GRAZER WOHN-VISIONEN - Mehr als nur vier Lückenfüller Anke Strüver, Andrea Jany (Hrsg.) - unipub

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GRAZER WOHN-VISIONEN - Mehr als nur vier Lückenfüller Anke Strüver, Andrea Jany (Hrsg.) - unipub
GRAZER
WOHN-
VISIONEN

Mehr als nur vier Lückenfüller
Anke Strüver, Andrea Jany (Hrsg.)
GRAZER WOHN-VISIONEN - Mehr als nur vier Lückenfüller Anke Strüver, Andrea Jany (Hrsg.) - unipub
Herausgeberinnen
Anke Strüver, Andrea Jany
Schriftleitung
Gerhard Lieb
Layout und Satz
Daniel Blazej
Cover
Andrea Jany
Grafiken von
Teresa Böhm, Lukas Meisinger, Julia Fressner, Birgit Penzenauer

Institut für Geographie und Raumforschung
der Karl-Franzens-Universität Graz
Heinrichstraße 36
A-8010 Graz
Telefon: + 43 316/380/5137
Fax: + 43 316/380/9886
E-Mail: geographie@uni-graz.at
Web: geographie.uni-graz.at
GRAZER WOHN-VISIONEN - Mehr als nur vier Lückenfüller Anke Strüver, Andrea Jany (Hrsg.) - unipub
Grazer Schriften der Geographie und Raumforschung

                        Band 50

   GRAZER WOHNVISIONEN -
MEHR ALS NUR VIER LÜCKENFÜLLER
         Anke Strüver, Andrea Jany (Hrsg.)

                       Graz 2021
GRAZER WOHN-VISIONEN - Mehr als nur vier Lückenfüller Anke Strüver, Andrea Jany (Hrsg.) - unipub
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Inhalt

1   Andrea Jany, Anke Strüver
    Einführung: Wohnen, das [schwaches Verb]:
    Wohnen als (starke) Frage in der Humangeographie                                 07

2   Teresa Böhm, Melanie Häusel, Philipp Hochegger, Nina Mally, Susanna Rauscher
    Selbstbestimmter Lückenschluss: Wohnen am Ruckerlberggürtel                      13

3   Johannes Auer, Lino Kupper, Lukas Meisinger, Franziska Scherrer, Maren Vallant
    Wohnen an der Ecke: Kopernikusgasse/Kronesgasse                                  29

4   Valentina Blechl, Julian Elfering, Michele Felfernig, Julia Fressner,
    Matthias Gorgomiti, Belinda Rodleitner
    Bee Graz! Wohnen in der Bienengasse                                              45
5   Birgit Formanek, Barbara Hemetsberger, Florian Hitzelberger, Carmen Kern,
    Birgit Penzenauer, Klara Ulreich
    Wohnen mit Vorbelastung: Der Grünanger                                           63

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1 EINFÜHRUNG: WOHNEN, DAS [SCHWACHES VERB]

1
Andrea Jany & Anke Strüver

Wohnen, das [schwaches Verb]:
Wohnen als (starke) Frage in der Humangeographie

Das urbane Wohnen – als Tätigkeit und als           das Erleben des Wohnens – und die Routine-
Teil von Alltagsroutinen – spielt in der deutsch-   tätigkeit Wohnen – gleichermaßen multipliziert
sprachigen Humangeographie eigentlich keine         wie radikalisiert; und sie hat auch die gesell-
eigenständige Rolle. Wenn es thematisiert wird,     schaftskritische Debatte um das Wohnen bzw.
dann als das Wohnen von bestimmten Bevölke-         gesellschaftliche Ungleichheiten des Wohnens
rungsgruppen wie Wohnungslosen (siehe bspw.         (neu) inspiriert (siehe die Debatte um „Pande-
Marquardt 2015; Scholtz/Strüver 2017), Ge-          mie, Digitalisierung und planetarische Enturba-
flüchteten (siehe Friedrichs et al. 2019) oder      nisierung“ in: sub\urban. zeitschrift für kritische
auch Frauen (Strüver 2020) – oder aus der Per-      stadtforschung 9/1-2 (https://zeitschrift-sub-
spektive zentraler geographischer „Nachbar-         urban.de/sys/index.php/suburban/debatte19).
disziplinen“, wie bspw. Architektur (Jany 2019)        Neben der „Coronakrise“ fand unsere Lehr-
oder Soziale Arbeit (Beck 2021). Im Fokus in        veranstaltung aber auch vor der Folie der sich
der Stadt-Geographie (und auch -Soziologie)         verschärfenden Klimakrise statt. Im Sinne letz-
stehen vielmehr die Dauerbrenner Segregation        terer wäre bspw. urbane „Nachverdichtung“ ab-
und Gentrifizierung, Wohnumfeldinfrastruktu-        solut notwendig – und zu einer der Hochzeiten
ren und in jüngerer Zeit Wohnungsmärkte bzw.        der Coronakrise im Februar 2021 wurde u.a. das
Immobilienmärkte, ihre Vermarktlichung und          Verbot des Einfamilienhaus-Neubaus europa-
Finanzialisierung (für einen aktuellen Überblick,   weit diskutiert. Allein dieser Widerspruch macht
siehe Schipper/Vollmer 2020).                       deutlich, dass der Wohnraum als Ort und das
   Vor dem Hintergrund dieser Unterthema-           Wohnen als Tätigkeit aus einem multiplen Be-
tisierung haben wir uns als Teil des Masterstu-     ziehungsgeflecht ökologischer, ökonomischer
dienganges nachhaltige Stadt- und Regional-         und sozialer Aspekte bestehen. In Kombination
entwicklung am Institut für Geographie und          mit alltäglichen Aktivitäten außerhalb der Woh-
Raumforschung der Universität Graz im Herbst        nung definiert er maßgeblich den Lebensort.
2020 dem Thema bzw. der Tätigkeit Wohnen               Die Wechselwirkungen zwischen gebauten
intensiver gewidmet und uns zunächst verschie-      Wohnstrukturen, der Konzeptionierung und
dene Wohntypologien angeschaut; anschließend        Planung sowie die Auswirkungen auf Alltags-
wurden vier verschiedene Wohnvisionen für           praxis und Lebensqualität der Bewohner*innen
Grazer (Bau-)Lücken entwickelt (s.u.). Massiv       stellen einen zentralen Pfeiler in der nachhalti-
unterstützt wurden unsere Diskussionen durch        gen Ausgestaltung österreichischer Städte und
die Erfahrungen aus den ersten zwei Lockdowns       Siedlungen dar. Die Beziehung zum Wohnraum
als Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19           hat sich jedoch seit einigen Jahren verändert:
Pandemie. Alle, studentische Teilnehmer*in-         Ursprünglich stellt die selbst genutzte Wohn-
nen wie die zwei Lehrenden, befanden sich in        immobilie ein Gebrauchsgut dar (Heeg 2013a).
einer Art ungeplantem (und vor allem: schlecht      In diesem Zusammenhang dient sie der persön-
organisierten) „Reallabor“ für den angeordne-       lichen Grundbedürfnisbefriedigung u.a. nach
ten Rückzug in den privaten Wohnraum, das           Erholung, Schutz und Sicherheit. Im Gegensatz
Arbeiten im provisorischen Homeoffice (in Kel-      zum Gebrauchsgut zielen Investitionsgüter da-
ler, Küche oder Klo) und zur Erfahrung der Ver-     rauf ab, Vermögen durch regelmäßige Erträge
dichtung der Körper zu Hause. Die Pandemie          zu vermehren. Die Betrachtung des Wohnraums
als Verdichtung der Körper im Wohnraum hat          als Investitionsgut bzw. Ware, also die Kommo-

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Grazer Schriften der Geographie und Raumforschung | Band 50

difizierung dessen, schreitet seit geraumer Zeit
stetig voran. Die Rückkehr der Wohnfrage als
Wohnungsfrage wird daher angesichts beständig
steigender Wohnimmobilienpreise im nächsten
Abschnitt kurz diskutiert.

