ENERGIE&UMWELT - SSeellttssaammeerr MMaarrkktt ÖÖllbbuussiinneessss:: Schweizerische Energie-Stiftung
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ENERGIE & UMWELT Das Magazin der Schweizerischen Energie-Stiftung SES Nr. 2 / Juni 2004 Ölbusiness: Seltsamer Markt SES-Fachtagung: Neue AKW: Wie lange reicht das Die alte Leier von der Erdöl noch? Stromlücke Seiten 8–12 Seiten 18/19
Schwerpunktthema: Erdöl Der Mann, der alles übers Erdöl weiss 4 Auch wenn das Fass Rohöl mehr als vierzig Dollar kostet: Es ist zu billig. Der Mark wird über- schwemmt von diesem knappen Gut. Selbst Ökoabgaben dürften den Verbrauch kaum senken, weil kein Markt so seltsam verzerrt ist wie das Ölbusiness. Wie lange reicht das Erdöl noch? 8 Wann ist das Fördermaximum («Peak of Oil») erreicht? Im Jahr 2010 – oder erst 2030, wie die Ölkonzerne glauben? Dies die zentrale Frage, welche in der Podiumsdiskussion zur De- batte stand. Erdöl wird knapp: kein Grund zum Handeln? 12 Kürzlich ist eine vom Bundesamt für Energie (BFE) veranlasste Studie erschienen zur Frage, ob Versorgungsengpässe bei Erdöl und Erdgas in den nächsten Jahrzehnten zu erwarten sind. Während die Beschäftigung mit dieser Frage sehr zu begrüssen ist, geben die Be- schränkung des Gesichtsfelds, einige methodische Punkte und insbesondere die gezogenen Schlussfolgerungen Anlass zu Kritik. I M P R E S S U M Energie&Umwelt Nr. 2/2004 Herausgeberin: Schweizerische Energie-Stiftung SES Sihlquai 67, 8005 Zürich Die Schweiz will aufs Gaspedal drücken 14 Tel. 01/271 54 64; Fax 01/273 03 69 In der Schweiz verkehren etwa 1000 Fahrzeuge, die mit Erdgas, Natur- oder Kompogas fahren. E-Mail: info@energiestiftung.ch PC-Konto: 80-3230-3 Energie&Umwelt war mit dem Naturgas betriebenen Volvo «BiFuel» von Hans Peter Rast auf Internet: www.energiestiftung.ch einer Testfahrt. Ein Situationsbericht zum zwar im Aufschwung befindlichen, aber marginalen Redaktion: Rafael Brand Dasein umweltfreundlicher Erdgasautos in der Schweiz. Scriptum, Büro für Kommunikation Postfach 949, 6460 Altdorf Tel. 041 870 79 79, E-Mail: info@scriptum.ch SES-Jahresbericht 2003: Redaktionsrat: Armin Braunwalder, Rafael Atomabstimmung und neuer Erdöl-Schwerpunkt 16 Brand, Dieter Kuhn, Rüdiger Paschotta, Bern- Im ersten Halbjahr 2003 war die Abstimmungskampagne «Strom ohne Atom» das dominie- hard Piller rende SES-Thema. Danach standen die Rettung des Programms EnergieSchweiz, die thema- Layout / ReDesign: Scriptum, Altdorf tische Ausrichtung der SES und die neue Organisation unserer Stiftung im Zentrum. Korrektorat: Bärti Schuler, Altdorf Druck: ropress, Zürich SES-Jahresrechnung und Bilanz 2003 17 Auflage: 5000, erscheint 4 x jährlich Die Jahresrechnung 2003 der SES schliesst zum vierten aufeinander folgenden Mal positiv Abdruck erwünscht unter Quellenangabe und Zu- ab. Der Gewinn beträgt 873.35 Franken. Das positive Jahresergebnis ist vor allem dem gu- sendung eines Belegexemplares an die Redaktion ten Eingang von Spenden zu verdanken, die trotz grosser Sammelkonkurrenz durch viele für Abonnement (4 Nummern): «Strom ohne Atom» engagierte Organisationen bei uns eingetroffen sind. 30 Franken Inland-Abo 40 Franken Ausland-Abo 50 Franken Gönner-Abo Und wieder ertönt die alte Leier der Atomgarde 18 Die ergraute Atomgarde träumt von einem neuen Mega-Atomkraftwerk und spielt die alte SES-Mitgliedschaft: Fr. 75.– für Verdienende Leier von der «Stromlücke». Doch es gibt in der Elektrizitätswirtschaft auch vernünftige Töne. Fr. 30.– für Nichtverdienende Fr. 400.– für Kollektivmitglieder Öl – Schwarzes Gold gegen Armut 20 Energie&Umwelt inbegriffen Auf dem Flughafen von N’Djamena steht eine grosse Maschine: ein Truppentransportflugzeug Druck auf Papier aus nachhaltiger der französischen Legion. Der Gärtner der Unterkunft ist überzeugt, dass die Amerikaner besser Waldbewirtschaftung: RePrint FSC (50% Altpapieranteil, 50% FSC-Frischfaser) sind als die Franzosen, sie bezahlen den höheren Lohn. So ist er, der Armin – oder doch nicht? 22 SGS-CoC-0474 Dass der scheidende Geschäftsführer ein Fussballfan ist, haben wir gewusst. Dass er seinen FSC Trademark © 1996 Heimatkanton liebt, war uns auch klar. Lesen Sie hier, was einige Persönlichkeiten, mit denen © Forest Stewardship Council A.C. er in den vergangenen acht Jahren zu tun hatte, im Rückblick sonst noch über ihn sagen!
Editorial Warnung vor dem Betreten geistiger Sackgassen! Aber nicht nur mit dem Thema Erdöl hat- ten wir einen guten Riecher. Es war auch richtig, dass wir die Fact Sheets zur letz- ten Atomabstimmung noch nicht wegge- worfen haben: Wir brauchen die Argu- mente, wenn das Thema eines neuen schweizerischen Atomkraftwerks plötz- lich wieder salonfähig zu werden scheint. Offenbar haben noch immer nicht alle be- Dieter Kuhn, Vizepräsident der SES griffen, dass sich «mit Atomenergie kein Blumentopf gewinnen lässt», wie Frédéric Vester schon vor Jahrzehnten sagte. Als wir letztes Jahr beschlossen, in Zu- Wenn Beznau I und II dereinst endlich kunft vermehrt das Erdöl zum Thema un- vom Netz gehen, müssen sie überhaupt serer SES-Aktivitäten zu machen, konnten nicht ersetzt werden – und durch einen wir natürlich nicht ahnen, welch hohe neuen Atomreaktor schon gar nicht! Le- Aktualität das «schwarze Gold» umge- sen Sie in dieser Zeitschrift, wie es auch hend erhalten würde. ganz anders ginge. In der Zwischenzeit mussten Erdölkonzerne Ein Zitat aus einem über zwanzig Jahre alten ihre prognostizierten Vorräte nach unten Taschenbuch: «Ein kurzer Blick auf die korrigieren. Der Ölpreis hat unterdessen Energieplanungsdaten zeigt, dass die in- ein erstaunlich bis erschreckend hohes Ni- dustrialisierten Staaten darauf abzielen, veau erreicht. Der Gaspreis ist aus unerfind- beides zu haben, Atomkraftwerke und lichen Gründen auf Gedeih und Verderb Öl. Wenn man dem wachstumshungri- an den Erdölpreis gekoppelt. Und das gen Westen gestattet, noch weitere zwei Bundesamt für Energie hat ein Grundlagen- oder drei Jahrzehnte (sic!) auf dem Weg papier in Auftrag gegeben, dessen Schluss- der harten Technologie entlang zu rasen, folgerungen – gelinde gesagt – kontrovers dann wird nicht mehr viel Öl oder Gas im sind. Das alles passierte ganz ohne unser Erdboden zurückbleiben für diejenigen, Zutun, ist aber zweifellos Wasser auf un- die es am nötigsten brauchen...» (Cro- sere Mühlen! all/Sempler: «Atomkraft für Anfänger», In dieser Nummer folgt der dritte und Rowohlt, 1982; Seite 115) letzte Teil der spannenden Fortsetzungs- Von wegen: Unser Ziel ist nicht, «schon im- geschichte zum Erdöl: Diesmal geht es mer gewusst» zu haben, dass die Erd- um dessen Ökonomie. Dann wird über ölvorräte endlich sind und dass die Atom- die diesjährige, sehr erfolgreiche Fachta- technologie von vorgestern ist. Es hilft nie- gung zum Thema Erdöl-Reserven berichtet. mandem, wenn wir nach Eintreten des wie Wir bringen einen Reisebericht aus dem auch immer gearteten Schadenfalls sagen Tschad, einem Erdöl-Förderland. Die Erdöl- können, wir seien die Ersten gewesen, die vereinigung hat den Prix Evenir, einen vor ihm gewarnt hätten. Darum haben wir Nachhaltigkeitspreis, zum zweiten Mal immer Alternativen aufgezeigt, Verbes- verliehen. Sie denken vielleicht, «Erdöl» serungsvorschläge gemacht und vor dem und «Nachhaltigkeit» passen doch nicht Betreten geistiger Sackgassen gewarnt. zusammen?! Das denken wir auch ... Wir werden das auch weiterhin tun. 2/04 ENERGIE & UMWELT 3
