Ein rundes Leben Warum ein 57 Jahre alter Lehrer für Fußball um die Welt reist - 2,20 EUR
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# 291 2,20 EUR August 2020 davon 1,10 EUR für die Ver- käufer/innen Das Straßenmagazin für Schleswig-Holstein Ein rundes Leben Warum ein 57 Jahre alter Lehrer für Fußball um die Welt reist
Liebe Leserinnen, liebe Leser, auch Fans sportlicher Ereignisse hatten es in den vergangenen Monaten schwer. Als die Corona-Pandemie das gesellschaftliche Leben weitgehend lahmlegte, mussten alle großen und kleinen Sportevents aussetzen. Mittlerweile finden in einzelnen Sportarten zwar wieder Wettbewerbe statt, aber vorerst ohne Zuschauer vor Ort. Für jemand wie Heiko Lükemann aus dem Kreis Plön bedeutete das, dass er zuletzt sein ganz besonderes Hobby nicht ausleben konnte – als sogenannter Groundhopper reist er durch die Welt, um sich möglichst viele Fußballspiele anzuschauen. Das Außergewöhnliche daran: Lü- kemann ist 57 Jahre alt und Konrektor einer Schule. Wir haben ihn besucht. Ab Seite 10. Taschentücher? Klar, besitzen fast alle von uns. Meist sind sie aus Papier – und landen nach ihrer Benutzung im Müll. Dass es nachhaltiger geht, wollen junge Men- schen aus Schleswig-Holstein beweisen: Sie haben ein Unternehmen gegründet, das wiederverwendbare Stofftaschentücher herstellt. Ihr Ziel: das Image der Oma-Taschen- tücher aufpolieren. Ab Seite 16. Was sonst noch wichtig ist? Die meisten unserer Verkäuferinnen und Verkäufer sind wieder an ihren gewohnten Verkaufsplätzen anzutreffen. Und berichten uns in vielen Gesprächen, wie dankbar sie sind über die vielen aufmunternden Kontakte und Gespräche dort. Aber weiterhin sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen. Unser Spendenkonto finden Sie im Impressum auf Seite 36. Ihre HEMPELS -Redaktion gewinnspiel sofarätsel Gewinne Auf welcher Seite dieser HEMPELS-Ausgabe versteckt 3 x je ein Buch der Ullstein Verlagsgruppe. Im Juli war das kleine Sofa auf sich das kleine Sofa? Wenn Sie die Lösung wissen, dann Seite 37 versteckt. Die Gewinner werden im September veröffentlicht. schicken Sie die Seitenzahl an: raetsel@hempels-sh.de oder: HEMPELS, Schaßstraße 4, 24103 Kiel. Teilnehmende Im Juni haben gewonnen: erklären sich einverstanden, dass im Falle eines Gewinns Angela Flink (Handewitt), Rolf Stinka (Kiel) und Helmut Thomas ihr Name in HEMPELS veröffentlicht wird. (Eckernförde) je ein Buch der Ullstein Verlagsgruppe. Allen Gewinnern herzlichen Glückwunsch! Einsendeschluss ist der 31.8.2020. Der Rechtsweg ist wie immer ausgeschlossen. 2 | inh a lt Hempel s # 2 9 1 8/2 02 0
Titel EIN RUNDES LEBEN Titelfoto: Klaus-Henning Hansen Heiko Lükemann aus dem Kreis Plön liebt Sprachen und Kulturen. Und er liebt den Fußball. Seit einigen Jahren hat der 57-jährige Konrektor einer Schule ein ganz besonderes Hobby: Als sogenannter Groundhopper reist er rund um die Welt, um sich Fußballspiele anzuschauen. se i t e 10 das Leben in zahlen auf dem sofa 4 Ein etwas anderer Blick 34 Unser Verkäufer Thomas auf den Alltag aus Husum bild des monats Inhalt 6 Ist doch normal 2 Editorial 31 rezept 32 CD-Tipp; Buchtipp; Kinotipp 33 Service: Mietrecht; Sozialrecht 36 Leserbriefe; Impressum 37 Verk äufer in anderen LÄNDERN; Meldung Schleswig-Holstein Sozial 38 Sudoku; K arik atur 39 Satire: Scheibners Spot 8 Meldungen 9 Darf ich das? Gewissensfragen im Alltag 16 Wie bei Oma: Studierende wollen Stofftaschentücher populär machen 22 Interview: Warum Menschen ihre Wohnung verlieren 25 Freiheit ist kein Selbstläufer 26 Radio Aktivität: HEMPELS-Radio zehn Jahre alt 28 Monika Bagger-Wulf, Caritas: Warum die HEMPELS-Stiftung wichtig ist 2020 30 Wie ich es sehe: VERKAUFSREGELN verhalten, dass sich weder Kunden noch Kollegen oder Passanten durch ihn/sie gestört fühlen. Das Straßenmagazin für Schleswig-Holstein Bitte kaufen Sie Kolumne von Hans-Uwe Rehse HEMPELS nur bei 1. Der Verkaufsausweis bleibt Eigen- 6. Der Verkauf in öffentlichen Ver- tum von HEMPELS. 2. Der/Die Verkäufer/in muss den Aus- weis beim Verkauf sichtbar tragen. 7. kehrsmitteln ist streng untersagt. Der Zeitungskauf ist nur im HEM- PELS-Café „Zum Sofa“ sowie im Ausweis: KI - 000 Verkaufenden, die diesen 3. Verkäufer/innen dürfen bei der Trinkraum Gaarden mit gültigem Arbeit nicht angetrunken sein und/ Verkaufsausweis möglich. Verkäufer/in: oder unter dem Einfluss von Dro- 8. Die Weitergabe der Zeitung an an- M. Muster gen stehen. Verboten ist auch der dere, besonders an gesperrte Ver- Konsum während des Verkaufs. 4. Es ist jedem Verkäufer untersagt, 9. käufer/innen ist verboten. Fest vergebene Verkaufsplätze sind Ausweis sichtbar tragen während des Verkaufs zu betteln. 5. Der/Die Verkäufer/in hat sich so zu geschützt. Dort hat der jeweilige Platzinhaber Verkaufsvorrecht. Verkaufsplatz Kontakt: HEMPELS e.V., Schaßstraße 4, 24103 Kiel; Telefon (04 31) 6 79 39 800 He mpe l s # 2 9 1 8/2 02 0 inh a lt | 3
das leben in zahlen Frauen erhalten seltener Urlaubsgeld Während in Deutschland 47 Prozent der Männer Urlaubsgeld erhalten, trifft das nur auf 39 Prozent der Frauen zu. So das Ergebnis einer Studie des WSI-Tarifarchivs der Hans-Böckler-Stiftung. Entscheidende Faktoren sind dabei auch die Größe des Betriebes und die Tarifbindung. 71 Prozent der Beschäftigten in tarifgebundenen Unternehmen profitieren, in Betrieben ohne Tarifbindung sind es nur 34 Prozent. In Betrieben mit über 500 Beschäftigten erhalten 61 Prozent Urlaubsgeld, in Kleinbetrieben bis 100 Beschäftigten nur 34 Prozent. Am wenigsten Urlaubsgeld bekommen Beschäftigte im Hotel- und Gaststättengewerbe. PB 39 % 47 % Frauen mit Urlaubsgeld Männer mit Urlaubsgeld 4 | das l ebe n in z a hl en Hempel s # 2 9 1 8/2 02 0
Frauen verlieren mit Mutterschaft Einkommen Wenn Frauen sich dafür entscheiden, Kinder zu bekommen, dann bedeutet das gegenüber kinderlosen Frauen auf das gesamte Erwerbsleben bezogen einen deutlichen Verlust an Einkommen. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung führt die Entscheidung für 1 Kind zu durchschnittlichen Einbußen von 40 Prozent. Bei 3 oder mehr Kindern sind es bis zu 70 Prozent. Erklärt wird die Differenz damit, dass viele Mütter in ihren Jobs zeitweise pausieren und oft nur in Teilzeit weiterarbeiten. Befürchtet wird eine weitere Verschärfung durch die Corona-Krise. Die Studie fordert bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. pb Foto: Pixabay He mpe l s # 2 9 1 8 /2 02 0 das l ebe n in z a hl e n | 5
