Filmheft - Ben X Nic Balthazar Belgien, Niederlande 2007 - Bundeszentrale für politische Bildung
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■ ■ Filmbildung Medien prägen unsere Welt. Nicht selten schaffen sie ihr eigenes Universum – schnell und pulsierend, mit der suggestiven Kraft der Bilder. Überall live und direkt dabei zu sein, ist für die junge Generation zum kommunikativen Ideal geworden, das ein immer dichteres Geflecht neuer Techniken legitimiert und zusehends erfolgreich macht. Um in einer von den Medien bestimmten Gesellschaft bestehen zu können, müssen Kinder und Jugendliche möglichst früh lernen, mit Inhalt und Ästhetik der Medien umzugehen, sie zu verstehen, zu hinterfragen und kreativ umzuset- zen. Filmbildung muss daher umfassend in deutsche Lehrpläne eingebunden werden. Dazu ist ein Umdenken erforderlich, den Film endlich auch im öffent- lichen Bewusstsein in vollem Umfang als Kulturgut anzuerkennen und nicht nur als Unterhaltungsmedium. Kommunikation und Information dürfen dabei nicht nur Mittel zum Zweck sein. Medienbildung bedeutet auch, von den positiven Möglichkeiten des aktiven und kreativen Umgangs mit Medien auszugehen. Medienkompetenz zu vermitteln bedeutet für die pädagogische Praxis, Kinder und Jugendliche bei der Mediennutzung zu unterstützen, ihnen bei der Verarbeitung von Medienein- flüssen und der Analyse von Medienaussagen zu helfen und sie vielleicht sogar zu eigener Medienaktivität und damit zur Mitgestaltung der Medienkultur zu befähigen. Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb sieht die Medien nach wie vor als Gegenstand kritischer Analyse an, weil Medienkompetenz in einer von Medien dominierten Welt unverzichtbar ist. Darüber hinaus werden wir den Kinofilm und die interaktive Kommunikation viel stärker als bisher in das Konzept der politischen Bildung einbeziehen und an der Schnittstelle Kino und Schule arbeiten: mit regelmäßig erscheinenden Filmheften wie dem vorliegenden, mit Kinoseminaren, themenbezogenen Reihen, einer Beteiligung an bundesweiten Schulkinowochen, Mediatoren/innenfortbildungen und verschiedenen anderen Projekten. Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung Impressum Herausgeberin: Bundeszentrale für politische Bildung/bpb, Fachbereich Multimedia Adenauerallee 86, 53113 Bonn, Tel. 0228 99-515-0, Fax 0228 99-515-113, info@bpb.de, www.bpb.de Autorin: Kirsten Taylor Arbeitsblätter und Unterrichtsvorschläge: Petra Anders Redaktion: Katrin Willmann (bpb, verantwortlich), Ula Brunner, Marguerite Seidel (bpb, Volontärin) Redaktionelle Mitarbeit: Monika Kijas (bpb, Praktikantin) Wissenschaftliche Beratung: Andreas Hedrich (jaf – Junger Arbeitskreis Film und Video e.V. / Initiative Creative Gaming) Satz und Layout: Susann Unger Druck: Quedlinburg DRUCK GmbH, Quedlinburg Bildnachweis: Kinowelt Filmverleih GmbH © Mai 2008
Inhalt Ben X Belgien, Niederlande 2007 4 Inhalt Buch und Regie: Nic Balthazar nach seinem Roman „Niets was alles wat hij zei“ Kamera: Lou Berghmans 4 Figuren Schnitt: Philippe Ravoet 6 Problemstellung Musik: Praga Khan 10 Filmsprache Darsteller/innen: Greg Timmermans (Ben), Laura Verlinden (Scarlite), Marijke Pinoy (Mutter), Pol Goossen (Vater), Titus De Voogdt (Bogaert), Maarten Claeyssens 13 Exemplarische (Desmet), Gilles De Schryver (Coppola) u. a. Sequenzanalyse Produktion: MMG Produktion in Koproduktion mit één & BosBros. Film-TV 14 Fragen Productions in Zusammenarbeit mit dem Flämischen Filmfond, Media Plus u.a. 15 Arbeitsblatt Länge: 90 Minuten FBW: besonders wertvoll 16 Unterrichts- FSK: ab 12 Jahren, empfohlen ab 14 Jahren vorschläge Kinoverleih: Kinowelt Filmverleih GmbH 17 Sequenzprotokoll Preise (Auswahl): Montréal World Film Festival 2007: Hauptpreis, Publikumspreis, Preis der ökumenischen Jury; Emirates Film Competition Abu Dhabi 2007: 19 Materialien Schwarze Perle (Bester Film) 22 Literaturhinweise Filmheft BEN X 3
■ ■ Inhalt ■ ■ Figuren Jeden Morgen ist Ben ein Held. Dann taucht er in die Fantasy-Abenteuerwelt von Archlord ein, einem ■ Massen- Mehrspieler-Online Rollenspiel. Im ■ Cyberspace wird aus dem Schüler Ben der stolze Ritter Ben X, der sich gemeinsam mit der schönen Magierin Scarlite allen Herausforderungen stellt. Im mythischen Reich von Archlord ist Ben stark und angesehen. Doch so- bald er sich aus dem Spiel ausloggt, beginnt sein eigentlicher Kampf in der realen Welt, deren Regeln er nicht ver- Ben Bens Mutter steht, und deren Ansprüche ihn über- Für den autistischen Schüler gleicht Die allein erziehende Mutter von zwei fordern. Denn Ben leidet am Asperger- jeder Tag einem Überlebenskampf. Söhnen versucht alles, um ihrem Ältes- Syndrom, einer ■ autistischen Persön- Der Alltag mit Familie und Schule, die ten ein normales Leben zu ermögli- lichkeitsstörung, die ihm ein soziales Anforderungen der Umwelt überfor- chen. Doch ihre Versuche, ihm nahe Miteinander erschwert und ihn zum dern ihn. Ben fällt als Sonderling auf: zu kommen, scheitern an Bens Ver- Außenseiter macht. Er vermeidet Blick- und Körperkontakt, schlossenheit. Für ihr Sorgenkind stellt Jeden Tag schickt Bens allein erziehen- schottet sich ab und wirkt unbeholfen. die Endvierzigerin eigene Ansprüche de Mutter ihren Sohn mit ermutigenden Wenn er spricht, scheint dies einstu- zurück. Ihre Ehe ist an der Aufgabe, Worten zur Technischen Schule. Jeden diert und emotionslos. Für seine ein autistisches Kind zu erziehen, zer- Tag bemüht sich Ben, nicht aufzufallen. Mitschüler Bogaert und Desmet ist brochen. Dass die Gesellschaft es Er beobachtet seine Umwelt, versucht, er deshalb „das Marsmännchen“. Ben durch Unverständnis und Aus- sie zu verstehen – und hat doch keine Entspannung und Anerkennung findet grenzung erschwert, ein würdevolles Chance. Schon gar nicht gegen seine Ben nur im Rollenspiel Archlord. Dort Leben zu führen, macht sie wütend. Klassenkameraden Bogaert und Des- hat er als Ritter Ben X einen hohen Aber auch sie muss erst lernen, Bens met, die ihn systematisch ■ mobben. Spielstand erreicht und in der Mitspie- wahre Bedürfnisse zu erkennen. Eines Tages eskaliert die Situation: lerin Scarlite eine treue Gefährtin ge- Desmet und Bogaert erniedrigen Ben funden. Die virtuelle Welt beeinflusst Bens Vater vor der Klasse. Schutzlos steht er vor jedoch zunehmend seine Wahrneh- Den Autismus seines Sohnes empfin- der johlenden Meute, die ihn mit Han- mung der Wirklichkeit. Mit Scarlites det er als Stigma. Er besteht darauf, dy-Kameras filmt. Doch damit nicht Hilfe lernt Ben schließlich, sich selbst dass Ben eine normale Schule be- genug: Seine Peiniger senden Ben zu akzeptieren und sich auch in der sucht, in der dieser aber nicht speziell diese Aufnahmen per E-Mail und MMS realen Welt zu behaupten. gefördert werden kann. In der Anwe- zu und lassen ihm keine Ruhe. senheit seines Sohnes fühlt er sich Psychisch am Ende, scheint es für ihn unsicher, er versagt in seiner Rolle als nur noch einen Ausweg zu geben: im Vater. Nach der Scheidung von Bens Suizid. Alleine seiner virtuellen Freundin Mutter lebt er mit einer anderen Frau Scarlite vertraut er sich an, die ihm da- zusammen. Als Ben ihn um Hilfe bittet, raufhin ihre Hilfe anbietet. Mit Scarlite kann er endlich etwas Konkretes für als Begleiterin und mit Unterstützung seinen Sohn tun. seiner Eltern findet Ben einen unge- wöhnlichen Weg aus seiner Not. 4 Filmheft BEN X
