Flinker Jäger mit Biss - Tiergarten Nürnberg
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MAI 2020 + + + C O R O N A : E I N S C H R Ä N K U N G E N U N T E R W W W. T I E R G A RT E N . N U E R N B E R G . D E + + + AUSGABE 20 Herausgegeben vom Verein der Tiergartenfreunde Nürnberg und dem Tiergarten Nürnberg Flinker Jäger mit Biss DIE KINDERSTUBE DER GORILLAS SEITE 3 DAS GROSSE FRESSEN: SALAT, FLEISCH UND FISCH SEITE 5 TIERISCHE REKORDE: HÖHER , SCHNELLER , STÄRKER , WEITER SEITE 12 Fischotter wirken verspielt, können aber auch ihre spitzen Zähne zeigen und kräftig zubeißen. Mehr dazu auf Seite 4. Foto: Michael Matejka Forscher, Fotograf und Freund klarer Worte Nach fast 30 Jahren an der Spitze des Tiergartens geht Helmut Mägdefrau in den Ruhestand S eine braune Tontasse mit der Ech- se nimmt er mit nach Hause, wenn er im Juni in Rente geht: Helmut Mägdefrau hatte das Trinkgefäß zum Dienstbeginn im Nürnberger Tiergarten „Das Wissen kam mir später in der Ar- beit zugute“, meint der stellvertretende Zoo-Chef, der am Schmausenbuck nicht nur spektakuläre Zuchterfolge einiger Schützlinge feiern konnte, sondern auch heute ist es noch mitunter nötig, den Menschen zu erklären, warum man im Tiergarten Huftiere aufzieht, um sie dann den Raubkatzen zum Fraß vorzuwerfen. „Wir wollen nicht ins Fortpflanzungsver- war und von den Raubkatzen mit einem Biss ins Genick getötet worden war. Zu den glücklichen Momenten zählt der 65-Jährige den Nachwuchs von Eis- bärin „Flocke“, die vor kurzem im franzö- hört Mägdefrau nur noch selten: „Die Klagen gehen gegen Null. Früher haben manche Besucher sogar ihr Eintrittsgeld zurückverlangt.“ Das Bewusstsein für die Aufgaben der Zoos sei gewachsen. 1991 von Mitarbeitern geschenkt be- mit schwierigen Situationen zurecht- halten eingreifen, aber wir müssen den sischen Antibes erneut Mutter – diesmal kommen. „Das ist mein kleines Heilig- kommen musste. Er war einer der ersten Überschuss an Nachwuchs bewältigen“, von Drillingen – geworden ist. Außeror- Die Zoos tauschen bis tum“, meint der stellvertretende Tiergar- Wissenschaftler in einem deutschen Tier- sagt der Kurator. dentlich zufrieden äußert er sich über die der Partner passt ten-Direktor verschmitzt. „Die Tasse darf garten, der offen die Verfütterung von Schwere Momente waren für ihn, „Beseitigung aller Schandflecken bei der nur ich waschen und benutzen.“ Zootieren verteidigte. Im Herbst 1998 als ein Unbekannter vier Eisbären im Tierhaltung“: Die Gehege der Gorillas Zu Mägdefraus Aufgaben gehört Lebende Echsen hat er zwar in seinem hatte man den Löwen einen Kaffernbüf- März 2000 freigelassen hatte und man und der Eisbären seien aufwendig um- auch, das Zuchtbuch für die Europä- Haus in Lauf genug, sicherlich um die 20 fel aus eigener Aufzucht vorgelegt. die Raubtiere letztlich erschießen muss- gebaut worden, in den anderen Revieren ische Erhaltungszucht von insgesamt Tiere, doch das Exemplar aus Ton ist für Mägdefrau stellte sich den Debatten te. Als bedrückend empfand Mägdefrau gebe man den Tieren ausgiebig Rück- 60 Schabrackentapiren zu führen. Leider ihn etwas Besonderes: Es ist ein Zeichen in TV-Shows, Zeitungsinterviews und auch den Suizid eines Studenten, der zugsmöglichkeiten. Die Beschwerde, dass lassen die Zuchterfolge zu wünschen üb- für das gute menschliche Miteinander Gesprächen mit Zoobesuchern. Auch nachts ins Löwengehege eingedrungen man deswegen zu wenige Tiere sieht, rig. „Sie sind bei ihren Partnern sehr wäh- im Tiergarten. lerisch, da klappt es mit dem Nachwuchs nicht so, wie wir es gern hätten“, meint Kreuzottern im der Biologe. Daher müsse man Tapire mit Kinderzimmer anderen Zoos tauschen, bis es endlich passt. Das Nürnberger Paar ist seit über Tiere haben den gebürtigen Münchner vier Jahren zusammen, ohne dass sich et- schon als Kind fasziniert – kein Wun- was tut. Aber mit dem Problem muss sich der, sein Vater war Biologe und hat das Mägdefraus Nachfolger befassen. Interesse gefördert. Der kleine Helmut Der Rentner in spe wird zwar auch hielt neben Goldhamstern und Wellen- künftig in den Tiergarten kommen, aber sittichen auch Echsen, Frösche und ganz ohne Pflichtaufgaben und ohne Salamander zu Hause. Dass er