ENTWICKLUNGEN IM SCHWEIZER BLOCKCHAIN-RECHT
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Umschlag Blockchain.qxp_UG_Karlen 21.04.21 13:33 Seite 1 WEBER/KUHN (Hrsg.) ENTWICKLUNGEN IM SCHWEIZER BLOCKCHAIN-RECHT ENTWICKLUNGEN ROLF H. WEBER IM SCHWEIZER HANS KUHN Hrsg. BLOCKCHAIN-RECHT Im September 2020 haben die Eidg. Räte das Bundesgesetz zur Anpassung des Bundesrechts an Entwicklungen der Technik verteilter elektronischer Register (DLT-Gesetz) einstimmig verabschiedet. Das vorliegende Werk stellt die Änderungen, welche dieses Gesetz bringt, wissenschaftlich fundiert dar. Es deckt dabei alle wesentlichen Neuerungen des DLT-Gesetzes ab und ordnet diese in das bestehende Recht ein. Vertieft dargestellt werden insbesondere der zivilrechtliche Rahmen von digitalen Vermögenswerten, der durch das neu eingeführte Registerwertrecht geprägt wird, die Rah- menbedingungen für die Emission und Verwahrung von digitalen Ver- mögenswerten sowie die neu eingeführte Lizenz für DLT-Handelssysteme. Analysiert werden ferner die aufsichts- und geldwäschereirechtlichen Rahmenbedingungen für digitale Vermögenswerte. ISBN 978-3-7190-4425-1 Helbing Lichtenhahn Verlag
Rolf H. Weber/Hans Kuhn (Hrsg.) ENTWICKLUNGEN IM SCHWEIZER BLOCKCHAIN-RECHT
Rolf H. Weber/Hans Kuhn (Hrsg.) ENTWICKLUNGEN IM SCHWEIZER BLOCKCHAIN-RECHT Helbing Lichtenhahn Verlag
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist weltweit urheberrechtlich geschützt. Insbesondere das Recht, das Werk mittels irgendeines Mediums (grafisch, technisch, elektronisch und/oder digital, einschliesslich Fotokopie und Downloading) teilweise oder ganz zu vervielfältigen, vorzutragen, zu verbreiten, zu bearbeiten, zu übersetzen, zu übertragen oder zu speichern, liegt ausschliesslich beim Verlag. Jede Verwertung in den genannten oder in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf deshalb der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlags. ISBN 978-3-7190-4425-1 © 2021 Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel www.helbing.ch
Vorwort Der Titel des vorliegenden Buches ist zunächst erklärungsbedürftig, da Blockchain eine bestimmte Technik für die dezentrale Datenverwaltung bietet. Ein Blockchain-Recht als anerkannte Unterdisziplin der Rechtswissenschaften gab es daher bisher nicht. Ohne auf die vor 25 Jahren zwischen Easterbrook und Lessig geführte Debatte zum Internetrecht zurückzukommen, scheint den Herausgebern die Verwendung des Begriffs «Blockchain- Recht» dennoch gerechtfertigt zu sein. Das Buch befasst sich nämlich schwergewichtig mit dem DLT-Gesetz, das sich bereits in seinem Titel auf diese Technik bezieht. Dessen Hauptzweck besteht auch darin, Hindernisse, die sich ihrer möglichst breiten Anwen- dung entgegenstellen könnten, aus dem Weg zu räumen. Viele Bestimmungen des neuen DLT-Gesetzes sind nur vor diesem Hintergrund anwendbar und verständlich. Sowohl die beiden Herausgeber wie auch die übrigen Autoren*in sind ausgewiesene Experten*in auf diesem Gebiet. Die meisten von ihnen waren im Rahmen von Experten- gruppen des Bundes an den Vorarbeiten zum DLT-Gesetz beteiligt; viele sind auch in der Swiss Blockchain Federation tätig, die für die Blockchain-Industrie günstige Rahmen- bedingungen schaffen will sowie Zirkulare zur Konkretisierung der gesetzlichen Rege- lungen erarbeitet und publiziert hat. Das DLT-Gesetz ist ein wichtiger Meilenstein. Die von ihm behandelte Materie ist allerdings keine einfache, denn sie greift tief in das private und öffentliche Finanzmarkt- recht ein, ebenso wie in Aspekte des Vertragsrechts und der Corporate Governance. Insbesondere die Einführung von echten digitalen Wertpapieren – Registerwertrechte genannt – ist ein Schritt von grundlegender Bedeutung, ebenso wie die Schaffung einer neuen Lizenzkategorie für DLT-Handelssysteme. Die Autoren*in versuchen, diese Ent- wicklung in gesamthaft elf Kapiteln in den grösseren privatrechtlichen, aufsichtsrecht- lichen und rechtsvergleichenden Kontext einzuarbeiten. Das DLT-Gesetz ist in Rekordzeit entworfen, diskutiert, überarbeitet, durch das Par- lament beschlossen und durch den Bundesrat zweistufig in Kraft gesetzt worden. Ähn- lich schnell ist dieses Buch entstanden und auf den Markt gelangt. Dieser Erfolg ist dank der konzertierten Anstrengungen aller Autoren*in sowie des Verlags zustande gekom- men. Allen Beteiligten sei hierfür herzlich gedankt. Die Herausgeber V
Autorin und Autoren Rolf H. Weber Prof. Dr. iur., Rechtsanwalt in Zürich Kapitel I, II, VII und XI Hans Kuhn Dr. iur., LL.M. (Tulane), Rechtsanwalt in Zürich Kapitel I, III, IV, V, VIII, X und XI Luca Bianchi lic. iur., LL.M. (Northwestern), MBA, MAS UZH in Finance, Rechtsanwalt in Zürich Kapitel IX Stefan Kramer, Dr. iur., LL.M. (Harvard), Rechtsanwalt in Zürich Kapitel VI Ralf Kubli lic. phil. I, MBA (Cornell) Kapitel II Reto Luthiger Dr. iur., Rechtsanwalt in Zürich Kapitel VIII Daniel Rutishauser Eidg. Dipl. Ing. ETH, MAS MTEC ETH Kapitel II Cornelia Stengel Prof. Dr. iur., Rechtsanwältin in Zürich Kapitel IX Dominic Wyss MLaw, LL.M. (University of Chicago Law School), Rechtsanwalt in Zürich Kapitel VI VII
Inhalt Vorwort V Autorin und Autoren VII Literatur XI Materialien XXI Abkürzungsverzeichnis XXVII I. Einleitung 1 Hans Kuhn/Rolf H. Weber II. Grundlagen 9 Daniel Rutishauser/Ralf Kubli/Rolf H. Weber III. Taxonomie 35 Hans Kuhn IV. Digitale Aktiven im schweizerischen Privatrecht 51 Hans Kuhn V. Primärmarktregulierung 131 Hans Kuhn VI. Verwahrung von digitalen Aktiven 145 Stefan Kramer/Dominic Wyss VII. Handel mit digitalen Aktiven 165 Rolf H. Weber VIII. Aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen 199 Reto Luthiger/Hans Kuhn IX. Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung 223 Cornelia Stengel/Luca Bianchi X. Entwicklungen im Ausland 251 Hans Kuhn XI. Ausblick 285 Rolf H. Weber/Hans Kuhn IX
