Expatriates oder hochqualifizierte Migrantinnen und Migranten? Wichtige Begriffe und Tatbestände aus der wissenschaftlichen Forschung

 
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3. Expatriates oder hochqualifizierte Migrantinnen und Migran-
  ten? Wichtige Begriffe und Tatbestände aus der wissenschaftli-
  chen Forschung

3.1 Wer sind Expatriates? Versuche einer Begriffsklärung
In der vorliegenden Arbeit interessiere ich mich für die Lebenswelt hochqualifizierter und pri-
vilegierter Migrantinnen und Migranten im Kanton Zug, vielfach fällt in diesem Zusammen-
hang der Begriff der Expatriates (oder die Kurzform Expats). Mein Forschungsinteresse fällt
dabei auf eine heterogene Gruppe von Zugewanderten, die in der Regel wirtschaftlich gut bis
sehr gut situiert ist und die im Vergleich zu nicht-privilegierten, geringqualifizierten Migrantin-
nen und Migranten salopp ausgedrückt eher als die „first class“-Migration (vgl. Amit 2007)
beschrieben wird. So wird im Alltagsgebrauch häufig zwischen Migrantinnen und Migranten
und Expatriates unterschieden (mit Ersteren sind für gewöhnlich die weniger gutsituierten Zu-
gewanderten gemeint), obwohl es sich bei Letzteren gleichfalls um Migrantinnen und Migran-
ten handelt (d. h. je nachdem, welche Definition verwendet wird), wenn auch mit anderen Her-
ausforderungen und Bedürfnissen. Aber wer sind die Expatriates nun eigentlich?
Eine genaue Begriffsdefinition von „Expatriates“ ist keine leichte Aufgabe. Ein Lexikoneintrag
des Oxford Dictionary gibt zum Begriff Expatriate die folgende Definition: „Expatriate: a per-
son who lives outside their native country“. (The new Oxford English Dictionary 2019) Die
Herkunft des Begriffs, der so in dieser Form seit ca. Mitte des 18. Jahrhunderts verwendet wird,
geht auf den lateinischen Ausdruck expatriat für „gone out from one’s country“ zurück und
setzt sich aus den beiden lateinischen Worten ex für „out“ (auf Deutsch „aus/heraus“) und patria
für „native country“ (auf Deutsch „Herkunfts-/Vaterland“) zusammen. (ebd.) Trotz dieser recht
breit angelegten Definition sind mit Expatriates typischerweise nur ein Bruchteil aller Men-
schen gemeint, die ausserhalb ihres Herkunftslandes leben. Die Bezeichnung Expatriate ist im
allgemeinen Gebrauch freiwillig und zeitlich befristet migrierten Personen aus vorwiegend
wohlhabenden (westlichen) Ländern vorbehalten, die aus mehreren wichtigen Gründen für eine
gewisse Zeit ausserhalb ihres Herkunftslandes leben. (Cohen 1977: 6) Eric Cohen hat dazu in
seinem Klassiker „Expatriate Communities“ von 1977 vier Leitlinien formuliert, die mit dem
Begriff Expatriate in Verbindung stehen. Zu einem Expatriate wird man nach Cohen also aus
den folgenden Gründen:

   1. Business - private entrepreneurs, representatives, managers and employees of foreign and multinational
   firms, foreign employees of local firms, professionals practising abroad.
   2. Mission - diplomatic and other governmental representatives, foreign aid personnel, representatives of for-
   eign non-profitmaking organizations, military stationed abroad, missionaries.
   3. Teaching, research and culture - academics, scientists (e.g. archeologists, anthropologists, etc.) and artists.
   4. Leisure - owners of second homes abroad, the wealthy, the retired living abroad and other ’permanent tour-
   ists’, bohemians and drop-outs. (ebd.: 6)

Nach Cohens Erläuterungen sind es also v. a. berufliche, missionarische/repräsentative, wissen-

© Der/die Autor(en) 2021
M. Störkle, Expatriates und freiwilliges Engagement in der
Schweiz, https://doi.org/10.1007/978-3-658-33043-9_3
3.1 Wer sind Expatriates? Versuche einer Begriffsklärung                                                        19

schaftliche/kulturelle oder freizeitlich-/wohlstandsorientierte Gründe, die eine Person dazu be-
wegen, sich als sogenannte Expatriate für eine gewisse Zeit ins Ausland zu begeben. Die hier
aufgeführten Gründe zum Verlassen des Herkunftslandes resultieren nicht gerade aus einer öko-
nomischen Notlage; das temporäre Auswandern erfolgt vielmehr aus einer sehr privilegierten,
gutsituierten Lage heraus und dient typischerweise dazu, die berufliche, akademische oder
künstlerische Karriere weiter voranzubringen bzw. zu verbessern. Oder im Fall von privilegier-
ten Ruheständlerinnen und Ruheständlern, Privatiers, Bohemiens oder Dauertouristinnen und -
touristen sich an einem anderen Ort für eine gewisse Zeit niederzulassen, weil man es sich
schlichtweg leisten kann.
Der Begriff der Expatriates im allgemeinen Sprachgebraucht hat v. a. Anfang des letzten Jahr-
hunderts in Verbindung mit der sogenannten „Lost Generation“ an Popularität gewonnen; einer
Gruppe amerikanischer Autorinnen und Autoren – unter ihnen bspw. Ernest Hemingway, Ger-
trude Stein, F. Scott Fitzgerald und T.S. Elliot –, die nach dem Ersten Weltkrieg in Paris lebten.
(Fechter 2007: 1f.) So macht das folgende Zitat aus Hemingways Roman „The sun also ri-
ses“ aus dem Jahr 1926 in etwa deutlich, welches Lebensgefühl damals mit dem Begriff Expat-
riate verbunden wurde:

   You’re an Expatriate. You’ve lost touch with the soil. You are precious. Fake European standards have ruined
   you. You drink yourself to death. You become obsessed by sex. You spend all your time talking, not working.
   You’re an expatriate, see. You hang around cafés. (Hemingway 2006: 120)

Wird die Lebenswelt der Expatriates der Lost Generation in Paris als eine abgehobene, Bohe-
mien-Welt des moralischen Verfalls beschrieben, kommt dem Begriff in seiner allgemeinen
Verwendung noch ein weiterer erwähnenswerter Zusammenhang zu, der in diesem Kontext be-
sonders relevant erscheint: die Verbindung von Expatriates und Kolonialismus. So erscheinen
die beiden Begriffe regelmässig vor dem Hintergrund der Erzählungen über die (post)koloniale
Lebenswelt, wie sie bspw. Morrison 1993 in „Fair land Sarawak. Some recollections of an ex-
patriate official“, einem Lagebericht über das Alltagsleben britischer Kolonialbeamter in Sara-
wak, Malaysia, beschreibt. Darauf Bezug nehmend charakterisiert Fechter (2007) den Typus
der im Ausland lebendenden Angestellten in der britischen (Post)Kolonialverwaltung folgen-
dermassen:

   These include the British gentlemen, who after prolonged exposure to the tropical climates of South or South
   East Asia, suffer from world-weariness, alienation and alcoholism, as they are portrayed in the novels and short
   stories of Anthony Burgess, Joseph Conrad and Somerset Maugham. This association (and sometimes conti-
   nuity) between past colonials and contemporary expatriates also surfaces in popular discourse: leisurely sipping
   one’s gin and tonic at sunset has become as much as an iconic image of expatriate life in the tropics today as it
   may have been of British colonial officers in India. (Fechter 2007: 2)

