Martinsfeuer - Pfarrei St. Martin Idsteiner Land
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martinsfeuer advent 2020 Katholische Katholische Katholische Pfarrei Pfarrei Pfarrei Katholische St. Martin St. Martin Pfarrei Idsteiner St. Idsteiner Land Land Martin Idsteiner Land St. Martin Idsteiner Land In dieser Ausgabe: Klima.Gerecht.Leben S. 10 Sonntags zuhause und doch bei und mit Gott S. 17 Eine neue Kita und noch mehr S. 21 schritte wagen
Editorial Liebe Leserinnen S ind Sie schon mal über eine solche Hängebrücke gegangen? Das Titelbild macht es deutlich: Keine festen Mauern, die Halt geben, keine stabilen Geländer, die vor dem Absturz sichern. Ich habe das Ziel auf der anderen Seite bereits vor Augen. Doch um dorthin zu gelangen, muss ich eine wa- ckelige, unsichere Brücke überqueren. Eine Abkürzung, die Mut von mir verlangt, denn ich habe freie Sicht nach unten, die Gitter geben den Blick in die Tiefe auf felsiges Ge- stein oder einen reißenden Fluss frei. Viele Menschen kehren vor einer solchen Brücke um und brechen den Weg ab. Aber es gibt auch die anderen, die unverzagt das Ziel im Blick halten und Neues wagen: einige unserer AutorInnen haben neue Wege beschritten: so in der Tauf- oder Titelfoto: Johannes Meiwes | Foto links: Jan Niklas Schmidt | Lied: © Strubeverlag, München, Text: Eugen Eckert, aus dem Album „Einfach so“, Band Habakuk Kommunionkatechese, in der Jugend- arbeit oder bei online-Angeboten der Pfarrgemeinde. Lesen Sie die ganz persönlichen Erfah- rungen von Menschen, die alle auf ihre Weise Schritte in eine unsichere Zukunft gewagt haben, von Tobit über Josef bis in die heutige Zeit. Hören Sie von den Erlebnissen dreier af- ghanischer Schwestern und ihren Zu- kunftsträumen. Weite Räume meinen Füßen, Dorothea Breuer lässt uns am Projekt Horizonte tun sich auf, „Betroffene hören, Missbrauch verhin- zwischen Wagemut und Ängsten dern“ teilhaben und beschreibt die mu- tige Aufarbeitung. nimmt das Leben seinen Lauf: Lesen Sie die Analyse und den Kommen- Schritt ins Offne, Ort zum Atmen, tar über die Gemeinde-Instruktion. Drei neue Mitglieder unserer Gemeinde, hinter uns die Sklaverei; die bereits „die Hängebrücke überwun- mit dem Risiko des Irrtums den“ haben und uns mit Freude unter- machst du, Gott, uns Menschen frei. stützen, heißen wir herzlich willkommen: Janine Witter, Pastoralreferentin, Carmen Da sind Quellen, sind Ressourcen, Hensel-Moscherosch für die Presse -und da ist Platz für Phantasie; Öffentlichkeitsarbeit und Sibyll Nell, die zwischen Chancen und Gefahren Verwaltungsleiterin. Sie stellen sich und Perspektiven wie noch nie. ihre Aufgabenschwerpunkte vor. Wie immer vertiefen wertvolle Buchtipps Doch bleib Kompass, die Themen und es gibt Ausblicke auf inte- bleibe Richtschnur, ressante Veranstaltungen. Viel Freude beim dass wir nicht verlorengehn; Lesen! zu der Weite unsrer Räume Für das Redaktionsteam lass uns auch die Grenzen sehn. Ulla Staudt Eugen Eckert 2 | martinsfeuer advent 2020 Schritte wagen
Vorwort und Leser, K leine Schritte … da gab es für mich die- ses Jahr ganz Besondere: Angefangen mit den ersten kleinen Schritten, die meine noch einmal neu der schwierigen Situation eine neue Chance zu geben: Wie oft haben wir uns die letzten Jahre besonders im Ad- Tochter im Mai dieses Jahres wagte. Seit- vent gewünscht zu entschleunigen. Die- dem sind viele gefolgt; oftmals wackelige, ses Jahr haben wir sicherlich viel weniger unsichere aber auch manch bestimmter Auswahl, den Advent zu füllen – weil viele Schritt mit einem klaren Ziel: Schritte, um Veranstaltungen nicht stattfinden können. sich in meine Arme fallen zu lassen, aber Darin steckt auch die Chance, Dinge neu zu auch Schritte weg von mir hin auf ihren ei- beleben, die wir die letzten Jahre vermisst genen Weg. haben. An Weihnachten feiern wir, dass Kleine Schritte – ja, Kinder dürfen an- Gott ganz klein als ein Kind auf die Welt ge- Ulla Staudt fänglich kleine Schritte gehen. Aber wir in kommen ist. Ein Kind, das auch erst einmal unserem Alltag? – Kleine Schritte machen, ganz kleine, wacklige Schritte gemacht hat. das kommt uns Erwachsenen oft furcht- Besonders der Advent ist doch die Zeit der bar langsam vor. Wir wollen keine kleinen kleinen Schritte. Damit Weihnachten kom- Schritte gehen, sondern mit großen, wei- men kann, damit Jesus unter uns Mensch ten Schritten unterwegs sein und am bes- werden kann, müssen wir erstmal bei uns ten direkt einen ganzen Berg besteigen. selbst ankommen. Jeden Tag ein kleiner Ungeduldig sein, das kennen wir doch Schritt – ein Schritt auf mich selbst zu. oft. Wir wollen Montag schon, dass Frei- Wie mir das gelingen kann? Diese Fra- tag ist, wir warten darauf, dass der dunkle ge kann nur jeder selbst beantworten: Viel- graue November vorbei ist und am besten leicht mir Zeit zu nehmen, um etwas zu Janine Witter, direkt schon Frühling ist. Besonders bei basteln, vielleicht auch einfach Zeit für Stil- Pastoralreferentin Angelegenheiten, die uns unangenehm le, für Briefe an liebe Menschen, Zeit zum sind. Sicherlich kann man das Jahr 2020, Innehalten, Zeit für einen Plausch mit dem das in die Geschichtsbücher als das „Coro- Nachbarn, Zeit für das Gebet alleine oder na-Jahr“ eingehen wird, dazurechnen. Es mit anderen zusammen, Zeit für ein Telefo- soll doch möglichst schnell vorbei sein. Si- nat, Zeit für besondere Momente mit den cherlich hoffen wir alle berechtigt darauf, Kindern … dass die Krankheit besiegt und die Pande- Ich persönlich möchte in diesem Jahr mie eingedämmt wird. Aber manchmal auch wieder bewusst unsere abendliche vergessen wir darüber, im Hier und Jetzt Adventsstunde einführen. Eine Kerze am zu leben. Da nehme ich mich selbst gar Adventskranz anzünden, an liebe Men- nicht aus. 2020 war sicher nicht das Jahr schen denken, die wir gerade nicht tref- mit den größten persönlichen Freihei- fen können, gemeinsam eine Geschich- ten. Aber es war auch ein Jahr, Dinge an- te hören und ein kleines Gebet sprechen. ders zu tun: Ausgebremst zu werden heißt Und dann, wenn doch die Hektik mal aus- auch, anders Zeit zu haben. Vielleicht ist bricht, nicht gleich alles über den Haufen es eine Chance für Mitmenschlichkeit, ei- werfen … Vielleicht ist es an einem Abend ne Chance, Zeit füreinander zu haben und mal nur die Kerze, nur die Geschichte oder sicherlich eine Zeit, die herausfordert und vielleicht auch nur ein leises „Danke, lieber uns immer wieder auf uns selbst zurück- Gott“ … Es zählen die kleinen Schritte … wirft. Aber egal, wie schmerzhaft und he- rausfordernd das Jahr 2020 ist, auch hier In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, finden wir viele kleine Fußabdrücke von auch im Namen des ganzen Pastoralteams, Fotos: privat | Janine Witter uns – wir können das Jahr nicht neu star- einen besinnlichen Advent und ein frohes, ten. Jeder Tag ist Zeit, die uns von Gott ge- erfülltes Weihnachtsfest. schenkt ist. Vielleicht ist der Advent in diesem Jahr Herzliche Grüße, eine gute Gelegenheit, am Ende des Jahres Janine Witter, Pastoralreferentin www.katholisch-idsteinerland.de martinsfeuer Advent 2020 | 3
