, Festzel- den sollte der Gemüsekorb mit einem pas- te zu vermieten und Marketingarbeiten zu senden Rezept, um auch unerfahrenen Kö- erledigen. Fünf Jahre nach der Gründung des chen beizustehen und diese von der Idee zu Unternehmens hatten sie langsam aber überzeugen. sicher die schwierige Anfangsphase eines Startups überstanden und waren zufrieden: alles funktionierte nach Plan, die Aufträge waren da, viele Hochzeiten und Feste für den Sommer 2020 in Vorbereitung, und das Unternehmen begann langsam aber sicher zu rentieren. Die beiden jungen Männer freu- ten sich auf einen schönen, langen und erfolgreichen Sommer mit vielen Events. Es begann bei einem Bier Dann kam der 16. März 2020, mit einem Schlag war alles vorbei: 80 Prozent des Einkommens von einem Tag auf den andern weg. Corona s tellte – wie bei so vielen Menschen – das Leben der beiden Jungunternehmer auf Eine Geschichte von zwei Senslern, die 100 Prozent den Kopf: Unglauben machte sich breit, Auf- in der Eventbranche tätig waren. Bilder zvg träge lösten sich in Luft auf, geplante Perso- naleinstellungen mussten sie rückgängig Aus der Bieridee am lustigen Männerabend machen, Existenzängste tauchten auf... Die entstanden bald die ersten konkreten Pro- beiden füllten zig Formulare aus und erstell- jektskizzen. Aufgebaut wurde das Projekt auf ten Finanzpläne für den Kanton; dennoch gab einer bereits bestehenden, aber noch nicht es kaum Hilfsgelder, wie Alain Ducrey erzählt. ausgebauten Plattform für Künstler, Events Die Zeit des Lockdowns war nicht einfach – und Eventlokale in der Region – dem 13
WirtschaftRegiova-Sensekiste Onlineportal «Regiova», das bereits früher zu wieder kochen (mussten), stärker Wert auf ge- einem zweiten Standbein der Kult-Agentur sunde Ernährung setzten und die Regiona Hauta AG werden sollte. Die Initianten führ- lität schätzten. «Das Projekt scheint zu über- ten bei Freunden eine kleine Marktforschung zeugen, ohne dass wir gross Werbung durch, organisierten Kisten, fragten Bauern machen mussten», sagt Ducrey. Ein Erfolgs- für Gemüse an und schon konnte das junge projekt also, das nur dank Corona entstanden Unternehmen am 8. Juli 2020 erstmals neun ist und weiterbesteht. Auf die Frage, was ihm Kisten Gemüse ausliefern. Die Rückmeldun- denn bei Corona in den Sinn komme, antwor- gen waren durchwegs positiv, worauf sich im- tet Alain Ducrey nach längerem Überlegen mer mehr SenslerInnen für das Abo anmel- mit einem Lächeln auf dem Gesicht: «Es ist deten. Die Jungunternehmer setzten sich eine Hassliebe.» Er, der von der Coronakrise zum Ziel, bis Ende Jahr 100 Abonnenten zu beruflich stark getroffen und von Existen- erreichen – dies schafften sie dann bereits im zängsten geplagt wurde, konnte gleichzeitig September. Die Abonnentenzahl stieg stetig: dank dieser Krise ein zweites Standbein auf- der Platz, auf dem normalerweise Festzelte bauen. Er habe in dieser Zeit auch sehr viel für gewaschen und repariert werden, wurde nun das Leben gelernt: «Es wird dir nichts ge- für das Abpacken und den Vertrieb einge- schenkt» und «Wenn du deiner Intuition setzt. Familienmitglieder und Freunde, die folgst, ergeben sich immer unverhoffte Lö- ebenfalls wegen Corona ihre Arbeitsstelle ver- sungen»: seien zwei Fazits, die diese schwie- loren hatten, halfen tatkräftig mit. Da die rige