Eine Bodenagenda für die Raumplanung - 3t - NFP 68
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thematische synthese ts3 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung Adrienne Grêt-Regamey Sander Kool Lukas Bühlmann Samuel Kissling
Eine Bodenagenda für die Raumplanung Thematische Synthese TS3 des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (NFP 68)
Vorwort Eine haushälterische Nutzung des Bodens ist das primäre Ziel des schweizerischen Raum- planungsgesetzes. In die heutige Zeit übersetzt bedeutet dies nichts anderes als eine nachhaltige Nutzung. In der Umsetzung haben sich die politischen Akteure in den letzten vierzig Jahren hauptsächlich auf die quantitative Dimension, die Fläche, konzentriert, da in erster Linie die Eignung des Bodens als Bauland interessierte. Mehrfach wurde fest- gestellt, dass die Raumentwicklung in dieser Form nicht nachhaltig erfolgt. Andere Qualitäten des Bodens – etwa seine Eignung als Kulturland in der Landwirtschaft oder seine Fähigkeit, Wasser zu filtern und Treibhausgase zu speichern – waren für die Raum- planung von untergeordnetem Interesse. Einzig den wertvollsten Ackerbauflächen wurde mit dem Schutz der Fruchtfolgeflächen die notwendige Aufmerksamkeit zuteil. Es ist eines der Grundanliegen des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (nfp 68), die qualitativen Aspekte des Bodens so fass- bar zu machen, dass sie in angemessener Weise bei raumplanerischen Entscheiden berücksichtigt werden können. Mit den Bodenindexpunkten schlagen die Autorin und die Autoren der thematischen Synthese 3 «Eine Bodenagenda für die Raumplanung» des nfp 68 einen Ansatz vor, mit dem sich diese grosse Herausforderung bewältigen lässt. Entsprechend bedeutet dieses Instrument einen grossen Schritt hin zu einer Raum planung, die der Bodenqualität gebührend Beachtung schenkt. Das Autorenteam zeigt aber auch, dass die Bodenqualität in einem vielfältigen Spannungsfeld zu betrachten ist. Eine einseitige Optimierung kann beispielsweise die Zersiedlung weiter fördern und eine nachhaltige Raumentwicklung beeinträchtigen. Die Darstellung der vom Boden erbrachten Ökosystemleistungen hilft, die verschiedenen Interessen explizit zu machen, und ermöglicht so eine fundierte Abwägung. Aus Sicht des Autorenteams gilt es deshalb, die Interessenabwägung auch in der Gesetzgebung angemessen zu gewichten und insbesondere die Bodenqualität dabei zu berücksichtigen. Um nicht noch mehr Boden von hoher Qualität zu verlieren und beispielsweise mit dem angedachten Planungs ansatz die entsprechenden Handlungsspielräume zu öffnen, ist keine Zeit zu verlieren. Möglichkeiten, grundlegende Entscheide zu fällen, bieten sich mit der anstehenden Revision 2 des Raumplanungsgesetzes. Es gilt sie zu nutzen! Prof. Dr. Emmanuel Frossard Präsident der Leitungsgruppe des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (NFP 68) NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung
Inhaltsverzeichnis Vorwort ➞ 5 Inhaltsverzeichnis ➞ 6 Zusammenfassung ➞ 8 1. Funktionen und Leistungen der Ressource Boden ➞ 11 1.1 Ziele eines nachhaltigen Umgangs mit der Ressource Boden ➞ 11 2. Wie geht es dem Boden in der Schweiz? ➞ 16 2.1 Verlust an Kulturland ➞ 16 2.2 Verlust an qualitativ hochwertigen Böden und fehlende Bodendaten ➞ 20 2.3 Treiber des Flächenverbrauchs ➞ 23 2.4 Fazit: Unzureichende Berücksichtigung der Bodenqualität ➞ 24 3. Bodenrelevante Handlungsfelder der Raumplanung ➞ 25 3.1 Zwillinge Raumplanung und Eigentum ➞ 25 3.2 Öffentliches Recht über den Boden und raumplanerisches Instrumentarium ➞ 28 3.3 Handlungsfelder im Umgang mit dem Boden ➞ 31 3.4 Institutionelle Elemente, Methoden und Prozesse der Raumplanung ➞ 35 3.5 Fazit: Noch kein nachhaltiger Umgang mit der Ressource Boden ➞ 38 4. Vorschläge zur Integration von Bodenqualität in die Raumplanung ➞ 40 4.1 Bodendaten, Prognosen und Monitoring ➞ 41 4.2 Instrumente zur Steuerung der Bodennutzung ➞ 47 4.3 Bodenqualität in der Interessenabwägung ➞ 60 4.4 Fazit: Die Zeit drängt ➞ 66 5. Eine Bodenagenda für die Raumplanung ➞ 68 NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 6
Anhang ➞ 71 A1 Ökosystemleistungen (ösl), für die der Boden relevant ist ➞ 71 Das Nationale Forschungsprogramm «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (nfp 68) ➞ 72 Die Forschungsprojekte des nfp 68 ➞ 74 A2 Abbildungsverzeichnis ➞ 78 Tabellenverzeichnis ➞ 79 Glossar ➞ 80 Abkürzungsverzeichnis ➞ 83 Literatur ➞ 84 Dank ➞ 89 Impressum ➞ 90 NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 7
Zusammenfassung Besonders im Schweizer Mittelland ist der Boden starkem Nutzungsdruck ausgesetzt, wobei vor allem das landwirtschaftliche Kulturland leidet. Die vorliegende thematische Synthese des nfp 68 präsentiert Konzepte und Strategien, wie die Ressource Boden und ihre Funktionen und Ökosystemleistungen langfristig gesichert werden können. Böden sind für das Wohlergehen unserer Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Che- mische, physikalische und biologische Bodeneigenschaften und -prozesse sind verant- wortlich für eine Vielzahl von Bodenfunktionen und Ökosystemleistungen (ösl) wie den Schutz vor Naturgefahren, die landwirtschaftliche Produktion oder die Speicherung von Kohlenstoff. Die Versiegelung von Böden und weitere Belastungen wie deren Verdich- tung, Schadstoffeinträge und Erosion verringern aber zunehmend ihr Potenzial, wichti- ge Funktionen zu erfüllen und ösl zu erbringen. Da in menschlichen Zeitmassstäben die Ressource Boden nicht erneuerbar ist, stellt eine nachhaltige Nutzung des Bodens unse- re Gesellschaft somit vor grosse Herausforderungen. Landwirtschaftliches Kulturland unter starkem Nutzungsdruck Aufgabe der Raumplanung ist es, die raumwirksamen Tätigkeiten zu koordinieren. Sie bestimmt somit die Spielregeln der Bodennutzung. Besonders im Schweizer Mittelland ist der Boden starkem Nutzungsdruck ausgesetzt. Nach wie vor leidet vor allem das landwirt- schaftliche Kulturland (Glossar, S. 81) unter den Nutzungsentscheidungen. Mit der ers- ten Etappe der Revision des Raumplanungsgesetzes (rpg 1) wurde der Flächenverbrauch durch das Ausscheiden neuer Bauzonen gebremst. Dennoch nimmt der Kulturlandverlust weiterhin zu, insbesondere durch die Bautätigkeit ausserhalb der Bauzone. Sie findet zu- dem vorwiegend auf den für die Landwirtschaft geeignetsten Böden statt. Bislang neh- men wir aber bei der Beanspruchung des Bodens kaum Rücksicht auf die Qualität des Bo- dens – also sein eigentliches Potenzial zur Erfüllung seiner diversen Funktionen und ösl. Das nfp 68 (S. 72) macht die Bodenqualität deshalb zur Schlüsselgrösse für den nachhal- tigen Umgang mit der