SEELSORGE UNSERE ... in vielen Sprachen und Völkern - Bistum Münster
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NOVEMBER 2020 UNSERE SEELSORGE ... in vielen Sprachen und Völkern Seelsorge für Katholiken anderer Muttersprache, Kultur und Ritus
Inhalt „Ich gehe in die tamilische Gemeinde in Münster, weil ich meine Religion und meine Kultur gerne in Verbin- dung bringen möchte“ Savmika Nagarajah (18) Tamilische Gemeinde Münster Für die Gestaltung dieser Ausgabe von UNSERE SEELSORGE haben wir junge Katholikinnen und Katholiken aus den Gemeinden anderer Muttersprache, Kultur und Ritus eingeladen, sich portraitie- ren zu lassen und uns mit einem Satz zu sagen, warum „ihre“ muttersprachliche Gemeinde für sie persönlich wichtig ist. Nicht alle im Bistum Münster vertretenen Sprachgruppen finden sich in den Antworten wieder. Die Portraits illustrieren quer durch diese Ausgabe gleichwohl die lebendige Viel- falt und Bedeutung muttersprachlicher Seelsorge. IMPRESSUM HERAUSGEBER Bischöfliches Generalvikariat | Hauptabteilung Seelsorge Rosenstraße 16, 48143 Münster REDAKTION Donatus Beisenkötter (v.i.S.d.P.), Georg Garz, Martin Schmitz KONZEPTION Franz-Thomas Sonka GESTALTUNG Thomas Bauer | www.kampanile.de DRUCK Druckerei Joh. Burlage, Münster | www.burlage.de REDAKTIONSSEKRETARIAT Heidrun Rillmann, Bischöfliches Generalvikariat Münster Domplatz 27, 48143 Münster Fon 0251 495-1181 | redaktion@unsere-seelsorge.de TITELBILD UND FOTOS Achim Pohl (Titel), Michael Bönte, Simon Musga (Seite 49), EINZELBEZUGSPREIS: 3,50 Euro STAFFELPREISE: ab 10 Exemplare 3 Euro | ab 50 Exemplare 2,50 Euro Das verwendete Papier ist aus 100 % Altpapier hergestellt. 2
4 EDITORIAL 32 DIE ANTONIUSKIRCHE IST Maria Bubenitschek UNSER GEMEINSAMES HAUS Interview mit Laura Arias Padilla 5 EIN WICHTIGER TEIL DES BISTUMS MÜNSTER Karin Weglage Bischof Dr. Felix Genn 33 VIELFÄLTIGE HILFEN UND 6 KATHOLISCH – WEITER GEDACHT IMMER EIN ESPRESSO ... Die universale Botschaft des Evangeliums wird in Ein Besuch in der italienischen Mission unterschiedlichen Kontexten gelebt Claudia Maria Korsmeier Weihbischof em. Dieter Geerlings 34 RELIGIONSZUGEHÖRIGKEIT 9 SEELSORGE FÜR KATHOLIKEN ANDERER UND RELIGIÖSE PRAXIS MUTTERSPRACHE IN DEUTSCHLAND Integrationsfaktoren von Migranten Entwicklungen und Perspektiven und Geflüchteten? Dr. Lukas Schreiber Prof. Dr. Dominicus M. Meier OSB 12 MIGRANTENPASTORAL IST SOZIALPASTORAL 38 SIND DIE ÜBERHAUPT KATHOLISCH? Die spanischen Missionen als Beispiel einer Die bunte Vielfalt der katholischen Riten erfolgreichen Integration Franz-Thomas Sonka Msgr. José Antonio Arzoz 40 HERAUSFORDERUNGEN UND 16 KOSTBARE FREIHEIT CHANCEN DES ZUSAMMENLEBENS Katholische Vietnamesinnen und Vietnamesen Vom Miteinander der verschiedenen Kulturen, in Deutschland Riten und Religionen Dr. Duy Vu Pham Dr. Miled Abboud 18 SEHNSUCHT NACH HEIMAT 43 KOMPETENT BERATEN Seelsorge für afrikanische Katholikinnen und Fachdienste für Integration und Migration Katholiken in Deutschland im Bistum Münster Dr. Kizito Chinedu Nweke Maike Krumm und Marion Hafenrichter 22 MIGRATION UND INTERKULTURALITÄT IN EINER 45 THE GIFT OF NOT FITTING IN GLOBALISIERTEN WELT Über die heilsame Zumutung der Differenz Universalität und Katholizität als Chance und P. Tobias Keßler CS Herausforderung P. Égide Muziazia SVD 48 EINE KIRCHE IN VIELEN SPRACHEN UND KULTUREN 24 ENTLERNEN UND UMLERNEN Ein Plädoyer für gelebte Diversität DES MENSCHSEINS Franz-Thomas Sonka Herausforderungen für eine Pastoralpädagogik im globalen Kontext 51 ANSPRECHPARTNER Dr. Christiana N. Idika DMMM UND ANSCHRIFTEN 28 IN DER VIELFALT GEMEINSAM KIRCHE SEIN Als Teil der Ortskirche gemeinsam als Volk Gottes auf dem Weg Msgr. Stanisław Budyn 30 AUS FREMDEN WERDEN FREUNDINNEN UND FREUNDE Vom gelingenden „katholischen“ Miteinander in einer deutschen Pfarrei Karsten Weidisch 3
Editorial Inhalt LIEBE LESERIN, LIEBER LESER, „… in vielen Sprachen und Völkern“ – Seelsorge Diese Ausgabe von UNSERE SEELSORGE in anderer Muttersprache, Kultur und Ritus – möchte den Blick weiten, mit Klischees „aufräu- ist diese Ausgabe überschrieben. Das Titelbild men“ und Sie mithineinnehmen in eine vielleicht bedient in diesem Kontext direkt ein Klischee – an der einen oder anderen Stelle noch unbekann- und das ganz bewusst. te Weise, Leben und Glauben in unserem Bistum zu feiern und zu teilen. Denken wir an Seelsorge in anderer Mutter- sprache sind es möglicherweise tatsächlich Und vielleicht stellen Sie sich am Ende der Lek- zunächst Klischees, die uns einfallen, Bilder und türe die Frage: Welche Konsequenzen sollen wir Vermutungen, die unserer Unkenntnis und unse- daraus ziehen? rem Befremden gegenüber anderen Kulturen und Darüber lohnt es sich, miteinander ins Ge- deren Art, ihren Glauben zu leben, entspringen. spräch zu kommen! Dabei ist unsere Kirche eine Weltkirche und Im Bewusstsein, dass „Muttersprache“ auch unser europäischer oder gar deutscher Blick ist „Vatersprache“ sein kann, grüßt Sie herzlich nur einer von vielen anderen. Mehr als 1/10 der Katholiken und Katholikin- nen in unserem Bistum Münster spricht eine Herzlichst Ihre andere Muttersprache. Viele dieser Gläubigen Maria Bubenitschek engagieren sich in ihren Gemeinden und feiern regelmäßig Gottesdienste. Manche Gemeinde anderer Muttersprache steht in guter Koope- ration zu einer Kirchengemeinde, mancherorts werden sie eher als Randerscheinung wahrge- nommen. Maria Bubenitschek Leiterin der Hauptabteilung Seelsorge bubenitschek@bistum-muenster.de 4
EIN WICHTIGER TEIL DES BISTUMS MÜNSTER In unregelmäßigen Abständen besuche ich seit nicht geläufig. So haben diese Gemeinden ehren- einiger Zeit in unserem Bistum die Katholiken amtlich ein starkes soziales Netzwerk geknüpft, anderer Muttersprache in ihren Gemeinden und um schnell Hilfe organisieren zu können. Missionen. Wegen der Corona-Pandemie steht die Begegnung in einigen dieser Gemeinden noch aus. Immer wieder sage ich in den Predigten bei den Besuchen: „Sie sollen hier im Bistum eine Die bisherigen Besuche erfüllen mich mit Form der Verbundenheit mit ihrer Heimat finden. Freude und Dankbarkeit: die Eucharistiefeier mit Sie gehören zu uns und bestärken uns alle durch der Gemeinde, die Begegnung mit den Seelsorge- ihren Glauben. Bitte geben Sie das Zeugnis Ihres rinnen und Seelsorgern, mit den ehrenamtlichen Lebens weiter an die folgenden Generationen.“ Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, das festliche Zusammensein mit der Gemeinde. Ich bin beein- Das Wahrnehmen der Gemeinden ande- druckt von der Glaubens- und Lebensfreude, die rer Muttersprache verändert auch das eigene bei diesen Treffen deutlich wird. Dabei werden Glaubensleben von uns Einheimischen. Wir in auch die dunklen Seiten nicht ausgeblendet. Deutschland sind nur ein Segment der Welt- Vielfach kommen die weltweiten politischen Vor- kirche. Der Glaube der Migranten erinnert mich gänge zur Sprache, die zur Migration führen. Er- daran, dass Glaube vielfältig gelebt werden kann fahrungen von Terror und Angst, von Verfolgung und immer auch Aufbruch bedeutet. und Vertreibung, von Flucht und Krieg werden immer wieder angesprochen. Dazu kommen auch Hier kann auch gesehen werden, was Kirche Schwierigkeiten im Umgang mit hiesigen Verhält- zum „Entlernen“ von Fremdenfeindlichkeit und nissen im Staat und auch in der Kirche. zum Erlernen der Fähigkeit zur Vielfalt bedeutet und damit auch zum friedlichen Zusammenleben Ich erlebe eine große Dankbarkeit, dass unser in unserer Gesellschaft. Bistum die Katholiken anderer Muttersprache durch die entsprechenden Gemeinden und Herzlich danke ich allen, die dieses Heft „Unse- Missionen seelsorglich unterstützt und fördert. re Seelsorge“ konzipiert und gestaltet haben, Natürlich sind alle katholischen Christen, egal die ihre Artikel beigesteuert haben. Sie machen welcher Nationalität, Mitglieder der deutschen deutlich, dass die Gemeinden und Missionen der Pfarrei, in deren Gebiet sie wohnen. Katholiken anderer Muttersprache ein wichtiger Teil des Bistums Münster sind. Aber die Möglichkeit, auch in den eigenen kulturellen Zusammenhängen katholische Kirche sein zu können, dient dem Glauben und Leben der Katholiken anderer Muttersprache ungemein, wie diese Möglichkeit auch dazu befähigt, in der „neuen Heimat“ Fuß zu fassen. Das ist mir durch diese Besuche immer deutlicher geworden. Für viele Menschen, die aktuell nach Deutschland kommen, ist die eigene muttersprachliche Ge- meinde die erste Anlaufstelle. Die organisatori- schen Ausdifferenzierungen, wie sie sich in der + Felix Genn deutschen Kirche entwickelt haben, sind ihnen Bischof von Münster 5
„Ich gehe in die italienische Gemeinde in Moers, weil ich meine Landsleute dort sehe und meine Kultur pflegen kann.“ Claudio Valdes (27) Italienische Mission Moers KATHOLISCH – WEITER GEDACHT DIE UNIVERSALE BOTSCHAFT DES EVANGELIUMS WIRD IN UNTERSCHIEDLICHEN KONTEXTEN GELEBT „Es ist schön, Herkunft und Glauben zu verbin- Für Diego Carreira ist die portugiesischsprachige den.“ So die Sprecherin der koreanische Katholi- Gemeinde „ein kleines Refugium für die eigenen ken in Münster Dr. Soon-Chim Jung. Aus der Ge- Wurzeln.“ So der 29jährige, der ehrenamtlich als meinde arabischsprechender Christen mit ihrer Katechet in der Gemeinde tätig ist. orientalisch-europäischen Mentalität spricht die „Sich von der Geschichte nicht beugen lassen“, junge Physikerin aus dem Libanon Marie Maaz: bekräftigen im Blick auf den Heiligen Papst „Wir grenzen unsere Religion nicht vom Leben Johannes Paul II. nach einem Gottesdienst einige ab, für uns gehört beides zusammen.“ Mitglieder der polnischen Gemeinde. Sie ist die Zweimal im Monat feiert die Ukrainisch-grie- zahlenmäßig weitaus größte Gruppe der Katholi- chisch-katholische Gemeinde im Kapuziner- ken anderer Muttersprache im Bistum Münster. kloster in Münster die „Göttliche Liturgie“. „Es gibt Probleme, die man mit deutschen „Katholisch und doch ganz anders“, beschreibt Augen nicht sieht. Wir kennen den Kontext, die Marja Sarko, Ehefrau von Pfarrer Stephan Sarko. Tradition. Wir haben das Vertrauen“, betont Pfr. Das Durchschnittsalter der Gemeindemitglieder Frankline Chukwuemeka Anynawu, Seelsorger liegt bei 24 Jahren. der afrikanischen Gemeinde. 1 6
gebundenheit, unser Kontext eröffnet. Damit ist von Dieter Geerlings keiner Beliebigkeit das Wort geredet. Aber der geschichtliche und theologische Kontext beispiels- Katholiken anderer Muttersprache – weise prägt unser Katholischsein hier; ebenso Katholische Vielfalt verhält es sich mit den ursprünglichen Kontexten Schon diese kleine Auswahl von Äußerungen aus der Gemeinden anderer Muttersprache. den 18 Sprachgruppen der Gemeinden anderer Muttersprache in unserem Bistum macht die Die Erfahrung mit den Katholiken anderer Vielfalt des Katholisch-Seins deutlich. Es geht Muttersprache in unserem Bistum ist für mich so überhaupt nicht nur um Sprache, es geht um etwas wie die Erfahrung von Weltkirche auf klei- unterschiedliche Akzente im Glaubensleben, um nem Raum, in all der gegenseitigen Bereicherung Riten (gemeint ist damit das ganze kirchliche wie auch in der spannungsreichen Unterschied- Leben), um Traditionen, um Erfahrungen von lichkeit und Glaubensintensität. Flucht, Vertreibung, Krieg, Verfolgung …, die in der Migration mit nach hier gekommen sind. Dies Kirche als „Global Player“ - die Fragestellung: und mehr prägt diese Gemeinden. Katholizität Die Botschaft Jesu hat sich zu einer Weltreligion Unterschiedliche Wahrnehmungen entwickelt, fußt im Glauben Israels, ist weiter aus- Die Begegnungen unterschiedlichster Art erlebe gerichtet auf „Juden und Heiden“. Sie verwirklicht ich als eine Bereicherung meines Glaubens, als sich in konkreten gesellschaftlich-kulturell-poli- „Weitung“ des Katholischen. Da kommt Freude tischen Kontexten. Diese Kontexte bringen die Ka- auf, zu einer Kirche zu gehören, die auf alle Welt tholiken anderer Muttersprache mehr oder weni- (Kat-holos) bezogen ist, dass der Glaube eine ger mit in den neuen gesellschaftlichen Kontext. In Sprache ist in unterschiedlichen Sprachen. Da der katholischen Kirche als „Global Player“ (wobei atmet Pfingsten. hier die Ökumene mitbedacht werden muss …) haben Menschen Heimat, die einen unterschied- Andererseits spüre ich auch eine Spannung zu lichen theologischen und kulturellen Hintergrund bestimmten Ausprägungen oder Akzenten des haben. Sie haben viele Kompetenzen und gläubi- Glaubens- und Kirchenlebens in der einen oder ges Erfahrungswissen. „Unter allen Religionen ist anderen dieser Gemeinden. Beispielhaft nenne vielleicht das Christentum am deutlichsten durch ich: Sakramentenfrömmigkeit, Familienbild, be- die Spannung von Kontextualität und Universali- stimmte ethische Ansichten, Verhältnis von Reli- tät gekennzeichnet.“2 Ist dann die Katholizität gion zur Nation, Islamkritik, theologische Prägung (nicht als Konfessionsbegriff verstanden, sondern aus der Missionierung im Zuge der Kolonisierung als Wesensform der Kirche) zu verstehen als die und manches mehr. Vermittlung von Universalität und Kontextualität in einem ständigen Prozess oder Weg? Diese Spannung lebt natürlich auf dem Hinter- grund des hiesigen Glaubenskontextes. Sicherlich Papst Franziskus gibt der Vielfalt mehr Raum wäre es nötig, diese Stichworte genauer zu fassen, (vgl. Evangelii gaudium 32). Er hat offenbar keine was hier aber zu weit führen würde. Sie dienen Angst vor einer „Binnenpluralisierung“ (J. Rah- als Hinweis, dass der Glaube, der eine katholische ner) des Katholischen. Das war bereits auf dem Glaube in unterschiedlichen Kontexten gelebt wird Vaticanum II (GS 92) vorhanden. Es geht darum, und zuhause ist. In der Vergangenheit sind wir von der gemeinsamen Basis des Glaubens her eher davon geprägt worden, unseren Glauben, das die Unterschiede zu bestimmen, nicht von den Glaubensleben im Blickwinkel einer überzeitlichen Gegensätzen. Das bringt eine Weiterentwicklung Naturordnung zu betrachten. Hier aber wird schon des Verständnisses von „katholisch“ mit sich. Es deutlich: was immer als „Naturordnung“ be- bestimmt sich nicht mehr von einer uniformen zeichnet wurde oder wird, ist grundsätzlich durch Einheitlichkeit her, sondern von der Idee einer Kultur vermittelt. Gemeinschaft von Verschiedenen. Zur „Natur des Menschen“, zu seinen Gemein- Universalität – Kontextualität schaftsformen haben wir keinen anderen Zugang Wie ist dieses „Katholische“ dann genauer zu als jenen, den uns unsere kulturelle Standort- fassen? Hier gibt Franz Gmainer-Pranzl, Professor 7