analyse In der Realitätsfalle Stefan Thissen Eine vatikanische Instruktion fordert die Pfarreien weltweit zu einem neuen missio narischen Aufbruch auf. Sie übersieht aber die vielerorts vorhandenen strukturellen Probleme bei der Umsetzung. Die Mehrheit der deutschen Bischöfe und Laienvertreter sind verärgert – und befürchten Rückschritte. Z ur weltweiten Überraschung veröffent- lichte der Vatikan am 20. Juli dieses Jah- res ein Papier, das sich kritisch mit verschie- nen verändert“, schreibt die römische Kon- gregation. Das Gebiet einer Pfarrei sei „nicht mehr denen Anpassungen kirchlicher Strukturen nur ein geografisch abgegrenzter Bereich, an die regionalen Herausforderungen in sondern der Zusammenhang, in dem jeder der Weltkirche auseinandersetzt. Die von sein Leben, das aus Beziehungen, gegensei- der Kongregation für den Klerus (alle ge- tiger Hilfe und lange gepflegten Traditionen weihten Priester und Diakone, d. Red.) ver- besteht, lebt“, stellen die Autoren des Papiers fasste Instruktion „Die pastorale Umkehr fest. Vielmehr stehe auf diesem „existenziel- der Pfarrgemeinde im Dienst an der missi- len Territorium“ die Herausforderung der Kir- onarischen Sendung der Kirche“ analysiert che auf dem Spiel. Daher erscheine ein „pas- die vielfältigen Veränderungen in der Welt torales Handeln überholt, das den Hand- und beleuchtet die Folgen, die sich daraus lungsraum ausschließlich auf den Bereich in- für die Pfarrei als „Gemeinschaft, die um nerhalb der territorialen Grenzen der Pfarrei den Tisch des Wortes und der Eucharistie beschränkt“. zusammengerufen wird“, ergeben. Eindringlich warnt die Instruktion vor So müsse sich die – grundsätzlich terri- Selbstgenügsamkeit der Gläubigen und torial ausgerichtete – Pfarrei heute mit ei- Priester. Aktivitäten, die das Leben der ner „Zunahme der Mobilität und der di- Menschen nicht mehr berührten, seien ein gitalen Kultur“ auseinandersetzen, heißt „steriler Überlebensversuch, der oft mit all- es in dem 34-seitigen Dokument. Das Bild gemeiner Gleichgültigkeit zur Kenntnis ge- von dauerhaften Lebens- und Arbeitsbe- nommen wird“. Wenn eine Pfarrei nicht die dingungen entspreche immer weniger „spirituelle Dynamik“ der Evangelisierung dem Leben der Menschen, das sich „in ei- lebe, „läuft sie Gefahr, selbstbezogen zu nem globalen und pluralen Dorf“ abspiele. werden und zu verkalken“, heißt es in dem Stattdessen habe „die digitale Kultur in un- Papier. Eine solche Pfarrei habe den „Ge- umkehrbarer Weise das Raumverständnis, schmack des Evangeliums und die missio- die Sprache und das Verhalten der Men- narische Durchschlagskraft bereits verlo- schen, besonders der jungen Generatio- ren“. 4 | martinsfeuer advent 2020 Schritte wagen
analyse Bei der Erläuterung, wie eine missiona- ihr Engagement nur misstrauisch beäugt risch ausgerichtete Kirche aussehen soll, wird und von oben herab bewertet wird.“ Er hö- die Instruktion allerdings widersprüchlich. So re, „dass zunehmend keine Motivation mehr sei es notwendig, sowohl eine selbstbezo- herrscht, in einer Kirche mitzumachen, die gene Pfarrei-Konzeption als auch eine ‚Kle- so auftritt.“ Außerdem sorge er sich um die rikalisierung der Pastoral‘ zu überwinden“, Priester seines Bistums, so Kohlgraf. „Schon verlangt die Kongregation. Dazu sollten die jetzt können wir vakante Stellen nicht be- Gläubigen aktiv in die Gemeindearbeit ein- setzen. Viele Priester klagen über Überfor- bezogen werden. Wo dies im missionari- derung im Blick auf Verwaltung und Büro- schen Sinne gelinge, gebe es deshalb auch kratie.“ Gerade dies solle aber der römischen keinen „angemessenen Grund“, Pfarreien al- Instruktion zufolge bei den Pfarrern bleiben. Stefan Thissen lein aufgrund von Priestermangel oder der fi- Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woel- nanziellen Situation zusammenzulegen. ki lobte dagegen die Instruktion. „Ich bin Andererseits könne die Aufgabe der dankbar, dass uns Papst Franziskus mit Pfarreileitung nur von einem Priester ausge- dieser Handreichung den Weg weist.“ Das übt werden, stellt das Dokument fest. Wer die Dokument enthalte viele Anregungen für Priesterweihe nicht empfangen habe, kön- einen missionarischen Aufbruch der Kirche. ne „auch nicht im Falle des Priestermangels“ „Zugleich ruft es uns Grundwahrheiten un- den Pfarrer-Titel oder entsprechende Funk- seres Glaubens in Erinnerung, die wir gera- tionen erhalten. Insbesondere könne das de in Deutschland vielleicht manchmal aus Amt des Pfarrers „nicht einer aus Klerikern dem Blick verlieren, wenn wir zu sehr mit und Laien bestehenden Gruppe übertragen uns selbst beschäftigt sind.“ Woelki erklär- werden“, schreibt die Klerus-Kongregation. te: „Papst Franziskus rückt hier einiges zu- Daher müssten „Bezeichnungen wie ‚Lei- recht, aber nicht als Maßregelung oder Dis- tungsteam‘, ‚Leitungsequipe‘ oder ähnliche ziplinierung, sondern als Ermutigung, ganz Benennungen, die eine kollegiale Leitung auf Christus zu setzen, um wieder eine mis- der Pfarrei zum Ausdruck bringen könnten“, sionarische Kirche zu werden.“ unbedingt vermieden werden. Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Stern- Kontroverse Reaktionen berg, erklärte, die Instruktion verfehle die In der katholischen Kirche Deutschlands Realität der katholischen Kirche in Deutsch- sorgte die Instruktion für heftige Kontro- land. „Wenn da zum Beispiel steht – auch versen – auch innerhalb der Bischofskon- jetzt in diesem Papier wieder –, dass alle ferenz. So erklärte der Osnabrücker Bischof Gremien reine Beratungs- und Hilfsgremi- Franz-Josef Bode, er werde von der Praxis en sind, die den Pfarrer, der da als Hirte ide- in seinem Bistum nicht abrücken. Dort sind alisiert wird, unterstützen und beraten sol- fünf Frauen und Männer bereits als Laien in len, dann geht das insofern an der Realität der Gemeindeleitung eingesetzt. Bode hat vorbei, als wir etwa in Deutschland staats- sie in den vergangenen Monaten zu „Pfarr- kirchenrechtlich geregelt haben, dass die beauftragten“ gemacht und sich dabei auf Kirchenvorstände und Vermögensverwal- einen Absatz im Kirchenrecht berufen, das tungsräte Mitbestimmungsgremien sind. diese Praxis für Notsituationen erlaubt. Das Die sind Entscheidungsgremien, keine Bera- Schreiben aus dem Vatikan stellt dies jetzt tergremien.“ In den ersten fünf Kapiteln kön- Fotos: Petersdom: Nimrod Oren/Pixabay | Thissen infrage. Er befürchte jedoch, dass „diese ne man „sehr viel Vernünftiges“ lesen, sagte Not bei uns an so manchen Stellen perma- Sternberg. „Aber wenn es dann um die Äm- nent existieren wird“, so der Bischof. ter und um die Laien geht, dann denke ich: Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf Was ist das für ein merkwürdiges Bild?“ schrieb in einer Stellungnahme, er könne diesen „Eingriff“ in sein bischöfliches Amt „nicht so einfach hinnehmen“. Nach dem Die vatikanische Gemeinde-Instruktion steht bereit unter römischen Schreiben sorge er sich „um die https://dbk.de/de/nc/presse/aktuelles/meldung/ vielen (noch) Engagierten“. Kohlgraf sagte: vatikanische-instruktion-die-pastorale-umkehr-der- „Bald werden sie genug davon haben, wenn pfarrgemeinde/detail/ www.katholisch-idsteinerland.de martinsfeuer Advent 2020 | 5
