Energiedialog - Energiestrategie 2050 - Axpo
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Editorial Inhalt Der Wert des Titelstory – Versorgungs sicherheit: Was wollen Politik Schweizer Stroms und Wirtschaft? 3–6 Wissen – Ohne Strom geht gar nichts 7 Liebe Leserin, lieber Leser Spektrum – Im Winter wird es eng 8–9 Die Reportage ab Seite 3 zeigt es deutlich: Es gibt viele gute und auch gut gemeinte Ideen für die Gestaltung unserer Energie zukunft. Aber einen Königsweg gibt es nicht. 2016 ist ein Jahr, in dem Rahmenbedingungen abgesteckt, in dem politische Entschei dungen gefällt werden. Über die Energiestrategie, aber auch über einen sofortigen Atomausstieg. Deshalb sollten wir die Ideen von Politik und Wirtschaft auch auf ihre Konsequenzen prüfen. Axpo ist von den Verzerrungen in den Energiemärkten sehr direkt betroffen. Der Marktpreis im Grosshandel für Strom ist mittlerweile so tief, dass unsere Kraftwerke zu teuer produzieren. Die Gründe für den Preiszerfall sind bekannt: massive Subven Physikerin Irene Aegerter. tionierung der neuen Energien in Europa, tiefer Kohle- Andrew Walo und CO2-Preis, flaue Konjunktur. Besserung ist – zumindest in den Interview – Irene Aegerter: CEO Axpo nächsten Jahren – nicht in Sicht. «Die Energiestrategie 2050 ist keine!» 10–11 Die Schweizer Wirtschaft kann sich zu Tiefstpreisen mit Strom versorgen. Auch die Endversorger, die regionalen und lokalen Kernkraft – Und es braucht Netzbetreiber, decken sich am Markt mit Billigstrom ein – sie eben doch 12 können aber zumindest ihren Monopol-Kunden weiterhin ihre Gestehungskosten verrechnen. Axpo hat in der Schweiz kaum Reportage – Reto Tschuor: Endkunden. Klimaschonenden Schweizer Strom zu produzieren Der Staumauerbauer der ist für uns deshalb zum Verlustgeschäft geworden. Schweiz 13–15 Es gibt rigorose Ideen, wie dieser Situation beizukommen wäre: Herausgepickt – Jetzt wird Man solle die Produzenten Konkurs gehen lassen, deren Kraft geröhrt 16 werke würden dann einfach von anderen Energieunternehmen « in Auch die Politik steht der Verantwortung. » oder Investoren übernommen und betrieben. Tatsächlich: Die Werke wären damit auf einen Schlag abgeschrieben. Aber heute sind die Markt Axpo Newsletter abonnieren: preise so tief und die Steuern und Abgaben auf der Aktuelle Themen, Geschichten Wasserkraft so hoch, dass oft nicht einmal mehr ein und Hintergründe aus der Axpo vollständig amortisiertes Grosswasserkraftwerk kostendeckend Energiewelt: betrieben werden kann. Wer sollte solche Kraftwerke also über www.axpo.com/newsletter nehmen wollen? Und wer würde weiter in deren Erhalt oder gar Ausbau investieren? Fotos: Axpo, Jolanda Flubacher; Titelbild: Axpo Nein, wir müssen uns schon klar werden, was uns die sichere Versorgung und damit ein von Wirtschaft und Gesellschaft Impressum gewünschter Mix der Stromproduktion in der Schweiz wert Herausgeberin: Axpo Holding AG sind. Zudem sind das hierfür benötigte Marktdesign und die Parkstrasse 23 | CH-5401 Baden Verantwortlichkeiten für die Versorgungssicherheit verbindlich Redaktion: Catherine Mettler | Ueli Walther | Franziska Pedroietta festzulegen. Daher steht auch die Politik in der Verantwortung. Feedback, Fragen, Kommentare: Es braucht Lösungen – bevor es zu spät ist! info@axpo.com Produktion und Layout: media&more GmbH | Zürich Druck: Sihldruck AG | Zürich Auf FSC-Papier klimaneutral gedruckt Andrew Walo 2 Energiedialog Mai 2016
Titelstory «Wasserkraft stützen – Kohlestrom durch Lenkungsabgabe verteuern!» Die grossen Schweizer Stromproduzenten leiden unter massiv gesunkenen Strom- preisen und müssen sparen. Welche Rolle sollen Unternehmen wie Axpo künftig auf dem Strommarkt spielen? Auf welche Rahmenbedingungen können sie setzen? So sehen Politik und Wirtschaft die Energiestrategie 2050. «Strombarone» nennt man die grossen 2008 von 80 Euro/MWh auf 20 Euro/ für Strom liegen. Entsprechend ver- Schweizer Stromproduzenten in den MWh. Anzeichen für eine Erholung suchen die Stromproduzenten ihre Medien gerne abschätzig. Doch vom in den nächsten Jahren gibt es derzeit direkte Abhängigkeit vom Strompreis Adelsstand und von rosigen Aussich- nicht. Stark subventionierter Wind- zu reduzieren. Die vier Eckpfeiler der ten sind Firmen wie Axpo oder Alpiq und Solarstrom (mit Zuschüssen von Konzernstrategie, welche die Axpo derzeit weit entfernt. Auf dem Strom- über 20 Milliarden Euro pro Jahr in bereits seit zwei Jahren umsetzt, sind: markt werden Geschäfte langfristig Deutschland), aber vor allem der tiefe Kerngeschäft optimieren, Kosten getätigt, ein grosser Teil der künftigen Preis für Kohle und CO2-Zertifikate weiter senken, neue Geschäftsfelder Stromproduktion von 2019 ist bereits sind der Grund für den Preissturz. erschliessen und Investitionsplanun- verkauft. Und dies zu Preisen, die oft- Für Stromproduzenten wie Axpo gen fokussieren. mals unter den Gestehungskosten lie- heisst dies strategisch umdenken. Kein Wunder, dass nach der Fertig- gen. Das sind keine guten Aussichten. Denn ein beträchtlicher Teil des stellung des Axpo Pumpspeicherwerks Der Grosshandelspreis für Strom Kraftwerksparks produziert aktuell Limmern (Inbetriebnahme 2016/17) an den europäischen Börsen sank seit zu Kosten, die über dem Marktpreis und des Alpiq-Projekts Nant de Drance Foto: Axpo Der Stausee Santa Maria am Lukmanierpass mit der 117 Meter hohen Bogenstaumauer. Energiedialog Mai 2016 3
