Europa erlangen 09 - dramaturgie - Dramaturgische Gesellschaft
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dramaturgie Zeitschrift der Dramaturgischen Gesellschaft 02 / 09 09 europa erlangen Konferenz der Dramaturgischen Gesellschaft, Erlangen, 29. 01. – 01.02. 2009 dokumentation
»europa erlangen« – konferenzfazit editorial e d Der Zeitpunkt der Jahreskonferenz der Dramaturgischen Ge- sellschaft (dg), sich mit dem Thema Europa zu beschäftigen, hätte – sarkastisch gesagt – kaum besser gewählt sein kön- nen: Wo ganze Staaten im Zuge der globalen Finanz- und sondern auch die Ästhetik des Theaters selbst. Nicht erst langfristig wird sich das deutsche Stadttheater auf diesen de- mografischen Wandel der Gesellschaft einstellen müssen, wenn es Zukunft haben will. »europa erlangen« war also Wirtschaftskrise vor dem Zusammenbruch stehen, wurde auch ein Schritt vor die eigene Haustür – über Europa hin deutlich, dass ein rein auf das Ökonomische beschränkter aus. europäischer Einigungsprozess eine Bankrotterklärung ist. Das Vorhaben der Jahreskonferenz, Theater in Europa Die Erschütterung des europäisch geprägten westlichen Ge- in seiner ästhetischen, institutionellen und strukturellen Di- sellschaftsmodells stellte einmal mehr die Frage nach Alter- mension zu erfassen, spannte freilich einen weiten Horizont. nativen, wie sie im Theater seit der Antike thematisiert und Die Überforderung war gewollt, drohte aber auch zur Un- durchgespielt werden. übersichtlichkeit angesichts der großen Themenpalette zu Aus dieser antiken Tradition leitete zunächst Adolf geraten, der mit einem jeweils geeigneten Veranstaltungs Muschg in seinem Eröffnungsvortrag sein Verständnis des format – Vorträge, Tischgespräche, Workshops, szenische Theaters in Europa her (nachzulesen in der Sonderbeilage in die- Präsentationen – begegnet werden sollte. Einem erstmals sem Heft). Dieses Verständnis teilte in ihrem Beitrag auch auf einer Jahreskonferenz veranstalteten open space blieb es Helene Varopoulou (Seite 6), wobei sie unterstrich, dass das deshalb vorbehalten, einige der in den vorangegangenen De- Wesen des europäischen Theaters in seiner Vielfalt und – batten aufgeworfenen Fragen vertiefend aufzugreifen oder im Sinne der positiven Tradition aufgeklärten europäischen noch nicht beachtete Problemfelder zu beleuchten, indem in Denkens – in seinen Differenzen liegt. Damit rückten die einem demokratischen Auswahlverfahren einzelne Teilneh- Theatersprachen gerade auch an den Rändern Europas ins mer ihre Themen zur Diskussion stellen konnten (Seite 12). Zentrum der Aufmerksamkeit. Diese Gesprächsform, der wir mit besonderer Erwartung Einem Theateraustausch, der diesen anderen Sprachen entgegensahen, erwies sich als geradezu symbolisches Kom- mit Respekt begegnet, geht es nicht um Exotismus, sondern munikationsmodell für die generelle Europadiskussion. Ei- um die Erfahrungsvermittlung des Eigenen in der Begeg- nige Protokolle der im open space geführten Gespräche sind nung mit dem jeweils Anderen, um Identitätsfindung also. auf der dg-Website nachzulesen. Wie ein solcher »auf Augenhöhe« stattfindender und nicht Welche Produktivität das weit gefasste Programm insge- von kultureller oder wirtschaftlicher Hegemonie geprägter samt ergab, inwieweit es auch interessante fachfremde Ein- Austausch aussehen könnte, skizzierte Roger Christmann in blicke und Perspektiven bot oder – in Theorie und Praxis – zu seinen Thesen zur Konzeption des »Kunstenfestival des arts« sehr in der Sphäre des Theaters verblieb, lässt sich wohl nur in Brüssel (Seite 5). Ausgehend von diesen auf der Jahres im Einzelfall und von jedem Einzelnen beantworten. Die Do- konferenz gesetzten wichtigen Impulsen wurden existieren kumentation zeichnet auf den folgenden Seiten ausgewählte de Theaternetzwerke, Förderprogramme, bestehende oder Beiträge noch einmal nach, bereitet einzelne Schwerpunkte geplante Kooperationsinitiativen auf ihre Potenzen und Pro- auf, um so zur Vertiefung der Debatte beizutragen, die in Er- bleme beim innereuropäischen Theateraustausch hin be- langen begonnen wurde. fragt und verschiedene Modelle anhand praktischer Beispie- Nicht unerwähnt bleiben soll die erfreuliche Resonanz le untersucht. auf die Jahreskonferenz. Mehr als 150 Teilnehmer weilten Dass man in Erlangen auch recht schnell an die Grenzen an allen drei Konferenztagen in Erlangen, um das gemein- Europas stieß, wurde bei verschiedenen Veranstaltungen, so sam mit dem theater erlangen und dem Institut für Theater- beim Tischgespräch über die Theaterarbeit des Schauspiels und Medienwissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg Köln mit Rita Thiele und der Diskussion über »postmigran- aufgestellte Programm mitzuverfolgen und durch eigene Bei- tisches Theater« mit Shermin Langhoff deutlich. Migration träge in Debatten, Workshops, einer Dramatik-Messe und macht an den Grenzen Europas nicht Halt. Das Theater trifft im open space zu bereichern. auf eine demografisch veränderte Gesellschaft, in der inzwi- schen viele Menschen mit kulturellen Herkünften jenseits von Europa leben. Nimmt man deren Anliegen im Thea- ter ernst, verändert dies nicht nur die Publikumsstruktur, Der Vorstand 1
i inhaltsverzeichnis 1 Editorial »europa erlangen« 25 Drei Fragen an Susanne Chrudina andrej lasarew : europa – eine Tagungsfazit Theatrale Identitätssuche zwischen halbinsel am westrand asiens Berlin / Deutschland und 5 Roger Christmann Statement zur Hosman / Rumänien internationalen Kulturarbeit 27 Matthias Warstat 7 Helene Varopoulou Mein interkultureller Alltag Europa – Kultur – Theater 29 Stefan Krankenhagen Museum Europa 11 Experiment open space 31 Kulturstiftung des Bundes Wanderlust 13 Thomas Renner Europa: Vorstellungen im Theater der Gegenwart 33 Heike Müller-Merten & Dorothee Hannappel Der St adttheaterdramaturg 14 Rita Thiele Wie migrantisch kann ein auf dem Weg nach Europa deutsches Stadttheaterensemble sein? 35 Dubravka Vrgoc Koproduktionen am 17 Ein Gespräch mit Tuncay Kulaoglu Zagreb Youth Theater Ballhaus Naunynstrasse: Bühne für postmigrantische Geschichten 39 Marietta Piekenbrock Europäisch kooperieren: garajistanbul 20 Günter Jeschonnek Europäisch kooperieren und produzieren 40 Impressionen zu »europa erlaufen« 21 Markus Bothe Zwischen Überförderung 44 Michael Freundt & Andrea Zagorski und dramatikerfreier Ka mpfzone: Theaternetzwerke in Europa Stücke-Markt Europa 46 die dramaturgische gesellschaft 24 Martin Berg Vom Export zum Austausch Impressum Martina Marti, Silvie von Kaenel, Alexander Schreuder & anschlaege.de Europäische Blicke auf die Konferenz – eine Fotostrecke mit Kommentaren aus Finnland, der Schweiz, den »Nach dem teleologischen Niederl anden und Deutschland Weltbild ist das Ziel der Geschichte seit 1945 die Europäische Union. Herzlicher Dank an unsere Förderer: Ist die EU die Erleuchtung Europas ?« Landesverband Bayern des Deutschen Bühnenvereins 2
