EIN GRUND ZUM FEIERN - 2 Euro - Arge für Obdachlose

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Arge für Obdachlose                                 Stra enzeitung von Randgruppen und sozial Benachteiligten

JULI/AUGUST 2021 ı 1 Euro bleibt den VerkäuferInnen ı Achten Sie auf den Verkaufsausweis                  2 Euro

                                                             EIN GRUND ZUM FEIERN
IMPRESSUM                       LESERBRIEFE UND REAKTIONEN

Die Straßenzeitung Kupfermuckn ist ein Angebot zur
Selbsthilfe für Wohnungslose und für Menschen an oder

                                                          Bei uns haben haben alle ein Leiberl!
unter der Armutsgrenze. Unsere Zeitung versteht sich
als Sprachrohr für Randgruppen und deren Anliegen.
Der Zeitungsverkauf und das Schreiben bringen neben
dem Zuverdienst das Gefühl, gemeinsam etwas ge-
schaffen zu haben. Von Wohnungslosigkeit Betroffene
bilden mit Mitarbeitern des Vereins »Arge für Obdach-
                                                                                                                     mverkäufer
lose« in partnerschaftlichem Verhältnis die Redaktion.
                                                           Senden Sie uns ein Foto mit ihrem Stam
Redaktion
Straßenzeitung Kupfermuckn, Marienstraße 11, 4020
Linz, Tel. 0732/770805-13, kupfermuckn@arge-ob-
dachlose.at, www.kupfermuckn.at
                                                         Ein Gratis Kupermuckn-Shirt für unsere treuen Leser
Projektleitung, Koordination, Layout, Fotos:
Heinz Zauner (hz), Chefredakteur                         Im Sommer gibt es zu unserem 25-Jahres-Jubiläum neue
Daniela Warger (dw), Leitung Redaktion                   T-Shirts in navyblau mit gelbem Kupfermuckn-Auf-
Daniel Egger (de), Redaktion
Katharina Krizsanits (kk), Vertrieb, Layout              druck. Alles bio in bester Qualität.
Walter Hartl (wh), Technik                               Für alle Leserinnen und Leser, die uns ein Foto ge-
                                                         meinsam mit ihrem Kupfermuckn-Stammverkäu-
Redakteure: Anna Maria, August, Christine, Claudia,
Helmut, Heinz, Hermann, Johannes, Leo, Manfred F.,       fer mailen (kupfermuckn@arge-obdachlose) oder
Manfred R., Manfred S., Sonja, Ursula, Walter;           vorbeibringen, gibt es ein T-Shirt gratis. Bitte ge-
                                                         ben Sie die Größe (s, m, l, xl, xxl) und Ihre Ad-
Titelfoto (hz): 25 Jahre Kupfermuckn
Auflage: 38.000 Exemplare                                resse an.

Bankverbindung und Spendenkonto
Arge für Obdachlose, Marienstraße 11, 4020 Linz          25 Gratiszeitungen im Wert von
IBAN: AT461860000010635860, BIC: VKBLAT2L                50 Euro für »Ihren« Verkäufer
Ausgabe in Linz, Wels, Steyr und Vöcklabruck             Sie machen mit dieser Aktion aber auch unseren
Menschen, die in Armut leben und ihren Lebensmittel-
punkt in Oberösterreich haben, können sich Montag bis    Verkäuferinnen und Verkäufern eine große
Freitag zwischen 8 und 12 Uhr bei den Ausgabestellen     Freude. Diese erhalten neben dem T-Shirt auch
melden und erhalten einen Verkäuferausweis. 50 Pro-      25 Gratis-Exemplare der Kupfermuckn zum
zent des Verkaufspreises verbleiben den Verkäufern.
                                                         Verkauf.
Arge für Obdachlose, Marienstraße 11, 4020 Linz, Tel.,   Bitte Fotos mit kleinen Text versehen und in
0732/770805-19                                           guter Auflösung senden. Auf Wunsch kom-
Soziales Wohnservice Wels, E 37, Salzburgerstraße 46,
4600 Wels, Tel. 07242/290663                             men wir auch mit unserer Kamera vorbei und
Verein Wohnen Steyr, B 29, Hessenplatz 3, 4400 Steyr,    fotografieren Sie. (Jede/r Leser /in bzw. Ver-
Tel. 07252/50 211                                        käufer/in kann nur einmal gewinnen!) Im
Verein Wohnungslosenhilfe Mosaik, Gmundner Straße
102, 4840 Vöcklabruck, Tel. 07672/75145                  Herbst gestalten wir dann einen schönen Bei-
                                                         trag über die vielen beeindruckenden Begeg-
Medieninhaber und Herausgeber                            nungen zwischen Ihnen und Ihren Verkäufern.
Vorstand des Vereines »Arge für Obdachlose«, Vorsit-
zende Mag.a Elisabeth Paulischin, Marienstraße 11,
4020 Linz, www.arge-obdachlose.at

                       International
                       Die Kupfermuckn ist Mitglied
                       beim »International Network
                       of Street Papers« INSP
                                                         Achten Sie bitte auf den Verkaufsausweis
                       www.street-papers.com
                                                                                                            Liebe Leserinnen und Leser!

                                                                                                            Bitte kaufen Sie die Kupfermuckn
                                                                                                            ausschließlich bei Verkäuferinnen
                                                                                                            und Verkäufern mit sichtbar getrage-
                                                                                                            nem und aktuellem Ausweis. Nur so
                                                                                                            können Sie sicher sein, dass auch
                                                                                                            wirklich die Hälfte des Ertrages der
                                                                                                            Zielgruppe zu Gute kommt: Woh-
                                                                                                            nungslosen und Menschen, die in Ar-
                                                                                                            mut leben und ihren Lebensmittel-
                                                                                                            punkt in Ober­österreich haben.

2                      07/2021
Schmerz lass nach
Betroffene berichten über unglückliche Unfälle mit teils schwerwiegenden Folgen

Schaut’s her, der Außerirdische                   Erinnerung hatte. An jenem Tag war die Stelle    den Schmerz im Halswirbelbereich. Eine Be-
                                                  mit einer lehmigen Masse zugeschwemmt und        kannte sah mich fragend an. Ich sagte zu ihr:
geht wieder spazieren                             nur mehr gut einen Meter tief. Ziemlich be-      »Warten wir es noch ab, vielleicht wird es ja
                                                  nommen ging ich raus. Wir klebten die Platz-     noch besser«. Sie fuhr dann einkaufen. Als sie
»Tua's net«, hat sie geschrien. Wir, einige aus   wunde und fuhren gemeinsam zur Party. Wäh-       zurück kam, lag ich noch immer genau so da
unserer Clique, waren beim See, unterwegs zu      rend der Fahrt stellte ich fest, dass ich den    wie zuvor. Sie rief den Krankenwagen. Die
einer Party. Ich stand ganz oben auf dem run-     Kopf immer weniger bewegen konnte. Ein           Rettungsfahrer haben mich auf einer dicken
den Bogen der hölzernen Brücke über dem           Freund machte sich Sorgen. So fuhr er mit mir    aufblasbaren Bahre in das Rettungsauto ver-
Zufluss des Sees, bereit zum Sprung. Den          dann doch zum Unfallkrankenhaus nach Salz-       frachtet. Im Unfallkrankenhaus musste ich
Schrei habe ich noch gehört. Dann bin ich ge-     burg, wo ich geröntgt wurde. Die Wunde           dann drei Tage nur ruhig im Bett liegen. Erst
sprungen. Es war ein super Köpfler. Mit den       wurde verbunden. Wir fuhren zurück zur           dann trauten sich die Ärzte, die Untersuchun-
Armen konnte ich mich beim Aufprall noch          Party. Dort erschien ich dann mit einem Tur-     gen durchzuführen. Bei diesen wurde dann
abstützen. Danach stand ich taumelnd auf. Zu      ban. Am nächsten Morgen wachte ich auf ei-       festgestellt, dass der dritte Halswirbel ver-
meinem Entsetzen stand mir das Wasser nur         ner Couch auf und wollte aufstehen. Noch         staucht war. Im Gips-Zimmer war ich umringt
bis zum Bauch. Auf der Stirn hatte ich eine       immer auf dem Rücken liegend, musste ich         vom Pflege-Personal und einem Arzt. Sie zo-
Platzwunde, aus der das Blut floss. Leider war    feststellen, dass ich den Kopf keinen Millime-   gen mir den Kopf nach oben. Dann wurde mir
ich schon lange nicht mehr bei diesem Zu-         ter bewegen konnte. Wenn ich mich bewegen        so schnell wie möglich ein Gips verpasst. Der
fluss, den ich mit zweieinhalb Meter Tiefe in     wollte, verspürte ich einen höllisch brennen-    Brustkorb, der Hals und der ganze Kopf wa-
                                                                                                                       07/2021                 3
Anspruch nahm. Heute bin ich überglücklich,
                                                                                                                                 dass alles so gut verheilt und mir eine Opera-
                                                                                                                                 tion erspart geblieben ist. Ich kann meinen
                                                                                                                                 Arm wieder ganz normal bewegen und alles
                                                                                                                                 ist, als wäre nie etwas gewesen. Leo

