Gratis-Abonnement Jesuiten Bestellkarte bitte 2018/2 - Deutsche Provinz der Jesuiten
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Gratis-Abonnement 2018/2
ISSN 1613-3889
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Jesuiten
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Jesuiten
Ausgabe Juni/2018 Standorte der Jesuiten
Jesuiten Gratis-Abonnement
in Deutschland IMPRESSUM
JESUITEN
Informationen
der Deutschen Provinz
der Jesuiten
an unsere Freunde
und Förderer
69. Jahrgang 2018/2
ISSN 1613-3889
Herausgeber
und Copyright:
© Deutsche Provinz
Titelbild und alle der Jesuiten K.d.ö.R.
Gemälde bis Seite 23 1 Editorial Redaktionsleitung:
© Mirko Schallenberg,
Tobias Zimmermann SJ Gratis-Abonnement
Raummaß, 2015, Schwerpunkt Redaktion:
Pia Dyckmans
senden Sie Ihren Widerruf an pia.dyckmans@jesuiten.org
Meine Einwilligung ist freiwillig und kann jederzeit widerrufen werden. Bitte
Nachrichten, Informationen oder Veranstaltungen des Ordens zu informieren.
angegebenen Daten nutzen kann, um mich per Post und Mail über aktuelle
Hiermit stimme ich zu, dass die Deutsche Provinz der Jesuiten meine oben
Datum
PLZ
Straße
Vorname
Name
plar/en ab der nächsten Ausgabe an:
Jesuiten in n 1 / n 5 / n 10 / n 20 Exem-
Bitte senden Sie kostenlos die Publikation
2018/2
Öl auf Leinwand 2 Identitätsbildung im Jesuitenorden (Chefin vom Dienst)
Holger Adler SJ
4 Die Ich-AG in einem Team sucht Liebe und Anerkennung Christian Braunigger SJ
Was ist Identität? Da gibt es Dag Heinrichowski SJ
5 Fußball und kollektive Identität Stefan Hofmann SJ
eine einfache Antwort: Naja das, Marco Hubrig SJ
was man eben ist. Und es gibt 6 Identität durch Abgrenzung Clemens Kascholke SJ
eine komplexere, vielleicht auch 8 Prägen und prägen lassen Sebastian Maly SJ
Unterschrift
Ort
Fabian Moos SJ
wahrhaftigere Antwort: Etwas,
11 Die Lehrkraft macht den Unterschied Björn Mrosko SJ
was sich ständig verändert, was Claus Recktenwald SJ
Spannungen aufbaut und abbaut, 12 Wofür sind wir da? Hans Martin Rieder SJ
Mathias Rugel SJ
was Gegensätze versammelt. 14 Gemeinsam sind wir Kirche der Zukunft? Stefan Weigand
Eine solche Komplexität brin- 17 Katholisch-Sein ohne Anleitung (Bildredaktion)
gen die Werke von Mirko Anschrift:
Schallenberg zum Ausdruck. 18 Christlicher Humanismus 4.0
Redaktion JESUITEN
Das steht Alltägliches neben 20 Ignatianisches Schul-Profil Kaulbachstraße 29a
80539 München
Exotischem, Fragiles vereint Tel 089 38185-213
sich mit Stabilem – irgendwie Geistlicher Impuls Fax 089 38185-200
immer mit dem Wunsch, dass es redaktion@jesuiten.org
22 Identitäts-Suche nach dem verborgenen Ich www.jesuiten.org
hält, dass es trägt. Aber auch mit
der untrügerischen Gewissheit: Nachrichten Satz und Reproduktionen:
Martina Weininger,
Nichts bleibt, wie es ist. Mirko
24 Neues aus dem Jesuitenorden München
80539 München
Kaulbachstraße 29a
der Gesellschaft Jesu e.V.
Freunde
Sekretariat
Schallenberg lebt und arbeitet
in Berlin. Seine Werke sind in Druck:
zahlreichen Ausstellungen und
Personalien Gebrüder Geiselberger
GmbH, Altötting
unter anderem über die Galerie 28 Jubilare Printed in Germany
Cyprian Brenner zugänglich Verstorbene
Erscheinungsweise:
(www.galerie-cyprian- Viermal im Jahr
brenner.de). Medien / DVD Abonnement kostenlos
29 Bordt: Die Kunst, die Eltern zu enttäuschen. Nachdruck nach
Rücksprache mit
Vorgestellt Jesuiten in der Redaktion
30 Die Sinus Studie „Sharing the vision“ Schweden
Stockholm
33 Die besondere Bitte Uppsala
freimachen,
falls Marke
Autoren dieser Ausgabe
zur Hand
34
Bitte
37 Standorte der Jesuiten in Deutschland
E D I TO R IAL
Liebe Leserinnen, liebe Leser, vorzustellen. Manche von Ihnen kennen
mich noch von früher. Ich bin Rektor am
Wie christlich ist Deutschland? Man merkt: Canisius-Kolleg und arbeite als Delegat
Das Land ringt um seine Identität. Was gibt für die Weiterentwicklung der ignatiani-
uns Identität? Dieser Frage gehen wir in schen Pädagogik und die Vernetzung der
dieser Ausgabe nach. Gibt es so etwas, wie Schulen im deutschsprachigen Raum.
eine kollektive Identität, z.B. im Fußball?
Was bleibt von einer so prägenden Zeit wie „Jesuiten“ ist das Ergebnis von Teamwork.
in einem Jugendverband? Gibt es so etwas Der Chefredakteur hat eine begleitende
wie eine religiöse Identität. Wie verträgt sie Rolle, verantwortet das Heft Ihnen als
sich mit der „gesellschaftlichen“ Identität Leserinnen und Lesern gegenüber sowie
in einem sehr säkularen Land wie Schwe- gegenüber dem Provinzial. Ich freue mich
den? Braucht Europa die Abgrenzung, um auf die Zusammenarbeit in einem starken
seine Identität zu bewahren? Team von Redakteuren, unserer Chefin
Ignatius fand sich neu durch die Begeg- vom Dienst, Pia Dyckmans, sowie unserer
nung mit Christus in den geistlichen Grafikerin Martina Weininger und Stefan
Übungen. Seinen geistlichen Weg hat der Weigand von der Bildredaktion.
Orden in die Etappen einer langen Ausbil- Wir danken insbesondere dem Künstler
dung übersetzt. Drei Jesuiten unterschied- Mirko Schallenberg, der uns seine Bilder
licher Generationen gehen der Frage nach, als Impulse zum Thema Identität zur Ver-
was ihnen auf diesem Weg ans Herz ge- fügung gestellt hat.
wachsen ist und worin sie jeweils das Ziel
sehen. Dieser geistliche Weg ist eigentlich Bleiben Sie mit uns, bleiben Sie den
ein Bildungsweg. Nicht umsonst hat der „Jesuiten“ verbunden.
Orden sehr früh Bildung als ein Kerngebiet
seiner Aufgaben entdeckt. Wir gehen den
Fragen nach, was wir unter Persönlich-
keitsbildung verstehen, welche Rolle dabei
Lehrer spielen und warum Persönlichkeits-
bildung im digitalen Kulturwandel noch
wichtiger werden wird. Wir berichten von
IDENTITÄT
neuen Impulsen für die religiöse Bildung
an unseren Schulen. Das Ringen um die Tobias Zimmer- Dag Heinrich-
mann SJ owski SJ
Schließung katholischer Schulen in Ham-
n
burg schließlich macht deutlich, wie wich-
JUNI 2018
tig der Kirchort Schule schon heute für die
Identität vieler Christen ist.
n
JESUITEN
Liebe Leserinnen und Leser, ich, Tobias
Zimmermann, nutze dieses erste Heft,
das ich inhaltlich verantworte, als Gele- 1
genheit, mich als neuer Chefredakteur Matthias Rugel SJ Björn Mrosko SJ
SCH WER P UNK T
Identitätsbildung im Jesuitenorden
Dag Heinrichowski Mosaiksteine sind aber auch die unter-
SJ, Jugendarbeit schiedlichen Mitbrüder und der Austausch
am Canisius- mit ihnen.
