Welt welt JUNI - AUGUST 2018 C 51 78 - Generationen - Nordkirche weltweit

Die Seite wird erstellt Diana Böhm
 
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Welt welt JUNI - AUGUST 2018 C 51 78 - Generationen - Nordkirche weltweit
welt                         C 51 78
                JUNI – AUGUST 2018 Schwerpunkt

Generationen
                                                 weltbewegt   37
Welt welt JUNI - AUGUST 2018 C 51 78 - Generationen - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt

Eines Tages, Baby                                                                                                                                                                                                                                                                            Aus dem Inhalt                                                                                                                     Editorial
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Jugend von heute –                                  Träume von einer Kirche
Eines Tages, Baby, da werden wir alt sein,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  was heißt das?                                      als Ort der Hoffnung
                                                                                                                                                                                                                                                                                              5                                                                                                20
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Liebe Leserin, lieber Leser,
Ohh, Baby werden wir alt sein,                                                                                                                                                                                                                                                                    Jannika Baars entdeckt bei                          Welche Bedeutung haben Chri-

                                                                                    Fotos: C. Plautz (2), C. Wenn (1), Freiwilligenprogramme (1), Camp Vanagai (1), J. Henschen (1), H. Gafga (1), iStock (1), M. Roselowsky (1), M. Tuve (1), gemeinfrei (1), IKG (1), ZMÖ-Bildarchiv (1)
Und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können.                                                                                                                                                                                                                                der Beschreibung ihrer                              stentum und Kirche heute für                                              wie sieht es aus zwischen den Gene-
Und ich denke zu viel nach. Ich warte zu viel ab.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Generation Facettenreichtum                         junge Menschen? Gedanken von                                              rationen? Was können die Jüngeren
Ich würd‘ gern so vieles sagen, aber bleibe meistens still,                                                                                                                                                                                                                                       und Widersprüchliches.                              Johannes Davi und Kira Schall.                                            von den Alten lernen und was die
weil wenn ich das alles sagen würde wär das viel zu viel,                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Alten von den Jungen? Was denken
Ich würd‘ gern so vieles tun, meine Liste is so lang,                                                                                                                                                                                                                                             Kehrt nicht zurück zu                               Keine Alibi-                                                              sie über die eigene Generation, und
aber ich werd‘ eh nie alles schaffen, also fang‘ ich gar nicht an.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  alten Denkmustern!                                  Jugendlichen                                                              wie erleben sie die Generationen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                vor ihnen? Natürlich gibt es nicht die alte oder die junge
Stattdessen häng‘ ich planlos vorm Smartphone,
wart‘ bloß auf den nächsten Freitag
Gemach! das mach‘ ich später — die Baseline meines Alltags
                                                                                                                                                                                                                                                                                              8   Im Interview mit ihrer Oma
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  erfährt Sophie Plautz,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Jens Haverland hat sich schon
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      früh in der Kirche engagiert
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               22                               Generation. Dazu sind die Lebensumstände zu verschieden.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Das zeigen die facettenreichen Beiträge der jungen Auto-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  welchen Wert Geschichts-                            und fordert intergenerationel-                                            rinnen und Autoren dieses Heftes. In Deutschland gehören
Unser Leben ist ein Wartezimmer, niemand ruft uns auf,                                                                                                                                                                                                                                            bewusstsein hat.                                    le Leitungen.                                                             sie zur „Generation Y“ und damit zu der Generation, die
unser Dopamin das spar‘n wir immer falls wir’s nochmal brauchen,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                behütet aufgewachsen und gut ausgebildet ist. Nie zuvor
und wir sind jung und haben viel Zeit,
warum soll‘n wir was riskier‘n?
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Wir sind unseren En-                                Zusammen können                                                           war eine Generation so international vernetzt wie die der
Wir woll‘n doch keine Fehler machen, woll‘n doch nichts verlieren                                                                                                                                                                                                                                 keln unser Alter schuldig                           wir mehr erreichen                                                        „Digital Natives“. Für sie scheint alles möglich bei
und es bleibt so viel zu tun. Unsere Listen bleiben lang,                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       25
                                                                                                                                                                                                                                                                                             10
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                gleichzeitigem Druck zur permanenten Selbstoptimierung.
und so geht Tag für Tag ganz still ins unbekannte Land.                                                                                                                                                                                                                                           Fulbert Steffensky denkt                            In Kenia verändert sich das                                               Im Gegenzug wünschen sich viele aus dieser Generation
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  darüber nach, was Groß-                             Verhältnis zwischen Jung                                                  eine Berufswelt, die mehr im Einklang mit eigenen Bedürf-
Und die Geschichten, die wir dann statt dessen erzählen,                                                                                                                                                                                                                                          eltern ihren Enkeln heute                           und Alt rasant, erfährt
werden traurige Konjunktive sein.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               nissen steht. „Wir wollen eine Arbeit, die Sinn macht und
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  eigentlich geben können.                            Emmaculate Okwach.                                                        erfüllend ist“, schreibt Diego Grützmann, der seinen Stu-
Lass uns doch Geschichten schreiben, die wir später gern erzählen,
lass uns nachts lange wachbleiben, aufs höchste Hausdach                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                        dienplatz für eine Ausbildung zum Gesundheits- und
der Stadt steigen, lachend und vom Takt frei die allertollsten                                                                                                                                                                                                                                    Wie finde ich meinen                                Power, das Land zu                                                        Krankenpfleger eingetauscht hat. Wie seine Altersgenossen
Lieder singen.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Sinn im Leben?                                      verändern                                                                 schätzt auch er den Austausch mit der älteren Generation
Lass uns Feste wie Konfetti schmeißen, sehn wie sie zu Boden reisen
                                                                                                                                                                                                                                                                                             12
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               26
und die gefall‘nen Feste feiern, bis die Wolken wieder lila sind.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               sehr, nicht nur in Orientierungsphasen. Jannika Baars hat
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Nach der Schule fragen sich                         Marius Blümel erlebt in Süd-
Und lass mal an uns selber glauben, ist mir egal ob das verrückt ist,                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                           allerdings beobachtet, dass hierzulande die Grenzen zwi-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  viele: Was mache ich jetzt?                         afrika den Kampf der „Born
und wer genau guckt sieht, dass Mut auch bloß ein Anagramm‘                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                     schen den Generationen immer mehr verschwimmen. Sie
von Glück ist.                                                                                                                                                                                                                                                                                    Lucie Wank weiß dabei den                           Free“-Generation für eine
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                sieht nicht nur Vorteile darin, wenn Eltern lieber „beste
Und wer immer wir auch waren, lass mal werden, wer wir sein wolln.                                                                                                                                                                                                                                Rat von Eltern zu schätzen.                         offene und faire Gesellschaft.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Freundinnen oder Freunde“ ihrer Kinder sein wollen. Das
Wir haben schon viel zu lang‘ gewartet, lass mal Dopamin vergolden.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                ist in anderen kulturellen Kontexten anders. Dort, wo die
Der Sinn des Lebens ist leben. – Das hat schon Casper gesagt.
Let’s make the most of the Night – Das hat schon Kesha gesagt
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Umwege machen das                                   Der Rat der Alten ist                                                     ältere Generation wie in Kenia noch eine besondere Auto-
Lass uns möglichst viele Fehler machen                                                                                                                                                                                                                                                            leben erst lebendig                                 sehr gefragt                                                              rität hat, „braucht die Begegnung zwischen Jung und Alt
und möglichst viel aus ihnen lernen,                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            ebenso viel Verständnis wie die zwischen zwei Kulturen“,
lass uns jetzt schon Gutes säen, damit wir später Gutes ernten.                                                                                                                                                                                                                              14   Diego Grützmann lernt von                           In Papua-Neuguinea leben
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               28
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                meint Emmaculate Okwach. Zugleich ist sie überzeugt,
Lass uns alles tun weil wir können und nicht müssen,                                                                                                                                                                                                                                              Älteren, dass ein gelungenes                        Kinder und Jugendliche in zwei                                            dass man gemeinsam mehr erreicht und orientiert sich an
Weil jetzt sind wir jung und lebendig und das soll ruhig jeder wissen                                                                                                                                                                                                                             Leben nicht aus graden                              Welten, im Heimatdorf und am
und unsre Zeit die geht vorbei. Das wird sowieso passieren,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                der Weisheit der Alten: „Allein läuft ein Junger schnell, mit
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Linien besteht.                                     Schulort, weiß Maiyupe Par.                                               einem Älteren langsam, aber zusammen gehen sie weit“.
und bis dahin sind wir frei, und es gibt nichts zu verlieren.
Lass uns uns mal demaskieren und dann seh‘n wir sind die Gleichen,
und dann könn‘ wir uns ruhig sagen, dass wir uns viel bedeuten,                                                                                                                                                                                                                                   „Enkel für Ungerech-                                Spiritualität ist der letti-                                                  Viel Freude beim Lesen wünscht Ihnen
denn das Leben, was wir führen wollen,
das können wir selber wählen.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  tigkeit sensibilisieren“                            schen Jugend wichtig
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               30
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Ihre
Also: Los!
Schreiben wir Geschichten, die wir später gern erzählen!                                                                                                                                                                                                                                     16   Was prägt junge und ältere
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Frauen in der Kirche? Ein
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Ins christliche Jugendcamp nach
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Vanagai, das Liudas Miliauskas
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Gespräch zwischen Elke                              gegründet hat, kommen jährlich                                            P.S. Ihre Meinung interessiert uns, darum schreiben Sie uns gern!
Julia Engelmann (26), Poetry-Slammerin, Sängerin und Schauspielerin, Auszüge aus
ihrem Beitrag „Eines Tages, Baby“ (2014)                                                                                                                                                                                                                                                          Wrage und Flora Mennicken.                          500 Teilnehmende.