I. Einleitung Hans Kuhn/Rolf H. Weber Inhaltsverzeichnis A. DLT-Gesetz als besonderes Gesetz 1 B. Zweck 2 C. Entstehungsgeschichte 4 D. Grundstruktur 5 1. Rahmengesetz 5 2. Technologie- und Wettbewerbsneutralität 6 A. DLT-Gesetz als besonderes Gesetz Das DLT-Gesetz, das Gegenstand dieses Buches ist, fällt in verschiedener Hinsicht aus 1 dem Rahmen. Obwohl keine vitalen Interessen mächtiger Interessengruppen auf dem Spiel standen, wurde das Gesetz in weniger als drei Jahren vorbereitet, beraten, verab- schiedet und in Kraft gesetzt. Das ist für schweizerische Verhältnisse ein unerhörtes Tempo. Ebenso bemerkenswert ist, dass die Verabschiedung des «Bundesgesetzes zur Anpassung des Bundesrechts an Entwicklungen der Technik verteilter elektronischer Register»1, wie das DLT-Gesetz mit offiziellem Titel heisst, in beiden Kammern einstim- mig erfolgte. Auch wenn im schweizerischen Parlament die Sache zumeist mehr zählt als Parteipolitik, ist Einstimmigkeit in beiden Kammern doch aussergewöhnlich. Dies gilt umso mehr, als es für kritische Fragen durchaus gute Gründe gab und gibt, die Energie- effizienz gewisser Blockchains etwa oder Missbräuche während des ICO-Hypes.2 Möglich wurde dieser Erfolg, weil Bundesverwaltung, Bundesrat und Parlament ver- 2 standen haben, dass der Technologie der verteilen Register (distributed ledger technology, DLT) eine Schlüsselrolle bei der Digitalisierung der Wirtschaft, insbesondere in der Finanzindustrie, zukommen wird. Die Blockchain-Technologie hat erstmals die Mög- lichkeit geschaffen, mittels technischer Vorkehren digitale Güter knapp und exklusiv zu machen. Aufgrund dieser Eigenschaften sind DLT-Systeme grundsätzlich gut geeignet, digitale Güter sowie Eigentums- und Verfügungsrechte daran zu dokumentieren, zu sichern und zu übertragen (dazu Kapitel IV Rz. 2). DLT-basierte Anwendungen stellen zugleich die Finanzmarktaufsicht vor Heraus- 3 forderungen, weil sie überkommene Wertschöpfungsketten aufbrechen und grundsätz- 1 Schlussabstimmungstext in BBl 2020, 7801. 2 B ranson M ark , Fintech and Blockchain: More than hype? A regulator’s perspective (London, 13 March 2018). 1
Hans Kuhn/Rolf H. Weber lich den Verzicht auf Finanzintermediäre ermöglichen. Anders als viele andere Fintech- Geschäftsmodelle weisen DLT-basierte Anwendungen deshalb nicht nur innovatives, sondern disruptives Potential auf. Die Herausforderungen für die Finanzmarktaufsicht ergeben sich einerseits daraus, dass überkommene Regulierungsansätze, die auf der Grundlage von vertrauten Geschäftsmodellen und Wertschöpfungsketten entwickelt worden sind, laufend adaptiert und angepasst werden müssen. Eine prinzipienbasierte Aufsichtspraxis ist grundsätzlich besser geeignet, mit diesem Wandel umzugehen, als die in vielen ausländischen Rechtsordnungen vorherrschende Detailregulierung. Die Finanzmarktaufsicht stösst allerdings dann an Grenzen, wenn es an einem persönlichen oder räumlichen Anknüpfungspunkt fehlt, wie das bei sog. DeFi-Anwendungen vor- kommen kann (dazu Kapitel VIII Rz. 69 f.). 4 Mit dem DLT-Gesetz haben Regierung und Parlament klar gemacht, dass sie sich diesen Herausforderungen stellen wollen. Die Schweiz ist allerdings mit diesem Bekennt- nis zu Innovation und Disruption nicht alleine. Liechtenstein hat bereits auf Anfang 2020 ein Gesetz in Kraft gesetzt, das einen umfassenden Rechtsrahmen für die Token- Wirtschaft schaffen soll (dazu Kapitel X Rz. 43 ff.). Auch die Kommission der Europäi- schen Gemeinschaft hat im Herbst 2020 umfangreiche Vorschläge für eine gesetzliche Regelung von Kryptovermögenswerten vorgelegt (Kapitel X Rz. 6 ff.). 5 Das vorliegende Kapitel erläutert zunächst den Zweck (Rz. 6 ff.) und die Entste- hungsgeschichte des DLT-Gesetzes (Rz. 11 ff.). Hernach erörtert es die Grundstruktur des Gesetzes als Rahmengesetz (Rz. 17 ff.) sowie den Grundsatz der Technologie- und Wettbewerbsneutralität (Rz. 20 ff.). B. Zweck 6 Das DLT-Gesetz ist als Rahmengesetz konzipiert (dazu Rz. 17 ff.). Der bei Bundesgeset- zen übliche Zweckartikel, der in mehr oder weniger konziser Form Auskunft gibt über den vom Gesetzgeber verfolgten Zweck, fehlt deshalb. Der Gesetzeszweck ist somit aus den Materialien herzuleiten. Bedeutung kommt ihm namentlich für die Auslegung des Gesetzes zu.3 7 Die Botschaft zum DLT-Gesetz nennt drei Stossrichtungen: Erhöhung der Rechts- sicherheit, Beseitigung von Hürden für Anwendungen, die auf DLT oder Blockchain basieren, sowie Begrenzung neuer Risiken.4 Im Vordergrund steht allerdings die Beseiti- gung von Hindernissen für DLT-basierte Anwendungen. Diese Hindernisse sind in einem sehr gründlichen Bericht, den der Bundesrat Ende 2018 veröffentlichte, ausführ- lich dargestellt.5 Mit der Beseitigung dieser Hindernisse wird zugleich die Rechtssicher- heit für DLT-basierte Anwendungen erhöht. Weniger wichtig ist die Begrenzung neuer 3 Vgl. statt vieler BGE 140 II 80 E. 2.5.3; BGE 138 II 251 E. 2.3.3; BGE 138 III 558 E. 4.1; BGE 136 III 373 E. 2.3; BGE 135 II 78 E. 2.2. 4 Botschaft DLT-Gesetz, BBl 2020, 234, 240. 5 Bundesrat, Rechtliche Grundlagen für Distributed Ledger-Technologie und Blockchain in der Schweiz Eine Auslegeordnung mit Fokus auf dem Finanzsektor (Bern, 14.12.2018) (zit. DLT-Bericht). 2
I. Einleitung Risiken. Zwar steht ausser Frage, dass sich aus neuen Geschäftsmodellen auch neue Risi- ken ergeben können. Die Eidg. Finanzmarktaufsicht (FINMA) hat allerdings in den ver- gangenen Jahren den Beweis erbracht, dass sie diese proaktiv erkennen und auf der Grundlage des bestehenden Aufsichtsrechts wirksam begrenzen kann. Handlungsbedarf bestand diesbezüglich somit nicht. Wenn sich Förder- und Schutzziele gegenüberstan- den, hat sich der Bundesrat regelmässig für die ersteren entschieden.6 Die Blockchain-Technologie und damit auch das DLT-Gesetz werden dabei in den 8 breiteren Kontext der Digitalisierung der Wirtschaft eingeordnet:7 Der Bundesrat anerkannte bereits im DLT-Bericht, dass «die Digitalisierung […] ein zentraler Treiber der Innovation, des laufenden Strukturwandels und längerfristig der Wettbewerbsfähig- keit der Schweizer Volkswirtschaft [ist]». Der DLT- bzw. Blockchain-Technologie attes- tierte er in diesem Zusammenhang «ein erhebliches Innovations- und Effizienzsteige- rungspotenzial sowohl im Finanzsektor als auch in andern Wirtschaftssektoren».8 Der Bericht führt weiter aus9: «In der Schweiz hat sich in den letzten Jahren namentlich im Finanzbereich bereits 9 ein ausgeprägtes Ökosystem mit innovativen Fintech- und Blockchain-Unternehmen entwickelt. Der Bundesrat will die Voraussetzungen weiter verbessern, damit die Schweiz die Chancen der Digitalisierung effektiv nutzen kann. Auf DLT und Blockchain bezogen gilt es nach Ansicht des Bundesrates, bestmögliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sich die Schweiz als ein führender, innovativer und nachhaltiger Standort für Fin- tech- und Blockchain-Unternehmen etablieren und weiterentwickeln kann. Gleichzeitig legt der Bundesrat hohen Wert darauf, auch in diesem Bereich die Integrität und die gute Reputation des Finanz- und Wirtschaftsstandorts Schweiz weiterhin zu gewährleisten. Die mit der Verbreitung neuer Technologien verbundenen Risiken sind daher proaktiv anzugehen und Missbräuche konsequent zu bekämpfen.» Dabei machte der Bundesrat klar, dass diese Reformen notwendige, aber nicht hin- 10 reichende Voraussetzungen sind, um Hindernisse der Digitalisierung zu beseitigen. Wei- teren im DLT-Kontext bedeutsamen Handlungsbedarf identifizierte er namentlich bei der digitalen Identität10 sowie bei einem digitalen Schweizer Franken11.12 6 Vgl. z.B. Botschaft DLT-Gesetz, BBl 2020, 249: «Umgekehrt würde eine Erhöhung der regulatorischen Anforderungen für DLT-Handelssysteme – die in der Vernehmlassung vereinzelt gefordert wurde – den Zweck der beabsichtigten Regulierung aushöhlen. Der Bundesrat erachtet die vorgeschlagene Regelung als zweckmässigen Kompromiss, der sowohl den finanzmarktrechtlichen Schutzzielen als auch der Möglichkeit, innovative Geschäftsmodelle umzusetzen, angemessen Rechnung trägt». 7 Bundesrat (Fn. 5), DLT-Bericht, 12. 8 Bundesrat (Fn. 5), DLT-Bericht, 12. 9 Bundesrat (Fn. 5), DLT-Bericht, 12. 10 Vgl. dazu das Bundesgesetz vom 27. September 2019 über elektronische Identifizierungsdienste. Refe- rendumstext in BBl 2018 3989; Botschaft vom 1. Juni 2018 in BBl 2018 3915. 11 Vgl. dazu Bundesrat, Digitales Zentralbankgeld; Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats 18.3159, Wermuth, vom 14.3.2018 (Bern, 13. Dezember 2019). 12 Vgl. Bundesrat (Fn. 5), DLT-Bericht, 16 f. 3