■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Autismus Die tiefgreifende Entwicklungsstörung beginnt im Kindesalter und wird durch eine angeborene Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitungsstörung des Gehirns verursacht. Neben Verhal- tensauffälligkeiten ist bei Betroffenen die Fähigkeit zur sozialen Kommuni- kation und Interaktion stark beein- trächtigt. Zugleich können autistische Menschen aber auch hohe Gedächt- nis- und Konzentrationsleistungen auf- weisen. Die Symptome und Schwere- grade von Autismus sind vielfältig und reichen von relativer Verhaltensunauf- fälligkeit bis zur geistigen Behinderung. Das so genannten Asperger-Syndrom gilt als leichte Form des Autismus. Hier sind beispielsweise sprachliche und intellektuelle Fähigkeiten meist gut bis sehr gut entwickelt. Mobbing Mobbing ist eine Form von psychi- scher und/oder physischer Gewalt Bogaert und Desmet Massen-Mehrspieler-Online- gegen eine Person über einen langen Die beiden Freunde sind ein infernali- Rollenspiel (MMORS) Zeitraum hinweg. Ziel ist es, das Opfer sches Duo, das skrupellos Schwäche- Das Computerspiel im Rollenspielgenre auszugrenzen und darüber selbst an wird in der Regel als MMO(RPG) – gesellschaftlichem Einfluss zu gewin- re schikaniert. Ganz offensichtlich vom Englischen „Massively Multiplayer nen. Mobbing spielt sich meist in genießen sie dabei ihre Macht und einem festen sozialen Rahmen ab, Online Role-Playing Game“ – bezeich- Stärke. Bens Wehrlosigkeit verführt net. Hier können per Internet gleichzei- etwa am Arbeitsplatz oder in der sie dazu, zunehmend hemmungsloser tig mehrere tausend User/innen mitein- Schule, und basiert auf gruppendyna- gegen ihn vorzugehen. Die Konse- ander spielen und handeln. mischen Prozessen: Eine Gruppe aus quenzen ihrer Taten interessieren sie Haupttätern/innen und Mitläufern/innen nicht. Sie fühlen sich unangreifbar. Cyberspace schikaniert systematisch eine Einzel- Das Kunstwort setzt sich aus dem person, wobei die Mobber meist subtil Im Klassenverband haben beide das Englischen „cyber“, einer Kurzform von vorgehen, so dass Ausstehende oft Sagen: von den einen bewundert, von nichts davon mitbekommen. Folgen für „cybernetics“ (Kybernetik), und „space“ den anderen gefürchtet. (Raum) zusammen. Geprägt wurde der das Opfer sind unter anderem starke Begriff von dem US-amerikanischen Verunsicherung, Verlust des Selbst- Scarlite Schriftsteller William Gibson, der den bewusstseins und der Arbeitsmotiva- Hinter der Figur verbirgt sich ein Mäd- Cyberspace als Handlungsraum für tion, Angstzustände sowie sozialer chen, das regelmäßig das Rollenspiel seinen Science-Fiction-Roman „Neuro- Rückzug. Archlord spielt und dort ungeduldig mancer“ (1984) verwendete. Er be- zeichnet damit eine künstliche Paral- Ben als Mitspieler erwartet. In Archlord lelwelt, die in einem weltumspannen- schlüpft sie in die Rolle der Magierin den Computernetzwerk besteht und Scarlite, die an der Seite von Ben X über Schnittstellen – Eingabegeräte mit Zauberkräften kämpft. Obwohl wie Tastatur, Maus, Gamepad – zu- sich Ben und das Mädchen bislang gänglich ist. Umgangssprachlich wird nie wirklich begegnet sind, sind sie der Ausdruck oft als Synonym für das durch das gemeinsame Spielen sehr Internet oder das World Wide Web (WWW) benutzt. vertraut miteinander. Als Scarlite von Bens Suizidplänen erfährt, tritt die selbstbewusste junge Frau in sein reales Leben. Filmheft BEN X 5
■ ■ Problemstellung BEN X basiert auf Nic Balthazars Jugendroman „Niets was alles wat hij zei“ (2002) zu Deutsch „Nichts war alles, was er sagte.“ Die Idee zu die- sem Buch entstand durch eine Zei- tungsnotiz: Ein 17-Jähriger, der an einer leichten Form von Autismus litt, hatte sich in Balthazars Heimatstadt Gent in den Tod gestürzt, weil er die Quälereien seiner Mitschüler/innen nicht mehr ertragen konnte. Von einem Interview mit der Mutter des Jungen Sigourney Weaver, lebt recht isoliert, Ben – eine autistische berührt, entschied sich Balthazar, doch eigenständig. Als sie die Nach- Persönlichkeit selbst Vater zweier Kinder, diesen richt vom Tod ihrer Tochter erreicht, Vorfall seinem Roman zu Grunde zu reagiert sie irritierend emotionslos. Wie In BEN X muss der autistische Schüler legen. BEN X werben auch diese Filme dafür, Ben lernen, sich selbst zu akzeptieren, BEN X leistet einen aufklärenden, mit- sich auf autistische Personen einzulas- eine ■ Identität zu entwickeln und sein fühlenden, aber nie moralisierenden sen und deren Andersartigkeit zu Leben selbst in die Hand zu nehmen. Beitrag zu gesellschaftlichen Proble- akzeptieren. In seinem inhaltlich und Auf seine inneren Konflikte spielt auch men wie Umgang mit Außenseitern/ formal äußerst komplexen Film be- der Filmtitel an: Seinem ■ Avatar in innen und Jugendgewalt. Der Film bie- schäftigt sich Balthazar außerdem mit Archlord gibt Ben den Namen Ben X, tet zudem eine sensible Auseinander- jugendrelevanten Themen: Flucht in ein Verweis auf die Superhelden der setzung mit dem Thema Autismus, virtuelle Welten, Drogen, Einsamkeit, X-MEN-Comics und -Filme, deren einer Behinderung, die relativ weit ver- Selbstmord, aber auch Freundschaft übermenschliche Fähigkeiten sie zu breitet ist: Unter Berücksichtigung des und erste Liebe. Die zeitgenössische Außenseitern/innen machen. Darüber gesamten Spektrums autistischer Stö- Problematik gewinnt zudem eine uni- hinaus bedeutet der Titel auf Flämisch rungen, kann man laut Bundesverband verselle Dimension durch symbolhafte lautsprachlich „Ich bin nichts.“ autismus Deutschland e.V. davon aus- Analogien zur christlichen ■ Passions- Bens Autismus, so der Regisseur in gehen, dass von 10.000 Menschen bis geschichte: ein Kreuz, das sich Ben einem Interview, sei „ein Symbol, eine zu 25 Personen betroffen sind. schmiedet, eine „Erlöserszene“ in der Allegorie für Menschen, denen es Auf das Phänomen Autismus wurde Schulkapelle. Dennoch wirkt der Film schwer fällt, sich sozialen Codes eine breite Öffentlichkeit erstmals durch nicht überfrachtet, bleibt glaubhaft und unterzuordnen.“ Bens Unfähigkeit mit einen Oscar®prämierten Spielfilm auf- nachvollziehbar. Dass Ben schließlich Gleichaltrigen zu kommunizieren, sein merksam: In RAIN MAN (1988) von eine kreative Lösung für seine Proble- fehlendes Verständnis für soziale Barry Levinson spielt Dustin Hoffman me findet, führt zu einem optimisti- Codes, sein mangelnder Wunsch nach den Autisten Raymond Babbitt, ein schen Ausgang: Statt Selbstaufgabe sozialer Interaktion entspringen der Zahlengenie mit phänomenalem Ge- propagiert BEN X Selbstbehauptung. autistischen Störung. Rituale und ste- dächtnis, der sich aber oft wie ein stör- reotype Handlungen prägen und risches Kind benimmt. Eine ähnliche strukturieren sein Leben: Das betrifft Figur entwirft auch Marc Evans in sei- seine minutiöse Morgentoilette ebenso nem Film SNOW CAKE (2006): Die wie das präzise, immergleiche Zertei- Autistin Linda Freeman, dargestellt von len seines Toasts. Denn für ihn ist die 6 Filmheft BEN X