Kreuzot- Zeitdruck: Vier Stunden vor einem tern in seinem Zimmer herumkrabbeln Gehege zu sitzen und auf den entschei- ließ, war seiner Mutter dann doch zu denden Moment zum Fotografieren zu viel. Ihre Drohung, dass sie deswegen warten, davon hat er bisher nur träumen sein Zimmer nicht mehr putzen werde, können. Mit seiner Frau (ebenfalls Biolo- falls die Schlangen bleiben, verfehlte ihre gin) und einer seiner beiden Töchter (die Wirkung: Dem Heranwachsenden war Biologie studiert hat) kann er weiterhin es ganz recht, dass die Mutter nicht in Fachfragen diskutieren. Auch für seine seinem „Reich“ herumstöberte. Hobbys Radfahren und Klettern in der Biologie hat Helmut Mägdefrau inten- Fränkischen Schweiz hat er mehr Muße. siv studiert: Seine 25 Semester an der Nein, langweilig wird es ihm nicht. Münchner Universität (einschließlich der Promotion) galten als rekordver- Text: Hartmut Voigt dächtig lang. Der Tiergartenvizedirektor Helmut Mägdefrau weiß: Schabrackentapire sind bei der Partnersuche wählerisch. Foto: Michael Matejka
SEITE 2 T I E R G A RT E N Z E I T U N G NO. 20 MAI 2020 Liebe Leserinnen und Leser, diese Zeilen schreibe ich am 22. März 2020, wahrscheinlich zwei Tage vor dem Inkraft- treten eines Pande- Foto: VDZ mie-Notfallplans, am zweiten Tag der Ausgangssperre in Bayern. In einer Zeit, an die wir viel- leicht sehnlich zurückdenken, wenn wir die Tiergarten-Zeitung aktuell in Händen halten. Es ist eine Zeit, in der ökonomi- sche und gesellschaftliche Paradig- menwechsel stattfinden, deren Wirk- kraft unsere Gesellschaften stärker verändern können als alles, was von Wissenschaftlern, Interessengruppen, politischen Parteien jemals in Summe als zumutbare Veränderungen für ein dauerhaftes Überleben auf unserem Planeten gefordert wurde. Unsere Welt ist viel verletzlicher als es gestern noch vorstellbar gewesen wäre, es ist aber offenbar auch ein Viel- faches dessen möglich, was wir noch gestern für vollkommen unmöglich angesehen hätten. Der Vielfalt an mög- lichen Katastrophen steht eine Vielfalt Mit der Haltung von Asiatischen Löwen trägt der Tiergarten wesentlich zum Fortbestand der Art bei. an möglichen Strategien gegenüber, Nur ein notwendiges Übel? diese abzuwehren. Mit dieser Ausgabe unterbrechen wir die Herausgabe der Tiergarten-Zei- tung, obwohl wir sie für ein Erfolgsmo- dell halten. Aber wir benötigen eine Denkpause, um uns zu orientieren, wie und wo wir Sie und andere mit Seit jeher streiten Tierrechtler und Tiergärten um artgerechte Haltung – sie werden sich nie einigen Sachlichkeit, Fachlichkeit und demo- kratischer Debattenkultur erreichen können. Seien Sie mit uns neugierig, wie wir uns in Nachfolgemodellen der Tiergarten-Zeitung wiedertreffen. Mein herzlicher Dank für die jahre- lange Erfolgsgeschichte der Tiergar- A ls 2018 im Nürnberger Tiergar- ten die betagte Asiatische Löwin Keera eingeschläfert werden musste, meldete sich die Tierrechtsorga- nisation Peta zu Wort: Sie forderte den ein vermeintlich besseres Leben ermög- lichen. Vereine wie Peta oder „Menschen für Tierrechte“ grenzen sich auch vom traditionellen Tierschutz ab, da dieser zwar Leid minimieren möchte, aber die atischen Löwen komme hinzu, dass es in Indien schwierig sei, noch mehr Tiere im Freiland anzusiedeln, ohne Menschen zu gefährden. „Der Zoo ist einer der besten Orte, um Reservepopulationen zu hal- Bakterien haben. Die großen Tiere tragen wahnsinnig Biomasse in ihren Lebens- raum. Nach dem Aussterben des Riesen- faultiers in Brasilien ist die Vegetation to- tal verarmt, weil die Kadaver weggefallen ten-Zeitung geht an die Autoren, stell- Tiergarten auf, den freigewordenen Platz Legitimität der Verantwortung des Men- ten, weil Zoolöwen wirklich in den sel- sind und sich dadurch die Nährstoff-Zu- vertretend ihre Projektleiterin Petra zu nutzen, um einer Großkatze aus ei- schen über das Tier nicht infrage stellt. tensten Fällen Menschen fressen.