Hans Kuhn/Rolf H. Weber C. Entstehungsgeschichte 11 Der Anstoss zur Ausarbeitung des DLT-Berichts und mittelbar des DLT-Gesetzes ging einerseits vom Privatsektor aus. So zeigte namentlich die Blockchain-Taskforce der Swiss Blockchain Federation (SBF) in einem im März 2018 veröffentlichten Whitepaper den gesetzgeberischen Handlungsbedarf auf.13 Andererseits gab es seit 2017 im Parlament eine ganze Reihe von Vorstössen zu verschiedenen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Blockchain-Technologie.14 Diese Konvergenz von klar formulierten Anliegen der Privatwirtschaft und von unterstützenden Vorstössen aus dem Parlament waren grund- legende Voraussetzung für die rasche Ausarbeitung der Vorlage und deren erfolgreiche Verabschiedung. 12 Gestützt auf die parlamentarischen und ausserparlamentarischen Vorstösse gab der Bundesrat Anfang 2018 einen Bericht in Auftrag, der die technischen und rechtlichen Grundlagen im DLT-Kontext aufarbeitete und den Handlungsbedarf identifizierte. Vor- bereitet wurde der Bericht durch eine Arbeitsgruppe mit Vertretern und Vertreterinnen aus drei Departementen und der Schweizerischen Nationalbank (SNB).15 Die Arbeits- gruppe pflegte einen intensiven Austausch mit Organisationen des Privatsektors. Der im Dezember 2018 veröffentlichte rund 170 Seiten starke DLT-Bericht ist ein unentbehrli- ches Grundlagendokument für die Einordnung von Blockchain-Anwendungen in das Zivil- und Insolvenzrecht sowie in das Finanzmarkt- und Geldwäschereirecht. 13 Gestützt auf den Bericht identifizierte der Bundesrat punktuellen Handlungs- und Klärungsbedarf insbesondere bei der zivilrechtlichen Einordnung von DLT-basierten Vermögenswerten, bei ihrer insolvenzrechtlichen Behandlung, bei gewissen aufsichts- rechtlichen Fragestellungen sowie im Geldwäschereirecht.16 14 Nur gut drei Monate nach Publikation des DLT-Berichts schickte der Bundesrat im März 2019 einen Vorentwurf für ein DLT-Gesetz in die Vernehmlassung.17 Dieser stiess bei Kantonen, Parteien, Verbänden und anderen Interessengruppen auf breite Zustim- mung,18 sodass der Bundesrat bereits im November 2019 den Entwurf zum DLT-Gesetz 13 Swiss Blockchain Federation (SBF), Stärkung des Blockchain-Standorts Schweiz, Whitepaper der Block- chain-Taskforce (Bern/Zug April 2018). Der DLT-Bericht nimmt auf das Whitepaper ausdrücklich Bezug; vgl. Bundesrat (Fn. 5), DLT-Bericht, 15. 14 Vgl. namentlich die Motionen Béglé (17.3818, 16.3484) und Merlini (17.4035), die Interpellationen Barazzone (18.3272), Müller (17.4144), Noser (17.4213), Schmid (17.4024) und Schneider-Schneiter (16.3272) sowie das Postulat Wermuth (18.3159) und auch das Postulat der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats «Für einen wettbewerbsfähigen Finanzplatz im Bereich neuer Finanz- technologien» (15.4086). 15 Vgl. Bundesrat (Fn. 5), DLT-Bericht, 15. 16 Vgl. die Zusammenfassung der Handlungsempfehlungen in Bundesrat (Fn. 5), DLT-Bericht, 8 f. 17 «Bundesrat eröffnet Vernehmlassung zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Blockchain/DLT», Medienmitteilung Bundesrat (Bern, 22.3.2019). 18 EFD, Bundesgesetz zur Anpassung des Bundesrechts an Entwicklungen der Technik verteilter elektroni- scher Register, Ergebnisbericht zur Vernehmlassung (Bern, 27. November 2019), 5 (zit. EFD, Ergebnis- bericht Vernehmlassung). 4
II. Grundlagen Während der Ausführung der atomaren Transaktion lassen sich Validierungen oder 19 Prüfsummen berechnen. Diese Programmierbarkeit, die durchaus auch komplexere Berechnungen ermöglicht, werden Smart Contracts genannt und sind im Wesentlichen kleine Software Code-Fragmente, die während der Transaktion auf der Blockchain zur Ausführung gelangen. Da die Transaktionen auf Blockchains stets von allen Nodes im System validiert werden, gibt es – wie erwähnt – keine zentrale Autorität mehr, dieses Prinzip nennt man Disintermediation.5 3. Öffentliche und private Blockchains Bei öffentlichen (public) Blockchains handelt es sich um Systeme, in denen jeder Teil- 20 nehmer Transaktionen auslösen und einsehen kann. Der zugrunde liegende Code ist Open Source, also öffentlich und von daher von jedermann verifizierbar. Der Zugang zum Netzwerk ist uneingeschränkt möglich. In einem Konsensverfahren wird bestimmt, welche Transaktionen wie in die Registerkette eingebaut werden. Wichtige Beispiele von öffentlichen Blockchains sind die Bitcoin-Blockchain sowie Ethereum oder Tezos. Bei privaten Blockchains ist der zugrunde liegende Code nicht zwingend öffentlich 21 und der Zugang nur eingeschränkt möglich. Das Konglomerat von Organisationen, wel- che die Blockchain betreiben, bestimmt, wer teilnehmen kann und wie der Konsens zustande kommt. Jeder Netzknoten (Node) wird durch eine der teilnehmenden Organi- sationen betrieben und es gibt keine Miner, die für ihre Arbeit entlohnt werden müssen. Das Vertrauen in die teilnehmenden Gegenparteien wird nicht technologisch, sondern organisatorisch über umfassende Vertragswerke sichergestellt. Somit kann auf techni- sche Konsens-Verfahren verzichtet werden. Bekannte Vertreter von privaten Block- chains sind Corda und Hyperledger fabric. Abbildung 3: Unterschiede zwischen öffentlichen und privaten Blockchain-Netzwerken Öffentlich Privat Code ist Open Source und damit öffentlich Code ist nicht öffentlich einsehbar. einsehbar. Jede Person kann am Netzwerk teilnehmen, Teilnahme am Netzwerk setzt Zulassung voraus. ohne dass es dazu einer Zulassung bedarf. Je nach Zweck auf Unternehmen oder Finanz- intermediäre beschränkt. Identität der Teilnehmer ist durch Pseudonyme Identität der Teilnehmer ist dem Betreiber geschützt. bekannt. Vor Eingriffen in die Transaktionshistorie Zentrale Autorität kann in Abwicklung ein geschützt, da keine zentrale Autorität. greifen. Grosse Netzwerke. Kleinere Netzwerke mit begrenzter Zahl von Nodes. Bitcoin, Ethereum, Tezos. Corda, Hyperledger. 5 Vgl. zum Ganzen auch S chär /B erentsen (Fn. 4), 36 ff. 15