Katholisch – weiter gedacht in Salzburg, eine wie mir scheint wichtige weiter- Ausblick führende Perspektive, die ich sehr verkürzt und Migration ist für mich eine Konstante dieser Welt vereinfacht darstelle.3 und wird eine noch größere Konstante werden. Sie beschleunigt den Prozess der Pluralisierung, Das Evangelium erhebt für den Glaubenden ist aber nicht deren Ursache. Im Zusammenleben einen universalen Anspruch. Es versteht sich von einheimischen und zugewanderten Katholi- als klärendes und befreiendes Wort für alle ken geht es um einen unabschließbaren Prozess Menschen. einer Durchdringung der eigenen Kultur, der Der Kontext des Menschen dieser Zeit (Le- Glaubensverständnisse, der Riten von anderen bensverhältnisse, Milieus, Nation, Kultur, und umgekehrt. Dieser Prozess verändert alle Sprache, Landschaft …) ist der Schlüssel, um Beteiligten – wenn dieser Prozess denn wirklich den Anspruch des Evangeliums neu wahrzu- wahrgenommen wird. Das ist auf Zukunft hin nehmen. noch eine große Herausforderung. Der Begriff Die „Wahrheit des Evangeliums“ ist nicht der Integration, wie er im politischen Handeln ge- identisch mit einer einzigen Vorstellung vom braucht wird, ist hier nicht anwendbar. Es geht bei Menschen und seiner Welt. Es haben sich allen um Getaufte und Gefirmte. Wer soll sich wie aber in der Geschichte Ausformungen des und wohin dann integrieren? Deshalb Katholizität. Glaubens entwickelt, die nicht beliebig revi- Dieser Weg ist meines Ermessens nach unabding- dierbar sind. bar, um zum Beispiel gemeinsam zu erproben, Die Botschaft des Evangeliums kann in prinzi- was „Katholizität“ als Vermittlung des Christlichen piell allen Kontexten des Lebens verortet heißen könnte im Verhältnis von moderner euro- werden und bekommt dort eine originäre päischer Gesellschaft und christlicher Botschaft. Ausdrucksgestalt. Universalität ist ohne Dialog nicht zu haben. 1 Vgl. Westfälische Nachrichten vom 08.08.2018 2 Narth, Peter Claver, Interkulturelles Zusammenleben in einer Universalität setzt die Anerkennung der Ordensgemeinschaft, Berlin 2019, 182 eigenen Partikularität voraus. Diese Sicht 3 Gmainer-Pranzl, Franz, Universalität in Kontextualität. An- setzt einen ständigen Prozess der Kommuni- spruch und Vermittlung des Christlichen. In: Kontextualität des kation voraus. Evangeliums, Regensburg 2012, 194-214 Dialoge sind nicht eine Alternative zur Ver- kündigung des Evangeliums, sondern die Art und Weise, wie diese erfolgt (Vgl. GS 3). Katholisch sein heißt, wahrnehmen können, dass und wie sich der Anspruch des Christ- lichen (der gemeinsamen Basis) in die Vielfalt WWW.UNSERE-SEELSORGE.DE des Menschlichen vermittelt. Das Katholische ist die Qualität einer Vermitt- Die Geschichte der Seelsorge für Migranten lungsfähigkeit und nicht eine traditionelle in Deutschland von den ersten Dokumenten Quantität nach dem Motto „Ist das noch Anfang des 20. Jahrhunderts über die Zeit katholisch?“ Katholizität ist theologisch als der sogenannten Gastarbeiter bis heute Vermittlungsgestalt zwischen Universalität beschreibt P. Martin Üffing SVD in einem und Kontextualität zu verstehen. Beitrag, den Sie online lesen können. Die kirchliche Gemeinschaft wird aus allen Völkern der Erde gebildet. Ihr kommt ein „character universalitatis“ zu, der die Kirche auf einen weltweiten Horizont hin aufbricht und eine Form von Einheit schafft, die „aus verschiedenen Ordnungen“ gebildet wird. (Vgl. LG 13). Katholizität erweist sich hier als Modell des Zusammenlebens unterschied- + Dieter Geerlings licher Völker, deren Vielfalt zum realen Zei- Weihbischof em. chen einer tiefen Einheit wird. Bischöflicher Beauftragter für die Seelsorge der Katholiken anderer Muttersprache vollenbroeker@bistum-muenster.de 8
„Ich gehe in die koreanische Gemeinde in Münster, weil ich da viel Lebenskraft und emotionale Energie tanken kann.“ Hyung-Range Kwon (31) Koreanische Gemeinde Münster SEELSORGE FÜR KATHOLIKEN ANDERER MUTTERSPRACHE IN DEUTSCHLAND ENTWICKLUNGEN UND PERSPEKTIVEN Seit Jahrzehnten haben wir uns im kirchlichen Zahlen, Fakten und Entwicklungen Leben hierzulande an rückläufige Zahlen ge- Wie viele Katholikinnen und Katholiken anderer wöhnt. Gottesdienstbesuch, Sakramentenemp- Muttersprache genau zur Kirche in Deutsch- fang und besonders die Gesamtzahl der Katho- land gehören, wissen wir nicht. Aber wir können liken in Deutschland gehen seit Jahren mehr immerhin die Zahl derjenigen Personen genau oder weniger kontinuierlich zurück. Nicht so beziffern, die in den amtlichen Melderegistern als ist es, wenn wir auf jenen Teil der Mitglieder „römisch katholisch“ gemeldet sind und zugleich unserer Kirche schauen, die eine Migrations- über eine ausländische Staatsangehörigkeit ver- geschichte mitbringen. Denn ihre Zahl steigt fügen. Sie ist alleine in den vier Jahren von 2015 und steigt. bis 2019 (Stichtag ist jeweils der 30. Juni) um 11,6 Prozent von 3.205.610 auf 3.575.890 gestiegen. Im gleichen Zeitraum ist die Gesamtzahl der Mit- von Dr. Lukas Schreiber glieder der katholischen Kirche in Deutschland 9