Kommentar Kirche muss erkennbar bleiben Sabine Bernstein Mit einer Instruktion liefert Rom Leitplanken für die vielerorts zweifelsfrei notwendigen Strukturreformen – und stellt dabei den eigentlichen Auftrag der Kirche in den Mittel punkt. In Deutschland hat das Schreiben zum großen Teil für Empörung gesorgt. Dabei sind zwischen vielen Selbstverständlichkeiten einige wichtige Impulse zu finden, die den Kern der katholischen Kirche bewahren helfen. D ie Veröffentlichung der Vatikan-Instruk tion sorgte diesen Sommer für ordent- lich mediale Aufmerksamkeit. Kein Wun- ben vorbei – und dann enttäuschte mich die Lektüre fast ein wenig: Das Schreiben enthält in weiten Teilen Selbstverständ- der, hatte das vom Heiligen Vater abge- lichkeiten. Was genau hat die Kritiker al- segnete Schreiben der Kongregation für so zu so scharfen Worten veranlasst? Es den Klerus doch gerade hierzulande für wird sehr detailliert und sachlich ausge- empörte Reaktionen aus einigen kirch- führt, welche Ziele eine katholische Ge- lichen Kreisen gesorgt: „Ein ungeheuer- meinde unserer heutigen Zeit gemeinsam licher Versuch Roms!“ (Wir sind Kirche), verfolgen soll und welche Rolle Priestern, „abenteuerlich realitätsfern“ (ZdK-Präsi- Diakonen, kirchlichem Personal und allen dent Sternberg), „Rom hat den Bogen des Gläubigen sowie organisatorischen Ein- Erträglichen überspannt“ (ein Kirchen- heiten wie Verwaltungsrat oder Pastoral- rechtler in der Zeit). Und es waren nicht rat/Gemeinderat zukommt. Dabei nimmt nur die üblicherweise zitierten Laiengre- die Kleruskongregation gerade die Län- mien, die das Vorgehen skandalisierten – der der Weltkirche in den Blick, in denen auch etliche deutsche Bischöfe kritisierten der Priestermangel die gewohnte persön- die Instruktion deutlich als eine Art Einmi- liche Betreuung der Gemeinde erschwert schung Roms ohne Kenntnis der Realitä- und in denen Lösungen aus dieser Krise ten vor Ort. gesucht werden. Hier will das Dokument Nach so viel Empörung kam ich aus rei- Leitplanken bieten für die aktuellen Struk- nem Interesse schon nicht an dem Schrei- turreformen. 6 | martinsfeuer advent 2020 Schritte wagen
Kommentar Wo katholisch drauf steht, sollte auch die weitreichenden Fusions-Pläne im Bis- katholisch drin sein tum Trier gegeben hat – hier sollten über Mein Eindruck dabei: Auch zum „Schutz“ 850 Pfarreien zu 35 Großpfarreien zusam- der Gläubigen vor allzu rigorosen Umwäl- mengefasst werden. Die Instruktion be- zungen, die ja auch gerade hier in Deutsch- kräftigt die Einwände gegen solche Pläne land in einigen Diözesen für Diskussionen noch einmal, approbiert durch Papst Fran- sorgen. An mehreren Stellen wird betont, ziskus. Für die meisten Gläubigen dürf- dass diese Umstrukturierungen nicht an te die Instruktion schon daher kein Auf- den Menschen der Pfarrgemeinden und regungs-Potenzial bieten, im Gegenteil. Diözesen vorbei passieren darf. Dabei wird Vielleicht muss man tiefer in die Reform- hervorgehoben, wie wichtig der Austausch prozesse rund um kirchliche Strukturen Sabine Bernstein und die Zusammenarbeit zwischen Pfar- und Hierarchien involviert sein, um sich rern und Laien ist – so wird zum Beispiel durch die Instruktion mit Aussagen kon- auch der Pfarrgemeinderat ganz klar als das frontiert zu sehen, die den gerade gefass- beratende Gremium für den Priester bestä- ten und für gut befundenen Plänen deutli- tigt. Aber es wird auch deutlich gemacht: che Grenzen setzt. Das macht die Planung „Quelle und Höhepunkt des ganzen christ- notwendiger Maßnahmen nicht leichter, lichen Lebens ist die heilige Eucharistie“ – richtig. Die Frage bleibt aber: Wird die Kir- und diese kann nach katholischer Auffas- che in Deutschland den Impuls aus Rom sung nun mal nur von einem Priester ge- als Chance begreifen? Ich würde mir ei- spendet werden. Damit muss die Leitung ne inhaltliche Auseinandersetzung wün- einer Gemeinde letztverantwortlich beim schen, wie sie schon aus christlicher Sicht Pfarrer bleiben. Ist das wirklich verwunder- angebracht wäre. Die Art und Weise, wie lich? Wo katholisch drauf steht, sollte auch offensichtlich ohne Reflexion auf die katholisch drin sein – auch das steckt ganz durchaus berechtigten Hinweise reagiert deutlich in den Aufzählungen von Selbst- wurde, hat mich als Laie enttäuscht. Sich verständlichkeiten. hier in Deutschland wieder mehr als Teil der römisch-katholischen Weltkirche be- Was ist missionarische Kirche? Glauben greifen, das wäre ein wichtiger Schritt und verkünden und Sakramente spenden könnte den Horizont ja vielleicht mal wie- Mir scheint das der entscheidende Punkt zu der erweitern. sein, der das eigentliche Anliegen aus Rom noch einmal verdeutlicht: Nämlich, dass Kir- che zuallererst einen missionarischen Auf- trag erfüllen muss – das Wort Gottes ver- Lesetipp künden und Sakramente spenden. Das darf Schott, H.: Raus aus dem toten Winkel – so ist aus der Instruktion sehr deutlich zu – Ein unkonventioneller Blick auf die lesen – bei all der Auseinandersetzung mit Kirche von morgen, neuen Strukturen nicht vergessen werden. Kösel, 2020, 208 S., 18 Euro, Insofern stellt die Instruktion aus katholi- ISBN 978-3-466372652 scher Sicht nicht nur Selbstverständlichkei- Mit augenzwinkerndem Blick schaut Fotos: Petersdom: Jérôme Clarysse/Pixabay | Bernstein ten klar, sondern liefert auch den ein oder H. Schott auf bestehende Strukturen anderen Impuls, um die zweifelsohne not- und geht neue Wege: Gottesdiens- wendigen Maßnahmen in einem Rahmen te in Wohnzimmern, die verlost wer- zu halten, der den eigentlichen Auftrag der den oder Gottesdienste im Bus sind nur ein kleiner Aus- Kirche sicherstellt. schnitt seiner ungewöhnlichen Ideen. Dabei findet er meistens Die Instruktion wendet sich nicht expli- Offenheit und große Neugier am Glauben, sodass er sich einen zit an die katholische Kirche in Deutsch- optimistischen Blick für die Zukunft der Kirche behält. Seine land – aber soweit ich es sehe, waren hier Auftritte als Kabarettist ermöglichen dem evangelischen Pfar- die Reaktionen am heftigsten. Vielleicht rer Hannes Schott aus Bayreuth manche ungewöhnliche Sicht mag es daran gelegen haben, dass es kurz auf die Kirche und das „göttliche Erdenpersonal“. zuvor ein klares Stopp-Signal aus Rom für www.katholisch-idsteinerland.de martinsfeuer Advent 2020 | 7