Werfen wir diesen Monat mal ei- nen kurzen Blick auf das Heldenthema. Diesmal nicht auf die Coronahelden des Frühjahrs an den Supermarktkassen oder in den Kranken- und Pflegehäu- sern. Auch nicht auf die mit Testoste- ron vollgestopften und manchmal noch sehr jungen Freizeithelden, die sich mit Unerschrockenheit und Mut vermeint- lich schweren Aufgaben stellen und sich dabei gerne auch mal ein Supermann- Kostüm überstreifen, damit man ihr Heldentum auch tatsächlich bemerkt. Wir wollen vielmehr auf die wirklichen Helden blicken, denen es nicht um sie selbst geht und die andere Menschen aus brenzligen Situationen retten und Leben bewahren (nein, Donald Trump ist hier ausdrücklich nicht gemeint). Mit diesem eleganten Übergang also nun mitten rein ins Thema. Gerade ist ein Studienergebnis veröffentlicht worden, warum Menschen, die unter eigener Lebensgefahr andere aus bren- nenden Autos oder erdbebenzerstörten Häusern retten, anschließend meist vol- ler Bescheidenheit auftreten. Das habe damit zu tun, sagen die Psychologen, dass die Wahrnehmung des Helden in solchen Momenten auf die Leiden der hilfsbedürftigen Person gerichtet ist, nicht auf das eigene Handeln. Dem Helfer selbst kommt es also gar nicht so heldenhaft vor, was er oder sie da gerade geleistet hat – war doch ganz normal und einfach nur notwendig. Foto: REUTERS / Lucy Nicholson Helden helfen selbstlos und mit Empa- thie für die Not anderer, weniger für sich selbst. Effekthaschende Angeber wie Trump können also tatsächlich gar nicht gemeint sein, weil sie zum Helden überhaupt nicht taugen. PB He mpe l s # 2 9 1 8/2 02 0 bil d de s mon at s | 7
meldungen +++ +++ Erste Quarantäne-Station für Obdachlose in Berlin Tafeln benötigen Hilfe Um Obdachlose besser vor der Corona-Pandemie schützen Die deutschen Lebensmittel-Tafeln fordern zur Umsetzung zu können, hat Berlin als erstes Bundesland eine Quarantä- ihrer sozialen und ökologischen Arbeit Hilfe vom Staat. Es ne-Station für sie eingerichtet. In Räumen der Notfallambu- fehle bislang die logistische Infrastruktur, um große Men- lanz der Stadtmission stehen seit Mai 16 Betten zur Verfü- gen an Lebensmittel von Produzenten zwischenlagern und gung für Menschen ohne festen Wohnsitz, die ohne schweren weiterverteilen zu können. Dieser Ausbau müsse so wie in Krankheitsverlauf mit dem Coronavirus infiziert sind. Ob- Frankreich anteilig staatlich unterstützt werden. Das betreffe dachlose sind mit ihren Vorerkrankungen besonders anfällig auch die Finanzierung der Geschäftsstelle. Bislang wird die für Infektionen. Sie haben kein eigenes Zuhause, wohin sie Arbeit fast ausschließlich durch Spenden finanziert. Seit sich bei einer Infektion zurückziehen könnten. pB Ausbruch der Pandemie nehmen immer mehr Menschen die Angebote in Anspruch. Zugleich ist die Zahl der Helfer zu- +++ rückgegangen, weil viele zu einer Risikogruppe gehören. pb Basiskonten dürfen nicht übermäßig teuer sein +++ Banken dürfen für Basiskonten keine außergewöhnlich hohen Gebühren verlangen. Das hat jetzt der Bundesgerichtshof Millionäre wollen höhere Steuern für Reiche entschieden. Seit 2016 hat jeder Bürger Anrecht auf ein Basis- Zum Ausgleich der ökonomischen Folgen der Corona-Pan- konto. Beispielsweise Obdachlose oder Geflüchtete sollen so demie fordert eine Gruppe von Millionären dauerhaft höhere die Möglichkeit erhalten, am bargeldlosen Zahlungsverkehr Steuern für Reiche. Wie Mitte vergangenen Monat Medien teilzunehmen. Einige Banken verlangen dafür jedoch hohe berichteten, hat der aus 83 Millionären aus sieben Ländern Gebühren und rechtfertigen das mit dem Zusatzaufwand für bestehende Zusammenschluss »Millionaires for Humanity« eine schwierige Klientel. Laut Stiftung Warentest kosten die (Millionäre für die Menschheit) einen entsprechenden offenen teuersten Basiskonten bis zu 250 Euro im Jahr. Unklar bleibt Brief veröffentlicht. Mit dem Geld sollen das Gesundheitssys- vorerst, wie hoch die Gebühren künftig sein dürfen. PB tem, Schulen und soziale Sicherheit finanziert werden. Nur durch Wohltätigkeit und Spenden ließen sich die durch die +++ Pandemie entstandenen Probleme nicht lösen. pb Mindestlohn steigt in vier Schritten +++ Der Mindestlohn wird in Deutschland in vier Schritten bis zum 1. Juli 2022 auf dann 10,45 Euro steigen. Das haben Weitere Nachrichten finden Sie auf unserer Homepage: Arbeitgeber und Gewerkschaften in der Mindestlohnkonfe- www.hempels-sh.de renz verhandelt. Die erste Steigerung kommt zum 1. Januar 2021 von derzeit 9,35 Euro auf 9,50 Euro. Ab 1. Juli 2021 steigt der Betrag auf 9,60, ab 1. Januar 2022 auf 9,82 Euro. Der Beschluss muss noch durch eine Rechtsverordnung der Regierung verbindlich gemacht werden. pb HEMPELS IM RADIO Jeden ersten Montag im Monat ist im Offenen Kanal Lübeck das HEMPELS-Radio zu hören. Nächster Sendetermin ist am 3. August ab 17.05 bis 18 Uhr. Wiederholt wird die Sendung am darauf folgenden Dienstag ab 10 Uhr. Das HEMPELS-Radio bietet einen Überblick über einige wichtige Themen des aktuellen Heftes und will zugleich Einblicke in weitere soziale Themen aus der Hansestadt ermöglichen. Zu empfangen ist der Offene Kanal im Großraum Lübeck über UKW Frequenz 98,8. Oder online über den Link »Livestream« auf www.okluebeck.de 8 | me l dungen Hempel s # 2 9 1 8/2 02 0
gewissensfragen im alltag Darf ich das? Foto: Luitgardis Parsie Foto: Dirk Sander Foto: NDR Klaus Hampe Luitgardis Parasie Sabine Hornbostel Frage eines Mannes: Ich habe nur noch ein paar Jahre bis andere Menschen. Und das tun Sie mit Routine, Erfahrung, zur Rente. Aber die Arbeit fällt mir von Tag zu Tag schwe- mit Können. Darauf können Sie stolz sein und daran können rer. Ich würde mich am liebsten in meinem Häuschen Sie Spaß haben. Ich will Ihre Gefühle nicht kleinreden. Ich verkriechen und nur noch in meinem Garten werkeln. Da kann mir sehr gut vorstellen, dass Sie müde sind, erschöpft von bin ich glücklich. Aber im Betrieb fühle ich mich nur noch Jahrzehnten der »Tretmühle«. Ich verstehe, dass Sie das Gefühl unglücklich. Diese Unlust drückt mir aufs Gemüt. Und haben: »Es reicht jetzt langsam. Ich kann und will nicht mehr.« gleichzeitig habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich im Deswegen brauchen Sie kein schlechtes Gewissen zu haben. Im Betrieb nur noch muffelig bin. Aber was soll ich machen? Gegenteil. Das ist eine gute Vorbereitung auf den Ruhestand. Denn es gibt nichts Schlimmeres als den Rentner, der nichts Versuchen Sie doch mal Folgendes: Immer, wenn Sie bei mehr mit sich anzufangen weiß, wenn der Tag des »wohl ver- der Arbeit auf die Uhr schauen, sagen Sie sich: »Schon wieder dienten Ruhestands« gekommen ist. einen neuen Rosensetzling für den Garten verdient.« Oder: Ich finde, Sie bereiten sich gerade hervorragend auf den »Schon wieder eine Tapetenrolle für die Wohnzimmer-Reno- nächsten Lebensabschnitt vor: Sie freuen sich auf das Neue, vierung fertig.