“ sammensetzung des Bodens verändert Nossek-Bock, an die Azubis der Druck- nem Zirkusbetrieb „ein neues Zuhause“ Die Grundidee lautet, dass Tiere – hat“, erklärt Encke. werkstatt unter der Leitung von Ernst zu bieten. Peta wies darauf hin, „dass die wie Menschen – fundamentale Rechte Jedes noch so kleine Er führt noch ein weiteres Argument Sommerfeld und an die Koordinatorin Aufnahme geretteter Löwen dem Zoo haben. Für Dag Encke und Lorenzo von an: „Die großen Raubtiere stehen an der Insekt zählt des Projekts Dr. A. Nicola Mögel. Sympathien und gesteigertes Besucher- Fersen, wissenschaftlicher Mitarbeiter Spitze der Nahrungskette und sind damit Ich grüße Sie herzlich und wünsche interesse einbringen würde“. des Tiergartens, steht dagegen der Ar- Philosoph Richard David Precht für das Ökosystem Indikatoren. Wir wis- Ihnen viel Freude bei der Lektüre der Tiergartendirektor Dag Encke erteilt tenschutz im Fokus. „Da kann es durch- spricht in seinem Buch „Tiere denken“ sen, wenn der Tiger überlebt, ist auch auf vorerst letzten Ausgabe der Tiergar- solchen Appellen eine kategorische Ab- aus sein“, sagt von Fersen, Chef und in Bezug auf Tierschutz, Tierrecht und den unteren Ebenen eine ganze Menge ten-Zeitung. sage: „Das ist überhaupt nicht unsere Gründer der Artenschutzorganisation Artenschutz von einem „unversöhn- okay. Wenn die Pyramide dagegen den Aufgabe, einen Zirkuslöwen aufzuneh- Yaqu Pacha, „dass für das Überleben der lichen Triumvirat“. An den Zoos kritisiert Tiger nicht mehr ernähren kann, ist sie Ihr men, wir sind kein Tierheim. Wir sind Art einzelne, überzählige Tiere getötet er, dass es bei der Haltung von Löwen nachhaltig gestört.“ Dag Encke eine Organisation, die dem Artenschutz werden müssen“. oder ähnlichen Raubtieren gar nicht um Die Schönheit der großen Raubtiere, dienen soll. Nicht, dass wir das immer Encke erläutert das anhand der Prinz- Erhalt von Arten oder eines Ökosystems auf die Precht verweist, sei dennoch IMPRESSUM schaffen, aber das ist das Ziel.“ Deswe- Alfred-Hirsche. Im Schnitt halte man gehe, sondern um Ästhetik. Encke ver- nicht unwichtig: „Schönheit ist ein gen sei ein Löwe, dessen Herkunft dem fünf Tiere, überzählige Männchen wür- steht das Argument. „Ich habe auch sehr Schlüssel, um Menschen zu erreichen. Tiergartenzeitung Tiergarten unbekannt ist, buchstäblich den verfüttert. Man könnte auch ein- lang die Auffassung vertreten, der Tiger Wenn wir das ästhetische Empfinden Jahrgang 11 / Ausgabe 20, die Katze im Sack: „Das ist eine gene- geschlechtliche Gruppen halten, aber darf aussterben, die Ameise nicht. Denn der Menschen berühren, können wir für Mai 2020; Herausgeber: tische Falle, in die wir nicht reintappen Weibchen, die sich zu lange nicht ver- den Tiger ersetze ich durch einen Jäger Biodiversität werben. Durch Ästhetik Verein der Tiergartenfreunde werden“, sagt Encke. Der Tiergarten paaren, „werden unfruchtbar“. Deswe- im Wald, der den Hirsch rausschießt.“ entscheidet sich, ob jemand dafür oder Nürnberg e.V. holte stattdessen das Löwenmännchen gen erfolge die Tötung der Männchen Doch inzwischen halte er diesen dagegen ist.“ Kontakt: Tiergarten Nürnberg Subali nach Nürnberg, um mit ihm und nicht nur aus Platzgründen, sondern Standpunkt für komplett falsch. „Die Am Tiergarten 30 der zuvor schon hier lebenden Aarany auch, „um die Population vital zu halten“. Megafauna hat genauso Bedeutung wie Text: Marco Puschner 90480 Nürnberg Nachwuchs zu züchten. Für Encke ist der Prinz-Alfred-Hirsch sie die kleinen Vertreter wie Insekten und Fotos: Michael Matejka Redaktion: Petra Nossek-Bock ein gutes Beispiel dafür, wie in Tiergär- (verantwortl.), Hartmut Voigt, Konträre Sichtweisen ten Artenschutz betrieben werden kann. Christina Merkel, Dr. Nicola A. Mögel, prallen aufeinander Die Heimat dieser Tiere, der Regenwald tiergartenzeitung@googlemail.com auf den Philippinen, sei „bis auf ein Der Asiatische Löwe ist in der freien Prozent vernichtet worden“, berichtet Fachl. Beratung Tiergarten: Wildbahn enorm gefährdet, sagt Encke. der Zoodirektor. „Deswegen ist in den Dr. Dag Encke, „Es gibt nur noch ein paar Hundert Tie- 1990er Jahren die Entscheidung gefal- Dr. Helmut Mägdefrau re, die alle in einem bestimmten Gebiet len, Exemplare nach Europa zu schicken, Gestaltung, Illustrationen und in Indien leben. Das bedeutet, dass wir weil unklar ist, ob die Art auf diesem Produktion: Techn. Ausbildung in Zoos unbedingt eine zweite oder drit- kleinen Lebensraum überleben kann.