    weltbewegt-Post-Anschrift: Zentrum für Mission und Ökumene – Nordkirche weltweit, Postfach                                                                                                                                                                                                                                   52 03 54, 22593 Hamburg, Telefon 040 88181-0, Fax -210, E-Mail: info@nordkirche-weltweit.de
    IMPRESSUM: weltbewegt (breklumer sonntagsblatt fürs Haus) erscheint viermal jährlich. HERAUSGEBER UND V     ­ ERLEGER: ­Zentrum für Mission und Ökumene                                                                                                                                                                      DRUCK, VERTRIEB UND VERARBEITUNG: Druckzentrum Neumünster, JAHRESBEITRAG: 15,– Euro, SPENDENKONTO: IBAN DE77 5206 0410 0000 1113 33
    – Nordkirche weltweit, Breklum und ­Hamburg. Das Zentrum für Mission und Ökumene ist ein Werk der ­Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland.                                                                                                                                                                       EVANGELISCHE BANK, BIC GENODEF1EK1. Mit Namen gekennzeichnete Artikel geben die Meinung des Autors/der Autorin und nicht unbedingt die Ansicht des
    DIREKTOR: Pastor Dr. Klaus Schäfer (V.i.S.d.P.), REDAKTION: Ulrike Plautz, GESTALTUNG: Christiane Wenn, KONZEPT: Andreas Salomon-Prym, SCHLUSS­                                                                                                                                                                              ­herausgebenden Werkes wieder. Die Redaktion behält sich vor, Manuskripte redaktionell zu ­bearbeiten und gegebenenfalls zu kürzen. Gendergerechte Sprache
    KORREKTUR: Hedwig Gafga, ADRESSE: Agathe-Lasch-Weg 16, 22605 H      ­ amburg, Telefon 040 88181-0, Fax: 040 88181-210, ­w ww.nordkirche-weltweit.de.                                                                                                                                                                         wenden wir in dieser Publikation an, indem wir u. a. abwechselnd die männliche und weibliche Form benutzen. Gedruckt auf TCF – total chlorfrei gebleichtem Papier.

2       weltbewegt                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               weltbewegt           3
Welt welt JUNI - AUGUST 2018 C 51 78 - Generationen - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt

                                                     Jugend von heute –
                                                     was heißt das eigentlich?
                                                     Was sagen junge Menschen selbst über ihre Generation?
                                                     Wie sehen sie ihr Verhältnis zu den Älteren?
                                                                                                                Jannika Baars

                                  N    eulich las ich in der Zeitung
                                       wieder etwas von der heutigen
                                  „generationslosen Generation“, zu
                                                                         Eltern wollen keine Autorität
                                                                         sein, sondern auf einer Stufe
                                                                                                                 digung ihrer Grundbedürfnisse
                                                                                                                 machen. Viele von uns sind bestens
                                                                                                                 ausgebildet, haben studiert und
                                                                         mit ihren Kindern stehen
                                  der man mich, 1998 geboren, wohl                                               bereits in jungen Jahren durch Reisen
                                  auch zählen würde. In dem Artikel      Dass die Bedeutung der Abgren-          mit den Eltern oder später durch
                                  ging es im Wesentlichen darum,         zung abgenommen hat, liegt auch an      Austausch- und Freiwilligenpro-
                                  dass der sogenannten Generation Y,     den Eltern, die heutzutage mehr um      gramme viel von der Welt gesehen.
                                  die in etwa die Jahrgänge 1980 bis     ein gutes und sogar freundschaft-       Mit lässiger Wischbewegung über
                                  2000 umfasst, eine Identität fehlt     liches Verhältnis zu ihren Kindern      Tablett oder Smartphone scheint
                                  und sie sich von den Jugendlichen      bemüht sind. Viele moderne Eltern       man heute mühelos vieles erreichen
                                  aus vorherigen Jahrgängen abhebt.      wollen für ihre Kinder keine Autori-    oder ändern zu können: Filme, Mu-
                                  Heutige Teenager seien weniger re-     tätsperson verkörpern, sondern lie-     sik, Beziehungen, und sogar Freunde.
                                  bellisch, heißt es da, weniger be-     ber ihre besten Freundinnen oder        Anstrengend klingt das nicht. Wir
                                  strebt, sich von den eigenen Eltern    Freunde sein und emotional auf          wissen nicht, wie es sich anfühlt zu
                                  abzugrenzen, etwa durch Musik,         einer Stufe mit ihren Sprösslingen      hungern oder zugebombt zu werden,
                                  Drogen oder Szenekleidung. Das sei     stehen. Diese fehlende Distanz zu       sondern leben in einigermaßen sta-
                                  früher anders gewesen.                 den Eltern bringt sowohl Vor- als       bilen Verhältnissen. Der Mehrzahl
                                      Im Zuge der 68er-Bewegung gab      auch Nachteile mit sich: Zwar ist       der Jugendlichen fehlt es nicht an
                                  es den Aufstand gegen die Eltern-      eine harmonische Beziehung zwi-         materiellen Dingen, weshalb auch
                                  generation, gegen Autoritäten und      schen beiden Seiten natürlich sehr      der Drang zur Veränderung oft aus-
                                  Obrigkeiten, die per se misstrauisch   angenehm, erschwert es Jugendli-        bleibt. Schnell wird die eigene Le-
                                  beäugt wurden. Daneben verschie-       chen allerdings gleichzeitig, ihren     benssituation für selbstverständlich
                                  dene Jugendkulturen, die viel deut-    eigenen Weg zu finden und sich vom      gehalten, was eine gewisse Maß-
                                  licher als heute voneinander abge-     Elternhaus abzunabeln. Dies kann        losigkeit befördert und gleichzeitig
                                  grenzt waren. Es machte einen Un-      ich auch aus eigener Erfahrung be-      die Dankbarkeit für kleine Dinge
                                  terschied, ob man Anhänger der         stätigen. So ist es bei Mama zuhause    verringert.
                                  Rolling Stones oder der Beatles war.   einfach immer noch am schönsten,
                                  Aus Geschichten meiner Mutter über     wohingegen das Alleinwohnen an-         Vielleicht ist die Notwendig-
                                  ihre Jugend kenne ich noch die Kate-   strengender und mit weniger „Ser-       keit, etwas ändern zu müs-
                                  gorisierungen in Popper, Yuppies       vice“ wie Wäsche waschen, Kochen        sen, nicht so offensichtlich?
                                  oder „Müslis“, was ich so in meiner    und Putzen verbunden ist.
                                  eigenen Umgebung nicht wieder-             Dass die Teenager heute weniger     Auch für politische Ideale einzuste-
                                  finde. Natürlich gibt es auch heute    aufsässig sind als früher, mag auch     hen ist weniger angesagt als noch
                                  noch Subkulturen wie Hip Hop,          daran liegen, dass wir weder den        vor einigen Jahrzehnten. Die Wahl-
                                  Fußballfans, Cosplayer, „Ökos“ oder    Krieg noch die Nachkriegszeit direkt    beteiligung und generell das poli-
                                  „Hipster“ sowie viele der alten        mitbekommen haben. Im Großen            tische Interesse junger Leute sinkt.
                                  Jugendkulturen. Allerdings scheinen    und Ganzen ist die heutige Jugend       Auch dies ist ein Fakt, den ich an
                                  die Grenzen viel verschwommener        wohlbehütet mit einem Dach über         mir selbst beobachten kann: Auch
                                  und die Einteilung in verschiedene     dem Kopf und genug zu essen             wenn mich an unserem Wirt-
                  Foto: LWB (1)

                                  Gruppen nicht mehr so wichtig oder     aufgewachsen und muss sich keine        schafts- und Gesellschaftssystem ei-
                                  offensichtlich zu sein.                großen Gedanken über die Befrie-        niges stört, ist es mir doch zu müh-

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Welt welt JUNI - AUGUST 2018 C 51 78 - Generationen - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt

                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Generation Y
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Zur Generation Y gehört die Bevölkerungsgruppe,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   die (je nach Auslegung) im Zeitraum von 1980
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   bis 2000 geboren wurde und auf die Generation X
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   folgt. Der Begriff tauchte zum ersten Mal 1993 in
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   einer Marketingzeitschrift auf. Diese Generation
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   wird je nach Quelle auch als „Millennials“
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   bezeichnet. Die Generation Y gilt im Allgemeinen
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   als gut ausgebildet, meist mit Hochschulabschluss,
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   und gehört zu den Digital Natives, zur ersten
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Generation, die in einem Umfeld von Internet und
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   mobiler Kommunikation aufgewachsen ist. Sie ist
                                                                                                                                                                                                                                                                                                   stärker international vernetzt und vielsprachiger
                      sam, mich in die Materie wirklich        pitalistische System auf. Wir haben    für die Rente von immer mehr alten                                                                       schärfer hervor, in Anbetracht der     übertragbar und können auch für              als frühere Generationen. Die Wirtschafts-
                      einzuarbeiten und meine Stimme           keine Kriegszeiten miterlebt, sind     Menschen aufkommen zu können.                                                                            gegenseitigen Entfremdung durch        uns sehr hilfreich sein. Zudem ist ein       journalistin Kerstin Bund versucht, das Arbeits-
                      laut zu machen. Vielleicht ist die       dafür aber als „Digital Natives“ im    Darunter leidet auch die Genera-                                                                         die räumliche Distanz. Hier ist die    Gespräch mit den eigenen Vor-                verhalten der Mitglieder dieser Generation in
                      Generation Y tatsächlich resignier-      Zeitalter des Internets geboren.       tionengerechtigkeit, da beide Seiten                                                                     Hemmschwelle zum einen durch           fahren eine kostbare Möglichkeit,            Deutschland zu beschreiben, wobei sie sich
                      ter als vorangegangene Jahrgänge,                                               unzufrieden sind: Die Jungen müssen                                                                      den fehlenden regelmäßigen Aus-        etwas über unsere eigenen Wurzeln            teilweise auf die Shell Jugendstudie stützt.
Kommunikation         weil sie keine Perspektive sieht,        Viele junge Leute haben                viel arbeiten und die Alten bekommen                                                                     tausch miteinander und zum ande-       und unsere Herkunft zu erfahren.             Demnach fordert diese Generation eine Berufs-
    jedes Mal         etwas grundlegend verändern zu           kaum noch regelmäßigen                 deutlich weniger Rente: Nach einer                                                                       ren durch die ganz verschiedenen       Darüber, wie es „vor uns“ in der Welt        welt, die mehr im Einklang mit ihren Bedürfnissen
      anders.         können oder auch die Notwendig-          Kontakt zu älteren Menschen            aktuellen Studie des Deutschen                                                                           Lebensrealitäten sehr hoch. Beider-    aussah, wie die Menschen damals              steht. Ihre Lebensläufe sind weniger gradlinig, was
                      keit dafür nicht so offensichtlich                                              Instituts für Wirtschafts-forschung                                                                      seits ist die Beziehung häufig von     gedacht und welche Werte sie                 zu mehr Stress, aber auch zu mehr Freiheit führt.
(Fotos v. l. n. r.)   vorhanden ist. Uns geht es dafür         Die Welt meiner Großmutter ist         wird im Jahr 2036 jeder und jede                                                                         Unverständnis und Unsicherheit ge-     geprägt haben. Die Älteren wie-              So sei den Jungen die Freude an der Arbeit
  1968 war das        vielleicht noch einfach „zu gut“ im      eine ganz andere. Mit einem offen-     fünfte 67-Jährige von Alters-                                                                            prägt, was ich selbst sehr schade      derum können von der Weltoffen-              wichtiger als der Status. Sie wollen einen Beruf,
  Jahr der Stu-       Konsumparadies. Zwar besteht heu-        sichtlichen Wertewandel der Gene-      armut betroffen sein. Andererseits                                                                       finde.                                 heit und Neugier der Jugend pro-             der Sinn macht und ihm nicht mehr alles
dentenrevolten        te eine enorm umfassende Band-           rationen hat sich auch das Verhält-    werden ältere Menschen durch eine                                                                            Denn ich denke, dass die Gene-     fitieren und durch sie auf dem               unterordnen. Sie wünschen sich die Möglichkeit
 und der enga-        breite an Initiativen und Projekten,     nis zwischen Alt und Jung geändert:    längere Lebensspanne auch gleich-                                                                        rationen eine ganze Menge vonein-      Laufenden bleiben. Es ist völlig             zur Selbstverwirklichung sowie mehr Zeit für
gierten Diskus-       für die man sich engagieren kann.        Viele junge Leute haben kaum noch      zeitig mehr Zeit für Dinge haben, die                                                                    ander lernen können und beidseitig     natürlich, dass das eigene Weltbild          Familie, Freunde und Freizeit. Viele seien heute