                                                                                                                                 Dann durfte ich den Bettnachbarn
                                                                                                                                 beim Frühstück zusehen
                                                                                                                                 Als ich eines Tages in der Früh aufwachte,
                                                                                                                                 dachte ich mir: »Was ist jetzt los?« Bis dahin
                                                                                                                                 wusste ich nicht, wie sich ein echter Schmerz
                                                                                                                                 so anfühlt. Auch diesen Schmerz konnte ich
                                                                                                                                 nicht richtig orten. Waren es Magen- oder
                                                                                                                                 Bauchschmerzen oder kam der Schmerz von
                                                                                                                                 woanders. Es tat höllisch weh, wenn ich mich
                                                                                                                                 niederlegte. So beschloss ich, ins Kranken-
                                                                                                                                 haus der Barmherzigen Brüder in die Notauf-
                                                                                                                                 nahme zu gehen und mich untersuchen zu
                                                                                                                                 lassen. Nach einiger Zeit kam ich zu der Ärz-
                                                                                                                                 tin, die mich untersuchte und mir später sagte,
                                                                                                                                 ich hätte eine Bauchspeicheldrüsen-Entzün-
                                                                                                                                 dung. So wurde ich stationär aufgenommen.
                                                                                                                                 Ich war froh, denn ich bekam gleich ein
                                                                                                                                 Schmerzmittel intravenös verabreicht, was
                                                                                                                                 den Schmerz doch linderte. Drei Tage lang
 Ursula kennt Schmerzen. Bis voriges Jahr wurde sie noch liebevoll von ihrem zu früh verstorbenen Freund unterstützt. Foto: de
                                                                                                                                 bekam ich nichts zum Essen. Trinken durfte
                                                                                                                                 ich auch nichts. Ich bekam Infusionen, damit
                                                                                                                                 der Körper mit Flüssigkeit versorgt war und
ren danach eingegipst. Augen, Nase, Mund,                        noch bei diesem Halswirbel. Ich kann aber                       Schmerzmittel. So konnte ich wenigstens
Ohren und die Arme waren frei. Das sollte                        super damit leben. Aus dieser Erfahrung her-                    schlafen, denn mit den Schmerzen wäre es
drei Monate so bleiben. Wieder zu Hause, lie-                    aus würde ich jedem dringend raten, sich vor                    unmöglich gewesen. Am nächsten Tag wurde
fen beim Spazierengehen immer die Kinder                         einem Köpfler zuvor genauestens über die                        eine Computertomographie gemacht. Das war
zusammen: »Schaut's her, der Außerirdische                       Wassertiefe zu informieren. Manfred S.                          sehr unangenehm, da sie einem zuerst einen
ist wieder unterwegs«, schrien und lachten sie                                                                                   Schlauch hinten einführen und mit Wasser den
und zeigten dabei mit dem Finger auf mich.                                                                                       Darm auffüllen. Danach durfte ich drei Tage
Ich dachte mir: »Worauf die Kinder nicht alles
                                                                 Schulterbruch während des                                       lang den Bettnachbarn beim Frühstück-, Mit-
kommen.« Ich ließ mich von ihnen umringen.                       Krankenhaus-Aufenthaltes                                        tag- und Abendessen zusehen oder ich ging
Es war aber schon irgendwie ein komisches                                                                                        rauchen. Endlich, am vierten Tag, bekam ich
Gefühl. Ich war in eine Art Polyestergips ein-                   Vor einigen Jahren wurde ich ins AKH in Linz                    wieder ein Frühstück, aber nur Tee und zwei
gehüllt und konnte damit sogar wieder einen                      eingeliefert. In der Unfallambulanz angekom-                    Stück Knäckebrot. Mittags und zum Abendes-
Köpfler in den See machen. Das Schwimmen                         men, legte ich mich auf eine Notliege, da ich                   sen aber nur eine klare Suppe und Knäcke-
in diesem neuen Kostüm war etwas anstren-                        schon sehr müde und auch ziemlich schwer                        brot. Am nächsten Tag wurde es mir gleich
gend, weil der Kopf starr und gerade war.                        durch Alkohol beeinträchtigt war. Nach eini-                    wieder gestrichen, da meine Blutwerte noch
Gegen Ende der drei Monate hatte das Ganze                       ger Zeit ging mir der Monitor, der an der Wand                  sehr schlecht waren. Also wieder drei Tage
dann auch schon einen etwas bedenklichen                         befestigt war, auf den Nerv. Ich stand auf,                     nichts essen und trinken. Ich habe es überlebt
Geruch angenommen. Endlich kam der Tag,                          stellte mich auf die Liege, da ich den Stecker                  und bin ohne Schmerzen entlassen worden.
an dem mir der Gips abgenommen wurde.                            aus der Steckdose ziehen wollte, wozu es                        Darüber war ich sehr dankbar. Manfred R.
Danach ging ich entlang der Steingasse hinter                    nicht mehr kam. Ich wusste nicht, dass die
dem Unfallkrankenhaus. Ich hatte damals rie-                     Bremse am Notbett nicht angezogen war. Es
sige Angst, dass etwas aus einem Fenster auf                     fuhr davon und ich schlug so hart am Boden
                                                                                                                                 Bandscheibenvorfall und Arthrose
meinen Kopf fallen könnte. Ich hatte das Ge-                     auf, dass ich mir die linke Schulter brach.                     machen mir das Leben schwer
fühl, als würde mir die Schädeldecke fehlen                      Durch die Schmerzens-Schreie waren sofort
und als wäre mein Gehirn vollkommen offen.                       einige Ärzte und anderes Krankenhaus-Perso-                     Ich habe seit Jahren mit der Wirbelsäule Prob-
Mit der Zeit konnte ich dann wieder schmerz-                     nal zur Stelle und leisteten mir erste Hilfe. Für               leme. In der Halswirbelsäule habe ich einen
frei als Baumaschinen-Mechaniker arbeiten                        die ersten drei Wochen bekam ich einen Gurt,                    Bandscheibenvorfall, den man nicht mehr
und so ziemlich alles unternehmen. Das ist bis                   damit die Schulter nicht bewegt werden                          operieren kann. Das Problem dabei ist, dass er
heute so geblieben. Wenn ich so zurückdenke,                     konnte. Die Schmerzen waren anfangs extrem                      immer wieder weh tut. Deswegen bin ich auch
waren das die ärgsten Schmerzen in meinem                        – teilweise kaum noch zu ertragen. Nach den                     ziemlich verspannt. Es strahlt seit geraumer
Leben. Ich bin ja auch nur knapp einer Quer-                     drei Wochen wurde ich zu einer Therapie im                      Zeit nun auch in meine Hände aus. Meine Fin-
schnittslähmung entkommen. Oft knackst es                        AKH verdonnert, die ich aber nur ein Mal in                     ger werden dadurch taub. Da kann es sogar
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passieren, dass mir Sachen aus der Hand fal-        und verbrachte die Nacht – wie damals öfters       dort ohne Versicherung nur die Möglichkeit
len oder ich nicht einmal mehr einen Kaffee         – am Bahnhof in Wels. Eine Nacht am Bahn-          gibt, sich den entsprechenden Zahn reißen zu
trinken kann. Für mich bedeutet das nun, re-        hof zu verbringen (nur im Sitzen, von den Se-      lassen. Konservative, also zahnerhaltende Be-
gelmäßig auf Reha zu fahren und zu Hause            curities gerade halt geduldet, wenn man Glück      handlung gebe es nur über niedergelassene
dann die Übungen zu machen. Die Arthrose            hat) ist an sich schon eine ziemliche Heraus-      Zahnärzte in deren Praxen. Ich hatte höllische
an der Lendenwirbelsäule macht mir noch zu          forderung. Damals, in dieser bestimmten            Schmerzen, also stimmte ich der Extraktion
schaffen. Da habe ich vor allem im Winter           Nacht, kamen dann noch Schmerzen dazu,             zu, musste allerdings für die Betäubungs-
sehr starke Schmerzen. Bei mir hilft nur die        Zahnweh, höllische, irre Schmerzen, mehrere        spritze noch fünf Euro bezahlen (sonst hätte er
Wärme. In der Apotheke gibt es zwar Wärme-          Stunden, kaum auszuhalten, die mir natürlich       die Behandlung ohne Betäubung durchführen
                                                                                                       müssen). Also: den Zahn war ich los, das
                                                                                                       Zahnweh auch. Gott-sei-Dank! Die darauffol-
»Damals, in dieser bestimmten Nacht, kamen dann noch                                                   gende Nacht verbrachte ich in der »Gruft« –
Schmerzen dazu, Zahnweh, höllische, irre Schmerzen!«                                                   dort kann man im Warmen und im Liegen
                                                                                                       schlafen. Sehr angenehm. Am nächsten Tag
                                                                                                       machte ich mich dann – via Autostopp – wie-
                                                                                                       der auf den Weg in Richtung Wels und Linz,
gürtel, doch die sind nicht billig. Ich kaufe sie   auch die wenigen Stunden Schlaf, die ich           wo ich damals meinen Lebensmittelpunkt
ab und zu, wenn es gar nicht mehr geht. Da-         sonst vielleicht noch mit viel Glück gehabt        hatte. Jetzt gibt es in Linz das »HelpMobil«
durch ist auch der Haushalt für mich nicht          hätte, raubten. Was sollte ich tun – außer die     und das Krankenzimmer der »CARITAS«, die
leicht. Der Wohnungs-Putz dauert bei mir            Nacht irgendwie zu überstehen? Ich hatte ei-       beide auf medizinische Versorgung nicht-ver-
zwei bis drei Tage unter starken Schmerzen.         nige Zeit davor vom Sozialarbeiter des Ver-        sicherter, obdachloser Personen spezialisiert
Würde ich sie an einem Tag putzen, könnte           eins B37 in Linz gehört, dass man automa-          sind. Ob es mir mit meinem Zahnweh mitten
ich mich gar nicht mehr bewegen. Claudia            tisch einen Versicherungsschutz bekäme,            in der Nacht damals besser gegangen wäre,
                                                    wenn man in der NOWA (damals noch die alte         wenn es diese Einrichtungen schon gegeben
                                                    NOWA in der Waldeggstraße) gemeldet wäre.          hätte? Johannes
Nach Stunden höllischer Schmer-                     Deshalb war in der Früh mein erster Weg nach
zen ging ich in die Zahnambulanz                    Linz zur NOWA, um diese Anmeldung vorzu-
                                                    nehmen. Leider war die Information des Sozi-
                                                                                                       Vor lauter Schmerzen konnte
Ich war damals mehr oder weniger freiwillig         alarbeiters falsch: Der Leiter der Stelle er-      ich nicht mehr aufstehen
in der Obdachlosigkeit und habe auch freiwil-       klärte mir, nur die Anmeldung in der NOWA
lig – aus religiösen Gründen – auf Sozialleis-      reiche nicht, ich müsste mich beim AMS wie-        Als ich zum Fußballspiel »Lask« gegen »Real
tungen und auf Versicherungsschutz verzich-         der als arbeitssuchend melden, nur so bekäme       Madrid« mit dem Rad fahren wollte, kam ich
tet. Mir war damals dieser Lebensentwurf um         ich meinen Versicherungsschutz. Eine schwere       mit dem Vorderrad in die Staßenbahnschiene.
der größeren Freiheit willen sehr wichtig. Al-      Enttäuschung. Eine Wiederanmeldung beim            Zuerst war der Schmerz nicht so spürbar.
lerdings: ich gebe zu, es gab einen Zeitpunkt,      AMS kam für mich damals überhaupt nicht in         Doch bereits einige Stunden später konnte ich
wo ich mit diesem meinem Ideal schon ein            Frage. Also, was tun? Ich hatte gehört, dass       nicht mehr gehen. Vorsichtshalber rief ich
wenig an die Grenze gestoßen bin. Auf Kran-         man in Wien im Krankenhaus der »Barmher-           dann die Rettung. Die Sanitäter brachten mich
kenversicherung zu verzichten ist schon okay,       zigen Brüder« auch ohne Versicherung medi-         sofort ins Unfallkrankenhaus. Es wurde eine
solange man nicht schwer erkrankt oder starke       zinische Behandlung bekäme, von Oberöster-         Verletzung des Oberschenkelhalses festge-
Schmerzen hat. Ohne Versicherung gibt es            reich hatte ich das nirgends gehört. Also nichts   stellt. Die Schmerzen waren irrsinnig heftig,
eben normalerweise keine medizinische Be-           wie auf nach Wien, noch ein paar Stunden mit       ich konnte nicht mehr aufstehen. Da ich Rau-
handlung. Also, wie war das damals? Es war          höllischen Zahnschmerzen. Irgendwie konnte         cher bin, dachte ich mir: »Oh Schmerz lass
Winter und ich hatte gerade ein Wochenende          ich mir anscheinend das Ticket leisten und in      nach.« Nach zwei Tagen fragte ich eine
mit meinen Kindern bei meinen Eltern und            Wien in den zweiten Bezirk zu den »Barmher-        Schwester, ob sie mich in den Raucher-Raum
meinem Bruder hinter mir, hatte also die Kin-       zigen Brüdern« zur Zahnambulanz. Dort er-          fahren könne. Konnte sie leider nicht. Ich star-
der gerade wieder bei der Mutter abgegeben          fuhr ich vom diensthabenden Arzt, dass es          tete mehrere Selbst-Versuche, aus dem Bett zu