Daniel Rutishauser/Ralf Kubli/Rolf H. Weber 4. Konsens-Verfahren a) Begriff 22 Da bei Blockchains das Vertrauen in die Gegenpartei durch das Blockchain-Protokoll und damit durch den gewählten Konsens-Mechanismus ersetzt wird, stellt sich die Frage des Zustandekommens des Konsenses. Die in Blockchain-Systemen üblicherweise vor- kommenden zwei Rollen betreffen die regulären Nutzer, die nur Transaktionen regist- rieren lassen wollen, sowie diejenigen Nutzer, die Knoten (Nodes) betreiben und damit Rechenleistung zur Verfügung stellen, um die Transaktionen tatsächlich auszuführen. Der Konsens muss nur unter den Mitgliedern der zweiten Gruppe hergestellt werden. Die normalen Nutzer können sich aufgrund der angewendeten kryptografischen Metho- den auf den gefundenen Konsens verlassen. Zur Findung des Konsenses gibt es heute vornehmlich zwei Methoden, die aktuell von Bedeutung sind: Proof-of-Work und Proof-of-Stake.6 b) Proof of Work 23 Die Bitcoin-Blockchain sowie die Blockchains der zweiten Generation (wie Ethereum) basieren auf der sogenannten «Proof-of-Work»-Methode zur Konsensbildung. Dabei versuchen die Netzwerk-Teilnehmer, ein kryptografisches Rätsel (konkret eine kom- plexe Primzahlen-Berechnung) zu lösen. Diese Berechnung ist rechnerisch sehr aufwen- dig; die Lösung kann aber ganz einfach verifiziert werden, Proof-of-Work baut auf dieser Asymmetrie auf. Derjenige, der das Rätsel als erstes gelöst hat, bekommt eine Belohnung. Die restlichen Teilnehmer können sich durch eine einfache Nachprüfung davon über- zeugen, dass die Lösung korrekt ist, da dies sehr einfach nachzuprüfen ist. 24 Dieser Verifizierungs-Prozess nennt sich «Mining», da während dem Versiegeln und Einreihen eines Blocks neue Kryptowährungen des Netzwerkes geschaffen werden. Pro Block lassen sich beispielsweise neue Bitcoins gewinnen; diese bekommt der jeweilige «Miner» als Entschädigung für die Arbeit, die er für das Netzwerk leistet. 25 Der Vorteil dieser Methode besteht darin, dass sie etabliert ist und gut funktioniert. Sie führt allerdings zu einer gewissen Zentralisierung, da die Betreiber der grössten Rechenfarmen am erfolgreichsten sein dürften (hohe Rechenleistung). Wenn ein Miner mehr als 50 Prozent der Nodes zu übernehmen vermag, besteht ausserdem das Risiko, dass er mit seiner Hashrate jeden Block manipulieren kann. Die anderen Teilnehmer des Netzwerkes könnten dies aber feststellen; zudem wäre das Vertrauen, auf dem auch ein solches System letztlich beruht, zerstört. 26 Ende 2020 erhielt ein Miner 6.25 neue Bitcoins. Jeweils nach 210 000 neuen Blöcken findet ein sog. Halfing statt, und die Belohnung wird um die Hälfte reduziert (das nächste Mal 2024). Im Gesamten werden nur 21 Millionen Bitcoins in den Umlauf gebracht. Diese Zahl ist fix in den Code programmiert und kann durch jeden Teilnehmer kontrol- 6 Vgl. auch S chär /B erentsen (Fn. 4), 139 ff. 16
II. Grundlagen liert werden. Da also die Gesamtmenge an Bitcoins begrenzt ist, gehen viele davon aus, dass durch den Mangel der Preis steigt und wenig mit anderen Assets korrelieren wird. c) Proof of Stake Die zweithäufigste Konsens-Methode wird «Proof of Stake» genannt. Die Validierung 27 erfolgt hier nicht mittels Rechenleistung; vielmehr kann jeder Teilnehmer im Netzwerk, der Transaktionen validieren möchte, einen Teil seiner Kryptowährung hinterlegen. Wird die Transaktion von anderen Teilnehmern mit demselben Ergebnis validiert, so bekommen alle diese Teilnehmer einen Teil der Belohnung. Haben einzelne Teilneh- mer jedoch versucht, ein anderes Ergebnis vorzutäuschen, so wird ihnen der hinterlegte Teil ihres Krypto-Vermögens entzogen. Als Validierer eines neuen Blocks wird ein Teil- nehmer zufällig ausgewählt, wobei u.a. das von ihm hinterlegte Vermögen berücksich- tigt wird. 5. Wallets Um Blockchain-Systeme sinnvoll nutzen zu können, müssen Nutzer auch ihre Krypto- 28 werte aufbewahren und auf diese zugreifen können. Meist werden Kryptowerte in einem sogenannten Wallet (dt. Geldbörse) aufbewahrt. Dieses lässt sich mit einem regulären Konto vergleichen. Jeder Nutzer hat einen Schlüssel, einen sogenannten «private key», mit dem er Transaktionen autorisieren kann. Zusätzlich hat jeder Nutzer einen soge- nannten «public key»; dieser entspricht einer Kontonummer und lässt sich öffentlich mitteilen, damit weitere Nutzer die Kryptowährungen oder andere Kryptowerte über- weisen können. Diese beiden Schlüssel werden gleichzeitig erschaffen und gehören zusammen. Sie sind nicht zwingend an ein bestimmtes Wallet gebunden, sondern kön- nen über verschiedene Wallets hinweg verwendet werden, sodass diese jeweils denselben Kontostand anzeigen. Wallets ermöglichen es, den Überblick über den aktuellen Bestand an Kryptowerten 29 zu bewahren, indem sie den Saldo aus allen bisherigen Krypto-Transaktionen berech- nen. Zusätzlich erlauben sie die Generierung von public-private key Paaren. Die Adresse, unter der man Krypto-Transaktionen empfangen kann, entspricht dem public key. Der private key verschafft dessen Inhaber die Verfügungsmacht über den Kryptowert, der sich in einem Wallet befindet. Wer den private key verliert, büsst damit auch den Zugriff auf diese Werte ein. Zur Gewährleistung von Anonymität generieren manche Wallets automatisch für jede Transaktion ein neues public-private key Paar, sodass man eine neue Adresse für jede Transaktion erhält. Da der Zugriff auf die Kryptowerte in einem Wallet ausschliesslich über den private key erfolgt, ist das Anfertigen von Backups von grosser Wichtigkeit. Bei der Auswahl eines Wallets ist darauf zu achten, einen vertrauenswürdigen 30 Anbieter zu wählen, der seinen Code veröffentlicht hat. Damit wird das Risiko redu- ziert, dass Wallet-Anbieter durch eingebaute Hintertüren unbefugt auf das Vermögen der Nutzer zugreifen. Eine Alternative zu Software-Wallets sind Hardware-Wallets. Bei 17