                                                                                                                                                                                                                                                                                               .
    sionen zwi-       Jedoch wirkt gerade die Fülle dieses     einen regelmäßigen Kontakt zu          nicht in den vollen Terminkalender                                                                       sehr wertvolles Wissen bereithalten    mit zunehmendem Alter festge-                mehr an der Sache interessiert als an der Macht.
 schen Studie-        Angebots gleichzeitig auch überfor-      älteren Menschen. Die Großeltern       der Jungen passen. Gleichzeitig bleibt                                                                   – vor allem der Erfahrungsschatz der   fahrener und unflexibler wird – da           So arbeite diese Generation lieber in Teams statt
    renden und        dernd. Man müsste sich mit jedem         gehören in den meisten Fällen nicht    mehr Zeit für gegenseitigen Aus-                                                                         Alten ist unbezahlbar: So haben        kommen etwas frischer Wind und               in ausgeprägten Hierarchien. Das bedeute aber

                                                                                                                                                                                                                                                                                               .
      Politikern.     einzelnen Thema intensiv beschäfti-      mehr zum direkten Familienumfeld       tausch und Begegnungen. Wenn die                                                                         Zeitzeugenberichte, etwa aus der       neue Perspektiven und Ideen, die             nicht, dass die Generation weniger leistungsbereit
                      gen, um herauszufinden, welche           wie früher oder wie heute noch in      geschenkten Jah-re also nicht nur als                                                                    NS-Zeit, eine ganz andere, viel per-   Welt zu gestalten, gerade recht.             sei. Soziologen beobachten sogar, dass Tugenden
Die Generation        Form des Engagements denn die            vielen anderen Kulturen. Die           Freizeit ausgelebt, sondern auch zu                                                                      sönlichere und eindringlichere Wir-        Ein Austausch ist also dringend          wie Fleiß und Ehrgeiz seit Mitte der 90er Jahre

                                                                                                                                                                                                                                                                                               .
     Y ist immer      richtige für einen ist, welches Anlie-   Wohnformen haben sich im letzten       einer sozialen Zeit werden, kann es                                                                      kung als es der Geschichtsunterricht   nötig – bevor wir die Möglichkeit            enorm an Bedeutung gewonnen haben. Leistung
      online. Sie     gen überhaupt das persönlich wich-       Jahrhundert stark verändert. Viele     auch als Glücksfall für die jüngere                                                                      je vermitteln könnte. Viele Weishei-   von gegenseitigen Zeitzeugenbe-              wird jedoch nicht mehr nur an beruflichen Erfolgen
  gehört zu den       tigste ist, und sich dann für einige     junge Familien leben und arbeiten      Generation angesehen werden.                                                                             ten und Fähigkeiten unserer Groß-      richten aus verschiedenen Welten             bemessen, sondern auch an anderen Lebens-
   „Digital Nati-     wenige Projekte entscheiden. Dies        in der Stadt, wo sie sich nur kleine                                                                                                            eltern sind auch auf heutige Zeiten    nicht mehr wahrnehmen können.                leistungen. Natürlich gehören zur Generation Y
ves“, zur ersten      kostet natürlich Zeit und manch          Wohnungen leisten können. Statt        Von Großeltern mehr über die                                                                                                                                                                 nicht alle nach 1980 Geborenen. Es sind vor allem
Generation, die       einer fühlt sich von den immensen        mit ihren Kindern und Enkeln           eigenen Wurzeln erfahren                 Fotos: Wikimedia (1), AdobeStock (1), iStock (1), C. Wenn (1)                                                                                       jene gut Ausgebildeten, die behütet und relativ
     mit mobiler      Möglichkeiten schlichtweg erschla-       unter einem Dach zu wohnen, wer-                                                                                                                                                                                                    begütert aufgewachsen sind. Die Charakteristika
Kommunikation         gen, weshalb man dann vielleicht         den heute also viele ältere Menschen   Wie also steht es nun um die Gene-                                                                                                                                                           der Generation Y treffen also nur auf einen Teil der
    und Internet      stattdessen gar nichts tut.              in Seniorenunterkünften betreut.       ration Y und um das Verhältnis                                                                                                                              Jannika Ba                       jungen Erwachsenen zu, so wie in der Generation
                                                                                                                                                                                                                                                                                ars (20)
                                                                                                                                                                                                                                                                  studiert Um
 aufgewachsen             Das alles soll nicht heißen, dass        Hinzu kommt der demogra-           zwischen Jung und Alt im Jahr                                                                                                                                            welt-               der „68er“ nicht alle typische 68er waren.
                                                                                                                                                                                                                                                                  wissenschaf
             sind.    keine starken und sehr aktiven Ju-       phische Wandel: Die Menschen           2018? Einerseits sind heute die                                                                                                                                          ten in              Soziologen sehen die große Chance, dass
                                                                                                                                                                                                                                                                 Lüneburg. V
                      gendbewegungen und -initiativen          werden wegen des medizinischen         Grenzen zwischen den Generati-                                                                                                                                           on 2016             privilegierte Vertreter der Y-Generation in der
                                                                                                                                                                                                                                                                 bis 2017 hat
Nie zuvor waren       existieren, die ich auch gerade in       Fortschritts immer älter, während      onen in der Zeit des Aufwachsens                                                                                                                                         sie ein             Berufswelt Standards zu setzen könnten, von der
                                                                                                                                                                                                                                                                 Freiwilliges
                                                                                                                                                                                                                                                                              Öko-
  so viele junge      meinem studentischen Umfeld an-          immer weniger Babys geboren werden.    verschwommener und das Verhält-                                                                                                                           logisches Ja                       später auch weniger Privilegierte profitieren. Dann
                                                                                                                                                                                                                                                                              hr im
     Menschen         treffe. Aber die breite Masse be-        Auf Dauer führt dies dazu, dass        nis zwischen Kind und Erwach-                                                                                                                            Zentrum fü                          könne ein Elitephänomen zu einer Breitenbewegung
                                                                                                                                                                                                                                                                            r Mission
international so      gehrt nicht gegen ihre Eltern, poli-     künftige Generationen mehr arbeiten    senem ein anderes als früher. Ande-                                                                                                                      und Ökume                           werden, die immer mehr Bereiche umfasst.
                                                                                                                                                                                                                                                                             ne
       vernetzt.      tische Entscheidungen oder das ka-       müssen, um so rechnerisch gesehen      rerseits treten diese Grenzen später                                                                                                                     absolviert.

6     weltbewegt                                                                                                                                                                                                                                                                                                                weltbewegt      7
Welt welt JUNI - AUGUST 2018 C 51 78 - Generationen - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt

                 Kehrt nicht zurück zu alten Denkmustern!                                                                                                                                                                                           Aus Erzählungen
                                                                                                                                                                                                                                                    der Großeltern
                                                                                                                                                                                                                                                    können Enkel viel
                 Was können die Jungen von älteren Generationen lernen und umgekehrt: die Älteren                                                                                                                                                   lernen: zum Bei-
                                                                                                                                                                                                                                                    spiel wie man für
                 von den Jungen? Sophie Plautz hat darüber mit ihrer Oma gesprochen.                                                                                                                                                                Werte kämpft, weil
                                                                                                                                                                                                                                                    diese Generation
                                                                                                                                                                                                                                                    noch genau weiß,
                                                                                                                                                                                                                                                    was es heißt, in
                                                                                                                                                                                                                                                    einem Unrechts-
                                                                                                                                                                                                                                                    staat zu leben.