Ressource Boden. Bodenqualität in Nutzungsentscheidungen integrieren Die vorliegende thematische Synthese des nfp 68 präsentiert Konzepte und Strategien für die Schweiz, wie die Ressource Boden und ihre Funktionen und ösl langfristig gesichert werden können. Dazu muss vor allem die Datengrundlage verbessert werden, denn die Bodeneigenschaften sind nur lückenhaft erfasst, sodass auch die daraus abgeleiteten Bo- denfunktionskarten mangelhaft sind. Die nfp 68-Projekte haben Methoden erarbeitet, um Bodeneigenschaften zu kartieren, die verschiedenen Funktionen und ösl des Bodens zu bewerten und die Bodenqualität damit sichtbar zu machen. Um zu verhindern, dass die Ressource Boden übernutzt wird, müssen zudem gesellschaftliche Ziele gesetzt werden. Die Politik ist gefordert, Grenzwerte für den Verlust an Bodenqualität festzulegen. Die Bo- denforschung muss die dazu notwendigen Entscheidungsgrundlagen bereitstellen. Dies reicht jedoch noch nicht: Damit die Bodenqualität in der Raumplanung berücksichtigt wird, bedarf es einer neuen gesetzlichen Grundlage, welche die Bodenqualität in die Inte- ressenabwägung miteinbezieht. Es ist Aufgabe der Behörden, starke Planungsinst- NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 8
rumente einzuführen, die die Siedlungsentwicklung nach innen (künftig: Innenent wicklung) fördern und die künftige Bautätigkeit möglichst auf weniger wertvolle Böden lenken. Entscheidungsträgerinnen und -träger sind gefordert, die Funktionen und ösl der Böden innerhalb des Siedlungsgebiets – beispielsweise als Erholungsräume oder zum Schutz vor Überschwemmungen – vermehrt zu berücksichtigen. Um einen weiteren erheblichen Verlust an Böden mit hoher Qualität zu verhindern, müssen möglichst bald Massnahmen ergriffen werden. Auch wenn im Alltag immer we- niger Menschen direkten Kontakt zum Boden haben, spielen seine Funktionen und ösl stets eine entscheidende Rolle für das Wohlergehen unserer Gemeinschaft und jenes der nächsten Generationen. Überblick über die Synthese Das erste Kapitel der TS3 beschreibt die Ressource Boden und seine Funktionen und ösl, die in Abbildung 1 (S. 10) in der oberen Hälfte der Sanduhr durch die sechs Bodenfunk- tionen dargestellt werden. Die Ziele zum Schutz der Bodenqualität und zur Begrenzung des Flächenverbrauchs werden erläutert. Das zweite Kapitel geht auf den Bodenzustand und den fortschreitenden Verlust an Kul- turland (Glossar, S. 81) und anderen qualitativ hochwertigen Böden ein, symbolisiert in Abbildung 1 durch den Sand, der in die untere Hälfte der Sanduhr rinnt. Es zeigt sich, dass überwiegend die qualitativ wertvollsten Böden verbraucht werden. Dabei wird auch ein Blick auf das nfp 22 «Nutzung des Bodens in der Schweiz» und die damals, vor rund 25 Jahren, formulierten Ziele geworfen. Das dritte Kapitel beschreibt die entscheidende Rolle der Raumplanung für einen haushäl terischen Umgang mit der Ressource Boden anhand der bodenrelevanten Handlungsfel- der, dargestellt durch die blauen Ringe in Abbildung 1. Auf dem inneren Ring befinden sich die operativen Elemente, die Steuerungsinstrumente der Bodennutzung. Anschliessend folgen die übergeordneten Handlungsfelder im Umgang mit Boden und schliesslich die institutionellen Elemente und Prozesse27. Das bestehende Instrumentarium schränkt un- ter Berücksichtigung der ersten Etappe der Revision des Raumplanungsgesetzes (rpg 1) insbesondere den Flächenverbrauch ein. Lücken werden vor allem beim Bauen ausser- halb der Bauzone (BaB) und bei der Berücksichtigung der Bodenqualität ausgemacht. Im vierten Kapitel werden Lösungsansätze aus den nfp 68-Projekten aufgezeigt, die am bestehenden Instrumentarium der Raumplanung ansetzen. Die Ansätze bieten ein breites Spektrum an Denkanstössen mit der entscheidenden Gemeinsamkeit, das Thema «Boden- qualität» in der Raumplanung zu verankern. Die berücksichtigten Projekte werden im Konzept durch rosa Punkte dargestellt. Im Text werden jeweils Abkürzungen verwendet, um auf die Projekte zu verweisen. Im Anhang (S. 76) findet sich eine vollständige Liste der nfp 68-Projekte. Das fünfte Kapitel schliesslich schlägt eine Bodenagenda für die Schweiz mit konkreten Um- setzungsmassnahmen vor. Sie sollen den künftigen Flächenverbrauch und insbesondere NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 9
den Verlust an qualitativ hochwertigen Böden begrenzen und werden in Abbildung 1 durch die gelben Pfeile symbolisiert. Abbildung 1 Konzept der thematischen Synthese TS3 Illustration: Sander Kool, eth Zürich NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 10
1 Funktionen und Leistungen der Ressource Boden Die Ressource Boden ist mehr als Träger siegelung und weitere Belastungen wie von Gebäuden und Infrastrukturen. Sie Bodenverdichtung, Schadstoffeinträge und ist für eine Vielzahl lebenswichtiger Funk- Erosion gefährden die Bodenfunktio nen tionen verantwortlich. Boden ist unent- und die durch den Boden erbrachten Öko behrliche Produktionsgrundlage und Nähr- systemleistungen (ösl)7–10.Technische Mass- stofflieferant für die Lebensmittelproduk- nahmen können den Verlust von ösl unter tion. Rund sechzig Prozent des Schweizer Umständen kompensieren. Allerdings sind Nahrungsmittelverbrauchs konnten in den sie stets mit hohen Kosten verbunden, letzten zwanzig Jahren mit inländischen etwa wenn verschmutztes Trinkwasser Produkten gedeckt werden. Dank frucht- aufwendig aufbereitet oder ein zu gerin- barem Boden erzielt die Landwirtschaft ges Wasserspeichervermögen mit kost- eine jährliche Bruttowertschöpfung von spieligen Hochwasserschutzmassnahmen 3,87 Milliarden Schweizer Franken1. Zu- kompensiert werden muss. Angesichts dem wachsen auf Schweizer Böden jähr- der existenziellen Bedeutung des Bodens lich 9,7 Millionen Kubikmeter Holz2. Ein und der hohen Kosten kompensatorischer Blick unter die Oberfläche wirft ein Licht Massnahmen steht die Gesellschaft vor auf Milliarden von Organismen, denen der der Herausforderung, zu entscheiden, wie Boden Lebensraum bietet. So lebt ein der Boden künftig genutzt werden soll. Viertel aller Arten weltweit im Boden und ist für Prozesse verantwortlich, die we- Die Raumplanung hat die Aufgabe, die sentlich zu den vielfältigen Bodenfunktio- Raumansprüche der verschiedenen Ak- nen beitragen3. Sie zerlegen Pflanzenres- teurinnen und Akteure und der verschie- te in ihre Grundbestandteile und stellen denen Politikbereiche zu koordinieren. Sie diese als Nährstoffe wieder für Tiere und nimmt dadurch eine Schlüsselrolle ein bei Pflanzen zur Verfügung. Zudem filtert der «haushälterischen Nutzung des Bo- und speichert der Boden in seinen Po- dens und der geordneten Besiedlung des