Seelsorge für Katholiken anderer Muttersprache in Deutschland „Ich gehe in die rumänische Gemeinde in Münster, weil ich mich dort zuhause fühle.“ Marco Becusca (28) Griechisch-Katholische Rumänische Gemeinde um 3,2 Prozent von 23.761.806 auf 23.002.128 Rottenburg-Stuttgart (385.651) und im Erzbistum gesunken. Rechnet man die Katholiken mit aus- Köln (347.460). Im Bistum Münster liegt die Zahl ländischer Staatsangehörigkeit einmal heraus, so bei 185.449, das sind 10,2 Prozent der Gesamt- wäre die Mitgliederzahl der katholischen Kirche zahl der Gläubigen.1 in diesen vier Jahren nicht um 3,2 Prozent, son- dern um 5,5 Prozent zurückgegangen. Der Anteil Verantwortlich für die Seelsorge an den der Personen mit einer ausländischen Staats- Gläubigen anderer Muttersprache sind in den Bis- angehörigkeit an der Gesamtmitgliederzahl der tümern jeweils die Ortsbischöfe. Sie haben in den katholischen Kirche in Deutschland liegt derzeit 27 deutschen (Erz-)Diözesen insgesamt rund 450 (2019) bei 15,5 Prozent und ist seit 2015 um zwei muttersprachliche Gemeinden in 30 verschiede- Prozentpunkte gestiegen. nen Sprachgruppen errichtet. Circa 500 Priester aus aller Welt sind in diesem Arbeitsfeld tätig, Zur katholischen Kirche gehören in Deutsch- teils hauptamtlich, teils nebenamtlich. Auf der land Gläubige aus rund 200 Nationen. Die mit Ebene der Deutschen Bischofskonferenz ist die Abstand größte Gruppe unter ihnen bilden die Migrationskommission (XIV) zuständig. Polen, deren Zahl aktuell bei rund 1,25 Millionen liegt. Die Italiener stellen mit rund 609.000 Ka- Elemente wachsender Gemeinschaft tholiken die zweitgrößte Gruppe. Die drittgrößte In einem Prozess zur Reflexion und Perspektiv- Gruppe bilden die Kroaten, deren Zahl derzeit entwicklung der muttersprachlichen Seelsorge auch am stärksten wächst. Alleine zwischen den unter dem Arbeitstitel „Elemente wachsender Jahren 2017 und 2019 ist sie um elf Prozent auf Gemeinschaft“ möchte die Migrationskommission 336.500 gestiegen. Weitere große Sprachgruppen der Deutschen Bischofskonferenz insbesondere sind die spanisch- und die portugiesischsprachi- Möglichkeiten einer verbesserten Teilhabe der gen Katholiken, deren Gruppengröße jeweils bei muttersprachlichen Gemeinden am Leben und rund 150.000 liegt. den Strukturen der Kirche in Deutschland in den Blick nehmen. Ziel ist es, auf allen Seiten das Be- In den einzelnen Bistümern und Erzbistümern wusstsein der Zusammengehörigkeit in der einen sind die Anteile der Gläubigen mit ausländischer Gemeinschaft der Kirche zu stärken und eine ent- Staatsangehörigkeit an der Gesamtzahl der sprechende Praxis zu fördern. Kirchenmitglieder in der aktuellen Statistik von 2020 unterschiedlich hoch, sie liegen zwischen Optionen im Blick auf die Zukunft der 6,7 Prozent im Bistum Passau und 35,7 Prozent muttersprachlichen Seelsorge in Deutschland in den Erzbistümern Berlin und Hamburg. In Zur Erreichung dieses Ziels gibt es keine all- absoluten Zahlen leben die meisten Katholiken gemeingültigen Patentrezepte und es sind sicher mit ausländischer Staatsangehörigkeit im Bistum unterschiedliche Ansätze und Modelle, die in den 10
einzelnen Bistümern zum Erfolg führen – je nach pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ schreibt den regionalen Gegebenheiten einerseits sowie Papst Franziskus: „Die Weltkirche lebt in und aus den vertretenen Sprachgruppen und existieren- den Teilkirchen, so wie die Teilkirchen in und aus den Gemeinden andererseits. In jedem Fall wird der Weltkirche leben und erblühen … Daraus man aber bei der Entwicklung von Perspektiven ergibt sich die Notwendigkeit, die Gemeinschaft für die muttersprachliche Seelsorge versuchen, mit dem ganzen Leib der Kirche immer lebendig die Chancen zu nutzen, die in dem oben be- und wirksam zu erhalten“ (Nr. 9). Ein solcher ge- schriebenen Wachstum der muttersprachlichen meinschaftlicher Umgangsstil hat sich dann nicht Gemeinden für eine vitale Zukunft der Kirche in nur bei großen Bischofssynoden zu bewähren, Deutschland enthalten sind. Dabei scheinen mir sondern auch auf der örtlichen Ebene der Pfarrei- drei allgemeine Grundoptionen von besonderer en und Gemeinden. Hier wird sich ein lebendiges Bedeutung zu sein: Bewusstsein der Zusammengehörigkeit in der einen katholischen Kirche in praktischen Fragen Dem Leben dienen und Wachstum fördern wie der Organisation der Nutzung gemeinsamer Bei allen pastoral-administrativen Überlegungen Räumlichkeiten ebenso konkretisieren wie im ge- und strukturellen Entscheidungen sollte immer meinsamen Dienst an den Mitmenschen oder in die Frage im Vordergrund stehen, wie man am der gemeinsamen Feier des Glaubens – letztlich besten dem Leben dienen und Wachstum fördern in einem gemeinsamen authentischen Zeugnis für kann. Jedes Konzept und jede Entscheidung muss Jesus Christus. sich daran messen lassen, ob sie dem gemein- Rückläufige Kennzahlen des kirchlichen Lebens schaftlichen Leben in den Gemeinden dienen und sind kein Naturgesetz. Die Zukunftsfrage der Kir- ob sie geeignet sind, das je persönliche Wachs- che in Deutschland besteht darin, ob es gelingt, tum der Gläubigen in ihrer Beziehung mit Jesus dass die Menschen unserer Zeit die Relevanz Jesu Christus zu fördern. Christi für ihr persönliches Leben erkennen und erfahren. Vielleicht kann ein gemeinsames Lernen Unterschiedlichkeit als Reichtum wahrnehmen von und mit den Gemeinden anderer Mutterspra- In der Gestaltung des Miteinanders von Gläubi- che dazu wertvolle Impulse geben. gen unterschiedlicher Herkunft und Sprache sollte alle Unterschiedlichkeit als Reichtum wahrge- 1 Mit Stand vom 30. Juni 2020 weist die Statistik für die Diözese Münster 95.136 ohne deutschen Pass und 90.313 mit nommen werden. Das klingt zunächst banal und deutschem Pass und 2. Staatsangehörigkeit aus. ist auch im Blick auf unterschiedliche Sprachen, Hautfarben oder kulinarische Gewohnheiten ein- fach. Anspruchsvoller wird es hingegen, wenn wir an unterschiedliche Mentalitäten, spirituelle Tra- ditionen oder gar theologische Schulen denken. Aus der Freude an der Vielfalt kann eine wirkliche gegenseitige Wertschätzung und dann sogar das Bedürfnis erwachsen, wechselseitig voneinander lernen zu wollen. Wenn wir voneinander lernen, so schreibt Papst Franziskus, dann können wir „dieses wunderbare Polyeder, das die Kirche Jesu Christi bilden muss, besser widerspiegeln. Sie kann die jungen Menschen eben deshalb anzie- hen, weil sie keine monolithische Einheit darstellt, sondern ein Geflecht unterschiedlicher Gaben, die der Heilige Geist unaufhörlich in ihr ausgießt“ (Christus vivit, Nr. 207). Das Bewusstsein der weltkirchlichen Zusammengehörigkeit stärken Dr. Lukas Schreiber Insgesamt sollte alles dafür getan werden, das Nationaldirektor für die Auslän- derseelsorge bei der Deutschen Bewusstsein der weltkirchlichen Zusammen- Bischofskonferenz gehörigkeit zu stärken. In seinem Brief „An das l.schreiber@dbk.de 11