Kolleg in Berlin
Auch jeder Tag meines Lebens wird zu
einem Mosaiksteinchen. Anders als das
Wenn es nicht gerade wie aus Eimern Mosaik eines Tages, ist das Ordensmosaik
schüttet, laufe ich vor dem Schlafengehen nie ganz abgeschlossen: Ich darf meinen
noch zur Siegessäule. Auf dem Weg lasse Platz im Mosaik finden. Der Platz, an dem
ich den Tag im Examen Revue passieren. ich der sein kann, der ich wirklich bin, wo
Auch wenn ich mal nicht rauskomme – ich echt sein kann mit meinen Ecken und
den Tagesrückblick lasse
ich nicht aus. Er gehört
für mich dazu und hilft Das Examen setzt die
mir beim Wachsen, indem
ich danke für das, was mir
einzelnen Mosaiksteine
Freude gemacht hat, wo eines Tages im rechten
ich echt war und indem ich
für den nächsten Tag noch Licht zusammen.
ein paar Stellschrauben
nachziehen kann, wenn
etwas schiefgelaufen ist und ich nicht so Kanten. Der Platz, an dem ich merke, dass
verfügbar war für das, was mir begegnet mein Herz nicht eng und hart, sondern
ist. Das Examen setzt die einzelnen weit und zart wird. Jesuit-Sein heißt für
Mosaiksteine eines Tages im rechten Licht mich vor allem, bereit zu sein, mein Herz
zusammen. formen zu lassen und mich immer wieder
IDENTITÄT
neu von Gott im Alltag überraschen zu
Das Bild des Mosaiks passt auch für lassen. Dazu hilft – wie im Examen – ein
das Hineinwachsen in den Jesuitenor- offener Blick auf das, was ist. Und ganz
n
den. Jesuit-Sein besteht aus verschie- simple Dinge wie eine abendliche Runde
JUNI 2018
denen Mosaiksteinen: Die verschiedenen durch die Straßen Berlins.
Aufgaben im Orden, die Exerzitien,
n
die Verfügbarkeit und ein liebevoller
JESUITEN
Blick auf die Wirklichkeit. Entscheidende
2
Christoph Soyer SJ, 12 Jahren dreimal im Jahr treffe. Dort
München, Ausbil- erzählen wir uns von unserem Leben.
dungsdelegat der Die gemeinsamen Erfahrungen wie die
Deutschen Provinz Weltjugendtage 2005 und 2008. Wichtig
der Jesuiten
waren auch gemeinsame Urlaube mit
Seit 2017 bin ich verantwortlich für die Mitbrüdern, die ich (leider) erst nach
Mitbrüder in Ausbildung. Im Gespräch einigen Jahren im Orden „entdeckt“ habe.
mit ihnen frage ich oft, wie es ihnen Und schließlich die pastorale Arbeit an
auf dem jährlichen Treffen der Jesuiten verschiedenen Orten Deutschlands. Das
ergangen ist. Dieses „Familientreffen“ mit gemeinsame Tun hilft!
den entsprechenden Dynamiken zeugt viel Eine schöne Antwort auf eine Bitte ist:
von Ordensidentität. Bei mir hat es viele „Ja, natürlich, gerne!“ Darum geht es
Jahre gebraucht, bis ich mich dort wirklich auch in der Ordensausbildung: JA sagen
wohl gefühlt habe. Sich auf Mitbrüder zu einer bestimmten Lebensweise, wohl
freuen – von Mitbrüdern wissen, die sich wissend um die Realitäten. NATÜRLICH
auf mich freuen – Interesse aneinander meint, diese Lebensweise als etwas
haben – Wertschätzung erfahren – ohne Selbstverständliches sehen zu können,
Scheu von sich selber erzählen können. das nicht ständig in Frage gestellt
Was mir in meiner Ordensidentität werden muss. GERNE bedeutet, mit dem
geholfen hat: Der Austauschkreis mit Gelernten großzügig umzugehen und sich
drei Mitbrüdern, mit denen ich mich seit so für das Reich Gottes einzusetzen.
durch die Lehranalyse im Rahmen meines
Franz Meures
Psychologiestudiums. Der innere Weg
SJ, Mannheim, bleibt unabgeschlossen, da Christus einlädt,
Fortbildung für ihn „mit ganzer Seele, mit ganzem Herzen
Ordensleute und mit allen Kräften“ zu suchen.
Und geh nach außen! Ich war gefordert,
Beim Ordenseintritt 1970 war ich 19 Jahre mich immer wieder auf neue Situationen,
alt, hatte ein gutes Abiturzeugnis, verstand Menschen und Aufgaben einzulassen.
aber nicht viel vom Leben. Denn ich hatte Allein im Noviziat gab es fünf verschiedene
neun Jahre lang in einem strengen Internat Praktika. In 48 Jahren bin ich 15-mal
tief in der Eifel gelebt. Der Eintritt wirkte umgezogen. Jede Etappe führte in eine
wie ein Wachstumsbeschleuniger – durch neue Welt und zeigte mir neu, wer ich
IDENTITÄT
die doppelte spannungsgeladene Aufforde- bin, was ich kann und was nicht. Über die
rung: Geh nach innen und geh nach außen! Begegnung mit den Armen fand ich einen
Nach innen wurde ich durch regelmäßiges Zugang zur eigenen Hilflosigkeit. Meine
n
Beten geführt, vor allem durch die Jugendgruppenleiterinnen lehrten mich,
JUNI 2018
Exerzitien. Diese halfen mir in 30 Tagen, als zölibatärer Priester fair mit Frauen
den lebendigen Christus für mich zu umzugehen.
n
entdecken. Ohne diese Verankerung Dieser Weg sagt mir: Du darfst ein Ler-
JESUITEN
könnte ich selbst nicht verstehen, wer nender bleiben. Lass Dich offen auf
ich bin und was ich will. In meinen 48 neue Situationen und Hausgemeinschaf-
Ordensjahren wandelte sich diese innere ten ein. Und suche danach, in allem Gott 3
Beziehung immer wieder, besonders auch zu finden.
SCH WER P UNK T
Die Ich-AG in einem Team sucht Liebe
und Anerkennung
Seit über 20 Jahren bin ich Fußballtrainer, Spieler – in dieser harten Macho-Welt
noch besser – ein sogenannter Fußball- des Fußball wird umarmt, getätschelt,
Lehrer. Ich habe viele Junioren- und gestreichelt, geküsst und zärtlich an den
Profiteams gecoacht und mir oft die Frage Kopf gefasst. Auch aus diesem Grund
gestellt, ob diese ‚prominenteste‘ Sportart spielen wir Fußball – unabhängig von
der Welt eigentlich eine Mannschafts- Prestige, Geld und Karrieregelüsten.
oder eine Individualsportart ist.
Wie weit darf man im Fußball auch ein Ego-
In der Sportwissenschaft ist die Ant- Shooter sein? Identität im Fußball baut
wort klar: ein Teamsport. Doch habe ich auf Hingabe und Respekt auf (Mannschaft
im Laufe der Jahre Spieler beobachtet, und Individuum). Wenn sie nicht beides
die sehr stark ihre eigenen Interessen erfahren (etwa bei Niederlagen), fliehen
verfolgen, anstatt sich im Team unter- viele Fußball-Leute in die Einsamkeit.
zuordnen. Sicherlich auch eine gesell- Im schlimmsten Fall können Spieler an
schaftliche Frage, da man heute im Leben Nicht-Liebe und Nicht-Gemeinschaft zer-
und Sport eben kämpfen, die Ellenbogen brechen, besonders, wenn sie den Begriff
gebrauchen muss – vielleicht sogar seine RESPEKT überstrapazieren.