Zeit für ihn persönlich und das Projekt Sensler Bio-Bauern bald nicht mehr genü- der Sensekiste gut umschreiben würden. gend und vielfältige Ware liefern konnten, suchten Ducrey und Haas neue Produzenten Erfolgsgeschichte geht weiter und holten die grossen Gemüsebauern aus Die Zahl der Abonnenten steigt auch heute dem Seeland ins Boot. Die Initianten wurden noch stetig: 360 Abnehmer im Sensebezirk von ihrem eigenen Erfolg überrascht. sind es unterdessen und das Projekt läuft im- mer professioneller. Diesen Sommer pflanzen Alain Ducrey ist überzeugt, dass die Gemüse- erstmals Landwirte im Sensebezirk extra kiste wohl unter anderem so guten Erfolg hat- Kräuter und Gemüse an für den Vertrieb te, weil die Leute vermehrt zuhause waren, durch die Sensekiste. Den Landwirten wird 14
WirtschaftRegiova-Sensekiste mit der Sensekiste ein regelmässiger Absatz darüber geführt werden müsse. Zurzeit sehe und eine faire Entlöhnung ihrer Produkte ga- es aus, als ob es die Chance gewesen sei, rantiert. Zu den bestehenden Sensekisten, bei ein zweites Standbein aufzubauen; ob es welchen das Angebot ausgebaut werden soll, auch längerfristig ein Gewinn sei, bleibe abzu warten... Zu wünschen wäre es den engagierten Jung unternehmern, die sich nicht nur für die S ensler Kultur, sondern auch die Sensler Regionalität einsetzen. Weitere Infos unter: sensekiste.regiova.ch ■ Maria Riedo Die Corona-Pandemie hat meinen Alltag als vollamtlicher Syndic von Freiburg durch- einandergerüttelt. Einerseits hatte ich plötz- lich mehr Zeit für andere Aufgaben, da praktisch alle Veranstaltungen, Versamm- lungen, Sportanlässe, Konzerte usw. weg- wird nun rund ein Jahr nach dem Start im gefallen sind, doch andererseits musste ich Rahmen eines Pilotprojekts der Vertrieb von zusammen mit dem Krisenstab dringliche Gemüse an Restaurants und Dorfläden ge- Aufgaben priorisieren, unter anderem die testet. Mit Stolz in der Stimme erzählt Alain sehr kurzfristige Umstellung der Gemeinde Ducrey auch, dass es inskünftig in der alten verwaltung auf Homeoffice sowie die Ein- Metzgerei in Alterswil einen Selbstbedie- setzung einer Hotline und die Nothilfe für nungsladen geben wird. Dies erlaube es die am schwersten betroffenen Personen. einerseits flexibler Produkte zu vertreiben und Am meisten beeindruckt hat mich in die- grössere Mengen einzukaufen. All dies benö- ser Zeit die Solidarität der Freiburgerinnen tigt Personal, Aufwand und Platz. Mit den und Freiburger, die im Rahmen der Nach- neuen Räumlichkeiten in der Metzgerei ha- barschaftshilfe den älteren Bewohnerin- ben sich die beiden Sensler die nötige Infra- nen und Bewohnern die Einkäufe erledig- struktur geschaffen. Sie holen ausserdem ten und andere Aufgabe unentgeltlich regionale soziale Institutionen wie zum Bei- übernahmen. Es ist ein gutes Zeichen, dass spiel Applico ins Boot, welche die Kisten mit- die Leute sogar in unserer individualisier- gestalten und ausliefern. ten Gesellschaft zusammenrücken und einander aushelfen, wenn es ernst wird. Die Frage, ob die Coronakrise nun beruflich für ihn ein Fluch oder ein Segen war, beant- ■ Thierry Steiert, wortet Alain Ducrey lachend mit dem Hinweis, Freiburger Stadtammann dass in einem Jahr noch einmal ein Interview 15