Eine weitaus gebräuchlichere, eher technische Verwendung des Begriffs Expatriate ist im Be-
reich des International Human Resource Management anzusiedeln. (vgl. Morley et al. 2006;
McNulty/Selmer 2017) In diesem Kontext sind mit Expatriates all diejenigen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter eines international agierenden Unternehmens gemeint, die mit einem sogenann-
ten internationalen assignment-Vertrag für eine gewisse Zeit für ihr Unternehmen ins Ausland
entsendet werden. Diese Personen bleiben meist bei ihrem Unternehmen angestellt, oft werden
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solche Entsendungen als innerbetrieblicher Stellenwechsel angesehen, auch wenn hierfür Lan-
desgrenzen zu überschreiten sind. Häufig wird in diesem Zusammenhang mit dem Zusatz „Bu-
siness Expatriate“ noch genauer präzisiert, was der Grund (in diesem Fall eben das Geschäft
und nicht die Freizeit oder der Ruhestand) für die Auslandsentsendung ist. Mit diesem klassi-
schen Entsendungsmodell ist in der Regel ein grosszügiges Paket an Zusatzgratifikationen ver-
bunden, das zur Annahme der Stelle im Ausland motivieren und die durch die Entsendung ent-
standenen Mehrkosten und Unannehmlichkeiten entsprechend kompensieren soll. So können
neben der Kostenübernahme des Umzugs auch bspw. die Übernahme der gesamten Reisekosten
für die entsendete Person und ihre Familie, die Unterstützung bei der Wohnungssuche bis hin
zur kompletten Organisation des Wohnungsbezugs (unterstützt von sogenannten Relocation-
Agenturen), die Übernahme der Wohnkosten am neuen Ort, die Übernahme der Kosten für
Haushaltshilfen sowie die Zurverfügungstellung eines persönlichen Chauffeurs, zu den Vorzü-
gen eines Expatriate Entsendungspakets gehören. Falls es eine Familie gibt und diese auch mit
ins Ausland kommen möchte, wird diese in der Regel in solchen Paketen entsprechend berück-
sichtigt, sei es durch die Übernahme der Kosten für die Kinderbetreuung oder durch die Suche
und Unterbringung der schulpflichtigen Kinder in einer internationalen Schule, die meist eben-
falls vom Unternehmen bezahlt wird. Des Weiteren stehen dem/der mitreisenden (Ehe-)Part-
ner*in Sprach- und Freizeitangebote auf Kosten des Unternehmens zur Verfügung. Zusätzlich
zu diesen Gratifikationen gehören weiter meist grosszügigere Saläre zu einem Expatriate-Ent-
sendungspaket dazu, um die entstehenden Umstände und Mehrkosten eines Lebens ausserhalb
des Heimatlandes besser zu entlöhnen. Auch um damit einen gewissen Lebensstandard zu hal-
ten, den man aus dem Heimatland kennt und der je nach Standort in der Fremde teurer sein
kann, wie etwa westliche Kleidung oder Lebensmittel. (Fechter 2007: 2)
Die geschilderten Vorzüge einer Expatriate-Entsendung lassen an dieser Stelle bereits vermu-
ten, dass es sich hierbei um eher privilegierte Lebensumstände in der Fremde handelt; die be-
teiligten Unternehmen scheinen hierbei weder Kosten noch Mühen zu scheuen, ihren Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter im Ausland mit einer grosszügigen Rundumversorgung einen mög-
lichst angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen. Aufgrund der hohen Kosten solcher klassischen
Expatriate-Entsendungen setzen Unternehmen allerdings auch häufiger, so führt Fechter in ih-
rem Überblick weiter aus, auf andere Modelle von mobiler Arbeit wie bspw. Kurzzeitentsen-
dungen oder eine Erhöhung der Geschäftsreisefrequenzen, die es nicht unbedingt notwendig
machen, dass Mitarbeitende (und ihre Familie) für einen gewissen Zeitraum komplett ins Aus-
land umziehen (müssen). In Anbetracht der Tatsache, dass ein*e Mitarbeitende*r als Expatriate
einem Unternehmen ungefähr das drei- bis vierfache an Kosten verursacht, hat dies in vielen
Unternehmen zunehmend dazu geführt, ihre Auslandsentsendungen zu reduzieren bzw. ver-
mehrt komplett auf sie zu verzichten. Eine Möglichkeit ist hierbei, so erläutert Fechter weiter,
dass Unternehmen vermehrt dazu übergehen, hochqualifizierte lokale Fachkräfte aus dem je-
weiligen Land vor Ort zu gewinnen, anstatt die teuren Fachkräfte aus dem Mutterland zu ent-
senden. Eine andere Entwicklung geht einher mit dem Erscheinen neuer Generationen von jun-
gen, hochausgebildeten Fachkräften, für die es aus Karriereaspekten fast schon eine Selbstver-
ständlichkeit darstellt, einen Teil der Berufsbiografie im Ausland zu verbringen. Aus diesem
Grund sind viele dieser neuen, heranwachsenden Fachkräfte bereit, so bemerkt Fechter (2007)
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in ihrem Überblick abschliessend, unter weniger grosszügigen Bedingungen eine Stelle im Aus-
land anzunehmen und lassen sich für deutlich reduzierte Gratifikationspakete bzw. teilweise
auch ohne Entsendungsprivilegien darauf ein. (ebd.: 2)
Neben dieser engeren Bedeutung von Expatriates wird der Begriff ebenso in einem weiteren
Sinne für Menschen, die nicht (mehr) arbeiten, benutzt. Als Expatriates werden, ähnlich wie
Cohen es bereits 1977 in seinem Klassiker hervorhebt (ebd.: 6), auch Pensionärinnen und Pen-
sionäre, Privatiers, Dauertouristinnen und -touristen und sonstige Personen bezeichnet, die aus
Freizeit- und Vergnügungsgründen oder einfach aufgrund des besseren Wetters die Heimat ver-
lassen, um für eine gewisse Zeit im Ausland zu leben. Fechter selbst nennt einige Beispiele, die
unter den erweiterten Expatriate-Begriff fallen:

   With regard to British nationals who move to southern Spain, France or Italy on a temporary or permanent
   basis. These include elderly people who could be considered ‘retirement’ or ‘leisure’ migrants, but also those
   who leave their jobs and sell their property in the UK in pursuit of a better quality of life abroad, a warmer
   climate and lower living costs. These kind of expatriates have gained a relatively high profile in the popular
   imagination in the UK, partly through several television series following their relocation and settlement abroad.
   (Fechter 2007: 3)

Bei dieser Gruppe von Expatriates wird deutlich, dass es im Vergleich zur den karriereorien-
tierten, berufsbedingten Gründen, die einen zum Expatriate werden lassen, hauptsächlich um
die Verbesserung der Lebensqualität geht, und dies ausgehend von der privilegierten Situation,
gar nicht (mehr) arbeiten zu müssen. Das hier beschriebene Phänomen dieser insgesamt sehr
heterogenen Gruppe wird im wissenschaftlichen Diskurs häufig auch als sogenante „Lifestyle-
Migration“ bezeichnet, über deren Erwartungen, Bestrebungen und Erfahrungen bspw. Benson
und O’Reilly (2009) in ihrem gleichnamigen Sammelband einen Überblick geben. Die beiden
Autorinnen verweisen bereits im Vorwort auf die vielfältigen Ausprägungen von Migration, die
unter diesem Begriff gefasst werden können:

   Lifestye migration can be defined in a variety of ways. Similarly the actors fall into several categories. There
   are those who make a permanent break, as did the ’foreign’ wives in Florence or the international migrants to
   rural mid-west America, the latter seeking to ‘find themselves’ and identify with place than just set up a home.
   Others have become permanent transnationals – living their lives in two places – as returning longstay back-
   packers in Varansi and global wanderers; as sun-seeking cold weather retirees from Sweden and Britain in
   southern Spain or, as the disillusioned and despondent returnee (…), families seeking a safer and better quality
   of life away from the pressures and dangers in Britain. (Benson/O’Reilly 2009: ix)

Die Verwendung des Terminus „Expatriate“ ist aufgrund dieser unterschiedlichen Bedeutungen
in der Forschung allerdings nicht unumstritten. Wie bereits angesprochen, scheint dieser Begriff
v. a. vor dem Hintergrund einer (post)kolonialen Perspektive stark in eine Richtung aufgeladen
zu sein, in der man mit dem Begriff vorwiegend privilegierte, hochqualifizierte, weisse (über-
wiegend männliche) Fachkräfte aus entwickelten westlichen Industriestaaten verbindet, die in
zu entwickelnde Staaten geschickt werden. (Meier 2015a: 5) So bemerkt Lars Meier (2015a) in
der Einleitung zu seinem Sammelband „Migrant professionals in the city“ hierzu Folgendes:

   The term expatriates also has a special meaning and is mainly used for those skilled white “Westerners” mi-
   grating from „developed to developing world“ (Howard 2009). It has an implication of referring mainly to
   those white male moving – as stated from a postcolonial perspective – from „the West to the Rest“ (Hall 1992).
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     Expatriates include not only those working as professionals but also those white and masculine „adven-
     tures“ (Phillips 1996). Ulf Hannerz (1996: 106) used the following definition: „Expatriates (ex-expatriates) are
     people who have chosen to live abroad for some period, and who know when they are there that they can go
     home when it suits them…We often think of them as people of independent (even if modest) means…“ Recent
     studies referring to the term expatriate employed a critical perspective on whiteness that understands expatri-
     ates chiefly as self-confident and independent people from the West. (Meier 2015a: 5, Herv. i. O.)

Ausgehend von dieser Charakterisierung plädiert der Autor für eine weitere Betrachtungsweise,
die sich von der westlich zentrierten Sicht löst. Er schlägt den Begriff der „migrant professio-
nals“ als eine offene und breiter angelegte Perspektive vor, die die Perspektive für hochqualifi-
zierte Migrantinnen und Migranten aus nichtwestlichen Ländern in westliche Länder bewusst
zulässt. (ebd.: 5) Der Begriff der „professionals“ legt hierbei den Fokus auf die Erwerbsarbeit
als Hauptantrieb für die Migration. Die oben unter dem Begriff Expatriates subsumierte Frei-
zeitklasse („leisure class“), also die aus Lifestyle- oder Freizeitgründen in die Fremde ziehen-
den Personen, werden nach diesem Verständnis nicht berücksichtigt. Sie gehören folglich nicht
zur Kategorie der „migrant professionals“. (ebd.: 5) Meier macht des Weiteren deutlich, dass
häufig assoziierte Begriffe zu diesem Phänomen wie etwa transnationale Elite („transnational
elite“), transnationale Fachkräfte („transnational professionals“) oder transnationale Klasse
(„transnational class“) sich nicht eignen würden, da sie den Schwerpunkt zu stark auf die de-
lokalisierten Aktivitäten legen würden. Meiers Interesse gilt eher dem alltäglichen Handeln von
Akteuren in lokalen, örtlichen Kontexten. (ebd.: 6, Herv. i. O.) Abschliessend verwendet Meier
eine sehr weite Definition von „migrant professionals“:

     The migrant professionals are defined as those employed and working as skilled professionals after their mi-
     gration. It is a well-educated group with privileges accepted in their country of destination. Besides these sim-
     ilarities are differences within this group, such as in relation to economic resources and social identities such
     as gender, ethnicity, sexuality or class. (ebd.: 6)

Trotz den alternativen Verwendungsweisen und den vieldeutigen und umstrittenen Bedeutun-
gen des Terminus „Expatriate“ scheint der Begriff sowohl im Allgemeinen wie auch im wis-
senschaftlichen Sprachgebrauch weiterhin verbreitet zu sein. Als Begründung, den Begriff wei-
terhin im Diskurs zu verwenden, wird häufig angeführt, dass der Terminus Expatriates unter
den betroffenen Personengruppen selbst sehr geläufig ist, prominent verwendet wird und ihnen
in vielerlei Hinsicht als Selbstbeschreibung dient. (Kreutzer 2006: 35; Fechter 2007: 6) Wie
selbstverständlich findet der Begriff in der sozialen Wirklichkeit dieser Personengruppen Ver-
wendung, wenn es z. B. um die Beschreibung einer wachsenden „expatriate community“ in
Singapur oder um die „expatriate organisations“ in London geht. Gleiches gilt bspw. für das
eingangs erwähnte Netzwerk InterNations, das sich selbst als „the no. 1 platform for expats and
global minds worldwide“ (InterNations, ohne Datum) bezeichnet und den Begriff Expatriate
(bzw. die Kurzform Expat) für die Selbstbeschreibung ihrer Mitglieder konsequent verwendet.
Auch die in dieser Arbeit untersuchten hochqualifizierten Zugewanderten im Kanton Zug ver-
wenden den Begriff der Expatriates für sich. So richtet sich bspw. die in Zug ansässige Website
zug4you.ch expliziert an die „expat community“ vor Ort, welche sie zudem als „quite a large
one“ (Zug4you.ch, ohne Datum) beschreiben. Nachfolgend gibt Fechter (2007) einen Überblick
über die Verwendung des Begriffs Expatriate in der aktuellen Diskussion:
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    the word ‘expatriate’ is recognized across the spectrum of different foreign nationalities [despite the fact that]
    the term ‘expatriate’ is socially contested, politically and morally charged, ambiguous, and is linked to partic-
    ular notions of ethnicity and class (…) [a] pertinent reason to employ the term is its prominence in discourse
    among foreigners, whether through positive identification or emphatic dissociation. Also, the word ‘expatriate’
    is recognised across the spectrum of different foreign nationalities. Although it may be used with greater ease
    by native English speakers, others are similarly familiar with it, even if they encounter the term only during
    their stay abroad. Furthermore, it is commonly used to describe groups such as the ‘American expatriate com-
    munity’, or ‘expatriate community organisations’. (Fechter 2007: 6)

Wie oben bereits angesprochen, beschäftigt sich auch der Forschungsbereich des Human Re-
source Managements mit dem Phänomen der Expatriates2. Der im Jahre 2017 von Yvonne
McNulty und Jan Selmer herausgebrachte Sammelband „Research handbook of expatriates“,
den ich für sehr bemerkenswert halte, gibt einen breiten Überblick über den aktuellen Stand der
Forschung zu Expatriates. Im einführenden Beitrag werben die Herausgebenden für ein mög-
lichst breites Begriffsverständnis von Expatriates. Der Blick auf die unterschiedlichen Beiträge
dieses Bandes zeigt ein breit angelegtes Spektrum an Vorstellungen von Expatriates. So finden
sich darin neben Beiträgen zu „business expatriates“ (McNulty/Brewster 2017), „expatriate per-
formance“ (Care/Donohue 2017) und „expatriates to and from developed and developing count-
ries“ (Clarke et al. 2017) auch Aufsätze zu „self-initiated expatriates“ (Selmer et al. 2017a) oder
„lesbian, gay, bisexual, transgender and intersex (LGBTI) expatriates“ (McPhail 2017)3.
Unter Berücksichtigung aktueller Forschungsarbeiten geben Yvonne McNulty und Chris
Brewster (2017) in ihrem Beitrag „The concept of business expatriates“ eine genaue und um-
fassende Definition des Begriffs Expatriate. Unter einem Expatriate verstehen sie

    a person who lives outside their native country, and is physically mobile across international borders, whether
    for professional or personal reasons, whether for short or long periods of time, whether organizationally spon-
    sored or not, and regardless as to whether one is crossing an ocean (‘going overseas’, as one might do from
    Brazil to Australia) or moving across land (‘going abroad’, as one might do from the USA to Canada). (ebd.:
    23)