                 W     ie jeden Donnerstagnachmittag sitze ich bei
                       meiner Oma in Pinneberg im Wohnzimmer.
                 Wir essen Kuchen und trinken eine Tasse Kaffee.
                                                                      was sie hat. Dies wertzuschätzen, genug Essen
                                                                      auf dem Teller, eine warme Wohnung zu haben und
                                                                      ein Leben in Frieden zu führen, das findet sie
                                                                                                                                                    hat. Sie sieht es positiv, dass sich vor allem auch
                                                                                                                                                    Frauen scheiden lassen können, ohne dass es zu
                                                                                                                                                    großen finanziellen Problemen kommt oder sie
                                                                                                                                                                                                            gen, die uns ungerecht vorkommen, auf die Straße
                                                                                                                                                                                                            zu gehen. Wir müssen lernen, dass durch Nichts-
                                                                                                                                                                                                            tun nichts erreicht wird. Im Moment kommt es mir
                 Dabei unterhalten wir uns öfter mal über aktuelle    besonders wichtig. Die junge Generation solle mit                             gesellschaftlich verachtet werden. Erstrebenswert       manchmal vor, als wenn sich meine Generation
                 politische und gesellschaftliche Themen. „Ich habe   diesem materiellen Wohlstand auch umsichtig                                   sei eine Scheidung ihrer Meinung nach aber nicht.       darauf ausruht, was die Älteren für uns erreicht
                 letztens in der Zeitung eine aktuelle Wahlumfrage    umgehen. Ihrer Meinung nach bestehe die Gefahr                                Deshalb wünscht sie (sich), dass die Ehe wieder         haben. Ich sehe noch zu wenig politisch-enga-
                 gelesen. Hast du gehört, wie viel Prozent die AfD    einer „Wegwerfgesellschaft“. „Man sollte lieber eine                          mehr geschätzt werde und Ehepartner erst einmal         gierte oder zumindest politisch-denkende junge
                 heute bundesweit erreichen würde?“, frage ich        qualitativ hochwertige und fair gehandelte Jeans                              alles dafür tun sollten, um eine Trennung zu            Leute, die sich über schlechte Entwicklungen auf-
                 meine Oma. „Ja, laut Prognose liegt sie im zwei-     kaufen, die zehn Jahre hält, statt sich jeden Monat                           vermeiden. Denn nicht umsonst hieße es vor der          regen. Bei Amazon wird gekauft, weil es billiger
                 stelligen Bereich. Um Himmels Willen, warum sind     eine billige Discounterhose zu kaufen, die dann                               Eheschließung „wie in guten, so in schlechten           und bequemer ist, obwohl jeder weiß, dass es klei-
                 die Menschen heutzutage so unzufrieden, dass sie     weggeschmissen wird. Geiz ist NICHT geil.“                                    Zeiten“.                                                ne Läden zerstört. Wenn eine Eilmeldung von
                 die AfD wählen?“, fragt sie zurück, um dann gleich      Meiner Oma ist auch wichtig, dass die Jungen                                   Während meine Oma sich überwiegend damit            Spiegel Online auf dem Smartphone erscheint, die
                 fortzufahren: „Wenn ich überlege wie ich damals      von den Älteren lernen, Achtung vor Senioren zu                               beschäftigt hat, was sie sich von der jungen Gene-      beinhaltet, dass die deutsche Regierung Waffen
                 aufgewachsen bin und den Krieg miterleben muss-      haben. Früher sei das „richtige Benehmen“ durch                               ration wünscht, habe ich nun meinen Fokus auf die       nach Syrien verkauft, dann ist spätestens nach
                 te... Hätten die heutigen AfD-Wähler das Ganze       strenge Erziehung vermittelt worden. Dass das                                 Frage gelegt, was ich als Angehörige der jungen         dem nächsten niedlichen Katzenvideo die Aufre-
                 miterlebt, dann würden sie jetzt anders denken“.     heute milder abläuft, finde sie gut. Dennoch solle                            Generation von den Älteren lernen kann.                 gung darüber verpufft. Vielleicht ist den jungen
                 Sie bedauert, dass der Bezug zu unserer Geschich-    Kindern Höflichkeit und ein respektvoller Umgang                                                                                      Leuten egal, was in der Welt passiert, solange es
                 te oftmals verloren gegangen ist. „Schade, dass      gegenüber ihren Mitmenschen beigebracht werden.                               Von Älteren kann ich lernen, gegen Unge-                sie nicht selbst betrifft. Vielleicht fehlt auch einfach
                 viele, die sich gesellschaftlich abgehängt fühlen    Außerdem sollten Ehrenämter viel stärker gewürdigt                            rechtigkeit auf die Straße zu gehen                     die Motivation, etwas zu tun, weil es einem selbst
                 und teilweise um ihre Existenz fürchten müssen,      werden. „Oft sind ehrenamtliche Tätigkeiten wie                                                                                       gut geht. Vielleicht weiß unsere Generation auch
                 glauben, dass ihnen ausgerechnet die AfD helfen      richtige Berufe, nur ohne Bezahlung“, meint sie.                              So schließe ich mich den Wünschen meiner Oma            gar nicht, wie man sich wirklich für etwas einsetzt,

                                                                                                                                                                                                                                                                         .
                 kann. Die Schuld für Armut bei den Ausländern zu        Schließlich hat meine Oma eine politische Er-                              für uns Jüngere grundsätzlich an. Ich würde sie         weil sie es noch nie musste. Was uns aber bewusst
                 suchen, ist doch absurd!“, sagt sie entrüstet. „Es   wartung an junge Leute: Nach dem Zweiten                                      allerdings noch erweitern. Auf jeden Fall sollten wir   sein sollte: Unser Leben kann sich ganz schnell
                 ist gut, dass Deutschland heute ein Einwande-        Weltkrieg habe ihre Generation sich – erst unter der                          wertschätzen, in was für eine wertvolle Welt mit        verändern, wenn wir die Entwickung nicht im Blick

                                                                                                                                                                                                                                                                         .
                 rungsland ist. In meiner Kindheit war es umge-       Führung der Alliierten und später eigenständig –                              guten Bedingungen wir hineingeboren wurden. Wir         behalten und wir nichts gegen Ungerechtigkeiten
                 kehrt, da waren wir Flüchtlinge und froh, dass wir   bemüht, eine internationale politische Ausrichtung                            haben bürgerliche Freiheits- und Menschenrechte,        unternehmen. Durch dauerhaftes Verdrängen und
                 aufgenommen wurden.“                                 zu etablieren. Die EU wurde gegründet, Grenzen                                eine funktionierende Wirtschaft und eine stabile        Wegsehen kann langsam ein Schaden entstehen,

                                                                                                                                                                                                                                                                         .
                                                                      wurden abgeschafft, Regelungen wurden interna-                                Bundespolitik. Uns wurde der Grundstein für ein         den man nicht mehr rückgängig machen kann. Das
                 Die junge Generation sollte sorgsam mit dem          tional verankert und es entstand ein weltoffenes                              gutes Leben gelegt und wir haben im Vergleich zu        alles können wir aus der Geschichte und von
                 umgehen, was sie hat                                 Deutschland. Nun liege es an der jungen Generation,                           anderen Generationen wahrscheinlich die größten         Erzählungen der Generationen lernen, die das
                                                                      auf dieser Basis das Land und die Welt weiter zu                              Möglichkeiten, unser persönliches Leben best-           schon einmal erleben mussten.
                 Ich gebe meiner Oma recht und frage dann, was        gestalten, so meine Oma. Der Trend zu einem neu                               möglichst zu gestalten. Dadurch haben wir
                 sie sich eigentlich von der jungen Generation        erstarkenden Nationalgedanken müsse dabei                                     allerdings auch eine gewisse Verantwor-
                 wünscht: „Ihr gebt die Verantwortung ja langsam      besonders kritisch gesehen werden. Ihr klarer Appell                          tung. Sie besteht darin, unsere Freiheiten
                 an uns ab. Wir müssen jetzt unser Land und die       an die Jungen: Geht nicht zurück zu alten Gedan-                              und Werte, die die älteren Generationen für
                 Gesellschaft gestalten. Was sollten wir von euch     kenmustern!                                                                   uns erkämpft haben, zu sichern und viel-
                 lernen und was erwartest du von uns?“                   Es gibt aber auch Dinge, die sie selbst von der                            leicht sogar zu verbessern. Was wir des-                                            Sophie Pla
                                                                                                                                                                                                                                                      utz (21)
                                                                                                                             Fotos: C. Plautz (2)

                     Zu dieser Frage hat sich meine Oma viele         jüngeren Generation gelernt hat. Zum Beispiel, dass                           halb von den älteren Generationen lernen                                            studiert Po
                                                                                                                                                                                                                                                    litik wis-
                 Gedanken gemacht. Ein Punkt lag ihr besonders am     Homosexualität als etwas Normales angesehen                                   können ist, für unsere Rechte und unsere                                           senschafte
                                                                                                                                                                                                                                                   n und
                 Herzen. Die junge Generation solle dankbar für ihr   wird. Auch begrüßt sie, dass eine Scheidung nicht                             Forderungen an die Politik zu kämpfen.                                             Geschichte
                                                                                                                                                                                                                                                     in Kiel
                 jetztiges Leben sein und sorgsam mit dem umgehen,    mehr den starken negativen Stellenwert von früher                             Von den Älteren können wir lernen, bei Din-                                        und war Pra
                                                                                                                                                                                                                                                    ktikantin
                                                                                                                                                                                                                                      im Zentrum
                                                                                                                                                                                                                                                   für
                                                                                                                                                                                                                                      Mission und
8   weltbewegt                                                                                                                                                                                                                                                           weltbewegt   9
                                                                                                                                                                                                                                      Ökumene.
Welt welt JUNI - AUGUST 2018 C 51 78 - Generationen - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt
                                                  ffensk y
                                    Fulbert Ste
                                                 riftsteller
                                    (84) ist Sch
                                                  erter
                                    und emeriti
                                               r fü r Religi-
                                     Professo
                                                   gik an der
                                     onspädago
                                                   Hamburg.
                                     Universität