statements Welche Schritte haben Sie gewagt oder möchten Sie Eva-Maria Blumenroth und Franz Keil, der Wunsch Kindern Erlebnisse mit ihren Jung-Unternehmer*in, Idstein: Der Mitmenschen und vor allem mit Gott zu er- Schritt, uns mit unserem Unverpackt- möglichen, die ihnen ihr Herz erwärmt. Und Laden in Idstein selbstständig zu ma- vielleicht gelingt das in diesen besonderen chen, hat uns tatsächlich viel Mut ge- Zeiten viel besser als sonst. kostet. Aber der brennende Wunsch, für Idstein eine Alternative zum Plastik- Franziska Kochendörfer, Gastwirtin, Id und Verpackungswahnsinn zu schaffen, stein: Mein erster große Schritt war, in die war für uns ein unglaublicher Antrieb. Denn gastronomische Ausbildung in einem nur wenn es hier eine Alternative gibt, kön- mehr als 300 km entfernten Ort umzu- nen sich die Idsteiner in ihrem Kaufverhalten ziehen und sich dort mit 16 Jahren zu nachhaltiger entscheiden. Trotz Corona gab behaupten. Gut war, dass ich schnell es da für uns keinen Weg zurück. Im Gegen- feststellte, wenn man offen auf andere teil, Corona müssen wir Menschen mit un- zugehen und mithelfen kann, kommt serem achtlosen Verhalten gegenüber der man schnell am neuen Ort an und findet Natur auf unsere Kappe nehmen, so dass Freunde. Zehn Jahre später habe ich das Be- das Thema für uns umso drängender ist. Wir rufsfeld gewechselt und bin als Familienhel- freuen uns jeden Tag, wie viele wundervolle ferin in ein Kinderdorf im Südschwarzwald Menschen den Schritt zu bewussterem Kon- gezogen. Die Arbeit mit Kindern, die nicht sum mit uns gemeinsam gehen. in der eigenen Familie aufwachsen können hat mich sehr geprägt. Corona ist eine Her- Ehepaar Hildmann, Täuflingseltern, Id ausforderung sich einer Lebenssituation an- stein: Für uns als Eltern war es sehr zupassen, aber kein wirklich neuer Schritt. wichtig, auch unserer jüngsten, im März geborenen Tochter das Ge- Miriam Lehmann, Pfarrerin, Steinfisch schenk und den Segen der Taufe zu bach: Hineingeworfen – gewagt – viel ge- ermöglichen und das Wunder des Le- wonnen: Bei uns und mir waren und sind bens zu feiern. Ende Mai war dies leider das mit Corona unsere Online-Gottes- nicht möglich, doch mit der Hilfe und dem dienste. Ohne Corona wären wir das hier tollen Engagement des Pfarrbüros konnten noch lange nicht angegangen. Weil es Mut wir eine wunderschöne Taufe im sonnigen braucht, jedenfalls für mich als Pfarre- September feiern. Mit dem gebotenen Ab- rin, nicht nur Vor-Ort zu predigen, son- stand wurde festlich gesungen, individuel- dern mich „konserviert“ mit Wort und le Fürbitten vorgetragen und insgesamt ei- Gesang, unperfekt, wie es normal ist, ne liebevolle Tauffeier mit Pfarrer Brast ge- darzustellen. Doch ich bin sehr froh, staltet. Wir sind dankbar für diesen beson- dass Mitte März mein Sohn sagte: „Du deren Tag und dass Gott unsere Kinder bei kannst singen und reden. Ich beschaf- all ihren Schritten im Leben begleitet. fe die Bilder, mache den Schnitt und eröff- ne für euch einen Youtube-Kanal. Das wird Anette Koch, KiTa-Leiterin, Esch: Ich ar- gut!“ (EvangKG Steinfischbach-Reichen- beite als Erzieherin in einer Kita und eh- bach-Reinborn) Nun ist Herbstpause, aber renamtlich im Kinderdienst der evan- im Advent geht es weiter! gelischen Kirche. In Zeiten, in denen es viele einschränkende Verhaltens- Joachim Reimann, Bürgermeister, Nie regeln gibt, die sich dazu jederzeit än- dernhausen: Nie zuvor musste ich so viele dern können, braucht es viel Kreativität Schritte ins Ungewisse wagen wie in 2020. und Flexibilität neue Wege zu suchen und Immer wieder waren und sind während zu gehen, um Kindern die Möglichkeit zu der Corona-Zeit auch durch unser Team Fotos: privat geben Feiern wie St. Martin oder das Krip- im Rathaus Entscheidungen zu treffen penspiel zu erleben. Mich motiviert dabei oder Maßnahmen zu veranlassen, die gro- 8 | martinsfeuer advent 2020 Schritte wagen
statements wagen? Die Kurzumfrage in Corona-Zeiten ßen Einfluss auf viele Menschen in unse- fest mit unserem Kooperationspartner, der rer Gemeinde haben – in den Kitas, im Grundschule auf der Au, in anderer, kon- Rathaus, für das Gewerbe, im öffentli- taktarmer Form und auch über Video aus- chen Raum. Das Gewicht der Verant- zutauschen. Es muss und soll weitergehen wortung und der Sorgen, die daraus für die Senioren- bis Hochbetagten-Gene- resultieren, lässt sich nicht einfach ab- ration: so normal wie möglich! Da bleibt schütteln. Wichtig sind dann Menschen, nur Eines: weiter gehen, mit allen Instan- die einem nahe stehen, die mitdenken und zen in Kontakt bleiben, ganz kleine Schritte mitfühlen. Solche Menschen zu haben, er- gemeinsam machen und flexibel bleiben, füllt mich mit tiefer Dankbarkeit. nachjustieren, aber immer weiter gehen! Jutta Schmidt, Vinzenz von Paul-Haus, Dr. Thomas Umscheid, Arzt, Bermbach: Idstein: Keine leichte Frage während dieser Noch vor einem Jahr konnte ich mir nicht ungewissen Corona-Zeit. Jetzt stehen der vorstellen, eine Videosprechstunde zu Herbst und die steigenden Covid 19-Infek- halten. Aber wenn man sich einen tionen schon mit einem Bein in der Tür, ob- Schubs („dank“ Corona) gibt, wird nicht wohl ich noch gar keinen reinlassen darf! für möglich Gehaltenes zu einer Lösung. Jedenfalls keine Ehrenamtlichen! Und all Manche Patienten schaffen den Kontakt diese treuen Geister vermisse ich sehr, wa- alleine, oft helfen Partner, Kinder und En- ren sie und sind sie doch eine verlässliche kel. Ich freue mich zu sehen, wie bereitwillig Hilfe und große Unterstützung, wenn auch die „Alten“ das Medium nutzen. Nicht sie denn kommen dürften. Gewagt ha- immer muss der unmittelbare medizinische be ich über dieses gute halbe Jahr hin, Nutzen im Vordergrund stehen, sondern die einige Unterhaltungsveranstaltungen Gewissheit, dass man mit seinem gesund- auf der Wiese vor dem Haus aufzufüh- heitlichen Problem nicht alleine ist, die Be- ren. Auch Gottesdienste wurden gehal- treuung gewahrt bleibt und man Kontakt ten. Wir haben es gewagt, das Erntedank- hat. – Auch von meiner Seite. Gedanken einer Berufsmusikerin E rst dachte ich: für mich als Berufsmusi- kerin hat sich doch gar nichts verändert, außer der Tatsache, dass Konzerte nicht ne Verbindung zu Gott. Interessanterweise fehlt mir die weltliche Musik trotz ihrer tol- len Sinfonien und wunderbaren Kammer- stattfinden können. Doch als die Läden wie- musik nicht so wie eine Bachkantate oder der geöffnet hatten und das Leben in Schu- eine Mendelssohnmotette. Ich habe inzwi- le, Sport und Freizeit wieder begann, spür- schen angefangen, im Chor zu singen und te ich nach einer Zeit der Lähmung wieder mich mit Kollegen