“ Verlag Nürnberger Presse, te Population vorhalten müssen, um für Mittlerweile werden laut Encke 120 bis Nico Dasenbrock, Anna-Lena Exner, einen Katastrophenfall gewappnet zu 150 dieser Hirsche weltweit in Zoos ge- Yannick Scharf sein.“ Peta dagegen lehnt die Haltung halten. „Das ist eine reine Reservepopu- Druck: Verlag Nürnberger Presse, der Löwen in Zoos eigentlich ab. In der lation für die Philippinen.“ Druckhaus Nürnberg GmbH & Co. KG erwähnten Stellungnahme ist ausdrück- Ob bei Asiatischen Löwen oder Prinz- lich die Rede davon, dass Großkatzen Alfred-Hirschen: Encke hält die Haltung Auflage ca. 186.600 Exemplare generell „nicht mehr in Gefangenschaft der Tiere in Zoos für „unabdingbar“, Mit freundlicher Unterstützung von: gehalten werden dürfen“. Der Zoo ist wenn die Art überleben soll. Während gegenüber dem Zirkus aus der Perspek- die Zoo-Verantwortlichen betonen, dass tive der Tierrechtsorganisation nur das man mit Tierschützern zusammenarbei- kleinere Übel. ten könne, werfen sie Tierrechtsorganisa- An der Debatte um die Löwenhaltung tionen Passivität vor: Sie gingen von der werden unterschiedliche Sichtweisen Würde des Einzeltieres als „unverhan- deutlich: Tierrechtsorganisationen, als delbares Gut“ aus. Deswegen dürfe kein deren philosophische Gewährsmänner Mensch über ein Tier verfügen. Aber der Australier Peter Singer („Animal dies bedeute, dass man auch nichts für Liberation“, 1975) und der US-Amerika- die Erhaltung der Arten tun dürfe. „Wir ner Tom Regan („The Case for Animal hätten keine Verantwortung für das Tier, Rights“, 1983) fungieren, haben primär außer, es in Ruhe zu lassen. Das finde ich das Wohl von Tierindividuen im Auge. ethisch bedenklich, weil es eine Unterlas- Deswegen wollen sie dem Zirkuslöwen sungssünde ist“, sagt Encke. Bei den Asi- Die Prinz-Alfred-Hirsche gelten als Reserve für die Population in der Wildbahn.
MAI 2020 T I E R G A RT E N Z E I T U N G NO. 20 SEITE 3 Alle lieben Klein-Kato Was Kinder für die Tierwelt bedeuten, zeigt sich beim ersten Gorillanachwuchs seit 40 Jahren I m Affenhaus herrscht Trubel. „Schau mal, Mama!“, rufen Kinder von allen Seiten. Und auch die Herbeigerufe- nen sind entzückt, sobald sie vor der di- cken Glasscheibe stehen und ihr Blick in Vergleich zum Vorjahr freuen. Mutter Habibu lässt ihr Erstgeborenes nicht aus den Augen. Sie trägt es umher, legt es zum Wärmen auf den Bauch, und stillt – wohl noch die nächsten vier Jahre. Doch die Ecke gleitet. Dort sitzt Kato. All die nicht nur sie, auch die anderen drei er- Aufmerksamkeit gilt ihm. wachsenen Tiere kümmern sich liebevoll Das pechschwarze Gorillajunge mit um Kato. den großen, dunklen Augen zeigt sich Langeweile ist passé, der Nachwuchs unbeeindruckt ob der Aufregung um ist ein Spaß für alle. „Nichts beschäftigt ihn. Er spielt lieber mit einem Stecken. eine Tiergruppe mehr als ein Jungtier“, Dabei ist er über und über mit Halmen weiß Tierärztin Katrin Baumgartner. bedeckt – von dem Stroh, das seine Ihm werde die gesamte Aufmerksam- Mama Habibu ihm als Bett bereitet keit zuteil. Schließlich gehe es um nichts hat. Kato greift den dünnen Ast, zieht Geringeres als den Arterhalt. Kato ist ihn zwischen seinen Lippen hindurch. der erste Zuchterfolg bei den Gorillas in So wie es die Großen tun. Menschen- Nürnberg nach 40 Jahren. affen lieben es, die Rinde von Ästen Der Nachwuchs wirbelt die kompli- abzufressen. zierte Hierarchie, die das Zusammen- Kato hat gerade Schneidezähne be- leben der Flachlandgorillas bestimmt, kommen, seitdem lutscht er an allem, ganz schön durcheinander. Noch acht, was er in die Hände bekommt. Nur Ei neun Jahre, dann wird Kato in die Puber- mag er nicht so. Eines hat er letztens von tät kommen und sich mit seinem Vater den Pflegern zum Probieren bekommen. Thomas messen wollen. Gorillajunge Kato hat die Herzen der Besucher und Zoo-Mitarbeiter erobert. Chicorée frisst er umso lieber – eine bei Auch Louna reagiert positiv auf Kato. allen Gorillas beliebte Speise. Dabei hatte das Gorillaweibchen ei- stark ableckte – mit fatalen Folgen. Vie- kaum leisten könne. Eine Handaufzucht zu untersuchen. „Solange es auch so gut „Kato ist einfach pfiffig,“ sagt Re- nen Tag vor dessen Geburtstag, dem le Mütter benötigten mehrere Anläu- soll außerdem immer möglichst vermie- klappt, sind wir da sehr zurückhaltend.