                                                                                                                            07/2021                  5
nahm die Tabletten zu früh am Abend des
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                                                                                                            Ich muss ehrlich sagen, so beschissen ist es
                                                                                                            mir davor und bis zum heutigen Zeitpunkt
                                                                                                            nicht mehr gegangen. Ich gewöhnte mich je-
                                                                                                            doch an den Rhythmus mit meinen Tabletten
                                                                                                            relativ schnell und konnte dadurch wieder
                                                                                                            sehr viel unternehmen. Nach weiteren elf Jah-
                                                                                                            ren wurde ich dann auch die Tabletten los.
                                                                                                            Was für eine Wohltat, ich konnte wieder ein
                                                                                                            normales Leben führen. Einen Entzug hierzu
                                                                                                            konnte ich mir sparen. Gott sei Dank. Mein
                                                                                                            Körper ist nun schmerzfrei. Eine weitere Ein-
                                                                                                            nahme von Morphium würde zu einer Abhän-
                                                                                                            gigkeit führen. Seither achte ich viel mehr auf
                                                                                                            meinen Körper, wenn dieser mir Signale sen-
                                                                                                            det. Sonja

                                                                                                            Schmerzhafte Zivilcourage mit
                                                                                                            glimpflichem Ausgang
                                                                                                            Im Frühjahr saß ich gemütlich mit einer
                                                                                                            Freundin im Volksgarten. Wir ließen uns son-
                                                                                                            nen und tranken nebenbei etwas. Eine andere
                                                                                                            Freundin nahm ihr einen Eistee vom Billa mit.
                   Danijel erlitt einen schmerzhaften Nasenbeibruch (Siehe Geschichte). Foto: de
                                                                                                            Als sie ihr das Wechselgeld gab, entriss ihr ein
                                                                                                            Unbekannter einen Zehn-Euro-Schein. Dar-
                                                                                                            aufhin packte ich ihn am Arm und sagte, er
steigen, doch es gelang mir nicht. Nach vier               nur mit Tabletten. Dann ging ich doch noch       solle meiner Freundin den Geldschein bitte
Tagen konnte ich das Bett zum ersten Mal mit               freiwillig ins Krankenhaus. Die ersten beiden    zurück geben. Er wurde laut und es entwi-
Krücken eigenständig verlassen. Ich musste                 Infusionen gegen die Schmerzen waren sinn-       ckelte sich ein Streit. Immer mehr Leute
dann einen Monat lang mit den Krücken ge-                  los. Sie halfen nichts. Wahrscheinlich auf-      schlossen sich dem Streit an, vor allem Schau-
hen. Das war richtig mühsam. Noch bis zum                  grund der vielen zuvor eingenommenen Tab-        lustige. Plötzlich packte meine Freundin, die
heutigen Tag spüre ich Schmerzen auf dieser                letten. Dann sollte mir nur noch Morphium        sehr temperamentvoll sein kann, den Unbe-
Stelle. Seither bin ich auch ein ziemlich                  helfen. Mein Kopf dröhnte danach wie wild.       kannten am Hals. Als ich sah, wie er ausholte,
schmerzempfindlicher Patient, der sich leider              Ich war jedoch heilfroh, dass mir wenigstens     musste ich schnell reagieren. Ich stieß meine
vor jeder Spritze fürchtet. Helmut                         dieses Mittel Erleichterung verschaffte. Den     Freundin zur Seite, damit sie nichts abbekam.
                                                           Ärzten war es im Moment wichtig, mich ir-        Leider traf mich der Schlag mitten ins Gesicht
Nach etwa einem Jahr Schmerz-
pumpe auf Tabletten umgestellt                             »Mehr als zwei Jahre sollte mich das Morphium dann begleiten.
                                                           Ich hatte anfangs immer eine Schmerzpumpe bei mir. «
Seit dem Jahr 2008 weiß ich, was Schmerzen
sind. Ich ging fast täglich an die Decke. Da
mein Mann damals im Sterben lag, wollte ich                gendwie schmerzfrei zu bekommen, da einige       und meine Nase begann sofort zu bluten. Es
ihn damit nicht auch noch belasten. Irgendet-              Untersuchungen anstanden und ich diese aus-      schoss heraus wie ein Wasserfall. In diesem
was stimmte mit meinem Körper nicht. Ich                   halten sollte. Und dann wurde bei mir Krebs      kurzen Moment der Unachtsamkeit machte
traute mich jedoch nicht zum Arzt zu gehen.                festgestellt. So war die Ursache für meine       sich der Täter aus dem Staub. Freunde von uns
Wochenlang nahm ich täglich sehr viele                     Schmerzen gefunden. Mehr als zwei Jahre          versuchten noch, ihm nachzurennen, aber lei-
Schmerzmittel zu mir, die man rezeptfrei in                sollte mich das Morphium dann begleiten. An-     der erfolglos. Er war zu schnell. Ich musste
der Apotheke bekommt. Für meinen Körper                    fangs hatte ich eine Schmerzpumpe bei mir,       eine Weile am Boden sitzen bleiben, weil sich
war diese Selbsttherapie alles andere als gut.             die ich immer trug. Es war nur wichtig, dass     die Blutung nicht so leicht stoppen ließ. Nicht
Als ich dann ins Gefängnis musste, weil ich                immer genug Morphium drinnen war und die         einmal meine improvisierte Kühlung mit einer
noch eine Geldstrafe offen hatte, merkte ich               Batterien noch voll waren. Mit der Zeit wusste   Bierdose half. Als die Blutung aufgehört hatte,
erst, wie tief ich da schon drinnen war. Ohne              ich schon, wann etwas zum Auffüllen oder         ging ich nach Hause und ruhte mich noch eine
Hilfe schien es keine Chance auf ein normales              Wechseln war. Dann hatte ich keine Schmer-       Weile aus. Danach packte ich meinen Ruck-
Leben mehr zu geben. Nachdem ich eine                      zen mehr. Ich war glücklich, denn mit dem        sack und ging mit meiner geschwollenen Nase
Nacht lang mit starken Schmerzen verbracht                 Ende des Schmerzes kam dann der Humor            noch Kupfermuckn verkaufen. Die Schmer-
hatte, erklärte mich der Amtsarzt mit soforti-             wieder zurück. Nach etwa einem Jahr              zen hielten noch ein paar Tage an, aber zum
ger Wirkung für »haftuntauglich«. Danach                   Schmerzpumpe wurde ich auf Tabletten um-         Glück hatte ich keine bleibenden Schäden.
war ich noch eine zeitlang zu Hause, wieder                gestellt. Die Umstellung war ein Horror. Ich     Danijel (Siehe Foto oben)
6                07/2021
Wenn Schmerzen chronisch werden
Interview mit Oberärztin Dr.in Karin Imhof vom Kepler Universitätsklinikum Med Campus III