Seltsames Ölbusiness Der Mann, der alles übers Erdöl weiss Auch wenn das Fass Rohöl mehr als vierzig Dollar kostet: Es ist zu billig. Der Markt wird überschwemmt von diesem knappen Gut. Selbst Ökoabgaben dürf- ten den Verbrauch kaum senken, weil kein Markt so seltsam verzerrt ist wie das Ölbusiness. Fotos: Susan Boos Förderanlage in der Nähe des Samatlors. Samatlor: Einst ein heiliger See, darunter liegt eines der grössten russischen Erdölfelder. Der See ist heute völlig verbaut und Sperrgebiet. Die Zimmerlinde wächst in einem weissen takulär. Er publiziert einen Newsletter, der im Abonne- Plastiktopf. Die Stühle sind betagt. Der ment 5000 Dollar kosten soll. Kaffee kommt aus der Büchse. Auf den Gerber lacht: «Wer behauptet das?» Tischen türmt sich Papier. Mit seinem Bü- «Die ‘New York Times’.» ro in Genf kann Conrad Gerber nicht re- «Was die immer wissen.» präsentieren. Hier riecht es weder nach «Wie viel kostet er nun, Ihr Newsletter?» Geld noch nach Big Business, noch nach «So genau kann ich das nicht sagen. Es gibt eine Grund- Reichtum. Trotzdem geht es im dritten gebühr, aber alles andere ist verhandelbar. Kleine Firmen Von Susan Boos, Stock des leicht heruntergekommenen mit weniger Geld zahlen weniger. Ich stelle die Informa- Redaktorin «Wochenzeitung» Geschäftshauses an der Rue de la Servette tionen ins Netz. Man kann herunterladen, was einem um das ganz grosse Geschäft. Keiner wichtig erscheint und zahlt nur dafür.» weiss so viel übers Erdöl wie Conrad Ger- «Was steht da drin?» ber. Das sagt sogar die «New York Times». Er schafft es, «Also … ich beschäftige mich nur mit dem Downstream die Börse zum Tanzen zu bringen. Derweil er eigentlich … also … mit der Distribution.» «Aha?!?» dezent im Hintergrund wirkt. Was er tut, klingt unspek- Gerber lehnt sich in seinem bescheidenen Bürostuhl zurück 4 ENERGIE & UMWELT 2/04
und liefert geduldig eine geraffte Einführung in seine Opec Welt: Es gibt im Erdölgeschäft ein grosses schwarzes Der Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) gehören Algerien, Ecua- Loch. Die grossen Konzerne wie Exxon, Shell oder BP ha- dor, Gabun, Indonesien, Irak, Iran, Katar, Kuwait, Libyen, Nigeria, Saudi- ben keine Ahnung, wie viel Öl wirklich in den einzelnen Arabien, Venezuele und die Vereinigten Arabischen Emirate an. Die Opec Ländern gefördert wird. Sie wissen höchstens, was sie wurde 1960 ursprünglich als Schutzorganisation gegen die grossen Erdölfir- selbst beziehen. Ein komplexes Bild bringen sie nicht zu- men gegründet, um die Einkünfte der Mitgliedländer zu stabilisieren. Später stande. Das ist aber nötig, wenn man entscheiden muss, wurde in den meisten Opec-Ländern die Ölförderung verstaatlich, oder der wo, wann und wie viel zu investieren ist. In der Nordsee, Staat übernahm die Mehrheitsbeteiligung an den Förderunternehmen. Immer da herrsche Transparenz, sagt Gerber, aber eben nur dort. wieder versucht die Opec Fördervereinbarungen durchzusetzen, um den Wenn alle so offen geschäften würden, bräuchte es ihn Preis anzuheben oder zu senken. Doch gelingt ihr das nur mit beschränktem nicht. Früher, sagt Gerber, als die grossen Erdölfirmen Erfolg, da alle Erdöl produzierenden Länder versuchen, maximalen Gewinn zu noch selbst förderten, war es einfacher. Doch seit die erzielen und sich nur selten an die Vereinbarungen halten. meisten Länder die Erdölförderung verstaatlichten, macht sich eben dieses schwarze Loch breit. «Und Sie wissen, was in diesem schwarzen Loch geschieht?» «Na ja… ich weiss nicht alles… aber mehr als die anderen.» Das Erdölgeschäft ist skurril und verzerrt wie kaum ein «Wie kommen Sie an Ihre Informationen?» anderes Geschäft. Was alle wissen: Eigentlich ist Erdöl zu «Nehmen wir zum Beispiel Russland. Es gibt rund zwanzig billig. «Hätte sich das Benzin seit 1950 im selben Aus- Häfen, in denen russisches Erdöl verschifft wird. Von mass verteuert wie das Brot, müsste ein Liter Superben- Odessa in der Ukraine, über Murmansk an der Barentsee zin heute über fünf Franken kosten», errechnete der Ber- bis hin zur Insel Sachalin. Ich habe an all diesen Orten Leu- ner Geschichtsprofessor Christian Pfister schon vor zehn te, die für mich beobachten, was für Öltanker auslaufen.» Jahren. Demnach müsste heute der Liter Benzin mindes- «Aber dann wissen Sie noch nichts über die Qualität und tens 5 Franken 60 Rappen kosten. In Wahrheit kostet ein die genaue Herkunft des Öls.» Liter aber nur 60 Rappen. Denn 86 Rappen fliessen an «Jedes Schiff hat Dokumente.» Gerber schmunzelt. «Da den Staat. 2002 brachte die Mineralölsteuer dem Bund steht drin, was und wie viel es geladen hat. Meine Mitar- 4,8 Milliarden Franken. Mit diesem Geld lässt er unter an- beiter besorgen sich diese Papiere. Es ist nicht immer derem Strassen bauen und unterhalten. ganz einfach da ranzukommen …» Gerber wirkt mit sei- Um das Klima zu schützen, müsste der Staat die fossile nen roten Haaren und dem saloppen weissen Hemd wie Energie jedoch noch stärker belasten. Denn gemäss Kyo- ein fröhlicher Spion, der vergnügt mit dem System spielt. to-Protokoll hat sich die Schweiz verpflichtet, bis 2010 ih- Seine Leute, so sagt er, sässen in Ministerien, arbeiteten ren CO2-Ausstoss gegenüber 1990 um zehn Prozent zu für Erdölfirmen oder seien sonst in relevanten Jobs. Mehr verrät er nicht. Ausser, dass er sich schon überlegt habe, aufzuhören, dann aber doch wieder davon abgekommen Chanten-Familie (Rentierzüchter), die im Erdölgebiet lebt und seit Jahren mit den Erdölfirmen im Streit liegt. sei, weil schliesslich dreissig, vierzig Leute für ihn arbeite- ten, die kein Einkommen mehr hätten, wenn er aufhören würde, schliesslich habe er denen gegenüber eine Ver- antwortung. Er redet nicht wie ein Patron, sondern wie einer, der Weggefährten