“ vierleiterin Ramona Such und lächelt 2. November 2019, selbst eine Geburt – fe, bis es mit Geburt und Nachwuchs den werden. Und dennoch: Die Verantwortlichen liebevoll. Sie ist unter anderem für das mit traurigem Ausgang. Das Jungtier war problemlos klappt. Welche Rolle nehmen die Pfleger beim seien auf alle möglichen Notsituationen Affenhaus zuständig und kann sich gera- eine Frühgeburt. Es starb nach ein paar Ähnlich wie bei dem Emu-Pärchen, Tiernachwuchs also ein? „Eine Mut- vorbereitet, sagen sie. Für jedes Szena- de vor Medienanfragen kaum retten. Das Stunden. Louna trug das tote Junge noch das seit kurzem im Nürnberger Zoo lebt terrolle jedenfalls nicht“, erklärt Such. rio gebe es eine Art Regelkatalog, in Jungtier gedeihe prächtig, bekomme vier Tage lang mit sich herum – bis die und dessen Weibchen begonnen hat Natürlich habe sie eine Verbindung zu dem festgelegt ist, was zu tun ist. „Das mehr und mehr Kraft, um sein Umfeld Pfleger es entfernen mussten, weil es an- zu legen. „Die liegen an verschiedenen Kato und der Gruppe aufgebaut, „aber gibt Sicherheit.“ Ein solcher Notfallplan zu erkunden. fing, sich aufzublähen. Bei rund 50 Pro- Stellen.“ Doch im Winter seien die Eier ich habe keine Muttergefühle“. Nichts- kam vor Jahren bei einem Giraffenjun- zent liegt die Wahrscheinlichkeit, dass draußen einfach nicht überlebensfä- destotrotz: Such hat ihre Wohnung über gen zum Einsatz, als die Mutter keine Das Jungtier entwickelt bei erstgebärenden Gorillas der Nach- hig. Die großen Laufvögel müssten erst dem Affenhaus, kümmert sich auch mal Milch geben konnte. „Das mussten wir sich schnell wuchs auch überlebt. einmal lernen, so Baumgartner, wo sie nachts um ihre Schützlinge. Auf dem dann wohl oder übel mit der Hand auf- Mit Kato hat Louna nun eine neue brüten können. iPad hat sie die Aufzeichnungen der ziehen“, erzählt Such, die seit 35 Jahren Als Faustregel gilt: Ein Gorillajunge Aufgabe: Tante sein. Eine gute Übung, Überwachungskameras in den Gehegen Tierpflegerin ist. So habe sie viel über altert doppelt so schnell wie ein Men- falls neuer Nachwuchs ansteht. In etwa Nicht aus jedem Ei wird immer im Blick. die Entwicklung der Tierart lernen kön- schenkind. Und ein weiteres Naturge- einem Jahr sollte es wieder so weit sein, ein Küken Einschreiten mussten sie und ihr Team nen – aber noch etwas viel Wertvolleres setz lautet: Babys üben von allen Tieren schätzt Tierpflegerin Such. bei dem Affenbaby bisher nicht. Such erfahren: „So ein zahmes Tier war schon die größte Anziehungskraft aus. Auch Die geborene Mutter gibt es im Tier- Die Eier werden nun verfüttert. Eine hat Kato auch nur durch die Gitter hin- auch toll. Mit dem konnte ich rumdad- deshalb verzeichnete der Tiergarten im reich nicht: Gerade bei Erstgebärenden Handaufzucht wäre viel zu aufwendig, durch berührt – als die Mutter es zuließ. deln und rumschmusen.“ Dezember 2019 einen Besucherrekord. passieren immer wieder tödliche Feh- erklärt die Veterinärin. Die Tierart müs- Mehr Nähe brauchte es zu dem Wildtier Im Januar durfte er sich ebenfalls über ler, sagt Baumgartner. Sie erinnert sich se immer in Bewegung bleiben – daher bisher nicht. Auch die Zootierärztin sah Text: Meike Kreil einen Zuwachs von rund 20 Prozent im an eine Antilope, die ihr Junges viel zu der Name Laufvogel –, was ein Pfleger noch keinen Anlass, Kato eingehender Foto: Ramona Such Buchbesprechungen In seinem schmalen Was haben das Klima und das Wetter Spätestens seit dem Ebenfalls im Bienenschwerpunkt des Auch wenn der Ti- Bändchen vereint miteinander zu tun? Die Klimaforscherin Bienen-Volksbegeh- Haupt-Verlags erschienen ist das Buch tel des Buches „Die der amerikanische Friederike Otto und ihr Team haben den ren in Bayern sind „Die Bienenkönigin. Was jeder Hob- fabelhafte Welt der Schriftsteller und Na- Zusammenhang gefunden. Es geht um hierzulande die Bie- byimker wissen muss“. Die Autorin fiesen Tiere“ eher an turschützer Jonathan die Wahrscheinlichkeit, mit der extreme nen die Botschaf- Hilary Kearney ist die Gründerin eines Klamauk denken lässt, Franzen zwei Essays Wetterphänomene aufgrund des