und Freunden zum Mu- Kräfte erwachen: ich hatte das Bedürfnis zu sizieren ohne Konzertanlass zu treffen. Das singen und mich mit Kollegen zum Musi- stärkt und nährt. Allerdings bleiben die ma- zieren zu verabreden (das kommt unter Be- teriellen Sorgen, solange fast alle Konzerte Judith Mac Carty, rufsmusikern ohne Anlass aus Mangel an Karlsruhe abgesagt werden oder mit so wenigen Zu- Lust auf noch mehr Musik und Zeit quasi nie hörern stattfinden müssen. Eine Wohltat vor). Darüber hinaus wurde mir immer kla- war da die Großzügigkeit, mit der wir nach rer, dass ich nicht nur freischaffende Musi- der Absage der Idsteiner Matthäuspassion kerin geworden bin, weil mich ein „Orches- im März entschädigt wurden. Das ist aller- terdienst“ (wie es im Theaterjargon heißt) dings längst vorbei, denn zwischenzeitlich abschreckt, sondern auch, weil geistliche ist es normal, dass Konzerte abgesagt oder Musik machen für mich Gottesdienst feiern gar nicht erst geplant werden. Dafür habe Fotos: privat bedeutet. Kirchenmusik ist meine geisti- ich Zeit, meinem neuen Hobby nachzuge- ge Nahrung und mein Gottesdienst – mei- hen: musizieren! www.katholisch-idsteinerland.de martinsfeuer Advent 2020 | 9
thema Klima.Gerecht.Leben Winfried Montz, Pax Christi Idstein Mondays for future in Idstein Kaffeeröstereien oder Supermarktketten nicht komplett auf diesen Standard um? Im Weltladen als Fachgeschäft des fairen Handels finden Sie ausschließlich Waren mit 100 Prozent Fairtrade-Standards. Die aus Frankreich zu uns gekommene, noch junge Initiative „du-bist-hier-der-chef“ ver- knüpft als Verbrauchermarke die Preisfrage mit Kriterien der regionalen und biologi- schen Erzeugung sowie der Achtung des Tierwohls. Milch ist als erstes Produkt auf dem Markt, Eier und Apfelsaft folgen. In- teressant, dass die Kriterien demokratisch, 1 unter Beteiligung von 10 000 Konsumen- tinnen und Konsumenten erarbeitet und 2 S onntagsreden reichen nicht. Welche praktischen Schritte wagen wir im Kli- mawandel, damit ein gutes Leben für al- bestimmt wurden. Nomen est omen. Und diese Milch kann man in Idstein kaufen. le möglich wird und bleibt? Mit Montags- Beim Geld wird es ernst. gesprächen in der Klimakrise hat die Pax- Transparenz und Kundenmacht spielen Christi-Gruppe einmal im Monat einen beim Thema Geld ebenfalls eine zentrale Gesprächsrahmen eröffnet, in dem im Rolle: Wo und für wen lassen Sie Ihr Geld Idsteiner Land Ideen, neue Denkansätze arbeiten, wenn Sie es am Bankschalter für und nachhaltige Lebensweisen Raum ge- bescheidene Zinsen dem Geldinstitut an- winnen. Im Kulturbahnhof treffen sich mit vertrauen? Vertrauen Sie Ihrem Partner, Hygienekonzept zwischen 20 und 30 Per- dass damit keine klimaschädigende Koh- 1 Dialoge mit vielen Im pulsen: zu den offenen sonen sehr unterschiedlicher Herkunft, um le-, Öl- oder Gasindustrie finanziert wird? Montagsgesprächen diesem Anliegen Vorschub zu verleihen. Wir plädieren für Klimaschutz und mögli- Klima.Gerecht.Leben cherweise finanzieren wir gleichzeitig ent- treffen sich Personen Klimagerecht leben … gegengesetzte Wirtschaftsprozesse. Versi- aus Politik, Kirche, Handel, Landwirt … hat Anknüpfungspunkte vor Ort. Das cherungen wie die Allianz oder die Mün- schaft, Vereinen und zeigt die Themensammlung des Auftakt- chener Rück haben längst begonnen, diese interessierte Bürge abends im August: gesunde Ernährung, re- Industriezweige nicht mehr zu versichern. rinnen und Bürger monatlich im Kultur gional und biologisch erzeugt, nachhaltige Sie richten ihre Geschäfte anders aus, nicht bahnhof. Energiewirtschaft, klimafreundliche Mo- nur aus ethischen Gründen. Befragen Sie 2 Winfried Montz bilität, ethische Finanzanlagen und Trans- Ihre Bank, ob sie ausschließt, mit ihrem parenz globaler Herstellungsketten so- Geld fossile Energieprojekte zu finanzieren. wie faire Preise von Produkten. Abend für Die Montagsgespräche eröffnen mit Abend steht ein Beispiel im Mittelpunkt, einem neuen Blick auf die Zusammenhän- wie Einzelne, aber auch Einrichtungen, ge einen Dialog, der zeigt: Klimagerech- Wirtschaft und Politik klimarelevant einen tigkeit beginnt im Alltag und vor Ort. Op- Fotos: Pax Christi, Idstein | Winfried Montz Beitrag zum gerechteren Miteinander leis- fer des Klimawandels sehen, Ursachen er- ten können. kennen und Anknüpfungspunkte der Ver Weblinks zu So rückt Transparenz bei der Herkunft änderung aufgreifen verbinden sich in Klima.Gerecht.Leben: der Nahrungsprodukte in den Blick, aber einem spannenden Austausch. Es entste- www.weltladen-idstein.de auch eine transparente Preisgestaltung. hen Schritte „im Dienst an der Geschwister- www.dubisthierderchef.de Das Gütesiegel Fairtrade beinhaltet einen lichkeit in der Welt“, wie es Papst Franziskus www.urgewald.org Mindestpreis zum Beispiel für Kaffeebau- im Oktober in seinem Schreiben Fratelli ern im globalen Süden. Warum aber stellen Tutti nennt. Gehen Sie mit? 10 | martinsfeuer advent 2020 Schritte wagen
Thema Fuß fassen und beschleunigen Hannah Montz, Jugendsprecherin W enn ich mir überlege, wann die Arbeit des Jugendausschusses Fahrt aufge- nommen hat, dann war das zu Beginn der Corona-Pandemie. Die scheinbare Hürde, sich nur noch online zu treffen und ein On- line-Angebot zu liefern, haben wir mit Erfolg gemeistert. Doch war es nur eine Hürde, ein Hindernis, das wir überwinden mussten? Nein, meiner Meinung nach nicht. Es hat uns gleichzeitig auch Chancen gege- ben und uns auf dem ein oder anderen 1 Weg vorangebracht. Digitale Sitzungen, Zoom-Spieleabende, ja, warum dann nicht wir machen einfach 2020 einen Action-Tag. 2 auch noch Präsenz in den Sozialen Netz- Warum nicht Filmabende machen? Gut, bei werken zeigen, wenn wir schon in der Welt den Filmabenden sind wir nicht ganz so des World Wide Web unterwegs waren? analog, aber egal. Gesagt, getan. Unser Facebook- und ins- Das vergangene Jahr schreit eigentlich besondere unser Instagram-Account ste- nicht wirklich danach, als Erfolg gewertet hen, ein Logo haben wir und weiter geht’s. zu werden. Hindernisse und Sackgassen, Für uns sind das Internet und die Sozialen umplanen und verschieben. Ich will nicht Netzwerke keineswegs Neuland. Wir nut- sagen, dass es einfach war und ja, manch- zen sie wahrscheinlich mehrfach täglich mal war es frustrierend, den Filmabend und nehmen sie als selbstverständlich an. oder den Action-Tag schon wieder ver- Doch der Jugendausschuss ist keine Privat- schieben zu müssen, aber wir haben uns 1 Gruppenbild des Ju person, die Fotos postet. Wir mussten uns gendausschusses. davon nicht unterkriegen lassen. 