■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Passion/Passionsgeschichte Die Passionsgeschichte beschreibt den Leidensweg von Jesus Christus, beginnend von seiner Verhaftung bis zu seiner Kreuzigung durch die Römer in Jerusalem. Sie ist das zentrale Thema der vier Evangelien im Neuen Testament. Identität Als psychologischer Fachbegriff be- zeichnet „Identität“ das Selbstver- ständnis einer Person. Dieses wird nicht mehr als unveränderliche Einheit Umwelt chaotisch und voller Regeln, Gesellschaftliche Normen – Oder: angesehen, sondern als dynamisch die er nicht versteht. Angespannt, den Was ist normal? und vielfältig („Patchwork-Identität“). Blick nach unten gerichtet, die Musik aus dem Kopfhörer als Lärmschutz Wie geht die Gesellschaft mit Anders- Avatar nutzend, läuft er durch die Straßen. sein um? Wie reagiert sie auf Verstöße Ein Avatar ist eine grafische Darstel- Sein Alltag stellt ihn vor Aufgaben – gegen die ■ soziale Norm? Nic Bal- lung, um sich als animierte Person im normal sein, nicht auffallen –, die er thazar veranschaulicht dies mithilfe digitalen Raum zu präsentieren. Diese nicht bewältigen kann. Da er nach eines Protagonisten, der sich aufgrund Figuren werden von den Usern/innen jeweils selbst gestaltet. Mit Hilfe sol- außen hin kaum Anzeichen einer Be- seiner Behinderung nicht so benimmt, cher virtueller Alter Egos können hinderung zeigt, wird sein introvertier- wie es von einem Teenager, Sohn, Internet-Nutzer/innen mit anderen tes Verhalten von seiner Umwelt als Schüler oder Bruder erwartet wird. Avataren interagieren, etwa bei Spielen Sonderlichkeit, Unhöflichkeit oder gar Zugleich hinterfragt BEN X allgemein oder in Chaträumen. Der Begriff leitet Provokation fehlinterpretiert. Eine akzeptierte Normen: Denn Ben nimmt sich von dem Wort „Avatara“ (Sanskrit: zwanglose Alltagskonversation mit auch seine Umwelt anders wahr. Seine Herabkunft) ab – im Hinduismus eine Bezeichnung für die Gestalt eines Ben ist ein fast unmögliches Unterfan- Sichtweise legt offen, dass viele sozia- Gottes auf Erden. gen, nicht zuletzt weil er Floskeln, len Rituale letztlich sinnentleert und Metaphern oder Ironie wörtlich nimmt. floskelhaft sind. Mit seinem „Fehlver- Soziale Norm So begreift er beispielsweise nicht, halten“ verunsichert Ben seine Mit- Soziale Normen sind Vorschriften, die warum er seine Mutter mit „Guten menschen. Als Kind wird er von einem mögliche Verhaltensweisen in einer Morgen“ grüßen soll, wenn er diesen Arzt zum nächsten geschickt, schließ- bestimmten sozialen Situation definie- Morgen gar nicht als gut empfindet. lich wollen die besorgten Eltern wis- ren. Sie sind von den meisten Mitglie- Umso sicherer fühlt sich Ben beim sen, was mit ihrem Sohn nicht stimmt. dern einer sozialen Gruppe akzeptiert und werden als bekannt vorausge- Rollenspiel Archlord, dessen klar defi- Die einen bezeichnen ihn als „speziell“, setzt. Dadurch wird das Handeln von nierte Regeln er begreift. Für den andere als „emotional dysfunktional“ – Interaktionspartnern/innen in bestimm- Jugendlichen, der sich weder in sein Versuche, Bens auffälliges Verhalten tem Maße vorhersehbar, gleichzeitig Gegenüber hineindenken noch eigene einzuordnen. Anfangs glauben seine werden Verhaltensmöglichkeiten aber Gefühlslagen verbal oder mimisch Eltern sogar, er sei taub. Dabei spielt auch reduziert. Die Einhaltung sozialer ausdrücken kann, stellt das Online- ihr Sohn nur konzentriert und hat die Normen unterliegt der sozialen Kon- Rollenspiel eine wichtige Möglichkeit Außenwelt längst ausgeblendet. Für trolle. dar, mit anderen Menschen auf selbst- die Eltern mag es eine Erleichterung bestimmte Weise in Kontakt zu treten: sein, als es für sein Verhalten endlich Hier läuft Kommunikation auf einer eine medizinische Diagnose gibt: das schriftlichen Ebene ab und Ironie oder Asperger-Syndrom. Doch Ben fühlt Freude werden unmissverständlich sich missverstanden: „Sie denken sich durch entsprechende Emoticons immer wieder neue Theorien über (Zeichenfolgen, die Smileys nachbil- meine Persönlichkeit aus. Dabei ken- den) angezeigt. nen sie mich gar nicht.“ Statt mit Verständnis reagiert die Um- welt überwiegend mit Ablehnung und Ausgrenzung auf Bens Behinderung, von Hänseleien im Kindergarten bis zur systematischen Schikane in der Filmheft BEN X 7
■ ■ Problemstellung Schule. Wenn er ein Ballspiel nicht versteht, werden die Kinder wütend, die Lehrerin zeigt Ungeduld. Immer sei er es, der alles falsch mache, beklagt sich Ben. Niemand könne ihm jedoch sagen, was richtig sei. Bens Beob- achtungen helfen ihm nicht weiter, denn er versteht nicht, was gemeinhin als „normal“ gilt. Die Menschen, stellt Ben fest, müssen immer reden. Aber haben sie sich auch immer etwas zu sagen? Durch diese Hinterfragung sozialer Verhaltensweisen hält BEN X den scheinbar „Normalen“ einen Klasse die Hosen herunterziehen, steigt Online- und Computerspiele: Spiegel vor. jedoch fast der gesamte Klassenver- Flucht und Zuflucht band ein, beleidigt ihn als „Loser“ und Mobbing: Opfer und Täter filmt ihn mit Handy-Kameras. Nur zwei In der öffentlichen Diskussion werden Mitschüler/innen missbilligen die Über- Ego-Shooter und andere Computer- Jugendgewalt, wie in BEN X darge- griffe, schreiten aber – aus Angst oder spiele, die das Kämpfen zum Thema stellt, ist ein gesellschaftliches Hilflosigkeit – nicht ein. Allerdings do- haben, oft als unmittelbare Auslöser Dauerthema. In diesem Zusammen- kumentiert einer von ihnen den Vorfall für Gewalthandlungen, wie etwa im hang wird zunehmend auf das Pro- mit Bens Kamera und gibt ihm so ein Zusammenhang mit Amokläufen in blem Mobbing verwiesen, das vielfach Beweismittel in die Hand. Schulen oder Universitäten, gesehen. im Schulkontext auftritt. Moderne Ben wird gemobbt, weil er Autist ist. Bei Online-Spielen wird zudem das Kommunikationstechniken wie E-Mail Seine Leidensgeschichte wäre indes Problem der ■ Entfremdung, Verein- oder Mobilfunk haben dabei zu neuen ähnlich denkbar, wenn er sich durch samung, des ■ Eskapismus oder Erscheinungsformen geführt, bei- Hautfarbe, Nationalität oder Religion „Virtualisierung“ von Beziehungen kriti- spielsweise dem so genannten von der Mehrheit abheben würde. siert. Selten werden Computerspiele, ■ Happy Slapping oder „Cyber- Ausgrenzung und Mobbing sind keine vor allem Rollenspiele, auch als Teile Mobbing“, Mobbing per Internet. Eine Einzelphänomene, sie können jeden einer altersübergreifenden Alltagskultur