ren Wasser. Vor Seen und Gletschern ist Landes», wie dies die Bundesverfassung das Grundwasser der grösste Wasserspei- verlangt (Art. 75 BV). cher der Schweiz4. Im Weiteren leistet der Boden als Kohlenstoffspeicher einen be- 1.1 Ziele eines nachhaltigen Umgangs achtlichen Beitrag zum Klimaschutz. Im mit der Ressource Boden Humus der Schweizer Waldböden ist dop- pelt so viel Kohlenstoff (C) gebunden, wie Die vorliegende thematische Synthese lie- in der Atmosphäre über der Schweiz vor- fert Grundlagen und Strategien zur nach- handen ist5 (Exkurs «Böden und ihr Bei- haltigen Nutzung der Ressource Boden trag zu Ökosystemleistungen», S. 12). unter Einbezug der durch den Boden bereit- gestellten Funktionen und ösl. Dies ist ein Menschen nutzen und bewirtschaften den zentrales Ziel des Nationalen Forschungs- Boden seit Tausenden von Jahren und ha- programms 68 «Nachhaltige Nutzung der ben seinen heutigen Aufbau mitgeprägt. Ressource Boden» (nfp 68). Der Umgang Sie rodeten, entsteinten, pflügten, düngten mit der Ressource Boden ist nur dann nach- und säten Jahr für Jahr. Böden sind auch ein haltig, wenn folgende zwei Bedingungen Produkt dieser enormen Kulturleistung6. erfüllt werden: Die vielfältigen Ansprüche Gleichzeitig stellt die übermässige Nut- an den Boden von verschiedenen Akteu zung des Bodens durch den Menschen eine rinnen und Akteuren müssen ausführlich Bedrohung für die Ressource dar. Die Ver- abgewogen und aufeinander abgestimmt NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 11
werden, und das öffentliche Recht muss dass der Boden nicht über seine Regene dafür sorgen, dass die Ressource nicht rationsfähigkeit hinaus genutzt wird, damit übernutzt wird (Kapitel 3.2., S. 28)18,20. Der er seine Funktionen und ösl langfristig hier beschriebene Ressourcenansatz be- erbringen kann18,21. Die Bundesverfassung trachtet die Ressource Boden als Kapital, verlangt eine Nutzung des Bodens, die «ein aus dem als Ertrag die Funktionen und auf Dauer ausgewogenes Verhältnis zwi- ösl des Bodens hervorgehen. Eine nach- schen der Natur und ihrer Erneuerungs- haltige Raumplanung muss dafür sorgen, fähigkeit einerseits und ihrer Beanspru- Exkurs Böden erfüllen eine Vielzahl verschiedener Funktionen, die sich systematisch in sechs Hauptfunktionen Böden und ihr Beitrag zu und zahlreiche Teilfunktionen unterteilen lassen (Abb. 1, S. 10), 12,13: I Produktionsfunktion: z.B. Bodenfruchtbarkeit und Produktion von Biomasse Ökosystemleistungen11 II Lebensraumfunktion: z.B. Lebensraum für Bodenmikroorganismen III Regulierungsfunktion: z.B. Regulierung des Wasser- und Nährstoffkreislaufs IV Archivfunktion: z.B. Erhalt von archäologischen Kulturschätzen V Trägerfunktion: z.B. Basis für Infrastrukturen und Gebäude VI Rohstofffunktion: z.B. Quelle für Kies, seltene Erden oder Trinkwasser Für die Bereitstellung dieser Funktionen spielen die chemischen, physikalischen und biologischen Bodeneigen- schaften und -prozesse eine Rolle, beispielsweise die Säurepufferung oder der Nährstoffhaushalt. Die aus Bo- deneigenschaften abgeleiteten Bodenteilfunktionen und Bewertungskriterien sind in der thematischen Syn- these TS4 des nfp 68 «bodeninformations-Plattform Schweiz (bip-ch)» detailliert beschrieben. Sie bilden zu- sammen mit den sozioökonomischen Rahmenbedingungen die Grundlage für eine Vielzahl von Ökosystemleis- tungen (ösl). Die ösl des Bodens beschreiben den Beitrag des Ökosystems Boden zum menschlichen Wohl- ergehen. Das Konzept der ösl schlägt eine Brücke zwischen den Bodenfunktionen und ihrem Nutzen für den Menschen und somit der Inwertsetzung des Bodens. Das Bundesamt für Umwelt (bafu) geht von insgesamt 23 ösl aus14. Manche Bodenfunktionen sind gemäss der nfp 68-Fokusstudie bodenindikatoren direkt oder indirekt mit dem Ökosystem Boden verknüpft (Tab. 2 in Anhang 1, S. 71), beispielsweise die Erholungsleistung durch städtische Grün- und Freiräume sowie Nah- und Fernerholungsräume, die Speicherung von Kohlenstoff- dioxid zum Klimaschutz oder fruchtbare Böden für die landwirtschaftliche und forstwirtschaftliche Nutzung. In der vorliegenden Synthese wird in diesem Zusammenhang der Begriff «Bodenqualität» verwendet, die defi- niert wird als das Potenzial eines Bodens, die beschriebenen Funktionen und ösl bereitstellen zu können15,16. Boden ist eine Basisressource der Landschaft: Boden ist somit direkt oder indirekt für eine Vielzahl von Funk- tionen und ösl der Landschaft mitverantwortlich17. Deutlich wird die Überschneidung der ösl des Bodens mit denjenigen der Landschaft unter anderem am Beispiel der Erholungsleistung städtischer Grün- und Freiräume, die auch als Landschaft wahrgenommen werden. Gewisse Funktionen und ösl des Bodens lassen sich direkt einer Eigentümerin oder einem Eigentümer zu weisen, beispielsweise Boden als Ressource im Kiestagebau oder Boden als Träger baulicher Nutzungen. Bei anderen Funktionen und ösl des Bodens ist dies nicht der Fall18, bei den Bodenfunktionen vor allem bei den ökologischen Funktionen «Lebensraumfunktion», «Regulierungsfunktion» und «Produktionsfunktion». Sie sind besonders durch die Übernutzung gefährdet (Kapitel 1.1, S. 11). NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 12
Menschliches Wohlergehen W11 G1 sunter- Erholungs uktion le durch Jage istung Prod ung: Abbau n 0 - z stüt Speicherung meln und , Sam- Erh G2 W1 our B bachten w eo- Ress mi- bzw. eststoffen i dur olun e ch ch e von R lebender ld g Grü ch st sle Arten e tis d bio toffe räu n- un ädti istu n n k Ge n u Wir s Na me s d Fr sche ng ce he hol h- un owie ei- sc un d F v gs er on räu ne Er rch W ten me r- zie die k ndsc - un - ho E oh u.a du e im (Gär für turla atur wert mleistungen des Bo ris un r- n im lle Nu omm haf d n syste G3 Tou tz e te W7 lun rho num .) m ld den Öko fe s Kul en N an gs lun - mis che Rahmenbe lei gsr o mu g d t n in vol ebo ök o gun stu äu- s zio nsraumfunktion ge So Ang Lebe n ng l forstwirtsc s für die Nutzung aftliche Loka lationsleistung regu h Ökosysteme durc le Mik G5 W5 h h unktion denf Holzzuwac en Bo roklima- Regu uktionsfunktion lierungsfunktion Bodeneigen- schaften und Boden- Vege ängen durch vor L tzleistung prozesse Murg schlag und Futterpfla und orga el für Düngemi die landw ng liche Nutz Stein awinen, Prod Steil tation an Bo en n de n i n f o r m a ti o n hänge Schu S1 nisch W4 tt nzen irtsch u e Ro aft- fu hs n k to ff- - hiv se erde berf ebiet ng tio A rc i o n Fru den f d fo he kö r zu n o lute e, w e ü G istu Träger- alt s- n Bo d- un aftlic k t lan tsch fun en ckh r Wa nn rü de t cht ür rs wir tzung di urch tzle en f u n k tio n Nu ba die t- d chu rer S N A a tü du nge rlich S2 W3 st kt bot es ge ützu ions an P u n: ng un ro- be nd S Bes slei ter- Natü kä ch täu stun gebo rliches An- ng mp äd bu - fu n li n g ng und t an Trink- eru li- ich g s- B ser a rauchwas- natür e Sp CO 2 Existenz lt auf W2 Grun us nutzbarem cher Vielfa n, von S3 fläch d- und Ober- r Arte enwas Ebene de systeme ser Gene, Ök o W1 V1 Abbildung 2 Die Bodenfunktionen und Öko systemleistungen des Bodens. Die Ökosystemleistungen ent- G – Gesundheit/Wohlbefinden sprechen der Kategorisierung gemäss bafu14. S – Sicherheit V – Natürliche Vielfalt Angepasst nach19 W – Wirtschaftliche Leistungen14 NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 13