2020 hat 2 Ein Beet vom Action überlegen, wie sich der Jugendausschuss uns nicht gezwungen abzubremsen. Nein, tag. präsentieren will, was wir weitergeben wol- wir haben das Gaspedal durchgedrückt len und was von den Jugendlichen, unserer und beschleunigt. Nicht umsonst, muss Hauptzielgruppe, angenommen wird. man sagen. Es hat uns Spaß gemacht, neue Der Jugendausschuss ist einen neuen Angebote zu planen und den Teilnehmen- Fotos: Jugendausschuss St. Martin Idsteiner Land Weg gegangen. Am Anfang war er neu und den auch. Klar, aufwendig ist so etwas im- ungewohnt, inzwischen spielt sich aber all- mer, aber es lohnt sich. mählich eine gewisse Routine ein. Wir ha- Wir haben beschleunigt, sind neue We- ben Fuß gefasst, lernen den Boden unter ge gegangen und wurden dafür ausge- unseren Füßen besser kennen und gewin- zeichnet. Ende Oktober wurde uns der nen an Sicherheit. Sonderpreis des Demografie-Preises des Doch wir können nicht nur digital. Rheingau-Taunus-Kreises verliehen, wor- Wir haben auch in der analogen Welt an über wir uns sehr gefreut haben. Schwung gewonnen. Die nächste 72h-Ak- Instagram: @jugendausschuss_idstein tion ist erst in ein paar Jahren? Uns egal, Facebook: Jugendausschuss Idstein Lesetipp für Leser*innen ab 12 Jahreis, M.: Rebel Minds – 44 Erfinderin- sche Geister mit einem ausgeprägten Hang nen, die unsere Welt verändert haben zur findigen Problemlösung. Melanie Jahr- Beck, 2020, 189 S., 19,95 Euro eis, Kuratorin am Deutschen Museum, er- ISBN 978-3-406757587 zählt ihre unwiderstehlichen Geschichten. Wer hat die Solarenergie erfunden? Den Pa- Sie machen Mut, verrückte Träume zu ha- ketfallschirm und die Einbauküche? Das kleine ben, sich hohe Ziele zu stecken und ent- Schwarze, die Wegwerfwindel und das Cham- schlossen dem eigenen Weg zu folgen. Ei- pagner- Rüttelpult? Das Fertighaus, die Draht- ne inspirierende Lektüre zu jeder Tages- lostechnologie, die Umweltbewegung und und Nachtzeit, kongenial illustriert von denwww.katholisch-idsteinerland.de Matilda-Effekt? Es waren Frauen – rebelli- Katinka Reinke. martinsfeuer Advent 2020 | 11
thema Neue Angebote für junge Familien im Gespräch mit Janine Witter Seit dem 1. Juni ist Janine Witter neu in der Pfarrei. Sie ist Pastoralreferentin und während ihrer Elternzeit in der Pfarrei mit 5 Stunden tätig. sehr zeitgemäß. Umso wichtiger ist es mir, dass wir dabei Hilfestellung geben, es in die heutige Zeit zu übersetzen und Anregun- gen zu geben, was das ganz persönlich be- deuten kann. Früher war es vielfach üblich, dass Kinder gewisse Gebete stumpf aus- wendig lernen mussten. Meiner Meinung nach ist es aber viel wichtiger, dass Kinder mit dem Glauben eine Geborgenheit und Vertrautheit verbinden. Wie Eltern das ver- mitteln können, ist ein wichtiger Inhalt un- serer gemeinsamen Vorbereitung. Was ist Ihnen bei Ihrem Konzept wichtig? Wir wollen die Eltern da abholen, wo sie sind. Es soll jedem möglich sein, mit seiner eigenen Position, mit der er zu Glaube und Kirche steht, bei uns Anknüpfungspunk- Was bringt Sie hier nach St. Martin? te zu finden. Wir wollen aber auch ermög- Ich stamme ursprünglich aus dem Wester- lichen, dass Eltern sich untereinander aus- wald und bin mit Beginn meiner Assistenz- tauschen und vernetzen können. zeit 2008 ins Rhein-Main-Gebiet gekom- men. Ich lebe mit meinem Mann und un- Wie wollen Sie das schaffen? Was beinhal serer einjährigen Tochter in Oberjosbach. tet das Taufkonzept? Lange Zeit war ich schwerpunktmäßig in Es gibt zwei Erlebnisnachmittage, die fester der Jugendarbeit tätig, erst in der Pfarrei Bestandteil der Vorbereitung sind und ge- St. Birgid in Wiesbaden, dann an der Ju- rade dieser persönlichen Auseinanderset- gendkirche JONA in Frankfurt. Jetzt, wo ein zung dienen. Das Gespräch mit dem Pries- Janine Witter, neuer Lebensabschnitt mit der Geburt un- ter oder Diakon, der die Taufe spenden wird, Pastoralreferentin serer Tochter begonnen hat, freue ich mich, ist natürlich weiterhin fester Teil der Vorbe- im Bereich der Taufkatechese hier in der reitung. Wer möchte, darf dann auch noch Pfarrei tätig sein zu dürfen. zusätzlich an der Kreativwerkstatt teilneh- men, bei der es um die gestalterische Vorbe- Was kann man denn unter Taufkatechese reitung der eigenen Tauffeier geht. verstehen? Es geht hierbei vor allem um eine Unter- Wie funktioniert das denn ganz praktisch? stützung der Taufeltern. Wie können wir Bei den Erlebnisnachmittagen sind immer sie in ihren offenen Fragen unterstützen: die Eltern mit dem Täufling eingeladen. So Da kann es um ganz praktische Fragen ge- muss nicht einer daheim auf das Kind auf- hen, zum Beispiel, wie der Taufgottesdienst passen und der andere macht alles allein. persönlich gestaltet werden kann oder um Wir haben es so gestaltet, dass die Kinder Fragen, wie man im ganz Alltäglichen das gut dabei sein können, wir sind viel draußen Kind „im Glauben erziehen“ kann. unterwegs (natürlich nur bei geeignetem Wetter), picknicken und arbeiten mit vielen Fotos: Janine Witter Erziehen im Glauben – das klingt in der verschiedenen Methoden, sodass die Kin- heutigen Zeit irgendwie nicht so alltäglich. derbetreuung nicht zum Problem wird. Das Ja, das stimmt, das klingt im ersten Mo- viele Unterwegssein macht es auch leichter, ment für viele wahrscheinlich nicht mehr miteinander ins Gespräch zu kommen. 12 | martinsfeuer advent 2020 Schritte wagen
Thema Lesetipps Thema Stöbe, T.: Mut und Menschlichkeit. Ist eine Teilnahme nur für Taufeltern mög Als Arzt weltweit in Grenzsituationen lich? Fischer TB, 2019, 192 S., 14,99 Euro, Nein, es wird (vorausgesetzt, es sind noch ISBN 978-3-596704392 Plätze frei) immer auch für andere möglich Was zählt wirklich im Leben? Tankred Stöbe sein teilzunehmen. Thematisch richtet sich hat seine Antwort auf diese Frage gefun- das Angebot aber vor allem an Familien mit den. Seit Jahren ist er als Arzt in Krisenge- Babys oder Kleinkindern bis ca. 3 Jahre. bieten in der ganzen Welt unterwegs. Ein heimlicher Grenzübertritt in einem Dschungel in Ist das alles dann nach den zwei Erlebnis Myanmar oder Tage und Nächte ohne Schlaf in einer Höhlenklinik nachmittagen vorbei? in Syrien – seine Einsätze verlangen ihm alles ab. Dabei trifft er selbst Nein, wer an dem Format Gefallen gefun- in den ausweglosesten Situationen auf selbstlosen Mut und tiefbe- den hat, darf auch bei weiteren Erlebnis- rührende Menschlichkeit. Seine Erlebnisse geben ihm Hoffnung: „Wir nachmittagen teilnehmen. Ich habe noch verwehren uns vielen Erfahrungen aus einem Sicherheitsbedürfnis ganz viele Ideen, wie wir das Begleiten bei heraus. Aber es lohnt sich, die eigenen Grenzen auszuloten, egal in der „Erziehung im Glauben“ auch darauf welchem Bereich. Jeder kann über sich hinauswachsen.“ Ein ermuti- aufbauend noch weiter gestalten können. gendes Plädoyer für Solidarität, Courage und Menschlichkeit. Die Vertiefung „Wie kann ich mit meinem Kind beten?“ oder das Gestalten von Fes- Müller, G.: Umdenken: Überlebensfragen ten im Kirchenjahr, wie Advent, Weihnach- der Menschheit ten oder Ostern, sind beispielsweise The- Murmann Publ., 2020, 200 S., 20 Euro, ISBN 978- men, die mir im Kopf herumschwirren. 