Studie der Universität München aus Menschen treffen. Ben selbst weiß verstanden, die Kreativität und soziale dem Jahre 2006 belegt, dass einer/ nicht, wie er auf die Attacken reagie- Interaktion fördern. eine von 25 Schülern/innen wöchent- ren soll – und ähnelt darin anderen Das Online-Rollenspiel Archlord ist für lich ein- oder mehrmals von Mobbing Mobbing-Opfern. Viele suchen die Ben die einzige Möglichkeit, sozialen betroffen ist. Auf die Gesamtzahl der Schuld zunächst bei sich, sind Austausch und Anerkennung zu erle- Schüler/innen hochgerechnet, ereig- bemüht, sich anzupassen und keine ben, und stellt eine positive Erwei- nen sich an deutschen Schulen jede Angriffsfläche mehr zu bieten. Ben terung seines Alltags dar. In Archlord Woche rund eine halbe Million flüchtet sich mental in die Archlord- begegnen Ben die Mitspieler/innen Mobbing-Übergriffe. Ben kann mit Welt und hofft, die Angriffe so psy- vorurteilsfrei. „Im Spiel kannst du sein, den gängigen Umgangsformen seiner chisch unbeschadet zu überstehen. wer oder was auch immer du sein Mitschüler/innen wenig anfangen und Mit wenig Erfolg: Als sich seine Wut willst“, erklärt er. Ohne Angst vor den wird ausgegrenzt. Anfangs sind es nur eine Bahn bricht, zerschlägt er im Reaktionen anderer kann Ben Rollen Desmet und Bogaert, die ihn systema- Affekt ein Fenster, später reagiert er ausprobieren. So hat er sich einen tisch schikanieren. Als sie ihm vor der zunehmend autoaggressiv. starken Ritter als Spielfigur gewählt. 8 Filmheft BEN X
■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Happy Slapping Der englische Begriff bedeutet über- setzt „fröhliches Schlagen“ und be- zeichnet im Szenejargon eine Form von Gewalt, die überwiegend von Jugendlichen ausgeübt wird: Mit Handy-Kameras werden Misshand- lungen und Demütigungen aufgenom- men, die man selbst an mitunter frem- den Personen begeht. Wie Trophäen werden die Clips oder Fotos herumge- zeigt oder im Internet veröffentlicht. Entfremdung Im Marxismus im 19. Jahrhundert als Unvermögen der Arbeiterklasse be- schrieben, sich aufgrund der kapitali- stischen Ordnung selbst zu verwirk- lichen und mit der Arbeit zu identifizie- ren, steht der Begriff heute allgemein für einen Prozess, bei dem ein Mensch seine Beziehung zu sich selbst, zum Beruf oder zur Gesellschaft verliert, weil er Abläufe nicht mehr überblicken kann. Folgen sind Gefühle von Macht- und Sinnlosigkeit sowie Vereinsamung. Aber wie in der Realität agiert Ben Scarlite wird in seiner Vorstellung nun auch in der virtuellen Welt als Einzel- auch außerhalb des Online-Spiels zu Eskapismus gänger und schließt sich nicht, wie es seiner ständigen Begleiterin und hilft Die Psychologie versteht darunter ein ausweichendes Verhalten, eine Flucht in Archlord möglich ist, mit anderen ihm dabei, Entscheidungen zu treffen. vor der Realität oder dem Alltag mit Spielern/innen zusammen. Allerdings Sie überzeugt ihn, ein Endspiel nach seinen Anforderungen in eine Schein- ist er dort fähig, mit Scarlite eine eigenen Regeln zu spielen: Ben über- welt. In der Medienforschung gilt Es- Freundschaft zu schließen, die ihm redet seine Eltern, ihm bei der Um- kapismus als ein wichtiges Motiv für auch außerhalb des Spiels Halt gibt. setzung eines fingierten „kreativen die Mediennutzung, etwa zur Ent- Zunehmend verschmelzen für Ben Selbstmords“ zu helfen. Mit dem vor- spannung, als Ausgleich vom Alltag aber virtuelle und reale Welt, beein- getäuschten Tod will er nicht nur auf oder als Ablenkung von Problemen. flusst das Fantasy-Abenteuerspiel seine Leidensgeschichte aufmerksam seine Wahrnehmung der tatsächlichen machen, sondern auch seine Peiniger Ereignisse. Dann sieht er sich selbst zur Verantwortung ziehen. Dieser Akt als Ritter, während etwa Bogaert und der Selbstbehauptung ist Anlass für Desmet die Gestalt von Monstern an- weitere Aktivitäten, die Bens Selbst- nehmen, wie er sie sonst in Archlord bewusstsein stärken: Bei einer Pfer- bekämpft. Eine konstruktive Ausein- detherapie erlebt er ungekannte andersetzung mit seinen Peinigern Glücksgefühle. Ben hat sich damit wird mit dieser Realitätsverschiebung auch in der Realität den Herausfor- unmöglich. Schließlich glaubt er gar, derungen gestellt und sie erfolgreich seiner Opferrolle nur entkommen zu bewältigt. können, indem er sich für das „End- spiel“, also den Suizid, entscheidet. Doch Scarlite erklärt ihm, dass der Tod im wirklichen Leben endgültig ist. Zwar ist Ben dem realen Mädchen hinter dem Avatar nur ein einziges Mal begegnet – am Bahnhof und danach im Zug – aber dieses kurze Aufeinan- dertreffen ist für ihn der Auslöser, sie in seine Gedankenwelt mitaufzunehmen. Filmheft BEN X 9
■ ■ Filmsprache BEN X ist dem ■ Coming-of-Age- men unter anderem Bens Eltern und Detailaufnahmen, Untersicht und Genre zuzuordnen, das sich mit den Lehrer zu Wort. Sie bewerten im ■ Schuss-Gegenschuss-Technik. Problemen des Erwachsenwerdens Rückblick ein Ereignis – den fingierten Zusätzlich arbeitet der Film mit Kame- beschäftigt. Nic Balthazar schöpft für Selbstmord – von dem die Zuschau- rafahrten, Überblendungen und Un- sein Kinodebüt die erzählerischen und enden noch nichts wissen, was zum schärfen. Damit wird zweierlei bewirkt: ästhetischen Möglichkeiten des Spiel mit den Erwartungen des Pub- Einmal erfahren die Zuschauenden, Mediums Film voll aus und fordert likums und zum weiteren Spannungs- wie Ben die Welt wahrnimmt. Eine damit von den Zuschauenden ein aufbau beiträgt. Zugleich runden die Bilderflut strömt auf den sensiblen hohes Maß an Konzentration, um dem Interviewten mit ihrer Sichtweise die jungen Mann ein – mehr Eindrücke, spannungsreichen Geschehen folgen Geschehnisse zu einem vielschichtigen als er verarbeiten kann. Bens Sicht zu können. Gesamtbild ab. Erst am Ende des wirkt fragmentarisch und häufig auch Films erkennen die Zuschauenden, verzerrt: So werden sprechende Men- Narration, Erzählstruktur dass die Interviewszenen Teil einer schen häufig in extremen Detailauf- und Erzählperspektive Fernsehreportage über Bens vorge- nahmen bis zur Unkenntlichkeit ent- täuschten Selbstmord sind. Erscheint fremdet. Andererseits verweist die Die Geschichte wird überwiegend aus BEN X anfangs als chronologisch visuelle Gestaltung auf die Computer- Bens Perspektive erzählt, der in fast erzählte Handlung, entpuppt sich die spielwelt, wo man anhand der Spiel- jeder Szene zu sehen ist. Umgesetzt Geschichte als autobiografischer steuerung verschiedene Perspektiven wird dies durch den häufigen Einsatz Rückblick des Protagonisten. einnehmen und sich einen Überblick einer ■ subjektiven Kamera sowie verschaffen kann. In BEN X wird dies von ■ Voice-Over. Dramatische Höhe- Kamera und Montage als charakteristisches Gestaltungsele- punkte bilden dabei die Mobbing- ment übernommen. Die Machart des Szenen im Klassenraum und im Park, Die visuelle Gestaltung in BEN X Films verändert sich auffällig, als bei denen mit starken Spannungsele- zeichnet sich durch viele schnelle Scarlite in Bens Leben tritt: Er ent- menten gearbeitet wird. Wiederholt Schnitte und eine dynamische Kame- spannt sich, was ein verlangsamter wird der Erzählfluss durch ■ Rück- ra aus, bei der sich ■ Perspektive, ■ Montagerhythmus und eine ruhige- blenden sowie durch reportageartige ■ Einstellungsgröße und Standort re Kamera widerspiegeln. So wird den Interviewszenen durchbrochen. Die häufig verändern. Deutlich wird dies Zuschauenden mithilfe von Kamera Rückblenden zeigen Ben meist als etwa in Szenen, in denen Ben unter- und Montage eindrücklich vermittelt, Kind und illustrieren seine lebenslange wegs ist oder angegriffen wird: Dann wie Ben sich fühlt und wie er seine Außenseiterrolle. In den dokumenta- wechseln in schneller Reihenfolge Umgebung erlebt. risch wirkenden Interviewszenen kom- Obersicht, Halbnaheinstellungen, 10 Filmheft BEN X