» Liebe Kristallkugel, sage mir: Ist Europa eine Mode ? Oder ist die euro- a statement zur internationalen kulturarbeit päische Identität bereits überholt ? Oder überrollt oft ist desinteresse in mustafa avkiran : von einer globalen von Roger Christmann wirklichkeit verneinung. – Identität ? « in istanbul ist null geld null geld. dDurch die globale Verflechtung und Digitalisierung im Rah- men der Globalisierung steigt der Differenzierungsdruck, der auf Kulturen, Nationen und Gemeinschaften ausgeübt wird. Die Furcht vor dem Anderen vergrößert die Kluft zwi- Menschenrechten handelt. Wir sollten bei der Annäherung an andere Kulturkreise vorsichtig sein: Was wissen wir über die zeitgenössische Kunst in Manila? In Dakar? Wie hat sie sich dort in den letzten Jahren entwickelt, vor dem Hinter- schen ›uns‹ und ›denen‹ – eine Spaltung, die sich nicht al- grund einer anderen Geschichte, Kultur und Tradition, ei » Ist Europa ein Haus ? lein politisch begründet, sondern essentiell auch auf ver- ner anderen Lebenswelt? Wo zeigen sich Kolonialisierung Während der Konferenz schiedenen Kulturen und Traditionen beruht. Die Tenden- und westlicher »Kultur«-Imperialismus innerhalb des inter- in Erlangen war das zen, die Grenzen wieder zu schließen und die ›Anderen‹ ein- kulturellen Dialogs? Es ist wichtig, dass nicht-europäische Haus die am häufigsten seitig zu definieren, schlagen sich auch im Kunstbetrieb Künstler ihre Themen selbst wählen und dass sie entschei- benutzte Metapher für nieder, der an Offenheit verloren hat. Im europäischen Kul- den können, mit wem sie zur Umsetzung dieser Themen ar- Europa. Ist Europa nicht aber vielleicht eher eine turbetrieb dominiert eine abendländisch geprägte Ästhetik. beiten möchten. Landschaft ? Oder eine Entweder wird nicht-westliches Theater gezeigt, das exo- 5. Die Arbeit eines nicht-europäischen Künstlers muss Agora ? Die Frage lautet: tisch-folkloristisch daherkommt, oder aber solches, das von in seinem oder ihrem Ursprungsland zu sehen sein. Kunst- Welcher Ort eignet sich europäischen Traditionen gezeichnet ist. Einige Fragen soll- werke, die von ausländischen Künstlern ausschließlich für am besten, um sich zu ten meines Erachtens bei der internationalen Kulturarbeit das Publikum gemacht werden, das vor Ort ist, tragen nicht begegnen ? « berücksichtigt werden: zur nachhaltigen Entwicklung des Heimatlandes des Künst- 1. Wenn ein deutsches Theater einen deutschen Künst- lers bei, sie sind reine Exportprojekte. ler präsentiert, dann tut es das, weil es von seiner künstleri- Die zahlreichen »diplomatischen« internationalen Kunst- schen Qualität überzeugt ist – und das sollte auch das ein- projekte, die in den letzten Jahren entstanden sind (wie das adolf muschg : was, du gehst noch zum zige Kriterium für die Präsentation eines internationalen französische China-Jahr oder das Brüsseler »Europalia«) arzt? – erst wenn wir aufhören zu Künstlers sein. Ein Künstler vertritt nur sich selbst, nicht sind nicht per se uninteressant, aber die Kunstschaffenden ein Land oder eine Region. Natürlich hat ein Künstler kul- sollten nicht naiv sein: In diesen Projekten finden Künst- konsumieren, werden wir einen turelle Wurzeln, aber er sollte dem europäischen Publikum ler, die sich mit der Welt, in der wir heute leben, kritisch paradigmenwechsel haben. präsentiert werden, nicht weil er aus einem bestimmten auseinander setzen, nur schwerlich ihren Platz. Die Künst- Land kommt, sondern weil er oder sie als Künstlerpersön ler werden im schlimmsten Fall als Alibi missbraucht, als lichkeit interessant ist. Werkzeug, um zu zeigen, wie reich und schön die Kultur 2. Das schließt natürlich nicht aus, dass der europäische des jeweiligen Landes ist – Platz für Kritik gibt es bei diesen Programmator sich die sehr schwierige Frage stellt: Kann Projekten nicht. ein lokales Publikum eine Produktion thematisch und inhalt Ich sehe hier eine ganz besondere Verantwortung des lich verstehen, wenn sie aus ihrem Kontext herausgelöst europäischen Kultursektors: einen Freiraum und eine Platt- und in Europa präsentiert wird? Hat die Produktion dann form zu schaffen, auf der Künstler ohne ästhetischen, öko- noch eine künstlerische Relevanz oder ist sie nur noch exo- nomischen, politischen oder kommerziellen Druck ihre tisch oder folkloristisch? Visionen mit dem Publikum teilen können. 3. Wenn man als europäische Kultureinrichtung mit Wenn wir diese Voraussetzungen nicht schaffen, dann einem nicht-europäischen Künstler über gemeinsame Pro- droht die internationale Kultura rbeit zu einem folkloristi- » Die Tür des Theaters in jekte redet, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass es sich um schen Wanderzirkus zu verkommen. Wenn wir diese Frei- Erlangen ist offen, wir einen Dialog zwischen zwei wirtschaftlich sehr ungleichen räume aber sehr wohl schaffen, dann werden Ansichten, fühlen uns willkommen Partnern handelt. Umso wichtiger ist die Frage, wie dieser Perspektiven und interessante Arten der Weltwahrnehmung und treten ein und es Dialog auf Augenhöhe und mit gegenseitigem Respekt ge- vorgestellt und mit ihnen verschiedene künstler Roger Christmann ist stellen sich Fragen. Wann wurde es zum letzten Mal führt werden kann. ische Sprachen und Handschriften. Und dann kann seit 2009 Kaufmännischer renoviert ? Welche Gebote 4. Es besteht die Gefahr, dass europäische Programma unsere europäische Sichtweise auf die Welt durch Geschäftsführer von »Theater und Regeln sprechen uns toren Künstler einladen, die die Klischees über ihr jewei andere Blickwinkel und Visionen erweitert werden. der Welt«. Er hat am Projekt »Kulturhauptstadt Brüssel« an ? Ist es unser Haus ? liges Land bestätigen. Es sollte also erlaubt sein, daran 2000 mitgearbeitet und war Ja, das war wirklich unser zu erinnern, dass nicht alle libanesischen Künstler in ih- Kodirektor des Brüsseler Haus für die Konferenz. « rer Arbeit den Krieg verarbeiten und nicht jedes Werk eines »Kunstenfestival des arts«. chinesischen Künstlers vom Umgang des Regimes mit den www.theaterderwelt.de 5