« Würde das Ihrer Arbeit wieder Sinn geben? das kommt. Doch die Zeit bis dahin müssen Sie noch irgend- Wahrscheinlich werden Sie jetzt schimpfen und sagen: Was wie überbrücken. Mein Vorschlag: Machen Sie eine Liste mit denkt dieser Kerl eigentlich? Was weiß der von meiner Arbeit? zehn Pluspunkten für Ihr Heute. Zum Beispiel: Ich habe nette Ich trällere doch keine Schlager! Ich baue Autos, versichere Kollegen. Ich habe jede Menge Routine im Job. Ich bin momen- Menschen, verkaufe Lebensmittel, unterrichte junge Leute tan finanziell abgesichert. Ich habe viel Abwechslung: Häus- oder was immer Ihr Beruf ist. Wenn der wüsste, was ich tag- chen hier und Arbeit da. Und so weiter. Sie finden sicher zehn täglich leiste! Pluspunkte. Der letzte Punkt darf durchaus sein: Ich freue Ja? Widersprechen Sie mir? Wunderbar! Denn mit Ihrem mich auf meinen Ruhestand! Widerspruch kommen wir zu einer wichtigen Sache: Ihre Ar- Also: Versuchen Sie, die letzten Monate im Beruf als beit ist wichtig! Für irgendwen! Nicht nur für die Firma oder Geschenk zu nehmen und nicht als Last. Denn Geschenke die Behörde, die Ihr Gehalt überweist. Irgendetwas tun Sie für schleppen sich leichter als Lasten. »Darf ich das ? Gewissensfragen im Alltag« ist ein Nachdruck einer R adio-Rubrik der E vangelischen K irche im NDR. Im regelmäS Sigen Wechsel beantworten K l aus Hampe, L eiter der Öffentlichkeitsarbeit des E vangelisch- lutherischen Missionswerks in Niedersachsen, Luitg ardis Par asie, Pastorin und Buchautorin, sowie Sabine Hornbos tel , L ektorin und T herapeutin, F ragen zur Alltagsethik . Mehr dazu unter www.radiokirche.de He mpe l s # 2 9 1 8/2 02 0 ge wis sensf r age n im A l ltag | 9
Rubrik titel Ein Rundes leben Heiko Lükemann aus dem Kreis Plön ist 57 Jahre alt und Konrektor einer Schule – und er reist als Groundhopper zu Fußballspielen rund um den Globus TEXT: GEORG MEGGERS FOTOS: KLAUS-HENNING HANSEN Sein WhatsApp-Profilbild zeigt Länderpunkt. Groundhopping kom- das Camp Nou, jenes berühmte, fast biniert Reisen, Sammeln und Fußball: 100.000 Zuschauer fassende Stadion »Perfekt für mich«, sagt Heiko Lüke- des FC Barcelona. »Meine Kathedrale mann. des Fußballs«, sagt Heiko Lükemann, Als Groundhopper hat er etwa Spiele den wir in einem anderen Stadion tref- im Kreis Plön, in China und auf Kuba fen. Jenem des TSV Schönberg nahe der besucht; insgesamt 275 Partien in 20 Ostsee bei Kiel. Auf der einen Spiel- Ländern. In der Szene sei der in Lübeck feldseite eine dreistufige Holztribüne, geborene Schönberger damit »ein klei- auf der anderen vor allem Bäume: Für nes Licht«. Trotzdem hat er ein Buch WhatsApp taugt das Albert-Koch-Sta- darüber geschrieben: »Fußballsucht« dion weniger. heißt es. Untertitel: »Wenn Alte Her- Doch etwas verbindet die Stadien ren groundhoppen.« Groundhopper in Schönberg und Barcelona: Sie sind sind meist jung und willens, ganz viel das, was Heiko Lükemann sammelt. Lebenszeit in strapaziöse Reisen zu Menschen, die tun, was er tut, nennen entlegenen Spielorten zu stecken. Hei- sich Groundhopper. Wörtlich hüpfen ko Lükemann ist 57 Jahre alt, Familien- (englisch: to hop) sie von Spielfeld zu vater und Lehrer. Einen ähnlich alten Spielfeld (ground). Das heißt sie besu- Groundhopper habe er noch nie getrof- chen überall auf der Welt Fußballspiele, fen – und es war auch der Freund seiner von der Kreisklasse bis zur Champions Tochter, Mitte zwanzig, der ihn 2016 League – und tragen sich dafür, etwa mit diesem Hobby infizierte. in einer App, Punkte ein. Pro Platz gibt Wenn Heiko Lükemann mit ihm oder es einen »ground« und pro Land einen alleine zu Spielen reist, geht es nicht nur 10 | t i t el Hempel s # 2 9 1 8/2 02 0
Vom Spiel Tottenham Hotspur gegen den FC Liverpool im Londoner Wembley-Stadion hat Heiko Lükemann einen Schal mitgebracht. He mpe l s # 2 9 1 8/2 02 0 t i t e l | 11
Rubrik titel um Fußball. »Ich liebe Sprachen und Kulturen – und auf einem Fußballplatz lernst du beides ganz schnell kennen.« Oft fragen ihn heimische Fans, wie er den Weg in ihr Stadion fand, warum er sich ausgerechnet dieses unterklassige Spiel anschaue – schon sind sie im Ge- spräch. Museen schätze er auch, aber »in denen geht es schon stiller zu«. Und manchmal führt Fußball zu noch mehr Kultur: Am Spielfeldrand in Havanna, Kuba, empfahl ihm ein Zuschauer die dortige Oper. »Toller Tipp, die hätten wir sonst verpasst.« In Schönberg wird an diesem Tag aus Nieseln ein Regenschauer; deshalb packen die Jugendlichen, die eben noch auf einem Kunstrasenplatz neben dem Albert-Koch-Stadion kickten, ihre Sa- chen. Sie verabschieden sich bei Heiko 2016 besuchte Heiko Lükemann ein Heimspiel von Jiangsu Suning FC aus Nanjing Lükemann. »Jungs, benehmt euch«, ruft – und sammelte damit einen chinesischen Länderpunkt. der ihnen hinterher. Auch wir brauchen für das Interview schnell einen anderen schönste Beruf der Welt«, sagt er. Heiko ballspiele besucht – wie finden das sei- Ort als die unüberdachte Holztribüne. Lükemann unterrichtet die wohl pas- ne Schülerinnen und Schüler? »Schon Heiko Lükemann hat neben dem Sport- sendsten Fächer für einen Groundhop- spannend. Auch die, die sich nicht für platz sein Büro: Er ist Konrektor der per: Sport und Weltkunde. Fußball interessieren, weil es ja nicht Gemeinschaftsschule Probstei, deren Ein Lehrer, der an seinen Wochen- um Ergebnisse geht, sondern um Ge- Schulsportplatz das Stadion ist. »Leh- enden, in den Schulferien und sogar auf schichten.« Wenn möglich verknüpft rer mit meinen Fächern – das ist der Klassenfahrten möglichst viele Fuß- Lehrer Lükemann Stadionbesuche und Lehrplan: Nach einem Wochenende mit Spielen in Bochum und Dortmund erzählte er seinen Schülern zunächst davon – dann sprachen sie über den Strukturwandel im Ruhrgebiet. »Die- ses abstrakte Thema verbinden sie nun mit sehr konkreten Erlebnissen ihres Lehrers, und können es sich somit gut merken.« Heiko Lükemann ist braun gebrannt, trägt kurze Hose und Fußballtrikot. In das ansonsten verlassene Lehrerzim- mer, in das nur wenig trübes Licht durch die graue Wolkendecke scheint, passt er nicht so recht. »Fußball ist Leben«, sagt er, im Bürostuhl weit zurückgelehnt. Das klingt wie eine Phrase, von denen es so viele zum Thema Fußball gibt. Klingt fast wie: »Der Ball ist rund.« Heiko Lü- kemann war Jugendspieler, Herrenspie- ler, Altherrenspieler und kickt derzeit für ein Kieler Gehfußball-Team. Er hat Damen- und Jugendteams trainiert, war Vor dem Sportheim des TSV Schönberg: Heiko Lükemann war Jugendspieler, Herrenspieler, Schiedsrichter und Stadionsprecher. Als Altherrenspieler und kickt nun für ein Kieler Gehfußball-Team. Fußball-Reporter berichtet er für ein 12 | t i t e l Hempel s # 2 9 1 8/2 02 0
275 Partien in 20 Ländern hat Heiko Lükemann besucht. Die Eintrittskarten bewahrt er in einer Holzkiste auf. He mpe l s # 2 9 1 8/2 02 0 t i t e l | 13