                                                                   D
                                                 u te in Luzern.       er Brief einer Freundin, sie hat ein Enkelkind: „Als                                                                                                und Großeltern. Im Gegensatz zu früher erleben viele             genügt nicht, dass wir in schwächlichem Harmoniebe-
                                      Er lebt he
                                                                       ich einmal das Glück hatte, mit Paul ein paar Stun-                                                                                                 Großeltern von heute ihre Enkel 20 oder gar 30 Jahre – also      dürfnis jeden Konflikt ersticken. Vielleicht steckt ein
                                                                   den allein zu sein“, schreibt sie, „waren das wirkliche                                                                                                 fast ein Drittel ihrer eigenen Lebenszeit sind sie Großeltern.   Stück Todesangst darin, dass wir immer und unter allen
                                                                   Sternstunden. Ich durfte mit ihm auf seiner riesigen                                                                                                    Enkelkinder machen ihre Großeltern jünger, alberner und          Umständen von den Enkeln geliebt werden wollen.
                                                                   Matratze Mittagsschlaf halten. Ich tat, als ob ich schlief.                                                                                             verliebter. Als ich vielleicht 55 Jahre alt war, sagte eine
                                                                   Mit seinem Betttuchzipfel spielte er in meinem Gesicht,                                                                                                 Schaffnerin im Zug zu mir: „Opa, sie haben sicher eine           Wir lehren, was Vergänglichkeit ist
                                                                   zarter als zart, es kitzelte. Dann spürte ich plötzlich ein                                                                                             Seniorenkarte.“ Es gab mir einen Stoß. Am nächsten Tag
                                                                   feuchtes kühles Küsschen auf meinem Mund. Da bleib                                                                                                      ging ich mit meinem dreijährigen Enkel spazieren, und wir        Wir lehren unsere Enkelkinder, was Vergänglichkeit ist.
                                                                   mal ruhig!“ Wenn dies keine Liebesgeschichte ist! Jeder                                                                                                 alberten herum. Eine Dame fragte: „Wie alt ist Ihr Sohn          Sie sehen, wie unser Gehör und unsere Augen schlechter

                   Wir sind unseren Enkeln
                                                                   Großvater, jede Großmutter kennt die Lust, Geschichten                                                                                                  eigentlich?“ Mein Gleichgewicht war wieder hergestellt.          werden; wie wir dieses und jenes nicht mehr essen dür-
                                                                   von den Enkeln zu erzählen. Großeltern sind Angeber                                                                                                                                                                      fen; dass wir vergesslich werden (diese große Unver-
                                                                   und Übertreiber, und das ist das beste Zeichen ihrer                                                                                                    Es genügt nicht, wenn wir im Harmonie-                           schämtheit, die uns angetan wird!); dass wir unseren
                       unser Alter schuldig                        Liebe. Bei meiner Frau und mir gab es eine Art Wettstreit
                                                                   der Liebe. Wenn sie eine Geschichte erzählte, sagte ich
                                                                                                                                                                                                                           bedürfnis jeden Konflikt ersticken                               ersten Schlaganfall haben und schließlich, dass wir ster-
                                                                                                                                                                                                                                                                                            ben. Welche illusorische Welt wäre es, wenn unsere
                                                                   manchmal: das ist meine Geschichte, und ich habe das                                                                                                    Ich befragte auch meine damals fünfjährige Enkelin:              Enkel nur die Welt der Jungen, Starken, Berufstätigen,
            Was Enkel und Großeltern einander geben können         mit den Kindern erlebt! Und ihr ging es genauso.                                                                                                        „Charlotte, was meinst du, wozu braucht man überhaupt            Lebenstüchtigen und Schönen erlebten. Unsere Hinfäl-
                                                                                                                                                                                                                           Großeltern?“ „Um sie lieb zu haben!“, antwortete sie. Ich:       ligkeit ist die letzte Lehre, die wir den Enkeln geben. Es
                                                                   Warum werden die Großeltern von der Gesell-                                                                                                             „Wie sollen Großeltern eigentlich sein?“ Sie sagte: „So wie      ist keine leichte Lehre, wie den Tod zu lernen, keine
                                          Fulbert Steffensky       schaft plötzlich entdeckt?                                                                                                                              du! Und jetzt lass die albernen Fragen und spiel mit mir         leichte Lehre ist.
                                                                                                                                                                                                                           Mensch-ärger-dich-nicht!“ Was ich
                                                                                       Als ich über das Verhältnis von                                                                                                     ge-tan habe! Sie behandelte mich wie                                                                                           „Welche
                                                                                       Großeltern und Enkeln nachzuden-                                                                                                    ihresgleichen, und ich ließ mich so                                                                                            illusorische Welt
                                                                                       ken begann, hatte ich angenommen,                                                                                                   behandeln. Es ist einerseits schön, dass                                                                                       wäre es, wenn
                                                                                       dass die Zeit der Großeltern vorbei                                                                                                 die Rollen so durchbrochen sind.                                                                                               unsere Enkel nur
                                                                                       sei; dass der Bruch der Traditionen                                                                                                 Andererseits: Bin ich nicht manchmal                                                                                           die Welt der
                                                                                       auch den Bruch in der Generati-                                                                                                     meinen Enkeln mein Alter schuldig?                                                                                             Jungen, Starken,
                                                                                       onenkette zur Folge hätte. Ich hatte                                                                                                Vor einigen Jahren traute ich eine                                                                                             Berufstätigen,
                                                                                       angenommen, dass in der Welt der                                                                                                    Freundin unserer Familie, und wäh-                                                                                             Lebenstüchtigen
                                                                                       Klein- und Zweigenerationenfamilie                                                                                                  rend des Gottesdienstes sah ich, dass                                                                                          und Schönen
                                                                                       die Großeltern unsichtbar würden.                                                                                                   unser Enkel Miguel, im Teenageralter,                                                                                          erlebten.“
                                                                                       Dann schaute ich ins Internet, und es                                                                                               in einem Buch las. Ich fragte ihn spä-
                                                                                       war atemberaubend, was mir an                                                                                                       ter, was er da gelesen habe. „Einen
                                                                                       Großeltern-Enkel-Themen und An-                                                                                                     Krimi!“, sagte er. Ich lächelte gequält,
                                                                                       geboten entgegenpurzelte: Ratgeber-                                                                                                 liberal und ergeben, und ich schwieg.

                                                                                                                                  Fotos: epd (1), Bundesarchiv, Bild 183-46103-0002 / CC-BY-SA 3.0 (1), Shutterstock (1)
                                                                                       bücher, Handbücher für Großeltern,                                                                                                  Später fragte ich mich: Was tue ich
                                                                                       Tagungen für Großeltern, Ferienan-                                                                                                  eigentlich dem jungen Mann an, wenn
                                                                                       gebote für Großeltern und ihre En-                                                                                                  ich ihm meine Meinung vorenthalte?
                                                                                       kel, Diskussionen über die Rechte                                                                                                   Ich sprach mit ihm: „Migu, ich finde
                                                                                       der Großeltern. Hat die Zeit der                                                                                                    es feige und respektlos, wenn du wäh-
                                                                                       Großeltern erst angefangen? Warum                                                                                                   rend des Gottesdienstes einen Krimi
                                                                                       werden sie von der Gesellschaft                                                                                                     liest. Respektlos: Du respektierst nicht,
                                                                                       plötzlich entdeckt? Und was war frü-                                                                                                was anderen wichtig ist. Feige: du
„Im Gegensatz                                                                          her anders?                                                                                                                         wagst es nicht wegzubleiben, wenn dir

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          .
 zu früher erle-                                                                           Meine Großeltern, geboren 1845                                                                                                  dieser Gottesdienst nichts bedeutet.“
ben Großeltern                                                                         und 1864, hatten 59 Enkelkinder. 59!                                                                                                Er sagte, er habe ja nicht während mei-
      ihre Enkel                                                                       Mit Matratze, Mittagsschlaf und Küss-                                                                                               ner Predigt gelesen. Ein geringer Trost.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          .
 heute 20 oder                                                                         chen war da nicht viel. Außer-                                                                                                      Irgendwann sagte er: „Opa, ich muss
 gar 30 Jahre.“                                                                        dem kam dazu, dass die Leute damals                                                                                                 mit dir reden. Du hast mich feige und
                                                                                       unendlich viel gearbeitet haben. Weder                                                                                              respektlos genannt. Es hat mich sehr

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          .
      Das Foto                                                                         für ihre Kinder noch für die Enkel blieb                                                                                            getroffen, und du hast recht.“ Dieses
entstand in der                                                                        viel Zeit. Geborgen war man in der                                                                                                  Gespräch hat uns einander sehr nahe
    Gemeinde                                                                           Wärme des Rudels, dazu gehörten die                                                                                                 gebracht. Was hätte ich ihm vorenthal-
Barnstedt 1957.                                                                        Geschwister fast mehr als die Eltern                                                                                                ten, wenn ich geschwiegen hätte! Es

10    weltbewegt                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         weltbewegt    11
Welt welt JUNI - AUGUST 2018 C 51 78 - Generationen - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt

                                                                                                                                                                               Ich stehe heute vor ganz anderen Entschei-               Beurteilen habe ich allerdings von
                                                                     Wie finde ich meinen Sinn                                                                                 dungen als meine Eltern damals                           meinem Vater mitbekommen, worü-
                                                                                                                                                                                                                                        ber ich sehr froh bin. Diese Denkweise, nicht immer