Mitspieler gar nicht sehen darf! Fußball
ist auch eine Ich-AG-Fabrik geworden. Identitätssuche zwischen Individualität
und Mannschaft. An einem plastischen
Doch Fußball spielen Menschen gerade, Beispiel ist Fußball zu entlarven – bei
weil sie das Team brauchen – sie bekommen einem Tor rennt der jeweilige Torschütze
Anerkennung, Lob, ein Lächeln und eine weg, jubelt dann mit einem unsichtbaren
Umarmung, wenn sie ihren Job / ihr Herz, streckt seine Hände zu Gott aus oder
Hobby positiv gestalten. Und sie geben zeigt auf seinen Namen – er zeigt auf sein
IDENTITÄT
Liebe zurück. Der Fußballspieler ist egoistisches ICH. Die Mannschaft rennt
einerseits auf sich fokussiert und zugleich dann zumeist zu ihm, holt ihn wieder
fremdgesteuert durch Fans, Mitspieler, zum Team zurück und zeigt ihm damit –
n
Gegenspieler, Schiedsrichter, Trainerteam gib uns LIEBE und wir geben dir LIEBE!
JUNI 2018
und Bankkonto. Am Ende des Tages Fußball ein Biotop für Identitätssuche
wollen Fußballspieler Bestätigung und und Identitätsfindung … oder einfach nur
n
Liebe. Daher spielt das positive Coaching schön!
JESUITEN
durch Trainer und Mitspieler eine wichtige Peter Hyballa
Rolle. Eine gute Gemeinschaft trägt viele
4
Fußball und kollektive Identität
Sonntag, 14. Juli 2014, 23:23 Uhr: Ma- die auch den Fußball hinaus verbindet, für
rio Götze nimmt die Flanke von André die der Fan sich nicht rechtfertigen muss.
Schürrle mit der Brust an und überwindet Der allsamstägliche Gang zum Stadion
mit einem unnachahmlichen Seitfallzieher oder in die Fußballkneipe strukturieren die
den argentinischen Schlussmann Romero. Woche und können dem Leben Orientie-
Ganz Deutschland explodiert, liegt sich in rung bieten.
den Armen, ist in Ekstase. Götze hat uns Gefahren lauern dort, wo die kollekti-
zum Sieg geschossen! Wir sind Weltmeis- ve Identität des Fan-Seins zum Fanatis-
ter! Wir haben es tatsächlich zum vierten mus wird, sei es durch ein übersteigertes
Mal geschafft! Wer weiß nicht, wo und mit „Wir-Gefühl“ oder eine falsch verstande-
wem er diesen Moment verbracht hat? ne Verbrüderung. Wenn jemandem, der
Doch worin liegt diese kollektive Identität, außerhalb meiner Identitätsgruppe steht,
dieses „Wir-Gefühl“ begründet, welches feindselig und gewalttätig begegnet wird,
uns unter Fußballfans begegnet? Der Fuß- wenn jemand sein Leben ausschließlich
ball bietet den Fans ein niederschwelliges dem Fußball widmet und darüber seine
Angebot dessen, was in der Gesellschaft ge- Mitmenschen aus dem Blick verliert.
sucht, aber oftmals nicht gefunden wird: die Dennoch: Der Fußball ist ein wertvol-
Möglichkeit der totalen Identifikation mit les gesellschaftliches Gut, da er eine Mög-
einer Sache, die Gelegenheit, seinen Emo- lichkeit zu einer positiven Identifikation
tionen – positiv wie negativ – gemeinsam bietet, die Grenzen überwindet und Ge-
in der Fankurve oder vor dem Fernseher meinschaft stiftet.
freien Lauf zu lassen, eine Gemeinschaft, Vincent Jünger
IDENTITÄT
n
JUNI 2018
n
JESUITEN
5
SCH WER P UNK T
Identität durch Abgrenzung –
Europa und die Flüchtlingskrise
Vieles ist seit dem Fall der Mauer anders Identität für immer fixieren zu wollen.
gekommen, als die Menschen damals Einzelne, Gruppen und Organismen
erwartet hatten; statt einer friedlicheren definieren ihre Identität immer auch
Welt, kam schon bald der Krieg im in Abgrenzung. Diese gehören dazu,
früheren Jugoslawien. Wie konnten so jene nicht. Das ist nachvollziehbar. Die
viele Grausamkeiten entlang nationaler, Versuchung liegt darin, die eigene Identität
religiöser und ethnischer Linien geschehen? höherzustellen als die der Anderen. Die
Ein Land zerbrach in Einzelstaaten, in Versuchung aller Menschen ist immer, die
ein katholisches Kroatien, ein orthodoxes eigene Identität zu verabsolutieren, darauf
Serbien, ein muslimisches Bosnien. Seit stolz zu sein und sich gegenüber anderen
dem Ende des Kalten Krieges hat die Welt Menschen arrogant zu verhalten. Sich
viele Konflikte durchlitten, die meisten höher zu fühlen als die anderen, ist die tiefe
davon Bürgerkriege zwischen ethnischen, Versuchung der Ehrsucht und des Stolzes,
kulturellen und religiösen Gruppen der die Ursache von Rassismus, Nationalismus
Bevölkerung. und Fundamentalismus. An den Fremden,
Migranten und Flüchtlingen macht sich
Identität ist ein zutiefst menschliches diese Angst um die eigene Identität fest
Bedürfnis. Jeder Mensch hat einen Namen und projiziert alle Unsicherheit auf diese
und definiert sich zu einem guten Teil Minderheiten.
von seiner Herkunft – sei es die Familie,
ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Eine Identität der Liebe
Kultur oder Wertesystem. Die Religion Als Christen haben wir eine klare Identität,
ist sehr entscheidend für die Identität der aber diese definiert sich nicht über die
Mehrheit der Weltbevölkerung. Menschen Abgrenzung und den Hass gegen andere,
verstehen sich als Muslime, Christen, sondern – ganz im Gegenteil – durch
IDENTITÄT
Buddhisten, Hindus, Atheisten… Menschen Offenheit und Liebe. In der Taufe am
kämpfen, wenn ihre Identität bedroht ist. Jordan, die den Versuchungen in der Wüste
vorausgeht, erfährt Jesus seine Identität als
n
„geliebter Sohn“ Gottes.
JUNI 2018
Unsicherheit und Angst um
die eigene Identität Es ist eine von Gott geschenkte Identität,
Da uns unsere Identität wie eine zweite nicht eine selbstgegebene. Es ist eine Iden-
n
Natur Sicherheit und Zugehörigkeit, eine tität der Liebe. Wer sich geliebt weiß, kann
JESUITEN
Vergangenheit, eine Gegenwart und eine auch andere lieben. Dies steht radikal im
Zukunft gibt, liegt der Wunsch nahe, diese Gegensatz zu extremistischen Gruppen,
6
die ihre Identität der Angst und des Hasses ist es wichtig für die Christen, der Versu-
pflegen. Sich als geliebte Tochter, als gelieb- chung und den politischen Versuchern zu
ten Sohn zu erfahren, gibt Sicherheit und widerstehen, ihnen furchtlos entgegenzu-
Offenheit im Blick auf die anderen, um in treten und Diener aller zu sein, d. h. eine in
IDENTITÄT
ihnen zu erkennen, dass auch sie Söhne und der Liebe und im Dienst starke und offene
Töchter Gottes sind. Es gilt in diesen Tagen, christliche Identität zu leben. Unsere christ-
sich als Christen von denen abzugrenzen, liche Identität – die Identität Europas – ist
n
die aus falschem Stolz und Unsicherheit die nicht durch die Flüchtlinge und Muslime
JUNI 2018
Diffamierung von Flüchtlingen und Frem- bedroht, sondern nur dann, wenn wir diese
den propagieren. An diesem Scheideweg christliche Identität der Liebe nicht in der
n
Europas, an dem so viele Menschen von Praxis den Flüchtlingen gegenüber leben.