Ergänzend fügen McNulty und Brewster hinzu, dass diese sehr breit angelegte Definition von
Expatriates alle Kategorien bzw. Personengruppen miteinschliesst, die sich für eine begrenzte
Zeit ins Ausland wagen. Die Gründe hierfür sind vielfältig und bewegen sich zwischen bezahl-
ter oder unbezahlter Arbeit, fachlichen, beruflichen oder persönlichen Ambitionen, Familien-
oder Privatleben, Angebot oder Nachfrage einer beruflichen Beschäftigung sowie politischen,
finanziellen oder persönlichen Gründen. (McNulty/Brewster 2017: 23) Eine Definition also,
die viele Variationen zulässt. Entscheidend dabei ist allerdings eine gewisse physische Mobilität
der Personen. Nicht dazu zählen Beschäftigte, deren Aufgaben keine kurz- oder längerfristige
geografische Mobilität bzw. Standortwechsel vorsehen. (ebd.: 23) Personengruppen wie „vir-
tual expatriates“, „global virtual team members“ oder „domestic international managers“ fallen

2
  Die hier erwähnte Forscherin Yvonne McNulty betreibt an der School of Human Development & Social Services
an der Singapore University of Social Sciences bspw. einen gesonderten Forschungsbereich unter dem Titel Expat-
Research (vgl. http://expatresearch.com).
3
  Weiter finden sich auch noch Beiträge zu „female expatriates“ (Hutchings/Michailova 2017), „military expatri-
ates“ (Fisher 2017), „missionary (religious) expatriates“ (Oberholster/Doss 2017), „expatriate academics“ (Selmer
et al. 2017b), „sports expatriates” (Dolles/Egilsson 2017) oder „international business travellers, short-term assig-
nees and international commuters” (Mäkelä et al. 2017) im besagten Sammelband wieder.
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somit nicht in die oben beschriebene Kategorie der Expatriates. (ebd.: 23)
Letztlich geht es bei solchen Kategorisierungen, wie McNulty und Brewster anmerken, um eine
Klassifikation internationaler Beschäftigter und derer internationalen Arbeitserfahrung. So wer-
den bspw. internationale Beschäftigte nach der Art ihrer Entsendung typisiert, andere Klassifi-
zierungen fokussieren auf den Karriereverlauf oder die Frequenz der Mobilität, also wie häufig
jemand im Ausland tätig ist, für wie viele Unternehmen in wie vielen Ländern sie oder er gear-
beitet habe oder einfach auf die Dauer des Auslandaufenthalts. (ebd.: 24) Weitere Kategorisier-
ungen setzen auf eine Kombination bestimmter Faktoren, wie bspw.: „length of the assignment
and intensity of the individual’s cultural exposure“, „assignment length, number of assignments
and commitment toward global assignments“ oder „high or low degrees of non-work disruption,
cognitive flexibility and physical mobility“. (ebd.: 24) McNulty und Brewster plädieren in ih-
rem Beitrag schliesslich für eine handliche und breit angelegte Definition des Begriffs Expatri-
ate, bei welcher v. a. die Kriterien „time and purpose“, erfüllt sein müssen. (ebd.: 24)
Neben definitorischen Fragen bietet das „Research Handbook of Expatriates“ ein umfangrei-
ches Glossar, den „Glossary – clear and accurate terms about expatriates“ (McNulty/Brewster
2017: 54-60), über die gebräuchlichsten Begriffe, die mit den unterschiedlichsten Ausprägun-
gen der Expatriates in Verbindung gebracht werden. So werden dort auf kurze und prägnante
Weise folgende Bezeichnungen (in einer kleinen Auswahl) erläutert:

     assigned expatriate (AE) – Employee temporarily transferred abroad by their organization, which arranges
     and supports the move, to work in a foreign subsidiary for an organizational goal. Conceptualized as a broader
     type of business expatriate who engages in assigned expatriation constituting of five specific subtypes that vary
     according to their purposes and country of origin: parent country nationals (PCNs), third country nationals
     (TCNs), inpatriates, some expatriates of host country origin (EHCOs) and short-term assignees (STAs).
     (McNulty/Brewster 2017: 54)

     business expatriate – Legally working individual who resides temporarily in a country of which they are not
     a citizen in order to accomplish a career-related goal, being relocated abroad by an organization, or by self-
     initiation, or directly employed within the host country. (ebd.: 54)

     localized expatriate (LOPAT) – An AE who, after completing a home country-based long-term assignment
     contract, transitions to full local terms and conditions in the host country either as directed by the employer or
     at their own request. (ebd.: 55)

     self-initiated expatriate (SIE) – An individual who initiates and usually finances their own expatriation and
     is not transferred by an organization. They relocate to a country of their choice, or to an organization of their
     choice based in another country, to pursue cultural, personal and career development experiences, often with
     no definite time frame in mind. (ebd.: 56)

     permanent transferee (PT) – Employee who resigns from the home country office and is hired by the host
     country office of the same MNE [multinational enterprise, m.st. ], but for whom there is no return (repatriation)
     to the home country, no guarantee of company-sponsored reassignment elsewhere, and only local terms and
     conditions offered in the host country. (ebd.: 56)

     overseas experience (OE) traveller and tourist – Typically a young person who travels to different countries
     primarily for adventure (tourism, backpacking) and to explore the world and other cultures, rather than to gain
     international career experience. If engaging in work while abroad, they are most commonly remunerated ‘off
     the books’ in ‘cash jobs’ and unskilled temporary work that usually does not suit their qualifications or provides
     little career value, but which supports and funds their travel. (ebd.: 56)

     migrant (skilled and unskilled, including refugees) – Person who leaves their home country on a long-term
     to permanent basis in order to live and work abroad, most with the specific intent of attaining citizenship of,
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      and settling in, a new country. They are often (but by no means always) motivated by the push of economic
      and socio-political necessity. May be skilled (highly educated) or unskilled (poor, uneducated, as refugees).
      (ebd.: 55f.)