Wir haben mit Doktorin Karin Imhof aus            Dies alles fließt in die Behandlung mit ein und
der Schmerzambulanz über die Möglich-             es wird ein umfassendes Gesamtkonzept er-
keiten und Grenzen der Schmerztherapie            stellt. Im besten Fall arbeiten verschiedene
gesprochen. Neben Medikamenten gibt es            Disziplinen aus den Bereichen Neurologie,
auch noch andere Methoden zur Schmerz-            Orthopädie, Anästhesie, Psychologie, Psycho-
behandlung. Manchmal findet man keine             somatik und physikalische Therapie zusam-
Ursache für den Schmerz, was aber nicht           men. Die Bewegungstherapie und das Erler-
bedeutet, dass keiner vorhanden ist.              nen, wie man mit dem Schmerz umgehen
                                                  kann, sind ganz wichtige Aspekte in der
Warum gibt es Schmerzen, wozu dienen sie?         Schmerztherapie. Nur Medikamente zu verab-
Es handelt sich dabei um einen Schutzmecha-       reichen und die Dosis immer weiter zu stei-
nismus des Körpers, der uns sagt, dass irgend-    gern macht keinen Sinn.
etwas nicht stimmt. Schmerzen sind ein Warn-
signal.                                           Wie präsent ist das Thema der Medikamenten-
                                                  abhängigkeit bei Ihren Patienten?
Das Schmerzempfinden ist sehr subjektiv?          Es gibt natürlich einen großen Unterschied zu      lich Medikamente verabreicht werden kön-
Wie funktioniert die Schmerzanamnese?             Drogenabhängigen, weil diese ja eine psycho-       nen. Es gibt leider auch Patienten, bei denen
Es ist tatsächlich so, dass es sich bei Schmer-   aktive Wirkung erzielen wollen. Bei unseren        man irgendwann ansteht. Also dem Slogan
zen um eine subjektive Wahrnehmung han-           Patienten steht die Schmerzlinderung im Vor-       »Kein Mensch muss Schmerzen leiden« kann
delt. Wir arbeiten diesbezüglich mit Schmerz-     dergrund. Es entsteht auch eine körperliche        ich leider nicht zustimmen. Auch wenn es sehr
skalen. Zum Beispiel mit der VAS-Skala, was       Abhängigkeit, weshalb ich Opiate zum Bei-          schön wäre, handelt es sich bei dieser Aussage
so viel heißt wie visuelle Analog-Skala und       spiel nicht von einem Tag auf den anderen          um reine Utopie.
mit der NRS-Skala – einer numerischen Ra-         absetzen kann, sondern sie langsam ausschlei-
ting-Skala, anhand derer man seinen Schmerz       chen muss. Eine psychische Abhängigkeit er-        Wie lassen sich Phantomschmerzen behan-
beziffern kann. Die Zahl »Null« bedeutet da-      gibt sich aber nur ganz selten, weil die Inten-    deln?
bei, dass man völlig schmerzfrei ist und die      tion des Konsums einfach eine andere ist.          Die Behandlung ist die gleiche wie bei allen
Zahl »Zehn«, dass man den schlimmsten                                                                anderen Schmerzen. Vor allem Antiepileptika
Schmerz verspürt, den man sich vorstellen         Gibt es auch Schmerzen, die nicht gelindert        werden als Medikation zur Therapie von
kann. Im Rahmen der Schmerztherapie wer-          werden können? Was macht man dann?                 Phantomschmerzen herangezogen. In der
den die Skalen dann immer wieder herangezo-       Ja, die gibt es natürlich. Da sind wir dann        physikalischen Therapie gibt es eine Sonder-
gen, um die weitere Behandlung anpassen zu        beim psychosomatischen Formenkreis. Mei-           form, die bei Phantomschmerzen gerne einge-
können. Für Kinder gibt es spezielle visuelle     ner Ansicht nach bildet sich kein Mensch           setzt wird und gute Erfolge bringt: die Spie-
Skalen, auf denen lachende, weinende und          Schmerzen ein, es gibt immer irgendeine Ur-        geltherapie. Dabei wird die Person so vor dem
auch schmerzverzerrte Gesichter abgebildet
sind. Bei sehr alten oder auch dementen Per-
sonen, die sich verbal nicht mehr so gut aus-     »Dem Slogan ›Kein Mensch muss Schmerzen leiden‹
drücken können, gibt es Verfahren, den            kann ich leider nicht zustimmen.«
Schmerz anhand von Grimassen, Herzfre-
quenz, Blutdruck oder auch Schweißbildung
abzuschätzen.
                                                  sache. Wenn ich mit den mir zur Verfügung          Spiegel positioniert, dass nur die gesunde Ex-
Welche Möglichkeiten hat man in der Schmerz-      stehenden Methoden keine organische Ursa-          tremität zu sehen ist. Bei den zu absolvieren-
therapie abgesehen von der Verabreichung          che feststellen kann, dann kann ich nicht ein-     den Übungen entsteht dann für den Patienten
von Medikamenten?                                 fach Medikamente verschreiben, infiltrieren        der Eindruck, dass die betroffene Extremität
Wir arbeiten nach dem bio-psycho-sozialen         et cetera. Das macht keinen Sinn, sondern ich      immer noch Teil des Körpers ist. Dies hilft
Schmerzmodell und beziehen das soziale Um-        verweise sie weiter an die Psychosomatik.          den Patienten oft sehr. Auch Rückenmarkssti-
feld mit ein. Auch die Psyche der betroffenen     Dort wird der Fokus vor allem auf die Psyche       mulations-Elektroden werden angewandt.
Person spielt eine nicht unwesentliche Rolle.     gelegt, was nicht heißt, dass nicht auch zusätz-   Foto und Text: de
                                                                                                                         07/2021                 7
HIGHLIGHTS
AUS

JAHREN 1996–2021
KUPFERMUCKN
                                                                          Im Oktober 1996 wurden erstmals 1.500 Zeitungen gratis verteilt.
                                                                         Heute werden monatlich circa 30.000 Zeitungen auf Oberösterreichs
                                                                        Straßen verkauft. Ausgabestellen gibt es in Linz (Arge für Obdachlose)
                                                                          Wels (Soziales Wohnservice Wels), Steyr (Verein Wohnen Steyr) und
                                                                                      Vöcklabruck (Wohnungslosenhilfe Mosaik).