Daniel Rutishauser/Ralf Kubli/Rolf H. Weber diesen werden die Zugangsdaten für die Kryptowerte auf einem Datenträger (z.B. einem USB-Stick) gespeichert. Dieser ist nicht permanent mit dem Internet verbunden und daher auch weniger anfällig für Hacker-Angriffe; allerdings riskiert man dann den Dieb- stahl des Datenträgers. Abhilfe versprechen sogenannte Custody-Provider (darunter auch Banken), die mit strukturierten Freigabeprozessen (z.B. Zeitverzögerungen oder 4-Augen Prinzip) Schutz vor unerwünschten Transaktionen versprechen. Am weitesten gehen Anbieter, die Hardware in alten Armeebunkern in den Alpen lagern («deep cold storage») – eine Lösung, die von der Grundidee der Digitalisierung ziemlich weit ent- fernt ist. 31 Hält man seine Vermögensgegenstände auf seinem eigenen Wallet («self storage»), bedeutet dies, dass man keine Verwahrungsstelle benötigt. Entsprechend können Trans- aktionen günstiger und innerhalb von nur wenigen Minuten durchgeführt werden. Die Vorteile erkauft man sich mit dem Risiko von Hackerangriffen und eines Verlustes des private key. 6. Smart Contracts 32 Bei Smart Contracts handelt es sich um Berechnungen oder Validierungen, die als Teil von Transaktionen ausgeführt werden können. Diese vermögen Transaktionen zu beein- flussen, indem sie für die Ausführung einer Transaktion gewisse Bedingungen aufstellen. Smart Contracts sind nicht Verträge im rechtlichen Sinne, sondern Programme, die es ermöglichen, Prozessabläufe auf einer Blockchain zu automatisieren und die korrekte Ausführung vertraglicher Beziehungen sicherzustellen.7 Ihr Einsatz wird diejenigen Effi- zienzgewinne ermöglichen, die einen Hauptvorteil der Blockchain-Technologie darstel- len. Der bekannteste Smart Contract ist der ERC-20 Standardvertrag, der Eigentumsver- hältnisse an Token abbildet. 7. Token und Tokenisierung 33 In der Blockchain-Welt wird als Token eine digitale Repräsentation eines Gutes bezeich- net. Die Wertmarke «Token» ist also das zugrundeliegende Handelsgut in Blockchain- Netzwerken. Dabei gibt es verschiedene Arten von Token. Prinzipiell kann man allen Wertgegenständen ein digitales Äquivalent zuordnen. Dies hat den Vorteil, dass sich digitale Repräsentationen einfach in Teile stückeln lassen, während das Gut in der ana- logen Welt nicht so einfach gestückelt werden könnte. Der Prozess der digitalen Reprä- sentation eines Gutes und des Stückelns nennt man Tokenisierung (eingehend zur Token-Klassifizierung vgl. Kapitel III). 7 S chär F abian /H übner P hilipp , Blockchain und Smart Contracts im Kontext der Prozessautomatisierung in: Manfred Bruhn/Karsten Hadwich (Hrsg.), Automatisierung und Personalisierung von Dienstleistun- gen, Berlin 2020, 297–316, 305 18
III. Taxonomie 1. Virtuelle Währungen und Kryptowährungen Virtuelle Währungen sind nach einer heute üblichen Definition «eine digitale Darstel- 37 lung eines Werts, die von keiner Zentralbank oder öffentlichen Stelle emittiert wurde oder garantiert wird und nicht zwangsläufig an eine gesetzlich festgelegte Währung angebunden ist und die nicht den gesetzlichen Status einer Währung oder von Geld besitzt, aber von natürlichen oder juristischen Personen als Tauschmittel akzeptiert wird und die auf elektronischem Wege übertragen, gespeichert und gehandelt werden kann».30 Virtuelle Währungen zeichnen sich im Kern also dadurch aus, dass sie nicht durch eine staatliche Geldbehörde emittiert, aber dennoch im Verkehr unter Privaten als Geld akzeptiert werden. Sie sind privates Geld und weisen eine private Denomination auf. Das schweizerische Recht hat den Begriff der virtuellen Währung bisher erst auf Verordnungsstufe übernommen (s. Art. 2 lit. c GwV-FINMA). Kryptowährungen sind virtuelle Währungen, die auf Grundlage von DLT-Systemen 38 ausgegeben und übertragen werden. Synonym dazu ist der von der FINMA verwendete Begriff des Zahlungstoken. Daneben gibt es virtuelle Währungen, die an Kontenbezie- hungen gebunden sind und durch Kontogutschriften übertragen werden. Ein bekann- tes Beispiel ist das schweizerische WIR-Geld, das seit den 1930er-Jahren existiert und bis zum Aufkommen der Kryptowährungen eine der wichtigsten Komplementärwäh- rungen darstellte.31 Zur Eingrenzung der bei vielen Kryptowährungen hohen Volatilität werden manche 39 virtuellen Währungen an einen bestimmten Wert angebunden, z.B. eine gesetzliche Währung, einen Korb von Währungen oder irgendwelche anderen Finanz- oder Nicht- finanzaktiven. Diese Währungen werden gemeinhin als Stablecoins bezeichnet.32 Dabei kommen unterschiedliche Stabilisierungsmechanismen zur Anwendung, von einer voll- ständigen Deckung des Stablecoins mit der Ankerwährung und jederzeitiger Konverti- bilität bis hin zu algorithmischen Stabilisierungs- und Handelsstrategien. Auch der Kreis der Vermögenswerte, die als Anker für die Stabilisierung des Stablecoin verwendet wer- den, ist denkbar gross. Selbst ihre aufsichtsrechtliche Einordnung weist eine grosse Bandbreite auf (dazu Kapitel VIII Rz. 62 ff., 67). Wie die FINMA zu Recht festgehalten hat, handelt es sich «primär […] um eine Marketing-Bezeichnung».33 Als Anknüpfungs- punkt für eine aufsichtsrechtliche Einordnung taugt der Begriff nicht. 30 Art. 3 Ziff. 18 der EU-Geldwäscherei-Richtlinie. Die Definition geht zurück auf diejenige der Financial Action Task Force (FATF), Virtual Currencies: Key Definitions and Potential AML/CFT Risks (June 2014), 4; vgl. auch FATF, Guidance for a Risk-Based Approach to Virtual Currencies (June 2015). 31 Vgl. dazu BK-W eber , Art. 84 OR N 53 ff. 32 Vgl. FINMA, Ergänzung der Wegleitung für Unterstellungsanfragen betreffend Initial Coin Offerings, 11. September 2019, 1 (zit. Stablecoin-Wegleitung). 33 FINMA (Fn. 32), Stablecoin-Wegleitung, 1. 47
Hans Kuhn 2. Offizielle Währungen 40 Komplementärbegriff zu den virtuellen Währungen sind die staatlichen Währungen, also Währungen, die durch den Staat oder eine Zentralbank ausgegeben werden.34 Offi- zielle Währungen können wiederum in Zentralbanken-, Geschäftsbanken- und E-Geld unterteilt werden. 41 Zentralbankengeld sind Bargeld (Banknoten und Münzen) sowie Sichtguthaben, welche die Geschäftsbanken und andere Träger des Zahlungsverkehrs bei der Zentral- bank unterhalten. In der Schweiz ist das Zentralbankgeld gesetzliches Zahlungsmittel mit Annahmezwang (legal tender, Art. 2 WZG).35 Praktisch viel bedeutsamere Erschei- nungsformen einer offiziellen Währung wie z.B. Bankenbuchgeld gelten demgegenüber nicht als gesetzliche Währung. 42 Daneben prüfen viele Zentralbanken, darunter auch die Schweizerische National- bank, die Ausgabe von sog. Central Bank Digital Currency (CBDC).36 CBDC wäre eine neue Form von Zentralbankgeld, die neben Bargeld (Münzen und Banknoten) und Sichtguthaben stehen würde. Ähnlich wie bei Banknoten wäre die direkte Übertragbar- keit von Zentralbankgeld ohne Kontobuchung (peer-to-peer) möglich. Auch wenn CBDC auf Grundlage von DLT-Systemen emittiert und übertragen werden, sind sie weder Kryptowährungen noch virtuelle Währungen. 43 Bankenbuchgeld ist Geld, das Banken durch Gutschrift auf ihren Konten schaffen. Bankenbuchgeld ist zumeist in einer offiziellen Währung denominiert, doch können Banken auch Guthaben in einer virtuellen Währung halten. 