Klima- terinnen für den Bienenzuchtunternehmens, das jedes geht es dem Biologen zur aktuellen Klima- wandels auftreten. Den Wissenschaftlern heimischen Arten- Jahr Hunderte von Imkerinnen und Im- Frank Nischk um die debatte. Neben dem ist es gelungen, den Einfluss des Klima- schutz. Und das ker ausbildet. Folglich könnte man ihr bedrohte Insekten- titelgebenden Text wandels aufs Wetter zu berechnen. So ungeachtet der Tat- Buch auch als eine Art Lehrbuch für den welt und deren oft- „Wann hören wir end- ist eine Hitzewelle, wie sie Deutschland sache, dass die weit- Imkernachwuchs auffassen. Auf 48 im mals im Verborgenen lich auf, uns etwas vorzumachen?“ gibt es 2018 erlebt hat, durch den Klimawandel hin bekannte Honigbiene gar nicht vom Buch eingebundenen, großformatigen schlummernde Schönheit. Die über alle noch den Beitrag „Das Spiel ist aus. Der mindestens doppelt so wahrscheinlich Aussterben bedroht ist. Es sind viel- Suchbildern können alle Bienenfreunde Seiten des Buches verteilten Sechsfüßer Petro-Kommunismus hat gewonnen“. wie früher. mehr die Wildbienen, denen das Leben schon mal üben, die Bienenkönigin zu wie auch die über einen QR-Code einge- In einem umfangreichen Vorwort ordnet Otto beschreibt ihr Modell und des- schwer gemacht wird. Ihnen widmen finden. Besonders bei den 18 als schwer fügten Klangbeispiele singender Grillen Franzen seine Gedanken in den öffentli- sen zunehmende Verfeinerung sehr sich die Landschaftsökologin Janina eingestuften Suchbildern ist das eine machen das Buch lebendig. Als Nach- chen Diskussionsprozess ein. Eigentlich anschaulich und beinahe mitreißend. Voskuhl und der Biologe Herbert Zucchi wirkliche Herausforderung. wuchsforscher widmete sich Nischk fast ist mit dem Untertitel des ersten Essays Wer immer schon Argumente suchte in ihrem Band „Wildbienen in der Stadt. Kearney beschreibt das Bienenleben ehrfürchtig der Deutschen Schabe, sprich auch bereits alles Wesentliche gesagt: gegen Klimawandelleugner und -ver- Entdecken, beobachten, schützen“. im Honigbienenstock, das Leben der der eher wenig renommierten Kakerla- „Gestehen wir uns ein, dass wir die Kli- harmloser, wird in diesem gut belegten Biologisch fundiert fächern die Au- Bienenkönigin und deren Erkennungs- ke. In der weiteren Forschung wechselte makatastrophe nicht verhindern können.“ Buch auf jeden Fall fündig. toren das Thema von den Insekten merkmale. Wer mit dem Gedanken Nischk in die Bioakustik. Hierfür begab er Das ist ganz praktisch gemeint: keine fal- Durch Ottos Forschungsergebnisse zu Wissenswertem über Bienen, de- spielt, selbst in die Imkerei einzustei- sich auf akustische Grillenjagd. Geradezu schen Hoffnungen auf Rettung nähren. können Klimaveränderungen auch auf ren Entdecken und Schützen in der gen, findet in diesem Buch – am Besten ehrfürchtig erkennt er im Grillenklang den Vielmehr plädiert Franzen dafür, endlich konkrete Verursacher zurückgeführt Stadt bis zu Wildbienenprojekten in Kombination mit dem oben beschrie- Sound eines Streichinstruments. die Tatsache des Klimawandels zu ak- werden. So sollte es möglich sein, für Schulen, Kitas und Familien auf. benen Wildbienenbuch – einen prima Letztlich schafft es der Autor mit seiner zeptieren und „drakonische Naturschutz- Unternehmen oder Länder in die Der 256 Seiten umfassende Band ist Einstieg in sein neues Hobby. Bewunderung für die weithin verborgene maßnahmen“ zu ergreifen. Als ersten Haftung zu nehmen, sprich vor Gericht umfangreich bebildert und richtig Welt der Insekten auch beim Leser Neu- Ansatzpunkt sieht Franzen die sofortige zu bringen oder zum Umdenken zu praktisch, um im es beim täglichen Kearney, Hilary gierde und Interesse zu wecken. Sein Plä- Verringerung des CO2-Ausstoßes. zwingen. Arbeiten mit nach Draußen zu nehmen. Die Bienenköni- doyer für die Rettung der Vielfalt seiner gin. Was jeder Lieblingstiere überzeugt auf der ganzen Jonathan Franzen, Wann hören wir auf, Friederike Otto, Voskuhl, Janina / Hobbyimker Linie. uns etwas vorzumachen? Benjamin von Brackel Zucchi, Herbert wissen muss Rororo, rowohlt Verlag, Hamburg 2020 Wütendes Wetter. Wildbienen in der Stadt. entdecken, Haupt Verlag Frank Nischk ISBN: 978-3-499-00440-7 Ullstein Verlag, Berlin beobachten, schützen Bern, 2020 Die fabelhafte Welt der fiesen Tiere. übersetzt von: Bettina Abarbanell; 2019 Haupt Verlag, Bern 2020 ISBN: 978-3- Ludwig, München 2020 Wieland Freund ISBN: 9783550050923 ISBN: 978-3-258-08195-3 258-08171-7 ISBN: 978-3-453-28114-1 Preis: 8 Euro Preis: 18 Euro Preis: 29,90 Euro Preis: 22 Euro Preis: 20 Euro