„Ich gehe in die Kirche und in die polnische Gemeinde in Oldenburg, seit ich ein kleines Kind bin. Ich fühle mich freier während der Messe und ich freue mich jeden Tag auf den Sonntag. Es ist ein tolles Gefühl, während der Patrycja Petrach (18) Messe die heilige Kommunion zu sich Polnische Mission Oldenburg zu nehmen.“ MIGRANTENPASTORAL IST SOZIALPASTORAL DIE SPANISCHEN MISSIONEN ALS BEISPIEL EINER ERFOLGREICHEN INTEGRATION Nach der Unterzeichnung des Anwerbevertrags bessere soziale Stellung zu ermöglichen, war für zwischen der Bundesrepublik und Spanien 1960 viele ein wichtiges Ziel ihrer Migration. In der kamen viele spanische Gastarbeiter nach West- neuen Umgebung lebten viele isoliert und die deutschland. Nach den Italienern stellten die Gestaltung ihrer Freizeit wurde zu einem Prob- Spanier die größte Migranten-Gruppe der Gast- lem. Sie suchten nach Möglichkeiten, die eigene arbeiter. Im Juni 1962 gab es 87.327 spanische Sprache zu sprechen, die Isolation zu überwinden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und 35 und die vielfältigen Schwierigkeiten und Erfah- Spanische Missionen mit 33 spanischen und rungen in der neuen Lebenssituation zu teilen. zwei deutschen Priestern. Im Juni 1966 waren es Sie suchten den Kontakt untereinander. bereits 185.386 Spanier und 66 Missionen. Die 60-jährige Geschichte der spanischsprachigen Besonders die Spanischen Missionen, die Seelsorge in Deutschland zeigt, dass sie sich im- ihnen Räumlichkeiten zur Begegnung, sozio-kul- mer als Sozialpastoral verstanden und damit zu turelle Hilfe und Freizeitmöglichkeiten boten, einer erfolgreichen Integration beigetragen hat. gingen auf diese Bedürfnisse ein. Die Missionen entwickelten sich schnell zu Treffpunkten für die Migranten. Migranten-Seelsorge war sozio-kultu- von José Antonio Arzoz relle Arbeit für Migranten und ihre Familien. Die Missionen kümmerten sich mit großem Engage- Die erste Generation der spanischen Gast- ment um die Lösung der alltäglichen Probleme. arbeiter im Westdeutschland der 1960er Jahre Sie machten eine Kirche erlebbar, die sich von wollte schnell viel Geld verdienen und nach Beginn an den migrierten Menschen zuwandte, Spanien zurückkehren, um dort ein kleines die die Menschen in den Mittelpunkt rückte. Unternehmen aufzubauen. Auch der Wunsch, Der Mensch selbst war der Weg der Spanischen den Kindern eine gute Ausbildung und somit eine Missionen. 12
Das Zweite Vatikanische Konzil hatte in der Familien ein großes Problem. In der spanischen Pastoralkonstitution Gaudium et spes den Auftrag Zeitung El País erschien 1973 ein Artikel mit der der Kirche, die Pastoral am konkreten Menschen Schlagzeile: „70 Prozent der Kinder spanischer auszurichten, deutlich formuliert. Für die Kon- Migranten erreichen in Deutschland keinen zeption und Praxis der Migrantenpastoral musste Schulabschluss“. Es musste also etwas gesche- deshalb der erste Schritt ein detaillierter Blick auf hen. Die Initiatoren waren erneut die spanischen die Lebenswelt, auf Anliegen und Bedürfnisse der katholischen Missionen in Deutschland und Migranten und Migrantinnen sein. Vom Geist des besonders ihr Referat für Schulfragen und Er- Konzils geleitet, nach dem die Familie die „erste wachsenenbildung mit dem ab 1972 erscheinen- Zelle der Gesellschaft“ darstellt, konzentrierten den Mitteilungsblatt CARTA A LOS PADRES (Brief die spanischen Seelsorger ihre Missionsarbeit auf an die Eltern). Da die Frage nach der Schulausbil- die Familien. Die Themen Familie und Schule be- dung der spanischen Kinder offensichtlich immer stimmten bald das reale Umfeld der Spanier und drängender wurde, trafen sich im November 1973 der spanischen katholischen Missionen. in Wiesbaden Vertreter von 23 Elternvereinen und gründeten die Confederación, den Bund der Kinderbetreuung und Schulbildung Spanischen Elternvereine in der Bundesrepublik Kinderbetreuung und Schulbildung waren akute Deutschland e.V.. und gravierende Probleme der spanischen Fami- lien. Es bestand ein großes Interesse an spani- In den ersten Jahren ihrer Existenz hing die schem Unterricht und einer guten Ausbildung für Finanzierung zu einem großen Teil von den Zu- die Kinder. Über das Feiern der Eucharistie, Kate- wendungen der Deutschen Bischofskonferenz ab chesen und religiöse Aktivitäten hinaus wurden in und profitierte von der pädagogischen Unterstüt- den Räumen der Missionen spanischer Unterricht zung des Referates für Erwachsenenbildung der und Hausaufgabenhilfe angeboten. Dieses An- Spanischen Katholischen Missionen und ihrem gebot bekam einen hohen Stellenwert. ersten Leiter und Fachberater der Confederaci- ón, Luis Zabalegui. In der Folge waren bis 2018 Da es ein wesentliches Migrationsziel der alle fünf Leiter des Referats für Schulfragen und spanischen Familien war, ihren Kindern eine Erwachsenenbildung Fachberater der Confedera- gute Ausbildung in Deutschland zu ermöglichen, ción. Mit großem Engagement trat die Confedera- bildeten sich schon in den 1960er Jahren Eltern- ción für die Eingliederung der spanischen Kinder gruppen beziehungsweise Elternvereine in den in das deutsche Schulsystem und gleichzeitig für Missionen, um gemeinsam Lösungen für die die Förderung des zusätzlichen Unterrichts in der Schulprobleme der Kinder zu suchen. Vieler- Muttersprache ein. orts wurden die Spanischen Missionen aufgrund der Nähe zu den Menschen zu entscheidenden In den 1970er Jahren musste man den Eltern Initiatoren und konnten eine bedeutende Rolle zunächst das deutsche Bildungssystem und ihre in der Entwicklung der spanischen Elternvereine Verantwortung vermitteln und sie zur Kooperation übernehmen. motivieren und vorbereiten. Die Seelsorger und die Pädagogen des Referates für Erwachsenenbildung Verbleib oder Rückkehr bedienten sich dabei der dialogischen Methode der Im November 1973 verfügte die Bundesregie- Pädagogik von Paulo Freire und adaptierten diese rung den sogenannten Anwerbestopp und zwang für die Bedingungen der Migration in der Industrie- damit die Arbeitsmigranten in Deutschland zu gesellschaft der Bundesrepublik. einer Entscheidung zwischen einem dauerhaften Verbleib oder der Rückkehr. Viele Spanier haben Für die Bildungsarbeit der Confederación ist sich für den Familiennachzug entschieden. neben den spanisch katholischen Missionen und dem Referat für Erwachsenenbildung die Aca- Der Zusammenschluss der spanischen Eltern- demia Española de Formación (AEF) - Spanische vereine und der Aufbau einer umfassenden Bil- Weiterbildungsakademie e.V. hervorzuheben, die dungsarbeit durch die Spanischen Katholischen unter anderem auf Initiative der Confederación Missionen und der Spanischen Missionen 1984 gegründet Das Scheitern der spanischen Kinder im deut- wurde. Die AEF ist in Deutschland eine Bildungs- schen Schulsystem war für die spanischen einrichtung mit staatlicher Anerkennung. 13