Titelstory im Wallis (ab 2018) keine grossen In- selbst verursachten Standortnachteil», vestitionen zum Ausbau der Wasser- kritisiert Energiefachfrau Sonja Studer kraft geplant sind. Das Wachstums von Swissmem (Maschinenindustrie). potenzial bis 2050 ist hier ohnehin Demgegenüber glauben CVP, SP sehr begrenzt. Auch bei der Windener- und Grüne an die ES 2050. Es gebe kei- gie mussten die Ausbauziele gemäss ne Alternative dazu und sie sei «trotz Energiestrategie 2050 (ES 2050) be- Christian Wasserfallen miserablem Marktumfeld umsetz- reits reduziert werden. Nationalrat FDP (BE), Vizepräsident FDP bar», urteilt Stefan Müller-Altermatt, Gänzlich von der Agenda gestri- chen sind nach den Problemen bei Probebohrungen in Basel und St. Gal- « Die Kantone haben jahrzehntelang von den CVP-Nationalrat und Präsident der UREK (Energiekommission). Wich- tig sei dabei besonders der Ausstieg len Geothermie-Projekte. Und die Stromfirmen profitiert. aus der Kernenergie, betont SP-Frak öffentliche Akzeptanz für den Bau Jetzt müssen sie auch in tionschef Roger Nordmann. Die feh- von neuen Gas-Kombikraftwerken lende Energie könne durch alternative in der Schweiz ist «wegen des CO2- mageren Zeiten Verant Produktion in der Schweiz beschafft Ausstosses und der Auslandabhängig- wortung für eine sichere werden. Eine bedeutende Rolle mit Energieversorgung » keit relativ gering», wie der Verband einem Potenzial von bis zu 30 Prozent Schweizerischer Elektrizitätsunter- übernehmen. werde dabei die Solartechnik spielen, nehmen nüchtern feststellt. «denn sie ist eine billige und sehr breit akzeptierte Technologie». Für Bastien Wie kann man Girod, Nationalrat der Grünen, und Kernenergie ersetzen? der Kernkraft (heute 40 Prozent der Müller-Altermatt von der CVP ist klar: Kommt hinzu, dass auch 2015 der Schweizer Stromproduktion) feh- «Nur mit der ES 2050 werden erneuer Stromverbrauch hierzulande um lende Strom durch solchen aus dem bare Energien und Stromeffizienz 1,4 Prozent auf 58,2 TWh gestiegen Inland ersetzt werden kann, scheint ausreichend gefördert.» ist. Die ES 2050 geht aber von einem fraglich (siehe Box Seite 6). Rückgang des Stromverbrauchs bis Für SVP-Nationalrat Albert Rösti, Noch abhängiger 2050 um 10 Prozent aus. Die Risse in Präsident der Aktion für vernünftige vom Ausland? der Energiestrategie, die vom Parla- Energiepolitik Schweiz (AVES), geht Für SP und SVP ist zudem wichtig, ment in der Sommersession verab- die Rechnung jedenfalls nicht auf. dass die Schweizer Stromproduktion schiedet werden soll, sind offensicht- «Die ES 2050 vermag eine sichere und möglichst autark ist. So sei die Ver- lich. Ob der durch den Ausstieg aus bezahlbare Energieversorgung nicht sorgungssicherheit am besten garan- zu garantieren.» Sie verursache hohe tiert. Zudem sei die Energiebranche Kosten, stelle hohe Anforderungen ein relevanter Faktor der Schweizer an die technische Entwicklung und Wirtschaft. Ein gewisser Selbstver- berge Gefahren für die Versorgungs- sorgungsgrad sei «strategisch wich- sicherheit. Christian Wasserfallen, tig», glaubt aus diesen Gründen auch FDP-Nationalrat, spricht von einem Müller-Altermatt. Falls die Schweiz «Grundlagenirrtum». Es sei ein «Un- ein Stromabkommen mit der EU ab- sinn, die CO2-arme Kernenergie zu schliessen könne, dann «ist das egal», verbieten». Besser wäre es, mit erneu- sagt dagegen Girod. erbaren Energien die fossilen Brenn- Auch die Wirtschaftsvertreter und Treibstoffe abzulösen. Die erste glauben, dass es künftig ohne Strom Etappe der ES 2050 «wird die Ziele importe nicht gehen wird: «Die Ver- Roger Nordmann nicht einmal zur Hälfte erreichen». sorgungssicherheit ist für uns selbst- Nationalrat SP (VD), Fraktionschef SP « Auch wichtige Wirtschaftsverbän- redend existenziell», heisst es bei der Dank der KEV haben de und die Interessengemeinschaft IGEB, egal woher der Strom komme. Energieintensive Branchen (IGEB) Aber: «Ein Minimalziel für die Eigen wir schon rund 3 TWh zu stehen der ES 2050 skeptisch gegen- versorgung hätte von Anfang an sätzliche Produktion an über. IGEB-Präsident Frank R. Ruepp festgelegt werden sollen, damit an- Fotos: www.parlament.ch erneuerbaren Energien. bilanziert: «Übrig geblieben ist ein Sub- schliessend das Marktdesign definiert Wir brauchen noch 22, ventions- und Verwaltungsmonster.» werden kann.» Besonders im Winter – «Nur bedingt realisierbar mit hohen wie dies bereits heute der Fall ist – blei- um die AKW zu ersetzen. volkswirtschaftlichen Kosten», bemän- be die Schweiz auf Importe angewie- Da steht uns noch ein harter Weg bevor. » gelt Michael Matthes von Science industries (Chemie, Pharma, Biotech). «Für die Industrie bedeutet dies einen sen, um den Wegfall der Kernenergie zu kompensieren, bemerkt Wasser- fallen. «Doch wir sollten nicht noch 4 Energiedialog Mai 2016