JESUITEN
Angst um ihre Identität, von Fundamen- Peter Balleis SJ
talismus und Nationalismus versucht sind,
7
SCH WER P UNK T
Prägen und prägen lassen –
Persönlichkeitsbildung in der Jugendarbeit
Dem Prinzip „Jugend leitet Jugend“ folgend, übernehmen
in der Ignatianischen Schülergemeinschaft (ISG) am
Canisius-Kolleg in Berlin ältere Schüler als Gruppenleiter
Verantwortung für jüngere Schüler (Grüpplinge). Die
Gruppenleiter wiederum werden von ihren ehemaligen
Gruppenleitern (LRB = Leiterrundenbegleiter) gecoacht.
Verantwortung, die prägt.
Oskar Koller ich mich als Individuum stets in einem
(24) studiert sozialen Gefüge befinde, und gelernt, wie
Philosophie in ich damit umgehen kann.
Berlin und arbeitet
als Freelancer
In meiner Rolle als „Gestalter“ habe
in der Film- und
Werbebranche. ich lernen können, dass Gestaltung am
Grüppling von 2002- fruchtbarsten ist, wenn das Team sich
2007, Gruppenleiter so koordiniert, dass jeder seine Stärken
von 2007-2012, LRB und Fähigkeiten bestmöglich einbringen
von 2012-2017. kann. Dazu gehört auch, sich über seine
eigenen Schwächen klar zu werden und
Meine Zeit in der ISG lässt sich in zu lernen, dass das, was ich nicht leisten
drei Phasen unterteilen: „Teilnehmer“, kann, von jemandem, dem ich vertraue
IDENTITÄT
„Gestalter“ und „Berater“. Rückblickend und der mich schätzt, übernommen wird.
gehört zu jeder dieser drei Phasen eine
wichtige und zentrale Erkenntnis. Die letzte und vielleicht für mich wichtigste
n
Erkenntnis aus meiner Zeit als „Berater“,
JUNI 2018
In dem Wort „Teilnehmer“ steckt schon war, dass wir all dieses Wissen nur dadurch
die erste und vielleicht fundamentalste erlangen können, wenn wir stets bereit sind,
n
Lehre, nämlich „Teil“ einer Gruppe über unser eigenes Handeln nachzudenken
JESUITEN
von Menschen zu sein. Durch die und das Reflektierte miteinander auszu-
Erfahrungen der Gruppenstunden und tauschen. Für das und vieles mehr, bin ich
8 Sommerlager habe ich verstanden, dass sehr dankbar!Ludwig Bitzan (20), gleiche persönlichkeitsbildende Zeit er-
studiert Physik des möglicht wird.
Erdsystems in Kiel. In der ISG habe ich gelernt, besser auf
Grüppling von mich selbst zu hören und im Handeln
2007-2012, Grup-
penleiter von 2012-
der Menschen um mich herum zu
2017, LRB seit 2017. versuchen, die eigentlichen Motivationen
auszumachen. So konnte ich meine
Wenn ich, wie so häufig, für ein Wochen- Charakterzüge gut reflektieren und mit
ende aus Kiel nach Berlin fahre, werde dem Spiegel, den ich zunächst durch
ich von meinen Freunden oft gefragt, meine Grüpplinge und jetzt durch meine
weshalb ich denn schon wieder die freie Leiterrunde vorgehalten bekomme, mit
Zeit außerhalb von Kiel verbringe und anderem Verständnis für mich, und vor
bekomme schräge Blicke zugeworfen, wenn allem für meine Mitmenschen, durch
ich schlicht „Jugendarbeit“ antworte. mein Leben gehen.
Nach schleppend anlaufenden Erklä- Stelle ich die Jugendarbeit in der ISG bei
rungsversuchen komme ich dann in Fahrt den Jesuiten anderen Jugendverbänden
und begreife erneut, was die ISG für mich und kirchlichen Jugendgruppen gegen-
bedeutet: Der Sinn für Gemeinschaft und über, dann fallen zwei Dinge auf: es ist
das „sich selbst in die Verantwortung ein Ort, an dem ich beinahe zweckfrei
nehmen“ für das Wohl anderer. Etwas, von auf andere Menschen treffe. Und dazu die
dem ich selber als Grüppling profitiert offene und kritische Haltung der Jesuiten
habe und was ich als Gruppenleiter und zu ihrer eigenen Kirche; eine Offenheit,
LRB wieder zurückgeben kann. Gleichzeitig welche mich jeden Tag weit über die ISG
sorge ich dafür, dass auch anderen die hinausbegleitet.
Leo Tannen (16) Vertrautheit in einem neuen Umfeld ge-
ist Schüler am geben. Man findet Freunde in der eigenen
Canisius-Kolleg, Klasse und der ganzen Stufe. Spätestens seit
Berlin. Grüppling
mir das Vertrauen im Gruppenleiteramt ge-
von 2012-2017, Grup-
penleiter seit 2017. schenkt wurde, bin ich überzeugt, dass Ge-
meinschaftsbildung ein hohes Ziel der ISG
ist. Seit Beginn meiner Zeit ist mir auch die
Gemeinschaftsbildend ist wohl das aus- Selbstreflexion mit auf dem Weg gegeben.
IDENTITÄT
sagekräftigste und passendste Wort, wel- Außerdem bringt die ISG uns Jugendlichen
ches die Jugendarbeit in der ISG beschreibt. den christlichen Glauben im Rahmen von
Diese Gemeinschaftsbildung darf ich seit Spaß und Gemeinschaft näher – nie auf-
n
fünf Jahren selbst erfahren – nicht nur im dringlich oder mit irgendeinem Druck.
JUNI 2018
Rahmen der wöchentlichen Gruppenstun-
den, sondern auch auf Events wie Über- Die Jugendarbeit am Canisius Kolleg er-
n
nachtungswochenenden und Sommerlager möglicht eine individuelle Persönlichkeits-
JESUITEN
mit der ganzen Stufe. Besonders als neuer bildung in der Entwicklung von jungen
Sextaner hat mir dieser Ort Sicherheit und Menschen.
9JESUITEN n JUNI 2018 n IDENTITÄT 10
SC H W ER P UNK T
Die Lehrkraft macht den Unterschied
Mit der Frage, was guten Unterricht aus- Wenn es auf den Lehrer ankommt, bedeu-
macht, hat sich der australische Bildungs- tet das aber auch, dass nicht jeder Unter-
forscher John Hattie von der Universität richt gut ist und lernen begünstigt. Hattie
Melbourne intensiv beschäftigt. Er hat 15 zufolge reicht es nicht aus, dass Lehrer
Jahre lang Metaanalysen von gut 50.000 einfach dozieren und ihren Stoff durch-
Studien ausgewertet und einen einzig- bringen. Für ihn ist zentral, dass der Leh-
artigen Datensatz zusammengestellt. Für rer sehr sensibel darauf reagiert, was er bei
seine „Meta-Meta-Studie“ mit dem Titel seinen Schülerinnen und Schülern wahr-
„Visible learning“ hat er ein eigenes Kri- nimmt. Lehrkräfte sollten zudem systema-
terien-Raster entwickelt, um analysieren
zu können, was sich am besten auf den
Unterricht auswirkt. Das Ergebnis seiner
Es reicht nicht aus, dass
Analyse ist, dass sogenannte „personale Lehrer einfach dozieren.