chung durch den Menschen anderseits» Bislang hat die Politik keine Grenzwerte anstrebt (Art. 73 BV). Die heutigen Böden hinsichtlich der Bodenqualität festgelegt, sind jedoch ein Produkt jahrtausendelan- die eingehalten werden müssten, um die ger natürlicher und anthropogener Prozes- Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Auch se22 und in menschlichen Zeitmassstäben die Forschung beginnt erst zu verstehen, nicht reproduzierbar. Bauliche Eingriffe ab welchem Versiegelungsgrad gewis- oder andere Belastungen wie Bodenver- se Funktionen und ösl nicht mehr ausrei- dichtung, Schadstoffeinträge und Erosion chend erfüllt werden können26. Ziel muss sind in der Regel mit der Zerstörung des Bo- es jedoch sein, Grenzwerte für den Verlust dens und seiner Funktionen und ösl ver- von Bodenqualität festzulegen, die länger- bunden. Der Substitution dieser Funktio- fristig und gesamthaft nicht überschritten nen und ösl durch technische Massnahmen werden. Die Festlegung muss sich dabei sind Grenzen gesetzt (Kapitel 1, S. 11 ff.). auf die Schwellenwerte der Übernutzung der Funktionen und ösl des Bodens be- Die «Agenda 2030» der Vereinten Natio ziehen. Dies ist zwar ein aufwendiger und nen formuliert globale Ziele für eine komplexer Prozess, für den nachhaltigen nachhaltige Entwicklung, zu denen sich Umgang mit der Ressource Boden aber auch die Schweiz bekannt hat. Nach ihnen unabdingbar. richtet sich die nationale «Strategie der nachhaltigen Entwicklung 2016–2019» Die nachhaltige Nutzung des Bodens in des schweizerischen Bundesrats23,24. Die der Schweiz kann nicht losgelöst von jener Mehrzahl der 17 Nachhaltigkeitsziele der im Ausland betrachtet werden. Der Bo- «Agenda 2030» stehen direkt oder indi- den, der zur Versorgung der Schweizer rekt in Beziehung zum Boden und sei- Bevölkerung auf irgendeine Weise ge- nen Funktionen und ösl (Exkurs «Nach- nutzt wird, liegt überwiegend im Aus- haltigkeitsziele der Vereinten Nationen mit land. Nach Studien des Bundesamtes für direktem oder indirektem Bezug zum Bo- Umwelt (bafu) fallen so über 70 Prozent den», unten)25. der durch den Schweizer Konsum verur- sachten Umweltbelastungen im Ausland Exkurs Ziel 1 Nachhaltigkeitsziele der Armut beenden, Zugang zu Ressourcen sichern und Landeigentum ermöglichen. Ziel 2 Vereinten Nationen mit Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige direktem oder indirek- Landwirtschaft fördern. tem Bezug zum Boden24 Ziel 3 Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern. Ziel 12 Für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sorgen. Ziel 15 Terrestrische Ökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodenverschlechterung stoppen und umkehren und den Biodiver- sitätsverlust stoppen. NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 14
Es ist folgendes Ziel zu an27. Beispielsweise müssen Nahrungs- Die temporär Angestellten verloren so- verfolgen: mittel, deren Nachfrage die inländische wohl ihre Arbeit als auch einen guten Teil Der Verlust an qualitativ hoch- Landwirtschaft nicht zu decken vermag, ihrer früheren Subsistenzgrundlage. Pro- wertigen Böden begrenzen, anderswo produziert werden. Auf diese jekte und Investitionen im Ausland stellen indem Weise beeinflussen der Konsum und die aber auch eine Chance dar, den globalen – der Flächenverbrauch durch Nutzung des Bodens in der Schweiz die Fussabdruck der Schweizer Gesellschaft bauliche Nutzungen reduziert Entwicklung im Ausland. Im globalen Sü- zu verringern, indem zum Beispiel Rekul- wird und den werden zudem grossflächige Landin- tivierungen degradierter Böden oder Aus- – die Bodenqualität zu einer vestitionen getätigt, die erhebliche positi- gleichsflächen finanziert werden. Diese wichtigen Entscheidungs- ve, aber auch negative soziale, wirtschaftli- Wechselwirkungen gilt es vermehrt in Dis- grösse der Raumplanung che und ökologische Folgen haben, wie die kussionen um die Bodennutzung in der wird. nfp 68-Projekte land grabbing und land- Schweiz einzubeziehen. nutzungsentscheide zeigen. Das Projekt land grabbing gibt Einblick in die Aus- Eine nachhaltige Raumplanung hat die wirkungen der durch Investoren mit Sitz unterschiedlichen Nutzungsansprüche an in der Schweiz finanzierten Biotreibstoff- den Boden zu berücksichtigen. Dabei soll produktion in Sierra Leone. Biotreibstoffe künftig insbesondere denjenigen Funk werden gewöhnlich als positiver Beitrag tionen und ösl des Bodens grösseres Ge- zur Nachhaltigkeit betrachtet. Im unter- wicht zukommen, die, wie die Kohlenstoff- suchten Fall führen sie neben der Er- speicherung oder die Erholungsleistung, höhung der Einkommenschancen eines bisher unzureichend in raumplanerische erheblichen Anteils der lokalen Bevölke- Entscheidungen eingeflossen sind. Auf rung aber auch zur grossflächigen Zerstö- Basis dieser Funktionen und ösl sollen rung wertvoller Landschaften. Angesichts vorausschauend Auseinandersetzungen der Abhängigkeit der Menschen von die- und Verhandlungen geführt werden, die sen Landschaften hat deren Verwundbar- eine kreative Neuordnung der Boden- keit stark zugenommen28. Im untersuch- nutzung unter Berücksichtigung der Bo- ten Fall wurde die Produktion aufgrund denqualität fördern. stark sinkender Energiepreise eingestellt. NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 15