Windräder vor dem alten Kohlekraftwerk in Mehrum (Niedersachsen). abhängiger werden vom Ausland, vor auch Artikel 89 der Bundesverfas- Nordmann, dass «Swissgrid künftig allem dann nicht, wenn es sich bei den sung vorsieht. Allerdings seien neben selber ein paar grosse Stauseen besit- Importen um deutschen Kohlestrom Swissgrid auch andere Netzbetreiber zen oder pachten würde, um die Sta- handelt.» und die Stromproduzenten gefordert. bilität der winterlichen Stromversor- Dass im Falle von Importen stark Es braucht «ein optimales Zusam- gung zu gewährleisten.» mit CO2 belasteter Kohlestrom aus menspiel aller Akteure», formuliert Deutschland in die Schweiz kommen AVES-Präsident Rösti. Wichtig sei, Ist Insolvenz wirklich könnte, macht den befragten Politi- dass der «Markt spiele», tönt es bei der kein Problem? kern generell Bauchweh. Denn heute CVP. Neu wünscht sich SP-Vertreter Trotz der Bedeutung, die Stromprodu- ist der Schweizer Strommix praktisch zenten für die Versorgungssicherheit CO2-frei. Entsprechend breit ist denn laut Politik noch haben, dürfen diese auch die Zustimmung, diesen Strom nicht mit finanzieller Hilfe rechnen, aus fossiler Energie nötigenfalls mit wenn sie in eine wirtschaftliche Schief- einer Lenkungsabgabe zu verteu- lage geraten. Sie seien nicht «too big ern. Doch die Wirtschaft signalisiert to fail», finden alle Befragten. Nur bei Widerstand: «Nicht praktikabel und voller Transparenz und im äussersten eventuell auch nicht WTO-konform», Notfall, wenn die Versorgungssicher- urteilt Swissmem. «Strom ist Strom, heit gefährdet wäre, könne er sich so et- gleichartige Waren dürfen nicht was vorstellen, sagt Müller-Altermatt. durch einseitig verfügte Massnah- «Ich bin mir relativ sicher, dass wir von men benachteiligt werden», heisst es beiden Punkten aber weit entfernt Bastien Girod bei Scienceindustries. Die Idee sei be- sind.» Ähnlich pragmatisch formuliert Nationalrat Grüne (ZH) « reits von der UREK-Ständerat aufge- es die IGEB: «Eine mögliche Insolvenz griffen und von der IGEB vehement Müssen wir Strom im von grossen Schweizer Stromkonzer- bekämpft worden, sagt Ruepp: «Sol- nen ist grundsätzlich kein Problem. portieren, dann braucht che zusätzlichen Energiesteuern sind Nach dem Abschreiber werden dann für uns industrielle Konsumenten es eine Abgabe auf die Produktionsanlagen von anderen existenzgefährdend.» Dreckstrom. Das ist Unternehmen übernommen und wei- Einig sind sich die Befragten, dass wichtig – und soll für terbetrieben, wie dies etwa auch bei die Frage der Versorgungssicherheit Hotels geschieht, die erst nach mehr Strombezüge aus fos der Schweiz mit Strom wegen des fachem Konkurs rentabel werden.» silen Kraftwerken und Unbundling komplexer geworden ist. In erster Linie in der Verantwortung sehen sie Bund und Kantone, wie dies aus AKW gelten. » Auch den möglichen Verkauf von Wasserkraft ins Ausland (derzeit ste- hen 49,5 Prozent der Stauseen von Energiedialog Mai 2016 5
Titelstory Alpiq zum Verkauf) halten die meis- gene Marktprämienmodell, mit dem ten Befragten für nicht problematisch, die wegen der tiefen Marktpreise un- denn auch die Schweizer Stromprodu- ter Druck geratene Produktion von zenten «investieren Millionenbeträge Wasserkraft (derzeit rund 60 Prozent in ausländische Windkraft-, Gaswerke Albert Rösti der Schweizer Stromproduktion) vor- Nationalrat SVP (BE), Präsident AVES oder andere Energieinfrastrukturen», übergehend gestützt werden soll. sagt Wasserfallen. «Die Wasserkraft ge- hört zum Volksvermögen», meint dage- gen SP-Vertreter Nordmann. Deshalb « Durch einen verfrühten Ausstieg aus der Kern Allerdings gibt es hier Kritik aus Wirtschaftskreisen: «Subventionen mit anderen Subventionen entgegen- sei die Strommarktliberalisierung energie ist ein Erreichen zuwirken, ist vielleicht eine nahelie- zu stoppen. Dann werde es genügend der Klimaziele stark gende, aber sicher keine langfristig kleinere einheimische Netzbetreiber taugliche Lösung. Wir setzen damit gefährdet, mit dem mit gebundenen Endkunden geben, eine Subventionsspirale in Gang, die welche ein Interesse daran hätten, sich Import von Kohlestrom dazu führt, dass ohne Subventionen » an Stauseen zu beteiligen. wird diesen zusätzlich gar nichts mehr läuft», sagt Sonja Man müsse generell die «Rahmen entgegengewirkt. Studer von Swissmem. Vielmehr müs- bedingungen für die grossen Strom- se die Schweiz sich im internationalen konzerne durch politische Entschei- Umfeld dafür einsetzen, dass die be- de zu deren Gunsten verbessern», stehenden Marktverzerrungen abge- fordert Rösti. Er denke da etwa an ten», pflichtet Wasserfallen bei. Breit baut würden. Das allerdings ist leich- «eine Steuersenkung oder eine An- akzeptiert ist unter den Politikern ter gesagt als getan. Wie so oft, wenn passung der Wasserzinsen gegen un- auch das vom Parlament vorgeschla- es um Fragen der Energiepolitik geht. Energiestrategie 2050 verfehlt die Ziele Die Schweiz soll gemäss der Energie- CO2-intensivem Strom aus Kohle- Solarpanels produzieren grosse Men- strategie 2050 (ES 2050) schrittweise kraftwerken. gen an Sondermüll, GuD emittieren aus der Atomkraft aussteigen und Gemäss der ES 2050 müssten allein CO2. Beides, wie auch der Import von gleichzeitig das Land auch künftig für den Ausbau der PV 10 Millionen Kohlestrom, ist nicht im Sinne einer sicher mit Strom versorgen sowie Solarpanels mit einer Gesamtfläche ökologischen Stromversorgung. die Klimaziele erreichen. Dazu soll grösser als der Zürichsee gebaut Axpo hat mit Blick auf die erste die heutige Jahresproduktion der werden sowie mehr als 1000 Wind- Etappe zur Umsetzung der ES 2050 Schweizer Kernkraftwerke von rund turbinen à 2 MW. Dabei sind in der berechnet, inwieweit der geplante 24 TWh bis 2050 