Einflussfaktoren“ deutlich stärker wirken
als „strukturelle Einflussfaktoren“. Kon-
kret: Faktoren wie „finanzielle Ausstat-
tung“, „Geschlechterdifferenzierung“ oder tisch Rückmeldungen von den Schülerin-
„Klassengröße“ haben weniger Einfluss nen und Schülern einfordern. „Nur, wenn
als Faktoren, welche die Person der Lehr- sie Feedback bekommen, was noch nicht
kraft direkt betreffen. Zwei Beispiele sol- verstanden wurde, wo Fehler gemacht wer-
len dies im Folgenden verdeutlichen. den oder wenn etwas nicht interessiert,
dann können sie reagieren und sinnvolle
Glaubwürdigkeit Impulse für Lernende setzen.“
Hatties Studie zufolge ist die „Glaub-
würdigkeit“ der Lehrperson einer der Ignatianische Schulen, die Orte an-
entscheidenden Faktoren. „Vertrauen“, spruchsvoller Bildung sind und an denen
„Kompetenz“, „Dynamik“ und „Unmit- die Frage nach Gott wachgehalten wird,
IDENTITÄT
telbarkeit“ wirken dabei auf die Glaub- brauchen exzellente Lehrerinnen und Leh-
würdigkeit ein. Hintergrund ist, dass rer. Das Zentrum für ignatianische Pädago-
Schülerinnen und Schüler sehr genau gik (ZIP) setzt hier an, und bietet für diese
n
wissen, welche Lehrkräfte ihr eigenes Lehrkräfte anspruchsvolle, interdisziplinäre
JUNI 2018
Lernen positiv beeinflussen können. Fachtagungen, bei denen immer auch be-
Oder wie Hattie es in einem Interview sonderer Wert auf die Reflexion des eigenen
n
ausdrückt: „Wenn ein Lehrer nicht als Unterrichts gelegt wird.
JESUITEN
glaubwürdig wahrgenommen wird, schalt- Kai Stenull
en die Schüler einfach ab“.
11
FeedbackSCH WER P UNK T
Wofür sind wir da? – Das Ignatianische
Proprium der Schulen schärfen
Wofür stehen Sie eigentlich? Erklären Sie exzellente, ganzheitliche Persönlichkeits-
uns Ignatianische Pädagogik in einem Satz! bildung, die souverän, urteilsfähig und
Mit diesen Fragen werden Fachkräfte an lebenstauglich macht. Sie strebt zum Han-
den ignatianischen Schulen konfrontiert. deln in Verantwortung vor Gott und den
Folgende Antwort wäre möglich: „Ignatia- Menschen. Denn das ICH und das WIR
nische Pädagogik steht für exzellente gehören zusammen – der beherzte Ein-
Bildung in christlich-humanistischer satz für die Gesellschaft wird zur Selbst-
Tradition, die junge
Menschen zur Entfaltung
der ganzen Person mit allen
Talenten, zu kritischem Der beherzte Einsatz
Denken, verantwortlichem
Handeln und zum Einsatz
für die Gesellschaft wird zur
für Glauben und Gerechtig- Selbstverständlichkeit.
keit befähigt.“
Eine ausführlichere Antwort
könnte sein: „Ignatianische Persönlich- verständlichkeit“. Pädagogen aus ignati-
keitsbildung beginnt und vollendet sich in anischen Schulen haben diese Definition
Freiheit. Wer den Mut hat, in einer freien ignatianischer Pädagogik in einem Profil-
Entscheidung die christliche Perspektive auf und Markenentwicklungsprozess gemein-
das Leben einzunehmen, sich auf Gott als sam erarbeitet.
Möglichkeit einzulassen, stellt sich auf einen
festen Standpunkt, von dem sich ein Refle- Leitwerte und Praxis auf den
xions- und Handlungsraum erschließt. In Punkt gebracht
IDENTITÄT
diesem Raum werden die Vielfalt und Span- Behaupten kann man viel. Aber ist auch
nungen des Lebens nicht als Bedrohung, son- „drinnen“, was behauptet wird? In einem
dern als Bereicherung wahrgenommen. Im zweijährigen Prozess ließen sich neun igna-
n
Lauf der Zeit wird – auch durch das Erleben tianische Schulen 2016 und 2017 auf einen
JUNI 2018
von Gemeinschaft im ignatianischen Geist qualitativen und quantitativen Evaluations-
– eine selbstbewusste Haltung eingeübt, die prozess ein, den das Heidelberger SINUS
n
Sinn, Kreativität und Inspiration ermög- Institut im Auftrag des Zentrums für Ig-
JESUITEN
licht. Das Ergebnis dieser in Jahrhunderten natianische Pädagogik (ZIP) durchführte.
bewährten, weltweit verankerten Pädago- Die Ergebnisse können sich sehen lassen.
12 giktradition ist moderner denn je: eine Berthold Bodo Flaig, Geschäftsführer desInstituts schreibt: „Es gehört
Mut dazu, sich auf eine ex- Die Grundorientierung
terne Evaluation einzulas-
sen, so wie es das ZIP jetzt
ignatianischer Pädagogik ist das
mit der Studie „Sharing the christliche Menschenbild.
Vision“ getan hat. Wir ha-
ben untersucht, was an den
ignatianischen Schulen gut aktive Rolle in gesellschaftlichen Diskussi-
läuft und wo es Probleme gibt – und zwar onen über die Rolle der Digitalisierung in
aus der Sicht der „Betroffenen“ selbst, d.h. unserem Leben zu spielen. Dies setzt aber
der Schüler, Lehrer und Eltern. Überrascht voraus, dass sie Stellung in weltanschau-
hat uns dabei nicht nur das außergewöhn- lichen Fragen nehmen können, sie sich
lich positive Bild, das die Befragten von den empathisch mit Gerechtigkeitsfragen aus-
Schulen gezeichnet haben, sondern auch einandersetzen, Verantwortung überneh-
die ambitionierte Umsetzung der Untersu- men und reflexiv zur Sozial- und Sachwelt
chungsbefunde, die das ZIP derzeit betreibt: sowie zu sich selbst verhalten können.
Die ignatianischen Schulen sollen noch bes- Schule kann diese Aufgabe – die Verbindung
ser werden – obwohl sie ja schon sehr gut von Persönlichkeitsbildung und Digitali-
sind, gerade im Vergleich mit dem staatli- sierungsprozesse in der Gesellschaft – an-
chen Schulsystem.“ Regelmäßige Evaluati- nehmen und umsetzen. Das Projekt
onen sollen weiterhin die Qualität sichern. möchte in ausgewählten Schulen mit
konkreten, auf diese Aufgaben bezogenen
Persönlichkeitsbildung für innovativen Prozessen angehen und Schule
die digitale Zukunft und Unterricht in einer digital geprägten
Im Blick auf die Welt von Morgen setzen Gesellschaft neugestalten.
wir derzeit das Projekt „Digital Leadership
Education“ um. Bildung und Erziehung Ausrichtung und Haltung
spielen für jede Gesellschaft eine bedeuten- Die Grundorientierung ignatianischer
de Rolle, wenn es darum geht, die jüngere Pädagogik ist das christliche Menschenbild.
IDENTITÄT
Generation auf die Zukunft vorzuberei- Nur wer selbst eine Orientierung hat, kann
ten. In einer Gesellschaft, die stark durch sie auch anderen Menschen weitergeben.
Digitalisierungsprozesse in allen Lebens- Eben weil ignatianische Pädagogik selbst
n
bereichen gekennzeichnet sind, bedeu- eine Grundorientierung hat, kann sie
JUNI 2018
tet dies, dass Kinder und Jugendliche auf Haltungen vermitteln; und ist dafür
die Zukunft gut vorbereitet werden. Dazu geschützt, das „Fähnchen im Wind“ zu sein
n
reicht es jedoch nicht aus, sie mit den Be- und kann sich den Herausforderungen von
JESUITEN
sonderheiten digitaler Systeme sowie des „Germany 4.0“ zu stellen.
digitalen Lernens vertraut zu machen, Ulrike Gentner
sondern sie müssen befähigt werden, eine Johann Spermann SJ 13SCH WER P UNK T
Gemeinsam sind wir Kirche der Zukunft?