titel lokales Blatt – nun ist er Groundhopper gehören spannende Reiseerlebnisse und so eine Parallele zum Leben: dass man und hat ein Fußballbuch geschrieben. die Freude über einen neuen Länder- sich beim Fußball total ärgern kann.« Das klingt weniger nach Phrase: Fuß- punkt – aber auch bittere Momente. Seit Und aus noch einem Grund liegt eine ball ist Heiko Lükemanns Leben. Jahren besonders für Fans des Ham- schwierige Zeit hinter ihm: Zu Beginn Was für ihn den Fußball so besonders burger SV, zu denen Heiko Lükemann der Corona-Pandemie wurden alle Fuß- macht? »Er bringt dich mit den unter- zählt. Eine Woche vor dem Interview ballspiele abgesagt. Inzwischen wird schiedlichsten Menschen zusammen, zu hat der HSV durch eine 1:5-Heimnie- vielerorts wieder gekickt, jedoch ohne denen du sonst kaum Kontakt hättest. derlage den Aufstieg verspielt. »Das tat Zuschauer. »Ich bin glücklich verheira- Und gemeinsam erlebt ihr alle Emoti- richtig weh«, sagt er, und man sieht ihm tet, wirklich. Aber das war schon eine onen, die das Leben ausmachen.« Dazu an, dass es das noch immer tut. »Noch ereignislose Phase!« In den Sommer- Auf der Holztribüne des Albert-Koch-Stadions: Der Platz gehört zur Gemeinschaftsschule Probstei, in der Heiko Lükemann unterrichtet. 14 | t i t e l Hempel s # 2 9 1 8/2 02 0
ferien wollte er eigentlich mit seiner es kurzfristig doch nicht nach Polen, erleben!« Vielleicht wird das seine neue Frau die polnische Ostseeküste bereisen sondern nach Kroatien. Bernstein wird Kathedrale des Fußballs? Sein neues – und dabei einige grounds sammeln, er dort nicht finden – »aber hoffentlich WhatsApp-Profilbild? Einige Stadien was nun wieder möglich ist. Und noch einen kroatischen ground«. eignen sich dafür besser als andere. Doch etwas: »Bernstein – den sammle ich Eintrittskarten besuchter Spiele sam- außer, dass ihr Besuch für Groundhop- auch!« Neben Reisen und Fußball geht melt er natürlich auch und bewahrt sie per Punkte bedeutet, verbindet sie alle es beim Groundhopping auch darum: in einer Holzkiste auf. Als er einmal da- noch etwas: »Ob im Camp Nou oder »Um Sammelleidenschaft. Früher habe rin kramte, habe er gedacht: »Zu jedem im Albert-Koch-Stadion, ob ich Lionel ich Bierdeckel gesammelt, heute vor al- Ticket fällt mir eine Geschichten ein. Messi sehe oder einen Kreisliga-Kicker: lem Fußballplätze.« Wetterbedingt geht Warum nicht aufschreiben?« Und was er Die Magie des Fußballs spüre ich über- schrieb, gefiel. Erst Freunden und Fami- lie, dann einem Verlag. So entstand sein Buch. »Als Autor sehe ich mich nicht, und es wird kein zweites Buch von mir geben. Ich möchte nur Werbung für ein tolles Hobby machen!« Obwohl bei seinem Hobby das Drum- herum wichtiger ist, analysiert er stets auch das, was auf dem Platz geschieht. Dazu passt, dass sich Heiko Lükemann und der HEMPELS-Reporter schon vor vielen Jahren trafen: Heiko Lükemann war A-Jugend-Trainer des TSV Schön- berg und wollte den damaligen Schüler zu seinem Team abwerben. Detailliert beschrieb er am Wohnzimmertisch die Viererkette in seiner Abwehr. Das klang nach großem Fußball: Eine Viererkette kannte man nur aus dem Fernsehen – in den Dorfvereinen wurde noch konse- quent mit Libero verteidigt. Fast zwei Jahrzehnte später sagt Hei- »Als Autor sehe ich mich nicht«: Mit seinem ko Lükemann: »Groundhopping ist für Buch möchte der Schönberger »nur Wer- mich der Höhepunkt meines Fußballer- bung für ein tolles Hobby machen«. lebens. Ich reise und sammle, ich sehe Spiele und lerne dabei Menschen und Kulturen kennen – besser gehts nicht!« all!« Auch das ist so ein Satz, der eine Und er hat ambitionierte Ziele: Auf 1000 Phrase sein könnte. Der aber nicht so grounds und 100 Länderpunkte möchte klingt, wenn Heiko Lükemann ihn sagt. er kommen. »Das geht erst so richtig los, wenn ich in Pension gehe«, sagt er. Dann Heiko Lükemanns Buch »Fußballsucht. möchte er mit seiner Frau immer wieder Wenn Alte Herren groundhoppen« er- monatelang um die Welt reisen – sie um schien im Verlag »Die Werkstatt«, hat des Reisens willen, er vor allem, um Sta- 160 Seiten und kostet 14,90 Euro. dien zu besuchen. Zwischendurch wol- len sie zu Hause reinschauen, »um den Enkeln kurz Hallo zu sagen«. Nächstes Traumziel: Buenos Aires, Argentinien. »In Videos wirkt die Stim- mung in den Stadien dort sehr leiden- schaftlich. Das will ich unbedingt live He mpe l s # 2 9 1 8/2 02 0 titel | 15
Schleswig-holstein sozial Wie bei Oma Uncool und unhygienisch: Stofftaschentücher haben ein echtes Imageproblem. Studierende aus Schleswig-Holstein wollen die nachhaltigen Oma-Taschentücher wieder populär machen – wie soll das bloß klappen? TEXT: GEORG MEGGERS FOTOS: KLAUS-HENNING HANSEN Was er in seiner Hosentasche hat, lisch für Taschentuch. Ihr Ziel ist ein möchte Kolja de Cuveland nicht zeigen. Comeback: Weil sie nachhaltiger sind »Sorry, schon benutzt«, sagt er. Unbe- als ihre Pendants aus Papier, wollen nutzte Exemplare hat dafür Lisa Brucia sie Stofftaschentücher wieder populär mitgebracht und breitet sie nun auf der machen. Parkbank in der Kieler Innenstadt aus. Ein Schlüsselerlebnis hatten die bei- Es geht um Taschentücher. Das Beson- den Studierenden nicht, sie erzählen dere: Sie sind aus einem Material, in nur vom regelmäßigen Anblick über- das nur noch selten geschnäuzt wird – quellender Papierkörbe. Und Zahlen Stoff. stützen ihren Eindruck, dass es da ein Lisa Brucia, 25, und Kolja de Cuve- Problem gibt: 19 Kilogramm Hygie- land, 29, studieren an der Kieler Uni. nepapier wie eben Taschentücher hat Ihre Fächer könnte man vielleicht als der durchschnittliche Deutsche laut »irgendwas mit Umwelt« umschrei- Umweltbundesamt im Jahr 2019 ver- ben, ausbuchstabiert heißen sie »Envi- braucht. 19 Kilogramm Müll. ronmental Management« (Lisa Brucia) Benutzte Stofftaschentücher erwar- und »Sustainability, Society and the tet ein anderes Schicksal. »Ihre Halt- Environment« (Kolja de Cuveland). barkeit ist quasi unbegrenzt«, sagt Kol- Mit zwei Kommilitoninnen haben sie ja de Cuveland. Gewaschen können sie das Unternehmen »änkerchief« ge- wieder und wieder verwendet werden. gründet. Der Name setzt sich zusam- Die Taschentücher von »änkerchief« men aus Anker, der für die Hafenstadt bestehen außerdem aus Second-Hand- Kiel steht, sowie »handkerchief«, eng- Stoffen, die sonst im Müll gelandet 16 | Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l Hempel s # 2 9 1 8/2 02 0
Lisa Brucia und Kolja de Cuveland auf einer Parkbank in der Kieler Innenstadt: Diesen Sommer beginnt der Verkauf ihrer Stofftaschentücher. He mpe l s # 2 9 1 8/2 02 0 Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l | 17