NEOLIBERALER STADTUMBAU UND
KOMMODIFIZIERUNG VON WOHNEN

Im Kontext der kritischen Stadtgeographie fin-
det „urbanes Wohnen“ seit fünfzig Jahren Beach-               Abb. 1.1: Geförderter und nicht-geförderter
                                                              (= freifinanzierter) Neubau in Österreich 1992-2017,
tung. Allerdings kaum im Sinne der oben ange-                 Quelle: Kadi et al. 2020
deuteten Alltagstätigkeit des Wohnens, sondern
als Wohnungsmarkt. Bereits 1989 kritisierte Da-               prekarisierter Haushalte und Bevölkerungsgrup-
vid Harvey prominent die neoliberalen Entwick-                pen aus innenstadtnahen bzw. anderweitig be-
lungen zur Unternehmerischen Stadt, zu deren                  gehrten Wohnlagen.
Programmpunkten u.a. die Deregulierung und                       Während sich die Argumentation zur De-
Privatisierung sowie die Markt- und Wettbe-                   ckung des quantitativen Bedarfs an Wohnraum
werbsorientierung gehören. Die sozialwissen-                  meist um die bauliche Verdichtung des städti-
schaftlichen Auseinandersetzungen griffen diese               schen Gefüges entwickelte, standen (und stehen)
Themen zum Umbau wohlfahrtsstaatlicher So-                    zeitgleich immer weniger öffentliche Finanz-
zialsysteme sowie von Stadtentwicklungsstra-                  mittel dafür zur Verfügung, so dass zunehmend
tegien auf und fokussierten seitdem vermehrt                  private Investoren diese baulichen wie finanziel-
Wohnungsfragen als Immobilienmarktfragen                      len Lücken füllen. Die stetig wachsende Wohn-
(siehe z.B. Schipper 2018).                                   raumproduktion löst das Problem der quanti-
   Außerdem intensivierte sich die bereits seit               tativen wie qualitativen Wohnraumversorgung
den 1970er geführte Theoriedebatte um die                     gleichwohl nicht auf – im Gegenteil, es verstärkt
kapitalistischen Grundlagen des urbanen Woh-                  sie: Wohnimmobilien sind mittlerweile Finanz-
nungsmarktes – aktuell diskutiert als Kommo-                  marktinstrumente. Ihr Zweck ist keine Wohn-
difizierung und Finanzialisierung des Wohnens:                raumversorgung, sondern die Erwirtschaftung
Denn durch die Betonung der Rolle der ge-                     maximaler Renditen (Heeg 2013b; Holm 2014).
bauten Umwelt bzw. (neuer) Raumproduktio-
nen für die temporäre Überwindung kapitalis-                  DER WOHNIMMOBILIENMARKT
tischer Krisen („spatio-temporal fixes“, Harvey               IN ÖSTERREICH
1982/2006; siehe auch Belina 2011) gewannen
Anlagenimmobilien nachhaltig an Bedeutung.                    Auch in Österreich zeigen sich in den letzten
   Vor diesem Hintergrund – sowie dem an-                     Jahren eine Reihe an Verschiebungen im Woh-
haltenden Trend des städtischen Bevölkerungs-                 nungssystem und spätestens 2012 hat die so-
wachstums – stellt die Wohnungsmarktfrage                     ziale Wohnungsfrage auch Österreich erreicht
auch eine Wohnfrage dar – eine Frage, in der                  (Springler 2018). Der Umbau des Wohnungs-
zunächst die Bereitstellung von ausreichend                   und Sozialsystems unterliegt seit den 1980er
und angemessenem Wohnraum eine Schlüssel-                     Jahren einem Strukturwandel hin zu einem
rolle einnimmt. Seit Anfang der 2010er Jahre                  marktorientierten System. Die Steuerungs-
können Veränderungsprozesse der Wohnraum-                     macht des österreichischen Staates hat seit den
versorgung beobachtet werden. Diese basieren                  1990er Jahren durch die Aufhebung der Zweck-
u.a. auf steigenden Miet- und Immobilienprei-                 bindung der Fördergelder und die Verländerung
sen und sie resultieren bspw. in der Verdrängung              der Wohnbauförderung im Rahmen der Wohn-

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1 EINFÜHRUNG: WOHNEN, DAS [SCHWACHES VERB]

bauförderung stark abgenommen. Eine ausrei-               dadurch – bei einer sehr moderaten Ausgangsla-
chende Versorgung mit Wohnraum für untere                 ge – zu den Ländern mit den größten Preisstei-
und mittlere Einkommensgruppen in urbanen                 gerungen am Wohnungsmarkt im europäischen
Regionen wird zunehmend schwieriger (Kadi et              Vergleich zwischen 2010 bis 2019 nach Estland,
al. 2020). Die Steuerungsmacht des Staates im             Ungarn, Lettland und Luxemburg (Vgl. Abb.
Rahmen geförderter Wohneinheiten und somit                1.2, Eurostat 2021).
der Vorgaben von Rahmenbedingungen wurde                     Steigende Wohnungsimmobilienpreise führen
seit den 1990er Jahren zugunsten freifinanzier-           zu einer Wohnkostenüberbelastung in Haushal-
ter Einheiten abgebaut. Die damit verbunde-               ten. Die Quote der Wohnkostenüberbelastung
nen Lenkungseffekte des Staates bezogen auf               misst den Anteil der Bevölkerung, der in einem
einen sozialen gerechten und fairen Zugang für            Haushalt lebt, in dem die gesamten Wohnkosten
alle zum Wohnen sanken hiermit ebenso (Vgl.               mehr als 40% des verfügbaren Haushaltsein-
Abb. 1.1; Kadi et al. 2020).                              kommens übersteigen. Im EU27-Durchschnitt
   Mit dem verstärkten Bau von freifinanzierten           lag dieser Wert für 2019 für die städtische Be-
Wohnimmobilien steigen gleichzeitig die Wohn-             völkerung bei 11,8% im Vergleich dazu in
immobilienpreise. Die österreichische Entwick-            Deutschland bei 16,2%. Im gleichen Jahr traf
lung der Wohnimmobilienpreise im Vergleich                eine Wohnkostenüberbelastung in Österreich
zum europäischen Durchschnitt zwischen 2010               12,2% der städtischen Bevölkerung (Eurostat
und 2019 zeigt, dass in diesem Betrachtungszeit-          2021).
raum ein stetiger Aufwärtstrend zu verzeichnen               In einem Vergleich der Medianeinkommen
ist. Mit einem Ausgangsniveau in Österreich im            der unselbstständig Beschäftigten in einem Be-
Jahr 2010 von 76,8% zum Basiswert von 2015                trachtungszeitraum von 2005 bis 2017 wird dies
mit 100% stiegen die Wohnungsimmobilien-                  ebenso deutlich mit einem nominellen Anstieg
preise bis 2019 auf 126,6% an. Österreich zählt           von lediglich 25%. Die untere Einkommens-

Abb. 1.2: Wohnimmobilienpreisentwicklung Österreich im Vergleich mit EU27 zwischen 2010 und 2019, Quelle: Eurostat 2021