SEITE 4 T I E R G A RT E N Z E I T U N G NO. 20 MAI 2020 Dass Fischotter große Strecken zurück- legen, zeigt ein Vorfall aus der Nürnber- ger Innenstadt. Auf Höhe der Naturhis- torischen Gesellschaft (NHG) war vor einigen Jahren ein Exemplar auf dem Altstadtring von einem Auto überfahren worden. Es war wohl auf der Suche nach einem neuen Revier über die Pegnitz gekommen. Die Tiere schwimmen nur unter Brücken durch, wenn es dort einen Uferstreifen gibt. Fehlt dieser, wie auf Höhe der NHG, nehmen sie notfalls auch den gefährlichen Weg über Straßen. Tim und Paulinchen fungieren als „Botschafter“, sagt Tiergarten-Revier- leiter Torsten Krist. Die sympathischen Tiere werben nicht nur für den Erhalt der Fischotter-Bestände, sondern auch anderer bedrohter Arten sowie der Ge- wässer in Bayern. Während der täglichen Fütterung um 14.15 Uhr informieren die Pfleger über ihre Lebensweise. „Wenn wir die Bevölkerung für Wiederansiedlungs- projekte begeistern und gewinnen, profi- Die Fischotter im Tiergarten sind gute Botschafter ihrer Art. Besucher finden die kleinen Nager im Aquapark. tieren auch Wasservögel, Flusskrebse und Amphibien“, betont Krist. Verspielter Räuber Um Fischzüchter mit dem tierischen Konkurrenten zu versöhnen, gibt es in Bayern einen Fischotter-Management- plan. Er sieht die Förderung von Prä- ventionsmaßnahmen vor, wie den Bau von Zäunen um bewirtschaftete Teiche, Fischotter galten in Deutschland als ausgestorben und kehren erst nach und nach zurück sowie Entschädigungszahlungen, wenn der Otter nachweislich größeren Scha- den angerichtet hat. Langfristig ist für M an muss ein bisschen Glück haben, um sie in ihrem Ge- hege zu sehen. Aber wenn sie sich zeigen, bezaubern sie die Besucher. Sie keckern, murren, pfeifen und balgen Denn in den 1990er Jahren galt die Art in Deutschland als fast ausgerottet. Die Tiere waren über Jahrhunderte gnaden- los gejagt worden. Der Staat zahlte sogar Prämien für jedes erlegte Tier. Auch sein beigetragen. Jetzt ist der Fischotter wie- der da und schon regt sich Ärger bei Fi- schereivereinen und Teichbesitzern. In Österreich und vereinzelt auch hierzulan- de wird schon nach einer Aufhebung der die vom Otter-Zentrum Hankens- büttel kam, eine neue Partnerin bekommen. Paulinchen hat dort er- folgreich Junge aufgezogen. Laut Er- haltungszuchtprogramm für Fisch- das Überleben der Art eine Vernetzung der Lebensräume in Spanien, Frankreich, Tschechien und Polen wichtig, damit der genetische Austausch gewährleistet ist. Dabei spielt die Population in Süd- miteinander, jagen sich im Spiel durch die wertvoller, dichter Pelz machte den Otter Schonzeit gerufen. otter passen Tim und Paulinchen gene- deutschland eine wichtige Rolle. Anlage und fressen ungeniert schmatzend zu einer begehrten Beute. Tim, der Fischotter im Nürnberger tisch bestens zueinander. Und sie harmo- Experten setzen ihre Hoffnung darauf, ihre Fischmahlzeit. Otter sind extrem ver- Unter anderem im Bayerischen Wald Tiergarten, wurde 2007 als Wildtier in nieren auch sonst sehr gut. Im Tiergarten dass sich der bayerische Bestand nach spielt, sagt Helmut Mägdefrau, Kurator und an der deutsch-tschechischen Gren- Tschechien geboren. Als seine Mutter hofft man auf Nachwuchs. Westen ausdehnt und Verbreitungslücken im Zoo am Schmausenbuck. „Es ist eine ze haben zum Glück kleine Restbestän- überfahren wurde, kam der gerade ein- Bei Fischottern handelt es sich nach geschlossen werden. Vielleicht werden Freude, ihnen zuzusehen.