» Europa heißt die Mög- lichkeit, in verschiedenen Kulturen und Sprachen Theater machen zu können. Dabei ist es oft nicht mehr eindeutig klar, wo unser Platz ist. Was bedeutet es, wenn man seinen Platz teilweise a – kultur – theater europa in England, ein Stück weit in Frankreich, ein bisschen in der Schweiz, ein wenig in Deutschland und auch noch in Finnland hat ? Definieren wir uns europa wird johanna haberer : über den Platz, den wir uns zugestehen, oder herbeiinszeniert definieren wir die Plätze, an deren Mitgestaltung von Helene Varopoulou wir mitwirken ? « 1 Obwohl ich einige kritische Anmerkungen zum Komplex Europa – Kultur – Theater machen will, geht es mir, das will ich vorausschicken, beim Thema Europa und europäisches Theater nicht um einen Euro-Pessimismus, noch aber um Welches sind die Ebenen, auf denen die Frage gestellt wer- den kann? Auf der ersten und umfassenden Ebene geht es um die politische Frage der Einheit Europas. Diese steht im Hinter- Euphorie. Sondern ein Euro-Realismus ist notwendig, der grund mit ihren sozialen und ökonomischen Fragen, die » Hier geht es nicht um den Apfel, sondern um das das Theater genau in den Blick nimmt unter dem Gesichts- das größte spezifische Gewicht haben, aber doch von den Glas. Wittgenstein hat punkt Europa. kultur- und theaterwissenschaftlichen Aspekten zu unter- das Glas als Symbol für Europa war nie eine Realität, sondern immer eine Zu scheiden sind. die Sprache gebraucht. kunftsprojektion und ein Zukunftsprojekt. Es wurde vor Auf der zweiten Ebene gibt es die im weiteren Sinn kul- Warum nicht auch allem im 18. Jahrhundert und in der Romantik entwickelt turtheoretische und im engeren Sinne theaterästhetische das Theater oder gar Europa unter dieser Sicht (Novalis: »Die Christenheit oder Europa«). Aber als schnö- und theaterwissenschaftliche Frage, ob Gemeinsamkeiten anschauen? Das Glas hat de Realität war es Jahrhunderte lang Ort und Ursprung von der nationalen Theatertraditionen Europas existieren, wel- verschiedene Eigenheiten internen Konflikten, Kriegen, Kolonialismus und Expansi- ches ihre Unterschiede und einzelnen Aspekte sind und ob und Qualitäten; eine on. Und ein gewisses eurozentrisches Weltbild, das heut- diese Gemeinsamkeiten es erlauben, von »dem« europä seiner Stärken ist es, eine zutage dabei ist, sich aufzulösen, hat eben nicht nur die ischen Theater zu sprechen und womöglich gar ein »post- Substanz aufzunehmen. Wir können in das Glas, erfreulichen Aspekte von Aufklärung, Humanismus, Men- nationales« Theater Europas zu postulieren. welches das Theater schenrechten, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Gleich- Und drittens ist Europa als Theaterkultur heute oft Ge darstellt, also alle unsere berechtigung, sondern impliziert zuweilen bis heute noch genstand der Debatte um Kulturpolitik und europaweiten Gedanken über Theater zugleich einen Machtanspruch und Vorrang den Nicht-Eu- Administration für Initiativen, die Vernetzung, Kommu einfüllen: Antigone, den ropäern gegenüber. (Und übrigens auch große Ungleich- nikation, Austausch, Koproduktionen, Workshops und so wahren Satz, dessen Gegenteil noch ein heit im Inneren – wie man an der Debatte über das Europa weiter fördern. bisschen wahrer ist usw . der Konzerne oder das Europa der Bürger erkennt.) Zu diesen Feldern will ich nun ein paar Anmerkungen Doch die Stärke hat seine Vor dem Hintergrund dieses Problemfelds erörtern wir oder Thesen präsentieren. Schwäche: das Glas hat also das Thema Theater / Europa / europäisches Theater. 2 Grenzen. Wenn wir zu viel 1. Zur Malaise der Kunst mit den Institutionen einschütten, fließt es über. Wir Theaterleute müssen Welche Aufgabe, so fragt das Programm unserer Veranstal- Auf der Ebene der Kulturpolitik hat sich den Institutionen im- also immer wieder unsere tung, hat das Theater auf dem Weg zu einem ›Europa mit ei- mer die Frage gestellt, wie man die Kunst europaweit fördern eigene Vorstellung von ner Seele‹? Ich glaube, es wird uns helfen, wenn wir auch könnte. Es gibt bereits eine Geschichte der europäischen Kul- Theater erweitern und so unser eigenes Interesse an dieser Frage sogleich noch ein- turförderung. Ich erinnere mich daran, dass es Mitte der 80er auch unsere Vorstellung mal reflektieren. Wir sind sicherlich alle an der europäischen Jahre, also bevor noch in Taormina der europäische Theater- davon, was Europa ist. Ist deine Vorstellung von Integration interessiert. Aber ich bezweifle sehr, dass Inte- preis gegründet wurde, aus Brüssel die Initiative gab, ein eu- Europa ein Schnapsglas, gration in unserem Gebiet so viel heißen kann wie ein ir- ropäisches Theater zu begründen. Das Konzept basierte da- eine Blumenvase oder ein » Konferenzbesucher gendwie mit sich identisches europäisches Theater. Viel- mals schon auf der Idee der Mobilität zwischen den Ländern, Bierhumpen? « sitzen und debattieren leicht steht sogar die Formel von der »einen Seele« Europas gedacht war an eine Art théâtre itinérant, das durch Koproduk- über Europa. Was erzählt in der Geschichte der Projektion dieses einen Europas. tionen zwischen den Ländern funktionieren sollte. In diesem die Raumkonzeption ? Jede Gruppe bildet eine Für die Diskussion sollte man in jedem Fall klären, auf Rahmen hatte ich damals Nele Hertling und den ita- eigene Insel, blickt auf ihr welcher Ebene ein Argument jeweils angesiedelt ist, wenn lienischen Kritiker Franco Quadri kennen gelernt, Helene Varopoulou eigenes Zentrum in eine man von Europa und Theater spricht. Denn »das« europä- und wir haben eigentlich mehr oder weniger die glei- Theaterwissenschaftlerin, Kritikerin, Essayistin und leuchtende Glaskugel. ische Theater ebenso wie »das« Europa sind Konzepte, die chen Fragen schon erörtert, über die man bis heute Übersetzerin, war von Kennt sie die Antwort ? « die Diskussion leicht in Sackgassen führen, wenn man – wie immer wieder zu diskutieren hat. Wie können wir 1984-92 Vorsitzende der es oft geschieht – die Ebene, auf der man diskutiert, nicht uns vernetzen? Wie kommen Norden und Süden Eu- griechischen Sektion des ITI. deutlich macht. Dann kann Europa leicht zu einer bloßen ropas zu einem produktiven Autausch? und so weiter. Sie gründete und leitete bis rhetorischen Figur werden, man setzt zum Beispiel eine Vielleicht nicht ganz zufällig sind solche »europäi- 1997 das Theaterfestival von Argos; seit 2000 hat sie die Identität oder jedenfalls einen Kern von Europa und Theater schen« Produktionen, wie sie damals geplant waren, Leitung der Sommerakademie graham whybrow : it is sort of shocking, einfach als gegeben voraus und nimmt oft zugleich eine so in der Realität nicht zustande gekommen. Statt des des griechischen National if you come to see the german einfach heute auch nicht mehr gegebene Idee von Theater sen veränderte man die Frage so: Wie präsentieren wir theaters inne. an. theaters from a big city that they are so monocultural. 7