2 Wie geht es dem Boden in der Schweiz? Bereits vor rund 25 Jahren hat sich ein 2.1 Verlust an Kulturland nfp mit dem Boden in der Schweiz be- fasst. Das nfp 22 «Nutzung des Bodens Unter der Landnutzungsänderung zwi- in der Schweiz» (1983–1991) formulierte schen 1985 und 2009 hat bekanntermas- im Schlussbericht Massnahmen, um die sen das Kulturland am stärksten gelitten. Bodenfruchtbarkeit zu erhalten, den Ver- Insgesamt sind in 24 Jahren 85 000 Hek- lust an wertvollen, über Jahrtausende taren beziehungsweise fünf Prozent des gewachsenen Böden zu verringern und 1985 noch vorhandenen Kulturlands ver- die Bodennutzung besser zu verteilen28. loren gegangen, was etwa der Grösse des Als zentrale Probleme wurden unter an- Kantons Jura entspricht29. Die Ausweitung derem der Flächenverbrauch durch Un- der überbauten Fläche ist für zwei Drit- ternutzung von Grundstücken und einzel- tel des Kulturlandverlusts verantwort- nen Gebäuden, das planlose Wachstum in lich, und dies überwiegend im Mittelland Gebieten mit günstigem Bauland und die (zwischen Jurakette und Alpen) und in sozialen Folgen steigender Bodenprei- den Talgebieten. Aufgrund der Topogra- se an zentralen Lagen bezeichnet. Was ist fie, des Waldes und weiterer Flächen wie seither geschehen und welche Ziele wur- beispielsweise der Gewässer sind in der den erreicht? Kapitel 2 beleuchtet die Ent- Schweiz rund dreissig Prozent der Landes- wicklung des Bodens in den letzten dreis- fläche für Siedlungen geeignet (Abb. 3, un- sig Jahren und wagt erste Prognosen für ten)30. Auf einem Drittel der Landesfläche die Zukunft. spielen sich daher die grössten Nutzungs- konflikte ab, denn nicht nur die Bevölke- rung, sondern auch das produktivste Kul- Abbildung 3 Besiedelbare Fläche und über- baute Fläche der Schweiz im Jahr 2010. Auf einem Drittel der Landesfläche spielen sich die grössten Nutzungskonflikte ab. Angepasst nach31 Besiedelbare Fläche/ besiedelbares Kulturland Überbaute Fläche NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 16
turland und die dynamischsten Entwick- Drittel des Gesamtverlusts an Kulturland lungen der Wirtschaft konzentrieren sich verantwortlich. Betroffen von der Vergan- auf diesen knappen Raum. dung sind vor allem Sömmerungswei- den und Maiensässe. Ausserdem führt die Die jüngste Erhebung der schweizerischen Vergandung – im Gegensatz zur Versiege- Arealstatistik wurde für die Westschweiz lung – zu einer Transformation und nicht (Kantone Freiburg, Solothurn, Basel-Stadt, zum Erliegen der ökologischen Boden- Basel-Landschaft, Waadt, Neuenburg, Genf funktionen. Dieses Thema wird daher im und Jura) bereits abgeschlossen. Ihre Er- Rahmen der Synthese nicht weiter vertieft. gebnisse deuten auf eine weitere erheb- liche Ausweitung der überbauten Flä- 2.1.1 Kulturlandverlust durch Überbauung che innerhalb der letzten neun Jahre hin, wenn auch das Tempo etwas nachzulas- Mit 63 Prozent beziehungsweise knapp sen scheint32. Der Verlust von Kulturland 54 000 Hektaren ist die Zunahme der über- durch bauliche Nutzungen kann als ir- bauten Fläche hauptverantwortlich für reversibel betrachtet werden, da es nur den Verlust von Kulturland (Abb. 4, unten) teilweise und unter erheblichen Kosten zwischen 1985 und 2009. In dieser Zeit ist möglich ist, versiegelte Flächen zu rekul- damit Kulturland in der Grösse des Boden- tivieren (Kapitel 4.2.1, S. 49). sees überbaut worden. Mit knapp 70 Pro- zent machen Gebäudeareale den Haupt- Auch der Wald hat zum Verlust an Kultur- teil des Verlustes aus, die vor allem zum land beigetragen. Waldzuwachs und Ver- Wohnen beansprucht wurden. Infrastruk- buschung (Vergandung) sind für einen turen sind für knapp einen Viertel des Abbildung 4 Wachstum auf Kosten des Kulturlands Bilanz des Kulturlandverlusts in 1000 Hektaren gemäss Arealstatistik zwischen 90 1985 und 2009. Die Zunahme der überbauten Fläche ist für 80 knapp zwei Drittel des Kultur- 70 landverlusts verantwortlich. 60 Für eine vollständige Übersicht 50 über die 72 Klassen der Areal statistik siehe Lit.33. 40 30 Datenquelle: Lit.31 20 10 0 Kulturlandverlust total davon Gebäudeareale davon Wohnareale Unproduktive Flächen: 18,8% Erholungs- und Grün- Restliche Gebäude- (v.a. Gebüsch und Strauch- flächen: 9,1% areale: 4,6% vegetation, unproduktive Gras- Infrastrukturen: 22,8% Industrie- und Gewer- und Krautvegetation) (Verkehrsflächen und beareale: 10,2% Bestockte Flächen: 17,8% besondere Siedlungs- Landwirtschaftliche Überbaute Flächen: 63,4% flächen) Gebäudeareale: 10,5% Gebäudeareale: 68,1% Wohnareale: 42,7% NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 17
Kulturlandverlusts verantwortlich, und je Umweltverbänden angefochten werden. ein Zehntel wird durch landwirtschaft Die Kontrolle darüber, ob die strengen Vo- liche Gebäudeareale sowie Industrie- und raussetzungen für Neueinzonungen tat- Gewerbeareale verursacht. Die beschrie- sächlich eingehalten werden, wurde da- bene Zunahme der überbauten Fläche mit erheblich verschärft. hat sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Bauzone stattgefunden. Anhand der Der Schlussbericht des nfp 22 hat Mass- zur Verfügung stehenden Datengrundla- nahmen vorgeschlagen, um das Wachs- gen können jedoch (BaB) nur beschränkt tum der überbauten Fläche zu stoppen. Aussagen gemacht werden (Kapitel 2.1.4, So wurde empfohlen, ein schweizweites S. 19). Maximum an Siedlungsgebiet festzulegen und auf die Kantone aufzuteilen28. Diese Die überbaute Fläche ist zwischen 1985 Massnahme, die nicht umgesetzt wurde, und 2009 schneller gewachsen als die Be- hätte einer Verfassungsänderung bedurft, völkerung. Schweizweit ist die überbaute da die Raumplanung Sache der Kantone Fläche pro Einwohnerin und Einwohner ist. Die Kantone steuern die Entwicklung um fünf Prozent, von 387 auf 407 Qua ihres Siedlungsgebiets über den Richtplan dratmeter, gestiegen34. Es zeigen sich je- (Art. 8a rpg). Dem Vorschlag des nfp 22 doch erhebliche regionale Unterschiede. ist das rpg 1 mit der Ausrichtung der In zentralen urbanen Lagen wie Zürich Siedlungsentwiclung nach innen jedoch und Genf, wo die Innenentwicklung vor- weitgehend nachgekommen (Kapitel 3.3.1, angetrieben wurde, ist gar ein Rückgang S. 31). Die Anforderungen an die Aus- der beanspruchten überbauten Fläche pro scheidung neuer Bauzonen wurden ver- Kopf feststellbar. schärft (Art. 15 rpg), und Massnahmen zur Baulandmobilisierung müssen durch 2.1.2 Künftig weniger neue Bauzonen die Kantone ergriffen werden (Art. 15a rpg). Zusätzlich wurde die Abschöpfung Mit der ersten Revisionsetappe des Raum- des Mehrwerts bei Wertsteigerungen von planungsgesetzes von 2012 (rpg 1) sind die Grundstücken (Mehrwertausgleich) mit Anforderungen an die Ausscheidung neu- einem minimalen Prozentsatz (Mindest- er Bauzonen stark gestiegen (Kapitel 3.3.1, regelung) und Sanktionsmöglichkeiten bei S. 31). Generell wird es zwar auch nach der Nichtbefolgung präzisiert (Art. 5 rpg; Ka- Umsetzung des rpg 1 möglich sein, neue pitel 3.1.3, S. 26). Bauzonen auszuscheiden, häufig wird dies aber geschehen sein. Neueinzonungen un- Das Verhältnis der Investitionen in Neu- terliegen strengen Voraussetzungen. Vorab bau- und Umbautätigkeiten ist seit den müssen unter anderem die inneren Nut- frühen 1990er-Jahren stabil. Nach wie vor zungsreserven mobilisiert werden, und werden im Hochbau auf privater Seite die Verfügbarkeit des einzuzonenden Lan- rund siebzig Prozent in den Neubau (inkl. des muss rechtlich sichergestellt sein. Ersatzneubau) und nur rund dreissig Pro- Das Bundesgericht folgt bei der Überprü- zent in den Umbau investiert35. Es ist fung dieser Anforderungen einer strengen jedoch noch zu früh, die Wirkung des Linie. Künftig können Einzonungen nicht revidierten rpg zu beurteilen. Im Zuge nur von Privaten und Behörden – den der Innenentwicklung dürfte sich dieses Bundesämtern für Raumentwicklung und Verhältnis verstärkt in Richtung Umbau Landwirtschaft –, sondern auch von den verlagern. Dazu müsste aber auch genau- NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 18