■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Coming-of-Age-Filme bedrohlich, während die Aufsicht/ Montage Sammelbegriff für Filme, in denen Obersicht Personen oft unbedeutend, Mit Schnitt oder Montage bezeichnet jugendliche Hauptfiguren erstmals mit klein oder hilflos erscheinen lässt. Die man die nach narrativen Gesichts- grundlegenden menschlichen Fragen Vogelperspektive kann Personen als punkten und filmdramaturgischen oder Gefühlen konfrontiert sind und einsam darstellen, ermöglicht in erster Wirkungen ausgerichtete Anordnung langsam erwachsen werden. Linie aber Übersicht und Distanz. Die und Zusammenstellung der einzelnen Schrägsicht/gekippte Kamera evoziert Bildelemente eines Filmes von der ein- Subjektive Kamera einen irrealen Eindruck und wird häufig zelnen Einstellung über die Auflösung Mit der subjektiven Kamera, auch in Horrorfilmen eingesetzt oder um das einer Szene bis zur Szenenfolge und Point of View Shot genannt, wird der innere Chaos einer Person zu visuali- der Anordnung der verschiedenen Blickwinkel des Erzählenden oder sieren. Sequenzen. Mit Hilfe der Montage las- eines Protagonisten nachgeahmt. Man sen sich verschiedene Orte und sieht damit die Welt aus der subjekti- Einstellungsgrößen Räume, Zeit- und Handlungsebenen ven Sichtweise der jeweiligen Figur. In der Filmpraxis haben sich bestimmte so miteinander verbinden, dass ein Diese Kameraperspektive stellt eine Einstellungsgrößen durchgesetzt, die kohärenter Gesamteindruck entsteht. Erweiterung der beschreibenden sich an dem im Bild sichtbaren Aus- Während das klassische Erzählkino (als Außensicht dar und erleichtert den schnitt einer Person orientieren: Die Continuity-System oder Hollywood- Zuschauenden das Sich-Einfühlen in Detailaufnahme umfasst nur bestimmte Grammatik bezeichnet) die Übergänge Charaktere. Körperteile wie etwa die Augen oder zwischen den Einstellungen sowie den Hände, die Großaufnahme (engl.: close Wechsel von Ort und Zeit möglichst Voice-Over up) bildet den Kopf komplett oder unauffällig gestaltet, versuchen andere Auf der Tonspur vermittelt eine Erzäh- leicht angeschnitten ab, die Nahein- Montageformen, den synthetischen lerstimme Informationen, die der Zu- stellung erfasst den Körper bis etwa Charakter des Films zu betonen. schauende zum besseren Verständnis zur Brust („Passfoto“). Der Sonderfall der Geschichte benötigt und die mit- der Amerikanischen Einstellung, die Farbgebung unter auch Ereignisse zusammenfas- erstmals im Western verwendet wurde, Farbwirkungen können sowohl über sen, die nicht im Bild zu sehen sind. zeigt eine Person vom Colt bezie- die Beleuchtung wie über Requisiten Häufig tritt der Off-Erzähler als retro- hungsweise der Hüfte an aufwärts und (Gegenstände, Bekleidung) erzeugt spektiver Ich-Erzähler auf. ähnelt sehr der Halbnah-Einstellung, in werden. Signalfarben lenken die der etwa zwei Drittel des Körpers zu Aufmerksamkeit, fahle, triste Farben Rückblende sehen sind, in der Halbnah-Einstellung senken die Stimmung. Die Erzähltechnik der Rückblende sind etwa zwei Drittel des Körpers zu (engl.: flashback) unterbricht den linea- sehen. Die Halbtotale erfasst eine Per- Filmmusik ren Erzählfluss und gestattet es, nach- son komplett in ihrer Umgebung und Das Filmerlebnis wird wesentlich von träglich in der Vergangenheit liegende die Totale präsentiert die maximale der Filmmusik beeinflusst. Sie kann Ereignisse darzustellen. Dramaturgisch Bildfläche mit allen agierenden Per- Stimmungen untermalen (Illustration), führt dies zu einer Spannungssteige- sonen; sie wird häufig als einführende verdeutlichen (Polarisierung) oder im rung, unterstützt die Charakterisierung Einstellung (engl.: establishing shot) krassen Gegensatz zu den Bildern ste- der Hauptfiguren und liefert zum Ver- oder zur Orientierung verwendet. hen (Kontrapunkt). Eine extreme Form ständnis der Handlung bedeutsame Die Panoramaeinstellung zeigt eine der Illustration ist die Pointierung (auch Informationen. Formal wird eine Rück- Landschaft so weiträumig, dass der Mickymousing), die nur kurze Momen- blende häufig durch einen Wechsel der Mensch darin verschwindend klein ist. te der Handlung mit passenden musi- Farbgebung (z. B. Schwarzweiß), kalischen Signalen unterlegt. Bei Sze- anderes Filmmaterial oder technische Schuss-Gegenschuss-Technik nenwechseln, Ellipsen, Parallelmonta- Verfremdungseffekte hervorgehoben, Eine Folge von Einstellungen, in denen gen oder Montagesequenzen fungiert aber auch je nach Genre bewusst jeweils eine Person aus der Perspek- die Musik auch als akustische nicht kenntlich gemacht, um die tive der anderen gezeigt wird, bezeich- Klammer, in dem sie Übergänge und Zuschauenden auf eine falsche Fährte net man als Schuss-Gegenschuss- Szenenfolgen als zusammengehörig zu locken. Technik. Der Grad der Subjektivität definiert. wird dadurch bestimmt, ob die andere Kameraperspektiven Person angeschnitten von hinten mit Die gängigste Kameraperspektive ist im Bild zu sehen ist, oder die Kamera die Normalsicht. Sie fängt das Ge- ganz die subjektive Perspektive des schehen in Augenhöhe der Hand- jeweiligen Gegenübers einnimmt. lungsfiguren ein und entspricht deren Dabei bewegt sich die Kamera norma- normaler perspektivischer Wahrneh- lerweise auf der Handlungsachse. Wird mung. Aus der Untersicht/Froschper- letztere missachtet, kann der Eindruck spektive aufgenommene Objekte und entstehen, die Personen würden ein- Personen wirken oft mächtig oder gar ander nicht ansehen („Achsensprung“). Filmheft BEN X 11