2. Es gibt »das« europäische Theater nicht. neben der neuen Dramatik aus den verschiedenen Ländern Das Konzept des europäischen Theaters bleibt an sich schon einen Mainstream. Dieser herrscht und wird unterstützt von Aufführungen aus ganz anderen Theaterkontexten prinzi- Europas auch die neuen Theaterformen? Die Antwort war schwierig. Es ist so allgemein und wird oft so äußerlich den Institutionen, die häufig dafür auch vorrangig europä- piell nicht wirklich verstanden werden können. Damit ist die Gründung eines Festivals im sizilianischen Taormina, und damit falsch verstanden wie z.B. der Begriff »des« asi- ische Förderungen erhalten. nicht gesagt, dass man keinen Austausch realisieren sollte. bei dem von da an jährlich ein europäischer Theaterpreis atischen Theaters. Sieht man näher auf die Künste und das So erklärt sich dann das plötzliche Interesse an einem Sondern meine These ist, dass ein wirklich europäischer (Premio Europeo del Teatro), zu dem bald noch ein zweiter Theater, die wirklichen Fragen, die sich den Künsten stel- Punkt für zum Beispiel den Balkan, dann ist eben etwa spa Austausch da stattfindet, wo man sich beeindrucken lässt Preis für »neue Realitäten« hinzukam, da der große Preis len, konstatiert man, dass dieses Konzept eine Konstruktion nisches Theater überhaupt nicht à la mode. So fördert man auch von Ausdrucksformen, die einem selbst fremd sind. vor allem an bereits berühmte Regisseure für ihr Lebens ist. Genau wie der eurozentristische Blick von früher ent- nach Prinzipien der Exklusion und jeweils von der politi Was den meisten beim Austausch mit etwa asiatischen, in- werk vergeben wurde und man sich für die neuen Theater hält das Konzept oder besser das Phantasma »des« europä schen Agenda abhängig. Was weiß man zum Beispiel vom donesischen oder lateinamerikanischen Kulturen eher ein- formen auch offen zeigen wollte. (Es wäre eine eigene Er ischen Theaters die Gefahr einer Zentral-Perspektive, ei griechischen Theater oder dem portugiesischen und sogar leuchtet, gilt in diesem Sinne auch im engeren europä zählung wert, wie es bei der ersten Preisverleihung zuging, ner Einheit, wie sie früher der Barockfürst imaginierte. Man vom italienischen in Deutschland, Polen oder England, was ischen Umfeld. bei der ich zusammen mit Henning Rischbieter für Ariane bildet sich ein, europäisches Theater sei das, was man vor von Spanien in Griechenland? Sehr wenig. Das meiste bleibt, Mnouchkine plädierte – sehr zum Missfallen besonders Augen hat und überblicken kann: Festivals, repräsentative von wenigen Vorzeigetheatern abgesehen, außerhalb des 5. Identität als Nicht-Identität der italienischen Kollegen, die die Vergabe des Preises an Aufführungen, hoch organisierter Austausch. Blickfeldes. Europäisches Theater, wie ich es mir denke, wäre eins, in Giorgio Strehler favorisierten.) In den zwanzig Jahren seit Und man denkt im Hintergrund an einen Konsensus: Theater in jedem Land – das heißt also, was dort an Thea dem die Zuschauer durch die Konfrontation mit dem an- dem kann man beobachten, wie jeweils verschiedene Ten- Wir einigen uns darauf, was ein gutes Theater für Europa ter (und auch Aktionen, Performances, theatralen Installatio- deren Theater fortwährend oder jedenfalls immer wieder denzen bei der europäischen Theaterförderung im Zen sei. Aber ich glaube nicht an diese Vereinheitlichung. nen und so weiter) real passiert, an ganz bestimmten Orten eine Selbstbefragung und Selbstkritik des eigenen Denkens trum standen. Die Akzente verschoben und verschieben Eine solche Vereinheitlichung ist auch dann fragwürdig, und in spezifischen Kontexten – das ist eigentlich das Ent- erleben. Pointiert gesagt: Die stärkste Identität der europä sich mit der Aktualität: Einmal ging es mehr um Mobilität, wenn sie mit guten Absichten erfolgt. Wenn Peter Sellars scheidende an der Theaterpraxis. Nicht unbedingt das, was ischen Kultur ist vielleicht ihre Nicht-Identität. Und diese oder es ging um künstlerische Arbeiten mit verschiedenen ein schönes Projekt mit Migranten in Wien auf einer De- darüber hinaus als großer Moment erscheint und zirkuliert These lässt sich sicherlich mit den besten Traditionen der sozialen Gruppen, dann wieder um Migrationsthemen,um sign-Terrasse macht, so ist das vielleicht wunderbar. Man werden kann jenseits dieses Mikrokosmos. Gerade die Kunst Philosophie stützen. Jugendbegegnung, die Kultur der jungen Leute, um die Versu- muss sich aber hüten, daraus im Sinne einer Art von Pater- des Theaters hat doch im Grunde mehr als ein Prozess von Das wäre ein anspruchsvollerer Begriff von europäi che, nationale Identitäten ebenso wie regionale Eigenheiten nalismus den Migranten gegenüber ein Theatermodell zu Menschen Wert, mehr als eine künstlerische und gesellschaft schem Theater als das Zirkulieren von Aufführungen, die zu behaupten, um Netzwerke und so weiter. Das Neue und machen, wo jemand ihnen erklärt, welches für sie das gute liche Praxis, denn als fertiges exportierbares Produkt. immer wieder nur am eigenen Maßstab gemessen werden. die neuen Ideen sollten gefördert werden. Diese Kulturförde Theater ist, oder gar darin ein Modell zur Lösung ihrer Pro- Und im Sinne dieses Konzepts wäre auch nicht der Gedanke rung hat man natürlich nicht abgelehnt und die Gelder von bleme und Konflikte zu sehen, die in Wirklichkeit auf einer 4. Selbstkritik der Kritik und ihrer Kriterien irgendeiner Vereinheitlichung und forcierter Zusammen der Zenrale gern genommen, aber zugleich wurde an einer ganz anderen Ebene zu suchen sind. Ein ähnliches Problem wie bei Kritik und Administration arbeit. Ich möchte hier einen Unterschied machen, der mir solchen zent ralist ischen Kult urförderung und ihrem admi Entscheidend ist immer die Rolle, die das Theater in findet man beim Publikum: Man rezipiert oder besser: kon- wichtig scheint: den Unterschied zwischen Konsum und nistrativen Bürokratismus mit Anträgen, formalen Krite gewissen Kontexten spielt. sumiert Theater nach den geläufigen einheimischen Mus- Rezeption. Die rasante Geschwindigkeit der Zirkulation von rien und so weiter immer wieder Kritik