er untersucht werden, wie hoch der Anteil zungsverschiebungen zwischen Wohnge- von Ersatzneubauten an der Gesamtzahl bäuden und solchen ohne Wohnnutzun- der Neubauten liegt. gen sind daher kaum Aussagen möglich. Einige Kantone haben jedoch ein weit ge- 2.1.3 Verteilung der bestehenden naueres Monitoring zum BaB aufgebaut. Bauzonenreserven Die überbaute Fläche ausserhalb der Bau- Im Schweizer Durchschnitt beträgt der zonen beträgt rund 38 Prozent der gesam- Anteil der Bauzonenreserven zwischen ten überbauten Fläche der Schweiz; 11,3 12 und 18 Prozent des Gesamtbestands Prozent aller Gebäude mit Wohnnutzung der Bauzonen, wobei erhebliche kantona- stehen ausserhalb der Bauzonen38,39. Zwi- le Unterschiede bestehen36. Dynamische schen 2001 und 2010 entstanden zudem urbane Zentren und deren Einzugsgebie- pro Jahr rund 500 Neubauten mit Wohn- te verfügen tendenziell über wenig freies nutzung ausserhalb der Bauzonen39. Auch Bauland, während in peripheren Gemein- die Bautätigkeit ausserhalb der Bauzone den mit geringerer Nachfrage ein Überan- konzentriert sich vorwiegend auf Talge- gebot besteht. Solche Überangebote för- biete und das Mittelland (Abb. 3, S. 16). dern die Zersiedelung und die nicht nach- haltige Nutzung der Ressource Boden. Sie Verkehrsareale waren in der Vergangen- führen zu hohen Folgekosten für die Er- heit für den Kulturlandverlust nicht von schliessung und für Infrastrukturen (Ka- primärer Bedeutung. Sie machten (inner- pitel 2.3, S. 23)37. Die Redimensionierung halb und ausserhalb der Bauzone) knapp dieser Bauzonen aufgrund des revidier- 16 Prozent des Flächenverlusts aus (Abb. ten rpg beschäftigt derzeit viele Kantone 4, S. 17). Nationale Verkehrsinfrastruktu- (Art. 15 rpg). Die Befürchtung, im Falle ren, für die der Bund zuständig ist, ver- von Rückzonungen hohe Entschädigun- ursachten rund zwei Prozent des Kultur- gen zahlen zu müssen, sind bei deutlich landverlusts40. Aufgrund der schärferen zu grossen Bauzonen häufig unbegründet. Vorschriften des rpg für das Ausscheiden Diese werden grundsätzlich als Nichtein- neuer Bauzonen wird der Anteil der Infra- zonungen qualifiziert und können in der strukturbauten für den Kulturlandverlust Regel entschädigungslos rückgezont wer- in Zukunft jedoch zunehmen. Gleichzeitig den (Kapitel 3.1.3, S. 26). lässt sich eine Zunahme weiterer Ansprü- che an den Raum ausserhalb der Bauzone 2.1.4 Flächenverbrauch durch Bauen beobachten, beispielsweise durch diverse ausserhalb der Bauzone nichtlandwirtschaftliche Nutzungen (etwa alternative Energiequellen, Agrotourismus Die verfügbare gesamtschweizerische Da- oder Pensionspferdehaltung)38. tengrundlage zum BaB lässt keine vertief- ten Analysen zu. Ein flächendeckender Zum fortschreitenden Flächenverbrauch Datensatz zu den Bauzonen liegt bisher ausserhalb der Bauzone trägt die Land- nur für das Jahr 2012 vor, weshalb sich kei- wirtschaft selber nicht unwesentlich bei. ne Zeitreihen ermitteln lassen. Das eid- Als Folge des Strukturwandels in der genössische Gebäude- und Wohnungsre Landwirtschaft hat die Zahl der Bauern- gister (gwr) erfasst Ökonomiegebäude höfe seit Jahren drastisch abgenommen. ausserdem nur unvollständig. Zu Gebäu- Seit der Jahrtausendwende sind mehr als den ohne Wohnnutzungen und zu Nut- 16 000 Landwirtschaftsbetriebe verschwun- NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 19
den, überwiegend kleinere Betriebe mit Basel-Landschaft schliesst mit der Er- einer Grösse bis zu zwanzig Hektaren. kenntnis, dass bei gleichbleibender Bau- Heute gibt es in der Schweiz noch rund entwicklung ausserhalb der Bauzone trotz 54 000 Bauernhöfe41. Die Entwicklung geht neuem rpg die Zersiedelung zügig voran- in Richtung grössere Betriebe, was Folgen schreiten wird. Die Kantone haben es teil- für den Raum hat. In der Tendenz wer- weise mit sehr unterschiedlichen Situati- den grössere Stall- und Lagerkapazitäten onen zu tun. Im Kanton Zürich betreffen beansprucht. Aufgrund des beschriebe- fast zwei Drittel aller Baubewilligungen nen Strukturwandels und sich ändern- ausserhalb der Bauzone nichtzonenkon- der Rahmenbedingungen wie der ver- forme Bauten38. Das Verhältnis zwischen schärften Tierschutzverordnung werden zonenkonformen und nichtzonenkonfor- zunehmend flächenintensivere und vo- men Bewilligungen (Ausnahmebewilli- luminösere Betriebsgebäude erstellt. Die gungen) ist demnach genau umgekehrt nicht mehr benötigten landwirtschaftli- wie im Kanton Basel-Landschaft. chen Gebäude werden nur selten abgeris- sen, sondern anderweitig – zum Wohnen, 2.2 Verlust an qualitativ hochwertigen als Geräteschuppen usw. – genutzt, was we- Böden und fehlende Bodendaten sentlich zur Zersiedelung ausserhalb der Bauzonen beiträgt38. Trotz der unvollstän- Das Kulturland ist durch die bestehende digen Daten lässt sich festhalten, dass die Gesetzgebung unzureichend geschützt40. absolute Anzahl der Gebäude ausserhalb Im Vergleich zu anderen schützenswerten der Bauzone kontinuierlich zunimmt38. Gebieten wie Mooren und Wald bestehen beim Kulturland weniger spezifische ge- Der Kanton Basel-Landschaft betreibt seit setzliche Schutzziele. Es gilt einzig eine Vor- 2001 ein Monitoring zum BaB38. Baube- gabe über den Mindestumfang an acker- willigungen ausserhalb der Bauzone ma- fähigem Land, die sogenannten Frucht- chen etwa sieben Prozent der gesamten folgeflächen (fff). Sie umfassen knapp Baubewilligungen aus. Bei 37 Prozent der einen Drittel der gesamten landwirtschaft Baubewilligungen ausserhalb der Bauzo- lichen Flächen (Kapitel 3.3.3, S. 34). Die ne handelt es sich um Neubauten, bei 41 restlichen zwei Drittel des Kulturlands Prozent um Erweiterungen. Abbruch und bleiben in der Interessenabwägung weit- Neubau machen nur fünf Prozent aus. Die gehend unberücksichtigt. Zudem wird als restlichen 17 Prozent verteilen sich auf Kriterium für fff ausschliesslich die land- Umbauten, Umnutzungen und Terrainver- wirtschaftliche Produktionsfunktion des änderungen. Zwei Drittel dieser Bewilli- Bodens betrachtet13. Die vielfältigen Regu- gungen betreffen zonenkonforme Bauten lierungs- und Habitatfunktionen, wie sie in und Anlagen. 87 Prozent der zonenkon- der thematischen Synthese TS4 des nfp 68 formen Bauten und Anlagen entfallen auf «Bodeninformations-Plattform Schweiz die Landwirtschaft und den Gartenbau. Ein (bip-ch)» aufgezeigt werden, und die ösl Drittel aller Baubewilligungen ausserhalb dieser Böden werden nicht berücksich- der Bauzon betreffen nichtzonenkonforme tigt. Wie es um die Funktionen und ösl der Bauten und Anlagen (Ausnahmebewilli- Böden steht, ist wenig bekannt, fehlen gungen). Bei den Ausnahmebewilligungen doch bis heute für die Schweiz flächen fällt mit 38 Prozent der grösste Anteil auf deckende Bodenkartierungen und damit nichtlandwirtschaftliches Wohnen und für die Raumplanung nutzbare Bodenin- Gewerbe. Das Monitoring des Kantons formationen, um die Bodenfunktionen ab- NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 20