durch neue Ener- Schweiz Sonne und Wind eher rar Ausbau neuer Energien die Schweiz gien ersetzt werden, allen voran die und mit der PV forciert der Bund eine für das Jahr 2035 mit Strom versor- Photovoltaik (PV). Weiter setzt sie auf Technologie, die vor allem Strom im gen würde, und kommt zum Schluss Windkraft und Geothermie sowie auf Sommer und wenig im Winter liefert (vgl. Grafik): Während acht Monaten den Ausbau der Grosswasserkraft. – wir brauchen aber genau das wäre mit einem massiven Mangel Reicht dies nicht – was wahrschein- Gegenteil. Weiter müssten 175 geo- an Strom zu rechnen. Auch während lich ist –, sollen es Gas-Kombikraft- thermische Tiefbohranlagen gebaut der wärmeren Monate von Mai bis werke (GuD) und die Ausweitung von werden, obschon in der Schweiz bis- August kann der Strombedarf nur Stromproduktion Importen und mit richten, unter anderem Verbrauch lang alleSchweiz 2035scheiterten. Projekte hierzu knapp selber gedeckt werden. Ohne Kernkraftwerke und mit Zubau – gemäss Energiestrategie 2050 Produktion und Verbrauch von Strom in der Schweiz im Jahr 2035* 7 Andere Andere 6 Geothermie Geothermie 5 Wind Wind 4 Photovoltaik Photovoltaik TWh 3 Fossile FossileWKK WKK Wasserkraftwerke Wasserkraftwerke(Zubau) (Zubau) 2 Wasserkraftwerke Wasserkraftwerke 1 Konventionell-thermische Konventionell-thermischeund andere und andere Kraftwerke 0 Kraftwerke J FF M A M M JJ JJ A SS O N D Landesverbrauch Landesverbrauch2035 2035 a Knapp genügend * Produktionsseitig hat Axpo Strom von Mai die Annahmen derbis ES August 2050 zugrunde gelegt (inkl. der Tiefengeothermie, obschon Zubau unrealistisch). Derageschätzte MassiverStromverbrauch Mangel während(rote Linie) basiert auf 8 Monaten dem Mittel externer (September Prognosen (ETH, VSE, BFE, SCS, Cleantech, Greenpeace, PSI). bis April) Seite 1 Präsentationstitel bei Fusszeile einfügen 6 Quelle: Energiestrategie 2050 – Szenario neue Energiepolitik Energiedialog Mai 2016
Wissen Blackout 2005: wartende Passagiere beim Totalausfall auf dem SBB-Netz. Stromunterbrüche: Selbst in der Schweiz keine Seltenheit So abrupt wie ein Stromunterbruch eintritt, so unmittelbar spürt man in einer Hightech-Gesellschaft seine Folgen: Hochsensible Industrieprozesse werden ge- stoppt, das öffentliche Leben kommt zum Erliegen. Je nach Länge und Ausmass haben Stromunterbrüche einen grossen Einfluss auf Gesellschaft und Wirtschaft. Einige Millisekunden ohne Strom – Kurze Unterbrüche in der Stromver und schon stehen ganze Produktions Risiko Nr. 1: sorgung kommen aber immer wieder prozesse still. Bereits kurze Stromun Strommangellage vor, wie jüngst jener Unterbruch Ende terbrüche können einen immensen April in Zürich, der auf einen Kurz Das Bundesamt für Bevölkerungs- finanziellen Schaden verursachen: An schluss zurückzuführen war. Die SBB schutz hat unter den Top-10-Risi- Produktionsanlagen, durch Produk erlebten im Juni 2005 einen schwar ken eine mögliche lang andauern- tionsausfälle und Lieferverzögerungen. zen Tag, als ihr gesamtes Stromnetz de, schwere Strommangellage als In Betrieben ohne Notstromver wegen einer Leitungsüberlastung grösstes Risiko identifiziert. Damit sorgung fallen sämtliche Systeme wie ausfiel. 200 000 Reisende sassen fest. ist eine Stromunterversorgung Beleuchtung, Kühlung, Informatik, von 30 Prozent während mehre- Kommunikation und Überwachung Milliardenkosten rer Monate im Winter gemeint. aus. Der Computer speichert Doku Die unregelmässige Einspeisung von Ein derartiges Szenario würde zu mente nicht, Menschen bleiben im Strom aus neuen Energien oder ein grossen Personenschäden und Lift stecken, stehen im Dunkeln, auto unzureichend ausgebautes Strom darüber hinaus zu immensen matische Türen lassen sich weder netz erhöhen die Risiken eines Black ökonomischen und immateriel- öffnen noch schliessen, Kassensys outs. Die finanziellen Folgen eines len Schäden für die Wirtschaft teme fallen aus und auch die Sicher und für die Gesellschaft führen. Totalblackouts in der Schweiz wer heits- und Überwachungsanlagen Insgesamt ist mit einem Schaden den vom Verband Schweizerischer funktionieren nicht mehr. Sind ganze von über 100 Milliarden Franken Elektrizitätsunternehmen (VSE) auf Strassenzüge betroffen, ist das Ver zu rechnen. mindestens zwei bis vier Milliarden kehrschaos programmiert – keine Am Schweizerfranken pro Tag geschätzt. peln, die den Verkehr regeln, die Trams Die Netzgesellschaft Swissgrid bezif stecken fest. regelmässige Treibstofflieferung aber fert die Kosten für einen Stromausfall Foto: Keystone Zwar verfügen wichtige Einrich aus, kann sich die Lage rasch drama auf rund 3 Millionen Franken pro Mi tungen wie Spitäler über Notstrom tisch zuspitzen. nute. Nicht berücksichtigt sind dabei aggregate, die meist mit Diesel- oder Ein totaler Stromausfall – ein Black die Entschädigungen für indirekte Benzin angetrieben werden. Bleibt die out – wie 2003 in Italien ist zwar selten. oder immaterielle Schäden. Energiedialog Mai 2016 7