3867746496 Ich will aber eigentlich erstmal hinhö- Ein Buch, das mit konkreten Handlungsempfeh ren, was die Eltern sich wünschen würden. lungen wachrüttelt. – Brennende Müllhalden, aus Es ist nicht wichtig, was ich meine, anderen denen junge Menschen wertvolle Metalle klau- vermitteln zu müssen. Für mich ist es wich- ben, und Krankenhäuser, die den Eindruck ei- tig, auf das zu hören, was die Bedürfnisse ner Slumhütte vermitteln: Das ist eine Realität, der Familien sind. die wir in unserem Alltag nicht sehen, anders als Entwicklungsminister Gerd Müller. Er kennt diese Orte, kennt deren Gibt es denn schon erste Veranstaltun Geschichte und unsere Verantwortung dafür. In „Umdenken. Über- gen, bevor das Konzept dann bald richtig lebensfragen der Menschheit“ nimmt uns Gerd Müller mit auf seine eingeführt wird? Reisen fernab des europäischen Wohlstands, erzählt von bewegen- Ja, wir wollen schon in diesem Jahr zwei den Begegnungen und erklärt, warum sich unsere Handlungen in freiwillige Angebote machen: Im November Europa auf den Rest der Welt auswirken, positiv wie negativ. Er ruft werden wir uns an einem Nachmittag tref- zum beherzten Umdenken in einer globalisierten Welt auf, in der ein fen, um für die adventliche und weihnacht- neuer Europa-Afrika-Pakt und ein neues globales Verantwortungs- liche kleinkindgemäße Gestaltung zuhause gefühl die Welt friedlicher, gerechter und zukunftsfähig für kommen- zu sorgen und am 6.12. kommt der Nikolaus de Generationen gestalten könnte; mit einem Buch, das die Augen für die Kleinsten (bis 3 Jahre) zu Besuch. öffnet, ohne zu moralisieren, das aber an unsere Verantwortung in einer zusammengewachsenen Welt erinnert. Eine Frage noch am Schluss: Worauf freu en Sie sich am meisten? Durst-Benning, P.: Die Fotografin – Am Anfang des Weges Das ist recht einfach: Auf tolle Begegnun- Blanvalet TB, 2020, 448 S., 10 Euro gen mit anderen Familien, auf verschiede- ISBN 978-3-734106576 nen Ansichten und einen gewinnbringen- Mimi Reventlow war schon immer anders als die den Austausch mit bereichernden Ideen Frauen ihrer Zeit. Es ist das Jahr 1911, und wäh- und Vorstellungen. rend andere Frauen sich um Familie und Haus- halt kümmern, hat Mimi ihren großen Traum Bei Fragen können Sie sich gerne an die wahr gemacht. Sie bereist als Fotografin das zuständigen Pastoralreferentinnen Janine ganze Land und liebt es, den Menschen mit Witter (j.witter@katholisch-idsteinerland. ihren Fotografien Schönheit zu schenken, de) und Tatjana Schneider (t.schneider@ genau wie ihr Onkel Josef, der ihr großes katholisch-idsteinerland.de) wenden. Vorbild ist. Als dieser erkrankt, zieht sie in das kleine Leinenweberdorf Laichingen, um ihn zu pflegen und vorüber- gehend sein Fotoatelier zu übernehmen. Und als bald ein Mann Mi- www.katholisch-idsteinerland.de mis Herz höher schlagen lässt, muss sie eine Entscheidung martinasfeuer | 13 … treffen pfingsten 2019
thema Dem Glauben auf der Spur Alexia Schadow Gemeinsame Schritte wagen – auf dem Weg zur Erstkommunion gesamte Familie in den Blick: Paral- lel zu den Kindertreffen gibt es die Elternstunden, die die Themen der Kinder aufgreifen. Auch Erwachsene brauchen die Begegnung mit Jesus Christus immer aufs Neue In den Elternstunden treffen die Eltern Gemeindemitglieder, die in erster Linie keinen Vortrag halten möchten, sondern von ihrem Glau- ben, ihren Erfahrungen erzählen und zum Austausch, zur Spurensu- che zur Verfügung stehen. „... W ieso, weshalb, warum?“ – je- der kennt diese Fragewörter, ob von der Kindersachbuchserie oder vom Verschiedene Stationen in unseren Kir- chen zu den Themen „Gottesdienstablauf und Kirchenraumerkundung“, „Gebet“ und Vorspann einer berühmten Kindersendung. „Sakramente“ werden angeboten, die die Kinder fragen, Kinder wollen es genau wis- Eltern auswählen und im Wechsel besu- sen und erste Ansprechpartner sind in den chen können. allermeisten Fällen die Eltern. Das ist Ver- Auf Augenhöhe können Fragen ge- trauensbeweis und Anspruch zugleich. stellt und diskutiert werden, aber schluss- „Mama, Papa, wieso soll ich zum Kom- endlich geht es bei „... wieso, weshalb, war- munionunterricht, weshalb gehen wir jetzt um?“ nicht um Glaubenswissen, das natür- Alexia Schadow in den Gottesdienst und warum ist die 1. lich eine wichtige Basis ist, sondern um uns Heilige Kommunion eigentlich ein Fest?“ selbst. Um unseren eigenen, unseren „er- Kinder stellen diese Fragen zu Recht wachsenen“ Glauben, um unser Band zu Je- und merken schnell, dass ein wichtiger sus Christus, das allzu oft recht lose ist und Schritt, etwas Neues vor ihnen liegt, selbst immer wieder neu geknüpft werden will. Es wenn sie Geschichten aus der Bibel kennen geht um unser Gespür und unsere Offenheit und den Religionsunterricht in der Grund- für die Begegnung mit IHM – im Alltag und schule besuchen. besonders in der Feier der Heiligen Messe. Und sie wollen wissen, wie wir – die El- Hier können wir von den Kindern ler- tern oder die Erwachsenen überhaupt – es nen und mit ihnen gemeinsam unseren ka- denn mit dem Beten halten (Wieso?), was tholischen Glauben (neu) entdecken. Wir wir über die Sakramente1 wissen (Warum?) können voneinander lernen, von unserem Foto: pexels/pixabay/pfarrbriefservice.de | Alexia Schadow 1 Beispiele für Sakra und besonders über die Eucharistie2 (Wes- Glauben auch zu erzählen. mente sind z. B. Taufe, halb?). Sie wollen ihre Erfahrungen teilen, Und schließlich geht es um uns als Ge- Ehe, Eucharistie. Ein denn längst ist der „Kommunionunterricht“ meinde, wie ich es im Gebet für die Erstkom- sichtbares Zeichen bzw. Handlung, das (eigentlich ein antiquierter Begriff ) ein Tref- munionkinder und ihre Familien formuliert die unsichtbare Wirk fen, bei dem sicher einiges Neues gelernt habe: „... Und gib uns allen ein waches Herz lichkeit Gottes verge wird, aber genauso die Fragen und Anlie- für Deine Liebe, damit wir die Gemeinschaft genwärtigt und an ihr teilhaben lässt (Wiki gen der Kinder Platz haben. sind, in der Freude am Glauben spürbar ist.“ pedia). Seit zwei Jahren nehmen wir (ein Team Wenn wir uns selbst über unseren Glau- 2 Eucharistie, griech. aus Mitgliedern der Arbeitsgruppe Erwach- ben freuen können, unsere Spur des Glau- für „Danksagung“, senenbildung und in der Erstkommunion- bens finden, dann spüren die Kinder und Empfang des Sakra mentes auch „Kom vorbereitung erfahrenen Gemeindemit- die Familien das Willkommen, das schließ- munion“. gliedern) hier auch die Eltern und damit die lich Jesus Christus selbst ausspricht. 14 | martinsfeuer advent 2020 Schritte wagen