    Abgesichert durch Kupfermuckn-Verkauf
    Ich bin seit Jahren leidenschaftlicher Kupfermuckn-Verkäufer
    und neuerdings auch Redakteur. Was den Verkauf betrifft, pas-
    sieren bei mir jeden Tag besondere Dinge, egal in welchem
    Stadtteil oder Gastgarten ich unterwegs bin. Ich treffe meine
    Stammkunden, mit denen ich immer gerne ein paar Worte
    wechsle und ich lerne immer wieder neue Leute kennen. Jeder
    einzelne meiner Kunden ist für mein Leben wichtig. Jeder hat
    mir ein bisschen geholfen und hilft mir mit jeder Zeitung, die er
    mir abnimmt. So habe ich es geschafft, von der Straße zurück in
    eine eigene, kleine Wohnung zu kommen. Also, danke an meine
    treuen Kundinnen und Kunden. Hermann

8                 07/2021
»Tante Ingrids Geburtstag«
                                                                    Gerne erinnere ich mich an die Besuche unserer ehemaligen Vizebürgermeis-
                                                                    terin und Sozialstadträtin Dr. Ingrid Holzhammer zurück, die die Kupfer-
                                                                    muckn nach ihrer Gründung sehr unterstützte. Bei der Kupfermuckn wurde
                                                                    sie liebevoll »Tante Ingrid« genannt. Jedenfalls kam uns die Sozialstadträtin
                                                                    jedes Jahr am 18. Dezember mit einer leckeren Weihnachtsjause besuchen.
                                                                    Irgendwann kamen wir dann dahinter, dass sie immer an ihrem Geburtstag zu
                                                                    uns kam und sich die Zeit nahm, sich mit uns zu unterhalten. Zu ihrem 60er
                                                                    drehten wir dann den Spieß um und empfingen sie mit Blumen und einer
                                                                    Geburtstagstorte. Am Bild überreicht Michael Mooslechner, Geschäftsführer
                                                                    unseres Vereines »Arge für Obdachlose«, Blumen. Walter

                                                                                        Den Redakteuren der Kupfermuckn entgeht bei ihren Tests nichts. Seien
                                                                                     es Parkbänke, Würstelstände, öffentliche WCs oder die Kundenfreundlichkeit
                                                                                          österreichischer Ämter. Wir berichten authentisch und unabhängig.

   In Glasgow wurde die Kupfermuckn von INSP (International
 Network of Streetpapers) für die beste Titelseite einer Straßen-
zeitung weltweit im Jahr 2010 ausgezeichnet. Kritisiert wurde der
  gläserne Mensch durch die geplante sogenannte Transparenz-
 Datenbank. Die Kupfermuckn erfreut sich vieler Auszeichnungen
            u.a. auch des OÖ Menschenrechtspreises.

                                                                                                                                       07/2021                    9
JAHRE 1996–2021
KUPFERMUCKN

                                                                   Urlaub Bad Gastein
                                                                   Im Sommer 2018 ging es beim jährlichen Kupfermuckn-
                                                                   Urlaub nach Bad Gastein. Ich freute mich sehr darauf, wie-
                                                                   der einmal aus der Stadt hinauszukommen. Mit der Seil-
                                                                   bahn ging es bei Traumwetter hinauf auf die Berge. Im
                                                                   Felsenbad ließen wir danach die Seele baumeln. Der Urlaub
                                                                   war wunderschön. Am Abreisetag gab es noch eine freudige
                                                                   Überraschung. Denn zuvor, am Tag vor der Abreise, baten
                                                                   wir um finanzielle Hilfe für unsere Wohnung. Die Hilfe
                                                                   wurde uns zugesichert. Mittlerweile sind wir dank der Hilfe
                                                                   von der Kupfermuckn Mieter einer eigenen Wohnung. Ich
                                                                   hoffe, dass es die Zeitung noch lange gibt. Sonja (am Foto
                                                                   oben links)

         Wo würden unsere Leser lieber die Geburtstage ihrer
     Freunde eintragen, als im jährlichen Kupfermuckn-Kalender.
     Die Fotos zieren meist liebe Leute an den schönsten Flecken      Im Gedenken an Roman und Bertl – zwei Kupfermuckn-Urgesteine, die,
        von Linz. In der Adventszeit können sich die Verkäufer       wie so viele andere, schon von uns gegangen sind. 250 Verkäufer kaufen
             damit etwas Weihnachtsgeld dazu verdienen.                die Zeitung um einen Euro in der Ausgabestelle und verkaufen sie um
                                                                                    zwei Euro auf den Straßen Oberösterreichs.

10           07/2021
Mit sozialen Aktionen machen wir auf Missstände aufmerk-
                   sam. Die Kupfermuckn sang bereits im Jahr 2006 die
                 Landeshymne »Hoamatland« beim Stelzhamerdenkmal im
                Volksgarten, um gegen die Verdrängung von sozialen Rand-
                   gruppen aus dem öffentlichen Raum zu protestieren.

Poetry Slam
Poetry Slam 2017: Ich hatte die Ehre, gemeinsam mit Kollegin-
nen und Kollegen der Straßenzeitungen aus dem deutschspra-
chigen Raum, das heißt aus Deutschland und Österreich, an
diesem Wettbewerb teilnehmen zu dürfen. Der Saal im Central
war mit 180 Besuchern total voll. Da hatte sogar ich ziemliches
Lampenfieber. Allen daran Beteiligten – vor allem den beiden
motivierenden Moderatoren für die liebevolle und ermutigende
Anmoderation – gebührt nochmals großer Dank und auch dem
Kupfermuckn-Leitungsteam, das über die Jahre zahlreiche Le-
sungen für uns organisierte. Der Auftritt beim Poetry Slam war
für mich ein echtes Highlight, eine Sternstunde in meinem Le-
ben. Johannes

                                              07/2021                      11
JAHRE 1996–2021
KUPFERMUCKN

 Meine Aufnahme in die Redaktion
 Vor einigen Jahren hörte ich zum ersten Mal, dass es eine Stra-
 ßenzeitung in Linz, die Kupfermuckn, gab. Ein lieber Bekann-
 ter meinte, da wäre noch Platz für mich. Er nahm mich mit hin
 und ich war begeistert von der Professionalität und der Art
 dieser Arbeit. Es menschelte und ich war überrascht, wie posi-
 tiv das alles war. Nachdem ich meinen ersten Artikel vorgele-
 sen hatte, bekam ich Applaus. Später wurde ich gefragt, ob ich
 nicht gerne Redaktionsmitglied werden wolle. Dieses Angebot
 freute mich sehr und ich sagte natürlich zu. Nach einer Abstim-
 mung mit nur einem »Nein« durfte ich mich riesig freuen,
 endlich fix dabei zu sein. Das war für mich eine große Freude
 und auch eine Ehre und vielleicht das größte Highlight. Ich          Jeden Mittwoch um 13 Uhr treffen sich seit 1996 die Kufpermuckn-
 durfte mein Hobby zum Beruf machen und auch meine Gabe            Redakteure und machen Zeitung. Zwei Drittel der Berichte werden von den
 ausleben. Ursula                                                    Betroffenen selbst geschrieben, was die Kupfermuckn unverwechselbar
                                                                                         in der Medienlandschaft macht.
Seit 20 Jahren begleiten die
                                                                                                                        Redakteure der Kupfermuckn
                                                                                                                        jährlich circa 30 Gruppen bei
                                                                                                                          der sozialen Stadtführung
                                                                                                                          »Gratwanderung durch das
                                                                                                                               obdachlose Linz«

                                                                             Kufermuckn Leitungsteam v.l.n.r.: Heinz Zauner, Katharina Krizsanits,
                                                                                         Daniela Warger, Walter Hartl, Daniel Egger

     Kleider machen Leute: Nach gratis Friseur-Besuch bei den »Barber
     Angels« und Einkleidung im Second-Hand-Shop der »Basar GmbH«,
    bat uns Conchita Wurst bei der »Nacht der Vielfalt« der Volkshilfe auf
                        die Bühne. Was für ein Fest!

Beim Linzer Pflasterspektakel
Als ich gefragt wurde, ob ich beim Theaterprojekt mitmachen will, war
ich sofort dabei. Marianne Huber, Sozialarbeiterin in der Arge für Ob-
dachlose hat eine Ausbildung zur Theaterpädagogin absolviert und hat
sich dann mit uns auseinandergesetzt, um das Erlernte in die Praxis
umzusetzten. Wir haben dann im Jahre 2007 beim Linzer Pflasterspek-
takel angesucht und wurden von der Jury aus 800 Bewerbern aus über
30 Nationen aus der ganzen Welt ausgewählt. Es war ein erhabenes
Gefühl, allein schon die Eröffnungsparade. Wir marschierten unter all
den internationalen Straßenkünstlern mit. All dies hat uns einige Num-
mern größer werden lassen: Wir von der Kupfermuckn waren interna-
tional. Das werde ich nie mehr vergessen. Es war großartig. Manfred S.