nicht im Stich lassen will. Verzerrtes «Big Business» Seit mehreren Wochen steigt der Erdölpreis. Ein Barrel «Brent» – das sind 159 Liter des qualitativ hochstehenden leichten Nordseeöls – kostete zum Beispiel Ende Mai an manchen Tagen über vierzig Dollar. Noch nie war ein Bar- rel so teuer. Die AutofahrerInnen klagen, dass sie im Durchschnitt für einen Liter 1 Franken 46,5 Rappen be- zahlen müssen. Manche Tankstellen bieten den Sprit zehn bis fünzehn Rappen billiger an. Was andere Tankstellen- betreiberInnen erzürnt. Diejenigen, die Franken 1.465 verlangen, würden nur 0,2 bis 0,3 Rappen pro Liter ver- dienen, sagt Jürg Klossner von Avia. Wer das Benzin billi- ger verkaufe, könne seine Vollkosten nicht decken. Das seien Lockvogelangebote von Discountern, die ihr Ge- schäft mit etwas anderem, zum Beispiel mit dem Pneu- handel, machten. Inzwischen hätten alle Anbieter etwa die gleich hohen Fixkosten, weshalb das Benzin überall gleich teuer sei, sagt Klossner. Gewöhnliche Tankstellen verdienen heute ihr Geld eher mit dem Verkauf von Tief- kühlpizzas, Chips oder Bier als mit Benzin. 2/04 ENERGIE & UMWELT 5
Zahlreiche Seen im ganzen Gebiet rund um Nischniwartowsk an die festgelegte Quote. Die Opec (vgl. Kasten) gab zum sind biologisch tot, da sie wegen der lecken Pipelines mit Erdöl Beispiel im März bekannt, sie würde Anfang April die Pro- verschnutzt sind (das Ufer ist schwarz, im Vordergrund eine duktion drosseln. «Im April haben die Opec-Länder mehr Öllache – was man aber vermutlich schwarz-weiss nicht sieht). produziert als im März», sagt Gerber, «und im Mai pro- duzierten sie nochmals mehr als im April. Es gibt nicht zu wenig Erdöl auf dem Markt – eher gibt es zu viel.» Es sei schon immer Politik der Opec gewesen, den Preis stabil tief zu halten, sagt Gerber: «Damit es sich nicht lohnt, woanders nach Öl zu suchen, und sich auch die Substi- tution nicht rechnet.» Mit den Fördermengen hat das gegenwärtige Preishoch allerdings nichts zu tun. Saudi-Arabien fördert tüchtig und ist bereit, seine Kapazitäten weiter zu erhöhen. «Nur benötigt man im Moment gar kein saudisches Öl», sagt Gerber. Die Saudis holen schweres Öl aus dem Bo- den, also dasjenige, das man im Winter zum Heizen braucht. Im Moment ist jedoch leichtes Öl gefragt, weil die US-AmerikanerInnen vor der «Drivers-Season» ste- hen: In den Sommermonaten verfahren sie Unmengen von Benzin, das man aus leichtem Öl macht, wie Alge- rien oder Venezuela es fördern. «Diese Länder produzie- ren schon so viel wie sie können», sagt Gerber. Selbst wenn sie mehr förderten, fehlten die Kapazitäten bei den Raffinerien. Deshalb ist der Treibstoff zur Zeit knapp und teuer. Aber auch, weil die Anschläge im Irak und in Saudi-Arabien die Branche verunsichern. Und weil Chinas Nachfrage nach fossiler Energie rasant steigt. Sagt Gerber. Gerber verkauft sein Wissen «nur an Enduser». An Fir- men, die selbst mit Erdöl zu tun haben. Finanzanalysten oder Journalistinnen können seinen Newsletter nicht abonnieren. Sein Insiderwissen bleibt unter Insidern. Zum Erdölguru geworden ist er wegen der Apartheid. Gerber ist der Sohn eines Schweizers, der Anfang der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts nach Rhode- sien auswanderte. Das Land, das Vater Gerber für 2000 Franken erwarb, war abgelegen und karg. Doch der Lu- zerner gab nicht auf und wurde ein erfolgreicher Farmer. Mutter Gerber stammte aus Schaffhausen. Der kleine verringern. Die Wirtschaft wollte dies mit freiwilligen Conrad redete nur Schweizerdeutsch und Ndebele, die Massnahmen erreichen. Erreicht hat sie nichts. Das CO2- Sprache der Einheimischen. Irgendwann lernte er dann Gesetz sieht nun vor, dass der Staat mit einer Abgabe die doch noch die Sprache der Kolonialisten, studierte in fossile Energie verteuert, damit der Verbrauch sinkt. Die Kapstadt Ökonomie und trat in den rhodesischen Staats- Abgabe könnte bis zu 50 Rappen pro Liter Benzin betra- dienst. Die Briten hatten Rhodesien schon Mitte der gen. Die Wirtschaft und die Erdöllobby wehren sich da- Sechzigerjahre in die Unabhängigkeit entlassen. Sie gegen. Sie hätten lieber einen Klimarappen, der den Liter verlangten, dass die Schwarzen an der Macht teilhaben Benzin um 1 respektive höchstens 1,9 Rappen verteuert. müssten. Die damalige rhodesische Regierung wollte da- Seltsame Rechenspiele um ein knappes Gut: Selbst jetzt, von nichts wissen, worauf Britannien und die Uno Sank- wo das Fass 40 Dollar kostet, wird es zu einem lächer- tionen gegen das Land verhängten. Das Land bekam kei- lichen Preis verscheuert. Eine CO2-Abgabe von 50 Rap- nen Brennstoff. Conrad Gerbers Aufgabe war es, auf pen würde daran wenig ändern. Denn das Problem liegt dem Grau- oder Schwarzmarkt Lieferanten zu finden. anderswo – simpel gesagt: Die Erdöl produzierenden Damals lernte er, wie das Geschäft funktioniert und bau- Länder bekommen zu wenig für den Rohstoff, und des- te sich ein weites Netz von verschwiegenen Informanten halb gibt es zu viel Erdöl auf dem Markt. Und solange es und Mittelsmännern auf. Die westliche Öffentlichkeit zu viel Öl gibt, wird es billig sein. durfte nichts von den Umgehungsgeschäften erfahren. Ende der Siebzigerjahre endete die Apartheid, Rhode- Öl im Überfluss sien wurde zu Simbabwe, das Embargo wurde aufge- hoben und Gerbers Wissen war nicht länger gefragt. Er «Die meisten Länder produzieren im Moment mehr, als kehrte in die Schweiz zurück, liess sich in Genf nieder sie offiziell angeben», sagt Gerber. Es gebe zwar ver- und zog sein eigenes Beratungsbüro auf, das heute Pe- schiedenste Agreements, doch kaum ein Land halte sich tro-Logistics Ltd heisst. 6 ENERGIE & UMWELT 2/04