Schleswig-holstein sozial wollen. Weniger nett könnte man auch von Oma-Taschentüchern sprechen. »Sie sind aus der Mode – und für viele ist das bestimmt ein Grund, sie nicht zu benutzen«, sagt Lisa Brucia. Wie wollen sie daran etwas ändern? »Das Design ist wichtig: Unsere Taschentücher sollen gut aussehen« »Das Design ist wichtig: Unsere Ta- schentücher sollen gut aussehen«, sagt Kolja de Cuveland. Die auf der Park- bank ausgelegten Exemplare sind zwei- oder dreifarbig, oft ist ein Blauton da- Kolja de Cuveland und Lisa Brucia haben zusammen mit zwei Kommilitoninnen bei. Viele sind in schlichten Mustern »änkerchief« gegründet. Ihr Ziel: Stofftaschentücher wieder populär machen. gehalten, eines zeigt ein Blumenmotiv, ein anderes Fliegenpilze. Keine Frage: wären – womöglich direkt neben voll- Nett ausgedrückt sind Stofftaschen- Da kann Donald Duck nicht mithalten. geschnäuzten Papiertaschentüchern. tücher ein Klassiker, dem die Studie- Und besser als ein weißes Stück gefalte- Und aus noch einem Grund sind »än- renden zu einem Comeback verhelfen tes Papier sehen sie allemal aus. kerchiefs« nachhaltig: Sie werden in Kiel produziert, genauer: in den WG- Zimmern der Studierenden, gefertigt an gebraucht gekauften Nähmaschinen. Es spricht also einiges für Stofftaschen- tücher. Warum nutzt sie dann nicht je- der? Kurze Stichprobe zur Verbreitung von Stofftaschentüchern mit zwei Pro- banden: Unser HEMPELS-Fotograf, Proband eins, hat ein Papiertaschen- tuch in seiner Hosentasche. »Zu Hause im Schrank müsste ich noch Stoffta- schentücher haben – ich bin aber schon vor Jahrzehnten umgestiegen.« In der Hosentasche von Proband Nummer zwei ist kein Taschentuch. Aber wenn der Reporter eines hätte, wäre es aus Papier. Stofftaschentücher benutzt er seit der Grundschule nicht mehr. Da- mals gaben ihm Mitschüler zu verste- hen, dass man als Viertklässler nicht mehr in Stoffquadrate mit Donald- Die Taschentücher von »änkerchief« bestehen aus Second-Hand-Stoffen, Duck-Motiven schnoddert. die sonst im Müll gelandet wären. 18 | Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l Hempel s # 2 9 1 8/2 02 0
Lisa Brucia studiert »Environmental Management« (Umweltmanagement) an der Kieler Uni. He mpe l s # 2 9 1 8/2 02 0 Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l | 19
Schleswig-holstein sozial Kein Fall für den Mülleimer: Die Haltbarkeit von Stofftaschentüchern »ist quasi unbegrenzt«, sagt Kolja de Cuveland Pro Taschentuch braucht Kolja de Cuveland etwa eine halbe Stunde: »Ab- messen, aufzeichnen, ausschneiden, bügeln, nähen – fertig!« Als es Anfang des Jahres losging mit »änkerchief«, hat ihm seine Schwester gezeigt, wie man an einer Maschine näht. »Durch Übung geht das immer besser.« Mate- rial und Nähmaschinen finanziert das Team mit einem Preisgeld: Beim Ide- enwettbewerb »yooweedoo«, der sozial sowie ökologisch nachhaltige Projekte unterstützt, wurde in diesem Jahr auch »änkerchief« ausgezeichnet und erhielt 1500 Euro. Ein Wahlmodul in den Studiengän- gen von Kolja de Cuveland und Lisa Brucia sieht die Gründung eines sozi- alen Unternehmens wie »änkerchief« vor. Man könnte sagen: Taschentücher nähen ist für sie Studieninhalt. Schon ungewöhnlich, oder? »Klar, aber wir lernen ja auch etwas über Unterneh- mensgründung und Vertriebswege, über Datenschutz und Öffentlich- keitsarbeit«, sagt Lisa Brucia. Diesen Sommer beginnt der Verkauf ihrer in »Abmessen, aufzeichnen, ausschneiden, bügeln, nähen – fertig«: Um ein Taschentuch Recyclingpapier verpackten Stoffta- herzustellen, braucht Kolja de Cuveland etwa eine halbe Stunde. schentücher über Kieler Boutiquen und das Internet. Nachhaltigkeit ist im Trend. Oder wendbare Produkte wie Stofftaschen- Dann wird sich zeigen, ob es ein vorsichtiger formuliert: zumindest das tücher deshalb Corona-Brutkästen? Comeback nachhaltiger Taschentücher Interesse an Nachhaltigkeit. Im Coro- Kolja de Cuveland sagt: »Einfach regel- gibt – zurück aus den Schränken in die na-Sommer 2020 aber ebenso verbrei- mäßig heiß waschen, mit mindestens Hosentaschen auch junger Menschen. tet: Plastik-Handschuhe und Einweg- 60 Grad – dann muss man sich darüber Hat »änkerchief« als Geschäftsmodell Mundschutze. In manchen Parks liegen keine Sorgen machen. Und wer ganz si- eine Chance? Die Frage ist falsch ge- sie herum wie Cola-Dosen vor Einfüh- chergehen möchte, kann seine Taschen- stellt, darum geht es nicht. Die Studie- rung des Dosenpfands. Sind wiederver- tücher auch noch bügeln.« renden wirken nicht naiv; sie wissen, 2 0 | Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l Hempel s # 2 9 1 8/2 02 0
was sie erreichen können. Und was porter über gemeinsame Freunde schon schuh. Ein Stofftaschentuch ist nir- nicht. »Wir retten mit unseren Ta- früher kannte und die er jetzt zum In- gendwo auszumachen. Lisa Brucia und schentüchern nicht die Welt«, sagt Kolja terview erneut traf. Kolja de Cuveland radeln nach Hause, de Cuveland und lacht. »Aber vielleicht Dazu passt auch, dass sie einen Teil in ihre WG-Zimmer mit den gebrauch- schaffen wir bei ein paar Menschen ein der Einnahmen an »MoorFutures« ten Nähmaschinen. Und der Reporter Bewusstsein für Nachhaltigkeit – das spenden – ein Projekt, das sich für die überlegt einen Augenblick lang ganz wäre doch auch schon was!« Wo es kein Renaturierung von Mooren einsetzt. ernsthaft, ob es für Donald Duck noch Geschäftsmodell gibt, kann das auch Lisa Brucia sagt: »Unsere Taschentü- ein Comeback gibt. nicht scheitern. cher sollen vor allem nachhaltig sein. Dazu passt, dass der Preis bis kurz Deshalb produzieren wir sie und des- vor Verkaufsstart noch nicht feststand halb sollte man sie auch kaufen.« Wo- – und dann vorerst auf 4,50 Euro für bei sie sich für ihre Käufer auch rech- ein kleines sowie 5 Euro für ein gro- nen können: Denn Papiertaschentücher ßes Taschentuch festgelegt wurde. »Wir braucht man ständig neue, Stoffta- wollen ihn möglichst niedrig halten; schentücher nur so viele, dass man stets unser Ziel ist nicht, dass wir daran ver- ein sauberes in der Hosentasche hat. dienen«, sagt Kolja de Cuveland. Ihr Auch das spräche gegen ihr Geschäfts- Studium finanzieren alle im Team mit modell – wenn es das gäbe. anderen Nebenjobs – »änkerchief« ist Im Kieler Innenstadt-Park flattern ein Engagement für sie, kein Job. »Und einige Papiertaschentücher über die so soll es auch nach der Uni bleiben«, Wiese, und neben einem Mülleimer sagt Lisa Brucia, die der HEMPELS-Re- – nicht darin – liegt ein Plastikhand- Zum Interview kommen die Kieler Studierenden Lisa Brucia und Kolja de Cuveland mit dem Fahrrad. He mpe l s # 2 9 1 8/2 02 0 Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l | 2 1