In der säkularen Hansestadt Hamburg dafür schwinden in einem zunehmend sä-
existiert eine kleine, aber miteinander gut kularen Umfeld – doch die Schulen waren
verbundene katholische Gemeinschaft. bislang Garant, schon früh einen Kontakt
Nicht alle der etwa 185.000 Katholiken zu schaffen, der oft ein Leben lang prä-
in der Stadt, deren Anteil an der Bevölke- gend und positiv bleibt.
rung zehn Prozent beträgt
und von denen ungefähr
30 Prozent fremdsprachig Die katholischen Schulen
sind, wollen an ihr teilha-
ben, aber doch ziemlich sind das Rückgrat der
viele. Treffen sich zwei oder katholischen Community.
drei, die in Hamburg groß
geworden sind, ist eines fast
sicher: Sie selbst oder we-
nigstens ihre Geschwister sind einmal zu- Im Januar hat nun der neue Erzbischof für
sammen auf eine der katholischen Schu- Hamburg entschieden, dass er bis zu acht
len gegangen. Die katholischen Schu- der 21 katholischen Schulen nicht mehr
len mit rund 10.000 Schülerinnen und weiter betreiben will. Nach den vorgese-
Schülern und ihre Familien sind das henen Schulschließungen könnten rund
Rückgrat der katholischen Communi- 3000 Schüler weniger eine katholische
ty. Sie sind nicht nur ein Bindeglied für Schule besuchen als bisher. Dagegen regt
die Katholiken der Stadt, sondern ganz sich Widerstand, der nicht abflauen mag;
bewusst auch für Angehörige ande- und aus dem Protest ist eine Idee gewach-
rer Konfessionen und Religionen sowie sen: Eigenverantwortung soll zum Aus-
nicht religiös Gebundene. Dadurch leis- gangspunkt einer Lösung werden.
ten sie einen großen integrativen Beitrag
für das Miteinanderlernen und -leben Wir, die Initiative Hamburger Schulge-
IDENTITÄT
von Schülern aus derzeit 85 Nationen. nossenschaft machen der Kirche, die
Die Schulen sind Kirche in allen Grund- das Feld Schule nicht mehr im gleichen
vollzügen. Sie sind ein ‚melting pot‘, ein Maß bearbeiten möchte, ein Angebot:
n
Schmelztiegel verschiedener (kirchlicher) Wir gründen eine große Schulgenossen-
JUNI 2018
Milieus ebenso wie zwischen Gläubigen schaft, nehmen dem Erzbistum Hamburg
und Säkularen. Dort wird Gemeinschaft die katholischen Schulen, die es für eine
n
gelebt, Glauben gefeiert und weiterge- Last hält, ab und entwickeln diese weiter.
JESUITEN
geben. So wie Jugendverbände sind sie ein Wir setzen dabei auf die Unterstützung
Ort, an dem Kinder und Jugendliche mit der Schulgemeinschaft und der Stadt
14 Kirche in Kontakt kommen. Die Chancen Hamburg. Viele Menschen haben dieserGenossenschaft sehr schnell ihre Unter- burg demokratisch, offen, transparent
stützung zugesagt und schon eine und vollständig partizipativ sein. Als Teil
bedeutende Summe als Startkapital zur der katholischen Tradition in der einen
Verfügung gestellt. Kirche. In der Tradition der Bruderschaf-
ten und der katholischen Verbände ein
Das wollen wir: Gemeinsam mit 10.000 Zeugnis in einer säkularen Gesellschaft.
Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen Von innen heraus dialogfähig und demo-
und Lehrern, Eltern und anderen Men- kratisch, mit gleichen Rechten, auch glei-
IDENTITÄT
schen die katholischen Schulen in eigene chem Stimmrecht aller, unabhängig von
Hände nehmen. Wir sind bereit und in der Alter und Geschlecht. Uns geht es darum,
Lage, die Verantwortung zu tragen. Wenn Eigenverantwortung in den Blickpunkt
n
uns die Kirchenverwaltung helfen will, ist zu rücken. Man könnte sagen: So geht
JUNI 2018
das willkommen. Wenn sie das gerade nicht Kirche auch.
schafft, bekommen wir es auch alleine hin. Hamburger Schulgenossenschaft:
n
Es braucht eine Lösung, die zu Hamburg
JESUITEN
Martin Helfrich, Christian Bernzen,
und ihrem Stil passt. Solide gerechnet und Christoph Schoenfeld, Ida Schütt, Rei-
mit ein bisschen Wagemut. Und dann wird ner Schmitz, Nikolas Hill, Ludwig Hecke
ein bedeutender Teil der Kirche in Ham- und Claudia Leimkühler 15SCH WER P UNK T
Katholisch-Sein ohne Anleitung
Dem Kaiser geben, was des Kaisers ist und es noch nicht mal gibt), unnötig und un-
Gott, was Gottes: leichter gesagt als getan. produktive Schwärmerei.
„Nach vielen Jahren bin überzeugt, dass Der Schwede ist leise und vorsichtig –
es im Prinzip unmöglich ist Katholik und die katholische Kirche selbstsicher und
Japaner zu sein – das geht einfach nicht“, bombastisch (nicht immer pastoral,
schreibt der Schriftsteller Shusako Endo. aber zumindest liturgisch). Der Schwe-
Auch schwedischer Katholik zu sein, ist de ist neutral – die Kirche dogmatisch.
nicht ganz einfach. Das Katholische hat Der Schwede ist hellhörig – die Kirche
nie Wurzeln in Schweden geschla-
gen; es gibt kein „kulturelles Auf-
fangbecken“. Mit gut 20 wurde ich Schlimmer ist nur
getauft. Aber für eine katholische
Identität in Schweden gibt es kei- die Gleichgültigkeit.
ne Anleitung. Man muss improvi-
sieren, wird ständig und von allen
in Frage gestellt wird. Schlimmer
ist nur die Gleichgültigkeit. Schweden ist schwerhörig. Der Schwede ist zurückhalt-
tief säkularisiert und die Gretchen-Frage end – die Kirche überzeugt. Die beiden
ist – ohne zu übertreiben – mehr als alles sind wie Öl und Wasser.
andere peinlich. Die christliche Position Entweder man trennt sein Leben auf in
ist im Grunde genommen ein ungültiger eine katholische und eine schwedische
Standpunkt und wird am besten totge- Sphäre – dann lebt man in zwei Parallel-
schwiegen. welten. Oder man geht auf Konfrontati-
Auch wenn die schwedische Identität viel- onskurs – selektiv oder komplett.
schichtig und multikulturell ist, lässt sie Jesus selbst hat sich und seine kleine
sich doch stichwortartig zusammenfas- Gruppe im Gegensatz zur vorherrschen-
sen: Neutral, pragmatisch, konfliktscheu, den Gesellschaft aufgebaut. Ein Gedanke,
IDENTITÄT
leise, skeptisch und zurückhaltend. Au- der mir Freude und Trost schenkt. Es ist
ßerdem ist sie religionsfeindlich. Viele anstrengend, Schwede und Katholik zu
Schweden sehen sich als neutral, objektiv sein, aber was ist die Alternative? Es gibt
n
und im Großen und Ganzen ziemlich to- keine. Letztlich lebe ich ein tolles Leben
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lerant. Mit anderen Worten: Sie wissen und fühle mich wohl mit meinem christ-
gar nicht, wie religionsfeindlich sie sind: lichen Glauben.
n
Religion ist für viel Elend verantwortlich,
JESUITEN
Karl Eidem
Aberglaube, Realitätsflucht (in etwas, das (Übersetzung: Dag Heinrichowski SJ)
16SCH WER P UNK T
Christlicher Humanismus 4.0
Die Digitalisierung, heißt es deutlich ver- nismus einen semantischen Rahmen.
nehmbar, stellt uns vor grundlegende Christen sind prädestiniert, Debatten über
technologische und gesellschaftspolitische die Unterscheidung zwischen Mensch
Herausforderungen. Das weit verbreite- und Maschine zu prägen – anhand der
te Gefühl, einem tiefgreifenden Wandel Gottesebenbildlichkeit und der daraus ab-
beizuwohnen, dessen Erfassung bisher geleiteten Würde des Menschen. In ihrer
schemenhaft bleibt, läuft
für Schulen auf die zentra-
le Frage hinaus: Was muss Was muss Bildung angesichts
Bildung angesichts der
Unsicherheiten des digita- der Unsicherheiten des
len Wandels leisten, damit
junge Menschen zu freien,
digitalen Wandels leisten?
selbstbestimmten und ur-
teilsfähigen Personen he-
ranwachsen können? Für ignatianische Doppelrolle als religiöser und grundge-
Schulen gilt zudem: Worin besteht im Bil- setzlicher Ankerbegriff offenbart Würde
dungsprozess das „Plus“ des christlichen das Potential christlicher Interventionen
Humanismus? in politische Richtungsentscheide.