Ökoabgaben bringen wenig Andere Länder mit kleineren Reserven ziehen oft zwangs- läufig mit. Ihr Staatshaushalt rechnet mit den Erdölver- In der Erdölwirtschaft ist alles ein bisschen anders. Die käufen. Sinkt der Preis, verkaufen sie mehr, um trotzdem grössten Erdölreserven liegen in wenigen, zumeist nicht- zu ihren Einkünften zu kommen. Der Markt wird mit Öl industrialisierten Ländern. Die grössten Reserven finden überschwemmt, der Preis sinkt weiter. Eine Spirale, die sich im Nahen Osten, vor allem in Saudi-Arabien, Kuweit dem Westen seit Jahrzehnten spottbilliges Erdöl bescherte. oder den Vereinigten Arabischen Emiraten. Diese Länder In diesem Kontext muss man sich fragen, ob Ökoabga- wollen aber nicht nur Öl verkaufen, sie wollen auch, dass ben oder -steuern wirklich die richtigen Instrumente sind, die westliche Wirtschaft floriert, da sie einen Grossteil um den Verbrauch wirkungsvoll zu senken. Schon heute ihrer Gewinne im Westen investiert haben. Daraus ergibt ist die fossile Energie steuerlich kräftig belastet. Oder an- sich ein komplizierter Interessenkonflikt, wie der Ökonom ders ausgedrückt: Die westlichen Staaten konnten dank und Erdölspezialist Mohssen Massarrat in seinem Buch dem billigen Erdöl ihre Kassen füllen. Masserrat weist «Das Dilemma der ökologischen Steuerreform» darlegt: nach: Höhere Abgaben wirken meist auf den Barrelpreis. Je «Mit ihren umfangreichen Investitionen in den Industrie- mehr der Westen abschöpft, desto billiger verhökert der Sü- ländern sind die drei Ölstaaten (Saudi-Arabien, Kuweit, den sein Öl, und der Verbrauch bleibt konstant oder steigt. die Emirate) nicht nur Eigentümer von Ölressourcen im Masserrat schliesst daraus, dass Ökoabgaben wenig brin- Süden, sondern gleichzeitig auch Kapitaleigner im Norden. gen, weil es kaum möglich ist, über den Preis den Ver- In ihrer Doppelfunktion verkörpern sie gegensätzliche brauch zu steuern. Er schlägt ein Modell vor, das die Interessen: Zum einen die der Öleigentümer des Südens Menge beschränkt – und nicht versucht, über den Preis und zum anderen die der Ölverbraucher des Nordens.» In den Konsum zu reduzieren. So hätte zum Beispiel jedes dieser Doppelfunktion geraten sie in ein Dilemma: Ei- Land gemäss seines CO2-Budgets Anrecht auf eine be- gentlich müssten sie ihre Ölproduktion drosseln, um stimmte Menge fossiler Energie. Der Treib- oder Brenn- mehr Geld für das knappe Gut zu erhalten. Steigende stoff liesse sich dann an einer Landesbörse verkaufen. Energiepreise widersprechen jedoch ihren Anlegerinteres- Womit der Binnenmarkt den Preis für das knappe Gut de- sen, weil dadurch das westliche Wirtschaftswachstum finieren würde. Die erzielten Gewinne könnten umver- verlangsamt würde, womit ihre grossen Investitionen im teilt werden. Ein utopischer Vorschlag, vielleicht. Doch Norden weniger Gewinn abwerfen. Also versuchen die macht er klar: Das Erdölgeschäft ist zu komplex, als dass einflussreichsten Erdölstaaten – ganz im Sinn des We- sich mit einigen Rappen mehr oder weniger das Klima stens – den Erdölpreis stabil tief zu halten. retten liesse. Der drohende Kollaps Bahnhof Tjumen (Zentrum der russischen Erdölförderung) Möglicherweise löst sich das Problem aber auf ganz an- derem Weg. «Heute kennt man alle Ölfelder», sagt Con- rad Gerber. «Neue grosse Funde wird es keine mehr ge- ben. Das Einzige, was man im Moment noch nicht weiss, ist, wie gross die Reserven in den Feldern sind. In spätes- tens zehn Jahren dürfte die Technik so weit entwickelt sein, dass wir präzise sagen können, wie lange das Erdöl noch reicht.» «Was schätzen Sie?» «In fünfzig Jahren dürften die Reserven ausgeschöpft sein.» Gerber schmunzelt, ihn scheint es nicht zu beun- ruhigen. Selbst nach fünfzig Jahren gebe es noch Öl, es werde aber nie mehr billig sein. «Und der Krieg im Irak …» «… oh, oh … Bush weiss nicht, glaube ich, wie heikel die Lage dort unten ist. Egal was im Irak oder in Kuweit pas- siert, das wird die Weltwirtschaft nicht wirklich erschüt- tern. Der Irak produziert 2,6 Millionen Barrel pro Tag. Wenn diese Menge ausfällt, springt Saudi-Arabien ein. Keiner wird etwas bemerken. Aber wenn Saudi-Arabien destabilisiert …», Gerber seufzt, schweigt und fügt nach- denklich hinzu, « … das kann ganz übel werden.» Dann würden wir es noch erleben, dass der Barrelpreis auf 100 Dollar steige … kein anderes Land könne das saudische Öl ersetzen … dann könnte es eine weltweite Wirt- schaftskrise wie in den Zwanzigerjahren des letzten Jahr- hunderts geben … dann sei es Zeit aufs Pferd umzustei- gen. Gerber lacht. Dann gehe er zurück nach Afrika. 2/04 ENERGIE & UMWELT 7
SES-Fachtagung «Erdöl – der Streit um die Reserve-Prognosen» Wie lange reicht das Erdöl noch? Wann ist das Fördermaximum («Peak of Oil») erreicht? Im Jahr 2010 – oder erst 2030, wie die Öl- konzerne glauben? Dies die zentrale Frage, welche in der Podiumsdiskussion zur Debatte stand. «Mich erstaunt, dass die Experten mit Erdölfelder einfach höher bewerten, die schon im 'De- den gleichen Zahlen und Statistiken zu cline' sind und bereits weniger fördern. – Und diese hö- völlig unterschiedlichen Einschätzun- her bewerteten Erdöl-Reserven summieren die Ölkon- gen bezüglich der Erdöl-Reserven kom- zerne mit den Neufunden. Doch in den USA, in welchen men!» brachte Diskussionsleiter Hans die besten Öl-Firmen die beste Technologie einsetzen, Hildbrand die diesjährige wiederum konnte bisher trotzdem keine Produktionssteigerung sehr gut besuchte SES-Fachtagung auf der Erdölfelder erreicht werden.» den Punkt. Dr. Herber Glocker von BP Von Rafael Brand, Deutschland dazu: «Die Sichtweise ist Stehen wir kurz vor dem Redaktor «Energie&Umwelt» eine unterschiedliche. Es sind nicht nur Erdöl-Fördermaximum? die Daten und Zahlen selbst, die man ja nicht exakt kennt. Wir von BP ver- «Es ist für einen Ölkonzern wie BP ein grosses Risiko, wenden bezüglich Einschätzung der Erdöl-Reserven ein wenn wir die Erdöl-Reserven falsch einschätzen», recht- dynamisches Konzept. Das heisst, es werden stets ande- fertigte Herbert Glocker die Reserveprognosen von BP. re Einflüsse wirksam, die nicht exakt vorhergesagt wer- Natürlich müssen sich auch die Ölkonzerne mit dem den können.» «Peak of Oil» und einem Rückgang der Erdöl-Förder- «Ich denke, die Zahlen sind hinreichend genau, um mengen beschäftigen. Dazu Herbert Glocker: «Wir be- Trends und entsprechende Aussagen betreffend der Erd- reiten uns darauf vor, dass sich Änderungen ergeben öl-Reserven zu treffen», war Dr. Werner Zittel, Mitver- und stattfinden. Auch wir von BP wollen zukünftig eine fasser des Buches «Ölwechsel», gegensätzlicher Mei- Energieversorgung – zum Beispiel Wasserstoffbasis –, nung: «Ein wesentlicher Unterschied ist, dass Ölfirmen die grundsätzlich unbegrenzt verfügbar ist und keine Dr. Rolf Hartl, Geschäftsführer Erdöl- Die Referenten der SES-Fachtagung Vereinigung, Zürich Erdöl-Reserven: kein Grund zum Alarmismus. Die Sicht Die heutige Welt sei eine durch und der Mineralölwirtschaft. Dr. Rolf Hartl, Geschäftsführer durch fossile, in der Erdöl, Kohle und Erdöl-Vereinigung, Zürich. Erdgas global rund 90% des Energiebe- darfs decken. Der Energie-Mix werde Wann geht das Öl aus? Dr. Herbert Glocker, Senior Political sich in den nächsten 30 Jahren auf glo- Adviser, BP Oil Deutschland GmbH, Berlin. baler Ebene nicht fundamental verän- Künftige Ölversorgung. Dr. Werner Zittel, Ludwig-Bölkow- dern, so die Ansicht von Rolf Hartl. Der Systemtechnik GmbH, Ottobrunn, Mitverfasser des Buches nukleare Anteil werde aber