                                                                                                                 9
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                                                              Wohnimmobilien fort mit einem deutlichen An-
                                                              stieg um 9,5% im 3. Quartal 2020 (ÖNB 2020).
                                                              Getrieben durch die stetig steigende Wohnungs-
                                                              nachfrage im städtischen Umfeld wirkt diese
                                                              durch die steigenden Preise selbstverstärkend für
                                                              die Anlegerseite. Die Attraktivität der Investition
                                                              in Wohnimmobilien gewinnt durch anhaltende
                                                              Niedrigzinsen und durch steigende Immobilien-
                                                              preise und treibt sich hiermit selbst an. Immo-
Abb. 1.3 Mieten, Kaufpreise und Einkommen in                  bilienbesitzer*innen können diese Effekte durch
Österreich, Quelle: Kadi et al. 2020
                                                              Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung
gruppe verzeichnet im Vergleich noch geringere                positiv nutzen, während die Nachfrage nach
Zuwächse. Die Kaufpreise und Mieten hingegen                  leistbarem Wohnraum bei unteren und mittle-
stiegen deutlich an (Vgl. Abb. 1.2, Kadi et al.               ren Einkommensgruppen steigt und tendenziell
2020). Zusätzlich bedingt die Eigentumsstruk-                 unerfüllt bleibt (Kadi et al. 2020).
tur am österreichischen Wohnungsmarkt, dass
steigende Immobilienpreise die Leistbarkeit von
Wohnraum für die unteren Einkommensgrup-                      DIE LAGE IN GRAZ
pen verschlechtert, bei gleichzeitigen Vermö-
genszuwächsen der höheren Einkommensgrup-                     Graz als zweitgrößte Stadt Österreichs wächst,
pen durch die steigenden Immobilienpreise. In                 ebenso wie andere urbane Regionen. Die Be-
der Erhebung der Umverteilung durch den ös-                   völkerungsanzahl weist derzeit einen Perso-
terreichischen Staat im Jahr 2015 ergingen Ein-               nenstand mit Hauptwohnsitz von 294.236 auf
nahmen aus Vermietung und Verpachtung zu                      (Stadt Graz, Stand: 01.01.2021). Prognosen der
82,5% an das oberste Einkommensdrittel und                    Stadt von 2015 gingen von einem durchschnittli-
lediglich 5,2% an das unterste Einkommensdrit-                chen jährlichen Anstieg von 2.000 Personen aus
tel (WIFO 2019).                                              (Referat für Statistik 2015).
   Neben der real steigenden Nachfrage an                        Nach einer Reduktion fertiggestellter Wohn-
Wohnungen durch städtischen Zuzug steigt par-                 einheiten zwischen 2014 bis 2015 verzeichnete
allel die Nachfrage nach Wohnungen als Finanz-                die Stadt Graz bis 2020 einen jährlichen Woh-
anlage auch in Österreich seit Jahren (Kadi et al.            nungszuwachs. Für 2021 ergibt sich erstmals
2020). Gründe hierfür liegen in der Niedrigzins-              wieder eine Reduktion (Vgl. Abb. 1.4). Gleich-
phase am eigentlichen Kapitalmarkt und führen                 zeitig zeigt sich ein Zuwachs zwischen 2013 und
am Immobilienmarkt zu Überbewertungen.                        2016 bei der anwesenden Bevölkerung, welcher
Ende 2019 lag der Fundamentalpreis-Indika-                    jedoch seitdem dauerhaft rückläufig ist.
tor für Wohnimmobilien für Gesamtösterreich                      Das Grazer Stadtentwicklungskonzept STEK
bei 14% und wurde seitens der Nationalbank                    4.0, als oberstes Instrument der örtlichen Raum-
als erstes Anzeichen für eine Überhitzung des                 planung 2015 in Kraft getreten, stellt die Ent-
Marktes und eine potenzielle Blasenbildung ge-                wicklungsgrundlage für den Grazer Raum bis
deutet (ÖNB 2019). Dieser Trend schrieb sich                  2030 dar. Die Grundsätze der Grazer Stadtent-
für das Jahr 2020 fort mit einer Erhöhung des                 wicklung, als Grundlage für die Entwicklung des
Indikators auf 17,4% und deutet auf eine zu-                  STEK 4.0, verfolgten die Ziele „die zu einer ge-
nehmende Überhitzung des Wohnimmobi-                          steigerten Attraktivität durch eine hohe Lebens-
lienmarkts hin (ÖNB 2020). Für das Jahr 2021                  qualität für Bürger*innen und Investoren*innen
wurde eine Überschussproduktion von 35.000                    und einer sicheren Perspektive für Privatinvesti-
Wohneinheiten prognostiziert (ÖNB 2019). Ak-                  tionen führen“ (Schöttli 2012).

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1 EINFÜHRUNG: WOHNEN, DAS [SCHWACHES VERB]

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                                                                            Wohnungszuwachs Graz
                                                                            2013 - 2020, Quelle: Pollet-
                                                                            Kammerlander et al. 2021,
                                                                            eigene Darstellung

   Sowohl die Prognosen als auch die reale Ent-     DIE STUDIERENDENPROJEKTE
wicklung und die Ausrichtung des STEK 4.0
der Stadt ziehen seit Jahren finanzmarktveran-      Wohngebäude sollten vorrangig den Bewoh-
kerte Investoren in die Stadt. Die Kaufpreise       ner*innen und ihrem Alltag, dem Wohnen
für Grazer Wohnungen steigen seit 2016 stetig.      dienlich sein. Darüber hinaus müssen diverse
Im Jahr 2016 wurde eine Veränderungsrate der        Krisenerscheinungen, wie Klima-, Finanz- und
Wohnungspreise im Vergleich zum Vorjahr um          auch Coronakrise verstärkt in zukünftige Über-
6,3% verzeichnet. Im Folgejahr zwar nur mehr        legungen zum Wohnen wie zum Wohnungs-
um 2%, jedoch war 2018 wieder ein Anstieg um        markt einfließen. Ausgehend von den skizzierten
3,8% und 2019 um 5,7% zu beobachten. Im             Dynamiken am Wohnungsmarkt sowie im Zuge
Jahr 2020 stiegen die Grazer Wohnungspreise         der Nachhaltigkeitstransformation wurde von
um 4,6% (Statistik Austria 2021).                   Masterstudierenden das urbane Wohnen in so-
   Seitens der Immobilienbranche wird auf-          zialer, ökologischer und ökonomischer Hinsicht
grund verstärkter Nachfrage speziell von institu-   thematisiert und „ausprobiert“: Hierzu gehörten
tionellen Anlegern aus dem Ausland mit einem        v.a. innovative Wohnkonzepte für innerstädti-
weiteren Anstieg der Preise und speziell in den     sche sowie Stadt-Land-Verflechtungsräume in
Innenstadtlagen am linken Murufer gerechnet.        Zeiten von Wohnraumknappheit und Gentrifi-
Ebenso sieht man in den ehemaligen Arbeiter-        zierung – aber Pandemisierung, Digitalisierung
vierteln am rechten Murufer neue Entwicklun-        und Klimakrise. Ziel war es die aktuellen De-
gen (Martich 2021). Gleichzeitig wird auf Seiten    batten um urbane Gerechtigkeit im Kontext von
der Investor*innen die zunehmende Knappheit         Wohnen und nachhaltiger Stadtentwicklung zu
an attraktiven Investmentmöglichkeiten in Graz      diskutierten und anhand konkreter sozialer wie
bemängelt (Pöltl et al. 2020), während die Seite    räumlicher Beispiele zu bearbeiten. Dazu gehö-
der Bürger*innen gegenwärtig einen Baustopp         ren kooperatives Wohnen (Bienengasse, im sich
für die Stadt fordert (Pollet-Kammerlander et al.   gentrifizierenden Lend), barrierefreies Wohnen
2021). Die Initiative für ein unverwechselbares     (Kopernikusgasse), junges Wohnen (am Grün-
Graz als Bürger*innenbewegung gegen den fort-       anger im Süden Graz) und Wohnangebote für
schreitenden Identitätsverlust der Stadt verlangt   wohnungslose Menschen am Ruckerlberggürtel.
ein Überdenken der aktuellen Bautätigkeiten         Die vorliegende Publikation stellt die Ergebnisse
mittels einer Leerstandserhebung in der Stadt       der vier Projekte vor und möchte hiermit Im-
als Grundlage für eine Abschätzung der not-         pulse zu Fragen des Wohnens in Graz sowie zur
wendigen Wohnbauentwicklung (Pollet-Kam-            Grazer Wohnversorgung leisten.
merlander et al. 2021).