Giffers KUND bei den Harzern KUND bei den Harzern leute des Klosters Altenryf waren. Die bedeu- tendsten Vertreter dieses Geschlechts waren Nocherus und seine Söhne. Am 25. September 2021 ist KUND Geographische Lage für die Mitgliederversammlung zu Gast Die Gemeinde Giffers gehört zum Oberland bei den Harzern, wie die Giffersner des Sensebezirkes und umfasst eine Fläche von 5,22 km2 . Sie hat einen gemeinsamen genannt werden. Ein Gemeindeporträt. Grenzverlauf mit den Gemeinden Tentlingen, St. Silvester, Rechthalten und Plasselb. In ei- nem Punkt fallen die Gemeindegrenzen von Giffers, Rechthalten, Plasselb und Plaffeien zusammen. Giffers liegt an der Aergera; der Fluss ist eingebettet in eine atemberaubend schöne und intakte Auenlandschaft. Herkunft und Bedeutung In ältesten Zeiten war beinahe das ganze Ge- biet von Giffers mit Wald bedeckt. Nur die sonnigen, windgeschützten Hänge beim heutigen Dorf waren vom Wald befreit und dienten als Weideplätze für Ziegen. Auch ei- nige bewohnte Hütten und Ställe standen wohl da. Die Romanen nannten den Ort Cap- rilia (Ziegenstall). Daraus entwickelte sich Chi- uriles (1150), später Chivrilles (1324), Chiurilles (1445) und schliesslich Giffers. Chevrilles, der französische Name der Gemeinde, bestätigt heute noch diese Herleitung. 2010 konnte Gif- fers mit einer Sagennacht und einem Festakt das 850-jährige Bestehen feiern. Das Wappen der Gemeinde Giffers wurde erst im 20. Jahrhundert festgelegt. Es bezieht sich jedoch auf weit zurückliegenden Zeiten, auf das seit dem 17. Jahrhundert der lehensherr- lichen Familie von Giffers zugeschriebene Wappen: «geviert von Rot und Gold mit vier durchgehenden eingeschnürten Tatzenkreu- zen in gewechselten Farben». Die Ritter von Giffers haben ausser ihrem Wappen aber kaum Spuren hinterlassen. Ein Dokument Die Aergera mit intakter Auenlandschaft. bezeugt, dass sie im 12. Jahrhundert Dienst- Bilder zvg 16
Giffers KUND bei den Harzern Der Dorfkern mit Kirche und Gemeindehaus. Der tiefste Punkt der Gemeinde liegt auf Im Dorfkern befinden sich Kirche und Ge- 679 m über Meer (Poplera an der Aergera), das meindehaus, die zusammen mit dem kleinen Dorfzentrum auf rund 800 m und der höchste Park ein einladendes und schmuckes Bild er- Punkt auf 1032 m (Lanthershubel, oberhalb geben. Die Kirche, die 1380 erstmals erwähnt Eichholz). wurde, ist dem heiligen Tiburtius geweiht. Die letzte markante Veränderung erfuhr die Sehenswürdigkeiten Kirche 1976, als der aus dem Jahre 1930 Das Wasserreservoir bietet den Besucherin- stammende Turm (Höhe 29,5 m) mit seinem nen und Besuchern eine Nahsicht hinab auf pyramidenförmigen Ziegeldach durch einen das Dorf und eine Weitsicht gegen Norden. neuen Turm ersetzt wurde. Der neue Turm Die Lourdes-Grotte der Pfarrei Giffers-Tentlin- (Höhe 38,2 m) gleicht nun wieder dem Turm, gen liegt, 1902 in den Felsen gehauen, idyl- der 1929 durch einen Blitzschlag einen gros lisch oberhalb der Aergera und lädt beson- sen Schaden erlitten hatte. Das heutige ders an warmen Sommertagen zu einer Gemeindehaus diente bis in die Mitte des angenehmen Auszeit ein. Nach einer Wan letzten Jahrhunderts als Pfarrhaus. Als die derung empfehlen sich der Gasthof «Zum Pfarrei ein neues Pfarrhaus bauen liess, er- Roten Kreuz» und das Restaurant «Zur Pinte» warb die Gemeinde das Gebäude und errich- für eine Stärkung. tete darin 1986 ihre Gemeindeverwaltung. 17