■ ■ Filmsprache Farbgebung, Tongestaltung Flucht in die Computerspielwelt. Die dienende Landkarten in den Realfilm und Musik hoffnungsfrohen Szenen mit Scarlite integriert, letztere beispielsweise auf hingegen sind mit sanfter Popmusik dem Schulweg, wenn sich Ben mit- In BEN X dominieren dunkle, entsättig- unterlegt. hilfe dieser Grafiken in der Stadt zu te Bildfarben mit einem leicht metalle- orientieren versucht. Dass die Com- nen Ton. Dadurch entsteht der Ein- Computerspielästhetik puterszenen in BEN X einem realen druck von Künstlichkeit. Die ■ Farb- Online-Rollenspiel entstammen, ist gebung verweist auf die Analogien, die Die Computerspiel-Szenen in BEN X laut Regisseur Balthazar, dem niedri- für Ben zwischen virtueller und realer entstammen dem real existierenden gen Budget geschuldet. Mit dieser Welt existieren. Allein Scarlites Jacke Rollenspiel Archlord. Für diese Szenen Verknüpfung von Realfilm und Com- leuchtet in einem intensiven Rot und engagierte Nic Balthazar Archlord- puterspielszenen spricht BEN X eine sticht so aus dem farblichen Spektrum Spieler/innen, die unter seiner Regie junge, medienaffine Zielgruppe un- des Films hervor. Diese Farbsymbolik im Cyberspace agierten. Diese mitge- mittelbar an, indem der Film zwei von betont ihre zentrale Rolle für das Ge- schnittenen Online-Szenen wurden Jugendlichen vielgenutzte Medien schehen: Sie holt Ben ins Leben zu- anschließend in den Realfilm montiert zusammenführt. Während die einen rück. und haben im Film unterschiedliche über den Film auf das Spiel aufmerk- Ähnlich wie die visuelle Gestaltung Funktionen: Zunächst veranschau- sam werden können, können sich bringt auch die Tonebene den Zu- lichen sie die mythische Welt von umgekehrt Computerspieler/innen für schauenden Bens Wahrnehmung Archlord mit ihren Figuren und Land- den Film interessieren. Damit wäre nahe: Häufig verzerren sich die Worte schaften. Zum anderen werden sie mit ein sogenanntes Cross-Marketing, von Menschen, nebensächliche Ge- Realfilmszenen unterschnitten, um zu die Ansprache von unterschiedlichen räusche aus der realen Welt werden zeigen, wie Ben in Stresssituationen Zielgruppen mit einem einzigen Pro- extrem laut – etwa der Straßenlärm – gedanklich in die virtuelle Welt flüchtet. dukt, möglich. In der crossmedialen oder es drängen sich Töne aus dem Oder aber grafische Elemente aus Machart des Films spiegelt sich somit Computerspiel akustisch in den Vor- dem Computerspiel werden in Real- die zunehmend konvergente Medien- dergrund: das Klingen von Schwer- filmszenen eingeblendet und visualisie- realität, in der einerseits ein Unterhal- tern, das Klicken einer Computer- ren, wie für Ben Realität und virtueller tungsprodukt über verschiedene maus. Dabei verstärkt die ■ Filmmusik Raum immer mehr verschmelzen. Medienkanäle abgesetzt wird und die vorherrschende Stimmung: Über- Dafür wurden etwa Spielmenüs, mit andererseits ein gegenseitiger Aus- wiegend elektronische, treibende oder denen man Charaktereigenschaften tausch zwischen den Medien auch orchestrale Klänge unterstreichen und Ausrüstung für seine Figur aus- auf der kreativen Ebene stattfindet. Bens Erleben von Stress und seine wählen kann oder der Orientierung 12 Filmheft BEN X
■ ■ Exemplarische Sequenzanalyse In Sequenz 11 wird Ben von Desmet erinnert sich Ben daran, dass er sie Spielmenü zur Waffenauswahl er- und Bogaert aufgelauert und in einem im Notfall anrufen soll. Der Ton dieser scheint. In der Archlord-Welt erhebt Park angegriffen. Erstmals verteidigt Rückblende ist teilweise verzerrt, Bens sich sein Avatar und streckt mit weni- sich Ben, was aber die Gewalt gegen fragmentarische Wahrnehmung wird gen Schwertschlägen seine Gegner ihn noch verstärkt. Anschaulich zeigen durch sekundenlange Detailaufnahmen nieder. Im Park ist Ben aus gleicher diese Szenen, wie sich für Ben unter von Mund und Auge eines seiner Perspektive gefilmt, aber das reale Stress die Grenzen zwischen realer Peiniger veranschaulicht. Dann neh- Bild wird verfremdet, bis es wie ein und virtueller Welt zunehmend auflö- men ihm Desmet und Bogaert das Comicbild wirkt. Die Musik geht in sen. Auf formaler Ebene wird deutlich, Handy weg. Treibende Musik setzt ein. einen sirrenden Ton über. Tonebene wie Nic Balthazar mit Kamera und Es folgt ein Zwischenschnitt der vir- und visueller Effekt markieren einen Montage Bens Erleben visualisiert, wie tuellen Welt: Die Spielfigur Ben X kniet Wendepunkt: Ben zückt sein spitz er mit Rückblenden arbeitet und mit- auf dem Boden, zwei „Riesen“ ahmen gefeiltes Kruzifix und bedroht damit hilfe von Parallelmontagen Spannung die Angreifer aus dem Realfilm nach. seine Angreifer. Die Spannung ist auf aufbaut. In dieser dynamischen Schnittfolge dem Höhepunkt, als sein Handy klin- Die Sequenz beginnt an einer Bushal- betonen Obersichten auf Ben und gelt. Eine Parallelmontage zeigt Bens testelle, wo Desmet und Bogaert Ben Untersichten auf seine Peiniger die Mutter am Telefon. In einem rasanten zwingen, mit ihnen zu einem men- ungleichen Kräfteverhältnisse. Wechsel zwischen Realfilm- und schenleeren Park zu kommen und ihn Detailaufnahmen, etwa von Bens ner- Computerspielszenen wird Ben von auf eine Bank stoßen. Die Kamera vösen Händen und Füßen, verweisen Desmet und Bogaert überwältigt: wechselt Perspektiven und Einstel- auf seine innere Anspannung. Desmet Er liegt schreiend am Boden. Eine lungsgrößen, arbeitet mit der Schuss- und Bogaert entdecken Scarlites Rundfahrt aus der Obersicht überblickt Gegenschuss-Technik, erzeugt da- Videonachricht und ziehen ihn damit die Situation im Wechsel mit den in durch den Eindruck von Action, ver- auf. Für Ben vermischen sich wieder Untersicht gefilmten Gesichtern von deutlicht aber auch Bens Hilflosigkeit. die Realitäten: Der Ritter kniet vor den Bens Peinigern. Detailaufnahmen von Eine stroboskopartige Schnittfolge von Monstern. Eine subjektive Kamera Bens geöffnetem Mund und Rück- Detailaufnahmen eines Auges visuali- zeigt Ben, wie ihn die realen jungen blenden, in denen Ben als Kind zum siert, dass Ben gestresst ist. Aus dem Männer ohrfeigen. Die Musik bricht ab, Essen aufgefordert wird, stellen eine Off gibt er seine Herzfrequenz an, stattdessen ist jetzt Scarlites Stimme Analogie zur Gegenwart her: Desmet während er versucht, seinen Puls- aus dem Handy zu hören. Bens und Bogaert verabreichen Ben eine messer zu kontrollieren. Doch Desmet Erniedrigung wird durch Perspektive, Ecstasy-Pille. Eine Schuss-Gegen- und Bogaert nehmen ihm das Gerät Detailaufnahmen und Zwischen- schuss-Einstellung zeigt, wie Ben die ab. Erneut folgt ein rascher Wechsel schnitte von Archlord-Szenen verdeut- Pille schluckt. Die Kamera löst wieder- von Halbtotalen, Halbnah- und Nah- licht: Die Monster überragen den holt die Situation durch eine Umfahrt einstellungen, dann wird die Szene mit Ritter. aus der Obersicht auf, unterbrochen einer Kamerafahrt aus der Vogelper- In einer weiteren Parallelmontage ruft von Bens Gesicht in Großaufnahmen. spektive aufgelöst: Ben im Bildzen- Bens Mutter erneut an und spricht Schließlich lassen die Jungen von Ben trum erscheint wehrlos. Desmet und eine Nachricht auf die Mobilbox. Die ab. In der letzten Einstellung sieht man Bogaert, die durch eine Untersicht einsetzende Musik wird dramatischer. ihn von oben in einer Halbtotalen, bedrohend und dominant wirken, Zwei Umschnitte auf Computerspiel- während Desmet nochmals zutritt und schlagen ihn. In einer Parallelmontage szenen zeigen, dass der Ritter, wie dann geht. Ben ist im wörtlichen Sinne erwartet Bens Mutter ungeduldig die Ben, geohrfeigt wird. Halbnah ist Ben am Boden zerstört. Heimkehr ihres Sohnes. Im Park leicht von unten zu sehen, als ein Filmheft BEN X 13