Schleswig-holstein sozial »Am Ende sind die Selbst- hilfekräfte erschöpft« Warum verlieren Menschen ihre Wohnung? Und wie kann man das verhindern? Jutta Henke, Geschäftsführerin der Bremer Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS), hat dazu bundesweit geforscht INTERVIEW: BASTIAN PÜTTER Wohnungslose sind häufig mit Un- Als erstes haben wir eine Onlinebe- verschieben. Wie soll das aussehen? verständnis und Schuldzuschreibun- fragung bei einem repräsentativen Aus- Indem man die Hilfen für Menschen gen konfrontiert: »Wohnen kann doch schnitt an Kommunen gemacht und dort auf der Straße ausbaut, verliert man aus jeder.« die Verwaltungen, aber auch alle freien den Augen, wo die Problemlösung liegt. Man glaubt, bei Wohnungslosen müs- Träger und alle Jobcenter befragt. Daraus Einer unserer Befunde ist, dass die prä- se etwas ganz anders sein als bei mir oder können wir ganz gut schließen, wie sich die ventiven Hilfesysteme viel weniger sicht- dir, das stimmt aber nicht. Tatsächlich Hilfeangebote und die Notlagen verteilen. bar sind, als sie selbst glauben. Dort glaubt sind bei ihnen überaus ungünstige Fak- Der zweite Schritt war eine Vertiefungs- man, die Leute warten und verlieren Zeit. toren so zusammengetroffen, dass es am studie, in der wir zwölf Hilfesysteme de- Das stimmt nicht. Sie wissen oft nicht, Ende keine Optionen mehr gab und der tailliert angeschaut haben. Wir haben mit welche Hilfe es wo gibt. Das heißt für das Wohnungsverlust unausweichlich wur- allen Akteuren vor Ort gesprochen und System, es muss sich erstens so sichtbar de. Materielle Ursachen sind ein Haupt- uns Verfahren, Abläufe und Strukturen wie möglich machen. Es muss deutlich grund: 80 Prozent der Betroffenen ver- erklären lassen. Denn ein wichtiges Ziel gemacht werden, dass eine Stadt Woh- lieren ihre Wohnung, weil sie die Miete der Untersuchung war es, Ansatzpunkte nungslosigkeit verhindern will. Das muss nicht zahlen können. Großen Einfluss für Verbesserungen zu finden. sie zeigen, dafür muss sie eine Homepage hat, wie erreichbar und wie sichtbar das Der dritte Teil bestand aus Interviews haben, Anzeigen schalten, Flyer drucken, Hilfesystem ist, und wie präventiv es mit Menschen, die wohnungslos waren das volle Programm. arbeitet. Und dann sind es persönliche und solchen, die ihre Wohnungslosigkeit Das zweite ist: Sie muss ihre Inst- Faktoren, die zum Beispiel gesundheitli- überwunden hatten – mit dem gleichen rumente nutzen. Ein Ergebnis der Un- cher Art sein können. Am Ende sind die Ziel: Wir wollten wissen, was hat bei der tersuchung war, dass der Einsatz von Selbsthilfekräfte erschöpft. Solange die zweiten Gruppe funktioniert, das bei persönlicher Unterstützung zur Woh- Menschen eine Wahl haben, treffen sie anderen nicht geklappt hat. Wir halten nungssicherung längst nicht in dem die vernünftigsten Entscheidungen, die es für einen Fehler, nur auf die sichtbare Umfang genutzt wird, wie es möglich man in einer schwierigen Lage treffen Problematik zu gucken, weil die Prob- wäre. Es gibt beispielsweise das Betreute kann. Wohnungslosigkeit tritt ein, wenn lemlösungen dort genau nicht gefunden Wohnen, doch das wird häufig nur nach- keine Wahl mehr da ist. werden. Lösungen findet man vor dem gehend, also nach dem Wohnungsverlust Ihr Forschungsprojekt hat so etwas Wohnungsverlust oder danach: z. B. in eingesetzt. Viel wirkungsvoller wäre es, wie einen Gesamtüberblick über die der Wohnungsversorgung und langfristi- diese Leistung schon im Vorfeld zu ins- Situation der Wohnungslosenhilfe in gen Absicherung. tallieren, um den Wohnungsverlust abzu- Deutschland erstellt. Wie sind Sie vor- Sie fordern, den Fokus auf die Ver- wenden. Unvermeidbare Wohnungsver- gegangen? meidung von Wohnungslosigkeit zu luste gibt es viel weniger, als man glaubt. 2 2 | Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l Hempel s # 2 9 1 8/2 02 0
Foto: Pixabay 80 Prozent der Betroffenen haben ihre Wohnung verloren, weil sie die Miete nicht mehr bezahlen konnten: In Deutschland besitzen laut einer Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe rund 678.000 Menschen keine eigene Wohnung. Sie betonen in Fragen der Prävention gischerweise zuerst an die Stelle, die für Anzeige einer gravierenden Notlage. In so besonders die Rolle der Jobcenter. ihr Einkommen zuständig ist, und das einem Fall gehen die Leute unverrichteter Ein wirklich überraschender Befund sind die Jobcenter. Die Betroffenen ken- Dinge und denken, es gibt keine Möglich- in der Untersuchung war, dass die Job- nen aber die Verfahren nicht, und deshalb keit der Problemlösung. center die Institutionen sind, die als erste sagen sie nicht: »Ich möchte einen Antrag Die Kommunen müssen sich mit den von den Menschen selbst über die Notlage auf Übernahme meiner Mietschulden Jobcentern über Wege des Informations- erfahren. Da ist ein echter Knackpunkt. stellen.« Sondern sie sagen: »Ich kann austauschs verständigen. Informationen Wir haben das auch in vielen Interviews meine Miete nicht zahlen, ich hab‘ kein dürfen dort nicht versickern. Wir raten gehört. Die Menschen, vor allem wenn sie Geld.« Das wird im Gespräch möglicher- darüber hinaus dazu, dass die Jobcenter im Leistungsbezug sind, wenden sich lo- weise wahrgenommen, aber oft nicht als einen präventiven Auftrag bekommen. He mpe l s # 2 9 1 8/2 02 0 Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l | 2 3
Schleswig-holstein sozial für Männer sind die Notunterkünfte, deren Nutzung oft die Bedingung ist, um weitere Hilfen zu bekommen. Sammelunterbringung ist von allen Formen der Versorgung die schlechteste. Wir hoffen, dass die Kommunen aus der Pandemie die Lehre ziehen, sich stärker in Richtung Einzelunterbringung zu ori- entieren. Schaut man auf das »Danach« von Wohnungslosigkeit, stößt man unwei- gerlich auf die sich weiter schließenden Wohnungsmärkte. Zur Beendigung von Wohnungslosigkeit braucht es nun mal Wohnungen. Eine erfolgreiche Strategie ist eine Eins-zu-Eins-Vermittlung. Die Bun- desagentur für Arbeit und die Jobcenter machen das bei der Jobsuche unter dem Stichwort »bewerberorientierte Vermitt- lung«. Die gilt Menschen, die besonders viele Hemmnisse haben und bei denen klar ist: Wenn sich ein Arbeitgeber un- ter einer Zahl möglicher Bewerber eine Person aussucht, dann nicht diese. Damit auch diese Person eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommt, muss man die Logik umdrehen und sagen: Ich will ge- nau diesen Bewerber oder diese Bewer- berin in Arbeit vermitteln. Übertragen auf die Wohnraumversorgung heißt das: Solange Vermieter am Markt auswählen können, entscheiden sie sich zwangsläufig Foto: GISS gegen den Wohnungslosen. Wer will, dass sich diese Menschen mit Wohnraum ver- sorgen können, muss Energie hier inves- tieren: bürgen, absichern, begleiten. Man »Dass Wohnungssicherung Vorrang hat, sollte im Gesetz stehen«: Jutta Henke, Geschäfts- unterschätzt schnell, wie viel Wohnraum führerin der Bremer Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung. auf diese Weise erschlossen werden kann. Durch aktive Begleitung, Intervention Dass Wohnungssicherung Vorrang hat, Hilfen verzichten. Das muss man ändern. und im Zweifel auch Unterstützung des sollte im Gesetz stehen. Auf keinen Fall Bei den Männern liegt die Ungleichbe- Vermieters lässt sich oft erreichen, dass kann man diese Chance aus der Hand ge- handlung bei der Prävention. Ihnen wird eine bestimmte Person einen Mietvertrag ben. mehr zugetraut, aber auch mehr zugemu- erhält. In Ihrer Studie stellen Sie Ungleich- tet. Wir halten das für falsch, weil gerade heiten bei der Versorgung von Män- die Gruppe der alleinstehenden Männer nern und Frauen fest. hohe Risiken hat. Es ist unbestritten, dass Ja. Es gibt insgesamt recht gut ausge- Frauen einen hohen Schutzbedarf haben. Die Studie von Jutta Henke ist im Buch- baute Hilfesysteme für Menschen, die Sobald man aber den Gedanken umdreht handel erhältlich: »Wie lässt sich Woh- bereits wohnungslos geworden sind. In und sich fragt, ob Männer etwa keinen nungslosigkeit verhindern? Ein Plä- diesen Systemen fehlen aber spezielle An- Schutzbedarf haben, wird einem klar: doyer.