                                                                                                                           07/2021                      13
Die Rückgewinnung unserer Freiheit
Schön langsam bekommen wir unser gewohntes Leben wieder zurück. Für den einen ist es die frisch ge-
zapfte Halbe im Gastgarten. Für andere ist es der Hunger auf Kultur, ein Urlaub am Meer und vieles
mehr, was früher selbstverständlich war. Damit wir die neuen Freiheiten auch genießen können, räumten
wir gemeinsam mit dem Team ISAR (Interdisziplinäre Sozialarbeit im öffentlichen Raum) im Linzer
Schillerpark auf, damit sich alle Besucher wohlfühlen können.

      Müllsammelaktion im Schillerpark
      Das Team ISAR (Interdisziplinäre Sozialarbeit im öf-
      fentlichen Raum) organisierte eine Müllsammelakton
      im Schillerpark. Gemeinsam mit dem Ordnungsdienst
      der Stadt Linz und dem Obdachlosenstreetwork sorgten
      auch Hermann und Christine von der Kupfermuckn für
      Sauberkeit im beliebten Park im Linzer Zentrum. So
      kamen wir auch mit vielen Besuchern ins Gespräch.
      Dabei wurden zahlreiche Wünsche und Anregungen für
      ein gemütliches Zusammenleben im Park gesammelt: Es
      braucht mehr Aschenbecher und größere Abfalleimer.
      Die öffentliche Toilette wurde auf Initiative der Kupfer-
      muckn im letzen Jahr aufgestellt. Das Dixi-Klo wird
      aber nicht von allen Besuchern genutzt. Für Frauen gibt
      es keine separate Toilette. So würden wir uns über eine
      ortsfeste Toilette am anderen Ende des Parks sehr freuen.
      Ein Altglas-Container wäre auch super. Darüber hinaus
      gibt es bereits eine ziemliche Taubenplage. Es war eine
      schöne Aktion, die sicher eine Fortführung finden wird.
      Uns von der Kupfermuckn ist es besonders wichtig, dass
      alle Menschen willkommen sind und es keine Vertrei-
      bung aus dem öffentlichen Raum gibt. hz

14                07/2021
Ab in den Kupfermuckn Urlaub
Im letzten Jahr hat es zum ersten Mal keinen Urlaub mit der Kupfer-
muckn gegeben. Normalerweise machen wir immer eine zwei- bis
viertägige Reise. Viele Jahre fuhren wir ins Europacamp beim Atter-
see, in den letzten Jahren nach Bad Gastein. Nun dürfen wir wieder
Urlaub machen. Das freut mich sehr, da ich die Gemeinschaft mit der
Kupfermuckn immer angenehm empfinde. So hoffe ich, dass die Zeit
der mühsamen Lockdowns nun ein Ende hat und wir im Herbst wie-
der einen mehrtägigen Ausflug machen können. Geplant wäre heuer
eine Reise nach Graz. Mal sehen, ob es klappt. Ich bleibe optimistisch
und freue mich schon drauf. Christine

                                                                         Freunde treffen und Gastgarten genießen
                                                                         Da mir Fernsehen und das am PC-Sitzen schon extrem fad war,
                                                                         bestellte ich mir über das Internet ein Holzpuzzle aus Lindenholz.
                                                                         Die Teile sind herausgelasert. Damit hatte ich ein wenig Abwechs-
                                                                         lung. Meine erste Corona-Impfung erhielt ich am 29. April im
                                                                         Design Center. Der Impfstoff von BionTech Pfizer war gut ver-
                                                                         träglich. Somit erfülle ich eines von den drei »Gs« (Getestet, ge-
                                                                         nesen oder geimpft) und darf nun wieder mein gepflegtes Bier bei
                                                                         meiner Wirtin trinken und dort meine Freunde treffen, die ich doch
                                                                         schon längere Zeit nicht mehr gesehen habe. Den Impfpass sehe
                                                                         ich als die Eintrittskarte ins Gasthaus. Im Juni bekam ich die
                                                                         zweite Impfung, die genauso ohne Nebenwirkungen verlief wie
                                                                         die erste. Endlich sind diese Lockdowns vorbei. Manfred R.

Fußballspiele besuchen
Das Bild auf dem Foto stammt noch aus Zeiten vor Corona. Als lei-
denschaftlicher Vorwärts Steyr-Fan freue ich mich schon wieder sehr
auf den Stadion-Besuch. So ein Fußballspiel live zu sehen ist viel
schöner als im Fernseher. Da kommt auch viel mehr Stimmung auf,
wenn man gemeinsam mit den anderen Fans seine Mannschaft anfeu-
ert. Ich kann es kaum mehr erwarten, wenn wieder alle Plätze voll
sind. Das ist dann unbeschreiblich. Da darf man dann auch mal so
richtig laut schreien. Für mich bedeutet das, Stress abzubauen. Nach
so einem Match geht es mir dann so richtig gut, wenn meine Mann-
schaft gewonnen hat. Helmut

                                                                                                                    07/2021
                                                                                                                     xx/2012                  15
Ins Stammlokal »Saminas Bar« essen gehen
                                                                         Endlich kann ich wieder ins Wirtshaus gehen! Gasthäuser haben für
                                                                         mich persönlich eine große Bedeutung. Zum einen verkaufe ich dort
                                                                         meine Kupfermuckn-Zeitungen, da ich aufgrund meines kaputten
                                                                         Knies nicht lange stehen kann, zum anderen gehe ich gerne ab und zu
                                                                         mit meiner Freundin ins Gasthaus. In »Saminas Bar« werde ich von der
                                                                         Wirtin oftmals auch auf ein gutes Essen eingeladen, was ich sehr zu
                                                                         schätzen weiß. Dank meiner genesenen Corona-Erkrankung habe ich
                                                                         genug Antikörper und darf wieder problemlos in den Wirtshäusern ein-
                                                                         und ausgehen. Gleich nach dem Lockdown bin ich mit meiner Partne-
                                                                         rin essen gegangen und habe das Menu sehr genossen. Hermann

     Entspannung im Hummelhofbad
     Die letzten 15 Monate waren hart. Aufgrund der starken Einschrän-
     kungen war nicht mehr vieles möglich. So habe ich gleich nach dem
     Lockdown beschlossen, meine Badetasche zu packen und ins Hum-
     melhofbad zu gehen. Ein paar Stunden die Sorgen Sorgen sein lassen.
     So konnte ich mich endlich wieder einmal entspannen, mich im Was-
     ser treiben lassen und träumen. Ja, ein Urlaub wäre halt auch schön,
     aber erstens nicht leistbar und zweitens nicht durchführbar. Ich bin
     zwar mittlerweile geimpft, aber ins Ausland kann ich wegen oben ge-
     nannten Gründen nicht reisen. Eine weitere Quarantäne würde ich
     nicht mehr durchstehen. Darum bin ich derzeit mit dem zufrieden, was
     uns Menschen wieder gegeben wurde. Das Hummelhofbad war ein
     Vergnügen. Zum Schluss ging ich noch essen und gönnte mir ein Bier
     dazu, was ja auch nicht möglich war in der letzten Zeit. Es war endlich
     wieder einmal ein Tag, wie er eigentlich sein sollte. Sonja

                                                                               Vorfreude auf das alternative Kino
                                                                               Die Zeit von »Lockdowns« ist vorbei, die Inzidenz-Zahlen sinken
                                                                               deutlich, die Anzahl der Geimpften und Genesenen wird immer
                                                                               höher, Lockerungen kommen. Das Leben hat uns wieder. Hurra!
                                                                               Worauf ich mich sehr freue, ist: »Wieder ins Kino gehen können«.
                                                                               Dass es einstweilen einmal nur die Programmkino-Schiene ist, die
                                                                               aufsperrt (die großen CineCenter sperren mangels verfügbarer
                                                                               »Hollywood-Blockbuster« erst später auf, wenn das auch im ge-
                                                                               samten deutschen Kino-Markt wieder möglich ist), stört mich gar
                                                                               nicht: Erstens sind ja die kleinen Kinos ohnehin irgendwie feiner
                                                                               und heimeliger, zweitens sind die (Programmkino-)Filme sowieso
                                                                               irgendwo geschmack- und niveauvoller. Ich liebe das Movie-
                                                                               mento! Johannes

16                  07/2021
Kupfermuckn-Wickingerschach
Wie sehr habe ich es vermisst: Endlich dürfen wir wieder mit anderen
Gruppen aus der sozialen Szene an der Donaulände unser heißgelieb-
tes Wickingerschach spielen, ohne dabei bestraft zu werden und ohne
lästige Einschränkungen. Natürlich dürfen wir nun auch wieder in
Gruppen chillen, an den See oder an die Donau gehen und die Zeit
miteinander genießen. Hoffentlich gibt es keinen weiteren Lockdown
im Herbst und Winter. So freue ich mich auch schon wieder auf das
Eisstockschießen, welches die ARGE für Obdachlose seit Jahren für
uns alle veranstaltet. Das anschließende Bratlessen ist dann immer
wieder von Neuem ein Highlight. Manfred F.