■ ■ Fragen Zu Inhalt und Figuren Wie gehen die Lehrer mit Ben um? Welche möglichen Vermarktungs- Wie könnten sie Ben wirkungsvoller effekte könnten sich aus der Verknüp- Beschreiben Sie, wie sich bei Ben die unterstützen? Warum wissen sie nicht, fung von Film und Spiel ergeben? autistische Störung äußert. Welche dass Ben im Klassenraum gedemütigt Rituale und Routinen strukturieren sei- wurde? Zur exemplarischen nen Alltag? Wie verhält er sich seinen Sequenzanalyse Mitmenschen gegenüber? Wie nimmt Welche Bedeutung hat das Online- er seine Umwelt wahr? Spiel für Ben? Welche Rolle hat der Mit welchen filmischen Mitteln wird in Ritter Ben X für den realen Ben? der Sequenz 11 Spannung erzeugt? Diskutieren Sie, warum sich Ben in der virtuellen Welt des Computerspiels Listen Sie die Argumente auf, die Wie werden Elemente aus dem sicher fühlt. Warum ist er dort fähig, Scarlite im Gespräch mit Ben gegen Online-Spiel oder Computerspiel- mit anderen zu kommunizieren? Suizid anführt. szenen eingesetzt? Welchen Zweck erfüllen Sie? Welche Assoziationen verbinden Sie Ben begeht einen „kreativen Suizid“. mit dem Filmtitel? Warum entscheidet er sich für diesen Zu den Materialien Weg? Wie werden im Film Bens Peiniger Was zeichnet Menschen mit einer Bogaert und Desmet charakterisiert? Interpretieren Sie die Schlussszene autistischen Persönlichkeitsstörung Warum schikanieren sie Ben? auf der Pferdekoppel. Beschreiben aus? Inwiefern können ihre angeb- Sie Bens Veränderung. lichen Defizite auch als Stärken ver- Wie wird Scarlite im Film dargestellt? standen werden? Warum setzt sie sich für Ben ein? Zur Filmsprache Konflikte sind alltägliche Phänomene. Zur Problemstellung Aus welchen Perspektiven wird der Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Film erzählt? Welche Intention wird Streitigkeiten und Mobbing? Bens Mitmenschen erwarten von ihm, mit dieser ästhetischen Gestaltung dass er sich „normal“ verhält. Was verbunden? Listen Sie verschiedene Formen von verstehen sie darunter? Wie bewertet Mobbing auf. Wie können sich Ben seinerseits das „normale“ Verhal- Welche Funktion übernehmen die Betroffene dagegen wehren? Welche ten seiner Mitmenschen? reportageartigen Interviewszenen im Folgen hat Mobbing für die Opfer? Film? Nennen Sie Eigenschaften oder „Happy Slapping“ und „Cyber-Mob- Symptome, die Sie mit Autismus Inwiefern unterstreichen Schnitt und bing“ sind relativ neue Phänomene. verbinden. Kamera Bens emotionalen Zustand Erklären Sie, worin für Täter/innen der und die Wahrnehmung seiner besondere Reiz an diesen Formen von Welche verschiedenen Formen von Umwelt? Nennen Sie Beispiele. Gewalt oder Mobbing liegen könnte. Ausgrenzung erlebt Ben im Laufe Was bedeutet der Einsatz dieser seines Lebens? Wie sind die Computerspielszenen Kommunikationstechniken für die in das Filmgeschehen integriert? Opfer? Der Großteil von Bens Mitschülern/ Beschreiben Sie Szenen, in denen innen steigt bedenkenlos mit ein, als sich für Ben die Grenzen zwischen Welche positiven und negativen Bogaert und Desmet ihn vor der realer und virtueller Welt auflösen. Folgen können Online- und Com- Klasse demütigen. Wie erklären Sie puterspiele für die Nutzer/innen haben sich dieses Verhalten? Wer sind die Inwiefern orientiert sich die filmische und warum? Ausnahmen und wie verhalten sie sich Darstellung an der Ästhetik von Com- Ben gegenüber? puterspielen? Nennen Sie Beispiele. Welche Wirkungen erzielen diese for- malen Übereinstimmungen? 14 Filmheft BEN X
■ ■ Arbeitsblatt ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Aufgabe 1: Bens Verhalten reflektieren a) Listen Sie auf, von welchen Vorteilen des Computerspielens Ben zu Anfang des Films berichtet. b) Jonas ist ein stiller Beobachter seines Bruders Ben. Schildern Sie aus seiner Sicht eine Situation, in der sich Ben ungewöhnlich verhält. c) Beschreiben Sie in einem Partnergespräch das Kommunikationsverhalten von Ben. Ergänzen Sie dabei gegenseitig Ihre Beobachtungen. d) Zeigen Sie anhand des Filmschlusses, inwiefern sich Ben verändert hat. Diskutieren Sie, ob Ben – wie in Virtual Reality Novels, in denen ein Teil der Handlung in einer virtuellen Welt spielt – durch ein Computerspiel zum Helden der Geschichte wird. Aufgabe 2: Filmsprache untersuchen a) Betrachten Sie die Rückblenden in Bens Kindheit sowie die Interviewszenen mit Lehrkräften und Mitschülern/innen zwischen den Filmsequenzen und erläutern Sie deren dramaturgische Funktionen. b) Wählen Sie eines der Szenenbilder von der Website des Films BEN X, ordnen Sie den Ausschnitt der Filmhandlung zu und beschreiben Sie die gezeigte Situation oder Figur genau. Achten Sie auch auf Licht und Schatten sowie auf Requisiten. Erläutern Sie, wie sich die Beziehung zwischen dem Computer- spiel und Bens Alltag in den Bildern darstellt. Aufgabe 3: Mobbing erkennen und verhindern a) Benennen Sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Mobbing und Cyber- Mobbing. Illustrieren Sie ihre Erklärungen durch Beispiele aus dem Film oder eigene Beobachtungen. b) Diskutieren Sie in einer Kleingruppe, wie es zum Mobbing an Ben kam und welche Folgen dies für ihn hat. c) Formulieren Sie in einer Kleingruppe konkrete Tipps, die Mobbing verhindern helfen. Stellen Sie Ihre Vorschläge vor und veröffentlichen Sie Ihre Ergebnisse als Wandzeitung im Klassenraum oder auf der Schulwebsite. Aufgabe 4: BEN X im Medienverbund wahrnehmen a) Entwerfen Sie einen Kriterienkatalog, nach dem ein Computerspiel beurteilt werden könnte. Stellen Sie der Klasse ein Computerspiel Ihrer Wahl vor und erläutern Sie zum Beispiel dessen Funktionsweise, die grafische Gestaltung und den Geselligkeitsfaktor. b) Beurteilen Sie, welche wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen die Integration des Computerspiels Archlord in einen internationalen Spielfilm haben kann. c) Begründen Sie anhand des Films, inwiefern Computerspiele wie Archlord die Teamfähigkeit fördern können. Versuchen Sie dabei, diese Rollenspiele von so genannten Ego-Shootern abzugrenzen. Aufgabe 5: Einen Neubeginn wagen a) Sammeln Sie alle Argumente, die Scarlite im Gespräch mit Ben gegen einen Selbstmord vorbringt. Vollziehen Sie nach, wie sie zwischen dem Tod im Computerspiel und dem Tod im echten Leben unterscheidet. b) Beobachten Sie, wie, wo und mit welcher Funktion religiöse Motive (Kreuz, Christusdarstellungen, Kirche) in dem Film BEN X auftauchen. Inwiefern kommt Bens Tod einer Auferstehung gleich? c) Setzen Sie sich mit der Frage auseinander, wie man in seinem eigenen Leben einen Neubeginn starten kann. Filmheft BEN X 15