« Soziale Arbeit Kontrovers 23. gebote für Frauen, was dazu führt, dass Das stimmt nicht. Deutscher Verein für öffentliche und Frauen auf die Inanspruchnahme von Ein Aspekt dieser »Zumutungen« private Fürsorge | 64 S. | 9 Euro 24 | Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l Hempel s # 2 9 1 8/2 02 0
Freiheit ist kein Selbstläufer Corona hat uns gezeigt, wie zerbrechlich unser Leben ist, wie kostbar unser Leben ist, dass Freiheit und Verantwortung zusammengehören und dass Freiheit, eine freie Gesellschaft nur existieren kann, wenn die Menschen aufeinander achten und mit Respekt voreinander umgehen. Danach wird man sehen: Wer trägt denn die Lasten, wer trägt die Folgen? Was bedeutet das für die Zukunft der Arbeit, was bedeutet das für die Zukunft derer, die vielleicht jetzt schon schlechte Bildungschancen hatten? Manches wird nach oben kommen, und die Ungleichheiten und die Spannungen könnten danach steigen. Werden etwa die Ungleichheiten in der Gesellschaft größer werden? Das befürchte ich. Dann kann der Populismus wieder erstarken. Die Freiheit ist kein Selbstläufer. Sie kann, auf welchen Wegen auch immer, bedroht werden. Dies war nun eine Bedrohung, die wir nicht erwartet haben, eine Pandemie. Aber es gibt ja auch andere Bedrohungen der Freiheit. Aber vielleicht haben wir gelernt, wie kostbar die Freiheit ist und wie sehr wir uns auch anstrengen müssen, eine Kultur der Freiheit zu bewahren. KARDINAL REINHARD MAR X, 66, FRÜHE- RER VOR SITZENDER DER KATHOLISCHEN DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ Zitiert aus: Deutschlandfunk Foto: Erzbischöfliches Ordinariat München / Wolfgang Roucka He mpe l s # 2 9 1 8/2 02 0 Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l | 25
Schleswig-holstein sozial Radio Aktivität Seit genau zehn Jahren gibt es unser HEMPELS-Radio. Produziert wird es von Michael Boden TEXT UND FOTO: PETER BRANDHORST Man muss nicht lange mit Michael in den Mittelpunkt zu stellen.« Damals, dungen später, feiern er und wir ein run- Boden sprechen, um seine Motivation im August 2010, war er beim Offenen des Jubiläum. Das Programm wird jeden zu erkennen. »Seit dem ersten Tag habe Kanal Lübeck erstmals mit dem von ihm ersten Montag eines Monats ab 17 Uhr ich Heidenspaß an der Aufgabe«, sagt der moderierten und in ehrenamtlicher Ar- ausgestrahlt (siehe Infokasten). 52-Jährige dann. Und fügt hinzu: »Heute beit gestalteten HEMPELS-Radio auf Dabei war dieser Erfolg zunächst nicht wie damals ist es wichtig, soziale Fragen Sendung, heute, zehn Jahre und 120 Sen- unbedingt absehbar. Boden besaß damals Seit zehn Jahren ehrenamtlicher Macher unseres HEMPELS-Radios: Michael Boden im Studio vom Offenen Kanal Lübeck. 26 | Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l Hempel s # 2 9 1 8/2 02 0
keine Erfahrung mit Radioarbeit. Aber er Bündnisses gegen Rassismus. Und eben- hatte großes Interesse, nach seinen Vor- falls seit Mitte 2010 präsentiert er alle stellungen Radio selbst zu entwickeln. zwei Wochen die breit gefächerte Musik- Der Offene Kanal Lübeck »Die kommerziellen Programme – Musik sendung Radio-aufStand.by, in der auch wie redaktionelle Inhalte – waren und Titel abseits des breiten Geschmacks vor- ist ein öffentlich zugängliches, regi- sind mir schon immer viel zu sehr Main- gestellt werden. Musik ist ihm überhaupt onales Bürgerradio. Gearbeitet wird stream«, sagt er dazu, »ich möchte auch im Leben wichtig, bereits als Kind hat er ehrenamtlich und selbstverantwort- die Themen behandeln, die dicht an den Heimorgel gespielt und später Gitarre ge- lich. Wer Lust hat seine eigene Ra- Nöten vieler Menschen sind.« lernt. diosendung zu moderieren, kann sich Seine Sendungen versteht Boden als beim OK in der Kanalstraße 42-48 in anspruchsvoll, immer versucht er sich Lübeck melden. Telefon: (04 51) 7 05 sozialen Themen auch investigativ zu 00 20. Rückmeldungen zeigen nähern. Im HEMPELS-Radio beispiels- Zu empfangen ist das HEMPELS- weise liest er nicht nur einzelne Beiträ- Radio im Offenen Kanal jeden ersten Michael Boden, dass er ge aus dem jeweils aktuellen Heft ein, er Montag im Monat ab 17 Uhr auf 98,8 reichert das Programm auch mit selbst Mhz über Antenne und auf 106,5 Mhz mit seiner Idee von recherchierten Themen an. Regelmäßig im Kabelnetz Lübeck, Bad Segeberg führt er Interviews mit Thomas Klem- und Kreis Herzogtum Lauenburg. Radioarbeit richtig liegt pau, dem Geschäftsführer des Lübecker Oder online per Livestream auf www. Mietervereins. Rückmeldungen aus dem okluebeck.de Wiederholung am darauf Bekanntenkreis zeigen ihm, dass er mit folgenden Dienstag ab 10 Uhr. In der seinen Vorstellungen von Radioarbeit Sendung am 3. August ab 17 Uhr zum Als Boden mit dieser Arbeit begann, richtig liegt. »Immer wieder wird mir zehnjährigen Jubiläum kommen auch befand er sich selbst in einer persönlichen gesagt, dass ich mit einem Thema einen mehrere Mitarbeiter und Verkäufer Krise. Der gelernte Elektromechaniker Nerv getroffen habe.« von uns zu Wort. pb war zunächst arbeitslos geworden und Und jetzt, nach zehn Jahren Arbeit hatte drei Mal die Wohnung verloren und beim Offenen Kanal, was wünscht er musste vorübergehend in einer Notun- sich für die Zukunft? »Viele weitere er- ne selbst Radio machen, aber trauen sich terkunft leben. »Aber dann ging es dank folgreiche Jahre«, antwortet der Radio- das leider nicht zu.« der Radioarbeit wieder aufwärts«, sagt er. macher, »und dass wir die Reichweite Dass es funktionieren kann, zeigt sein Längst ist er hauptberuflich im S.O.S. e. V. noch stärker verbreitern können.« Eini- Beispiel. Und sollte sich jetzt die eine oder beschäftigt, der im Café WUT ansässigen ge Erfolge hat er auf diesem Weg bereits andere Person angesprochen fühlen – wir Lübecker Selbsthilfeorganisation für So- erzielen können. Das HEMPELS-Radio vermitteln gerne einen Kontakt zu ihm, ziales, und berät dort bedürftigen Men- und der Zeckenfunk werden inzwischen zu Michael Boden, dem Macher unseres schen in Sozialfragen. auch über das Freie Sender Kombinat HEMPELS-Radios. Beim Offenen Kanal Lübeck ist Mi- (FSK) in Hamburg ausgestrahlt sowie chael Boden für insgesamt drei wichtige über Freies Radio Neumünster, Radio Programmpunkte verantwortlich. Neben Fratz Flensburg sowie die Offenen Ka- dem monatlichen HEMPELS-Radio ver- näle Kiel und Westküste. »Eine weitere antwortet er, auch seit zehn Jahren, den Verbreitung wäre wünschenswert«, sagt Zeckenfunk, ein bereits seit 1992 exis- Boden, »aber das erfordert zusätzliche tierendes Radioprogramm des Lübecker Mitarbeit. Viele Menschen würden ger- He mpe l s # 2 9 1 8/2 02 0 Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l | 2 7