Giffers KUND bei den Harzern Die Grabenmühle. Am Weg zwischen der Flachsnera und der Aufschrift «Lauper Peak 18 700 km» und einen Grabenmühle an der Aergera entdeckt man grossen Gedenkstein mit einer Schrifttafel, die auf halbem Wege einen Wegweiser mit der dem berühmten Giffersner Jakob «Zaaggi» Lauper (1815–1891) gewidmet ist. «Zaaggi» hat sich als Entdecker von Pfaden in Neuseeland einen Namen gemacht. Dank einer wagemu- tigen Expedition wurde ein Berg nach ihm benannt: Lauper Peak. Als der Schweizer Botschafter in Neuseeland vom Gedenkstein erfuhr, besuchte er diesen in Begleitung von Nachfahren von «Zaaggi» und dem Gemein- derat Giffers. Eine besondere Wanderung verspricht aus serdem sportliche Betätigung in Verbindung mit kriminalistischer Spannung. Dieser Gedenkstein mit Schrifttafel, die dem berühmten « KrimiSpass» beginnt im Dorfzentrum und Giffersner Auswanderer Jakob «Zaaggi» Lauper führt durch die Gemeinden Giffers und Tent- gewidmet ist. lingen. 18
Giffers KUND bei den Harzern Bevölkerung und Dorfleben Gemeinsam mit der Gemeinde Tentlingen bil- Heute (2021) zählt die Gemeinde Giffers fast det die Gemeinde Giffers im Bezirk ein inter- 1700 Einwohnerinnen und Einwohner. Die kommunales Zentrum. Dank der intensiven Zahl ist in den letzten Jahrzehnten markant Zusammenarbeit dieser beiden Gemeinden angestiegen: konnte beispielsweise 1994 die Dreifachsport- halle eröffnet werden. Jahr Bevölkerung 1950 770 Die Gemeinden Giffers und Tentlingen bilden 1960 812 auch einen gemeinsamen Kulturkreis. Eine 1970 1084 Vielzahl von Vereinen bieten so den Einwoh- 1980 1185 nerinnen und Einwohner beider Gemeinden 1990 1363 die Möglichkeit zur sportlichen, musischen 2000 1393 und kreativen Freizeitgestaltung. 2010 1420 2020 1661 Der Harzer und sein Brauchtum Der Giffersner Lehrer German Kolly (1898– Die Nähe zur Stadt und Agglomeration Frei- 1980) sammelte leidenschaftlich Sagen und burg liess Giffers zu einer attraktiven Wohn- Märchen aus dem Senseland und publizierte gemeinde mit einem intakten und vitalen sie auch. So haben eine Vielzahl der Erzählun- Dorfleben anwachsen. In Giffers besteht gen einen direkten Bezug zu Giffers und der heute ein breites Dienstleistungsangebot unmittelbaren Umgebung: Der Hutätä, der (mit Kleingewerbe, Restaurants, Einkaufs- auch entlang der Aergera sein Unwesen trieb, möglichkeiten, Bank, Post, Apotheke und das Ungeheuer im Flachsnerawald, das als Arztpraxen). Geist eines verstorbenen Menschen keine 19
Giffers KUND bei den Harzern Ruhe fand, und der Tambour, der siegesfroh Bereits weit über die Kantonsgrenze hinaus von einer Schlacht heimkehrte und der Beu- ist der «Güffersch-Tee» als beliebtes Getränk te wegen umgebracht wurde. bekannt, das gerne in den Wintermonaten getrunken wird. Dabei werden Wasser, Ge- würze wie Anis und Zimtstangen sowie Kandiszucker aufgekocht. Hernach vollendet der grosszügig dazugegebene Rotwein das Aroma. Der typische «Güfferschner» geniesst dieses Getränk auch während der warmen Jahreszeit, wenn auch in leicht abgeänderter Rezeptur (ohne Wasser, Gewürze, Zucker und natürlich ungekocht). ■ Othmar Neuhaus, Ammann von Giffers Die Lourdes-Grotte der Pfarrei Giffers-Tentlingen wurde 1902 in den Felsen gehauen. Die Sage des Harzers ist jedoch untrennbar mit Giffers verbunden: Es begab sich ein Mit welcher