abnehmen, «Ölwechsel». der Anteil der Erneurbaren andererseits Nachhaltige Energieversorgung (Fallbeispiel Deutschland) steigen. Bezüglich den Reserve-Progno- – technisch machbar, ökonomisch verträglich gestaltbar. sen vertrat Rolf Hartl die Ansicht, dass «wir uns in einer inexakten Wissen- Dr. Manfred Fischedick, Wuppertal-Institut für Klima, Um- schaft, uns im Bereich von Wahrscheinlichkeiten und Schätzungen be- welt, Energie GmbH, Leiter Forschungsgruppe «Zukünftige wegen», weil es keine zuverlässige Methode gebe, die nächste Tonne unter Energie- und Mobilitätsstrukturen», Wuppertal. der Erde zuverlässig festzustellen. In den nächsten Jahren werde der «Peak of Oil» nicht erreicht und ein «Ausverkauf der fossilen Energien» sei nicht in Klimakollaps und schwindende Ölreserven – Wo bleibt Sicht. «Ich bin aber der Auffassung, dass die Zeit des ganz billigen Öls wahr- die Unternehmensverantwortung der Ölkonzerne? scheinlich seinem Ende zugeht.» Die heutige Preissituation reflektiere nicht Karsten Smid, Kampagnenleiter Greenpeace Deutschland, eine geologische Verknappung, sondern sei durch den Markt bedingt. Als Ölkampagne, Hamburg. die tatsächlichen Zukunftsprobleme ortet Rolf Hartl die enormen Investionen Indigene und Erdöl-Förderung. Max Mader, Institut für von etwa 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr, die eingesetzt werden müssen, Ökologie und Aktions-Ethnologie INFOE Schweiz, Zürich. um die steigende Nachfrage nach fossilen Energien zu decken. «Das Kapital findet nur den Weg dorthin, vor allem in den Mittleren Osten, aber auch Expertenmeinungen über die Erdölreserven – Folgerungen nach Afrika, wenn Investitionssicherheit und Rechtssicherheit besteht.» Des- für die schweizerische Energiepolitik. halb sei die politische und militärische Sicherheit in den Produktionsstaaten Martin Renggli, Leiter Abteilung Energiewirtschaft und -poli- und entlang der Transportachsen von ausschlaggebender Bedeutung. tik, Bundesamt für Energie (BfE), Bern. 8 ENERGIE & UMWELT 2/04
schädlichen Emissionen und Auswirkungen auf Umwelt Dr. Herbert Glocker, Senior Political und Klima hat! Darüber kann man sich relativ leicht ei- Adviser, BP Oil Deutschland, Berlin nigen.» Die entscheidende Frage sei jedoch, wie schnell und mit welchen Kosten eine solche Umstellung statt- «Die rechnerische Reichweite ist seit finden wird. 1987 mehr oder weniger mit konstant Die Optimisten sagen den «Peak of Oil» auf 2030 vor- 40 Jahren auf dem gleichen Niveau ge- blieben». Das zeige, dass sich die Ein- aus, die Pessimisten auf 2010. «Das sind ja lediglich 20 schätzungen immer wieder in die Zu- Jahre Unterschied», führte Hans Hildbrand die Podiums- kunft verschoben habe, relativierte Her- diskussion fort: «Was heisst vor diesem Zeithorizont ei- bert Glocker ein absehbares Ende der gentlich Langfristigkeit?» «Ob das Fördermaximum nun Ölreserven. Wie viel Öl noch gefördert in 10, 20 oder 30 Jahren erreicht wird, dazu kann ich werde, bleibe eine Schätzung. Herbert nichts sagen, weil ich es nicht weiss», so Herbert Glocker Glocker zweifelt daran, dass sich die für BP. Werner Zittel hingegen argumentierte für die im glockenförmige «Hubbert-Kurve» als Modell für die weltweite Erdölförde- Buch «Ölwechsel» aufgestellte These, dass das Erdöl- rung eignet. Die Förderkurve werde von Faktoren bestimmt, die nicht kon- Fördermaximum zwischen 2000 und 2010 erreicht wer- stant sind, das heisst Preise, Nachfrage, Produktionsbedingungen, staatli- de: «Die deutsche Bundesanstalt für Geowissenschaften che Politik oder auch durch neue Fördertechnologien. «Deshalb fallen die und Rohstoffe ist inzwischen nicht weit weg von unse- Erdöl-Produktionskurven signifikant langsamer als sie ansteigen.» Mit dem rer Meinung. Sie sagen den 'Peak' auf zwischen 2010 technischen Fortschritt sei noch ein gewaltiges Potenzial an Öl relativ kos- und 2015 voraus. Dabei wird auch nachgewiesen, dass tengünstig zu erschliessen. Zusätzlich zum konventionellen Öl gebe es noch eine Ausweitung der Erdölproduktion – wie von der grosse Mengen an Schwerölen und Öl aus Verfahren wie Polymer- und Gas- Internationalen Energieagentur (IAE) prognostiziert injektionen oder auch Öl aus Polargebieten und Tiefwassergebieten. Be- wird, nicht möglich ist!» züglich der Energiezukunft nach den «Fossilen» und für eine optimale An- passungsstrategie ist für Herbert Glocker das «Timing» entscheidend. Ein 2200 Billionen Dollar in die Ölindustrie falsches Gefühl der Dringlichkeit lasse die Kosten steigen, weil damit auch Angst und Panik generiert werde. «Und Angst war nie ein guter Ratgeber. Es gibt mittlerweile einen Konsens, dass sich das Klima Öl hat einen grossen Beitrag zum heutigen Wohlstand geleistet. Diesen aufheizt. Dürfen die Erdöl-Reserven noch ausgebeutet Wohlstand dürfen wir nicht achtlos für die Zukunft über Bord werfen.» und in unverändertem Mass verbrannt werden? Karsten Smid, Kampagnenleiter von Greenpeace Deutsch- Dr. Werner Zittel, Mitverfasser des land: «Wir können nicht so weitermachen wie bisher! Buches «Ölwechsel» Wo Erdöl gefördert wird, gibt es bisweilen extreme «Der Konsens ist grösser als erwartet», Umweltbelastungen. Und beim Erdöl-Transport kommt war Werner Zittel von der SES-Fachta- es immer wieder zu katastrophalen Tankerunfällen. Das gung überrascht. Inzwischen werde ak- Erdöl hinterlässt eine dreckige Spur auf der Weltkarte.» zeptiert, dass seit 20 Jahren mehr Öl Bezüglich Klimaschutz ist für Karsten Smid klar, dass die verbraucht als gefunden wird. Werner Industriestaaten bis 2050 die CO2-Emissionen um min- Zittel als Mitautor von «Ölwechsel» ist destens 80 Prozent reduzieren müssen. wie Colin J. Campbell der Meinung, Wie an der Fachtagung zu erfahren war, werden die In- dass basierend auf bisherigen Daten vestitionen in die Erdölindustrie für die nächsten 30 Jahre und geologischem Hintergrund mit eini- auf die unvorstellbare Summe von 2200 Billionen Dollar ger Verlässlichkeit extrapoliert werden (2’200’000 Milliarden Dollar!) geschätzt. «Diese Inves- kann, wie viel Öl zukünftig noch gefunden und gefördert werden kann. Dar- titionen wünsche ich mir für die erneuerbaren Energien. aus lasse sich schliessen, dass das Fördermaximum bald erreicht und die Hier könnten die Ölkonzerne einen erheblichen Beitrag Ölförderung zurückgehen werde. Für die europäische Erdölförderung sei bis leisten. Das würde in der Welt zu einer sicheren Energie- 2010 ein Rückgang um 50% zu erwarten. «Zwar bewerten die USA seit 30 versorgung führen, es würde Konflikte reduzieren und Jahren ihre Reserven stets höher, trotzdem geht die