Wie bereits diese kleine Auswahl an Definitionen zeigt, sind diese Beschreibungen nicht unbe-
dingt trennscharf zueinander, sondern eher mit vielen Überlappungen untereinander oder als
zeitliche Abfolge hintereinander zu verstehen. So sind die assigned expatriates auch in einem
weiteren Verständnis als business expatriates zu betrachten, gleiches gilt für die self-initiated
expatriates, sobald diese eine Arbeit im neuen Land annehmen. Und vermutlich kamen viele
localized expatriates vor ihrer Lokalisierung im neuen Land einmal als assigned expatriates ins
Land.
Hervorzuheben sind in diesem Glossar allerdings die Erläuterungen zum Migranten bzw. zur
Migrantin, die dort gesondert aufgeführt sind. Dabei wird als einer der Hauptgründe für die
Migration die Absicht vorausgesetzt, sich im neuen Land dauerhaft niederzulassen und dort die
Staatsbürgerschaft anzustreben. Weiterhin wird als ein bedeutender Push-Faktor4 für die Mig-
ration die ökonomische und sozialpolitische Notwendigkeit genannt. Weiter werden sozial-
strukturelle Faktoren wie hochqualifiziert/hochgebildet bzw. unqualifiziert miteingebracht.
Letzteres Merkmal wird auch mit ungebildet und/oder arm gleichgesetzt und am Beispiel der
Flüchtlinge ausgeführt. Die Unterscheidung zwischen Expatriates und Migrantin bzw. Migrant,
die im Glossar – oder ebenso im allgemeinen Sprachgebrauch – recht eindeutig erscheint, ist es
in der Forschung alles andere als das. McNulty und Brewster weisen auf Studien hin, die ein
sehr breites Verständnis von Migrantin bzw. Migrant haben und auch Expatriates dazu zählen.
(vgl. Andresen et al. 2014; 2013) Für weitere Unklarheiten bei der Trennschärfte dieser beiden
Begriffe sorgen die Charakterisierungen hochqualifizierter und privilegierter Migrantinnen und
Migranten, die im Prinzip dasselbe Phänomen mit jeweils anderen Worten beschreiben (ebd.:
39). Dazu nur ein paar wenige Beispiele, die aufzeigen, welchen Reichtum an Bezeichnungen
es für diesen Sachverhalt gibt: „transnational elites“ (bei Beaverstock 2002; 2005), „qualified
immigrants“ (bei Cerdin et al. 2014) oder „immigrant professionals“ (bei Batalova/Lowell
2006). Abschliessend begründen McNulty und Brewster die Notwendigkeit für diese termino-
logische Differenzierung wie folgt:

      In principle the distinction between business expatriates and migrants is clear: unlike expatriates, migrants, in
      the broadest and continuing definitions of the concept, intend to move to another country on a permanent basis
      (…). In practice, the boundaries are more fungible and, like the distinctions between AE [assigned expatriates,
      m.st.] and SIE [self-initiated expatriates, m.st.] categories, individuals may move between them. Some AEs
      exactly fitting the definition decide to stay on indefinitely in the host country after their assignment as localized
      expatriates (by negotiating a non-expatriate or significantly reduced expatriate contract with their existing em-
      ployer or a new one) (…) while others stay on permanently as skilled migrants. [Some scholars, m.st.] found,
      for example, that many SIEs stay in a new country on a permanent basis and become migrants. Conversely
      some migrants, although intending to stay permanently, return home within a short period. (McNulty/Brewster
      2017: 38)

Hier zeigt sich deutlich, dass die einzelnen Kategorien nicht starr voneinander getrennt werden

4
    Zu den Push- und Pull-Faktoren der internationalen Migration vgl. Pries 2001a: 31ff.
26                                                 3. Expatriates oder hochqualifizierte Migrantinnen …

können. Sie sind vielmehr miteinander vernetzt und bedingen sich gegenseitig. In der sozialen
Praxis bewegen sich die einzelnen Individuen zwischen ihnen hin- und her. Als Hauptunter-
scheidungsmerkmal zwischen Migrantinnen und Migranten und den assigned oder business
Expatriates heben die Verfassenden die befristete Aufenthaltsdauer hervor. So wird das Desti-
nationsland von assigned oder business expatriates meistens als Gastland angesehen, selten als
dauerhaftes Zuhause oder „Heimat“:

     The key distinction between migrants and AEs [assigned expatriates, m.st.] is much clearer than between mi-
     grants and SIEs [self-initiated expatriates, m.st.]: in both instances, however, a migrant does not conceive of a
     host country as providing only a temporary stay, as do business expatriates; rather, the new country is intended
     to become their home country. Business expatriates, on the other hand, perceive their stay as temporary and do
     not view the host country as their permanent home. (ebd.: 38)

Der kurze Überblick über den Begriff Expatriate macht klar, dass es vielfältige Verwendungs-
zusammenhänge und Definitionen des Begriffs gibt. Im alltäglichen Leben, in der Arbeitswelt,
der Belletristik oder Forschung stossen wir immer wieder auf diesen Begriff, der Phänomene
erfasst, die ähnlich erscheinen, aber nicht identisch sind. Manchmal fällt die Definition sehr
weit aus (vgl. Cohen 1977), d. h. sie erfasst alle Personen, die aufgrund von „Business“, „Mis-
sion“, „Teaching“ oder „Leisure“ für einige Zeit ins Ausland gehen. (ebd.: 7) Manchmal ist die
Definition eng und beschränkt sich ausschliesslich auf die sogenannten „business expatriates“,
die mit einem assignment-Vertrag für maximal drei Jahre im Ausland arbeiten. (Fechter 2007:
2) Im Bereich des Human Resource Managements wird der Begriff Expatriate, wie ausgeführt,
sehr differenziert diskutiert. (vgl. Glossar zu den Expatriates von McNulty/Brewster 2017:
54ff.) Hinzu kommt, dass dem Begriff eine gewisse negative Konnotation zueigen ist, wie dies
Meiers Kritik (2015a) unterstellt: Der Begriff würde eine einseitige, (post)koloniale Perspektive
zeigen, die sich vorwiegend auf privilegierte, hochqualifizierte, weisse (überwiegend männli-
che) Fachkräfte aus entwickelten westlichen Industriestaaten konzentriert. (ebd.: 5) Auch die
landläufige Unterscheidung in Expatriates und Migrantinnen und Migranten zielt in eine ähnli-
che Richtung, wonach Migrantinnen und Migranten als weniger privilegiert, niedrigqualifiziert
bezeichnet werden, als Menschen, die aus weniger entwickelten Ländern zugewandert sind. Mit
Expatriates dagegen werden üblicherweise jene privilegierten, hochqualifizierten, überwiegend
weissen Fachkräfte und ihre Familien aus entwickelten westlichen Industriestaaten umschrie-
ben.
Vor dem Hintergrund dieser Auslegeordnung hinsichtlich des Begriffs Expatriates, erweist sich
eine exakte Begriffsdefinition immer noch als schwierig. Der Begriff ist und bleibt ein eher
vager Sammelbegriff für eine (eher privilegierte) Form von Zuwanderung, die sich je nach De-
finition breiter oder enger fassen lässt. Dennoch erachte ich es für notwendig, bestimmte Grund-
pfeiler zu definieren, die mich durch meine Arbeit leiten. Ein wichtiger Grundpfeiler, auf dem
meine Arbeit ruht, ist der Versuch einer zweckmässigen Definition des Begriffs Expatriate. Da-
her werde ich in Anlehnung an die Ausführungen von McNulty und Brewster (2017: 23) und
an die (im folgenden Teilkapitel noch näher ausgeführte) Definition von Wiener und Grossmann
(2011), eine sehr weit gefasste Definition verwenden. Dabei ist mir klar, dass die (post)koloni-
ale Aufladung des Begriffs Expatriate dessen Verwendung eigentlich verbietet. Dennoch habe
ich mich aus forschungspragmatischen Gründen entschieden, den Begriff Expatriate in meiner
3.2 Gebrauch und Verständnis des Begriffs Expatriates…                                                  27

Arbeit zu benutzen, insbesondere deshalb, weil der Begriff innerhalb der untersuchten Popula-
tion sehr geläufig ist. (vgl. Kreutzer 2006: 35; Fechter 2007: 6)