Aus der Fremdperspektive der Politik- Demut wiederum kann gegen techno-
und Kommunikationsberatung lässt logische Hybris ins Feld geführt werden.
sich feststellen: Ein großes „Plus“ liegt Menschsein für andere als Mahnung, die
im tradierten Reservoir christlicher Folgen des digitalen Wandels für Arbeit
Sprache. Wer den Unwägbarkeiten der gerecht zu gestalten. Grundsätzlich kön-
Digitalisierung begegnen will, findet nen Bibelstellen die Kommunikation ig-
in diesem Vokabular mannigfaltige natianischer Positionen stützen, indem sie
Möglichkeiten der Artikulation mensch- Gott mit Freiheit zusammendenken (vgl.
IDENTITÄT
licher Spannungsfelder. Indem wir Digi- 2. Korinther 3, 17).
talisierungsphänomene, die unser Men- Christliche Sprache umfasst zudem Sym-
schsein im Kern betreffen, begrifflich bolsprache, wie sie sich in Ritualen ma-
n
sortieren, nehmen wir ihnen den Anschein nifestiert. Der Begriff der Demut fin-
JUNI 2018
einer unausweichlichen historischen Kraft det sein Pendant in der Handlung des
und machen sie politisch handhabbar. Niederkniens. Hierin zeigt sich ein
n
Und zwar mit einer festen Haltung. Verständnis von Macht, das Selbstbe-
JESUITEN
Für den Diskurs über künstliche Intel- grenzung nicht als Schwäche, sondern
ligenz etwa liefert der christliche Huma- Stärke auslegt. Das ist relevant, um eine
18inklusive Gesellschaft zu bewahren, die Lernerwartungen von Schülern. Der Aus-
technologische Chancen ergreift, aber vor tausch über individuelle Ansprüche und
den Allmachtsfantasien digital ermäch- Potentiale vermittelt den Mut zu beherz-
tigter Gesellschaftskonstrukteure schützt. ten Entscheidungen über den eigenen Le-
Jenseits christlicher Sprache verfügen ig- bensweg.
natianische Schulen über wirkungsvolle In solchen Praktiken offenbart sich das
Methoden, Urteilsvermögen zu fördern ignatianische Bildungsideal, Reflexion als
– die Kernfähigkeit schlechthin inmitten Ressource der Lebenskunst zu entdecken
technologischer und gesellschaftlicher – der Kunst, sein Leben zu führen und
IDENTITÄT
Umwälzungen. Dazu gehört der Klas- nicht bloß geschehen zu lassen. Auch im
senrat, eine Demokratieübung en mini- digitalen Wandel, der vierten industriellen
ature, die bei Kontroversen christliche Revolution, kurz Industrie 4.0, bleibt
n
Werte wie Fairness, Gesichtswahrung klassische Bildung als Anleitung zur
JUNI 2018
und Verzeihen hochhält. Durch Einigung freien Ausformung von Identität also
auf gemeinschaftliche Interessen erler- unersetzlich. Rückbesinnung als Update:
n
nen Schüler hier performativ einen verant- Das ist christlicher Humanismus 4.0.
JESUITEN
wortungsvollen Gebrauch von Macht. Eine Johannes Bohnen & Lutz-Peter Hennies
weitere Methode ist die Diskussion der
19SCH WER P UNK T
Ignatianisches Schul-Profil –
die mission neu buchstabieren
Blickt man Jahrhunderte zurück, wird Gottespräsenz‘ einzurichten (Ausbau-
man festzustellen, dass von der ehemals strategie); oder diese Aufgabe an die
dominierenden Stellung, welche die Kir- Religionslehrer abzutreten (Delegations-
chen im Schulwesen innehatten, heute strategie), gar an die verbleibenden Geist-
nur noch bescheidene Reste übrigge- lichen (Repräsentationsstrategie), also
blieben sind. Neben dem Religions- an die auf dem „Gottestrip“ (Friedhelm
unterricht und der Schulpastoral an Mennekes). Das Zeichen der Präsenz
öffentlichen Schulen gehören dazu die Gottes lässt sich auch nicht per Diktat
Schulen in konfessioneller Trägerschaft, durchsetzen. Es findet nur Akzeptanz,
einschließlich der ignatianisch geprägten wenn es kommunikativ erarbeitet wird.
Schulen. Diese wurden jüngst als „Orte Dieses Zeichen hat viele Facetten und
anspruchsvoller Bildung“ und hoher müsste von allen an der Schule Beteiligten
pädagogischer Qualität durch eine kreativ durchbuchstabiert werden – auch
Studie des Heidelberger Sinus-Instituts und gerade angesichts der wachsenden
eindrucksvoll bestätigt. Teilweise liegen religiös-weltanschaulichen Pluralität un-
solche Schulen in der ‚Diaspora‘. Konfes- ter den Lehrkräften, Schülern und Eltern.
sionelle Schulen repräsentieren und repro- Auch die Katholik*innen unter ihnen sind
duzieren keine konfessionellen Milieus spirituell heterogener als in einer einfälti-
mehr. Inzwischen liegt ihre ‚Mission‘ gen Konsensfiktion oft unterstellt wird.
woanders. Etwas steil formuliert, kann Eine katholische Identität gibt es nur im
sie als ein „Zeichen der Präsenz Gottes“ Plural und in Dauerreflexion. In einer
(GS 11) verstanden werden – ein Zeichen, Verschränkung von Traditions- und Par-
ein besonderes von vielen! Befund der tizipationslogik müsste situativ eine Art
Sinus-Studie war allerdings, dass die ‚ABC der Ignatianischen Pädagogik‘ ent-
ignatianischen Schulen nicht von allen faltet werden.
IDENTITÄT
Befragten als ein solches Zeichen erlebt
werden, nicht einmal als ‚Fragezeichen‘. Um nur ein Beispiel zu nennen: In einem
Dass dort nämlich ‚die Frage nach Gott solchen ‚ABC‘ ist dem Buchstaben „G“
n
wachgehalten‘ wird, können nur wenige für „Gerechtigkeit“ eine besondere Auf-
JUNI 2018
(42%) Schüler bestätigen. merksamkeit zu schenken, ist sie doch ei-
nerseits ein zentrales Attribut Gottes und
n
Zur Profilierung dieses Zeichens dürfte ein zentraler Aspekt der Ignatianischen
JESUITEN
es nicht hinreichend sein, an der Schule Pädagogik. Andererseits halten sie knapp
eine neue ‚Stelle quasi für symbolische die Hälfte der befragten Schüler*innen
20für unterbelichtet. Wo es nicht gerecht zu- der Gerechtigkeitsthematik wäre ein Bei-
geht, kann dies nur als Zeichen der ‚Igno- spiel für die Arbeit an einem zentralen
ranz Gottes‘ oder als Fehlhinweis erfahren schulspezifischen ‚Zeichen der Präsenz
werden. Einer ignatianischen Schule wür- Gottes‘, an einem Identitätsmarker. Mit
IDENTITÄT
de es gut anstehen, ja, sie könnte in einer der Beurteilungsgerechtigkeit kämen au-
„Gesellschaft der Singularitäten“ (Andreas tomatisch auch die viel größere Reich-
Reckwitz) ihre Singularität steigern, wenn weite und Komplexität der Gerechtig-
n
es ihr gelänge, Strukturen zu identifizie- keitsthematik in den Blick. So könnte
JUNI 2018
ren und zu verändern, die es bestimmten sie auch die Fähigkeit zu kritischem
Schüler*innen erschweren, erfolgreich Nachdenken darüber wecken, ob unsere
n
zu sein, oder die der Grund dafür sind, Gesellschaft dazu beiträgt, allen Menschen
JESUITEN
dass Menschen mit bestimmten Merk- zu ihrem Recht zu verhelfen.