geübt. Theoretiker Denken wir, um das deutlich zu machen, an ein Thema tern, beurteilt es nach den Mainstream-Kategorien. Theater aus anderen Ländern ermöglicht zwar vielfach ei- und Künstlergruppen äußern sich gegen diese Art von wie die Brecht-Rezeption in, sagen wir, Albanien. Es ist of- Schnell findet man also das eine Theater zu pathetisch, nen Konsum des Theaters aus anderen Ländern, aber keine Steuerung, die vor allem durch die Gewährung von Geld- fensichtlich, dass es keinen Sinn macht, das als ein Phä- das andere vielleicht zu oberflächlich oder zu komödian- wirkliche Rezeption. Das Timing der Festival-Macher und mitteln gekennzeichnet ist. Es existieren dazu eine positive nomen des europäischen Theaters zu verstehen. Was da im tisch und so weiter – und das aus keinem anderen Grund, der Konsumenten hat seine eigene Logik und ist ein an- und eine negative Haltung parallel: Ambivalenz. Theater passiert, lebt ganz und gar von den spezifischen als weil es nicht den Standards der eigenen Theaterland- deres als das der wirklich Interessierten und der Theater- Zu dieser Malaise der Theaterleute mit den europäischen Bedingungen dort. schaft entspricht. Damit verbunden ist durchaus eine Art macher. Eine wirkliche Rezeption statt bloßen Konsums Institutionen gibt es natürlich eine Parallele im Verhältnis der Man kann zwar diese verschiedenen Bewegungen auch Imperialismus in der Kultur: Die Kriterien der ganz gro- benötigt einen geduldigeren Zeit-Rhythmus, dem eher die Künste zu den Institutionen ganz allgemein. Ich denke an die in eine Perspektive »Europa« rücken, aber das führt nicht ßen Theaterländer prägen und dominieren oft das Urteil intensivierte Praxis von längerfristigem Künstleraustausch, nicht endende Diskussion über das Staatstheater in Deutsch- sehr weit. über alle anderen. sicher auch internationalen Workshops und gemeinsamen land, über die Position der teatri stabili in Italien, der Centres Was man – mit anderen Worten – zu häufig beobachtet, Theaterarbeiten über längere Zeit hin entspricht als das Culturels im Zuge der décentralisation in Frankreich und so 3. Aufmerksamkeit für den Nicht-Mainstream ist eine Art von Borniertheit auch bei informierten Zuschauern vordergründige Bekanntwerden mit anderen Theaterfor- weiter. Überall gibt es diese Malaise, das ist wirklich eine Ge In Wirklichkeit ist Theater in den verschiedenen Ländern oder Kritikern. Sie lehnen eine Theaterarbeit aus ande- men bei Festivals, das leicht zu neuen Missverständnis- meinsamkeit der Theaterkulturen der europäischen Länder. Europas nach seiner Rolle und seiner Funktion und seinem ren Ländern und Kontexten oft sehr rasch ab, weil sie sen oder zur Bestätigung von Vorurteilen führen kann. Es Und man muss wahrscheinlich lernen, entspannt mit die- künstlerischen Gesicht und seinen Möglichkeiten sehr, sehr nicht den eigenen Vorstellungen über aktuelles Theater ent- geht vielmehr um die Chance, Differenzen als solche besser ser Ambivalenz der Künste ihrer Institutionalisierung gegen differenziert. Nur spiegelt sich diese Vielfalt zu wenig in spricht und nicht den eigenen künstlerischen Kriterien, die zu verstehen und zu würdigen, nicht vordergründig eine über zu leben. unserem Bewusstsein. Dieses reale Theater kommt zu we- aus dem eigenen Kontext stammen. »Gleichheit« oder »Ähnlichkeit« zu suchen. nig vor, das Bild des Theaters wird verkürzt auf eine Reihe Vielleicht ist aber solche Borniertheit auch nicht ganz von glanzvollen, erfolgreichen Momenten, reduziert auf vermeidbar. Vielleicht muss man sich damit abfinden, dass 8 9
experiment ex open space 6. Sprechtheater 11:00 Uhr 12:15 Uhr Das deutsche, englische, französische, lettische, finnische, umgemünzt werden in eine Theateridee der Erziehung von Im »Ex«, dem Experimentiertheater des Instituts für Theater- Die Agenda steht: »Hat Deutschland das beste Theatersystem griechische, portugiesische Theater und so weiter ist nicht citoyens, der Propaganda des Guten und des sozial Nützli und Medienwissenschaft der Universität Erlangen-Nürn- der Welt ?«. »Welche Rolle spielt Europa in meinem Theater?«. nur ein Ort der nationalen Kulturen, sondern zu aller erst chen. Theater kann seine Bestimmung am besten erfüllen, berg, steht ein großer Stuhlkreis – und ein Kaffeebuffet. »Migrantenquote im deutschen Stadttheater«. »Interesse an ein Theater der jeweiligen Sprachen. wenn man ihm eine solche Bestimmung nicht vorschreibt. Nach und nach kommen über hundert Konferenzteilnehmer Funktion versus Beschäftigung mit Ästhetik«. »Dramaturgie Ein multi-ethnisches Theater ist sicherlich eine neue, Es kann seine Bestimmung, seine Aufgabe, die es als Theater von den Impulsvorträgen im frontalen Geographie - Hörsaal als Schlüsselwissenschaft für europäische Kooperationen«. interessante und auch förderungswürdige Realität des Thea- hat, am besten erfüllen, wenn man ihm keine konzeptio in diese völlig andere Kommunikations-Situation. Im Zen- »Netzwerk zum Fonds Wanderlust«. »Nachdiskussion zum ters. Sie darf aber nicht in Konkurrenz zur oder gar anstel nellen Vorgaben für seine Aufgabe und seine Bestimmung trum der 15 x 17 Meter großen, fensterlosen black box stehen Europa-Vortrag von Helene Varopoulou«. »Geschichte erzäh- le der Förderung des Theaters der einzelnen Sprachen ge macht. zwei Podeste mit Sitzkissen, Papier und Stiften. An den Wän len im Theater«. »Übersetzung als künstlerischer Bestandteil sehen werden. Mich beunruhigt es eher, wenn ich immer Und das gilt natürlich umso mehr, als der Begriff von den ringsum hängen Sprüche, Grafiken, Schemata: »Wer eines Gastspiels«. »Weiterbildung für Dramaturgen in Euro- öfter beobachte, auch bei an sich durchaus kritischen und dem, was Theater eigentlich sei, sich selbst in rasantem Wan auch immer kommt, es sind die richtigen Leute«. »Was auch pa«. »Europäische Dramatik – Festivalformate und ihre Nach- produkt iven jungen Theaterleuten, wie ein internationalis- del befindet. So sehr sind neue Dinge entstanden, die nicht immer geschieht, es ist das einzige, was geschehen konnte«. haltigkeit«. »Europäische Festivals und freie Szene«. »Theater tisches Englisch auf ihren Bühnen vorherrscht, das europa mehr wie Theater aussehen, das man gewohnt war, dass »Es beginnt, wenn die Zeit reif ist«. »Vorbei ist vorbei – Nicht als Bildungseinrichtung in Deutschland und Europa«. »Eu- weit und möglichst weltweit zirkulieren kann. Wir benöti Brechts alter Witz, »dann nennen wir es eben › Thaeter ‹ «, vorbei ist nicht vorbei«. ropa und Theater – Wo ist die Utopie?