3.2 Gebrauch und Verständnis des Begriffs Expatriates in der vorliegenden
Arbeit
Wie bereits ausführlich dargestellt wurde, versteht man unter dem Begriff Expatriates im enge-
ren Sinn hochqualifizierte Fachkräfte international agierender Unternehmen, die aus berufli-
chen Gründen für eine gewisse Zeit im Ausland leben, in der Regel mit Beibehaltung der ur-
sprünglichen Nationalität. Darüber hinaus wird der Begriff häufig einschränkend auf Hochqua-
lifizierte aus (reichen) Industrienationen angewendet (z. B. Expatriates aus den USA). Dies er-
laubt zwischen Expatriates und „klassischen“ Migrantinnen und Migranten zu differenzieren,
die aus sozioökonomischen Gründen in ein fremdes Land ziehen, normalerweise langfristig im
Ausland leben möchten und dort die ausländische Staatsbürgerschaft annehmen. Allerdings
verschwimmen diese Definitionsgrenzen zunehmend, da die Anzahl hochqualifizierter Expat-
riates aus Schwellen- und Entwicklungsländern ansteigt (Wiener/Grossmann 2011: 23) und es
immer mehr Expatriates langfristig ins Ausland zieht. Expatriates bilden, wie gesagt, eine sehr
heterogene Gruppe. Dieser Tatsache trägt auch das „Glossar der neuen Migration“ (Müller-
Jentsch/Avenir Suisse 2008: 21) Rechnung, das die Expatriates in verschiedene Gruppen kate-
gorisiert. So gibt es die „Transient Settlers“ (oder vorübergehend Sesshafte, die aus freier Ent-
scheidung oder beruflichen Erfordernissen alle paar Jahre den Standdort wechseln), die „Intra-
company Transferees“ (Mitarbeitende von internationalen Unternehmen, die für ein paar Jahre
über die Landesgrenze hinweg versetzt werden) oder die „scientific diaspora“ (hochmobile,
global-vernetzte Wissenschaftler*innen, die Etappen ihrer Karriere im Ausland verbringen).
Für Expatriates mit Familie gibt es eine besondere Kategorie: die „trailing spouses“ (üblicher-
weise die Bezeichnung für die Expatriate-Partnerin, die ihren Partner bei einer Auslandsentsen-
dung begleitet). (ebd.: 22-23)
In meiner Arbeit folge ich dagegen der erweiterten Definition von Expatriate nach Wiener und
Grossmann (2011: 23):

   Es handelt sich um Personen und ihre Familienangehörigen, die hauptsächlich aus beruflichen Gründen in
   ein anderes Land ziehen, eine höhere Qualifikation resp. ein hohes Bildungsniveau aufweisen (das auch im
   Gastland anerkannt wird) und zum Grossteil von Unternehmen ins Land geholt werden.

Die zeitliche Komponente ist dabei ein entscheidender Faktor: Für Wiener und Grossmann ist
der Begriff Expatriate reichlich vorbelastet, da er unter Umständen nur Personen einschliesst,
die mittels eines „assignment-Vertrags“ für eine sehr begrenzte Zeit (von sechs Monaten bis zu
drei Jahren) ins Land kommen. Für diese Gruppierung sei eine verstärkte Bemühung um zivil-
gesellschaftliche Beteiligung schon aus zeitlichen Gründen fraglich. In vielen Fällen sei diese
Sicht aber zunehmend überholt, da viele Expatriates – zumindest in der von ihnen erforschten
Region Basel – mit steigender Tendenz deutlich länger im Ausland bleiben. (Wiener/Gross-
mann 2011: 24) Genau dieser Aspekt ist zudem für die vorliegende Fallstudie im Kanton Zug
von grosser Bedeutung. So finden sich unter den in dieser Studie befragten Personen zwei ältere
28                                               3. Expatriates oder hochqualifizierte Migrantinnen …

Herren, die seit über 35 Jahren im Kanton Zug leben. Beide bezeichnen sich noch immer als
Expatriates (vgl. Kap. 7).

3.3 Forschungen zu Expatriates bzw. hochqualifizierten Migrantinnen und
    Migranten
Wie ich im Überblick über den Begriff Expatriates bereits festgehalten habe, haben sich ver-
schiedene Wissenschaftsdisziplinen mit den unterschiedlichsten Ausprägungen der Expatriates
befasst, allen voran die Forschung zum Internationalen Human Resource Management. (vgl.
McNulty/Selmer 2017) Doch welche Forschungsgebiete sind aus einer spezifisch sozialwissen-
schaftlichen Betrachtungsweise mit der Expatriate-Thematik verbunden? Und welche davon
können für meine Arbeit von Interesse sein?
Besonders inspirierend sind für mich Migrationsstudien bzw. Forschungsarbeiten zu hochqua-
lifizierten bzw. privilegierten Zuwanderungsgruppen bzw. Fachkräften gewesen. Daher werde
ich im Folgenden einige Forschungsfelder vorstellen, die ich für besonders geeignet halte, um
die vorliegende Forschung zu Expatriates in Zug konzeptionell einzuordnen. Mein Schwer-
punkt liegt insbesondere auf Forschungsarbeiten, die Themen wie Expatriate-Communities,
becoming an Expatriate, everyday life as an Expatriate sowie transnationaler Austausch und
Expatriate-Lifestyle-Typen im Fokus haben.
Der Forschungsstand zum Thema Migration hochqualifizierter Fachkräfte hat sich im Bereich
der Sozialwissenschaften, wie Lars Meier (2015a) feststellt, in den letzten 15 Jahren beachtlich
entwickelt. (ebd.: 6) Vorher, so Meier, wurde diesem Forschungsbereich – von wenigen Aus-
nahmen abgesehen (vgl. z. B. Cohen 1977) – kaum Beachtung geschenkt. Die Mehrzahl der
Migrationsstudien fokussierte damals v. a. auf die Gruppen der nicht-privilegierten Migrantin-
nen und Migranten, wie bereits Kreutzer und Roth (2006) bemerkt haben. (ebd.: 7f.) Diese
geben in der Einleitung zu ihrem Sammelband „Transnationale Karrieren“ einen guten Über-
blick in die damals aufkommende Forschung zur Lebenswelt der global mobilen Professionel-
len. Obwohl die erwähnte Publikation nun schon einige Jahre zurückliegt, möchte ich auf einen
Ansatz aus dem Einleitungskapitel eingehen. Interessant daran ist, dass die Gruppe der Expat-
riates in eine „Typologie transnational mobiler Menschen“ eingeordnet wird.
In ihrer Definition von Expatriates sprechen Kreutzer und Roth eingangs von „Mitarbeiterinnen
transnationaler Unternehmen“ und beziehen neben diesen auch

     Auslandsgesandte nationaler Regierungen, internationaler NGOs, Organisationen der internationalen Entwick-
     lungs- und Katastrophenhilfe, humanitärer und religiöser Organisationen, aber auch relativ mittellose Globe-
     trotter [mit ein]. So unterschiedlich die Tätigkeiten von Missionaren, Diplomaten, internationalen Geschäfts-
     leuten, Entwicklungs- und Katastrophenhelfern auch sind, sie teilen die Erfahrungen der vorübergehenden und
     wechselnden Auslandsaufenthalte. (Kreutzer/Roth 2006: 8)

Vielen Expatriates gemeinsam scheint der Aspekt zu sein, so führen Kreutzer und Roth weiter
aus, dass der Auslandsaufenthalt als solcher keine Entscheidung ist, die nur einmal im Leben
getroffen wird, er erweist sich vielmehr als eine Etappe in einer erfolgsreichen Berufskarriere,
die sich durchaus wiederholen kann. Der Aufenthalt im Ausland erscheint dabei in vielerlei
3.4 Typologien transnationaler Mobilität                                                                     29

Hinsicht für die Ausübung des Berufs nicht unbedingt notwendig. Für den Aufbau einer Karri-
ere in hochqualifizierten Berufen wird aber vielfach erwartet, zumindest einen Teil der Berufs-
karriere im Ausland verbracht zu haben, um dort internationale Erfahrungen zu sammeln. Die
Phase der Auslandstätigkeit erweckt den Eindruck, eine „rituelle Statuspassage einer nationalen
ebenso wie einer internationalen Karriere“ (Kreutzer/Roth 2006: 9) zu sein.