Spektrum Der Winter ist entscheidend Der Stromverbrauch schwankt nicht fragespitze abdeckt. Im vergangenen nur im Verlauf des Tages stark. Auch Winter 2015/16 kamen mehrere ne über das Jahr hinweg decken sich gative Faktoren zusammen: Beznau 1 die Produktion und der Verbrauch und 2 standen teilweise ausser Be in der Schweiz selten, sodass die trieb. Die Flüsse führten wegen des Schweiz saisonal Strom exportieren trockenen Sommers und Herbstes oder importieren muss. wenig Wasser. Die Laufkraftwasser Im Sommer kann sie dank der werke lieferten entsprechend weni Schneeschmelze vom Frühjahr und ger Strom und auch die Speicherseen viel Niederschlag Strom aus Wasser hielten weniger Wasser zur Strom kraft exportieren. Im Winter ist die erzeugung bereit als in anderen Situation eine andere: Es wird deut Jahren. An gewissen Tagen importier lich mehr Strom verbraucht als im te die Schweiz deutlich mehr, als sie Sommer und die höhere Nachfrage exportierte. Das war beispielsweise fällt ausgerechnet in jene Phase, am 21. Januar der Fall (siehe kleine in der unsere Wasserkraftwerke Grafiken unten rechts). weniger Strom produzieren können, Ein Grossteil des Schweizer Import weil die Pegelstände der Gewässer stroms stammt in der Regel aus tief sind. Dann decken die Schweizer Frankreich, das heisst aus Kernener Kernkraftwerke bis zu 60 Prozent gie, sowie aus Deutschland, also unseres Strombedarfs und bis zu unter anderem aus fossil befeuerten 20 Prozent stammen aus Importen. Kraftwerken. 2015 importierte die Schweiz insge Diese Situation würde sich mit der samt 33,5 Terawattstunden (TWh) Umsetzung der Energiestrategie Strom und exportierte 33,8 TWh 2050 verschärfen, was komplett mit (siehe Grafik rechts). deren Zielen kollidiert: Ausstieg aus Eine sichere Stromversorgung der Kernenergie und eine umwelt bedeutet jedoch, dass sie jede Nach gerechte Stromversorgung. Dienstag, 10. Februar 2015 Donnerstag, 23. Juli 2015 Importüberschuss: 10 487 MWh Exportüberschuss: 49 751 MWh Deutschland Deutschland 25 169 MWh 29 993 MWh Frankreich Frankreich 24 MWh 31 349 MWh 61 482 MWh 15 696 MWh 54 082 MWh 4370 MWh Österreich 5311 MWh Österreich 23 097 MWh 71 645 MWh 38 935 MWh 62 601 MWh 2906 MWh Italien Italien • Wetter in der Schweiz: kalt • Wetter in der Schweiz: Hitzewelle • Stromverbrauch in der Schweiz • Hohe Preise in Italien, starke Exporte nach Italien und in Frankreich: hoch • Nuklearverfügbarkeit in der Schweiz leicht redu • Volle Nuklearverfügbarkeit in der Schweiz ziert, in Frankreich geringe Verfügbarkeit auch • Hydroreservoirstände Alpen am oberen Ende wegen zu hoher Flusstemperaturen des langjährigen Mittels • Hydroreservoirstände Alpen am unteren Rand des langjährigen Mittels 8 Energiedialog Mai 2016
Import und Export von Strom 2015 Deutschland Frankreich 16,1 TWh 3,0 TWh Österreich 9,6 TWh 7,0 TWh 4,3 TWh 0,3 TWh Italien 26,2 TWh 0,8 TWh Dienstag, 24. November 2015 Donnerstag, 21. Januar 2016 Importüberschuss: 8410 MWh Importüberschuss: 36 678 MWh Deutschland Deutschland Frankreich Frankreich 20 899 MWh 15 916 MWh 1 MWh 2731 MWh 72 336 MWh 8124 MWh 73 154 MWh 14 458 MWh 1 MWh Österreich 1 MWh Österreich 25 629 MWh 26 170 MWh 72 114 MWh 54 204 MWh 10 320 MWh 10 732 MWh Italien Italien • Wetter in der Schweiz: kalt • Wetter in der Schweiz: kalt Quellen: Axpo, Swissgrid • Stromverbrauch in der Schweiz: hoch • Stromverbrauch in der Schweiz: hoch • Beznau 1 und 2 nicht in Betrieb • Beznau 1 nicht in Betrieb • Hydroreservoirstände Alpen leicht unter • Hydroreservoirstände Alpen stark unter langjährigem Mittel langjährigem Mittel • Transferkapazität an der Nordgrenze reduziert • Transferkapazität an der Nordgrenze erhöht Energiedialog Mai 2016 9
Interview «Die Versorgungssicherheit steht auf dem Spiel» Die Physikerin Irene Aegerter sieht die sichere Stromversorgung der Schweiz in Gefahr, sollte unser Land an der Energiestrategie 2050 festhalten. Die bekennen de Atombefürworterin fordert eine Umkehr – pointiert und sachlich. Irene Aegerter, die Schweizer Strom- gräbt die Energiestrategie 2050 die wirtschaft, allen voran unsere Klimaziele. Diese Politik ist unehrlich. Wasserkraft, steckt in der Krise. Wie finden wir daraus heraus? Ist die Energiestrategie 2050 zum Wir müssen umkehren und die Fehler Scheitern verurteilt? der Vergangenheit korrigieren. Der Ihr Hauptmanko ist: Sie ist keine Stra- grösste Fehler war die Öffnung der tegie. Eine Strategie zeigt den Weg Strommärkte. Der zweite ist die Ener- und die Massnahmen auf, um ein giewende mit ihrer massiven Sub- Ziel, in diesem Fall den Ausstieg aus ventionierung von Solar- und Wind- der Kernenergie, zu erreichen. Das « strom, die die erste Mass- Handelspreise Der Markt funktioniert nahmenpaket ins Bodenlose erreicht jedoch eben nicht. Strom ist lei- hat fallen las- nicht einmal » sen. Die Kan- tungsgebunden, das Netz die Hälfte. Erst tonswerke kau- ein natürliches Monopol. heute, fünf Jah- fen den Strom re nach dem nicht mehr bei Beschluss des der Mutter Axpo, sondern billiger am Bundesrats, aus der Kernenergie aus- Markt und lassen Axpo ausbluten. zusteigen, wird die Netzstrategie prä- sentiert. Dabei ist das Netz zentral So funktioniert der freie Markt … für die sichere Stromversorgung. Es Er funktioniert eben nicht. Strom ist offensichtlich: Die Versorgungs ist kein Gut wie Eier oder Brot. Er sicherheit steht auf dem Spiel und ist leitungsgebunden, das Netz ein keiner weiss, wer in Zukunft dafür natürliches Monopol. Der Markt zuständig sein soll. kann die Gesetze der Physik nicht ausschalten. Und wer soll für sie zuständig sein? Mit Sicherheit nicht der Bund! Die Der zweite Fehler, sagen Sie, ist Versorgungssicherheit müsste wie- die Energiewende. Warum? der von den Produzenten und Netz- Weil sie die sichere und umweltge- betreibern gemeinsam gewährleistet rechte Stromversorgung der Schweiz werden. gefährdet. Gemäss der Energiestra- tegie 2050 des Bundesrats sollen Sie plädieren dafür, dass die Energie Photovoltaik, Windenergie und Geo- strategie 2050 vors Volk kommt. thermie bis 2050 knapp 20 Terawatt- Unbedingt. Sie ist zu wichtig, als dass stunden Strom pro Jahr liefern. 