«. »Anträge für Ideen gen in Europa meines Erachtens eine Kulturpolitik, die den heute sehr aktuell ist. Theater im Euro-Raum war, daran versus Ideen für Anträge«. »Internationale Aspekte des Kin- verschiedenen Sprachen eine lebendige kulturelle Existenz muss man immer wieder erinnern, beständig in Bewegung, 11:25 Uhr der- und Jugendtheaters«. »Produktionsdramaturgie im Resi- sichert, nicht nur in Schulbüchern und allenfalls Schreib- hat sich in Abständen immer wieder gleichsam von Grund Mit einer Glocke bittet der Moderator Achim Müller die Teil- denz-Hopping«. »Europa überwinden«. laboren für Schriftsteller, sondern gerade auch auf den Büh auf neu erfunden. Und vieles, was alt war, besteht weiter- nehmer vom Kaffeebuffet und den anderen angeregt dis- nen. Ich spreche also von einem Europa der Sprachen, das entwickelt fort. kutierenden Gruppen auf die Plätze im großen Kreis. Er 12:30 Uhr ein Theater der verschiedenen Sprachen besitzt. Eine vor- Natürlich gibt es zu denken, dass die Leiterin des dies beginnt, die Prinzipien des open space zu erläutern, einer Die ersten sechs parallelen Workshops starten, eine gute rangige Aufgabe der europäischen Kulturpolitik scheint jährigen »Theater der Welt«-Festivals, die allseits hoch ge- Konferenzmethode, die aus der Erfahrung entstand, dass Stunde später treffen sich alle am Buffet zu einer Suppe. mir also mehr zu sein, das Fortbestehen dieser diversen schätzte Kennerin des neuen Theaters Frie Leysen, sagen die Kaffeepausen oft die produktivsten Momente einer Ta- Sprachkulturen in Europa zu sichern, auch ein Theater der kann, man solle nicht mehr von »Theater« sprechen, son- gung sind. In den Workshops des open space wird keine 14:20 Uhr Sprache, das von vielen Seiten in Gefahr ist. dern einfach nur noch von den Künsten. Wer hätte nicht oft Diskussion verschoben, weil ein Experte fehlt: Alle sind Die zweite Runde beginnt. schon einen ähnlichen Gedanken gehabt, wenn manche richt ig. Ungeplantes ist nützlich. Energie ist wichtiger als 7. Gegen Programmatik sehr ernsthaft trennen wollen zwischen Theater und Per- Pünktlichkeit, und wenn die Energie zu Ende ist, ist auch 15:30 Uhr Natürlich gibt es jetzt eine Reihe von Projekten, die sich in formance oder Aktionskunst und Theater. Ein Phänomen, die Zeit um. Die Teilnehmer dürfen sich wie Hummeln von Die dritte Runde beginnt. Es gibt fast keine Hummeln und einer europäischen Perspektive verstehen. Die Leute sol- eine Tendenz, wesentlich im europäischen Kontext war aber Workshop zu Workshop bewegen und verschiedene Diskuss nur wenige Schmetterlinge, aber viele, die sich mit ande- len dort beispielsweise lernen, wie man friedlich zusammen stets das Theater als Kommunikations- und Diskussions ionen befruchten, sie dürfen aber auch wie Schmetterlinge ren Gruppen über ihre Themen austauschen. Auf Anregung lebt. Aber man kann die Kunst nicht danach messen, was forum. Und Theater war andererseits schon immer ein mee einfach nur »schön« sein und sich am Buffet aufhalten, das der Teilnehmer stellen einige Workshops die wichtigsten man politisch für eine Integration braucht. Die Kunst kann ting- und meltingpot der Künste, von der Antike bis zum die ganze Zeit zugänglich ist. Punkte ihrer Diskussion in zwei Minuten vor. Andere erklä- in diesem Sinne auch nicht die Dienerin einer an sich gu- Gesamtkunstwerk. Die Kategorie der Kunst selbst wird von ren sich bereit, die Ergebnisse in einem kurzen Text zusam- ten politischen Zielsetzung, dem Frieden, der Europa-Ein- manchen auch aufgegeben. Vielleicht aber wird sie auch nur 11:50 Uhr menzufassen. Diese Texte stehen online unter: www.drama- heit sein. Die Vorstellung, Theater als Medium einer poli verschoben. Man verabschiedet Kunst mit großem K., wie Für achtzehn Workshops gibt es Raum und Zeit an diesem turgische - gesellschaft.de im Bereich Konferenz bereit. tischen Pädagogik zu nutzen, ist an sich natürlich möglich. Theater mit großem T. als »Kunsttheater«, aber macht es Konferenztag, zu drei Zeiten in sechs Seminarräumen der Aber sie zeigt keine sinnvolle Richtung für eine europäische sich dabei vielleicht zu leicht. Schon in der Antike schloss Universität. Themen existieren noch keine; diese vorzuschla 17.15 Uhr Kulturpolitik an. Eine »postnationale Utopie« von Theater der Begriff techné zusammen mit der Kunst auch Wissen- gen liegt nun in der Verantwortung aller. Achim Müller bit- Achim Müller schließt den open space. Das Experiment ist als Dialog und Interaktion, ein Theater für Integration oder schaft, Technik, Handwerk und soziale Praktik ein. tet die Teilnehmer mit Ideen, in die Mitte des Kreises zu tre- gelungen. demokratische Mitbestimmung klingt gut, ist aber zu weit Letzten Endes geht es wohl eher um eine neue Defini ten, ihr Thema zu notieren, kurz vorzustellen und auf der von der Einsicht in die Wirklichkeit künstlerischer Prozesse tion für eine alte Sache, um ein neues Verständnis von Agenda an der Wand zu platzieren. Gespanntes Schweigen. entfernt, die viel weniger konzeptuell, geordnet und zielge Kunst, nicht um ihre Abschaffung. Man sollte nicht zu Gibt es nach dem vorigen, inhaltsreichen Arbeitstag über- richtet verlaufen. Darum scheinen mir diese gut klingenden schnell in einer Dekonstruktion des Kunstbegriffs Kunst haupt noch Fragen und Beiträge zum Generalthema »Euro- Ideen des Guten zuviel zu sein, was einen Lerneffekt des verabschieden, denn gerade in einer Gesellschaft zuneh- pa im Theater: Sinn, Möglichkeiten und Probleme«? Wer Theaters angeht. Die Rolle des Theaters sieht anders aus: mender Abstraktion auf allen Ebenen gewinnt das Ästhe- traut sich, unvorbereitet eine einstündige Diskussion zu lei- Gerade wenn Theater eine Form von Geschichtsschreibung tische, die Kunst an Bedeutung eher wieder hinzu. ten? Nach einer Minute ist das Eis gebrochen, nach und nach sein soll, darf sie sich nicht einfach an den guten Ideen treten Teilnehmer mit ihren Themen in die Mitte. orientieren. Also: Der europäische Idealismus sollte nicht 10 11