                                                                     im Leben?
                  k (19)                                                                                                                                                       Wenn ich eine Entscheidung getroffen habe, war sie       alles hinzunehmen, mag auch ein Grund sein, der
   Lucie Wan                                                                                                                                                                   dann richtig? Fragen über Fragen. In so einer Situati-   nicht immer alles einfacher macht, wenn es zum Bei-
              r eit ihr
                 Z
absolviert zu                                                                                                                                                                  on bitten viele um elterlichen Rat. Also tat ich das     spiel um die Wahl meines Studiums geht. Doch gera-
            s Ö  kologi-
 Freiwllige
                   in der                                                                                                                                                      auch. Meine Eltern haben beide nicht studiert, also      de für die richtige Entscheidung mag diese Eigen-
    sches Jahr                                                       Viele stehen nach dem Abitur vor der Frage: Was mache
                  K lima-                                                                                                                                                      können sie mir keine direkten Tipps für mein Studium     schaft hilfreich sein. Ich habe das Bedürfnis, später
     Infostelle
             htig  ke it im                                          ich jetzt? Die Möglichkeiten scheinen unendlich, alle                                                     geben. Aber dennoch mussten beide, als sie in            einen Beruf mit Sinn auszuüben. Er soll sowohl sinn-
      gerec
            fü r M  is sion                                                                                                                                                    meinem Alter waren, den gleichen Weg gehen. Sie          voll für mich sein als auch für andere Menschen –
  Zentru m
                         ne.                                         wollen die richtige Wahl treffen. In der Situation ist der
        und Öku e   m                                                                                                                                                          standen an derselben Kreuzung wie ich gerade –           und die Umwelt. Andere in meinem Alter setzen da
                                                                     Rat der Eltern wieder gefragt, meint Lucie Wank.                                                          und waren eventuell genauso ratlos. Doch es scheint,     eventuell andere Prioritäten. Für sie wäre es vielleicht
                                                                                                                                                                               als seien meine Eltern und ich in so verschiedenen       die größte Erfüllung, Chef eines angesehenen Unter-
                                                                                                                                                                               Generationen aufgewachsen, dass die Lage nicht           nehmens zu werden. Doch ehrlich gesagt kommt
                                                                                                                                                                               vergleichbar ist. In den letzten Jahren hat die Zahl     auch mir, als alternativ denkende und gesellschafts-
                                                                                                                                                                               der Studiengänge und Ausbildungsberufe enorm             kritische Person, der Gedanke: ich sollte mit meinem

                         D   ie Frage nach dem Sinn des Lebens stellt sich
                             jeder Mensch mindestens einmal im Leben.
                         Wenn nicht sogar regelmäßig. Doch die Frage, die
                                                                                    erfolgreicher „Business-Marke-ting-Education-Mana-
                                                                                    ger“ werden möchte, dann scheint er auf dem richtigen
                                                                                    Weg zu sein. Doch die meisten in meinem Alter haben
                                                                                                                                                                               zugenommen. Bei meinen beiden Elternteilen hat
                                                                                                                                                                               sich zudem die Berufswahl weniger interessenbezo-
                                                                                                                                                                               gen, sondern vielmehr zweckmäßig ergeben. Meine
                                                                                                                                                                                                                                        Beruf genug Geld verdienen. Mein Job muss mich
                                                                                                                                                                                                                                        nicht reich machen, aber er sollte zum Leben rei-
                                                                                                                                                                                                                                        chen. Stehe ich zu dem, was ich kann und wofür ich
                         ich mir gerade stelle, lautet: Wie finde ich meinen        noch keine so klaren Vorstellungen. Doch man sollte                                        Mutter ist früh von zu Hause ausgezogen und begann       brenne, oder suche ich mir einen Job, mit dem ich
                         Sinn im Leben? Im letzten Jahr habe ich Abitur             sich nicht von dem fast überfordernden Angebot                                             eine Ausbildung, um ihren Lebensunterhalt zu finan-      später gut verdienen kann und der mir die besten
                         gemacht und im Sommer endet mein freiwilliges              entmutigen lassen. Das Wichtigste ist, sich erstmal                                        zieren. Mein Vater hat das Abitur nicht geschafft,       Aufstiegsmöglichkeiten gibt? Im besten Fall kann er
                         ökologisches Jahr, da frage ich mich: Wie geht es          einen Überblick zu verschaffen und dann einzugrenzen:                                      wofür er sich jahrelang Vorwürfe machte. Doch rück-      mir beides geben.
                         weiter? Zunächst stand fest, dass ich nicht direkt         was sind meine Interessen und Stärken? Wir besuchten                                       blickend stellt er fest, dass er für sich die richtige
                         studieren möchte. Also absolvierte ich zunächst            unzählige Messen und Veranstaltungen, um hinterher                                         Berufswahl getroffen hat und damit glücklich ist.        Ich möchte einen sinnvollen Beruf, der Spaß

                                                                                                                                             Fotos: C. Wenn (1), L. Wank (1)
                         einen Freiwilligendienst. Ein Jahr eine sinnvolle Tätig-   über die vielen Möglichkeiten staunen zu können. Aber                                      Seine Eltern haben immer gewollt, dass er Arzt oder      macht – und nebenbei noch die Welt retten
                         keit in einem Themenbereich ausüben, der einen             was wir danach nicht sagen konnten: Super, nun weiß                                        Rechtsanwalt wird, doch er selbst bezweifelt, dass
                         interessiert. Das scheint eine gute Voraussetzungen        ich, was ich mache. Die Frage nach dem „was“ bleibt.                                       er damit glücklich geworden wäre. Meine Eltern           Meine Eltern können mir vielleicht keine praktischen
                         zu sein, um sich bei der Wahl eines geeigneten             Die Frage nach dem „was“ heißt für mich nicht nur                                          haben mir schon immer die Freiheit gegeben, mich         Ratschläge für das Studium geben. Ich weiß aber,
                         Berufsfeldes besser orientieren zu können. Doch das        „was lerne ich?“, sondern auch ein Stück weit „was                                         frei zu entwickeln. Auch mein Interesse für den Um-      dass sie mich auf meinem Weg unterstützen und mir
                         Jahr ist bald um und ich weiß immer noch nicht wirk-       möchte ich mit meinem Leben machen?“ Obgleich ich                                          weltschutz und Fragen rund um den Klimawandel            tatkräftig zur Seite stehen werden, wie sie es die
                         lich weiter. Da ich mir in zwölf teils nervenzerrei-       noch jung bin, stelle ich mir diese große Frage schon                                      kamen von mir. Das kritische und hinterfragende          letzten Jahre auch getan haben. Ich bin froh, dass
                         ßenden Jahren meine Hochschulzulassungsberech-             jetzt. Der Grund ist wohl eine große Ungewissheit. Die                                                                                              meine Eltern mir freie Entfaltungsmöglichkeit geben,
                         tigung verdient habe, ist klar, dass ich studiere.         Ungewissheit darüber, was auf mich zukommt.                                                                                                         anstatt mir wärmstens ans Herz zu legen, „auch
                         Mache ich es mir so einfach und wähle das Offen-                                                                                                                                                               Rechtsanwalt wie der Papa zu werden“. Ich habe
                         sichtliche, das Studium? Eine interessante Ausbil-                                                                                                                                                             das große Los der freien Entscheidung gezogen und
                         dung wäre auch eine Möglichkeit. Mit Abitur                                                                                                                                                                    damit auch: Ratlosigkeit. Doch es gibt Hoffnung: In
                         stehen mir quasi alle Türen offen. Ich muss                                                                                                                                                                    letzter Zeit treffe ich immer wieder auf Leute, die nun
                         zugeben: das ist schon ein tolles Gefühl. Ich                                                                                                                                                                  schon länger im Berufsleben stehen und deren
                         habe freie Wahl zwischen unterschiedlichsten                                                                                                                                                                   Tenor lautet: Letztendlich hat jeder irgendwie seinen
                         Studiengängen und dazu noch einen bunten                                                                                                                                                                       Weg gefunden und ist über Umwege ganz woanders
                         Strauß an unzähligen Ausbildungsberufen.                                                                                                                                                                       gelandet als anfangs geplant. Das beruhigt mich.
                         Sollte ich mich doch freuen, diese Möglich-                                                                                                                                                                    Bis dahin höre ich auf mein gutes altes Bauchgefühl
                         keiten zu haben! Doch genau hier hört es auf:                                                                                                                                                                  und treffe meine Entscheidung für ein Studium. Ich
                         Es sind zu viele Möglichkeiten. Hinzu kommt,                                                                                                                                                                   lasse die Dinge auf mich zukommen und sollte ler-
                         dass ich mich für diverse Dinge interessiere.                                                                                                                                                                  nen demütiger zu sein. Ich kann nicht alles vorherse-
     Es hilft, wenn      Was fällt dann weg? Ich fühle mich fast erschla-                                                                                                                                                               hen und die Welt auch nicht an einem Tag ändern.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                    .
  man das Gefühl         gen von all den Angeboten und Möglichkeiten.                                                                                                                                                                   Ich kann aber meinen Beitrag leisten und Teil einer
    hat, dass man            Damit bin ich nicht allein. Spreche ich mit                                                                                                                                                                großen Bewegung sein. In diesem doppelten Sinne
    nicht allein ist:    anderen 19-Jährigen darüber, dann fällt auf: sie                                                                                                                                                               heißt das: Ich bin nicht allein. Sowohl was meine

                                                                                                                                                                                                                                                                                                    .
Ich kann die Welt        sind genauso ratlos. Ich kann behaupten, dass ich                                                                                                                                                              aktuelle Planlosigkeit für die Zukunft angeht, als
  nicht von einem        im Allgemeinen ziemlich genau weiß, was ich                                                                                                                                                                    auch in Bezug auf die Rettung der Welt. Ich stehe
 auf den anderen         möchte, was meine Interessen und meine Stärken                                                                                                                                                                 nun vor der Herausforderung eine Arbeit zu finden,

                                                                                                                                                                                                                                                                                                    .
  Tag ändern. Ich        sind. Von Jugendlichen in meinem Alter wird                                                                                                                                                                    mit der es Spaß macht, meinen Sinn im Leben zu
    kann aber Teil       erwartet, schon genau zu wissen, was sie wollen.                                                                                                                                                               erfüllen und möchte ganz nebenbei noch die Welt zu
      einer großen       Wenn ein Abiturient stolz sagen kann, dass er BWL                                                                                                                                                              retten. Puh. Da habe ich mir aber was vorgenom-
 Bewegung sein.          studieren und dann in der Firma seines Vaters                                                                                                                                                                  men…

 12      weltbewegt                                                                                                                                                                                                                                                                                weltbewegt   13
Welt welt JUNI - AUGUST 2018 C 51 78 - Generationen - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt

                        Umwege machen das                                       Vergleiche lenken nur von dem ab, worum es
                                                                                wirklich geht
                                                                                                                                                                                           mir eine Auszeit genommen und machte eine Wan-
                                                                                                                                                                                           dertour auf dem Jakobsweg. Danach hatte ich den
                                                                                                                                                                                                                                                    le besuchen und später studieren
                                                                                                                                                                                                                                                    zu können. Familien haben in Bra-
                                                                                                                                                                                           nötigen Abstand und konnte klarer sehen. Ich habe        silien auch heute noch eine weit
                        Leben ja erst lebendig                                  Außerdem leben wir in einer Welt, die sich rasant
                                                                                entwickelt und ständig an Komplexität gewinnt.
                                                                                                                                                                                           den Schnitt gewagt und eine Ausbildung zum
                                                                                                                                                                                           Gesundheits- und Krankenpfleger begonnen. Damit
                                                                                                                                                                                                                                                    bedeutendere Rolle als in
                                                                                                                                                                                                                                                    Deutschland, deshalb haben dort
                                                                                Auch die Werte sind nicht mehr eindeutig. Ich denke                                                        bin ich heute sehr zufrieden. Täglich habe ich mit       die Älteren noch mehr Einfluss.
                        Wie kann man es schaffen, seinen Weg im                 manchmal, es gewinnt gerade das an Wert, was                                                               Menschen zu tun und das Gefühl, etwas zu tun, das        Aber das ändert sich. Brasilien
                                                                                man nicht hat. Für Menschen, die den Krieg oder die                                                        sinnvoll ist. Allen, die in einer ähnlichen Situation    entwickelt sich auch in dieser
                        Leben zu finden? Ältere können dabei ein                Nachkriegszeit noch erlebt haben, ist Sicherheit ein                                                       stehen und sich entscheiden müssen, kann ich nur         Hinsicht in die gleiche Richtung
                        Vorbild sein, findet Diego Grützmann.                   hohes Gut. Heute, wo viele meiner Generation in                                                            raten: Fangt einfach an. Geht los. In vielen Berufen     wie Deutschland, wenn auch langsamer. In                         Diego Grü
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   tzmann
                                                                                Deutschland genug zum Leben haben, wollen wir                                                              kann man weit mehr von seinen Fähigkeiten ein-           Deutschland habe ich manchmal das Gefühl, dass                  (23) ist in B
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   rasilien
                                                                                nicht nur für unseren Lebensunterhalt arbeiten. Wir                                                        bringen, als man zunächst denkt. So ist in meinem        ältere Menschen sich eine Autorität erst erarbeiten            geboren un
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   d le
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   heute in Ham bt
                                                                                wollen eine Arbeit, die Sinn macht und erfüllend ist.                                                      Beruf neben Feingefühl im menschlichen Kontakt           müssen. Da fehlt der Grundrespekt. In Brasilien                                  burg.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Er macht d
                                                                                Ich habe mit vielen Leuten geredet, die mit dem was                                                        auch viel Kreativität und Organisationstalent gefragt.   erlebe ich es anders. Dort gibt es zum Beispiel in                            erzeit
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  eine Ausbild
                                                                                sie tun, unzufrieden sind, denen es aber schwer fällt,                                                        Die Angst vor Konsequenzen führt oft dazu, passiv     Supermärkten sogenannte Prioritätskassen, an                                   u ng
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  zum Gesun
                                                                                sich von Ihrer Tätigkeit loszueisen. Man hat oft ein                                                       zu werden. Da hilft nur der Mut, auch Fehler zu          denen Schwangere und ältere Menschen bevorzugt                               dheits-
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 und Kranke

                        H
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 npfle-
                            eute wird uns oft vermittelt, dass unserer Ge-      Idealbild vom Leben und davon, was man machen                                                              machen. Wenn meine Entscheidung nicht gradlinig          behandelt werd en. Natürlich sollte sich der Respekt         ger. Er ist u
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                .a. Mit-
                            neration alle Türen offen stehen. Dass wir alles    will. Dabei wird man hineingezogen in die Konsum-                                                          zum Ziel führt, na und? Dann ist das eben ein Umweg.     nicht nur an der Supermarktkasse zeigen, sondern            glied im Lat
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                einame-
                        machen können, wenn wir nur wollen. Auch wenn           welt, in das wiederkehrende Versprechen von                                                                                                                         im persönlichen Umgang.                                     rikaausschu
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                ss des
                        das natürlich nicht stimmt, diese Freiheit beflügelt.   Zufriedenheit durch den nächsten Kauf. Es findet                                                                                                                        Ich habe Respekt gegenüber Älteren, unabhängig         Zentrums fü
                                                                                                                                                                                           Vor Entscheidungen lerne ich von der                                                                                                 r
                        Aber sie ist auch überfordernd. Gleichzeitig wird       zusätzlich noch ein ständiger Abgleich mit unseren                                                                                                                  von ihrer Leistung. Ich habe Achtung vor ihrer Lebens-     Mission und
                                                                                                                                                                                           Gelassenheit der Älteren                                                                                            Ökumene.
                        suggeriert, dass man sich immer weiter verbes-          Mitmenschen statt. Social Media befördert dies                                                                                                                      erfahrung und davor, dass sie uns aufgezogen haben.
                        sern muss, um bestehen zu können. Man muss              enorm, da findet der Vergleich nicht nur mit dem                                                           Meine Eltern, die jetzt wieder in Brasilien leben,       Wie viel ich von Älteren lerne, merke ich außerdem bei
                        absolut fit sein, im Kopf wie im Körper. Dieser         Nachbarn statt, sondern auch über Kontinente hin-                                                          haben mir übrigens für alle Entscheidungen ihren         wichtigen Lebensentscheidungen oder beim Umgang
                        Selbstoptimierungswahn hat inzwischen fast alle         weg. Die Grenze nach oben wird immer unerreich-                                                            Segen gegeben. Das hatten sie selbst noch anders         mit Krisen. Aus ihrer Warte können sie einem ganz
                        Bereiche erfasst. In der Werbung, den Medien und        barer, und man wird immer unzufriedener – wenn                                                             erlebt. Mein Vater war als zweitjüngster von acht        andere Dinge raten und anders zur Seite stehen als
                        sozialen Netzwerken wird vermittelt, dass das, was      man sich mitziehen lässt. Möchte ich den neuesten                                                          Kindern in Brasilien auf einem Bauernhof aufge-          Gleichaltrige. Sie strahlen eine besondere Gelassen-
                        man zu bieten hat, nicht reicht. Es scheint, als ob     Status, das neueste Smartphone, die coolste Reise                                                          wachsen. Dort war klar, dass der Älteste den Hof         heit und Weitsicht aus und können helfen, Prioritäten
                        das Leben eine Rolltreppe ist, auf der man in           und die bestbezahlten Jobs? Dabei lenken diese                                                             bekommt. Den beiden jüngsten wurde dafür ein             vielleicht auch einmal anders zu setzen. Dadurch
                        Gegenrichtung hochläuft, und man sich immer             Vergleiche doch nur von dem ab, worum es wirklich                                                          Studium finanziert. Das galt als Privileg, das man       haben sie Einfluss, ohne dass sie sich direkt in meine
                        anstrengen muss, damit es nicht abwärts geht. Die       geht.                                                                                                      nutzen musste und nicht groß hinterfragt wurde.          Entscheidungen einmischen. So ist mein Vater auch
                        gesellschaftlichen Erwartungen – auch an uns                Meine wichtigste Frage lautet: Wie finde ich                                                           Der Einsatz für Bildung war hoch. Mein Vater war         für mich ein Vorbild, wenn es darum geht, sich mit
                        selbst – sind also sehr vielschichtig. Alles scheint    meinen Weg? Was kann ich sinnvolles tun? Das hatte                                                         bereits als Kind mit dem Pferd mehrere Kilometer         Energie für ein Ziel einzusetzen. Von Älteren kann ich
                        möglich und gleichzeitig gibt es viel Druck. Gerade     ich auch gefragt, als mich mein Sozialökono-                                                               zur Schule geritten und später mit 12 Jahren von         vor allem lernen, dass ein gelungenes Leben nicht aus
                        weil die Freiheit so groß ist und wir so viele Wahl-    miestudium immer unzufriedener machte. Ich hatte                                                           zuhause ausgezogen, um die weiterführende Schu-          geraden Linien besteht, die alle direkt zum Ziel führen,
                        möglichkeiten haben, liegt die                                                                                                                                                                                                                sondern aus vielen Umwegen. Gera-
                        ganze Verantwortung für die Kon-                                                                                                                                                                                                              de das führt dazu, dass ein Leben
                        sequenzen einer Entscheidung                                                                                                                                                                                                                  auch lebendig ist.
                        bei uns selbst. Wenn wir eine Wahl                                                                                                                                                                                                                Von uns können die Älteren hin-
                        treffen, entscheiden wir uns immer                                                                                                                                                                                                            gegen Flexibilität oder Aufgeschlos-
                        gegen etwas anderes. Die Angst,                                                                                                                                                                                                               senheit lernen, auch gegenüber der
                        sich falsch zu entscheiden, ist                                                                                                                                                                                                               Digitalisierung. Eigentlich müssten
                        stark. Bei mir kommt hinzu, dass                                                                                                                                                                                                              sich alle Generationen noch viel

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  .
                        ich in Brasilien geboren und in                                                                                                                                                                                                               mehr füreinander öffnen. Das Von-
                                                                                                                                         Fotos: PantherMedia/zentilia (1), Grützmann (1)

                        Deutschland aufgewachsen bin.                                                                                                                                                                                                                 einanderlernen ist keine Einbahn-
                        Ich war zudem ein Jahr in Südafri-                                                                                                                                                                                                            strasse. Mein Leben und das vieler

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  .
   „Heute wird uns      ka und habe eine Freundin, die                                                                                                                                                                                                                anderer ist voller Reichtum. Das
    vermittelt, dass    aus den USA kommt. Ich habe                                                                                                                                                                                                                   meine ich jetzt nicht im materiellen
unserer Generation      erfahren, dass ich mich an ver-                                                                                                                                                                                                               Sinn. Nun geht es darum ihn zu ver-

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                  .
    alle Türen offen    schiedenen Orten und in anderen                                                                                                                                                                                                               teilen, in dem Rahmen, in dem es
      stehen. Diese     Welten zuhause fühlen kann. Das                                                                                                                                                                                                               mir möglich ist. Wir haben alle Erfah-
  Freiheit beflügelt.   macht die Entscheidung, wo ich                                                                                                                                                                                                                rungsschätze, die wir weitergeben
   Aber sie ist auch    später leben und arbeiten will,                                                                                                                                                                                                               können.
     überfordernd.“     natürlich nicht leichter.                                                                                                                                                                                                                                   Protokoll: Ulrike Plautz

   14      weltbewegt                                                                                                                                                                                                                                                                                          weltbewegt         15
Welt welt JUNI - AUGUST 2018 C 51 78 - Generationen - Nordkirche weltweit
Schwerpunkt

                            „Ich versuche meine Enkel für
                            Ungerechtigkeiten zu sensibilisieren“
                            Was prägt das Verhältnis von jungen und älteren Frauen der Kirche?
                            Darüber haben Flora Mennicken, vom Frauenwerk und Elke Wrage,
                            seit Jahrzehnten ehrenamtlich in der Kirche aktiv, gesprochen.