malen bevorzugt werden. Die Arbeit an Michael N. Ebertz
21GEI S TL I CH ER I MP U L S
Identitäts-Suche nach dem
verborgenen Ich
Lange und beschwerlich sei der Weg bis zen sichtbar. Schon oft haben Menschen
zu uns selber; er führe durch verschie- erst dort angefangen, wirklich zu leben,
denste Überraschungen und Hindernisse wo sie gefordert wurden und an die Wand
hindurch. Es sei nicht leicht festzustellen, gedrängt waren. In der Tat ist es nicht sel-
wann wir wirklich bei uns angekommen ten, dass wir erst da, wo wir eigene wie
seien, wir die Identität gefunden hätten. – auch fremde Grenzen berühren, zu uns
Ist es da, wo wir den Eindruck haben, dass selber erwachen.
unsere tieferen Gefühle auf ihre Rechnung
kommen, sie in uns harmonisch zusam- Ist dies der Weg zur gesuchten Identität?
menklingen, wir endlich tun dürfen, was Zeigt sich das verborgene Ich in der Tat
wir wollen? Frei und souverän auf eigenen erst in der Berührung mit eigenen Gren-
Füßen, ohne Zwänge und Konventionen. zen? Etwas Wahres ist gewiss dabei. Wir
Fast so, wie es im Lied von
Reinhard May heißt: Über
den Wolken muss die Frei- Über den Wolken muss
heit wohl grenzenlos sein.
die Freiheit wohl grenzenlos sein.
Jedoch: Suchen wir uns und
die eigene Identität, dann
sind wir wohl gut beraten,
uns nicht in den Wolken umzusehen, kommen uns näher, wenn wir, schlicht
sondern da, wo wir die Füße auf den Bo- gesagt, uns etwas zutrauen, wir es wagen,
den haben. In den Beziehungen mit der unbekanntes Land zu betreten. So nach
Erde, mit unseren Kontakten und Tätig- dem Satz eines großen Spirituals, P. Ge-
keiten. Nicht selten nämlich sind es gute org Mühlenbrock SJ: „Tue in deinem Le-
IDENTITÄT
Beobachtungen von außen, ein hilfreiches ben immer etwas, wovor du ein bisschen
Wort oder ein guter Rat, der uns in die ei- Angst hast.“
gene Spur hilft. Oder es mag die lange, oft
n
mühsame Ausübung eines Berufes sein, Dieser Satz weist andeutungsweise auf das
JUNI 2018
die uns näher zu uns bringt. Im Tun, im hin, was den Aposteln an Pfingsten wi-
geduldigen Probieren zeichnen sich oft re- derfahren ist. Wo sie vom Heiligen Geist
n
ale Begabungen und Vorlieben ab. Dabei erfüllt wurden, da fielen alle ihre Exis-
JESUITEN
werden notgedrungen auch eigene Gren- tenzängste ab, plötzlich und unerwartet.
22Von einem unerklärlichen Mut wurden sie so erfüllt, dass sie ihre eigenen verriegelten Gemächer verließen und in die grosse Öffent- lichkeit hinaustraten. Ihr Herz war so erfüllt von dem, was ihnen zugestossen war, dass sie nicht anders konnten, als laut davon zu pre- digen. Man erkennt sie nicht wieder. In gro- ßem Freimut wird das einzig Wichtige allen, die zuhören, verkündet: Jesus, der gekreuzigt wurde, ist auferstanden und hat den Heiligen Geist gesandt. Für uns übersetzt: Näher kommen wir uns als Gläubige da, wo wir uns diesem Wind des Heiligen Geistes aussetzen und uns von ihm erfüllen und tragen lassen. Da erst geraten wir in Kontakt mit unseren innersten Kräf- ten, spüren wir den Mut, uns selber zu sein. In diesem Heiligen Geist werden wir fähig, die Ufer der eigenen Sicherheit hinter uns zu lassen und von ihnen abzustoßen. Und sie- he da: Wir leben leichter, können mit Unsi- cherheiten besser umgehen, brauchen nicht mehr alles und jedes Detail unter Kontrolle zu halten; wir müssen nicht wissen, was der morgige Tag bringt. Der leise Hauch des Hei- ligen Geistes, der unser Lebensschiff bewegt und nach vorne bringt, ist größer und auf die Länge wirksamer, als was wir selbst zustande brächten. Wir lassen uns von ihm in die Wei- te ziehen und werden dadurch in die eigene Mitte geführt. P. Hans Schaller SJ
NACH R I CH TEN
Neues aus dem Jesuitenorden
Ökumenischer offener Brief orientieren. Dies müsse den Wählern ver-
kritisiert CSU-Spitze mittelt werden. Es gelte, eine verkürzende
Symbolpolitik abzulehnen und christ-
Mit einem Offenen Brief an die Füh- liche, am Evangelium orientierte Werte
rungsspitze der CSU sowie an die Wähler nicht nur in Parteiprogrammen, sondern
haben sich im Mai in Nürnberg hundert auch in tagespolitischen Entscheidungen
Vertreter aus beiden Kirchen und gesell- auszudrücken. Politik müsse im Namen
schaftlichen Organisationen an die Öf- gesellschaftlicher Solidarität und sozialen
fentlichkeit gewandt. Darin legen sie dar, Zusammenhalts betrieben werden und
was ihrer Ansicht nach „Merkmale einer dürfe dabei nicht an nationalen Grenzen
christlichen und sozialen Politik“ sind, enden. Ausgrenzungen anderer Men-
und wollen somit einen Beitrag zu dieser schen unabhängig von Religion, Her-
nicht erst seit dem Kreuzerlass in Bayern kunft, Geschlecht oder sexueller Orien-
stattfindenden Debatte liefern. Initiatoren tierung müssten vermieden werden.
des Schreibens sind der Jesuit und Sozi-
alwissenschaftler Jörg Alt, der katholische Bonner Aloisiuskolleg
Würzburger Hochschulpfarrer Burkard schließt Internat
Hose und die Juristin Beatrice von Weiz-
säcker, die auch Mitglied des Präsidiums Das Aloisiuskolleg (Ako) in Bonn hat be-
des Evangelischen Kirchentags ist. kannt gegeben, dass das Internat der Schu-
le zum Ende des Schuljahres geschlossen
Eine christliche und soziale Politik hat wird. Die Einrichtung des Jesuitenordens
sich nach Ansicht der Unterzeichner wurde zuletzt nur noch von 68 Jugendli-
verantwortungsvoll an den Realitäten chen bewohnt. Da nach den Anmeldezah-
einer zunehmend globalisierten Welt zu len für das kommende Schuljahr weniger
als 50 Interne zu erwarten wären, habe der
© SJ-Bild
Träger und der Orden – wie Rektor Mar-
IDENTITÄT
tin Löwenstein SJ erklärt – keine andere
Wahl mehr gehabt, als diesen Bereich nun
zu schließen. Die Gruppengrößen des In-
n
ternats ließen keine pädagogisch verant-
JUNI 2018
wortbare Internatsarbeit mehr zu. Auch
wirtschaftlich sei die erforderliche Min-
n
Die Initiatoren des Schreibens von rechts: Jesuit
destgröße damit dauerhaft unterschritten.
JESUITEN
und Sozialwissenschaftler Jörg Alt, Juristin
Beatrice von Weizsäcker, Mitglied des Präsidi- Die Schließung entspricht einem deutsch-
ums des Evangelischen Kirchentags und Burkard landweiten Trend. Während große Ein-
24 Hose, katholischer Würzburger Hochschulpfarrer richtungen wie das Kolleg St. Blasien sichSie können auch lesen