» Männer und Frauen werden getrennt. Für diesen speziellen Raum ist das in Ordnung. Was heißt das im Bild von Europa als Haus ? Wieviel s europa: vorstellungen im theater Regulierung erträgt Europa, wenn wir uns in diesem Haus gleichzeitig frei fühlen möchten ? « der gegenwart Die lebendige Bibliothek im Redoutensaal von Thomas Renner w Wenn sich am letzten Tag der dramaturgischen Jahreskon- ferenz im Redoutensaal hellblau gekleidete Subjekte intensiv mit einem Gegenüber unterhielten, so waren das – so selt- sam das klingen mag – Bücher. Lebendige Bücher, um ge- grund besteht, den Titel holt. Die gesellschaftlichen und politischen Nöte Georgiens, ein Land, das geographisch Asi- en und kulturell Europa zugeordnet wird, zeichnet Nino Hara tischwilli in »Georgia (Agonie)« nach. Beide Stücke thema » Frau Deutschland nau zu sein. Ein Konzept, für das wir, zwölf Studierende der tisieren national beherrschte Missstände, repräsent ieren nimmt die anderen Länder Theaterwissenschaft der Uni Erlangen unter der Leitung von aber durchaus Probleme jenes Konstrukts Europa, das aktu- bei der Hand: Marion Siems, uns zur Darbietung der Seminarergebnisse ell in aller Munde ist. ›Schau mal Kleines, da vorne: Das ist Europa. entschieden hatten. Ein Semester lang hatten wir »Das Eu- Vielleicht ist die Bezeichnung »Konstrukt« in Bezug auf Sei schön artig und still. ropabild im Drama / Theater der Gegenwart« erforscht: Europa gar nicht so falsch. Aus dem antiken Mythos Europa Hier spielen die Großen.‹ « Hat Europa Bühnenpotential? Schreiben Dramatiker ei ist heute ein moderner geworden. Von der Politik als großes ne Hymne auf die berüchtigte Einheit in der Vielfalt oder be- Ereignis des gemeinsamen Schaffens gepriesen, ge- tonen sie eher die Einfalt in der Vielheit? Zwar fallen bei Eu- hen einige Autoren sogar noch einen Schritt weiter: Thomas Renner ist Studierender der Theater- ropadiskussionen ständig die Begriffe Migration, Religion, Europa ist nicht nur Mythos, Europa ist Märchen, und Medienwissenschaft an Interkulturalität, aber die eine gewichtige Frage ist doch die: ist Paradies. Das Spiel mit märchenhaften Motiven, der Universität Erlangen- Ist eine europäische Identität überhaupt möglich? Harmonie und Sprache, gehen Tena Stivicic in »Fra- Nürnberg. Muss sie wohl. Zumindest in der Politik wird die eine gile!« und Kerstin Specht in »Feu / Fire / Feuer« glei- europäische Identität der nationalen gerne gleichgesetzt. chermaßen ein. In beiden Stücken treffen die verschiedens- Gerade in weltpolitischen Fragen scheint es allzu notwen- ten Kulturen aufeinander, in beiden Stücken scheitert man » Beim Schweigen gibt es keine Sprachprobleme. dig, dass ein geeintes Europa als Gegenpol zur Weltmacht im Zusammenleben. Oder? « USA existiert und sich auch behaupten kann. Ist das Märchen Europa eine Utopie? Bleibt Europa in Auffällig ist, dass die in den Medien alles überschatten- Bezug auf den kulturellen Austausch ein Konstrukt? Ist die de Paarung Europa / USA in den diskutierten Dramen kaum nationale Identität nicht einer europäischen vorzuziehen? erwähnt wird. Vielmehr ist hier Europa selbst das neue Land Die Antworten fallen unterschiedlich aus – je nachdem, ob der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Autoren der von uns wir Bühne oder Politik befragen. Und einmal mehr erweist besprochenen Stücke nähern sich diesem komplexen und sich, dass die Bühne der Realität näher ist als die Politik – zu- allzu schwammigen Begriff unterschiedlich. Entweder sie mindest, wenn es um Europa-Vorstellungen geht. versuchen alles, was Europa bewegt, zu dramatisieren oder ein Europa-Thema im Speziellen herauszugreifen und um- zusetzen. Bernhard Studlars »Me and You and the EU« oder Tom Lanoyes »Festung Europa« sind gleichermaßen postmoderne Zusammenwürfe aus Vergangenheit, Gegenwart, Direktheit und Abstraktion, ein endloses Gemisch der verschiedensten Europa-Motive und -Thematiken. Hingegen veranschaulicht die kroatische Autorin Ivana Sajko in »Europa – Monolog für Mutter Europa und ihre Kinder«, dass Europa auf einer endlosen Zahl von Kriegen basiert und »Mutter Europa« unter Fresssucht leidet bei gleichzeitiger Angst vor Frem- den. Hier deutet sich schon an, dass das Vertiefen einzelner Europaaspekte weitaus mehr dramatisches Potential bietet. Xavier Durringer konzentriert sich in »Die Ausgegrenz- ten« auf die Probleme der Migranten und ihrer Nachkommen in den französischen Banlieus. Die vielbeschworene Einheit findet sich allein in dem Moment des WM-Triumphes von 1998, als die französische »National«-Mannschaft, die zum Großteil aus Spielern mit sogenanntem Migrationshinter- 13
m wie migrantisch kann ein deutsches stadttheaterensemble sein? Skizzen zu einer gelebten Vision am Schauspiel Köln von Rita Thiele d Das Schauspiel Köln hat unter der Intendanz von Karin Beier ein künstlerisches Profil entwickelt, das, sowohl in Themen des Spielplanes wie in der Zusammensetzung des neuen En- sembles, sehr konkret die Tatsache spiegelt, dass über 30 % Quote von Migranten im Schauspielensemble entschieden. Denn hat man nur wenige zur Verf ügung, werden solche Entscheidungen immer als exotisch und bedeutungsvoll interpretiert. der Kölner Bürger Migrationshintergründe haben. Damit zu- Um nicht in Fußangeln wie »Multikulti-Kitsch«, paterna- sammenhängend haben wir uns für internationale Koopera- listische Anmaßung, Exotismus zu geraten, haben wir auch europa kolonisiert sich selbst tionen geöffnet, auch, um unseren Blick auf heimische Re- die theoretischen Voraussetzungen unseres Ansatzes disku- alitäten durch Impulse anderer europäischer Theatermacher tiert. Keinesfalls kann es um die Integration von Fremdem/n zu erweitern. Im Folgenden einige Skizzen zu unserem »Köl- in das Theater gehen, auch nicht um ein unbewegliches ner Weg«, die nicht verdecken sollen, dass unsere Entschei Nebeneinander von kultureller Vielfalt. Vorauszusetzen ist dungen als mehr oder minder experimentell zu verstehen vielmehr, dass wir alle das Produkt einer städtischen Hybrid sind. Noch eine Vorbemerkung, auch angesichts der kont- kultur sind, inhomogene Wesen mit verschwimmenden Kon roversen Diskussion: Eigentlich verfolgen wir nur die altmo- turen, die in Deutschland leben – die aber beispielsweise im dische Tugend, als Stadttheater auf die unmittelbare Um- Internet arbeiten, italienisch kochen und asiatische Sport gebung zu reagieren. Migration ist wahrlich nicht unser arten betreiben. einziges Thema, da gibt es noch andere »Kölner Affären«. Was heißt das für unsere Spielpläne? Wir versuchen uns Am Anfang stand vor allem eine Entscheidung: Den sozi- nicht zu eng und zu illustrativ den Themen unserer Hybrid- alen Wirklichkeiten Kölns entsprechend, sollte mindestens kultur zu nähern, sondern sie möglichst weit zu umspielen. ein Drittel unseres neuen Schauspielensembles Migrations Wir meiden Spielplanentscheidungen, die die Lebenswel- hintergründe aufweisen. Wir haben uns also für eine Art ten von Migranten und Nichtmigranten künstlich umzäu Quote entschieden, wobei das wichtigste Kriterium bei künst- nen, ja, womöglich eine Art Artenschutz betreiben. Uns in- lerischen Engagements selbstverständlich immer die schau- teressieren keine Stücke, die sich in fürsorglicher Weise der spielerische Kraft bleiben muss. Vorboten der demografi- Probleme von Migranten annehmen. Uns geht es nicht um schen Entwicklung gibt es mittlerweile in vielen Stadttheate- eine tolerante »Multikulti-Pluralität«. Aus unserer Sicht ge- rensembles. Und Besetzungen, die migrantische Merkmale hören zur Lebendigkeit eines kulturellen Austauschprozes- von Schauspielern für künstlerische Konzepte nutzen, sind ses Opposition, Provokation, spielerische Ironie und pro- »›Essen fassen!