2014 sie am Volk vorbeigeschmuggelt war es nicht einmal 1 TWh. Es fehlt werden darf. Die Bevölkerung muss an geeigneten Standorten für Wind- wissen, worauf sie sich einlässt. Die und Solaranlangen. Ist ein Windrad sichere Stromversorgung ist für den geplant, hagelt es Einsprachen. Geo- Wohlstand der Schweiz entscheidend. Irene Aegerter: «Die Energiestrategie 2050 ist zu wichtig, thermie ist gescheitert. Und mit der 65 Prozent des Stroms fliesst in die In- als dass sie am Volk vorbeigeschmuggelt werden darf.» Option Gas-Kombikraftwerke unter- dustrie, das Gewerbe und den Dienst- 10 Energiedialog Mai 2016
leistungsbereich. Fehlt er, haben wir ein riesiges Problem. ... aber wir haben ja eine Strom- schwemme. Im Sommer, wenn der Verbrauch ge- ringer ist, haben wir Strom – voraus- gesetzt der Wind weht und die Sonne scheint. Das Problem ist der Winter. Dann müssen wir Strom importieren, der zum Teil aus Kohlekraftwerken stammt. Das müssen die Leute wissen, sonst werden sie für dumm verkauft. Auch die Rolle von Speicheranlagen «Im Winter importieren wir zum Teil Strom aus Kohlekraftwerken. Das müssen die Leute wissen, sonst wird unterschätzt. Dabei sind sie die werden sie für dumm verkauft.» einzig wichtige Form der Stromspei- cherung, die saisonale Schwankungen fert sie Strom teils auf Abruf und zu Und die Kosten eines atomaren ausgleichen kann. Wir werden der- tiefen Kosten. Solaranlagen produ- Unfalls? einst dankbar sein, dass Axpo Linth- zieren Strom viel teurer als Wasser- Sicherheit ist das oberste Gebot. Und Limmern gebaut hat, auch wenn die kraft- und Kernkraftwerke, werden die Schweizer KKW sind sicher. Sie 2.1 Milliarden Franken Investitionen aber eben subventioniert. werden laufend nachgerüstet und er- heute ein Klotz am Bein sind. füllen deshalb Höchststandards. Bei Die Kernenergie produziere nur den KKW der neuen Generation wie Stichwort Deutschland: Die Schweiz so günstig, weil nicht alle Kosten Flüssigsalzreaktoren kann der Kern soll gegen unseren Nachbarn klagen. eingerechnet sind, so die Kritik. nicht schmelzen, weil er eben flüssig Halten Sie das für sinnvoll? Dies ist bei der Photovoltaik schlim- ist. Solche vielversprechenden Tech- Ja, die Schweiz muss Deutschland mer. Nach 30 Jahren müssen die nologien will die Energiestrategie bei der WTO verklagen. Deutschland Solar panel als Sondermüll entsorgt verbieten. verstösst mit seinen überbordenden werden. Die Netze müssen reguliert, Subventionen für neue Energien Strom gespeichert und das Strom- Im Herbst stimmen wir über die gegen die Welthandelsregeln. Wir netz um- und ausgebaut werden. Bis- Atomausstiegsinitiative der Grünen müssen unsere grossartigste Ener- lang wurde Strom via Transformato- ab. Diese verlangt, dass jedes KKW gieform, die Wasserkraft, unbedingt ren vom Höchst- über das Mittel- und nach 45 Jahren stillgelegt werden erhalten und vor Dumpingpreisen Niederspannungsnetz verteilt. Solar- muss. Was wären die Folgen bei schützen: Erneuerbar und sauber lie- energie müsste – soll sie der Industrie einem Ja? « zur Verfügung Beznau 1 und 2 stehen – «hoch- Wir müssen unsere müssten 2017 transformiert» ausser Betrieb grossartigste Energieform, Zur Person werden. Solche genommen wer- Transformato - die Wasserkraft, unbedingt den. Die vorgese- Irene Aegerter (76), promovierte erhalten und vor Dumping- hene Stilllegung » ren existieren Physikerin, hat ihr Leben der sicheren Energieversorgung ver erst vereinzelt. preisen schützen. von Mühleberg All dies sum- würde sich auch schrieben. Von 2000 bis 2008 war miert sich zu vorverschieben. sie Mitglied der Kommission für die Sicherheit von Kernanlagen Milliarden und es sind Kosten, die Das heisst, wir müssten in einem Jahr (KSA). Davor amtete sie elf Jahre nicht eingerechnet werden. rund 1000 Megawatt Strom einspa- als Vizedirektorin des VSE. Sie ren. Das ist nicht möglich, wie glück- ist zudem Gründerin des Vereins Atommüll ist ebenso ein Problem. licherweise sogar Bundesrätin Doris Frauen für Energie und Women in Kernenergie liefert 36 Prozent un- Leuthard eingesteht. Nuclear (WiN) sowie Präsidentin seres Strombedarfs. Pro Familie und Fotos: Jolanda Flubacher von energiesuisse.net. Im Blog Jahr entsteht ein Fingerhut voll Ab- Käme die Energiestrategie 2050 vors kaltduschenmitdoris.ch nimmt sie fall. 96 Prozent der «Abfälle» sind wie- Volk und würde es dieser zustimmen, regelmässig Stellung zu Energie derverwertbar, also Ressourcen. Mit was wäre Ihr Lösungsvorschlag? themen. Sie lebt mit ihrem Mann den heute existierenden verbrauch- Da gibt es keine Lösung, nur Kosten, am Zürichsee und hat zwei er ten Brennelementen könnten wir die mehr CO2 und der Blackout ist pro- wachsene Söhne und vier Enkel. Welt mit neuen Reaktoren während grammiert. Das wollen die Schweizer 72 Jahren mit Strom versorgen. sicher nicht. Energiedialog Mai 2016 11