44 Eine dritte Erscheinungsform von offizieller Währung ist E-Geld. E-Geld ist ein elek- tronisch gespeicherter monetärer Wert in Form einer Forderung gegenüber einem Emit- tenten, der gegen Zahlung eines Geldbetrages ausgestellt wird und der auch von anderen natürlichen oder juristischen Personen als dem E-Geld-Emittenten angenommen wird. E-Geld ist in offizieller Währung denominiert und daher keine virtuelle Währung. Nach der E-Geld-Richtlinie37 der EU muss E-Geld jederzeit durch einen entsprechenden Betrag in gesetzlicher Währung gedeckt und in Bankenbuchgeld konvertibel sein (Art. 11 E-Geld-RL). E-Geld-Guthaben dürfen nicht verzinst werden (Art. 12 E-Geld-RL). E-Geld darf nur durch E-Geldinstitute ausgegeben werden, die einer aufsichtsrechtli- chen Bewilligung bedürfen und einer prudenziellen Aufsicht unterstehen (Art. 3, 10 ff. E-Geld-RL). Das schweizerische Recht kennt den Begriff des E-Geldes nur im Zusam- 34 Z ellweger -G utknecht /W eber , (Fn. 29), Jusletter 11. Januar 2021, Rz. 8 f. 35 Üblicherweise qualifizieren nur Münzen und Banknoten als gesetzliche Währung; vgl. für den EURO Art. 128(1) TFEU; für den US-Dollar 31 U.S. Code § 5103. 36 Z ellweger -G utknecht /W eber , (Fn. 29), Jusletter 11. Januar 2021, Rz. 12 ff. Vgl. dazu Bundesrat, Digi- tales Zentralbankgeld; Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats 18.3159, Wermuth, vom 14.3.2018 (Bern, 13. Dezember 2019). 37 Richtlinie 2009/110/EG vom 16. September 2009 über die Aufnahme, Ausübung und Beaufsichtigung der Tätigkeit von E-Geld-Instituten, ABl. L 267 vom 10.10.2009, 7–17. 48
III. Taxonomie menhang mit den Mindestreservevorschriften der Nationalbank (Art. 17 Abs. 2 NBG). Mit der Fintech-Bewilligung (Art. 1b BankG) wurde jedoch ein dem E-Geld-Institut vergleichbares Bewilligungsregime eingeführt. 3. Abgrenzungsfragen Ein bislang ungelöstes Problem ist die Abgrenzung der virtuellen Währungen von 45 Instrumenten, die Anlagezwecken dienen. Das hat einerseits damit zu tun, dass Bitcoin und andere wichtige Kryptowährungen nur sehr begrenzt als Zahlungsmittel verwen- det werden; im Vordergrund steht vielmehr ihre Funktion als (spekulatives) Anlage- instrument. Auch bei vielen Stablecoins ist der Übergang zu Anlageinstrumenten fliessend. Dies ist kein spezifisches Problem von virtuellen Währungen oder gar Kryp- towährungen, sondern ergibt sich aus dem Umstand, dass viele Vermögenswerte mehr oder weniger ausgeprägte Geldeigenschaften aufweisen. Angesichts der grundlegend unterschiedlichen Regulierungs- und Rechtsfolgen, welche an die Einordnung eines Vermögenswerts als Geld oder Anlageinstrument anknüpfen, wäre eine klare Abgren- zung jedoch wichtig. Ein anschauliches Beispiel für die Unsicherheiten bei der Abgrenzung von Geld und 46 Anlageinstrumenten liefert eine Klage, welche die US-Wertpapieraufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) im Dezember 2020 gegen Ripple Labs, Inc. wegen angeb- licher Verletzung des Securities and Exchange Act 1934 erhoben hat. Ripple Labs ist Herausgeberin der Kryptowährung Ripple (XRP), die zu den umsatzstärksten Krypto- währungen überhaupt gehört. Die SEC behauptet in ihrer Klage, dass Ripple (XRP) in Tat und Wahrheit ein Wertpapier im Sinne des bekannten Howey-Tests38 sei, weil es von Ripple Labs als Investmentmöglichkeit vermarktet worden sei.39 Die Ironie dabei ist, dass Ripple primär geschaffen wurde, um den grenzüberschreitenden Zahlungsver- kehr zu vereinfachen, und deshalb besser als praktisch jede andere Kryptowährung Eigenschaften eines Zahlungsmittels aufweist. 38 SEC v. W.J. Howey Co., 328 U.S. 293, 299 (1946). 39 «SEC Charges Ripple and Two Executives with Conducting $1.3 Billion Unregistered Securities Offe- ring», SEC Media Release (Washington D.C., Dec. 22, 2020). 49
Hans Kuhn 4. Zusammenfassung Abb. 2: Währungen und virtuelle Währungen. Quelle: CPMI, Digital Currencies (November 2015), 6. Staatliches Geld Privates Geld Offizielle Währungen (FIAT-Währungen) Virtuelle Währungen Kontenbasiert Krypto- Zentralbankengeld Bankengeld E-Geld Objekt (z.B. WIR) währungen Sicht- Konten- Elektronisch Bargeld CBDC guthaben guthaben gespeichert Gesetzliche Währung (legal tender) Übertragung Zahlungs- P2P P2P Zahlungssystem (E-Geld: P2P mit zentraler Instanz) P2P system ABCD = DLT-basierte Systeme P2P = peer-to-peer 50
IV. Digitale Aktiven im schweizerischen Privatrecht 3. Übertragung von Rechten mit gleicher Funktion wie Wertpapiere a) Forderungstitel aa) Überblick Der durch das DLT-Gesetz neu eingefügte Art. 145a IPRG regelt das auf die Übertragung 218 von verbrieften Forderungen anwendbare Recht und beruft dafür in erster Linie das im Titel bezeichnete Recht. Fehlt es an einer gültigen Rechtswahl, gilt das Recht des Staates, in dem der Aussteller seinen Sitz oder, wenn ein solcher fehlt, seinen gewöhnlichen Auf- enthalt hat (Art. 145a Abs. 1 OR). Die Bestimmung orientiert sich gemäss Botschaft an Art. 106 IPRG, der das Kollisionsrecht der Warenpapiere regelt.313 Gemäss Botschaft gilt Art. 145a IPRG nur für verbriefte Forderungen, nicht aber für Wertpapiere oder Wert- rechte, welche gesellschaftsrechtliche sowie sachenrechtliche Rechtspositionen repräsen- tieren (dazu hinten Rz. 227 f.).314 bb) Anwendungsbereich Art. 145a OR gilt für Forderungen, die «durch einen Titel in Papier- oder gleichwertiger 219 Form vertreten und mittels dieses Titels übertragen» werden. Gemäss Botschaft erfasst Art. 145a IPRG sowohl physische Wertpapiere wie auch Rechte mit gleicher Funktion wie Wertpapiere, wobei die Botschaft ausdrücklich «wertpapierähnliche Token» sowie Registerwertrechte erwähnt.315 Verfügungen über physische Wertpapiere unterliegen allerdings seit jeher dem Recht am Lageort des Wertpapiers im Zeitpunkt der Verfügung (lex cartae sitae, Rz. 201 f.). Den Materialien lassen sich keine Hinweise darauf entneh- men, dass der Bundesrat in diesem Punkt vom geltenden Recht abweichen wollte, im Gegenteil.316 Die Übertragung von direkt gehaltenen physischen Wertpapieren ist des- halb ebenfalls vom Vorbehalt in Art. 145a Abs. 2 IPRG erfasst, sodass Art. 145a Abs. 1 IPRG im Ergebnis nur für die Übertragung von nicht-physischen Titeln gilt. Abzugrenzen ist Art. 145a IPRG ferner vom Rechtsnachfolgestatut für nicht ver- 220 briefte Forderungen, deren Übertragung sich nach international-zessionsrechtlichen Regeln (Art. 145 IPRG) richtet. Auch (einfache) Wertrechte werden nach zessionsrecht- lichen Regeln übertragen, sodass sie internationalprivatrechtlich nach Art. 145 IPRG anzuknüpfen sind. Art. 145a IPRG gilt ebenfalls nicht für Registerwerte, die in einem zentral geführten Register eingetragen und durch Registereintrag übertragen werden. Diese Übertragungvorgänge beurteilen sich nach der lex libri sitae (vorne Rz. 203); der Anwendungsbereich von Art. 145a IPRG ist dementsprechend teleologisch zu reduzie- ren.317 Schliesslich findet Art. 145a IPRG auch nicht auf intermediär-verwahrte Wert- 313 Botschaft DLT-Gesetz, BBl 2020, 200. 314 Bundesrat (Fn. 17), DLT-Bericht: 78–83. 315 Botschaft DLT-Gesetz, BBl 2020, 200. 316 Botschaft DLT-Gesetz, BBl 2020, 200. 317 Die Geltung der lex libri sitae für zentrale geführte Register lässt sich sonst auch mit Art. 15 und/oder Art. 19 IPRG herleiten. 125