                                                                                                       11
Grazer Schriften der Geographie und Raumforschung | Band 50

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12
2 SELBSTBESTIMMTER LÜCKENSCHLUSS: WOHNEN AM RUCKERLBERGGÜRTEL

2
Teresa Böhm, Melanie Häusel, Philipp Hochegger, Nina Mally, Susanna Rauscher

Selbstbestimmter Lückenschluss:
Wohnen am Ruckerlberggürtel

1 EINLEITUNG                                       möchte die Stadt den Innenhof freihalten oder
                                                   auflassen und stattdessen die Randbereiche ver-
Die Idee eines Lückenschlusses am Grazer Ru-       dichten. Der Schluss dieser Baulücke ist explizit
ckerlberggürtel wurde von den Projektmitglie-      im Bebauungsplan vermerkt (Stadt Graz 2020).
dern zum Anlass genommen, ein nachhaltiges            Wie in der Abbildung sichtbar, befindet sich
Wohnkonzept für wohnungslose Menschen zu           in direkter Umgebung auf der rechten Seite
erstellen. Auf Basis eines Vier-Säulen-Nachhal-    der Schillerplatz 7, ein 14 Meter hohes Gebäu-
tigkeitsmodells wurden Kriterien festgelegt, die   de, dessen Fenster zur Zeit noch zu der Baulü-
in der Planung berücksichtigt worden sind. So      cke hin zeigen und das straßenseitig mit einer
sind Ressourcenschonung im Bau und laufenden       Brandwand abschließt. Der Bebauungsplan
Betrieb, wie etwa eine Regenwassernutzungsan-      sieht vor, dieses Haus zu einem repräsentati-
lage oder ein Dachgarten mit Photovoltaikan-       ven Eckgebäude umzugestalten und im Zuge
lage, sowie die soziale Nachhaltigkeit des Pro-    dessen die Fenster zur Straße zu verlegen. Der
jektes essenzielle Faktoren für die Umsetzung.     geplante Lückenschluss wird somit keine Fens-
Das bestehende Erdgeschoss soll als Gemein-        ter verbauen. Zur linken Seite befindet sich der
schaftsraum für Bewohner*innen, aber auch für      16,80 m hohe Ruckerlberggürtel 27. Das schon
Nachbar*innen offen stehen und als Plattform       vorhandene Erdgeschoss in der Baulücke ist 3 m
für Kommunikation dienen. In der Planung der
Wohneinheiten wurde ein Schwerpunkt auf
Inklusion und Barrierefreiheit sowie optimale
Platznutzung gelegt, um den Bewohner*innen
trotz der geringen Größe der Wohnungen ideale
Wohnqualität bieten zu können. Im Folgenden
werden die Umsetzung des erstellten Konzeptes
der Wohnungslosenhilfe und die Umsetzung der
Baumaßnahmen erläutert.

2 RAHMENBEDINGUNGEN

Lage und rechtliche Rahmenbedingungen
Das Grundstück befindet sich am Rande von
St. Leonhard, einem klassischen gründerzeitli-
chen Viertel mit Blockrandbebauung, das zur
Altstadtschutzzone III der Stadt Graz gehört.
Es ist deswegen prinzipiell für alle Bauvorhaben
ein Gutachten nötig, da die stadtbildprägenden
baulichen Charakteristika weitgehend erhalten
bleiben sollen. Dementsprechend gibt es auch
vom Bebauungsplan bestimmte Vorschriften,
die eingehalten werden müssen. Um den grün-
derzeitlichen Charakter des Viertels zu stärken,   Abbildung 2.1: Die Baulücke, eigene Darstellung

                                                                                                     13
Grazer Schriften der Geographie und Raumforschung | Band 50

Abbildung 2.3: Baulücke von oben Quelle: GoogleMaps 2020
Abbildung 2.4: Foto der Baulücke, eigene Aufnahme

hoch. Laut Bebauungsplan darf hier 11 m tief
sowie dreistöckig gebaut werden. Zudem sind
hier Satteldächer vorgesehen, bei Zu- und Um-
bauten jedoch auch Flachdächer zulässig (Stadt
Graz 2020).

Exkurs: Gründerzeitliche Viertel
Die gründerzeitlichen Viertel mit der typischen
einheitlichen Blockrandbebauung und den teils
üppig verzierten Fassaden sind typisch für das
                                                              Abbildung 2.2: Bebauungsplan der
Grazer Stadtbild. Zum Großteil in der zweiten
                                                              Baulücke Quelle: Stadt Graz 2020
Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden, spiegeln
sich in ihnen viele gesellschaftliche Facetten die-           wachstum und die damit einhergehende Woh-
ser Zeit der großen Umbrüche. Die industrielle                nungsnot machten mehrgeschossige Gebäude
Revolution löste in ganz Europa eine stürmische               erforderlich, die Stadtplanung ermöglichte die
Urbanisierung aus. In vielen Städten, jahrhun-                konsequente und vergleichsweise einheitliche
dertelang gleich groß geblieben, verfünf- bis                 Umsetzung. Die lückenlosen Fassadenfronten
verzehnfachte sich die Bevölkerung innerhalb                  mit gleichartigen Gliederungen mit Vorsprün-
weniger Jahrzehnte. Zudem markierte die bür-                  gen, Balkonen und repräsentativen Eckgebäu-
gerliche Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts                den lassen eine perspektivische Wirkung ent-
den Umschwung von der höfischen zur bürgerli-                 stehen, die Wohngebäuden ein palastähnliches
chen Gesellschaft. Neue Eigentumsrechte, sowie                Aussehen verleiht. Die Zinshäuser sind zwar
die Liberalisierung des Marktes ermöglichten                  ein bürgerliches Phänomen, der höfische Prunk
den Bau von Zinshäusern im großen Stil. Miete                 war aber weiterhin ein wichtiges Machtsymbol
wurde bald die vorherrschende Wohnform und                    (Pirstinger 2014). Für Graz typisch sind die gro-
die Zinshäuser zu einer beliebten Kapitalanlage               ßen freien Innenhöfe und die kleinen Vorgärten
(Sokratis 1979). Durch die ungesteuerte Expan-                mit Pufferwirkung zwischen Haus und Straße.
sion entwickelten sich jedoch auch Probleme.                  Die dadurch gewonnene Lebensqualität geht
Die Wohnsituationen waren oft prekär und die                  allerdings auch mit einem gewissen Verlust an
Hygiene- und Sicherheitsbedingungen mussten                   Urbanität einher (Wagner 2019). Eine Nachver-
verbessert werden.                                            dichtung an den Rändern bedeutet also einen
   Daraus ergab sich die Notwendigkeit zu pla-                Zugewinn für die städtische Qualität des Vier-
nen: die Disziplin des Städtebaus gewann an Be-               tels, ohne die Stärken der lockeren Bebauung zu
deutung. Aus diesen gesellschaftlichen Verände-               verlieren.
rungen heraus entstand die neue Wohntypologie
des Blockrandbaus. Das große Bevölkerungs-