Produktionsrate jedes erheblich zum Klimaschutz beitragen», argumentierte Jahr zurück», erklärte Werner Zittel. Die Erdölförderung der USA basiere auf Karsten Smid an die Adresse der Ölkonzerne. vielen alten Feldern, die etwa mit 40% zur Ölproduktion beitragen. Tatsache ist, dass sich der Erdöl-Import der USA innert 15 Jahren auf 60% verdoppelt «BP ist weltweit mit dabei bei den erneuerbaren Ener- hat. «Der weltweite Hunger nach Öl wird grösser: Regionen, die heute noch gien», entgegnete Werner Glocker. «Man kann natürlich Öl fördern, werden zunehmend zu Importeuren.» Zudem kommen neue Ver- immer argumentieren, warum nicht mehr und schneller? braucher und Schwellenländer wie China hinzu. Die Förderung von unkon- Wir als Geschäftsleute müssen den 'Shareholdern', das ventionellen Ölen aus Ölsanden beurteilte Werner Zittel als sehr umweltbe- Geld zurückzahlen, das wir geliehen haben.» Hier müsse lastend, wasserintensiv und sehr teuer. «Auch die Finanzwelt sieht die Erd- BP in harter Konkurrenz bestehen. «BP tut mehr als an- ölproduktion zunehmend als finanzielles Problem. Die Förderung kann zwar dere. Beispielsweise haben wir die eigenen CO2-Emissio- ausgeweitet werden, aber es wird sehr, sehr teuer.» nen um 10% unter das Niveau von 1990 reduziert. Das ist eine Leistung, die wir erwähnen dürfen.» Karsten Smid dazu: «Beim Erdöl ist das Problem, dass das Treib- Allerhöchste Zeit zu handeln hauspotenzial direkt im Produkt steckt. 80% bis 90% der CO2-Emissionen stecken im Erdöl selbst. Und deshalb er- Warum wird nicht schneller gehandelt, werden die Wei- warten wir von den Erdölkonzernen, dass sie für ihr Pro- chen nicht vehementer Richtung nachhaltiger Energie- dukt auch Verantwortung übernehmen.» zukunft gestellt? Dazu Manfred Fischedick vom Wup- 2/04 ENERGIE & UMWELT 9
pertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie: «Wenn Welt zahlen.» Als hauptsächlichen Grund, dass nicht wir den Klimawissenschaftern glauben, ist es allerhöchs- schneller gehandelt wird, werde immer wieder das Kos- te Zeit zu handeln – insbesondere auch deswegen, weil tenargument angeführt, nämlich dass erneuerbare die Zeche dafür, dass wir nicht handeln, nicht wir selber, Energien und Energieeinsparungen zu teuer seien. «Das sondern in erster Linie wieder die armen Länder der stimmt so nicht – insbesondere auch was die Energie- einsparungen antrifft!» entgegnete Manfred Fischedick mit Nachdruck: «Wenn man in betriebswirtschaftlichen Dr. Manfred Fischedick, Wuppertal- Kategorien denkt, dann sind Investitionen in Energie- Institut für Klima, Umwelt, Energie einsparungen sehr rentabel.» Beispiele, wie Unterneh- Die Energiemärkte werden zusehends men mit Energiesparmassnahmen ihr Geld verdienen, liberalisiert und globalisiert. Damit stei- gibt es viele. «Doch es gibt noch unzählige Hemmnisse, gen Unsicherheiten und Abhängigkei- die es zu überwinden gilt», appellierte Manfred Fische- ten. Gleichzeitig wachsen die Anforde- dick: «Es wird immer wieder vergessen, dass Vorleistun- rungen an Ressourcen- und Klima- gen und staatliche Unterstützung bei der Entwicklung schutz, stellte Manfred Fischedick die neuer Technologien immer dazu gehören. Das galt für Ausgangslage dar. Deutschland stehe die Kernenergie in den 60er-Jahren, das galt für die vor wichtigen Weichenstellungen. Kohleindustrie und auch die Ölindustrie.» Bei den er- «Zwischen 2010 und 2030 müssen et- wa 50 bis 70% der Kraftwerke ersetzt neuerbaren Energien gebe es eine ganze Reihe von er- werden. Das ist eine einmalige Chance, um mit Alternativen auf den Markt folgreichen Beispielen. «In Deutschland beispielsweise zu gehen». Um den Anstieg der Welttemperatur in «tolerablen» Grenzen zu ist die Windenergie innert 10 Jahren von null Prozent halten, gelte es die Treibhausgas-Emissionen bis 2050 auf globaler Ebene auf 5% an der Stromerzeugung angewachsen. – Das um etwa 50%, in den Industrieländern um 80% zu reduzieren. Bei einem Sze- sind Erfolge, die natürlich Vorleistungen erfordert ha- nario «Business as usual» aber werde die «Klimaschutz-Lücke» immer grös- ben, die aber letztendlich mit Rendite wieder zurückge- ser. Um die Klimaschutzziele zu ereichen, seien erhebliche Energie-Einspa- zahlt werden. Ich kann nur an die Politik appellieren, rungen notwendig. «Die Einsparpotenziale durch heute schon vorhandene mehr Mut walten zu lassen». Und Manfred Fischedick energieeffiziente Technologien liegen im Schnitt bei rund 35% – im Gebäu- weiter: «Es liegt an der Politik, die Rahmenbedingungen debereich gar bei 70 bis 90%», erklärte Manfred Fischedick. Für ihn ist klar, so zu setzen, dass Unternehmen mit ökologischen Pro- dass die fossilen Energien zukünftig durch «Erneuerbare» ersetzt werden dukten ihr Geld verdienen können.» müssen. Für Deutschland würde dies Mehrkosten im Jahr 2050 von 12 Milliarden Euro bedeuten (150 Euro pro Kopf und Jahr). Steigen die Erdöl- Fragen und Stimmen aus dem Publikum kosten, dann reduzieren sich auch diese Differenzkosten. «Diese Investitio- nen sind notwendige Vorleistungen, um in einigen wenigen Jahrzehnten die «Nahezu die Hälfte unseres Energiebedarfs wird für Rendite auch einfahren zu können.» Komfortwärme verbraucht. Über ein Drittel wird für un- sere Mobilität verbrannt. Und nur ein Sechstel wird für Karsten Smid, Kampagnenleiter die gesamte Produktion gebraucht, inklusive der energie- Greenpeace Deutschland intensiven Produkte wie Papier, Stahl, Aluminium, Ze- «Es geht darum, die letzten Ressourcen ment und Glas», so ein kritischer Zuhörer aus dem Pu- auszubeuten und damit verbunden um blikum: «Wenn wir also Energie in der Schweiz effizien- die Zerstörung der letzten Naturschutz- ter einsetzen wollen, muss bei der Gebäudesubstanz Reservate überall in der Welt», verwies und Mobilität angesetzt werden.» Karsten Smid anhand von 6 aktuellen Sein klares Votum an die Politik: «Mir scheint die zeitli- Brennpunkten auf die weltweiten Spu- che Diskussion um 10, 30 oder 100 Jahre absolut lä- ren des Öls. 2002 kenterte an der Galizi- cherlich. Eine Politik, die sich auf derart kurze Zeiträume schen Küste ein schrottreifer Tanker. beschränkt, ohne heute schon Alternativen zu entwi- 180'000 Tonnen Öl liefen aus, mindes- ckeln, scheint mir verantwortungslos!» tens 250'00 Vögel fanden den Öltod. In Dazu Martin Renggli vom Bundesamt für Energie: «Mei- Russland wollen Shell und Esso vor die Küste der Insel Sachalin vorstossen, ne Aufgabe als Bundesangestellter ist es, der Politik wo die letzten Tiere einer Grauwal-Population ihre Nahrungsgebiete haben. Möglichkeiten und energiepolitische Massnahmen