Migrantenpastoral ist Sozialpastoral Eine Erfolgsgeschichte gelungener Integration 30 Jahre nach dem Artikel in der Zeitung El País gelten spanische Schüler in Deutschland als „Ge- winner“ der Integration: fast 70 Prozent von ihnen erreichen mindestens die Fachhochschulreife „Die Missionen sind sich der kul- (Süddeutsche Zeitung vom 23. Februar 2004). Das turellen und religiösen Unter- Bildungsniveau der zweiten und dritten Genera- schiede bewusst, aber weil sie eine tion der spanischen Migranten hebt sich bis heute deutlich vom Niveau anderer Gastarbeiternationa- Pastoral praktizieren, die die kul- litäten ab. Immer noch betreibt die Confederación turelle und religiöse Vielfalt integ- eine aktive Bildungsarbeit. Ziel ist die Stärkung der riert, werden sie immer mehr zu Selbstorganisationen von Migranten, besonders einer authentischen Universalkirche der spanischsprachigen, und die Förderung der in Deutschland.“ rechtlichen, sozialen und ökonomischen Gleich- stellung. Das Leben der Spanier in Deutschland wird als positives Beispiel für eine erfolgreiche Integration angeführt, was auch darauf zurück- Regionen und Ländern. Die Missionen sind Orte der zuführen ist, dass die Confederación ständig Begegnung, der soziokulturellen Förderung und der neue Arbeitsfelder erschlossen und mit Projekten Feier des Glaubens für alle, die sich durch dieselbe bearbeitet hat. Die Confederación e. V. ist ein Ruh- Sprache und denselben Glauben vereint fühlen. Die mesblatt in der Migrationsgeschichte der Spanier Missionen sind sich der kulturellen und religiösen in Deutschland. Unterschiede bewusst, aber weil sie eine Pastoral praktizieren, die die kulturelle und religiöse Vielfalt Von den Spanischen zu den spanischsprachigen integriert, werden sie immer mehr zu einer authen- katholischen Missionen tischen Universalkirche in Deutschland. Ab dem Jahr 1991 richtete sich die Arbeit der Spanischen Missionen auf alle Menschen, deren Am 31. Dezember 2018 lebten 176.020 Spa- Muttersprache Spanisch ist. Die Öffnung gegen- nier und mehr als 98.500 spanisch sprechende über den spanischsprechenden Katholiken aus Amerikaner aus 18 Staaten legal in Deutschland. Lateinamerika wurde durch die 15. National- Für diese insgesamt 274.520 spanischsprachigen versammlung der Spanischen Missionen im Katholiken arbeiteten 2019 hauptamtlich 25 Jahr 1991 vollzogen mit der Umbenennung in Seelsorger (acht Spanier, zwei Deutsche, zwölf „Spanischsprachige Katholische Missionen“. Die Lateinamerikaner, zwei Polen und ein Slowake). Spanischen Missionen öffneten damit den spa- nischsprachigen Amerikanern ihre Türen. Menschen in der Illegalität Neben den registrierten spanischen Mitbürgerin- Eine Sprache, ein Glaube – viele Kulturen nen und Mitbürgern existiert eine nicht bekannte In der Liturgie haben die Missionen relevante Anzahl von spanischsprachigen Katholiken in religiöse Feierlichkeiten und Traditionen der Deutschland, die ohne Aufenthaltsgenehmigung spanischsprachigen Katholiken aus Südamerika leben und die besonders der Ausgrenzung und übernommen und integriert. Die Feier des „Herrn der Ausbeutung ausgesetzt sind. Viele von ihnen der Wunder“ (mit der dazugehörenden Prozession) haben erfahren, dass sie mit der Unterstützung oder der „Mutter Gottes von Guadalupe“ sind bis der Missionen rechnen können. Auch wenn sich heute feste Bestandteile der religiösen Feiern der insgesamt in den Bereichen Bildung und Gesund- Spanischsprachigen Missionen. Auch südameri- heit einige Verbesserungen ergeben haben, wer kanische Musik und Lieder bereichern heute die in Deutschland in der Illegalität lebt, ist gezwun- Eucharistiefeiern. Die Mission in Münster ist dafür gen, in der Verborgenheit zu leben und nur die ein nicht zu übersehendes Beispiel. nötigsten Wege in der Öffentlichkeit zu gehen. Bloß nicht auffallen! Diese Menschen werden Die Geschichte der spanischsprachigen katholi- „die Unsichtbaren“ genannt und leben unsicher. schen Missionen enthält eine Lektion gegenseitiger Aber auch (und besonders) Menschen in der Akzeptanz, von Verständnis und Zusammenarbeit Illegalität haben ein Recht auf Seelsorge. Die ka- von Christen und Christinnen aus verschiedenen tholische Kirche ist die Institution, die das Thema 14
„Ich komme aus Angola und gehe in die portugiesischsprachige Gemeinde in Münster, wegen der Spiritualität, wegen der Sprache und Kultur und weil ich mich da sicher fühle in Gottes Vania Reis (22) Haus.“ Portugiesischsprachige Mission von Menschen in der Illegalität in Deutschland Es wird weiterhin klassische ausländische eingebracht hat und sie darf ihre Rolle als Anwäl- Missionen für eine Sprachgruppe geben, solange tin für „Menschen ohne Papiere“ nicht aufgeben. dafür priesterliche Leiter gewonnen werden Für viele Menschen in der Illegalität sind die Mis- können. Fusionen oder Zusammenlegungen von sionen die einzigen Orte, an denen sie sich frei Missionen sind dabei nicht ausgeschlossen, aber fühlen und menschenwürdig behandelt werden. sie sollten immer im Dialog der Leitung der Diö- Für spanischsprechende Menschen in der Illegali- zese mit den Betroffenen vollzogen werden. tät bieten die Missionen eine Sozialpastoral der offenen Tür an. Intensivierung der Zusammenarbeit mit den Ortspfarreien Sozialpastorale Ansätze heute und morgen: Die katholischen Missionen werden weiter- Zukunftsperspektiven hin die Zusammenarbeit mit den deutschen In jeder Mission bildet die Feier der Eucharistie Pfarreien und Gemeinden fördern, dort wo sie das Zentrum des christlichen Lebens. Auch die ihren Sitz haben. Bis jetzt haben sich punktuelle Vorbereitung auf den Empfang der Sakramente gemeinsame bilinguale Feiern wie etwa in der und die Katechese als Vehikel der Glaubensver- Karwoche, zu Fronleichnam, beim Pfarrfest und tiefung und -erfahrung werden in jeder Mission weiteren Gelegenheiten bewährt. Diese wichtige angeboten. Die Kranken- und Familienbesuche Kooperation darf aber für keine der beiden, die stellen sehr wichtige und konkrete Begegnun- Pfarreien und die Missionen, zu einer Überforde- gen und Kontakte mit den alten und neuen rung führen. Binationale Ehen und Familien und Migranten dar. In allen Missionen muss es in der ebenso die Jugendarbeit stellen Felder für eine Erwachsenenbildungsarbeit Angebote für Ehe- Intensivierung in der Zusammenarbeit zwischen paare, Frauen, Senioren und Mutter-Kind-Grup- der Pfarrei und der Mission dar. pen geben. Die sozialpastorale Aufgabe der katholischen Missionen bestand und besteht darin, mündige Die Zahl der Migranten in Deutschland wird und aktive Christen zu bilden, die am Leben der aufgrund der EU-Mobilität und der Attraktivi- Kirche und der Gesellschaft teilnehmen. tät Deutschlands als Einwanderungsland weiter zunehmen. Migranten-Seelsorge bleibt eine not- wendige und dauerhafte Aufgabe der Diözesen, die durch die ausländischen Missionen wahrge- nommen wird. Das Spezifische dieser Seelsorge liegt darin, dass sie die konkrete Situation der Msgr. José Antonio Arzoz Delegat für die spanischsprachigen Gruppe, an die sie sich wendet, berücksichtigt. Katholiken in Deutschland Diese Differenzierung ist eine Bereicherung der (1990 – 2015) diözesanen Angebote in der Pastoral. joseantonioarzoz1943@gmail.com 15