14
2 SELBSTBESTIMMTER LÜCKENSCHLUSS: WOHNEN AM RUCKERLBERGGÜRTEL

3 KONZEPT                                           3.2 WIE SIEHT DIE UMSETZUNG
                                                        DER WOHNPERSPEKTIVE AM
Die fünf Wohnungen in dem von uns entwor-               RUCKERL­BERGGÜRTEL AUS?
fenen und konzipierten Haus werden Personen
zur Verfügung gestellt, die akut obdach- oder       3.2.1 WER IST UNSERE ZIELGRUPPE?
wohnungslos sind und das Bedürfnis nach einer
selbstbestimmten Wohnform haben. Wir orien-         Unsere Vision ist es, speziell jungen Erwachse-
tieren uns inhaltlich am Housing-First-Prinzip,     nen, die nach Ende des Unterstützungssystems
welches im Folgenden erläutert wird.                der Jugendwohlfahrt von Wohnungs- und Ob-
                                                    dachlosigkeit betroffen sind, durch das Angebot
3.1 WAS IST HOUSING FIRST?                          einer eigenen Wohnung die Basis zu bieten, um
                                                    ein selbstbestimmtes und selbstständiges Leben
Housing First ist ein innovativer Ansatz zur        zu führen.
nachhaltigen Verminderung von Obdachlosig-             Bei der Entscheidung, wem eine Wohnung
keit, der in den 1990er Jahren in den USA seine     zur Verfügung gestellt werden kann, gibt es le-
Geburtsstunde hatte und als Ergänzung zu her-       diglich ein wesentliches Kriterium. Die Person
kömmlichen stationären Angeboten der Woh-           muss über ein monatliches Einkommen ver-
nungslosenhilfe gilt. Während der herkömmliche      fügen oder einen Rechtsanspruch auf soziale
Treatment First Ansatz auf einem Stufenmodell       Transferleistungen haben, damit die regelmä-
basiert, nachdem eine obdach-/wohnungslose          ßige Bezahlung der Miete, Betriebskosten, Hei-
Person erst mehrere stationäre Einrichtungen        zung und Strom sichergestellt werden kann.
durchläuft, um schrittweise an ein eigenständi-
ges Wohnen herangeführt zu werden, stellt Hou-      3.2.2 WER MACHT WAS?
sing First eine eigene Wohnung an erste Stelle,
in der man gesichert und selbstbestimmt leben       Im Konzept von Housing First sind die Verwal-
kann. Housing First geht davon aus, dass eine       tung des Hauses und die persönlichen Hilfen
eigene Wohnung die Basis darstellt, aufgrund        für die Bewohner*innen organisatorisch von-
welcher Menschen sich nach einer Zeit der           einander getrennt. Der Grund liegt darin, dass
Wohnungslosigkeit stabilisieren können. Kom-        sozialarbeiterische Unterstützung im Falle einer
plexe Probleme können nur dann gelöst werden,       Delogierung weiterhin in Anspruch genommen
wenn dieses Grundbedürfnis nach gesichertem         werden kann. Es wird außerdem vermieden,
Wohnen erfüllt ist (Pleace 2016, S. 12). Housing    dass Sozialarbeiter*innen in einer Doppelrolle
First hat an sich nicht den Anspruch strukturelle   als vermietende Partei, die u.a. Regelungen bis
Probleme des freien marktwirtschaftlichen Woh-      hin zu Delogierungen durchsetzen muss und an-
nungsmarktes zu bekämpfen, sondern versucht         dererseits als unterstützende Vertrauensperson
im Rahmen der Wohnungslosenhilfe eine nach-         für die Bewohner*innen fungieren muss (Neu-
haltige Alternative zum bisherigen Treatment        nerhaus 2011, S. 25f).
First Ansatz zu bieten (Neunerhaus 2011, S. 15f).      Basierend auf dieser Überlegung konzipieren
                                                    auch wir die Trennung der beiden Aufgaben-
                                                    felder Verwaltung und Unterstützung und emp-
                                                    fehlen den Bau, die Instandhaltung und die Ver-
                                                    waltung des Hauses durch eine gemeinnützige
                                                    Wohnbauvereinigung abzuwickeln und die Er-
                                                    füllung des Hilfsangebotes an eine NGO auszu-
                                                    gliedern, die bereits in der Wohnungslosenhilfe
                                                    in Graz tätig ist.

                                                                                                   15
Grazer Schriften der Geographie und Raumforschung | Band 50

3.2.2.1 DIE GEMEINNÜTZIGE                                     terische Tätigkeit ergibt sich aus zwei Kompo-
     WOHNBAUVEREINIGUNG                                       nenten:
                                                              1. Fallunspezifische und gruppenorientierte
Der Bau und die Instandhaltung des Gebäudes                        Angebote, dazu zählen beispielsweise die
sowie die Verwaltung der Wohnungen liegt, wie                      Verwaltung des Gemeinschaftsraumes, Me-
eben beschrieben, bei der Wohnbauvereinigung.                      diation bei Konflikten im Haus oder die Or-
Unsere Idee ist es, das Projekt bei einer gemein-                  ganisation von Gruppenaktivitäten als fixe
nützigen Baugesellschaft anzusiedeln, welche                       Aufgaben der Sozialarbeiter*innen.
dieses einerseits aus Eigenkapital/Krediten                   2. Individuelle Vereinbarungen mit jedem/r
und andererseits über Förderungen des Landes                       Bewohner*in, je nachdem in welchen Be-
Steiermark finanzieren kann (Land Steiermark                       reichen Unterstützung erforderlich ist und
Wohnbau). Einnahmen können durch den Miet-                         wie diese gestaltet wird. Beispielsweise kann
zins, welcher selbstverständlich niedrig angesetzt                 Hilfe angeboten werden beim Wohnungs-
werden muss, lukriert werden. Entsprechend der                     einzug (behördliche Anmeldung, Dauerauf-
Vorschriften für gemeinnützigen Wohnbau darf                       trag für Miete, Anmeldung von Strom und
der Mietzins maximal kostendeckend angesetzt                       Heizung, Lukrieren von Möbeln, etc.- im
werden (RIS Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz                        Rahmen der Existenzsicherung: Anträge
§13). Da die Wohnungen an eine Zielgruppe                          auf soziale Transferleistungen, Wohnunter-
vermietet werden deren Einkommenshöhe ten-                         stützung, Schuldenregulierung, etc.), beim
denziell am Existenzminimum liegt, wäre es zu                      Wohnungsauszug/-wechsel, bei Konflikten
überlegen, mithilfe von kommunalen Subventio-                      im Haus oder mit Anrainer*innen, beim
nen den Mietzins deutlich unter den am Markt                       Formulieren, Erarbeiten und Evaluieren
vorherrschenden durchschnittlichen Mietpreis                       persönlicher Ziele, im Krisenfall durch Kri-
pro Quadratmeter zu senken. Eine andere Mög-                       senintervention.
lichkeit wäre es den Mietzins prozentual am                   Die NGO erweitert durch die Umsetzung von
Einkommen der einzelnen Bewohner*innen zu                     Housing First ihre Angebote für wohnungs- und
bemessen.                                                     obdachlose Personen und setzt dadurch, neben
                                                              stationären Einrichtungen, ein innovatives Pro-
3.2.2.2 DIE BETREUENDE NGO                                    jekt um. Für die NGO sehen wir zwei mögliche
                                                              Säulen der Finanzierung. Einerseits kann bei
Die NGO hat die Aufgabe gemäß des Konzep-                     der Stadt Graz und dem Land Steiermark (bei-
tes von Housing First die Bewohner*innen nach                 des jeweils im Sozialressort) um Subventionen
individuellem Bedarf auf freiwilliger Basis zu                angesucht werden. Andererseits sehen wir das
unterstützen. Ziel von Seiten der NGO ist es                  Potenzial einen Teil der Arbeit über Spenden
auf niederschwelliger Basis Beratung und Be-                  finanzieren zu können.
gleitung anzubieten. Neben den individuellen
Zielen der Personen gilt es als wesentliches Ziel,            3.2.3 WIE KOMMT EINE OBDACHLOSE
die Personen dabei zu unterstützen den Verbleib                    PERSON ZU EINER WOHNUNG
in der Wohnung zu sichern, wodurch Verpflich-                      UND WAS PASSIERT DANN?
tungen wie z.B. die Bezahlung der Miete erfüllt
werden müssen.                                                Sobald die Instandsetzung des Hauses erfolgt
                                                              ist und die Wohnungen bezugsbereit sind, wird
Was umfasst die sozialarbeiterische Unterstützung?            das neue Angebot Housing First in der Grazer
Das Hilfsangebot wird zur Verfügung gestellt                  Soziallandschaft via E-Mail-Aussendung, Me-
und kann von den Bewohner*innen freiwillig in                 dien, Webauftritt und persönlichen Kontakten
Anspruch genommen werden. Die sozialarbei-                    bekannt gemacht. Ziel ist es, dass alle Sozialein-
                                                              richtungen, die mit wohnungs- oder obdachlo-