vor- Und in Alaska sei ein hochsensibler Lebensraum mit Wölfen, Eisbären zuschlagen.» EnergieSchweiz hat heute weniger finan- und Zugvögeln durch Ölfelder und der Gier nach Öl bedroht. Karsten Smid ist zielle Mittel, nämlich 45 Millionen Franken jährlich. überzeugt: «Der Irak-Krieg ist ein Krieg um Öl.» In den Golf-Staaten liegen «Unser Schwerpunkt durch diese Budgetkürzung liegt nämlich 65% der Erdöl-Reserven. Dies sei nicht der alleinige Grund, aber un- darin, jetzt mehr in Produkte und Projekte zu investie- bestritten ein wesentlicher. Die Probleme der Erdölförderung werden sich ren, die sich relativ rasch auszahlen. Und das ist der zuspitzen: Bis 2025 werde die Nachfrage nach Öl um 60% steigen, was zu Baubereich», erklärte Martin Renggli. Oder anders ge- einem Beschaffungsdruck führe und Krisen verschärfen könne. Die Ölkon- sagt: Es bleibt kaum Geld, neue nachhaltige Energie- zerne weichen zunehmend in ökologisch sensible Regionen aus. Zudem technologien zu fördern. Martin Rengglis leiser Vorwurf würden die steigenden CO2-Emissionen der Ölverbrennung zum Verfehlen betreffend der Budgetkürzungen: «Wir müssen uns der Klimaschutzziele führen. «Das sind drei gute Gründe umzusteigen, das heisst weg vom Öl hin zu erneuerbaren Energien. Die Ölkonzerne haben die heute – im Rahmen dessen, was uns die Politik zur Ver- Möglichkeit, ihre Milliarden auch umzulenken, statt in umweltschädliche, fügung stellt – sehr gut überlegen, wo wir unsere klimazerstörerische Förderanlagen zu stecken.» Schwerpunkte setzen. Hier sind die Politik und die ge- wählten ParlamentarierInnen angeprochen.» 10 ENERGIE & UMWELT 2/04
Ein hoher Ölpreis wird die Welt bewegen Tagungsband inklusive CD-Rom zur SES-Fachtagung «Erdöl – Der Streit um die Reserve-Prognosen»: Der Tagungsband enthält die Referate der Tagung Die Schweiz ist zu über 80% von Energieimporten ab- sowie eine Transkription der Podiumsdiskussion. Auf der CD-Rom sind die Po- hängig (Erdöl, Gas und Uran). Selbst Exxon Mobil pro- werpoint-Präsentationen der Tagung zu finden. Der Tagungsband für Fr. 30.– ist gnostiziere ab 2010 eine Lücke in der Erdöl-Versorgung. zu bestellen unter www.energiestiftung.ch oder unter Tel. 01 271 54 64. «Wie wird diese vorausgesagte Versorgungslücke auf- gefangen?» so eine weitere Frage aus dem Publikum. Max Mader, Institut für Ökologie «Die Frage ist schwierig», gab Martin Renggli vom BFE und Aktions-Ethnologie Infoe zu: «Es wird ein ganzes Paket von Massnahmen brau- Der Beginn der Erdölförderung in Ent- chen. Es sind dies staatliche Massnahmen, finanzielle wicklungsländern bedeute für die indi- Mittel und Förderung, aber auch zusätzliche, neue ener- gene Bevölkerung meistens einen ab- giepolitische Massnahmen.» Der Ölpreis selber werde rupten Übergang von der Subsistenz- lenkend wirken. «Ein stabil hoher Ölpreis wird die Welt zur Geldwirtschaft. In den Regionen, die bewegen. Die Ölbranche wird beginnen, anders zu in- für die Erdölförderung erschlossen wer- vestieren», zeigte sich Martin Renggli überzeugt. den, gibt es kaum nachhaltige Entwick- «Es wurde viel von Langfristigkeit gesprochen. Aber für lung. Im Gegenteil, die Erdölförderung mich ist bis 2030 sehr kurzfristig. Ich stehe dann mitten verhindere die Entwicklung anderer Wirt- im Berufsleben», so ein junger Zuhörer: «Ist BP auch schaftssektoren. Dies zeigte Max Mader nach dem 'Peak' fähig, die Bevölkerung mit Energie, res- anhand einer Infoe-Studie zur Erdölförderung in 9 Ländern. Mit Beginn der pektive Alternativenergie zu versorgen?» Herbert Glo- Erdölförderung sind primäre Schäden zu verzeichnen: 1. Versumpfung, Zer- cker für den Ölkonzern BP: «Wenn es darauf ankommt, störung der Umwelt, 2. Luftbelastung, saurer Regen, 3. Leckagen, welche können auch aus Erdgas Kraftstoffe produziert werden. die Trinkwassersysteme in vielen Gebieten nachhaltig zerstören; Rückgang Zudem gibt es Möglichkeiten, Kraftstoffe fossilen Ur- der Ernteerträge, 4. Schäden durch Explosionen. Zwar bestehen in allen sprungs durch Biokraftstoffe zu ersetzen. Es gibt auch untersuchten Ländern Umweltgesetzgebungen, Land-, aber auch Steuer- die Wasserstoff-Technologie.» Nachhaltige Energie-Tech- rechte, welche die Interessen der indigenen Bevölkerung wahren sollten. «Jedoch ist die Einhaltung der Gesetze sehr schlecht, weil der Staat meistens nologien existieren also heute schon. «Solche Technolo- kein Interesse hat, die Einhaltung zu gewährleisten», so Max Mader. gien setzen sich aber erst durch, wenn die Kosten entspre- Die Kompensationszahlungen sind verschwindend gering und einmalige chend reduziert werden», argumentierte Herbert Glo- Entschädigungen. «Dauerhafte Gewinnbeteiligung gibt es so gut wie nicht», cker. Gegenwärtig biete BP so viel Solartechnik an, wie erklärte Max Mader. Derzeit sei auch eine Diskussion über Öko-Labeling im der Kunde nachfrage. Und Herbert Glocker mit einem Gang. Infoe wolle internationale Organisationen gewinnen, die Öko-Labels rechtfertigenden Schlusswort zum Podium: «Wir leisten verteilen und Ölkonzerne akreditieren, die umwelt- und sozialverträglich Öl einen Beitrag an die Technologieentwicklung, aber wir fördern. können nicht ein Geschäft permanent betreiben, das sich nicht auszahlt. Dieses Geld haben wir nicht...» Martin Renggli, Leiter Abteilung Energiewirtschaft und -politik, BfE Kurzkommentar «Die Datenlage zu den Erdölreserven ist Egal wie die Statistiken zu den Erdöl-Reserven ausgelegt wer- unzuverlässig», brachte Martin Renggli den. Fossile Energien sind endlich, die Erdöl-Fördermengen wer- die Meinung der verschiedenen Exper- den abnehmen – ob in 10 oder 30 Jahren ist eine viel diskutierte ten auf einen gemeinsamen Nenner. Es Frage der Interpretation, aber keine der Langfristigkeit. fehle an einheitlichen Definitionen, Be- Es wird einen Paradigmawechsel bei der Energieversorgung ge- wertungsmethoden und auch Transpa- ben müssen. Klar ist auch, dass sich das Klima aufheizt und dies renz. Einig seien sich die Experten auch, tief greifende Konsequenzen für unsere Ökosysteme hat und ha- dass nach 2010 die Abhängigkeit von ben wird. Wir werden nicht umhinkommen, unsere CO2-Emis- im Prinzip fünf erdölexportierenden Län- sionen drastisch zu senken und die Energien effizienter zu nutzen. dern des Mittleren Ostens wächst, die Die Technologien für eine nachhaltige Energie-Zukunft sind vor- über zwei Drittel der sicheren Reserven verfügen. Bezüglich der CO2-Reduk- handen. Letztlich ist es eine Frage der Politik und der Vernunft. tion in den 30 Industrieländern der OECD sei die heutige Bilanz ernüchternd. Mit ein paar Hundert Franken