„Ich gehe in die vietnamesische Gemeinde in Oldenburg, weil es zur vietnamesischen Kultur und Tradition meiner Familie und somit auch zu meiner Persönlichkeit gehört.“ Kim Ngyuen (24) Vietnamesische Mission KOSTBARE FREIHEIT KATHOLISCHE VIETNAMESINNEN UND VIETNAMESEN IN DEUTSCHLAND Das Erwachen aus dem Albtraum der „Flucht heiligste Erlebnis unserer Flucht war der Moment, über den Ozean des Ostens“ verfolgt das Leben als das Boot in den Hafen der Freiheit einlief und von vielen vietnamesischen Boat-People lebens- somit der Traum von Generationen vietnamesi- lang. Mit einem leicht zerbrechlichen Holzboot scher Katholiken in Erfüllung ging: „Endlich sind fuhren wir aufs Meer hinaus und sahen uns allen wir frei!“ möglichen Gefahren gegenüber. Unser starkes Vertrauen zu Gott, dass er uns in „das gelobte Neue Lebenskraft durch Freiheit und Land der Freiheit“ führen wird, war unsere Gerechtigkeit unschlagbare Waffe gegen die quälende Un- In Deutschland angekommen, brachte die Luft der gewissheit, ob wir es durch die starken Stürme, Gerechtigkeit und der Glaubensfreiheit die Kraft, die extrem hohe Gluthitze und die Gefahr, von alle Anfangsschwierigkeiten in einem fremden Piraten aufgebracht zu werden, jemals in die Land zu überwinden und schließlich wurden aus Freiheit schaffen würden. Fremden die besten Freunde. Auch unsere Kinder stellen häufig die Fragen, wie es ihre Vorfahren geschafft haben, einzig mit dem Vertrauen auf von Dr. Duy Vu Pham Gottes Hand alles aufzugeben. Wie groß muss die Not sein – und wie viel Gottvertrauen ist nötig, Tausende vietnamesischer Boat-People starben um diesen Schritt zu tun? Um die Fragen zu be- im südchinesischen Meer auf der Flucht vor dem antworten, führen wir sie zur Geschichte der 117 kommunistischen Regime. Freiheit ist wirklich vietnamesischen Märtyrer, die aufgrund Ihres kostbar! Die Vorstellung einer anderen Zeit und Glaubens zwischen 1745 und 1862 im Kaiserreich eines anderen Ortes weckte bei vielen Boat-Peo- Vietnam hingerichtet wurden oder an den Folgen ple das Vertrauen auf Gott. Das schönste und ihrer Gefangenschaft starben. Sie sind Schutzhei- 16
lige des Christentums in Vietnam, das von Beginn Aschaffenburg in einen Wallfahrtsort und einen seiner Entstehung bis heute von Unterdrückung Treffpunkt für mehr als 3.000 katholische Vietna- und Verfolgung geprägt ist. mesinnen und Vietnamesen in Deutschland, die dort gemeinsam das Pfingstfest feiern. Am 30. April 1975 fielen Südvietnam und Sai- gon, die damalige Hauptstadt Südvietnams, und Weitergabe des Glaubens im Kontext der wurden von den Kommunisten aus dem Norden eigenen Kultur eingenommen. Hundertausende Funktionäre Aktuell leben mehr als 20.000 vietnamesische und sämtliche Offiziere der Republik Südvietnam Katholiken in Deutschland, darunter gehören die mussten in sogenannte Umerziehungslager, die Boat-People zu den besten Beispielen für eine in Wirklichkeit Konzentrationslager waren. Die gelungene Integration. Für sie reicht eine gute Unterdrückung, die Verletzung der Menschen- Integration in die Gesellschaft jedoch nicht aus, rechte und das Verbot der Glaubensfreiheit durch sondern es steht die Weitergabe des Glaubens an die kommunistische Partei veranlassten uns dazu, die nächste Generation im Mittelpunkt der Erzie- die Flucht aus dem Heimatland Vietnam über den hung, denn das christliche Familienleben ist die „Ozean des Ostens“ zu riskieren. Einige von uns Wiege des Glaubens und der priesterlichen Beru- hatten das Glück, von der Cap Anamur oder von fungen. In den stürmischen Zeiten des Materialis- anderen Hilfsorganisationen wie „Deutsche Ärzte mus und der individualistischen Mentalität wird ohne Grenzen“ aus dem Meer gerettet und in diese Wiege in Deutschland mehr und mehr ver- umliegende Flüchtlingslager gebracht zu werden, gessen. Angesichts dieser Herausforderung ist es wo sie einige Jahre auf die Aufnahme in westliche für viele vietnamesische katholische Gemeinden Länder warteten. in Deutschland sehr wichtig, dass Jugendliche, die hier geboren und aufgewachsen sind, die Vergan- Im Glauben mit dem Verlust der Heimat genheit kennen, um die Gegenwart zu verstehen. umgehen lernen Denn nur wer die Gegenwart versteht, kann die Der Verlust der Heimat ist für jeden Flüchtling zu Zukunft gestalten. Besonders den Jugendlichen, jeder Zeit ein furchtbares Erlebnis. Er hinterlässt die Gegenwart und Zukunft der Kirche sind, muss eine Narbe auf der Seele, die ein Leben lang anhand der grausamen Einzelschicksale der Boat- bleibt. Diese Narbe wird auch an die zukünftigen People klargemacht werden, welch hohes Gut Generationen weitergegeben. Darum ist es so das heutige Leben in Frieden und Freiheit ist. Die wichtig, einen geistlichen Ort zu haben, an dem Flucht über den Ozean hat unser Vertrauen zu man sich mit dem Verlust der Heimat ausein- Gott sehr gestärkt und somit leben wir unseren andersetzen und gleichzeitig mit Stolz auf das Glauben in der vietnamesischen und in der zurückblicken kann, was in der neuen Heimat deutschen Gemeinde aktiv unter dem Motto „Das Deutschland erreicht wurde. Leben ist ein Bild, das wir gemeinsam mit Gott malen!“. Die ersten vietnamesischen Katholiken in Deutschland legten bereits am 7. Mai 1976 den ersten Grundstein für diesen Ort, nämlich die Gründung der Vereinigung der vietname- sischen Katholiken in Deutschland (www.ldcg. de). Bereits vor mehr als 40 Jahren wurde der erste vietnamesische Katholikentag veranstaltet. Seitdem ist dieser Katholikentag, der jedes Jahr stattfindet, ein Ausdruck für die Glaubensfrei- heit, die wir in unserer Heimat bis heute nicht ausüben können. Er bringt Menschen zusammen, die Gottes Wort hören, miteinander beten, feiern und diskutieren wollen. Ob jung oder alt, sie alle möchten ihren Glauben in der Gemeinschaft als Dr. Duy Vu Pham Vorsitzender der Vereinigung der etwas Lebendiges erleben und neue Kraft für den vietnamesischen Katholiken in Alltag schöpfen. Drei Tage lang verwandelt sich Deutschland die Berufsschule an der Frankenstolz Arena in vupham@gmx.de 17