‹ – durchaus üblich und grundsätzlich legitim. Ein Kölner Bei- duktiver Streit. Es geht uns folglich darum, mehrere Dinge Europäische Kultur spiel für eine solche Besetzung findet sich in Karin Beiers In- auf einmal zu tun: möglichst kontroverse Herangehenswei- schaffende am Futtertrog szenierung von Hebbels »Nibelungen«: mit Patrick Gusset sen an Themen unserer Hybridkultur zu präsentieren (des- der Subventionsgeber. « (einem farbigen Schweizer, der den Gerenot spielte), mit halb finden so unterschiedliche Autoren wie Zaimoglu, Omar El Saedi (einem jungen Schauspieler aus einer ägyp- Calis und Hermanis in unserem Spielplan Platz), neue Er- tischen Familie als Giselher), mit Patrycia Ziolkowska (aus fahrungsräume, auch ästhetische, zu öffnen (dazu gehören Polen stammend, die die Kriemhild spielte) und Carlo Ljubek bei uns innovative Grenzgänge wie die von SIGNA, semi- »In Finnland beispiels- als Siegfried (er hat kroatische Wurzeln). Diese Besetzung war dokumentarische Formate und so weiter). Und als Kehrseite weise ist die Hälfte der inhaltlich gegen die Tradition einer deutschtümeln- der gleichen Medaille die Einladung europäischer Regisseu- aufgeführten Stücke Rita Thiele ist Chefdrama- den Vereinnahmung dieses Stückes als National- re und internationale Koproduktionen, die auf einer ande- aus finnischer Hand. Die turgin am Schauspiel Köln, Theatermacher wollen epos gesetzt. Besetzungen mit Migranten, ohne dass ren Ebene die Themen der kulturellen Vielfalt und Reibung hat sich in einem Artikel in finnische Stücke (nicht nur »Die Deutsche Bühne« 10/08, damit eine spezifische Interpretation des Stoffes ver- durchspielen (wie Antonio Latella oder Katie Mitchell). klassische, sondern vor al- der ihrem Tischgespräch und folgt wird, sind dagegen selten. Es müsste heute aber lem auch zeitgenössische) diesem Text zugrunde lag, möglich sein, beispielsweise Ferdinand in Schillers auf die Bühne bringen, noch ausführlicher zu diesem »Kabale und Liebe« von einem Schauspieler spie- und das Publikum will Thema geäußert. Die Idee diese auch sehen. Darauf len zu lassen, dem man seine Migrationsgeschichte eines »migrantischen« En- ist man in Finnland stolz. sembles mithilfe einer Quote ansieht – ohne dass seine Herkunft explizit Thema In Erlangen besprechen wurde auf der Jahreskonferenz der Inszenierung, also zentraler Bestandteil der In- wir, dass die deutschen äußerst kontrovers diskutiert terpretation ist. Auch um diese Selbstverständlichkeit Spielpläne sehr europä- www.schauspielkoeln.de zu ermöglichen, haben wir uns für eine deutliche isch sind – sollten wir in Finnland unsere Lage nochmal überdenken? « 14
goethe : wer duldet verachtet ballhaus naunynstrasse: bühne für schicht postmigrantische geschichten Ein Gespräch mit Tuncay Kulaoglu, Kurator/Dramaturg am Ballhaus Naunynstraße Birgit Lengers: Wenn man deine und Shermin Langhoffs (künstl. Leitung Ballhaus Naunynstraße) Biographie ansieht, fällt auf, dass ihr beide erst als politische Aktivisten in Nürn- berg Filmfestivals initiiert und dann in Berlin das Kollektiv » Europa scheint ein kulturSPRÜNGE gegründet habt. Man gewinnt den Ein- Gespenst zu sein « druck, erst erobert ihr den Film und jetzt das Theater. Wie verlief der Weg dahin und was interessiert euch dort? Tuncay Kulaoglu: Das hat viel mit der eigenen Bio- graphie zu tun: Meine Eltern sind seit 1973 in Deutschland und haben mich 1982 nachgeholt, da war ich 16. Ich habe also eine ganz typische Zweite-Migrations-Karriere, bin aber – wie auch Shermin – selbst noch gewandert. Nürn- berg war dann die zweite Heimat. Wir waren dort politisch aktiv und haben gleichzeitig mit der Kulturarbeit angefan- gen, mit all dem, was man damals so machte: Folklore, Le- sungen, Heimatkulturpflege. Anfang der 90er haben wir ein Filmfestival gegründet, inzwischen das größte außerhalb der Türkei. Ich habe Kurzfilme gedreht, Shermin hat als Aufnahme- und Produktionsleiterin gearbeitet, zuletzt mit Fatih Akin bei »Crossing the Bridge« und »Gegen die Wand«. Shermin hatte den Kontakt zum Theater auch über ihren Mann Lukas Langhoff. Bei mir fing das am HAU an. Wir ha- ben Filmreihen, Lesungen, Konzerte, das site-specific-Pro- jekt »X-Wohnungen – Migration« und die Festivals »Beyond Belonging« kuratiert. Die Projekte sind sehr gut angekom- men. Es wurde uns klar: Es gibt ein großes Interesse an diesen Themen. Das Motiv, das hinter diesem Engagement steht, ist also » Der König fehlt – der Wunsch, den migrantischen und postmigrantischen Per wer sitzt heute in seiner spektiven eine Öffentlichkeit zu geben? Loge? Überreste des Absolutismus. Ja. Wir haben im Theater etwas vorgefunden, das wir Nur im Militär vom Film gut kennen: Seit den 90er Jahren gibt es eine Wel- – und im Theater – le deutsch-türkischen Filmschaffens. Mehr als 20 Regis- habe die patriarchale seure haben Langspielfilme gedreht, 50 insgesamt, aber die Hierarchie ungestört wenigsten schaffen es in die Kinos. Diese Geschichten sind überleben können, munkelt man. « bis heute im deutschen Kino nicht erzählt worden. Es gibt eine neue Generation, die hier Film studierte und eine ei- gene Sichtweise und eigene Themen entwickelt. Ich setze mich dafür ein, dass diese Stimmen gehört werden. Nimmst du das Theatersystem als hermetischer wahr als das Filmbusiness für jemanden mit Migrationshinter- grund? Wenn man z.B. bedenkt, dass Nurkan Erpulat der erste Regie-Absolvent der Ernst - Busch - Schule ist … Das ist im Filmbereich genauso. Türken werden Regisseu- re, Schauspieler, Kameraleute. Aber es gibt keine türkischen Produzenten, vor allem gibt es keine Leute mit migrantischem Hintergrund in den Fördergremien, d.h. die kommen nicht 17
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