                                                                  Endlich fällt die »50-Meter-Abstandsregel«
                                                                  Kaufte man sich das Bier während des Lockdowns beim Würstel-
                                                                  Stand, durfte man dieses nicht vorort trinken. Man musste die 50-Me-
                                                                  ter-Abstandsregel einhalten. So musste ich immer auf die Parkbänke
                                                                  am Ende des Schillerparks ausweichen, damit ich die Bosna mit Bier
                                                                  konsumieren konnte. Kaufte man hingegen das Bier beim BILLA,
                                                                  dann durfte man dieses direkt beim Würstel-Stand trinken. Ich hatte
                                                                  unlängst eine Begegnung mit den Ordnungshütern. Ein Beamter sagte,
                                                                  als ich am Standl stehend die Bierflasche an den Mund führte, ich
                                                                  dürfe das Bier nicht trinken. Als ich ihm sagte, dass ich dieses nicht
                                                                  hier gekauft habe, ließ er mich in Ruhe. Das ist nun endlich Vergan-
                                                                  genheit. Leo

Crossing Europe Filmfestival
Endlich findet heuer wieder das Crossing Europe Filmfestival statt.
Das Programmheft ist vielversprechend. Da werden sehr interessante
Themen und Perspektiven verfilmt. Zwei oder drei Filme besuchen,
gehört für mich zum Pflichtprogramm. Seit Jahren bin ich immer ieder
dabei. Dank des Kulturpasses »Hunger auf Kunst und Kultur« be-
komme ich auch eine Ermäßigung. »Darwins Nightmare« ist mein
absoluter Lieblingsfilm. Da wurden Fische von den Europäern im
Viktoriasee zur Gewinnmachung eingesetzt. Umweltthemen und aus-
gebeutete Menschen liegen mir am Herzen. Manfred S.

                                                                                                                 07/2021                   17
Von der Schmerztherapie in die Substitution
Harald kam über eine Knieverletzung ins Drogenersatzprogramm

Trotz jahrelangen Konsums           verwendet wurden. Dadurch war        wo es mir sehr gut gefiel. Ich stieg   sagen alleine aufgezogen, da
wirkt Harald überhaupt nicht        er ständig auf der ganzen Welt un-   auch schnell vom technischen           mein Vater ständig unterwegs war
wie ein »Drogenabhängiger«.         terwegs und kaum bei seiner Fa-      Zeichner zum Konstrukteur, dann        und auch Liebschaften in anderen
Er ging bis letztes Frühjahr im-    milie zuhause. Ich besuchte die      zur Projektleitung auf und hatte       Ländern hatte. In jedem Land
mer einer Arbeit nach und           ersten drei Jahre Volksschule in     sieben Personen unter mir.             hatte er eine andere Frau sitzen.
wirkt sehr motiviert und aufge-     Linz. Danach bauten meine Eltern                                            Auch wenn mein Vater zuhause
weckt. Nach der Therapie            ein Haus in der Schönau, wo ich      Mein Vater hatte Liebschaften          war, kümmerte er sich nicht um
möchte er seine Nichte und sei-     die letzte Klasse und auch die                                              uns. Ich hatte eine engere Bezie-
                                                                         in anderen Ländern
nen Neffen endlich wieder se-       Hauptschule absolvierte. Nach                                               hung zu seinem besten Freund als
hen dürfen.                         der Schullaufbahn machte ich         Ich habe auch eine Schwester, die      zu meinem Vater, der uns unter-
                                    noch das Poly und danach habe        vier Jahre jünger ist als ich. Als     stützte, wenn mein Vater wieder
Im Jahr 1986 wurde ich in Linz      ich eine Lehre zum technischen       ich zwölf Jahre alt war, ließen        auf Außendienst war. Nach der
geboren. Meine Mutter war Im-       Zeichner absolviert. Die Abend-      sich meine Eltern scheiden. Ich        Scheidung sind wir mit meiner
mobilienmaklerin und mein Vater     HTL brach ich nach drei Jahren       habe die Probleme aber schon im        Mutter zurück nach Linz gezo-
selbständig. Er stellte Maschinen   ab. Nach der Lehre fand ich gleich   Alter von neun Jahren mitbekom-        gen. Sie hat als Bürokauffrau bei
her, die für die Glasproduktion     eine Anstellung bei einer Firma,     men. Meine Mutter hat uns sozu-        »Schärdinger Milch« begonnen.
18                 07/2021
Es war eine schwierige Situation      ehesten schmeckte, aber seitdem        Kollegen und Kooperationspart-       circa fünf Mal im Jahr. Solch ei-
für meine Mutter. Sie musste wie-     auch nicht mehr. Mit knapp zwan-       ner gewusst hätten, dass ich mir     nen Anfall hatte ich in der Nacht,
der auf die Beine kommen und          zig Jahren habe ich mich dann ins      in der Mittagspause im Auto ei-      als am nächsten Tag die Feier zum
mein Vater hat die Alimente oft       Substitutionsprogramm aufneh-          nen Schuss gebe, dann hätte das      dritten Geburtstag meiner Nichte
nicht bezahlt. Wir hatten ohnehin     men lassen, weil mein Arzt die         sicher zu Problemen geführt. Vor     stattfinden sollte. Ich schrieb mei-
kein Geld und wohnten zu dritt in     Schmerzmittel zuvor einfach von        einem Jahr musste ich dann auch      ner Schwester in der Nacht eine
einer 20-Quadratmeter-Wohnung.        einem Tag auf den anderen abge-        diese Arbeit kündigen, weil ich      SMS, dass ich noch nicht weiß,
Mehr konnten wir uns nicht leis-      setzt hat. Das ist aber sehr gefähr-   beruflich für ein Monat ins Aus-     ob ich kommen könne, weil ich
ten. Meinen Vater habe ich da-        lich, vor allem weil ich Entzugs-      land hätte reisen müssen. Ich        schon wieder so eine starke Atta-
nach nur noch einmal zu Weih-         epileptiker bin. Ich musste meine      konnte mich mit dem Magistrat        cke hatte. Im Krankenhaus habe
                                                                                                                  ich eine beruhigende Spritze be-
                                                                                                                  kommen und habe danach ein
»Mit 14 Jahren fingen wir an fortzugehen und Partydrogen zu konsumie-                                             paar Stunden geschlafen. Weil ich
ren. Kokain, Ecstasy, Speed, LSD, Magic Mushrooms, Engelstrompetentee                                             mir dachte, unbedingt bei der
– mit diesen Substanzen haben wir herum experimentiert.«                                                          Feier dabei sein zu müssen, bin
                                                                                                                  ich in meinem schlechten Zustand
                                                                                                                  zu meiner Schwester gefahren
                                                                                                                  und bei ihr dann ständig am Tisch
nachten gesehen. Für mich war es      Mutter am nächsten Tag anrufen,        nicht auf eine Mitgabe für meine     eingeschlafen. Sie dachte aber,
natürlich auch schwer – ich bin       weil es mir so beschissen ging. Im     Substitution einigen. Sie haben      das liege an den Drogen.
dann in die Pubertät gekommen.        Krankenhaus spritzten sie mir          gemeint, ich müsse zwischen-
Und was machst du dann? Du            noch einmal Morphium und sag-          durch zwei Mal zurück fliegen,       Nach der Therapie möchte ich
flüchtest irgendwie aus der           ten mir, bis Montag müsse ich          um mir meinen Ersatzstoff zu ho-
                                                                                                                  meine Familie wieder sehen
schlechten Welt und glaubst, du       entscheiden, ob ich auf Entzug         len. Nachdem ich das meinem Ar-
findest eine bessere. Aber das Ge-    gehe oder ins Substitutionspro-        beitgeber nicht erklären hätte       Von einem Tag auf den anderen
genteil war der Fall. Mit 14 Jah-     gramm. Nachdem man so schnell          können, musste ich kündigen.         verbot sie mir den Kontakt zu
ren fingen wir an, in der Altstadt    gar keinen Platz für einen Entzug      Jetzt habe ich mich aber dafür       meiner Nichte. Nur, wenn ich
fortzugehen und Partydrogen zu        bekommt, ließ ich mich auf Dro-        entschieden, mich für einen Ent-     clean wäre, dürfe ich sie wieder
konsumieren. Kokain, Ecstasy,         genersatzstoffen einstellen.           zug und eine Langzeit-Therapie       sehen. Nun habe ich meine
Speed, LSD, Magic Mushrooms,                                                 anzumelden. Ich will wieder frei     Schwester und meine Nichte
Engelstrompetentee – mit diesen       Ein halbes Jahr später hing            leben, nicht mehr abhängig sein,     schon mehr als zwei Jahre nicht
Substanzen haben wir herum ex-                                               arbeiten und ins Ausland reisen      mehr gesehen. Und meinen ein-
                                      ich schon an der Nadel
perimentiert. Ich habe bis dahin                                             können. Zuerst muss ich ins Wag-     jährigen Neffen überhaupt noch
gerne Fußball gespielt und war        Die ganze Situation hätte vermut-      ner-Jauregg und danach fahre ich     nie. Meine Mutter zeigt mir
am Stützpunkt in Linz und in der      lich komplett anders ausgesehen,       für mindestens sechs Monate          manchmal Fotos. Es zerreißt mir
U17-Auswahl. Ich hätte bei 1860       wenn ich vom Arzt und im Kran-         nach Vorarlberg ins »Haus Ca-        fast das Herz. Hoffentlich schaf-
München auf die Akademie ge-          kenhaus richtig aufgeklärt wor-        rina« auf Therapie. Prinzipiell      fen wir es nach meiner Therapie,
hen können und hätte einen Jung-      den wäre. Anfangs ging es mir gut      mache ich es zwar für mich, aber     wieder einen Schritt aufeinander
profivertrag bekommen. Ich habe       mit meinem Substitol. Leider fing      ich will auch meine Mutter wie-      zuzugehen. Und die Therapie will
mich aber zu dieser Zeit lieber mit   ich nach einem halben Jahr damit       der stolz machen und vor allem       ich unbedingt durchziehen, weil
den falschen Leuten umgeben           an, es mir zu spritzen. Wie man        auch meine Nichte wieder sehen       ich es bisher geschafft habe, trotz
und Fußball weniger Bedeutung         das machte, wurde mir von einem        dürfen. Meinen fast einjährigen      Drogenkonsums gesund zu blei-
beigemessen. Aufgrund eines Tu-       Bekannten eines Freundes ge-           Neffen habe ich noch nie gese-       ben. Mein starker Wille wird mir
mors am Kreuzband musste ich          zeigt. Dadurch erlangt man im          hen. Dabei handelte es sich um       dabei helfen. Vor fünf Jahren hatte
mit gut 16 Jahren mehrmals ope-       Gegensatz zur oralen Einnahme
riert werden und bekam zwei           ein richtiges High-Gefühl. Und         »Diesem Gefühl beim ersten Schuss jagt man
Jahre Morphium zur Schmerzstil-       diesem Gefühl beim ersten Schuss
lung. Dadurch bin ich dann in die     jagt man danach hinterher und er-      danach hinterher und erlangt es doch nie
Sucht abgeglitten. Zuvor konsu-       langt es doch nie wieder. Ich          wieder. Sie könnten neben dir Krieg führen
mierten wir nur am Wochenende,        glaube, sie könnten neben dir
weil ich mich unter der Woche auf     Krieg führen und du fühlst dich
                                                                             und du fühlst dich trotzdem gut.«
die Lehre konzentrierte. Von Don-     trotzdem gut. Arbeiten ging ich
nerstag bis Sonntag war aller-        trotzdem immer. Das hat mich
dings dann Party angesagt. Der        stabilisiert und mir Halt gegeben.     ein Missverständnis zwischen         ich zum Beispiel noch 167 Kilo-
Montag war dann immer schlimm.        Ich halte es nicht aus, wenn ich       meiner Schwester und mir. Seit       gramm. Durch Sport habe ich
Alkohol war für mich nie ein gro-     nichts zu tun habe. Auch die Sozi-     dem Alter von acht Jahren leide      mittlerweile fast die Hälfte verlo-
ßes Thema, weil er mir nicht ge-      alkontakte außerhalb der Sucht-        ich an einer Mischung von Mig-       ren. Nach der Therapie werde ich
schmeckt hat. Nur einmal hatte        szene taten mir immer gut. In der      räne und Cluster-Kopfschmerz,        mir sofort wieder eine Arbeit su-
ich mit 18 Jahren eine Alkohol-       Arbeit hat von meiner Sucht nie-       dessen Schmerzen um ein Vielfa-      chen und dann schauen, dass ich
vergiftung, weil ich einige Fla-      mand gewusst und das war schon         ches stärker sind als bei üblicher   meiner Familie wieder näher
schen »Baileys« getrunken hatte.      sehr belastend. Ich führte sozusa-     Migräne. Früher hatte ich es noch    komme. Text aufgezeichnet und
Das war noch das, was mir am          gen ein Doppelleben. Wenn meine        öfter, nun beschränkt es sich auf    Foto: de
                                                                                                                         07/2021                   19
Radio aus den Gefängnismauern
Sabine, Doris und Dima (v.r.n.l.) von der »Sozialen Initiative« erzählen über das »Häfnradio«