SEHNSUCHT NACH HEIMAT SEELSORGE FÜR AFRIKANISCHE KATHOLIKINNEN UND KATHOLIKEN IN DEUTSCHLAND Im Ausland Sehnsucht nach Heimat zu haben, Die deutschen Bischöfe unterstützen seit län- nach Vertrautheit und nach all dem, was die gerem das Anliegen der afrikanischen Katholiken eigene Identität geprägt hat, ist normal. Diese und sichern die Seelsorge für Katholiken aus Sehnsucht ist umso größer, wenn es um einen Afrika auch strukturell ab. Die Afrikaner äußern wesentlichen Bestandteil im Leben des Aus- den Wunsch nach einer eigenen Seelsorge, die länders geht. Religion, Spiritualität, Glaube und in Kommunion und Kompatibilität mit der deut- Kirche haben für manche Afrikaner1 in Deutsch- schen Kirche steht. Diese Seelsorge soll sich um land einen solchen Stellenwert, aber gerade die die geistlichen und menschlichen Bedürfnisse der vertraute Intensität, Energie und Glaubensbe- Afrikaner kümmern. Sie stärkt die Möglichkeiten, reitschaft, das Engagement und die Unkompli- die afrikanische Spiritualität, das eigene religiöse ziertheit fehlen bei ihren religiösen Erfahrungen Leben und die Heimattraditionen im Ausland in der deutschen Kirche. Die Afrikaner, die sich in leben zu können. einer deutschen Gemeinde engagieren möchten, müssen mit der Realität der etablierten Struktur Von der ‚deutschen Kirche‘ zu einer ‚Kirche in der deutschen Kirche zurechtkommen mit all Deutschland‘ ihren Verwaltungsstärken und organisatorischen Die Katholizität und die Einheit der katholischen Gegebenheiten, aber auch mit den Anpassungs- Kirche haben in einer globalisierten Welt einen erfordernissen, um sich an diese neue und hohen Stellenwert. Offenheit und Anpassungs- fremde Art zu gewöhnen. fähigkeit aller Menschen untereinander und in jeder Gesellschaft sind gefordert. Die ‚deutsche Kirche‘ stellt sich dieser Realität, indem sie sich von Dr. Kizito Chinedu Nweke zu einer ‚Kirche in Deutschland‘ entwickelt.2 Die Existenz einer Seelsorge für afrikanische Es ist ein gutes Fundament, dass sich die ka- Katholiken in Deutschland zeigt die Offenheit tholische Kirche als eine weltweite, einheitliche der Kirche gegenüber der Realität der Globali- Kirche versteht. Katholiken1 dürfen sich überall sierung. Die Seelsorge für afrikanische Katholiken auf der Welt zuhause fühlen, in ihrem Gemeinde- in Deutschland beinhaltet eine neue theologische leben und ihrer Religiosität. Es bedeutet aber Haltung besonders auf der pastoralen Ebene, auf auch, dass die Verantwortlichen der Diözesen der etablierte kirchliche Bräuche und Strukturen und Pfarreien allen Katholiken die Möglichkeiten der ‚deutschen katholischen Kirche‘ zunehmend zur Gestaltung ihrer je eigenen kulturellen Praxis bereichert werden durch eine Vielfalt der Aus- des Glaubenslebens absichern: seelsorgliches drucksformen und Bräuche einer ‚Katholischen Personal, Räume, Finanzen für die Gestaltung der Kirche in Deutschland‘. Die Zukunft unserer Kirche pastoralen Aufgaben. in Deutschland ist bunt an Kultur und Men- 18
schen, aber auch an Stil, Riten und Strukturen. starke Islamisierung der nordafrikanischen Länder Sie besteht aus Menschen, die die Spiritualität ab dem 7. Jahrhundert. Bis zum 16. Jahrhundert und Identität ihres katholischen Glaubens leben spielte das Christentum in diesen Regionen kaum möchten in der Hoffnung auf eine Zunahme des noch eine Rolle. Spätere Motive und Methoden Glaubens und der Anzahl von Zugehörigen. Aus der Mission des 18. und 19. Jahrhunderts waren dieser Hoffnung für die Kirche in Deutschland mit Sklaverei und Ausbeutung verbunden, das 20. erschließt sich die Bedeutung der Seelsorge für Jahrhundert mit der Kolonisierungsmentalität. afrikanische Katholiken in Deutschland. Das Christentum in Afrika leidet bis heute unter diesen Episoden. Die Afrikaner – Wie und warum Katholisch? Was ist Afrika? 21 Prozent Landfläche der Erde? Religion in Afrika 18 Prozent der Weltbevölkerung? Man kann sich Heute sind Christentum und Islam die dominie- schnell in einer Simplifizierung dieses Kontinentes renden Religionen in Afrika. Zurzeit nimmt aus verlieren, indem man ihn als ein einheitliches unterschiedlichen Gründen die Nachfrage für die geographisches Gebilde definiert. In Wirklichkeit afrikanische Spiritualität stark zu. Sie wird neu handelt es sich aber um einen riesigen Kontinent entdeckt und geschätzt. Umso dringlicher wird die mit zahlreichen unterschiedlichen Menschen, Frage: Wie lebt ein afrikanischer Katholik und was Kulturen und Sprachen, Orientierungen und hat seine Spiritualität mit seiner Katholizität zu tun? Mentalitäten. Außer politisch-orientierter, geo- grafischer Verbundenheit, die von außen in Die Afrikaner hatten schon vor dem Christen- diesen Kontinent importiert wurde, existieren tum und Islam ihre eigenen spirituellen Bezie- kaum Gemeinsamkeiten, die diesen Kontinent hungen mit Gott. Das Christentum hat Gott nicht ausmachen und ihn mit einer einzigen Identität nach Afrika gebracht. Gott hat das Christentum der Hautfarbe, Sprache, Spiritualität und Kultur nach Afrika gebracht. Die spirituellen Wurzeln beschreiben lassen. Dieses Faktum scheint noch Afrikas haben eine Inkulturation des Christentums nicht genug ins Bewusstsein der Weltöffentlich- ermöglicht und in gut vorbereiteten Boden einge- keit gedrungen zu sein. Gerade die Vereinfachung pflanzt, sodass es zu einer heute noch lebendigen macht im wahrsten Sinne des Wortes wirklich Religion wachsen konnte. So wird Afrika heute als vieles einfacher. Man reduziert alle und alles auf missionarische Mutter verstanden, von der viele einem ganzen Kontinent auf eine einzige Identi- missionarische Kräfte in verschiedene Teile der tät: Afrika und Afrikaner. Schnell befindet man Welt gesandt wurden, auch nach Deutschland. sich in der Afro-Simplifizierungstendenz, die nicht nur in Politik und Wissenschaft, sondern auch in Afrikanische Spiritualität der Kirche zu beobachten ist. Die afrikanische Spiritualität ist ein geistliches Bewusstsein, dem religiöse Erfahrung und Aus- Die Geschichte des frühen Christentums war druck zugrunde liegen. Das bedeutet, dass ein auch eine Geschichte mit Afrika. Das wird oft ver- Afrikaner Christ oder Muslim sein kann, diese gessen. In Afrika, nämlich Ägypten, nahmen Chris- Religion aber lebt und zum Ausdruck bringt mit tus und seine Familie Zuflucht vor der feindlichen einer grundlegend afrikanischen Spiritualität. Bedrohung des Heimat- und Geburtslandes. Das Diese eigene Spiritualität durchdringt die anderen hat große Bedeutung, da Ägypten schon im Alten Religionen und ermöglicht den Afrikanern, die Testament zum Feind Gottes erklärt wurde, des- anderen Religionen zu assimilieren. Menschen sen ‚erste Geburten Gott in seiner ewigen Liebe aus Afrika bringen ihre Spiritualität durch Weinen vernichtet hat‘ (Psalm 78; 105; 136). Aus diesem oder Lachen, Tanzen oder Klatschen, Schreien Grund feiern die ägyptischen Kopten Weihnach- oder Stille zum Ausdruck. Leider wird deshalb ein ten mit einem tiefen Bezug, denn in Christus christlich-afrikanischer Gottesdienst oft reduziert schrieb Gott ihre Geschichte um. auf das Tanzen und Klatschen. Es geht aber nicht nur darum, die ‚Hüfte zu schwingen‘, wie ich es in Früh folgt die große theologische Zeit des den Medien schon gelesen habe. Es ist ein Miss- Christentums, die Alexandrinische Schule, mit verständnis, dass ein afrikanischer Gottesdienst Theologen wie Origenes, Cyril, Clement, Augustin, unvollkommen ist, wenn Tanzen und Klatschen die bis heute als Säulen des Christentums gelten. nicht stattgefunden haben. Es ist keine theatrali- Sie gerieten schnell in Vergessenheit durch die sche sensationelle Bühnenperformance. Es ist ein 19
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