3.4 Typologien transnationaler Mobilität
Ausgehend von dieser Definition erstellen Kreutzer und Roth eine Typologie transnationaler
Mobilität (vgl. Abbildung 5), in der anhand soziologischer Theorien und Konzepte mehrere
charakteristische Typen unterschieden werden. Der Begriff Expatriate tritt in der Darstellung
nicht explizit auf, da er häufig eine Kombination aus verschiedenen Typen darstellt.

Abbildung 5: Typen transnationaler Mobilität

Quelle: Kreutzer/Roth 2006: 16.

Die dargestellten Typen mobiler Menschen bewegen sich im Diagramm zwischen den Achsen
weniger/mehr Mobilität und weniger/mehr Integration. In der Mitte der Abbildung ist der Typus
des Fremden. Dieser Typus ist, wie aus der Darstellung hervorgeht, sowohl sesshaft als auch
mobil, zudem tritt er als integriertes Mitglied einer Gruppe sowie gleichermassen als Aussen-
seiter dieser Gruppe in Erscheinung. (Kreutzer/Roth 2006: 15) Vom Typus des Fremden war
schon bei Georg Simmel (1992/1908) die Rede:

   Es ist hier also der Fremde nicht in dem bisher vielfach berührten Sinn gemeint, als der Wandernde, der heute
   kommt und morgen geht, sondern als der, der heute kommt und morgen bleibt – sozusagen der potenziell
   Wandernde, der, obgleich er nicht weitergezogen ist, die Gelöstheit des Kommens und Gehens nicht ganz über-
   wunden hat. (Simmel 1992/1908: 764)

Hier identifizieren Kreutzer und Roth, vom Typus des Fremden ausgehend, vier Extrempunkte
in ihrem Schema, sozusagen die „vier Dimensionen des Fremden“. (ebd.: 15) Auf der einen
30                                       3. Expatriates oder hochqualifizierte Migrantinnen …

Achse finden sich als Extremform zum einen die hochmobilen und wenig integrierten Berufsno-
maden, zum andern die hochmobilen und gut integrierten Kosmopoliten. Auf der anderen Achse
ist als Extremtypus zum einen die Gruppe der wenig mobilen und wenig integrierten exkludi-
erten Armen zu nennen, zum anderen gibt es dort die Gruppe der wenig mobilen, aber gut inte-
grierten Lokalpatrioten. Zwischen den Extrempositionen lassen sich weitere Typen transnatio-
nal mobiler Menschen, die eine Art Zwischenposition einnehmen, bestimmen, angeordnet nach
dem Grad ihrer Mobilität und Integration. Genau in diesem Zwischenraum befinden sich der
Typus des Gastarbeiters, des Transmigranten, des Vagabunden und der Immigranten.
Bei den Expatriates, die den Mittelpunkt meiner Arbeit bilden, handelt es sich nach Kreutzer
und Roth um Berufsnomaden oder Gastarbeiter resp. um Transmigranten oder Kosmopoliten.
(ebd.: 16) Allen gemeinsam ist eine hohe Mobilität.
Sesshaftigkeit wird im Modell als ein Gegenpol zur Mobilität gedacht. Die exkludierten Armen
sowie die integrierten Lokalpatrioten bilden hier „die beiden Pole der Sesshaftigkeit“. (ebd.:
16) Der Immigrant, der zunächst in einer Zwischenposition steht, kann sich durch vermehrte
Integrationsbemühungen zu einem Lokalpatrioten entwickeln. Er bleibt zwar vielfach ein
Randständiger in der Gesellschaft, in die er eingewandert ist – ein marginal man, wie ihn Robert
E. Park (2002/1928) nannte. Seine nachfolgenden Generationen haben allerdings die Chance,
sich in der Gesellschaft zu integrieren und in ihr im Sinne des Lokalpatrioten heimisch zu wer-
den. (Kreutzer/Roth 2006: 16) Der Fremde, der als Vagabund „mittellos und illegal“ in ein an-
deres Land kommt, ist zwangsläufig mobil. Versucht er dann, sesshaft zu werden und die Ge-
meinschaft der (mobilen) Vagabunden zu verlassen, kann ihn das Schicksal nichtmobiler, ge-
sellschaftlich ausgeschlossener armen Menschen treffen. Gerade an den letzten Beispielen wird
deutlich, dass das Modell neben den beiden Dimensionen von Integration und Mobilität noch
eine sozialstrukturelle Differenzierung von gesellschaftlich benachteiligt bis privilegiert als
dritte Dimension mitberücksichtig. (ebd.: 16) Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Pole
der hochmobilen Typen, (den Berufsnomaden und Kosmopoliten) finden sich dort vielfältige
Formen privilegierter Berufsgruppen wie Unternehmensberaterinnen und Unternehmensbera-
ter, führende Managerinnen und Manager sowie Geschäftsreisende, Angehörige des internatio-
nalen Jetsets, sowie erfolgreiche Künstlerinnen und Künstler, Sportlerinnen und Sportler oder
Musikerinnen und Musiker. Gleiches gilt in Teilen zumindest noch für diejenigen Berufsgrup-
pen, die diese Personen durch die Welt transportierten, d. h. Pilotinnen und Piloten und Flug-
begleiterinnen und Flugbegleiter. (ebd.: 17) Interessanterweise gehören die letztgenannten
Gruppen zu der sehr privilegierten Gruppe hoch mobiler Menschen, wohingegen bspw. die Be-
rufsgruppe der Seeleute im Vergleich eher wenige Privilegien aufweist; das Berufsnomadentum
dieser Gruppe zeichnet sich am ehesten durch eine permanente Mobilität bei vollkommen feh-
lender Integration aus. (ebd.: 17)
Kreutzer und Roth machen noch auf einen sehr bedeutsamen Unterschied zwischen den Gast-
arbeitern und den Expatriates aufmerksam. Während es sich bei ersteren meist um eher weniger
gut qualifizierte Migrantinnen oder Migranten aus ärmeren Ländern handelt, geht es bei den
Expatriates eher um hochqualifizierte Zugewanderte aus ökonomisch starken Ländern. So kom-
men die „klassischen Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter“ nur für eine begrenzte Zeit in ein
3.4 Typologien transnationaler Mobilität                                                                       31