Kernkraft Braunkohle statt Atom? Die Schweizer Stromversorgung ist dank dem Mix aus eigener Wasser- und Kernkraft nahezu CO2-frei. Sie ist sicher und zuverlässig. Für eine Energiestrategie, die Versor- gungssicherheit und Klimaziele ernst nimmt, ist die Kernenergie Teil der Lösung. Die Schweiz rangiert seit Jahren auf Platz 1 des weltweiten «Energy Sus Strommix 2014 in der Schweiz tainability Index». Er bewertet die 1,9 % Laufwasserkraftwerke sichere Versorgung eines Landes mit 24,8 % Energie, deren Bezahlbarkeit und Speicherkraftwerke Umweltverträglichkeit. Mit einem Photovoltaik, Biomasse, Ausstieg der Schweiz aus der Kern Holz, Wind energie dürften solche Bestnoten im 37,9 % Kernkraftwerke Stromsektor künftig passé sein. 31,7 % Im Vergleich zu unseren Nachbar Konventionell-thermische ländern kann nur das kernenergie und Fernheizkraftwerke (ohne erneuerbaren Anteil) lastige Frankreich mit einem ähn lich klimafreundlichen Strommix auftrumpfen. Anders Deutschland: 3,8 % Quelle: Bundesamt für Energie, © VSE 2015 Es verstromt heute vermehrt Braun kohle als Ersatz für Atomstrom – ein Strommix 2014 in Deutschland Grund dafür, warum der Treibhaus Windkraft 9,5 % gasausstoss des Landes trotz Milli Biomasse/Hausmüll 15,8 % 5,3 % arden-Subventionen für Ökostrom Erdgas steigt. 2015 nahm er um 0,7 Prozent Photovoltaik 9,1 % zu. Damit Deutschland seine Klima Wasserkraft ziele erreicht, wäre ein Minus von 25,4 % 8,0 % Steinkohle 3 Prozent pro Jahr nötig. Braunkohle 5,7 % Wenig Masse, viel Energie Kernenergie Die Kernenergie ist nicht nur im Betrieb 17,8 % Sonstige 3,3 % nahezu CO2-frei, sondern sie emittiert Quellen: BDEW, ZSW, Strom-Report auch über den gesamten Lebenszyklus hinaus vergleichsweise wenig schädli che Treibhausgase. In CO2-Äquivalen Jahr zu betreiben. Das hilft der CO2- zur sicheren Stromversorgung bei, ten gerechnet sind es 6 bis 8 Gramm Bilanz und, da KKW zudem kosten gerade auch im Winter. Dann steigt pro Kilowattstunde – nur Wasserkraft günstig produzieren, der Industrie. die Nachfrage nach Strom. Gleichzei schneidet mit 4 bis 6 Gramm noch bes Wie sämtliche Untersuchungen tig ist die Produktion aus Wasserkraft ser ab. Bei der Windkraft sind es 17, bei der Aufsichtsbehörde belegen, sind limitiert, weil die Flüsse wenig Wasser der Sonnenenergie 62 Gramm. Braun die Schweizer KKW sicher. Sie wer führen. Diesen Engpass mit Solar- und kohle belastet die Umwelt gar mit über den auf Herz und Nieren geprüft, Windenergie wesentlich verringern 1000 Gramm. Gemeinsam ist aber allen permanent nachgerüstet und erfüllen zu wollen, funktioniert nicht. Produktionsformen: Sie brauchen im höchste Sicherheitsstandards. Nur so Ohne Kernenergie, so wie es der mer in einer Form endliche Ressourcen, lange sie sicher sind, werden sie auch Bund will, werden wir noch mehr ob Metalle, Zement oder seltene Erden. betrieben. Axpo besitzt und betreibt Graustrom importieren müssen, von Für Kernenergie ist es Uran. Daraus die Werke Beznau und ist beteiligt an Ländern, die in den kommenden Jahren lässt sich im Verhältnis viel mehr Strom Leibstadt und Gösgen. ebenfalls vermehrt auf Importe setzen. gewinnen als aus allen anderen Ener Sicherheit bedeutet für ein Land wie Das ist gefährlich. Versorgungssicher gieträgern: Was in einem Kohlekraft die Schweiz aber auch Versorgungs heit aber ist ein zu kostbares Gut für werk volumenmässig in einer Stunde sicherheit. Kernenergie, die konstant eine funktionierende Volkswirtschaft verfeuert wird, würde als Uran reichen, und wetterunabhängig die wichtige und Gesellschaft, um auf dem Experi um alle Schweizer KKW ein ganzes Grundlast liefert, trägt massgebend mentiertisch der Politik zu landen. 12 Energiedialog Mai 2016
Reportage Der Wiederholungstäter Er hat es erstmals vor 27 Jahren getan. Jetzt wurde er rückfällig. Der Bündner Polier Reto Tschuor baut im Auftrag von Axpo Staumauern. Das letzte Werk des heute pen sionierten Mitarbeiters der Marti AG liegt hoch oben am Muttsee im Glarnerland. 600 Meter tief im Berg wuseln Män ner in Orange und Blau durch die sieben Stockwerke der neuen Ka vernenzentrale des Pumpspeicher werks (PSW) Limmern im Glarner land, bauen Pumpen, Rotoren und Sta toren ein, betonieren den Boden rundherum. Die Anlage ist gigantisch: Je 150 Meter lang, 30 Meter breit und 50 Meter hoch sind Maschinen saal und Transformatorenkaverne – 180 000 m3 Fels wurden dafür ausge brochen. Zügig bahnt sich Reto Tschuor sei nen Weg durch dieses Labyrinth. Der gelernte Mauerpolier aus Ruschein GR kennt sich hier aus. Sieben Jahre, von 2008 bis 2015, waren die Bauplät ze hier oben sein Zuhause. Sein liebster Platz liegt ganz oben, auf 2474 m ü. M., beim Muttsee. Hier posiert er für den Fotografen auf der bis zu 36 Meter hohen Gewichtsstau mauer. Ein bisschen stolz ist er schon, das sieht man ihm an: Tschuor hat die neueste Staumauer der Schweiz mit seinem 35-köpfigen Team und rund 120 weiteren Arbeitern von 2012 bis 2014 in den Sommermonaten im 24-Stunden-Schichtbetrieb hochge zogen. Längste Staumauer der Schweiz Das elegant geschwungene Werk besteht aus 68 einzelnen Blöcken und 225 000 m3 Beton – und ist mit 1025 Metern die längste Staumau er der Schweiz. Sie verdreifacht das Speichervolumen des Muttsees auf 25 Mio. m3. «Die Arbeit hier oben war herausfordernd und schön. Ich habe gerne auf Grossbaustellen gearbeitet, weil man länger am gleichen Arbeits platz bleiben und mehr Leute führen konnte», sagt er. Wegen des Wetters war es manch Der Bündner Polier Reto Tschuor posiert vor seinem letzten «Werk», auf der 36 Meter hohen Gewichts mal aber auch hart. Sehr hart. Da habe staumauer beim Muttsee. Energiedialog Mai 2016 13