Schleswig-holstein sozial noch 6 Monate bis zum 25-jährigen Jubiläum Im Februar 2021 feiern wir unser 25-jähriges Bestehen. Dann 25 Jahre, in de- nen sich nicht nur die Zeitschrift zu einer aus der schleswig-holsteinischen Me- dienlandschaft nicht mehr wegzudenkenden Stimme entwickelt hat, zu einer Stimme derer, die allzu oft nur am Rande wahrgenommen werden. Längst sind wir noch mehr – wir mahnen und fordern nicht nur, wir handeln. Zulaufend auf unser Jubiläum stellen wir an dieser Stelle unsere Stiftung »HEMPELS hilft wohnen« in den Mittelpunkt, die Wohnraum für Wohnungslose schafft. Jeden Monat lassen wir eine Persönlichkeit zu Wort kommen, die die Bedeutung un- serer Stiftungsarbeit unterstreicht. Denn gerade auch in dieser durch Corona geprägten Zeit wird deutlich, wie wichtig ein Dach über dem Kopf für jeden Menschen ist. das problem So können Sie helfen Es sind erschreckende Zahlen: Etwa 678.000 Menschen wa- HEMPELS hat mit Hilfe des Diakonischen Werks Schleswig- ren 2018 nach einer Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Holstein eine gemeinnützige Treuhandstiftung gegründet. Wohnungslosenhilfe (BAGW) in Deutschland wohnungslos. Werden Sie Stifter und unterstützen Sie uns, wohnungslosen In Schleswig-Holstein geht das Diakonische Werk von 10.000 Menschen eine neue Perspektive zu geben. wohnungslosen Menschen aus, Tendenz steigend. Die Erfah- rungen in den HEMPELS-Verkaufsstellen und Tageseinrich- Konto: Diakonie Stiftung Schleswig-Holstein tungen bestätigen die Schätzungen und Prognosen. Stichwort: HEMPELS hilft wohnen Evangelische Bank e.G. IBAN: DE03 5206 0410 0806 4140 10 Wir besorgen Wohnungen für Obdachlose BIC: GENODEF1EK1 Mit unserem Stiftungsprojekt »HEMPELS hilft wohnen« ha- ben wir Ende 2017 in Kiel für 370.000 Euro ein Haus mit zwölf Möchten Sie mehr über »HEMPELS hilft wohnen« wissen? Wohnungen erworben, durch Aus- sowie einen Neubau auf ei- Fragen Sie HEMPELS-Vorstand Jo Tein ner angrenzenden Fläche sollen weitere Wohnungen entstehen. Jo.Tein@hempels-sh.de oder (0 15 22) 8 97 35 35 Möglich wurde der Kauf erst durch Spenden und Zustiftungen vieler Leserinnen und Leser. Auch in weiteren Städten wollen wir Wohnraum für Wohnungslose schaffen. 2 8 | Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l Hempel s # 2 9 1 8/2 02 0
MONIKA BAGGER-WULF, LANDESLEITUNG CARITAS: Ich unterstütze die Stiftung »HEMPELS hilft wohnen«, weil ... … jeder Mensch ein Zuhause braucht. Die eigene Wohnung gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Sie ermöglicht Schutz, Privatheit, Sicher- heit und freie Lebensgestaltung. In vielen Städten und Regionen in Schleswig- Holstein ist bezahlbarer Wohnraum Mangelware. »HEMPELS hilft wohnen« setzt sich auf vielfältige Weise dafür ein, insbesondere diejenigen Menschen bei der Durchsetzung ihres Rechts auf Wohnen zu unterstützen, die aus eige- ner Kraft nur geringe Chancen haben, einen Mietvertrag zu bekommen. Dank der HEMPELS-Stiftung können auch sie auf ein eigenes Zuhause hoffen. Foto: Caritas Monika Bagger-Wulf, Landesleitung der Caritas im Norden. He mpe l s # 2 9 1 8/2 02 0 Schl e s wig - hol s t ein s ozi a l | 2 9
Wie ich es sehe Nicht so schnell sein mit Schuldzuweisungen von hans-uwe rehse »China ist schuld!« Der Präsident der USA wusste gleich, Es wird Zeit, dass wir jetzt endlich damit Schluss machen! wer für die Ausbreitung der Corona-Infektion verantwortlich Schuldtheorien und -spekulationen lösen keine Probleme. Sie war. Er war schnell mit seinem Urteil. Und das, wofür er zu- schaffen nur neues Leid und neue Ungerechtigkeiten. Insofern ständig war, blieb dabei außen vor. Allerdings zeigte sich bald, denke ich: Wir sollten uns sehr zurückhalten mit schnellen wie zutreffend die alte Weisheit ist, nach der immer mehrere Schuldzuweisungen. Sie werden niemandem gerecht, weder Finger auf einen selbst gerichtet sind, wenn man auf andere China, noch der »Regierung« und schon gar nicht denen, die Leute zeigt. Schließlich war seine Regierung verantwortlich an einem Virus erkrankt sind. für alles, was jetzt im eigenen Land zum Schutz der Bevöl- Oberflächliche Urteile verwirren eher, als dass sie etwas kerung zu organisieren war. Dass hier erst mit großer Verzö- klären oder verändern. Das gilt übrigens auch da, wo man ei- gerung gehandelt wurde, hat die Ausbreitung der Infektionen nem einzelnen Menschen vorwirft, er sei »selbst Schuld« an unglücklicherweise begünstigt. seiner Situation. Besser ist es, selbst Verantwortung zu über- Das aktuelle Beispiel macht anschaulich, wie sehr die Su- nehmen für die Überwindung konkreter Notsituationen, als che nach einem Schuldigen ablenken kann von den wirklich mit dem Finger auf andere zu zeigen. wichtigen Herausforderungen. Natürlich gibt es Situationen, in denen die Schuldfrage geklärt werden muss. Wenn man den Ursachen eines Problems auf den Grund kommen will, dann muss man sehr genau hinsehen. Doch um ein schuld- haftes Verhalten feststellen zu können, braucht man hand- feste Beweise. Sonst bleiben nur Verdächtigungen und Ver- leumdungen. Hans -Uwe Rehse is t Pas tor im In der Krise der vergangenen Monate fehlten genaue In- Ruhe s tand und war Ge schäf t s - formationen und Fakten über Ursachen und Verantwortlich- führer der Vorwerk er Diakonie keiten. Beweise lagen schon gar nicht vor. Doch nicht nur der in Lübeck . SEINE KOLUMNE amerikanische Präsident hat sich dadurch nicht davon abhal- ER SCHEINT JEDEN MONAT ten lassen, über mögliche Schuldige zu spekulieren. Besonders fatal waren Verschwörungsgeschichten, die in dem Zusam- menhang in Umlauf kamen. Sie lenkten davon ab, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Statt darüber nachzudenken, wie der Krise wirksam begegnet werden kann, wurden Per- sonen und Gruppen beschuldigt, das Virus gezielt verbreitet zu haben. Leider ist das keine neue Entwicklung. Diese Form der üblen Nachrede hat in unserem Land eine lange, unselige Tradition. 30 | Schl e s wig - hol s t e in s ozi a l Hempel s # 2 9 1 8/2 02 0
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