16
2 SELBSTBESTIMMTER LÜCKENSCHLUSS: WOHNEN AM RUCKERLBERGGÜRTEL

sen Personen in Kontakt stehen, von dem An-           3.3 DAS ERDGESCHOSS ALS
gebot erfahren und ihre Klient*innen über das             GEMEINSCHAFTSRAUM
Angebot informieren. Wenn eine obdachlose
Person Interesse an einer Wohnung in unserem          Durch die Verbindung der Nutzungsmöglich-
Haus hat, kann sie selbst mit der betreuenden         keit gemeinschaftlich genutzter Räume und
NGO Kontakt aufnehmen. Es folgt ein Erstge-           der Rückzugsmöglichkeit und Privatheit der
spräch, in dem die Rahmenbedingungen geklärt          eigenen Wohnung kann die Wohnqualität ge-
werden. Wenn sowohl die interessierte Person          steigert werden. Der Gemeinschaftsraum im
als auch die NGO einem Einzug zustimmt, wird          Erdgeschoss soll als Kommunikationsplattform
dies als Empfehlung an die Hausverwaltung wei-        dienen und Raum für Kreativität und Zusam-
tergeleitet, welche die endgültige Entscheidung       menkünfte bieten. So kann beispielsweise ge-
trifft und den Mietvertrag aufsetzt. Der Mietver-     meinsam gekocht und gegessen werden oder
trag ist als gewöhnlicher Hauptmietvertrag mit        es können gemeinschaftliche Film- oder Spiele-
einer Laufzeit von drei Jahren vorgesehen, was        abende abgehalten werden. Die Beteiligung an
impliziert, dass dieser unter das österreichische     gemeinsamen Aktivitäten erfolgt auf freiwilliger
Mietrechtsgesetz fällt und jegliche Rechte und        Basis, der Raum kann auch für private Feier-
Pflichten von Mieter*innen damit einhergehen.         lichkeiten der Bewohner*innen genutzt werden.
Den Personen stehen ihre eigenen Wohnungen            Die Organisation der Termine und der Reini-
somit als normale Mietwohnungen ohne Extra-           gung übernimmt der/die Sozialarbeiter*in, die
Verpflichtungen zur Verfügung. Die sozialarbei-       Instandhaltung der Räumlichkeiten obliegt der
terische individuelle Hilfestellung kann auf frei-    Hausverwaltung.
williger Basis in Anspruch genommen werden.              Um die Nachbarschaft einzubinden und die
Gewünscht, aber ebenso freiwillig ist die Teil-       Ressourcen effizient auszuschöpfen ist es ange-
nahme an gemeinsamen Aktivitäten der Haus-            dacht, das Erdgeschoß zu bestimmten Zeiten
gemeinschaft.                                         für die Öffentlichkeit als Nachbarschaftscafé
   Vorgesehen ist, dass die Person nach Ablauf        zugänglich zu machen. Dort können von Be-
des Mietvertrags (drei Jahre) die Wohnung wie-        wohner*innen und Nachbar*innen Workshops
der verlässt. Im Optimalfall wurde bis zum Aus-       zu verschiedenen Themen, je nach Fähigkeiten
zug selbstständig oder mit sozialarbeiterischer       und Wünschen der Teilnehmer*innen abgehal-
Unterstützung eine dauerhaft gesicherte und           ten werden. Auch die Nutzung als Lern- oder
leistbare Wohnform gefunden, wie beispielswei-        Repaircafè ist möglich.
se eine Gemeindewohnung. Je nach individuel-             Die Einrichtung des Gemeinschaftsraumes
len Umständen kann ein Mietvertrag aber auch          soll flexible Nutzungsformen ermöglichen, fixe
bei Bedarf einmalig verlängert werden.                Bestandteile sind eine Küchenzeile, klappbare
   Zusammenfassend kann festgehalten werden,          Tische und Sitzmöbel. Ein „offenes Bücherre-
dass unser Haus am Ruckerlberggürtel Men-             gal“, wird mit Leihbüchern und -spielen für die
schen die Möglichkeit gibt ihre akute Wohnungs-       Gemeinschaft ausgestattet. Im Erdgeschoß be-
oder Obdachlosigkeit zu beenden in dem ihnen          findet sich ebenfalls ein WC, das auch von Be-
ein eigener und selbstbestimmter Wohnraum             sucher*innen des Nachbarschaftscafés benützt
unbürokratisch und schnell zur Verfügung ge-          werden kann. Ein stationärer PC mit Drucker
stellt wird. Wir bedienen uns dabei einiger Me-       und Internetzugang erleichtert den Bewoh-
thoden und Ansätze von Housing-First, wenn-           ner*innen die Vorbereitung auf diverse Amts-
gleich wir nicht alle Kriterien, wie beispielsweise   wege und bietet die Möglichkeit eines kosten-
die dauerhafte Wohnsicherheit durch unbefris-         freien Internetzugangs.
tete Mietverträge, erfüllen können.                      Im Sinne der Ressourcenschonung wird es
                                                      sowohl im Gemeinschaftsraum als auch im Kel-
                                                      ler einen Pool an Leihgeräten und -werkzeugen

                                                                                                     17
Grazer Schriften der Geographie und Raumforschung | Band 50

                                                              Abbildung 2.6 Grundriss Erdgeschoss, eigene Darstellung

Abbildung 2.5: Projektentwurf, eigene Darstellung

geben. Der Keller wird mit einer Werkbank für                 Abbildung 2.7: Grundriss erster Stock, eigene Darstellung
kleine Projekte und Reparaturen sowie einer
Gemeinschaftswaschmaschine ausgestattet.
                                                              Stock erstreckt sich wie in Abbildung 2.7 zu
4 AUSFÜHRUNG                                                  sehen über das gesamte Stockwerk, hat zwei
                                                              Zimmer und ein Bad. Das hofseitige Zimmer
4.1 UMSETZUNG DES PROJEKTS                                    ist dabei ca. 18,9 m², das straßenseitige 18,9 m²
                                                              und das Bad 4,9 m² groß. Diese Wohnung soll
Das Haus soll eingeteilt werden in Keller, Erd-               komplett barrierefrei gestaltet werden.
geschoss, Stiegenhaus mit Aufzug, fünf Woh-
nungen und Flachdach mit Dachgarten. Die                      Exkurs: Barrierefreies Wohnen
Grundrisse in diesem Abschnitt sind als grobe                 Barrierefreies Wohnen kann in jeder Lebenssi-
Orientierung gedacht und müssten durch einen                  tuation wichtig werden und soll deswegen von
Architekten auf Machbarkeit überprüft werden.                 Beginn an bei der Planung mitgedacht werden.
                                                              Zum einen, um das Wohnprojekt so inklusiv wie
Keller und Erdgeschoss                                        möglich zu gestalten (auch für Besucher*innen
Wie bereits in Kapitel 2 beschrieben, werden                  der Bewohner*innen), zum anderen, um die Nut-
Keller und Erdgeschoss als Räume für die ge-                  zung flexibel zu halten. Teurer als barrierefrei zu
meinsame Nutzung durch die Hausgemeinschaft                   bauen ist, barrierefrei umzubauen. Ist die Infra-
errichtet. Der Keller wird in je einen Bereich für            struktur schon vorhanden, steht das Gebäude
Werkstatt und Waschküche unterteilt und mit                   für eine Vielzahl von (Nach-) Nutzungen offen.
Werkzeug, Werkbank und Waschmaschine aus-                     Das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und
gestattet.                                                    Konsumentenschutz nennt in seiner Broschüre
                                                              Barriere:frei! vier Hauptkriterien, die barriere-
Wohnungen                                                     freies Wohnen ermöglichen. Das sind der stufen-
Insgesamt sollen sich im Gebäude fünf Wohn-                   lose, ebene Zugang im gesamten Wohnbereich,
einheiten befinden. Die Wohnung im ersten                     eine ausreichende Durchgangsbreite von min-