Hans Kuhn papiere Anwendung, die einem Sonderkollisionsrecht unterliegen (Art. 108a IPRG, HWpUe). cc) Anknüpfung und Regelungsgegenstand 221 Art. 145a Abs. 1 IPRG knüpft in erster Linie an das Recht an, das im Wertpapier oder im Wertrecht als anwendbar bezeichnet wird (S. 1). Massgebend ist also das von den Par- teien gewählte Recht, wobei die Rechtswahl weder einen minimalen Bezug zum Staat des gewählten Rechts aufzuweisen hat noch von einer besonderen Form abhängig gemacht wird. Nach Art. 116 Abs. 2 IPRG muss die Rechtswahl jedoch ausdrücklich sein und sich eindeutig aus dem Vertrag oder aus den Umständen ergeben. Das Gesetz statuiert keine Einschränkungen der Rechtswahl für Konsumenten (Art. 120 IPRG); der Erwerb von tokenisierten Vermögenswerten dürfte ohnehin kaum als Leistung des üblichen Ver- brauchs für den persönlichen und familiären Gebrauch qualifizieren. Das entspricht im Ergebnis der Rechtslage unter dem Haager Wertpapierübereinkommen318 sowie unter der Rom-I-Verordnung.319 222 Zu beachten ist, dass die Rechtswahl nicht nur im Innenverhältnis, sondern auch gegenüber Dritten gilt; ein Vorbehalt gemäss Art. 104 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 1 IPRG macht Art. 145a IPRG nicht. Das lässt sich damit rechtfertigen, dass Dritte individuelle Rechte an DLT-basierten Registerwertrechten nur erwerben können, wenn sie Teilneh- mer des DLT-Systems sind. Damit haben sie auch einer in den Teilnahmebedingungen enthaltenen Rechtswahl zugestimmt. Auch die Rechtswahl gemäss Art. 4 HWpUe gilt erga omnes. 223 Wurde keine wirksame Rechtswahl getroffen, gilt subsidiär das Recht des Staates, in dem der Aussteller des Titels seinen Sitz oder, wenn ein solcher fehlt, seinen gewöhnli- chen Aufenthalt hat (Art. 145a Abs. 1 S. 2 IPRG). Mit Aussteller des Titels ist der Schuld- ner bzw. Emittent gemeint, nicht etwa der technische Dienstleister, der den Token pro- duziert. Der Sitz einer Gesellschaft bestimmt sich nach Art. 21 Abs. 1 und 2 IPRG. 224 Regelungsgegenstand von Art. 145a IPRG ist ausweislich des Randtitels das auf die «Übertragung [von Forderungen] mittels eines Titels» anwendbare Recht. Gemeint ist damit die Übertragung der Rechtszuständigkeit an Titeln, im Gegenstand zur Bestellung 318 Auch das HWpUe schränkt die Rechtswahlmöglichkeiten für Konsumenten nicht ein; vgl. ZK-K uhn , Art. 4 HWpUe N 83; P eyer M artin , Probleme der Rechtswahl nach Haager Wertpapier-Übereinkom- men im Depotvertrag, AJP 2007, 956–970, 966. 319 Vgl. Art. 1(2)(d) Rom-I-Verordnung: «Verpflichtungen aus Wechseln, Schecks, Eigenwechseln und anderen handelbaren Wertpapieren, soweit die Verpflichtungen aus diesen anderen Wertpapieren aus deren Handelbarkeit entstehen» sind vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen; Art. 6(4)(d) Rom-I-Verordnung: «Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit einem Finanzinstru- ment sowie Rechte und Pflichten, durch die die Bedingungen für die Ausgabe oder das öffentliche Ange- bot und öffentliche Übernahmeangebote bezüglich übertragbarer Wertpapiere und die Zeichnung oder den Rückkauf von Anteilen an Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren festgelegt wer- den, sofern es sich dabei nicht um die Erbringung von Finanzdienstleistungen handelt». 126
IV. Digitale Aktiven im schweizerischen Privatrecht eines beschränkt dinglichen Rechts. Die Begründung von Pfandrechten bestimmt sich nach Art. 105 IPRG; für Nutzniessungsrechte fehlt eine entsprechende Kollisionsregel. Das nach Art. 145a Abs. 1 IPRG bestimmte Recht befindet darüber, ob eine Forderung durch ein Wertpapier oder ein Recht mit gleicher Funktion vertreten oder repräsentiert wird und ob das repräsentierte Recht durch Verfügung über das Wertpapier oder Wert- recht übertragen wird.320 Dieses Recht bestimmt auch die Übertragungsmodalitäten («das dafür erforderliche Prozedere»).321 Art. 145a IPRG regelt somit das Rechtsnachfolgestatut, das zu unterscheiden ist vom 225 Statut, dem die repräsentierte Forderung unterliegt (Forderungsstatut). Das ergibt sich insbesondere aus der systematischen Stellung im Anschluss an das Zessionskollisions- recht. In den Materialien finden sich zwar Aussagen, aus denen man schliessen könnte, dass das Rechtsnachfolgestatut an das Forderungsstatut anknüpft.322 Diese sind jedoch so unklar und widersprüchlich, dass ihnen kein entscheidendes Gewicht zukommen kann. Die Unterscheidung von Rechtsnachfolge- und Forderungsstatut ist für Rechte mit gleicher Funktion wie Wertpapiere auch in der Sache geboten, wird hier doch die Forderung durch eine spezifische Übertragungs- und Legitimationsordnung überlagert und modifiziert, die auch auf kollisionsrechtlicher Ebene berücksichtigt werden muss. Im Ergebnis heisst dies, dass auch Forderungen nach ausländischem Recht in Form 226 eines Registerwertrechts nach schweizerischem Recht repräsentiert und nach den Regeln von Art. 973d ff. OR übertragen werden können. Würden Rechtsnachfolge- und Forde- rungsstatut zusammenfallen, wäre das nicht der Fall. Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Gesetzgeber die Absicht hatte, Forderungen, die einem ausländischen Recht unter- stehen, von einer Tokenisierung unter Schweizer Recht zum vornherein auszuschliessen. b) Beteiligungstitel Mit Bezug auf Gesellschaftsanteile vertrat der Bundesrat im DLT-Bericht die Auffassung, 227 dass Mitgliedschaftsrechte dem Recht unterstehen, das auf die jeweilige Gesellschaft anwendbar ist (Gesellschaftsstatut); das ist in erster Linie das Recht, nach dem die Gesell- schaft konstituiert wurde (Art. 154 Abs. 1 IPRG).323 Das Gesellschaftsstatut soll demnach darüber entscheiden, ob die Verkörperung der Mitgliedschaft in einem Token rechts- gültig ist und inwieweit ihre Übertragung mit der Übertragung des Tokens verknüpft 320 Botschaft DLT-Gesetz, BBl 2020, 198. 321 Botschaft DLT-Gesetz, BBl 2020, 198. 322 Vgl. jedoch Botschaft DLT-Gesetz, BBl 2020, 199: «Der Bundesrat tendiert wie im DLT-Bericht von 2018 dargelegt zur Annahme, dass für die Frage der Verbriefung einer Forderung und die Frage der Übertragung einer verbrieften Forderung das Recht massgebend ist, dem der die Forderung begrün- dende Vertrag untersteht. Somit würde primär das von den Vertragsparteien gewählte und subsidiär das mit dem Vertrag am engsten zusammenhängende Recht gelten, wobei Letzteres vermutungsweise das Recht am Sitz der Niederlassung des Erbringers der vertragscharakteristischen Leistung ist (Art. 116 f. IPRG).» 323 Botschaft DLT-Gesetz, BBl 2020, 299. 127