Abgeklärtheit und fast stoi- Giffersner in die Wälder zwischen Giffers und scher Ruhe die Mehrzahl der stark betrof- Praroman, um Harz für die Herstellung von fenen Unternehmen und Arbeitnehmer Harzkuchen (Verwendung beim Schlachten) die Krise angegangen sind, hat mich zu- zu holen. Gleichzeitig jagten die Jäger aus tiefst beeindruckt. Die Solidarität zwischen Praroman in den Wäldern einen Bären. Der Deutsch- und Welschfreiburg wurde aller- Bär kam dem Giffersner gefährlich nahe, so- dings arg strapaziert. Im Herbst hatte es in dass dieser auf eine Tanne flüchten musste. Deutschfreiburg viel weniger positive Fäl- Die Hunde der Jäger kamen heran und bell- le und trotzdem hat der Kanton eine Teil- ten zur Tanne hinauf. Die Jäger vermuteten schliessung des ganzen Kantons beschlos- den Bären auf der Tanne und legten die sen, der solidarisch von uns mitgetragen Gewehre an. Der Giffersner rief angsterfüllt: wurde. Wichtig ist aber: Die Menschen las- «Halt! Schiess nit. I bü nit de Bäär; i bü nÙme sen sich trotz Leid und Ungemach nicht an arma Harzer va Güffersch». Diese Ge- unterkriegen. Im Sommer 2020 konnten schichte wurde bald im ganzen Land bekannt wir in Deutschfreiburg touristisch gross und man bezeichnete von da an die Giffers- auftrumpfen und der ganzen Schweiz ner als Harzer. Zum Gedenken an German Kol- unsere legendäre Gastfreundschaft unter ly und den Harzer wurden zwei Strassen nach Beweis stellen und unsere Sehenswürdig- ihnen benannt: German-Kolly-Weg und Har- keiten näherbringen. zerweg. Das Harzerschiessen der hiesigen Feldschützengesellschaft hält ebenfalls die ■ Olivier Curty, Staatsrat Erinnerung an diese Geschichte wach. 20
Aus der Sprachenecke Zweisprachige Klassen in der Stadt Freiburg Aus der Sprachenecke wurde. Die zweisprachigen Schulprojekte, die informell schon initiiert worden waren, muss- ten nach und nach unter Berufung auf eine Zweisprachige Klassen in der Stadt illegale Unterrichtspraxis und auf einen Ver- Freiburg: Was lange währt . . . stoss gegen das Territorialprinzip eingestellt werden. Gewisse Eltern, die in und um Frei- burg ihren Kindern eine Ausbildung auf Die Nachricht hat junge Eltern gefreut: Ab Deutsch bieten wollten, damit diese zwei- Herbst 2021 können 45 Kinder zweisprachi- sprachig werden, zogen daraufhin in den gen Unterricht in der Vignettaz-Schule besu- S ense- und deutschsprachigen Seebezirk chen. Es handelt sich um ein Projekt ab Kin- oder haben sogar die Konfession gewechselt, dergarten (1H/2H) in zwei Pilotklassen, die um ihnen den Besuch der reformierten Schu- nach dem Prinzip der reziproken Immersion le auf Deutsch zu ermöglichen. unterrichtet werden. Die Kinder erhalten da- bei zweisprachigen Unterricht in gemischt- sprachigen Klassen, sie lernen also auch von- einander. Die Klassen werden evaluiert, bevor das Angebot gegebenenfalls auf die Primar- schule und andere Schulhäuser ausgeweitet wird. Da das Interesse die zur Verfügung s tehenden Plätze überstieg, mussten die Kinder ausgelost werden. Damit verfügt die Stadt über ein schulisches Angebot für junge Schulkinder, das schon seit Langem überall auf der Welt existiert und die sprachlichen Ressourcen optimal nutzt. Das Projekt schliesst an das kantonale Konzept für den Sprachunterricht an, das verschiedene zwei- sprachige Modelle vorschlägt, und entspricht politischen Vorstössen auf Gemeinde- und Kantonsebene. Aber die Initiative zur Schaffung von zweispra- chigen Klassen ab Kindergarten kam schon Fahrverbot nach Eröffnung der Poyabrücke 2014. 