Abbildung 5 35% Zunahme des Versiegelungs- 30% grads in Prozent im Vergleich zur Zunahme der überbauten Flächen 25% zwischen 1985 und 2009. Die Ver- siegelung der Böden hat stärker 20% zugenommen als die Zunahme der 15% überbauten Fläche vermuten lässt. 10% Datenquelle: 29,42 5% Zunahme Versiegelungsgrad: 31% 0% Zunahme überbaute Flächen: 23% leiten zu können. Eine umfassende Inte überwiegend auf den landwirtschaftlich ressenabwägung unter Einbezug aller wertvollsten Böden stattfinden wird, sofern Funktionen und ösl dieser Böden ist des- das Kriterium «Bodenqualität» nicht in halb heute nicht möglich. raumplanerische Nutzungsentscheidun- gen einfliesst (Kapitel 4.1.2, S. 45). Mass- Bereits der Schlussbericht des nfp 22 nahmen zur Begrenzung des Verlusts an empfahl den Aufbau einer nationalen Ani- qualitativ hochwertigen Böden müssen mations- und Koordinationsstelle für den möglichst innerhalb der nächsten zehn Bodenschutz28. Mit der Motion Müller- Jahre greifen, wenn ein erheblicher zusätz- Altermatt für ein nationales Kompetenz- licher Kulturlandverlust verhindert wer- zentrum Boden vom 14. Dezember 2012 den soll (Kapitel 4.1, S. 41). ist diese Forderung nach wie vor aktuell (12.4230, «Nationales Kompetenzzentrum 2.2.1 Versiegelung und Aushubarbeiten Boden als Gewinn für Landwirtschaft, beeinträchtigen die Bodenqualität Raumplanung und Hochwasserschutz»). Mit der Annahme der Motion durch den Unter versiegelten Oberflächen kann kaum Nationalrat (2014) und den Ständerat mehr Leben stattfinden; beinahe alle Fun- (2015) hat die Bundesversammlung die ktionen und ösl des Bodens kommen zum Bedeutung von Bodeninformationen be- Erliegen. Gemäss Arealstatistik sind knapp stätigt und den Bundesrat zur Umsetzung fünf Prozent der Schweizer Böden versie- der Motion verpflichtet (Kapitel 4.1, S. 41). gelt42. Zwischen 1985 und 2009 hat die Bo- denversiegelung um 31 Prozent zugenom- Das Fehlen von Daten erlaubt keine Aus- men, die überbaute Fläche dagegen nur um sage darüber, in welchem Ausmass das 23 Prozent (Abb. 5). Der Verlust an Boden- Wachstum der überbauten Flächen in der qualität findet damit auch innerhalb der Vergangenheit die Funktionen und ösl überbauten Fläche statt, was bei der In- des Bodens beeinträchtigt hat. Simula nenentwicklung künftig vermehrt Beach- tionen der nfp 68-Projekte zersiedelung tung finden muss. und lastenausgleich zur künftigen Ent- wicklung weisen jedoch auf einen erheb- lichen Rückgang der Bodenqualität hin. Die Projekte prognostizieren, dass die künftige Zunahme an überbauten Flächen NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 21
Die Aushubarbeiten, die im Zuge der Bau- Aussenentwicklung und Bauen ausser- tätigkeit durchgeführt werden, zerstören halb der Bauzone: Je näher Kulturland an zudem in kürzester Zeit wertvolle, über bestehenden Siedlungen liegt, desto eher Jahrtausende gewachsene Böden. Jähr- ist es für den Ackerbau geeignet. Die Be- lich fallen in der Schweiz 60 bis 80 Mil- wirtschaftung der Ackerböden im Umfeld lionen Tonnen Bauaushub an43. Dies ent- von Betrieben und Dörfern hat über Jahr- spricht umgerechnet dem Volumen von tausende den Bodenaufbau mitgeprägt rund fünfzehn Cheops-Pyramiden. Etwa (Kapitel 1, S. 11 ff). Gleichzeitig haben sich ein Drittel davon wird für Terrainverän- Dörfer und Betriebe dort erfolgreich ent- derungen verwendet, die wiederum einen wickelt, wo der Boden dies zuliess. Das Einfluss auf die darunterliegenden Böden nfp 68-Projekt lastenausgleich bestätigt, haben. Für den Rest muss die Raumpla- dass bestehende Siedlungen von quali- nung Deponiestandorte finden. tativ hochwertigen Böden umgeben sind (Abb. 6). Neue bauliche Nutzungen rund 2.2.2 Bauliche Nutzungen beanspruchen um bestehende Siedlungen können daher die besten Böden erhebliche Verluste an Bodenqualität zur Folge haben. Die Zunahme der überbauten Fläche durch Bautätigkeit und die Bodenversie- Ein ähnliches Muster gilt für das raum- gelung spielt daher die Hauptrolle bei planerische Ziel, die Siedlungsentwick- Abbildung 6 Links der Verminderung von Bodenqualität. Die lung auf bestehende Haltestellen des Bodenqualität des Kulturlands Raumplanung sieht sich mit verschie- öffentlichen Verkehrs mit einer hohen Er- gemäss squid-Index denen Zielkonflikten konfrontiert, die schliessungsgüte zu konzentrieren. Die (Kapitel 4.1.1, S. 43) sich in komplexen Abwägungsprozessen Haltestellen liegen jedoch mehrheitlich Bestehende Siedlungen sind von den Entscheidungsträgerinnen und -trä- im Talboden und sind damit von bestem qualitativ hochwertigen Böden umgeben. Neue bauliche Nutzun- gern stellen. Ackerland umgeben. gen rund um bestehende Sied lungen können daher erhebliche Verluste an Bodenqualität zur Folge haben. Fokusstudie bodenindikatoren Tief Hoch Rechts Distanz des Kulturlands zum Siedlungsrand. nfp 68-Projekt lastenausgleich Tief Hoch NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 22