■ ■ Unterrichtsvorschläge Fach Themen Methoden und Sozialformen Deutsch Erstellen einer Textfassung des Films Filmausschnitte auswählen, in Rollentexte mit BEN X (Nic Balthazar, 2007) Regieanweisungen oder in Romanausschnitte mit Ich- oder Er-Erzähler umschreiben. Die Szenen spielen oder vorlesen Typisierung und Charakterisierung von Referat: Ausschnitte aus X-MEN zeigen und die Figuren, die von der Norm abweichen, Aufteilung der Welt in die Figuren der Mutanten, in X-MEN (Bryan Singer, 2000) und in des Magneto und des Xavier erläutern BEN X vergleichen Darstellung autistischer Menschen im Film Plenum: Filmausschnitte zeigen und Figuren vergleichen, zum Beispiel in RAIN MAN vergleichend charakterisieren (Barry Levinson, 1988) oder SNOW CAKE (Marc Evans, 2006) Handlungen für ein Computerspiel- Gruppenarbeit: ein gemeinsames Abenteuer abenteuer entwerfen ausdenken, einen möglichen Plot aufschreiben und mit Zeichnungen illustrieren Computerspiele der Gattung Referate und Präsentationen von Demo- Abenteuerspiele vorstellen, untersuchen Versionen und beurteilen (zum Beispiel Archlord) Berichterstattung über Cyber-Mobbing Zeitungsausschnitte recherchieren und untersuchen diskutieren Biologie Autismus, Asperger Syndrom darstellen Referat halten, Reader oder Informationszettel gestalten Sozialkunde Formen von Gewalt (physisch, psychisch, Auswirkungen von Gewalt auf die Figur Ben verbal) diskutieren untersuchen und beschreiben Formen und Folgen von Cyber-Mobbing Rollenbiografien von Mobbingopfern verfassen, diskutieren (zum Beispiel Beurteilungen Handlungsalternativen zum Entstehen von von Lehrerinnen und Lehrern im Netz, öffentlichem Mobbing entwickeln (zum Beispiel Handygewaltvideos) Gesprächskulturen aufbauen) Ethik, Religion Religiöse Symbole und Motive (zum Belege in der Bibel finden, Verwendung in dem Beispiel Kreuz, Christus, Auferstehung) Film BEN X untersuchen interpretieren Zivilcourage üben Rollenspiel: In eine Mobbingsituation eingreifen und diese stoppen Musik On- und Off-Musik in Filmen und Sequenzen im Film und Computerspiel mit Computerspielen vergleichend unter- und ohne Musik betrachten und die Wirkung suchen vergleichen Kunst Fantasy-Figuren (Avatare) gestalten Gruppenarbeit: eine Spielszene mit Bühnenbild und unterschiedlichen Figuren entwerfen 16 Filmheft BEN X
Protokoll ■ ■ Sequenzprotokoll S1 S5 Psychiater rät der Mutter, Ben trotz Benutzeroberfläche: Computerspiel mit Ben geht über den Schulhof (VO, elek- Mobbings auf der Schule zu lassen Login (Musik, Tastaturgeräusche). Ben tronische Musik, RS/CS). – (I:) Der Me- (verzerrter Ton). – (I:) Bens Mutter X, Scarlite, weitere Figuren, Szenen aus tallarbeitslehrer erläutert sein Mitgefühl. redet über ihr autistisches Kind, ein dem Spiel Archlord, darüber Filmcredits Bens Vater erklärt die Schulwahl für Psychiater über Autisten. – Im Auto und Titel. (Off:) Ben erklärt, was ihm Ben. – Im Religionsunterricht analysiert erhält Ben auf dem Handy den das Online-Spiel bedeutet. (On:) Er der Lehrer die Passionsgeschichte. Mobbing-Clip. – Zu Hause loggt sich erhält eine E-Mail von Scarlite (Voice Bogaert ärgert Ben. – (I:) Der Reli- Ben in Archlord ein und deutet Scar- Over = VO, Montage aus Computer- gionslehrer hält Menschen wie Ben für lite gegenüber Selbstmordabsichten spielszenen (CS) und Realfilmszenen wehrlos. Ein Mitschüler berichtet von an (CS). Scarlite liegt als reales (RS)). – (Interviewausschnitte = I:) Bens Attacken gegen Ben, eine Mitschülerin Mädchen auf seinem Bett (VO). Mutter sagt, dass immer erst jemand erinnert sich an Ben. – Nach dem 00:26 – 00:32 sterben müsse, bevor etwas passiere. Unterricht ziehen Desmet und Bogaert 00:00 – 00:05 Ben vor der Klasse die Hosen herunter S9 (VO, RS/CS). Mitschüler/innen filmen (I:) Am nächsten Tag redet Bens S2 das Geschehen. Danach schlägt Ben Mutter über ihre Erinnerung an diesen Im Bad beschreibt Ben seine Schwie- wütend ein Fenster ein. Morgen. – Auf dem Schulweg erhält rigkeiten, sozialen Normen zu entspre- 00:12 – 00:19 Ben erneut Mobbing-Clips. Er erläu- chen (VO, CS/RS). – (CS:) Die Spielfi- tert sein Außenseiterdasein (VO). – gur Ben X läuft die Treppe hinab. S6 (RB:) Ben hat Probleme im Kinder- 00:05 – 00:06 Ben soll dem Direktor das zerschlage- garten, in der Schule, bei den Pfad- ne Fenster erklären; er bleibt stumm. findern. – Ben betritt das Schulgelän- S3 Bogaert und Desmet reden sich her- de (RS/CS). Im Metallarbeitsunterricht Ben beim Frühstück mit seiner Mutter. aus (Detailaufnahmen, RS/CS). – (I:) feilt Ben aus einem Kruzifix eine Waffe (Off:) Ben kommentiert Ablauf des Der Metallarbeitslehrer erklärt seine (RS/CS). – (RB:) Bens Vater ermutigt Frühstücks (RS/CS). Sein Bruder Jonas Gefühlslage. Bens Mutter und der ihn zur Selbstverteidigung. – Ben feilt zeigt ihm eine Trollfigur. Ben blickt ner- Direktor äußern sich über Schulen. – weiter am Kruzifix (Einblendung: CS). vös auf die Küchenuhr, die Mutter Die Mutter holt Ben beim Direktor ab. – (I:) Bens Vater, der Metallarbeits- beruhigt ihn (Detailaufnahmen, verzerr- Ein Mitschüler steckt Ben dessen lehrer und der Religionslehrer bewer- ter Ton). Ben verlässt das Haus. Kamera mit den Mobbing-Szenen zu. ten die Ereignisse. 00:06 – 00:07 00:19 – 00:22 00:32 – 00:38 S4 S7 S 10 Auf dem Schulweg erklärt Ben seine Ben sitzt mit seiner Mutter im Auto Ben erhält auf dem Schulhof eine Überlebensstrategie (VO, elektronische (Originalmusik). – Ben sieht fern. – Er MMS von Scarlite: Sie will Ben am Musik, RS/CS). – (I:) Ein Mitschüler erhält eine E-Mail von Scarlite, dann folgenden Tag am Bahnhof treffen Bens bewertet ein Ereignis. – Ben eine E-Mail mit Detailaufnahme seiner (Überblendungen, Kamerafahrt). beobachtet an der Bushaltestelle ein Demütigung. Bens Mutter fragt, ob 00:38 – 00:39 sich küssendes Paar (Detailaufnahmen, alles okay sei. Ben startet Archlord verzerrtes Bild). – (Rückblende = RB:) (VO). (CS:) Ben X reitet zu Scarlite, S 11 Der kleine Junge Ben versteht ein gesteht ihr seinen desolaten Zustand. Desmet und Bogaert hindern Ben Ballspiel nicht, Kinder und Lehrerin rea- Sie will ihn „heilen“. daran, in den Bus zu steigen (RS/CS). gieren wütend. – Ben fährt Bus. An 00:22 – 00:26 – (RB:) Das Kind Ben wird erniedrigt. einer Haltestelle steigen Desmet und – Desmet und Bogaert führen Ben in Bogaert ein und belästigen eine ältere S8 einen Park, wo sie ihn attackieren. Dame, später auch Ben (Details, ver- Ben fährt mit seiner Mutter ins Kran- Die Mutter erwartet Ben (Parallelmon- zerrtes Bild). – (RB:) Ben als Kind spielt kenhaus (VO). – (RB:) Das Kind Ben tage). – Desmet und Bogaert ent- unterm Tisch. Er wird ärztlich unter- wird von Ärzten und Psychologen decken Scarlites MMS, Ben bedroht sucht (VO). – (I:) Bens Mutter spricht beurteilt. – Ben filmt das Wartezimmer. sie mit dem Kruzifix. Sie verabreichen über ihr Kind. – (RB:) Bei Ben wird das Asperger- Ben eine Ecstasy-Pille. – (RB:) Das 00:07 – 00:12 Syndrom diagnostiziert (VO). – Ein Kind Ben verweigert Essen. – Desmet Filmheft BEN X 17
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