reicheres Land, um dort Geld zu verdienen. Expatriates kommen v. a. ins Land, um dort Karri-
ere zu machen bzw. ihre internationale Karriere weiterzuführen. Im Gastland leben klassische
Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter eher in einfachen, Expatriates eher in privilegierten Verhält-
nissen, meist bleiben sie unter ihresgleichen in Expatriate-Enklaven. (Kreutzer/Roth 2006: 17)
Mit dem Typus des Transmigranten verbinden Kreutzer und Roth im Speziellen eine Grenz-
gängerin bzw. einen Grenzgänger „zwischen den Kulturen, zwischen dem Herkunfts- und Gast-
land, so dass [er/]sie in beiden zugleich zu Hause oder nur Gast ist und sich aus diesem Dilemma
nur durch die Annahme einer eigenen transnationalen Identität retten kann“. (ebd.: 17) Als
Transmigrant werden an dieser Stelle v. a. „erfolgreiche Unternehmer“ oder „auch solche, die
von der Macht der Strukturen zum Unternehmertum gezwungen wurden“ (ebd.: 17) bezeichnet.
Letzteres Beispiel spielt auf die Thematik des ethnischen Unternehmertums an. (vgl. hierzu
Goebel/Pries 2006)
Schliesslich erwähnen Kreutzer und Roth mit Verweis auf die Arbeiten von Ulf Hannerz (1996)
den Typus des Kosmopoliten. Hannerz beschreibt den Kosmopoliten als Weltenbummler, der
sich eine sogenannte Exit-Option (also die Option wieder zu gehen) nicht nur offenhält, sondern
auch immer wieder davon Gebrauch macht. (Kreutzer/Roth 2006: 18) Weiter bezeichnet sich
der Kosmopolit als jemanden, der die Kompetenz hat, aktiv auf die Anderen zuzugehen, sich
gegenüber den vorgefundenen, fremden Kulturen zu öffnen und sich darin bewusst zu engagie-
ren.
Der ideale Kosmopolit, so folgern Kreutzer und Roth (2006)

   zeichnet sich schliesslich durch seine Bereitschaft und Fähigkeit aus, die Sprache der fremden Kultur zu lernen
   und ihre Verhaltensregeln zu verstehen, sowie durch die Kompetenz, seinen Habitus so zu inkorporieren, dass
   er sich bis zur Verwechslung unter den Anderen bewegt, ohne doch je einer von ihnen zu werden. (ebd.: 18)

Diese Fähigkeiten des idealtypischen Kosmopoliten werden in Anlehnung an Hannerz schliess-
lich auch als Idealform eines „going native“ bezeichnet. (ebd.: 18) Kreutzer und Roth differen-
zieren in der Folge diesen Typus noch weiter in Richtung eines üblichen, alltagsgebräuchlichen
Verständnisses des Kosmopoliten, den sie etwas abweichend vom Hannerz’schen Ideal darstel-
len. Der von ihnen als „real existierender Kosmopolit“ fällt nicht so sehr durch sein going native
auf, vielmehr sind es verschiedene Varianten einer Lebensweise, die von Kreutzer und Roth als
home plus bezeichnet wird. (ebd.: 18) Sie deuten damit eine mobile Lebensweise an, in der es
quasi überall fast wie zu Hause (im Herkunftsland) ist, plus eben ein gewisses Etwas, etwas
Besonderes eben, was noch hinzukommt. Zur Veranschaulichung machen Kreutzer und Roth
die folgenden Beispiele: Auf den kosmopolitisch lebenden Touristen übertragen, kann das ein
Leben wie zu Hause nur mit schönerem Wetter oder historischen Sehenswürdigkeiten bedeuten,
bei reisenden Geschäftsleuten kann es bspw. den Charakter einer Lebensweise „wie zu Hause
plus bessere Geschäfte“ haben. Bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Fremde
kann es in diesem Zusammenhang dann „wie zu Hause plus bessere Forschungsmöglichkei-
ten“ heissen. Zusammenfassend, so erläutern Kreutzer und Roth, kann für all diese mobilen
beruflichen Karrieren und Berufsgruppen als Hauptmotiv ein „wie zu Hause plus grössere be-
rufliche Herausforderungen und gesteigerte Karrierechancen“ formuliert werden. (ebd.:18)
32                                                3. Expatriates oder hochqualifizierte Migrantinnen …

Für die Expatriates, die eine befristete Zeit im Ausland arbeiten und leben, konstatieren Kreut-
zer und Roth eine Kombination aus beruflichen und touristischen Motiven. Es kommt dabei
aber weniger wie beim idealen Kosmopoliten zu einer ganzheitlichen und engagierten Aneig-
nung der lokalen Lebensweise am neuen Ort, vielfach bleiben die Expatriates wie dargestellt in
ihrer eigenen Gruppe in ihrem home plus-Modell verhaftet. (ebd.: 19) Kontakt- und Engage-
mentbemühungen mit der vorherrschenden Lebensweise vor Ort gibt es in mehr oder weniger
sporadischer Form; Magdalena Nowicka (2006a) spricht in diesem Zusammenhang auch von
der Strategie der „regulated exposure“, um mit potenziellen kulturellen Konflikten im anderen
Land umzugehen. (ebd.: 196)
Im Vergleich zu Touristinnen und Touristen stehen bei der Gruppe der Expatriates v. a. berufli-
che Motive im Vordergrund, ins Ausland zu gehen:

     Die expatriate geht nicht in erster Linie als Konsumentin, sondern als Produzentin ins Ausland; sie geht nicht
     in die Ferne, um dort eine neue Welt zu erleben und sich selbst zu verwirklichen, sondern sie geht in erster
     Linie von zu Hause weg, um sich durch ein erfolgreiches Handeln für eine weitere Karriere zu empfehlen.
     (Kreutzer/Roth: 19, Herv. i. O.)

Nichtsdestotrotz haften dem Expatriate, der eine befristete Zeit ins Ausland geht, um dort zu
arbeiten, immer auch touristische Merkmale an. So ist seine Situation zunächst einmal ver-
gleichbar privilegiert und sie erlaubt es ihm, „im fremden Land ein Zuhause zu haben und sich
von dort auf Entdeckungsreise zu begeben“. (ebd.: 19) Diese Entdeckungsreisen finden in ge-
ordneten, kontrollierten Dosen statt und es wird ihnen nach dem home plus-Modell ermöglicht,
eine kontrollierte Form des zu Hause plus neue Erfahrungen im Ausland zu machen. Kreutzer
und Roth formulieren diesbezüglich abschliessend:

     Die expatriate lebt wie die Touristin in geschützten Zonen und kontrolliert ihre Begegnungen mit dem Frem-
     den. Sie lebt in einem permanenten Missverhältnis zwischen talk und action, zwischen gewünschtem Selbstbild
     und gelebter Praxis: als Kosmopolitin stellt sie sich selbst in einer multikulturellen Welt vor und redet dem
     going native das Wort; als expatriate und Touristin findet sie sich immer wieder in einer eng umgrenzten und
     kontrollierten Erfahrungswelt wieder. (ebd.: 19f., Herv. i. O.)

3.4.1 Expatriate-Communities
Ähnlich wie Migrationsstudien zu weniger privilegierten Zugewanderten fokussieren Studien
zu Expatriates auf die Erfahrungen, die diese als Neuankömmlinge im Hinblick auf Integration
und Akkulturation an den neuen Orten machen. Der Studienschwerpunkt liegt dabei in der Er-
forschung sogenannter Expatriate-Communities, d. h. der Untersuchung räumlich segregierter
und sozial separierter Orte, an denen die Auslandsentsandten zusammen mit ihren Familien und
Gleichgesinnten in mehr oder weniger stark geschlossenen Nachbarschaften im Gastland leben.
Als Klassiker gilt die Arbeit von Eric Cohen (1977), der in „Expatriate communities“ diese
segregierten Expatriate-Gemeinschaften in unterschiedlichen Ländern untersucht. Cohen be-
schreibt in seiner vergleichenden Studie unterschiedliche Gemeinschaften von im Ausland täti-
gen Expatriates aus den USA, Frankreich, Deutschland, Grossbritannien und Japan. (ebd.: 12)
Cohen charakterisiert die Expatriates als eine Personengruppe, die von ihrem temporären und
vergleichsweise privilegierten Status im Gastland deutlich geprägt ist. (ebd.: 78) Die Aussicht,
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