Innenentwicklung: Im Zuge der Innen- Raums gefördert werden49. Auch der entwicklung steigt tendenziell der Druck Schlussbericht des nfp 22 empfahl eine bes- auf unversiegelte Böden und deren Funk- sere Koordination von Siedlung und Ver- tionen und ösl wie Grün- und Freiräu- kehr und die Verteuerung der Mobilität28. me44–46. Gleichzeitig bildet die Innenent- Sowohl die Erreichbarkeit als auch die Zer- wicklung eine Chance zur Steigerung der siedelung sind nicht von Gemeinde- und Attraktivität der Lebensräume für Woh- Kantonsgrenzen abhängig. Die regions nen und Arbeiten. Ihre Auswirkungen auf spezifischen Agglomerationsprogramme die Bodenqualität innerhalb des überbau- «Siedlung und Verkehr» des Bundes sind ten Gebiets sind noch nicht ausreichend deshalb ein wichtiger Schritt in die Rich- erforscht – eine Lücke, die es zu schlies tung, die räumliche Entwicklung über meh- sen gilt. rere Gemeinden einer Region hinweg, die zusammen einen funktionalen Raum bil- 2.3 Treiber des Flächenverbrauchs den, zu steuern (Kapitel 3.4.3, S. 38). Wirtschaftliche, gesellschaftliche und po- Auch wirtschaftliche Faktoren haben ei- litische Prozesse tragen in unterschied- nen erheblichen Einfluss auf die Zersie- lichem Ausmass zum Flächenverbrauch delung. Konventionelle Geldanlagen ver- bei. Sie bilden Ansatzpunkte für künftige lieren zunehmend an Attraktivität, weil Massnahmen. Seit den 1960er-Jahren hat ihre Zinsen gegen null oder gar darunter der Ausbau des nationalen Strassen- und sinken. Der Druck von Investoren auf den Schienennetzes die Siedlungsentwicklung Immobilienmarkt nimmt daher zu. Die Ka- massgeblich beeinflusst. Gemäss dem pitalanlage Boden, die Sicherheit und Ren- nfp 68-Projekt zersiedelung wird der Ein- dite verspricht, fördert die Zersiedelung6. fluss der Erreichbarkeit auf das Ausmass Wohlhabende Gemeinden an attraktiven der Zersiedelung nach wie vor unter- Lagen mit tiefem Steuerfuss ermöglichen schätzt47. Ihm zufolge schwächt sie gar den gemäss dem nfp 68-Projekt zersiedelung Einfluss anderer Treiber. Das Muster der eine flächenintensive Bauweise mit tiefer Siedlungsentwicklung in den fünf Metro- Nutzungsdichte, wie dies teilweise am Zü- politanregionen Zürich, Bern, Basel, Genf- rich- oder Genfersee zu beobachten ist. Lausanne und Tessin wird durch die Er- Über die Nutzungsplanung steuern die reichbarkeit bestimmt. In Zukunft muss Gemeinden das Ausmass des verfügba- vor allem in denjenigen Regionen mit ei- ren Baulands. In der Vergangenheit ist ner Zunahme der Zersiedelung gerechnet besonders in peripheren Gemeinden ein werden, die eine hohe Erschliessungsgunst Überangebot an Bauland entstanden (Ka- und Entwicklungsspielraum in der Fläche pitel 2.1.2, S. 18). Zusammen mit dem Bo- aufweisen. Dies betrifft überwiegend Ag- denpreisgefälle zwischen Zentrum und glomerationen48. Gleichermassen geht ge- Peripherie heizt das Baulandüberangebot mäss dem nfp 68-Projekt zersiedelung eine in diesen Regionen die Zersiedelung an6. Erhöhung der Erreichbarkeit – gerade in zentralen, hocherschlossenen Lagen – oft Das nfp 22 hat eine Besteuerung von auch mit einer Erhöhung der Nutzungs- Zweitwohnungen empfohlen, was in der dichte einher. Mit der Steuerung der Sied- Schweiz nie national umgesetzt wurde28,50. lungsentwicklung und der Verbesserung Mit einem Verfassungsartikel wurde al- der Erreichbarkeit kann somit auch eine lerdings 2012 der Anteil Zweitwohnungen effizientere Nutzung des verfügbaren am Gesamtbestand der Wohnungen einer NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 23
Das Ziel, den Verlust qualitativ Gemeinde auf höchstens zwanzig Prozent nannten Referenzszenario bis 2045 mit wertvoller Böden zu begrenzen begrenzt (Art. 75b BV). einem weiteren Anstieg des Bevölke- (Kapitel 1.1, S. 11), gliedert sich rungsanteils der 65-Jährigen und Älteren in folgende Unterziele: Trotz der grundsätzlichen Trennung von von 18 auf über 26 Prozent54. – Die notwendigen Bodeninfor- Bau- und Nichtbaugebiet ist der Boden mationen für die Bewertung ausserhalb der Bauzone von der Zersiede 2.4 Fazit: Unzureichende Berücksichtigung der Bodenfunktionen und ösl lung betroffen (Kapitel 2.1.4, S. 19). Der der Bodenqualität des Bodens werden erhoben durch diese Trennung verursachte Unter- und für die Raumplanung ver- schied bei den Bodenpreisen bildet den Die Ressource Boden wird in der Schweiz fügbar gemacht (Kapitel 2.2, zentralen Treiber für diesen Prozess51. nicht nachhaltig genutzt. Gleichzeitig S. 20). Zudem werden Probleme im Vollzug für wird der Nutzungsdruck nicht nachlas- – Das Bauen ausserhalb der die Entwicklung verantwortlich gemacht. sen. Mit der ersten Etappe der Revision Bauzone wird begrenzt Dies trifft auch für das Baugebiet zu. des rpg (rpg 1) und der damit verstärk- (Kapitel 2.1.4, S. 19). Die Planungsautonomie der Gemeinden ten Konzentration der Siedlungsentwick- – Bei künftigen baulichen Nut- und die ungenügende Aufsicht durch die lung nach innen wurde ein grosser Schritt zungen wird die Bodenqua- Kantone haben in der Vergangenheit dazu in Richtung Drosselung des Flächenver- lität in den Entscheidungs- geführt, dass zu wenig wirksame Instru- brauchs gemacht. Das BaB sowie Infra- prozessen berücksichtigt mente geschaffen und Massnahmen gegen strukturbauten tragen jedoch zunehmend (Kapitel 2.2.2, S. 22). die Zersiedelung ergriffen wurden. Kapazi- zum Flächenverbrauch bei. Zudem sind – Das Überangebot an Bauzo- tätsengpässe auf kommunaler Ebene im Be- die Böden innerhalb der Bauzonen durch nen in peripheren, schlecht reich ausgebildeter Planerinnen und Pla- die Innenentwicklung stärker von der Ver- erschlossenen Lagen wird ab- ner sowie knappe Finanzen haben auch siegelung bedroht. Wird die Bodenqua- gebaut (Kapitel 2.1.3, S. 19). dazu beigetragen52. lität bei Nutzungsentscheidungen nicht – Die Versiegelung im Zuge der berücksichtigt, werden die künftigen bau- Innenentwicklung wird mini- Das Bevölkerungswachstum allein kann lichen Entwicklungen überwiegend auf mal gehalten, und Bodenfunk- die Zersiedelung nicht erklären47. Dies den besten Böden stattfinden. Die the- tionen und ösl des Bodens wird auch von den Daten zum steigenden matische Synthese TS4 des nfp 68 «Boden innerhalb der Bauzonen wer- Anteil überbauter Fläche pro Einwohne- informations-Plattform Schweiz (bip-ch)» den gefördert (Kapitel 2.2.2, rin und Einwohner bestätigt (Kapitel 2.1.1, zeigt Wege auf für eine landesweite Kartie- S. 22). S. 17). Dafür hat sich der steigende Wohn- rung der Böden und die Erstellung eines flächenanspruch in der Entwicklung nie- nationalen Bodenatlas Schweiz, um flächen- dergeschlagen. Dieser scheint in den letz- deckend einheitliche Planungsgrundlagen ten Jahren jedoch eine Sättigung erreicht für Bodenfunktionskarten und ösl des zu haben, hat sich der Wert doch seit dem Bodens zu schaffen. Diese Grundlage er- Jahr 2000 bei etwa 45 Quadratmetern pro laubt, die Bodenqualität in raumplaneri- Person stabilisiert53. sche Entscheidungen einzubeziehen (Ka- pitel 2.2, S. 20). Sinkende Haushaltsgrössen (gemessen am Anteil der Einzelhaushalte) und die demo- grafische Entwicklung (gemessen am An- teil der Altersgruppe der über 65-Jährigen) sind weitere Treiber der Zersiedelung47. Die Anteile der beiden betrachteten Ge- sellschaftsgruppen sind stark gestiegen und haben damit den Flächenverbrauch beschleunigt. Der Bund rechnet im soge- NFP 68 Thematische Synthese 3 Eine Bodenagenda für die Raumplanung 24
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