                                                                                                 miert, aus welchen Teilen eine Radiosendung
                                                                                                 besteht. Die Teilnehmerinnen durften selbst
                                                                                                 entscheiden, wie die Sendezeit gefüllt wird.
                                                                                                 Gerade Musik ist in Haftanstalten ein sehr
                                                                                                 wichtiges Medium, um sich abzulenken und
                                                                                                 dem tristen Alltag etwas entfliehen zu können.
                                                                                                 Die Rückmeldungen der Teilnehmerinnen wa-
                                                                                                 ren durchaus positiv. Eine junge Frau meinte,
                                                                                                 dass sie sich seit diesem Radioprojekt mehr
                                                                                                 traue, Fehler zu machen. Eben, weil dies im
                                                                                                 Projekt selbst auch erlaubt war. Dies hilft ihr
                                                                                                 im Justiz-Alltag, weil sie sich nun auch in
                                                                                                 Therapien traut, Dinge auszuprobieren, die
                                                                                                 dann vielleicht schief gehen könnten. Sie
                                                                                                 konnte einfach wieder mal sie selbst sein,
                                                                                                 ohne daran denken zu müssen, wie nun eine
                                                                                                 Aussage oder vielleicht auch ein Scherz von
                                                                                                 den Justiz-Bediensteten aufgenommen wird.
                                                                                                 Auch wenn sie beim Radiomachen genauso
                                                                                                 unter Beobachtung stand, hatte sie irgendwie
                                                                                                 das Gefühl, dass sie im Rahmen des Projekts
                                                                                                 sie selbst sein kann. Und natürlich freuten sich
                                                                                                 die jungen Frauen auch darüber, dass sie nun
                                                                                                 im Radio zu hören sind. Unser Fokus war,
Das Jugendcoaching »we need you« von             Mitarbeiter der JA Asten nötig war. Zuerst      dass auch einmal positiv über diese Ziel-
der »Sozialen Initiative« beschäftigt sich       mussten wir das Projekt online für die ver-     gruppe berichtet wird. Und den Teilnehmerin-
mit Jugendlichen und jungen Erwachse-            schiedenen Wohngruppen vorstellen. Drei         nen Raum und Zeit für neue Erfahrungen zu
nen, auch wenn sie im Strafvollzug sind. Im      junge Frauen waren besonders motiviert und      bieten. Großer Dank ergeht noch einmal an
Rahmen der beruflichen Integration wurde         wurden für das Pilotprojekt ausgewählt. Elisa   die Mitarbeiter der JA Asten, die uns das alles
mit dem »Häfnradio« ein kreativer Ansatz         Andessner hat die Teilnehmerinnen in einem      erst ermöglicht haben. Das »Häfnradio«
gewählt, um den Inhaftierten Medienkom-          Online-Workshop hinsichtlich der Sprache        wurde bei der »Sozialmarie« mit dem Ehren-
petenz zu vermitteln und ihr Selbstbe-           geschult. Wie verändert sich meine Stimme,      schutz ausgezeichnet und wird nun für ein
wusstsein etwas zu stärken.                      wenn ich die Körperhaltung anpasse? Wie         Jahr von Milo Tesselaar begleitet und unter-

Wir überlegen immer, wie wir mit unserer
Zielgruppe auch in den Justizanstalten mög-
                                                 »Eine junge Frau meinte, dass sie sich seit diesem
lichst produktiv arbeiten können. Manche Ju-     Radioprojekt mehr traue, Fehler zu machen.«
gendliche äußerten Unsicherheiten bei Vor-
stellungsgesprächen oder generell im Umgang
mit der Sprache – gerade, wenn sie länger in
Haft waren. So kamen wir auf die Idee mit        hängt die Mimik mit meiner Stimme zusam-        stützt. Nachdem das Projekt trotz toller Er-
dem »Häfnradio«. Damit sind wir dann an die      men? Atem- und Sprechteckniken wurden ge-       folge finanziell auf wackeligen Beinen steht,
Justizanstalt Asten herangetreten. Zusammen      meinsam trainiert. Darüber hinaus konnten die   kann man gerne auf das Spendenkonto (Sozi-
mit Julian Ehrenreich vom freien Radio           Teilnehmerinnen auch Medienkompetenz er-        ale Initiative, IBAN: AT69 5400 0001 0070
»B138« konnten wir die leitende Sozialarbei-     werben und ihr Selbstbewusstsein stärken.       1911) einzahlen. Die erste und hoffentlich
terin, Sabine Bujnoch, für das Projekt gewin-    Die Sendungsthemen wurden gemeinsam er-         nicht letzte Sendung ist unter www.radiob138.
nen. Das gesamte Angebot war online mög-         arbeitet. Julian Ehrenreich vom freien Radio    at/index.php/hoeren/nachhoeren zu finden.
lich, wobei schon viel Kooperation seitens der   »B138« hat die jungen Frauen darüber infor-     Foto und Text: de
20                 07/2021
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