Hans Kuhn werden kann.324 Für Verfügungen über Beteiligungstitel scheint der Bundesrat deshalb kollisionsrechtlich umfassend an das Gesellschaftsstatut anzuknüpfen. 228 Die Aussagen des Bundesrats gehen von unzutreffenden Annahmen aus. Denn auch das internationale schweizerische Gesellschaftsrecht unterscheidet zwischen Wertpapier- rechts- und Wertpapiersachstatut und unterstellt die Rechte am Papier und deren Über- tragung dem Recht am Ort der belegenen Sache (lex cartae sitae).325 Dementsprechend ist auch für Gesellschaftsanteile, die durch ein Recht mit gleicher Funktion wie Wert- papiere repräsentiert werden, zwischen Rechtsnachfolge- und Gesellschaftsstatut zu unterscheiden. Art. 145a IPRG ist darauf sinngemäss anzuwenden, sodass die Übertra- gung von Gesellschaftsanteilen in Form eines Rechts mit gleicher Funktion wie Wert- papiere dem von den Parteien bzw. dem Emittenten gewählten Recht unterliegt. Im Ergebnis heisst das, dass auch Beteiligungsrechte ausländischer Gesellschaften in Form eines Registerwertrechts nach schweizerischem Recht repräsentiert werden können. Voraussetzung ist allerdings, dass das Gesellschaftsstatut eine Verbriefung der Titel zulässt (Art. 145a Abs. 1 IPRG anal.). Das Gesellschaftsstatut entscheidet im Übrigen auch über gesellschaftsrechtliche Übertragungsvoraussetzungen und -beschränkungen (z.B. Zustimmung der Gesellschaft, Eintragung in Aktionärsregister).326 c) Sachenrechtliche Titel 229 Bei sachenrechtlichen Titeln ist die Lage insofern anders, als hier die Beziehung zum Lageort der Sache in der Regel dominant ist. Das gilt insbesondere für Rechte an Grund- stücken, die durch Einträge im Grundbuch begründet und übertragen werden. Sofern eine Verbriefung solcher Rechte überhaupt denkbar ist – was klarerweise die lex rei sitae regelt –, ist die Verbindung von Titel und Grundbuch derart eng, dass eine umfassende Anwendung der lex rei sitae geboten erscheint. Könnten beispielsweise Registerschuld- briefe nach Art. 857 ZGB tokenisiert werden, so ist schwer vorstellbar, dass diese Meta- ebene einer ausländischen Rechtsordnung unterstehen sollte. 4. Verpfändung von Rechten mit gleicher Funktion wie Wertpapiere 230 Für die Verpfändung von Forderungen, Wertpapieren und anderen Rechten gilt nach Art. 105 IPRG eine Sonderkollisionsnorm. Massgebend ist das von den Parteien gewählte Recht; die Rechtswahl kann aber Dritten nicht entgegengehalten werden (Art. 105 Abs. 1 324 Bundesrat (Fn. 17), DLT-Bericht, 80. 325 ZK-V ischer /W eibel , Art. 155 IPRG N 25; ZK-J äggi , Kommentar zum Wertpapierrecht, Einleitung N 21 und 23; vgl. auch BGE 80 II 53 E. 2c: «Es ist zu unterscheiden zwischen wertpapierrechtlichen Fragen und solchen, die das im Wertpapier verurkundete Rechtsverhältnis als solches betreffen; diese beiden Gruppen von Fragen beurteilen sich verschieden […]. Der vorliegende Streit dreht sich nicht um Bedeutung und Sinn der in der Aktie verurkundeten Erklärung des Ausstellers und um wertpapierrecht- liche Fragen, sondern um das Grundverhältnis zwischen Aktionär und Gesellschaft in dem heute gege- benen Sonderfalle.» 326 ZK-V ischer /W eibel , Art. 155 IPRG N 25. 128
IV. Digitale Aktiven im schweizerischen Privatrecht IPRG). Das DLT-Gesetz hat hier eine Modifikation von Abs. 2 gebracht, der das anwend- bare Recht bei Fehlen einer Rechtswahl regelt. Demnach untersteht die Verpfändung von Forderungen dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Pfandgläubigers. Für die Verpfändung anderer Rechte gilt dasselbe, sofern diese durch ein Wertrecht, ein Wert- papier oder «einen gleichwertigen Titel» vertreten werden; andernfalls untersteht ihre Verpfändung dem auf sie anwendbaren Recht. 5. Warenpapiere Das DLT-Gesetz ermöglicht auch die Digitalisierung von Warenpapieren (Art. 1156 231 OR, vorne Rz. 79, 88 f.). Dementsprechend war die IPR-Bestimmung über Waren- papiere (Art. 106 IPRG) anzupassen. Eine materielle Änderung war nicht beabsichtigt.327 Warenpapiere unterstehen kollisionsrechtlich dem im Titel bezeichneten Recht; dieses bestimmt auch darüber, ob der Titel die Waren vertritt (Art. 106 Abs. 1 m.V. auf Art. 145a Abs. 1 OR). Im Übrigen wurde die Bestimmung der geänderten Terminologie angepasst.328 327 Botschaft DLT-Gesetz, BBl 2020, 298. 328 Botschaft DLT-Gesetz, BBl 2020, 298. 129
VII. Handel mit digitalen Aktiven Solche Protokolle basieren auf dem Prinzip der Abstimmungen. Die Teilnehmer*innen stimmen für die nächste anzuwendende Operation ab; dabei weiss jeder Teilnehmer, welche Abstimmung zu welchem Zeitpunkt durchgeführt wurde.9 Bei «Permissionless» DLT-Systemen (Systeme ohne Zugangskontrolle) hingegen ist 14 eine solche Abstimmung nicht möglich, da sich die Teilnehmer*innen aufgrund der fehlenden Zugangskontrolle als beliebig viele Teilnehmer*innen ausgeben können (sog. Sybill-Attacke); die Abstimmung liesse sich nie beenden bzw. durchführen. Des- halb beruht der Konsens auf einem Mechanismus, aufgrund dessen es unattraktiv ist für die Teilnehmer*innen, gegen das System zu arbeiten. Ein zufällig ausgewählter Teilnehmer schlägt hierzu eine Operation vor; die nächste Teilnehmerin, welche wie- der zufällig ausgewählt wird, kann diesen Vorschlag annehmen und darauf aufbauen. Die einzelnen Operationen werden in Blöcke unterteilt, um die Effizienz steigern zu können.10 Von grundlegender Bedeutung ist bei der DLT, dass die Abwicklung der Transaktio- 15 nen in einem Peer-to-Peer Netzwerk ohne Intermediäre erfolgt. Eine zentrale Kontrolle existiert somit nicht. Erforderlich ist aber ein regelmässig aktualisiertes und chronologi- sches Register auf dem Rechner jedes Beteiligten, damit die Transaktionen nachvollzieh- bar sind.11 Dank den Peer-to-Peer Netzwerken lassen sich die Geschäftsprozesse kosten- günstiger, schneller und transparenter abschliessen.12 Dieser Vorteil wirkt sich insbesondere auf den Handel der DLT-Effekten aus und legitimiert damit auch eine Regulierung der DLT-Handelssysteme. 3. Bedeutung der neuen Regulierungen Die neuen Bestimmungen zum Handel mit digitalen Aktiven haben eine grosse rechtli- 16 che und wirtschaftliche Bedeutung. Damit sich die neuen DLT-Geschäftsmodelle erfolg- reich entwickeln und ausbreiten können, müssen die digitalen Aktiven individuell und gewerbsmässig von einer Person auf eine andere Person übertragbar sein. Nach der Schaffung von digitalen Aktiven und deren Zuordnung zu einzelnen Inhabern setzen wirtschaftlich erfolgreiche Geschäftsmodelle auch voraus, dass ein Wechsel der Inhaber- schaft durch einen transaktionalen Vorgang möglich ist. Die Schweiz gehört weltweit zu den ersten Ländern, die angemessene Rahmenbedin- 17 gungen für den Handel mit digitalen Aktiven geschaffen hat. Die damit bewirkte Rechts- sicherheit ist ein Standortvorteil, dessen Bedeutung nicht zu unterschätzen ist. 9 Bundesrat Grundlagen DLT (Fn. 8), 25. 10 Ibid. 11 W agner A lexander F./W eber R olf H., Corporate Governance auf der Blockchain, SZW 2017, 59–70, 61; K aulartz M arkus , Die Blockchain-Technologie, CR 2016, 474–480, 474. 12 W eber , R olf H., Blockchain als rechtliche Herausforderung, Jusletter IT 18. Mai 2017, Rz. 3. 169
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