1991 vom «Verein zweisprachige Schule Frei- Bilder Claudine Brohy burg», dessen Umfrage in Freiburg und Um- gebung das Interesse der Eltern für diese Sag, wie hast du’s mit der Unterrichtsform schon damals gezeigt hatte. Zweisprachigkeit? Daraufhin erarbeitete eine Arbeitsgruppe der Diese Gretchenfrage steht in Zusammenhang Direktion für Erziehung, Kultur und Sport ein mit der amtlichen Zweisprachigkeit der Konzept zum zweisprachigen Unterricht aus, Gemeinde Freiburg seit Jahrzehnten im dessen Verankerung im Schulgesetz in einem Raum, welche von der Deutschfreiburgischen Referendum im Jahr 2000 knapp verworfen Arbeitsgemeinschaft (DFAG) immer begrüsst 21
Aus der Sprachenecke Zweisprachige Klassen in der Stadt Freiburg wurde und auch das Ziel politischer Vorstös- Umsetzung des Territorialprinzips ist. Auf se war. Mit dem Fusionsprojekt Grossfreiburg inen Hinweis auf ein Sprachengesetz wurde e hat sie an Brisanz gewonnen, wurde doch sowohl im revidierten Sprachenartikel von 2018 zunächst von der Arbeitsgruppe 1990 und in den sprachenrechtlichen « Geschichte und Identität» eine offi zielle Bestimmungen der neuen Verfassung von Zweisprachigkeit für die neue Gemeinde in 2004 verzichtet. Nicht das Sprachengesetz, Aussicht gestellt, bevor eine Ad-hoc-Arbeits- sondern die Diskussion um das Gesetz könn- gruppe einen Rückzieher machte. Die te die beiden Sprachgemeinschaften und die Communauté romande du Pays de Fribourg Gruppe der Zweisprachigen stark polarisieren. erwachte aus dem Koma und machte sich für Ein kantonales Sprachengesetz ist nicht un- eine französische Einsprachigkeit stark, ausser abdingbar, die Vor- und Nachteile für b eide für das Kerngebiet der Stadt. Der Verein, Sprachgemeinschaften und für die verschie- dessen Motto in sprachlichen Belangen frü- denen Bereiche des öffentlichen Lebens her «Légifère le mieux qui légifère le moins» müssen klar abgewogen werden. Der Bund war, fordert nun lautstark ein kantonales besitzt erst seit 2007 ein Sprachengesetz, der Sprachengesetz, dessen primäres Ziel wohl dreisprachige Kanton Graubünden seit 2006, eine extrem restriktive Interpretation und darin wird auch der Gebrauch und der Status der Minderheitensprachen Roma- nisch und Italienisch bei Gemeinde- fusionen geregelt. Der Kanton Jura verfügt seit 2010 über ein Sprachen- gesetz, die zweisprachigen Kanto- ne Wallis und Bern besitzen keines, aber die Berner Verfassung erklärt die Verwaltungsregion Seeland, den Verwaltungskreis Biel/Bienne und die G emeinden Biel/Bienne und Leubringen als amtlich zwei- sprachig. Der Staatsrat hatte 1992 die Stadt Freiburg als amtlich zweisprachig erklärt, was 1993 vom Verwaltungs- gericht des Kantons Freiburg bestä- tigt wurde, der Entscheid wurde aus unerklärlichen Gründen nie umge- setzt. Der Verfassungsrat hat sich zwischen 2000 und 2004 intensiv mit den Themen Sprachen und Zweisprachigkeit auseinanderge- setzt. Die These der Sprachenkom- mission «Die Hauptstadt heisst Frei- Plakat im Rahmen von 50 Jahre Pro Freiburg. burg/Fribourg, sie ist zweisprachig» 22
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