Thema Heiliger Josef Patricia Goldstein-Egger Wie Zweifel zu neuen Schritten im Leben führen können I n der Bibel wird wenig über Josef berich- tet. Wir kennen ihn als Verlobten von Ma- ria, der Mutter von Jesus und nach dessen Geburt als den Ziehvater von Jesus. Wie es allerdings dazu gekommen ist, erscheint als eine noch heute sehr lebensnahe Erfah- rungsgeschichte. Im Matthäus-Evangelium wird berich- tet, dass Josef überlegt, Maria zu verlassen und nichts auf das Gerede und die Träume von Engeln und dem Wirken des Heiligen Geistes zu geben. Er will die schwangere Maria, die zu diesem Zeitpunkt seine Ver- lobte ist, verlassen. Er hinterfragt, was er weiß und was ihm in Träumen von Engeln gesagt wird. Er will eigentlich von Maria weglaufen, was wohl eine adäquate Reak- tion auf die schwer verständliche Schwan- gerschaft Marias gewesen wäre. Weglaufen vor dem Unerklärlichen und Ärgerlichen Modesto Faustini, riskierte Josef damit, als naiver Mann dazu- – wer von uns kennt das nicht. Das ist viel Geschichten des heili stehen und sich vor seinen Zeitgenossen gen Josef (1886–90), einfacher als sich den Zumutungen des Le- 2.: Josefs Traum. zu blamieren. Dem Willen Gottes entspre- bens und damit dem Willen Gottes zu stel- chend zu handeln, neue Schritte gegen die len. So verhält sich zunächst Josef. bestehenden Zweifel zu wagen, erforderte Doch was wandelt ihn? Josef wird dann von Josef ein Vielfaches an Mut gegenüber in der Bibel als ein Mensch beschrieben, dem einfachen Weglaufen. der „gerecht“ ist. Es wird keine Aussage, Josefs Lebens- und Glaubensweg wird kein Gedanke von Josef beschrieben, son- in der Bibel mit einem großen Zweifel be- dern es heißt: „... er tat, was der Engel ihm schrieben. Josef repräsentiert mit seinem befohlen hatte“. In seinem Tun zeigt sich, Hadern die Zweifel im Glauben und den was mit „gerechter Mensch“ gemeint ist. Weg zu einem schwer errungenen Glau- Er wagt den Schritt, nicht mehr zu hadern ben. In dieser Geschichte gehören Glaube und zu lamentieren, sondern er handelt und Zweifel zueinander und stellen keinen und übernimmt Verantwortung – für Maria Widerspruch dar. Vielmehr bedarf es wahr- und das ungeborene Kind. Damit schützt scheinlich viel öfter des Zweifels, um zu ei- er Maria und das ungeborene Kind. Damit nem tieferen Glauben zu ge- hört er auf Gott und handelt danach. langen. Bei Josef jedenfalls Dieses Handeln von Josef stellt das ge- bewirkt erst dieser Zweifel naue Gegenteil von einem ängstlichen und eine tiefe Glaubenserfah- heimlichen Weglaufen dar. Maria verlas- rung und ermöglicht ihm sen und weggehen wäre der einfache und damit das „gerechte“ Tun leichte Weg für Josef gewesen. Nach der und den Mut dazu. So kön- Logik Gottes hat sich Josef dann allerdings nen wir bei Josef eine sehr Foto: Wikimedia Commons doch für den schweren Weg entschieden stille und leise Glaubensge- und es gewagt, zu Maria zu stehen und den schichte nachvollziehen, die zukünftigen Weg gemeinsam mit ihr zu ge- für uns heute noch mitten hen. Sich auf diesen Weg einzulassen, er- aus dem Leben heraus er- forderte wesentlich mehr Mut. Schließlich zählt ist. www.katholisch-idsteinerland.de martinsfeuer Advent 2020 | 15
thema Nur Mut, Kind!* Auch wenn es so aussieht, es ist kein Kind, das hier von einem „Engel in Arbeitskleidung“ gestützt wird. 1 2 E s ist ein junger Mann, Tobias, der auf Bit- ten seines erblindeten Vaters Tobit** Schritte ins Ungewisse gewagt und sich auf schickt? ... Wir hätten dieses Geld gar nicht gebraucht, denn es ist nichts, verglichen mit dem Leben unseres Sohnes.“ (Tobit 5, 18–20) eine gefährliche Reise begeben hat. Unterwegs besteht Tobias mit Rafaels/ Asarjas Hilfe gefährliche Situationen. Einen Das Buch Tobit Fisch, der ihn in die Tiefe zu ziehen droht, Diese Weisheitserzählung mit märchen- kann er mit seiner Hilfe fangen. Sie kom- haften Zügen gehört zum Ersten („Alten“) men bei einem anderen Verwandten Tobits Testament. Sie spielt während einer Zeit vorbei. Tobias bleibt, er gewinnt Sara, das der Verbannung der Israeliten in der assy- einzige Kind dieses Verwandten, lieb und 1 Adam Elsheimer, rischen Hauptstadt Ninive und Umgebung. heiratet sie. Mit dem Herz und der Leber Tobias und der Engel Tobit wird vorgestellt als frommer Mann, des Fisches vertreibt Tobias den Dämon, 2 Christine Reuß der sich an die Gesetze Israels hält, seine der Sara eifersüchtig verfolgt und zuvor be- Glaubensgeschwister in der Verbannung reits sieben ihrer Verlobten getötet hatte. finanziell unterstützt und dennoch ein ei- Mit dem Notgroschen des Vaters und genes Vermögen sparen konnte. Einen Teil reich beschenkt ziehen Tobias, Sara, Rafa- davon hat er für schlechte Zeiten bei einem el und der Hund zurück nach Ninive zu To- Verwandten fern von Ninive deponiert. bit und Hanna. Die sind überglücklich, ihren Nachdem er wieder den Gesetzen Mose fol- Sohn nach so langer Zeit wiederzuhaben. gend, einen Israeliten begraben hat, erblin- Mithilfe der Galle des gefangenen Fisches det er. Er beklagt zwar seine Not, hält aber bekommt Tobit auch das Augenlicht wieder. am Glauben seines Volkes fest. ... und die Moral von der Geschicht? * Tobit 8,21 Ein Engel reist inkognito mit Das Buch Tobit, das im zweiten Jahrhundert ** Die Namen Tobit Bevor Tobit sein einziges Kind Tobias auf vor Christus entstanden ist, ist kein Bericht. und Tobias sind abge den langen und riskanten Weg schickt, um Es spricht von den Erfahrungen des Volkes leitet von Tobija und bedeuten „Gut ist Gott seinen „Notgroschen“ zu holen, gibt er ihm Israel mit seinem Gott – und kann uns des- (JHWH)“. Ratschläge fürs Leben mit: „Alle deine Tage, halb vielleicht auch noch etwas sagen: *** Auch Rafael ist ein Kind, gedenke des Herrn! ... Wie es dir mög- Wo ihr auch seid, was ihr auch tut, Gott „sprechender Name“ und bedeutet „Als Hei lich ist, aus dem Vollen schöpfend – gib da- ist bei euch – zu Hause und auf Reisen. Er Fotos: Wikimedia Commons | Christine Reuß ler erweist sich Gott“. von Almosen!“ (Tobit 4, 5+8) und viele mehr. ist bei euch und euren Kindern, auch wenn Als Reisebegleiter bietet sich Asarja an, ihr sie selbst nicht beschützen könnt. Er hilft Quellen: der eigentlich der Engel Rafael*** ist – auf euch, Gefahren zu überwinden und daraus Das Buch Tobit, auf: bibelwerk.de dem Gemälde daran zu erkennen, dass er Kraft zu schöpfen. Er ist da, wenn ihr zu Tobit, auf: zwar normale Kleidung, aber ein Paar Flü- neuen Ufern aufbrecht, wenn euch die Lie- bibelwissenschaft.de gel trägt ... Auch der Familienhund hat sich be begegnet und euch die Mächte der Ei- SWR4 Sonntagsgedan- mit auf den Weg gemacht! Tobias’ Mutter fersucht und des Todes bedrohen. Er ist da, ken, Dr. Maria Mees ters, Sendemanuskript Hanna macht unterdessen Tobit Vorwür- wenn es vor euren Augen dunkel wird, und 10.7.2011 fe: „Warum hast du unseren Sohn wegge- er lässt euch wieder das Licht schauen. 16 | martinsfeuer advent 2020 Schritte wagen
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