pro Person und Jahr könnten wir er- Eine Stabilisierung bedeute CO2-Reduktion von 50 bis 60% gegenüber 1990. neuerbare Energien gezielt fördern und uns einen Technologie- «Wir sind weit weg vom Kyoto-Ziel», bilanzierte Martin Renggli. «Für mich und Innovationsvorsprung verschaffen. Demgegenüber stehen ist klar, es braucht eine stärkere Politik in den OECD-Ländern.» die externen Kosten von Erdölförderung, Klimaerwärmung, Um- In der Schweiz wurde stattdessen das Budget von EnergieSchweiz gekürzt. weltverschmutzung und die Kosten aufgrund sozialer und politi- «Mit der Budgetkürzung vermindert sich die energetische Wirkung von scher Spannungen rund ums Erdöl. Was kostet uns weniger: EnergieSchweiz um 3 bis 10%», erklärte Martin Renggli. Es müsse bei Pro- Vernunft oder Weitermachen wie bisher? Dabei werde ich den jekten nationaler Bedeutung, Ausbildung, Dachmarketing gekürzt werden. Verdacht nicht los, dass die Ölbranche sich der Problemlage Und zum Vergleich von CO2-Abgabe und Klimarappen: «Die Investitionen im durchaus bewusst ist – es letztlich mit steigenden Erdölpreisen Inland zur CO2-Reduktion sind teurer als beim Kauf von Zertifikaten im Aus- aber um viel Geld und steigende Gewinne geht. Statt in die För- land.» Jedoch sei die Glaubwürdigkeit des Zertifikate-Handels ein Problem. derung erneuerbarer Energietechnologien fliesst das Geld in die Dieser müsse sehr seriös sein, und es müssten Projekte sein, die nachhaltig Kassen der Ölbranche, die ohnehin kaum Zukunft hat... sind. Zudem habe der Bundesrat immer die Ansicht vertreten, dass die Hauptanstrengungen im Inland sein müssten, nicht im Ausland. Rafael Brand 2/04 ENERGIE & UMWELT 11
BFE-Studie zu Versorgungsengpässen bei Erdöl und Ergas Erdöl wird knapp: kein Grund zum Handeln? Kürzlich ist eine vom Bundesamt für Energie (BFE) veranlasste Studie1 erschie- nen zur Frage, ob Versorgungsengpässe bei Erdöl und Erdgas in den nächsten Jahrzehnten zu erwarten sind. Während die Beschäftigung mit dieser Frage sehr zu begrüssen ist, geben die Beschränkung des Gesichtsfelds, einige methodische Punkte und insbesondere die gezogenen Schlussfolgerungen Anlass zu Kritik. Die Sorge um die Abhängigkeit der In- nannte «Peak») erreicht wird, sehr wichtig. In den letz- dustriestaaten von einer zuverlässigen ten Jahren hat die Bandbreite der diesbezüglichen und langfristig verfügbaren Versor- Schätzungen deutlich abgenommen. Die Autoren der gung mit Erdöl wurde erstmals mit den BFE-Studie gehen mit dem Mittelfeld der Experten, das Ölkrisen von 1973 und 1979 akut. Da- die Erdölmultis einschliesst, und rechnen damit, dass mals wurde die Verwundbarkeit unse- der Peak für die konventionellen Reserven zwischen rer Wirtschaft durch eine starke Im- 2015 und 2020 eintreten wird. Manche Experten (z.B. portabhängigkeit sehr augenfällig. Ob- Colin J. Campbell) erwarten den Peak sogar schon für Von Dr. Rüdiger Paschotta, wohl diese Krisen rein politisch bedingt die nächsten Jahre. Immerhin ist der Peak für viele Öl- Physiker an der ETH Zürich waren, regten sie auch Gedanken über förderländer und -regionen (z.B. für die Nordsee) be- die Endlichkeit der Vorräte an. Ange- reits überschritten. sichts des schnellen Verbrauchswachs- tums entstand die Befürchtung, dass die Vorräte wo- BFE-Studie erwartet keinen Preisanstieg möglich schon in wenigen Jahrzehnten allmählich er- schöpft werden könnten und die Verknappung dann Trotz dieser Umstände erwarten die Autoren der BFE-Stu- nicht mehr nur vorübergehend wäre. die aber für die nächsten 30 Jahre keinen rapiden Preis- In den letzten Jahren spielten solche Sorgen wieder eine anstieg. Als Hauptgründe dafür führen sie Folgendes an: geringere Rolle – vermutlich weil politisch bedingte Ver- • Erdöl kann ein Stück weit durch Erdgas substituiert knappungen nicht mehr auftraten. Die OPEC verlor erheb- werden, dessen Vorräte wesentlich grösser sind. lich an Macht, während weltweit weitere bis anhin unbe- • So genannte nicht-konventionelle Reserven wie z.B. kannte Vorräte entdeckt wurden und Regionen ausserhalb Ölsande können ausgebeutet werden – allerdings zu des Nahen Ostens einen grösseren Teil der Versorgung höheren Kosten sowie unter Schädigung sensibler übernahmen. Ein häufig (auch in der vorliegenden Stu- Regionen und zusätzlicher globaler Umweltbelas- die!) übersehener Faktor ist, dass anhaltende Wirtschafts- tung durch zusätzliche Emissionen. krisen – zum guten Teil ausgelöst durch die Ölkrisen – das • Erneuerbare Energien, verbesserte Energieeffizienz Wachstum des weltweiten Verbrauchs deutlich dämpften, sowie die Kernenergie könnten einspringen. Ein- und dass diese Wachstumsraten für die Reichweite der schränkend wird auf den grossen Zeithorizont für die Vorräte sogar wichtiger sind als die Grösse der Reserven. Entwicklung erneuerbarer Energiequellen in grossem So wird z.B. die Menge, die bei konstantem Verbrauch für Umfang hingewiesen, während völlig im Dunkeln 100 Jahre ausreichen würde, bei 5% Verbrauchswachs- bleibt, wie z.B. ein wachsender Ölbedarf im Verkehr tum pro Jahr bereits in 36 Jahren erschöpft bzw. würde auf ökonomisch akzeptable Weise durch Kernenergie für 100 Jahre so fast die 27-fache Menge benötigt. Des- ersetzt werden sollte – ganz abgesehen von diversen wegen sind selbst gering erscheinende Reduktionen der anderen Problemen der Kernergie. Wachstumsrate (z.B. durch Effizienzmassnahmen) ein • Die Autoren erwarten, dass ärmere Länder bei stei- wirksameres Mittel gegen Verknappung als das Auffinden genden Preisen ihren Ölbedarf schnell reduzieren selbst relativ grosser zusätzlicher Vorräte. werden, so dass sich die Lage für die westlichen In- dustrieländer entspannen wird. Auch dies wird auf Der «Peak of Oil» zwischen 2015 und 2020? keine Weise mit Fakten belegt. Unbeachtet bleibt, dass diese Länder ohnehin nur einen relativ kleinen Ein weiterer wichtiger Umstand ist, dass schmerzhafte Verbrauch haben, der sich anders als bei uns häufig Preissteigerungen bereits lange vor der vollständigen auf das wirklich Notwendige beschränkt. Ausbeutung der Vorräte auftreten können. Die Förder- kapazität nimmt nämlich meist schon ab, wenn unge- Immerhin weisen die Autoren auf einige Risiken hin. fähr die Hälfte der Vorräte abgebaut ist. Deswegen ist Nachdem viele Förderländer den Peak der Förderung be- die Frage, wann die maximale Ölförderung (der so ge- reits überschritten haben, nimmt die Abhängigkeit vom 1 http://www.energie-schweiz.ch/imperia/md/content/politikundrecht/energiepolitik/ewg/5.pdf 12 ENERGIE & UMWELT 2/04
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