18
2 SELBSTBESTIMMTER LÜCKENSCHLUSS: WOHNEN AM RUCKERLBERGGÜRTEL

Abbildung 2.8: Beispiel eines barrierefreien Bads        Abbildung 2.9: Grundriss zweiter Stock, eigene Darstellung
mit ausreichender Rangiermöglichkeit Quelle:
Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2011

destens 80 cm bei Türen, die erreichbare Höhe            ne*n Architekt*in (eine Kooperation mit einem
(80 - 100 cm) von Bedienelementen und ein                Masterseminar der TU Graz wäre vorstellbar)
Durchmesser von 150 cm bei Bewegungsflächen              damit zu beauftragen, im Vorhinein platzspa-
in strategischen Bereichen. Wie in Abbildung 2.8         rende Möbel und Stauraum zu entwerfen. Diese
ersichtlich können sich diese Bewegungsflächen           können dann gegebenenfalls schon während der
beispielsweise für die verschiedenen Bereiche im         Bauphase eingeplant werden. Beispiele dafür
Bad auch überschneiden. Platzsparend und bar-            sind Einbauregale oder Tische, die an die Wand
rierefrei sind deswegen keine Widersprüche. Des          hochgeklappt werden können, und somit eine
weiteren gibt es viele verschiedene kleinere aber        flexible Raumnutzung ermöglichen.
auch wichtige Aspekte, die beachtet werden soll-
ten, beispielsweise unterfahrbare Küchenmöbel,           Exkurs: Nachhaltige Bauweise
Verwendung des Zwei-Sinne-Prinzips, farbli-              Die kommunal geprägten Handlungsfelder
che Abhebung von Lichtschaltern und Türen,               Energie, Wasser, Bauen und Wohnen sind ein
rutschfeste Kanten bei Treppen, Treppenhand-             wichtiger Bestandteil für nachhaltige Innovatio-
lauf auf zwei Höhen, usw. (Bundesministerium             nen. Für einen bewussten Umgang und nach-
für Arbeit und Soziales 2011). Viele dieser As-          haltige Versorgung mit Energie erscheinen
pekte können leicht umgesetzt werden und sol-            Kommunen mit lokalen Energieversorgungs-
len in dem Projekt auch Anwendung finden. Ein            konzepten als relevante Nische. Diese betreiben
zentrales Element ist zudem der Einbau eines             häufig erneuerbar gespeiste Nahwärmenetze
Lifts.                                                   (in der Regel solar). Viele Konzepte setzen da-
   In den Geschossen zwei und drei befinden              bei auch oder ausschließlich auf erneuerbare
sich jeweils zwei Kleinstwohnungen (siehe Ab-            Energien und fördern zudem Maßnahmen zur
bildung 4.5), jede mit eigenem Bad, das ca. 3,3          Erhöhung der Energieeffizienz und Energieein-
m² groß sein wird. Die hofseitige Wohnung ist            sparung (Umweltberatung 2014).
mit 18,5 m² dabei größer als die straßenseitige
mit 14,3 m². Da diese Wohnungen sehr klein               4.1.1 BAUMATERIALIEN
sind, wird hier eine komplett barrierefreie Ein-
richtung nicht möglich sein, beispielsweise weil         Für Nachhaltiges Bauen gilt es folgendes zu be-
der Platz nicht für unterfahrbare Küchenmöbel            achten:
ausreicht. Trotzdem sollen so viele Aspekte der          • Herstellung, Transport und Entsorgung sind
Barrierefreiheit wie möglich berücksichtigt wer-           energie- und schadstoffarm
den. Aufgrund der geringen Größe aller Woh-              • Das Material ist recycelt, recyclefähig oder
nungen soll die Inneneinrichtung schon bei der             kann gut repariert werden
Planung berücksichtigt werden. Die Idee ist, ei-         • Das Material ist regional verfügbar

                                                                                                                 19
Grazer Schriften der Geographie und Raumforschung | Band 50

• Das Material ist aus einem nachwachsenden                   4.1.2 WASSERTECHNIK UND
   Rohstoff                                                         ABWASSERWIEDERVERWENDUNG
Durch eine gute Wärmedämmung können
Heizkosten gespart werden und auch die rich-                  Veränderte Niederschlagsregime und -mengen
tigen Impulse im Hinblick auf Umweltschutz                    sowie regional deutlich verringerte Nutzer*in-
gesetzt werden. Auf Dämmmaterialien wie Mi-                   nenzahlen bei gleichzeitiger Zunahme der Sied-
neralwolle und Steinwolle sollte verzichtet wer-              lungsfläche verändern die Rahmenbedingungen
den und stattdessen natürliche Dämmstoffe zum                 der Wasserver- und entsorgung. Darüber hinaus
Einsatz kommen. Ihre Dämmwerte und Schall-                    ergeben sich neue ökologische Anforderungen
schutz sind gut, zudem werden sie energiespa-                 und Herausforderungen insbesondere in folgen-
rend hergestellt.                                             den Bereichen:
• Holzfasern: Holz ist ein regionaler, nachwach-              • Neuartige Sanitärsysteme (NASS-Konzepte)
   sender Rohstoff und hat kurze Transportwege.                  mit stärkerer Trennung von Abwasserteilströ-
   Es ist feuchtigkeitsregulierend, hat gute Wär-                men, die eine Gewinnung von Energie und
   medämm- und Schallschutzwerte und kann                        eine Wiedernutzung von Wasser und Nähr-
   auch als Putzträger in Wärmedämmverbund-                      stoffen ermöglichen
   systemen genutzt werden. Die Herstellung von               • Ein nachhaltiges bzw. integriertes Regenwas-
   Holzfaserplatten ist jedoch mit viel Energie                  sermanagement
   verbunden.                                                 • Zentral organisierte und betriebene, dezent-
• Hanffasern: Hanf besitzt ähnlich gute Wer-                     rale Abwasserentsorgungskonzepte („zentraler
   te in der Wärmedämmung wie Holz und ist                       Betrieb dezentraler Anlagen“) (TRANSNIK
   besonders langlebig im Vergleich zu etwa Mi-                  2018)
   neralwolle. Es eignet sich allerdings nicht als            Egal wie hoch der Bedarf letztlich ist, für die Re-
   Putzträger für Wärmedämmverbundsysteme.                    genwassernutzung im Haus lässt sich ein grund-
• Jutedämmung: Jute ist nicht nur sehr wider-                 legender Anlagenaufbau herausarbeiten. Dessen
   standsfähig und resistent gegen Schimmel und               Basis ist ein Speichertank, welcher heute entwe-
   Schädlinge, sondern reguliert die Luftfeuch-               der als PE- oder Betonzisterne ausgelegt ist. Die
   tigkeit und besitzt sehr gute Dämmwerte. Es                Verbindung zur Auffangfläche für das Regen-
   ist allerdings etwas teurer als andere Natur-              wasser wird mittels Fallrohren hergestellt. Zwi-
   materialien. Mit Hanffasern vermischt, ist es              schen Fallrohr und Speichertank ist in der Regel
   dagegen eine beliebte und kostengünstigere                 ein Vorfilter angebracht, um grobe Schmutzpar-
   Alternative.                                               tikel am Eindringen in die Zisterne zu hindern.
• Schilfdämmung: Schilf ist besonders resistent               Durch ein zusätzliches Rohrleitungsnetz wird
   gegen Schimmel und Schädlinge, feuchtig-                   eine Verbindung zu den Entnahmestellen und
   keitsregulierend und preisgünstig. Die Her-                dem Hauswasserwerk geschaffen. Um Probleme
   stellung von Schilfdämmungen ist mit wenig                 bei Trockenheit oder während niederschlags-
   Energie verbunden. Allerdings ist Schilf ver-              reicher Phasen zu verhindern, sind Anlagen
   gleichsweise schwer.                                       zur Regenwassernutzung zusätzlich mit einem
• Zellulosedämmung: Zellulose besteht bis zu                  Überlauf bzw. einer Nachspeisung ausgestattet.
   90 Prozent aus Altpapier und lässt sich gut als            Wenn man Regenwasser mit einem Hauswas-
   Einblasdämmung verwenden. Dämmwerte                        serwerk nutzt, ist das Sparpotenzial am größten.
   sind gut und der Preis ist niedrig. Auch Schall-           Der Dachgarten und die Grünflächen erfreuen
   schutz und Feuchtigkeitsregulierung überzeu-               sich der Bewässerung mit gutem, kostenlosem
   gen. Allerdings ist Zellulose nicht kompostier-            Regenwasser. Große Wasserverbraucher, z. B.
   bar (Umweltberatung 2014).                                 die Toilettenspülung und die Waschmaschi-
                                                              ne, verbrauchen schon eine erhebliche Menge
                                                              Trinkwasser pro Tag, die durch Regenwasser