Reportage Grösser als die Zürcher Bahnhofshalle: Blick von ganz oben in die Maschinenkaverne des PSW Limmern. 180 000 m3 Fels wurden für sie und die angrenzende Transformatoren kaverne insgesamt ausgebrochen. man noch im T-Shirt gearbeitet und «zwei, drei Stunden später fiel Schnee. Wir mussten Ketten montieren, um mit dem Auto vorwärtszukommen und die Werkzeuge ausgraben.» Vor allem «logistisch war der Bau eine He rausforderung», sagt Tschuor. «Man musste gut vorbereitet sein, damit es nicht plötzlich zu ungewollten teu ren Arbeitspausen kam». Der Staumauerbauer der Schweiz Gut vorbereitet, das war er. Tschuor ist ein Wiederholungstäter, er ist der Staumauerbauer der Schweiz! Hat für Axpo nicht nur jene am Muttsee, son dern 27 Jahre zuvor am Panixersee auch die zweitletzte in der Schweiz gebaute Staumauer hochgezogen. Und die Bogenstaumauer Luzzone im Bleniotal auf 225 Meter erhöht. Die Arbeit habe sich in den letz ten 25 Jahren kaum verändert, sagt Tschuor. «Natürlich, heute ist die Be tonanlage computergesteuert, die Ma schinen sind schneller, der Kran besser als damals in Panix.» Die Technik aber Arbeitskleider vom Arbeitgeber.» Zurück in der Kavernenzentra blieb: Gründliches Vibrieren mit dem Auch die Sicherheitsvorschriften le, steigt Tschuor in einen der Lifte, Flaschenrüttler sei wichtig, der Beton seien schärfer als damals. Zu scharf, schaut auf die hingekritzelten Sprü müsse feucht bleiben und dürfe nicht findet Tschuor: «Dass wir heute siche che an der Liftwand: «Arbeit macht Fotos: Daniel Werder sofort ausgeschalt werden, damit die rere Tischfräsen haben als damals, ist müde», liest er laut und lacht. Für ihn Mauer schön und stabil werde. schon o.k.» Aber das einer beim Frä gilt das nicht. Morgens ist er meist mit Stark verändert hätten sich dagegen sen von einem Kollegen überwacht der ersten Bahn ganz früh um vier Uhr die Rahmenbedingungen. «Damals in werden müsse, geht dem Polier «we hoch, «um den Bürokram zu erledi Panix habe ich in Jeans und T-Shirt gen der zusätzlichen Kosten» schon gen» und dann um sechs Uhr mit der gearbeitet, heute gibt es einheitliche etwas gegen den Strich. Arbeit loszulegen. «Ich war ein gifti Bauseilbahn 2: Sie transportiert Lasten bis Maschinenkaverne des PSW Limmern: Muttsee: Die Staumauer ist die höchst Hier sind die Arbeiten im vollen Gang. gelegene in Europa. Derzeit wird noch der zu 25 Tonnen zum Muttsee hoch und wird ab September 2016 zurückgebaut. Allerdings fehlt da noch der … 1025 Meter lange Innengang ausgebaut. 14 Energiedialog Mai 2016
Projekt «Linthal 2015» 10 Jahre dauerte die Planungs- und Bauzeit für das Axpo Jahr hundertprojekt «Linthal 2015» im Glarner Hochgebirge, 2.1 Mio. Franken wurden in das PSW Limmern investiert. Es wird eine Pump- und Turbinenleistung von je 1000 MW aufweisen. Dadurch erhöht sich die Leistung der Kraftwerke Linth-Limmern von heute 520 MW auf 1520 MW. Pumpspeicherwerke sind Batte- rien der Alpen. Das PSW Lim mern kann künftig innerhalb weniger Minuten sowohl grosse Mengen an Strom produzieren als auch allfällige Stromüber schüsse aufnehmen und für eine spätere Nutzung speichern. Wegen der stark schwanken den Produktion aus Wind- und Solarenergie ist vermehrt Regel energie gefragt. Die hochflexib le Anlage wird deshalb künftig einen wichtigen Beitrag zur ger Seckel», sagt er rückblickend. «Bei Tschuor durchaus etwas über die Jagd Netzstabilität und zur Versor mir musste man pünktlich sein – und zu erzählen. Zwar blieb für sein Hobby gungssicherheit der Schweiz abends habe ich mit meiner Truppe nie viel Zeit, doch immerhin hat er die und Europas leisten. lieber zehn Minuten länger gearbei sen Herbst eine Gemsgeiss und einen tet, als zu früh aufzuhören.» Lange Rehbock geschossen. Böcke bei der Ar Schwatzpausen habe er auch nicht beit dagegen gabs kaum. Film zu zugelassen. Selbst wenn sich das Ge Cool bleiben wird er deshalb, wenn «Linthal 2015», spräch um seine zweite Passion, die der Muttsee im Sommer 2016 erst www.axpo.com/ Jagd, drehte, habe er dies nach wenigen mals aufgestaut wird. Denn Tschuor linthal2015. Sätzen «für beendet» erklärt. Dabei hat ist sicher: Seine Staumauer, die hält! Fertig: Der Kugelschieber ist an seinem Arbeiter im Einsatz: Das Ab ... Kugelschieber: Er ist «der Wasserhahn Einsatzplatz, eingebaut zwischen der stimmen von Rotor und Stator ist des Kraftwerks», regelt den Wasserfluss Druckleitung und der Einlaufspirale. zeitaufwändige Millimeterarbeit. zwischen Druckleitung und Turbine. Energiedialog Mai 2016 15
Herausgepickt Jetzt wird geröhrt Am 17. Mai fand im griechischen Thessaloniki der Spatenstich für die Trans Adriatic Pipeline (TAP) Foto: TAP statt – bald werden auch die ersten der 18 Meter langen und tonnenschweren Röhren gelegt. Axpo ist Initiantin des Projekts, mit dem ab 2020 Erdgas aus Aserbaidschan nach Europa transportiert werden 16 Energiedialog Mai 2016 soll. Heute hält Axpo noch fünf Prozent an TAP.
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