      Elke Wrage (72)       Eines Ihrer Seminare beim Frau-        der Frau. Und nun protestieren wir      es gibt auch die                                                                                                                              Was ist in der Töchter- und Enkel-
     arbeitet in kirchli-   enwerk heißt „Da muss ich wider-       gegen §219a, der Werbung für            Christen in der AfD.                                                                                                                          generation anders als bei den
  chen Gruppen und          sprechen“. Wann widersprechen          Abtreibung verbietet. Wir sehen es      Leider verdrängen                                                                                                                             Älteren?                                   Wo hat sich die
       Gremien. Mit 48      Sie?                                   so, dass Frauen dadurch die Mög-        wir oft die Wider-                                                                                     Mennicken: Wenn ich anfan-ge,          Wrage: Sie sehen und denken die            Perspektive der

                                                                                                                                                   Fotos: Bundesarchiv, B 145 Bild-F079098-0013 / CC-BY-SA 3.0,
Jahren beendete sie         Flora Mennicken: Oft werden wir        lichkeit genommen wird, sich zu         sprüchlichkeiten und denken, in                                                                        von der Kirche zu reden, bin ich       Dinge neu. In der Südafrika-Arbeit         jungen Generation
      ihre Tätigkeit als    angegangen: Braucht es Eure Arbeit     informieren. Gerade Frauen in länd-     Kirche müssten sich alle liebhaben.                                                                    ganz schnell unzufrieden. Dann ver-    fiel mir auf, dass wir Älteren durch       gegenüber der der
 Büroangestellte zu-        überhaupt noch? Es ist doch alles      lichen Gebieten wissen oft nicht, an    Wir streiten uns zu wenig. Wir                                                                         gesse ich, dass alles, was ich         die lange Zeit der Partnerschaft           älteren Gene-ration                     „In der Kirche
   gunsten ihres frei-      erreicht. Da kommen Frauenbilder       wen sie sich wenden können.             sollten stärker kontroverse Themen                                                                     mache, auch Kirche ist, und starke     immer aus ein- und derselben Per-          verändert?                              sollten wir stärker
      willigen Engage-      zutage, die ich nicht teile. Dann      Mennicken: In der Bundestags-           ansprechen und Beschlüsse aus-                                                                         Kirche. Wenn in Rostock eine           spektive auf die Probleme schauten.        Mennicken: Lange Zeit lag der           kontroverse
  ments. Zehn Jahre         muss ich widersprechen. Das Se-        debatte stellten es Abgeordnete so      handeln.                                                                                               Gegendemo gegen Rechtspopulis-         Zum Beispiel hatte ich mich intensiv       Fokus auf der Gleichstellung der        Themen an-

                                                                                                                                                   gemeinfrei (1), H. Gafga (1), M. Tuve (1)
    leitete sie den Kir-    minar bieten wir an, um Frauen         dar, als würden Frauen, weil sie sich                                                                                                          mus stattfindet, fängt sie in diesem   mit Aids, mit Behandlungsmög-              Geschlechter. Für mich wird es          sprechen“
     chenvorstand der       sprachfähig zu machen gegen            von Werbung beeinflussen lassen,        Wo sollte sich Kirche stärker öffent-                                                                  säkularen Umfeld mit einer             lichkeiten und Aufklärung beschäf-         spannend, wenn es um die Dekon-         Flora Mennicken
        Paul-Gerhardt-      Antifeminismus und Rechtspopu-         zur Abtreibung rennen. Was für ein      lich zeigen?                                                                                           interreligiösen Andacht an. Wir vom    tigt. Die Jungen, die als Freiwillige in   struktion von Geschlechterbildern
Gemeinde in Altona.         lismus.                                Frauenbild steckt hinter solchen        Wrage: Seit einiger Zeit gibt es in                                                                    Frauenwerk haben Banner drucken        Südafrika waren, fragten nach den          geht, um Gender. Also dahinter-         (v.l.n.r.: Demon-
   Sie kämpft bei der                                              Äußerungen? Ich kenne solche            Hamburg montags eine Demo von                                                                          lassen, damit wir draußen sichtbar     Kindern der Aidstoten und den Wai-         gucken, wie wir eigentlich zu dem       stration gegen den
      „Aktion Bundes-       Welche Frauenbilder meinen Sie?        Frauen nicht.                           Rechts, die Pegida ähnlich ist. Ich                                                                    sind. Es geht aber nicht immer ums     senhäusern. Das brachte uns im             gemacht werden, wer wir sind. Die       § 218, Plakat für
schluss“ für Gerech-        Mennicken: Hinter Sätzen wie                                                   wünschte, dagegen wäre ein Schrei                                                                      Laut sein, sondern auch darum, mit     Netzwerk Südafrika neu zusammen.           Mechanismen herauszufinden, wie         Frauenwahlrecht
  tigkeit in Südafrika,     „Frauen sollten Kinder haben“ oder     Gibt es dazu innerhalb der Kirche       zu hören: So geht es nicht!                                                                            anderen ins Gespräch zu kommen.                                                   wir zu unseren sozialen Regeln          zum Internationa-
und ist u. a. Mitglied      „Frauen sind für die Kinder            eine einheitliche Haltung?                                                                                                                                                            Was hat Sie angetrieben, sich              kommen, die wir alle kennen, aber       len Frauentag
 im Landesfrauenrat         zuständig“ stehen Bilder, wie Frau     Mennicken: Die Meinungen darü-                                                                                                                                                        über Jahrzehnte für ein anderes            nie aussprechen.                        1914, Parament
           in Hamburg.      und Mann sein sollen. Oft unbe-        ber gehen auseinander.                                                                                                                                                                Südafrika einzusetzen?                     Wrage: Mich beschäftigt, dass in        aus Südafrika zum
                            wusst. Wenn Paare Kinder bekom-        Wrage: Kirche war früher wesentlich                                                                                                                                                   Wrage: Die Buren sagten, sie seien         den unteren Lohngruppen selbst          Thema AIDS).
  Flora Mennicken           men, schwenkt das Verhältnis           politischer. Jetzt ist sie oft sehr                                                                                                                                                   das auserwählte Volk Gottes. Ich           bei Staat und Kirche immer noch
      (24) Soziologin,      zwischen ihnen häufig in alte Muster   zurückhaltend, wohl auch aus                                                                                                                                                          wusste, das steht nicht in der Bibel.      überwiegend Frauen beschäftigt
 arbeitet beim Frau-        zurück. Das geht oft mit einer         Angst, angegriffen zu werden. Es                                                                                                                                                      Mir ist wichtig, dass alle Menschen,       sind. Wir müssen darauf hinarbeit-
   enwerk der Nord-         großen Unzufriedenheit einher. Ich     heißt ja immer: Kirche darf nicht                                                                                                                                                     ob schwarz, weiß oder gelb, von            en, dass die Verteilung von Frauen
   kirche in Rostock.       finde es wichtig, dass sich Väter      politisch sein.                                                                                                                                                                       Gott geschaffen sind. Wenn ein Volk        und Männern in den verschiede-
   Dort leitet sie das      auch um Kinder kümmern und             Mennicken: In Jesus Nachfolge zu                                                                                                                                                      behauptet, sie seien auserwählt und        nen Lohngruppen gleich ist. Auch
      Referat Gesell-       Frauen auch Regale aufbauen            stehen heißt doch nichts anderes                                                                                                                                                      müssten andere unterdrücken, geht          frauengerechte Sprache ist mir
  schaftliche Fragen        können dürfen.                         als politisch zu sein. Jesus und die                                                                                                                                                  das für mich nicht. Deswegen habe          wichtig. Ich singe nie mehr im Got-
aus Frauensicht. Sie                                               Menschen, die sich zu ihm hielten,                                                                                                                                                    ich mit anderen über Jahre alle 14         tesdienst „Herr“, und habe schon
entwickelt Seminare         Frau Wrage, wann mussten Sie           das war doch eine subversive                                                                                                                                                          Tage vorm südafrikanischen Konsu-          mehrmals die Kirche verlassen,
     und Workshops,         widersprechen?                         politische Bewegung. Gleichzeitig                                                                                                                                                     lat gestanden, unten an der Alster.        wenn dauernd nur die männliche
 darunter das Semi-         Elke Wrage: Gegen den §218 bin         ist es eine Chance, dass wir in der                                                                                                                                                   Mennicken: Das Auserwähltsein              Form benutzt wurde.
    nar „Da muss ich        ich auf die Straße gegangen. Immer     Kirche eine Vielfalt von Meinungen                                                                                                                                                    ist dann problematisch, wenn es            Mennicken: Die Genderdebatte
widersprechen“ und          wieder. Letztendlich haben wir         haben, keine Top-Down-Hierarchie.                                                                                                                                                     anderen abgesprochen wird. Die             geht darüber hinaus. Gender ist das
        die Werkstatt       Frauen eine Gesetzesänderung er-       Das Frauenwerk kommt zu anderen                                                                                                                                                       christliche Perspektive ist, dass          englische Wort für das soziale Ge-      Fortsetzung
         Spiritualität.     reicht. Für mich ein Stück Befreiung   Beschlüssen als die Synode, und                                                                                                                                                       der Weg zu Gott allen offensteht.          schlecht, all das, was mich zur Frau    Seite 18

     16       weltbewegt                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   weltbewegt     17
Welt welt JUNI - AUGUST 2018 C 51 78 - Generationen - Nordkirche weltweit
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