20
2 SELBSTBESTIMMTER LÜCKENSCHLUSS: WOHNEN AM RUCKERLBERGGÜRTEL

Abbildung 2.10: Verkehrslärmkataster Straße/Nacht, Quelle: Magistrat Graz 2021

                                                                          Forschungsobjekt, ist hier beides
                                                                          zu beobachten. Laut Bebauungs-
                                                                          plan weist das Wohngebiet eine Be-
                                                                          bauungsdichte von 0,6-1,4 auf, was
                                                                          laut §13 des Stadtentwicklungs-
                                                                          konzepts 4.0 in die Kategorie eines
                                                                          Wohngebietes mit hoher Dichte
                                                                          fällt (Stadt Graz 2020).
                                                                             Laut Flächenwidmungsplan ist
                                                                          gut ersichtlich, dass das zu verdich-
                                                                          tende Objekt in einer Zone liegt,
                                                                          die maßgeblich von Lärm beein-
Abbildung 2.11: Stadtklimaanalyse, Quelle Magistrat Graz 2021             flusst wird. Wie in Abbildung 2.10
                                                                          zu sehen, liegt das Grundstück
ersetzt werden kann. Beispielsweise könnte ein nahe an der stark befahrenen Plüddemanngas-
Vier-Personen-Haushalt im Jahr durchschnitt- se. Laut Verkehrslärmkataster befindet sich das
lich 40 Kubikmeter Trinkwasser durch Regen- Objekt in einem Gebiet mit einer Straßenver-
wassernutzung sparen. Wird auch die Wäsche kehrslärmbelastung von 49 bis 59 dB, in der
mit Regenwasser gewaschen, sind es 60 Kubik- Nacht. Diese Werte können bereits gesundheit-
meter. Das spart je nach Wassergebühren rund liche Folgen haben. Im Allgemeinen geht man
160 bis 200 Euro im Jahr; 240 bis 300 Euro nachts von einem Richtwert von 55 dB aus, der
jährliche Ersparnis sind möglich, wenn für das keinesfalls überschritten werden sollte (Umwelt
genutzte Regenwasser keine Abwassergebühren Bundesamt 2020).
erhoben werden (Energie-Fachberater 2020).                    Des weiteren kann man in Abbildung 2.11 er-
                                                           kennen, dass der Gründerzeitgürtel, in dem das
4.1.3 BEGRÜNUNG                                            Objekt liegt, in der Karte als Wärmeinselbereich
                                                           (rot) deklariert ist. Aufgrund dessen werden im
Unzählige Statistiken zeigen, dass Städte we- Bebauungsplan planerische Hinweise angeführt,
sentlich stärker von Klimaveränderungen be- wie unter anderem eine Flächenentsiegelung
troffen sind als das Umland. Hierbei ist vor oder die Begrünung von Straßen, Höfen oder
allem der Faktor der hohen Bebauungsdichte Parks als Auflockerung.
hervorzuheben, sowie auch die Höhe des Versie-                Dies lässt uns zum Entschluss kommen, dass
gelungsgrades. Betrachtet man das ausgewählte eine weitestgehende Begrünung des Objektes,

                                                                                                              21
Grazer Schriften der Geographie und Raumforschung | Band 50

im speziellen der Fassade sowie des Daches, aber              SDGs. Aus diesem Grund haben wir uns dafür
auch die Wiederherstellung des Vorgartens, als                entschieden eine grüne Oase auf dem Dach zu
äußerst sinnvoll zu erachten sind. Tabelle 1 fasst            verwirklichen, die Fassade einheitlich zu begrü-
in aller Kürze die wesentlichen Vorteile von Be-              nen und dem Vorgarten wieder Leben einzu-
grünung von Objekten im Stadtgebiet zusam-                    hauchen.
men.
   Wie in Tabelle 1 dargestellt, bringt der Einsatz           4.1.3.1 PHOTOVOLTAIK DACHGARTEN
von Pflanzen wesentliche Vorteile mit sich, die
die konkret auftretenden Probleme des Bebau-                  Photovoltaikanlagen liegen im Trend und kön-
ungsgebiets mildern können. Die Objektbegrü-                  nen flexibel auf dem Dach installiert werden.
nung beeinflusst das Mikroklima, schafft neuen                Wenn man zudem in einen Stromspeicher in-
Lebensraum für Flora und Fauna und attrakti-                  vestiert, kann die selbst erzeugte Energie auch
viert somit den Standort wie auch die Nachbar-                genutzt werden, wenn die Sonne einmal nicht
schaft. Das Aufheizen des Gebäudes kann durch                 scheint. Zusätzliche Energie wird ins Stromnetz
den gezielten Einsatz von Begrünung effektiv                  eingespeist - man bekommt dafür im Schnitt
verringert werden und die Verdunstungsleistung                zehn Cent pro Kilowattstunde (Die Umwelt Be-
der Pflanzen kühlt die Luft zusätzlich ab. Im                 ratung 2021).
Winter nutzt die Fassadenbegrünung hingegen                      Laut § 5 Gebäudehöhen, Gesamthöhen, Ge-
als zusätzliche Wärmedämmung. Die schall-                     schossanzahl, Dächer im Bebauungsplan, kann
absorbierende Wirkung ist ein weiterer äußerst                mit einem Antrag auf Ausnahme ein Flachdach
positiver Effekt (Stadt Graz 2020). Die genann-               genehmigt werden (Stadt Graz 2020). Da es sich
ten Vorteile sind wichtige Parameter für die Ent-             hier um einen Neubau handelt, bietet es sich auf
wicklung nachhaltiger, resilienter Städte. Damit              jeden Fall an eine Dachbegrünung anzustreben.
leisten Fassaden- und Dachbegrünungen ihren                   Dabei wird zwischen zwei Arten, der intensiven
Beitrag zu mehreren Zielsetzungen interna-                    und extensiven Dachbegrünung, unterschieden.
tionaler wie auch nationaler Maßnahmen, wie                   Da extensiv begrünte Dächer nicht direkt von
zum Beispiel den österreichischen Klimazielen                 Menschen genutzt werden können, ist für das
2040 oder den Sustainable Development Goals,                  Objekt die intensive Dachbegrünung anzustre-
                                                                                 ben. Diese sind wie Gärten
                                                                                 nutzbar, deshalb pflegeauf-
                                                                                 wendiger und in der Planung
                                                                                 durch die Mehrbelastung be-
                                                                                 sonders zu berücksichtigen.
                                                                                 Für die Realisierung darf die
                                                                                 Dachneigung nicht mehr als
                                                                                 5% betragen und es muss ein
                                                                                 gesondertes Abwassersystem
                                                                                 integriert werden. Der Vor-
                                                                                 teil von Gründächern ist,
                                                                                 dass sie eine längere Lebens-
                                                                                 dauer als herkömmliche Dä-
                                                                                 cher haben und als zusätzli-
                                                                                 cher Erholungsraum genutzt
                                                                                 werden können (Die Umwelt
                                                                                 Beratung 2021).
                                                                                    Einen besonders attrakti-
Tabelle 1: Vorteile von Dach- und Fassadenbegrünung,                             ven Ansatz eines begrünten
Quelle: Stadt Wien 2019

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