“ de diese gnadenlose Hatz überlebt. Und mal vier Wochen alte Winzling in eine dem Dachs um die zweitgrößte Marderart auch Tim und Paulinchen ihren Beitrag Die Tierart war ursprünglich mit Aus- langsam hat sich die Marderart im Frei- Auffangstation, wo er mit der Hand auf- in Mitteleuropa. Sie leben in ausgedehn- leisten. Wenn sie Jungtiere bekommen, nahme von Island und den Mittelmeer- staat – dank der Einführung einer ganz- gezogen wurde. In Nürnberg bekam er ten Revieren mit rund 20 Kilometern könnten diese später ausgewildert wer- inseln in ganz Europa verbreitet. Heute jährigen Schonzeit – wieder ausgebreitet. ein endgültiges Zuhause. Hier hat er mit Uferlänge und können sehr lange unter den. Denn spätestens nach zwei Jahren sind Fischotter sehr selten und streng ge- Auch das Bemühen, die Wasserqualität seiner Partnerin schon mehrere Jungtiere Wasser bleiben. Normale Tauchgänge müssen sie zuhause ausziehen. „Sonst“, so schützt. In Bayern leben laut Schätzungen in den heimischen Flüssen, Bächen und gezeugt. Der Nachwuchs wurde ausge- dauern bis zu zwei Minuten, aber auch Mägdefrau, „fliegen die Fetzen.“ maximal 250 Individuen. Seen zu verbessern sowie Maßnahmen wildert oder ging in Zoos. acht Minuten wurden schon beobachtet. Doch selbst über diese bescheide- zur Renaturierung begradigter oder be- Nach dem Tod seines ersten Weib- Sie fressen Fische, Krebse, Amphibien, Text: Alexandra Voigt ne Zahl sind Naturschützer glücklich: tonierter Gewässer hat zur Vermehrung chens hat Tim jetzt mit Paulinchen, Insekten und Muscheln. Foto: Michael Matejka Mit dem Klimawandel kommen neue Insekten Andere Arten von Wanzen, Bienen und Käfern als früher besiedeln inzwischen den Schmausenbuck D ie Folgen des Klimawandels spürt auch der Tiergarten: Bäume sterben, der Insekten- bestand verändert sich. Seit langem be- schäftigt das Baumsterben Forstwirte darunter der ebenfalls eingeschleppte Asiatische Laubholzbockkäfer. Behei- matet war er ursprünglich in Asien, in- zwischen kommt der Holzschädling im- mer öfter auch in Europa vor. dass einige Exemplare mit Frachtflie- gern von Amerika nach Europa kamen und sich hier vermehrt haben. Um den Winter zu überstehen, verkriechen sie sich gerne in beheizten Gebäuden. Auch men“ sei der Tiergarten, sagt Beckmann. Unterschiedliche Bäume und Sträucher sind auf dem Areal zu finden, Totholz, Wiesen, Gewässer. Solche strukturrei- chen Landschaften sind ökologisch oft Die Bemühungen des Tiergartens um Artenvielfalt scheinen sich auszuzahlen: Immer wieder werden auf dem Areal neue Insekten- und Spinnenarten ent- deckt. „Insgesamt wurden auf dem Tier- und Naturschützer. „Das passiert bei „Es wird streng darauf geachtet, dass in Beckmanns Büro im Verwaltungs- sehr wertvoll und bieten verschiedens- gartengelände über 3.000 Insektenarten uns im Tiergarten Nürnberg genauso seine Ausbreitung eingedämmt wird“, gebäude des Tiergartens krabbeln die ten Arten Raum zum Leben. Für Wild- nachgewiesen“, sagt Helmut Mägdefrau, wie draußen“, sagt der stellvertretende sagt Jörg Beckmann. Wälder, in denen er Wanzen herum. „Bisher wurden sie in bienen und Laufkäfer gibt es im Tiergar- Tiergartenvizedirektor. „Aber wir wer- Zoologische Leiter Jörg Beckmann. sich festgesetzt hat, würden rigoros gero- Deutschland nicht als Schädlinge wahr- ten eine Sanddüne. Schon seit Jahren ist den in den nächsten zehn bis 20 Jahren Vor allem Trockenheit, Forstschädlin- det, um den gefräßigen Käfer zu stoppen. genommen, in Nordamerika, ihrer ur- der Zoo darauf bedacht, die Situation eine Verschiebung erleben.“ In welche ge und zahlreiche Stürme setzten den Im Nürnberger Tiergarten wurde der sprünglichen Heimat, jedoch schon“, der Insekten ins Bewusstsein der Men- Richtung diese Verschiebung geht, kön- Bäumen zu. Während die einen ster- Laubholzbockkäfer bisher nicht gesich- sagt er. Die Kiefernwanze sauge gerne schen zu rücken – zum Beispiel mit der ne derzeit niemand vorhersehen. ben, blühen die anderen richtig auf: tet. Ein weiteres Beispiel für eine „neue an den Zapfen von Kiefern – einer der Mistkäferhaltung im Wüstenhaus. Sie Totholz und geschwächte Bäume im Art“ jedoch schon, die Amerikanische häufigsten Baumarten in Nürnberg. Ein macht darauf aufmerksam, welche wich- Text: Philipp Demling Wald bieten nahezu perfekte Brutbedin- Kiefernwanze. Jörg Beckmann vermutet, „Mosaik aus verschiedenen Lebensräu- tige Rolle die Käfer für die Natur spielen. Fotos: Michael Matejka gungen für viele Insekten, zum Beispiel für diverse Bock- und Borkenkäfer- arten. Dadurch steigt die reine Bio- masse an Insekten kurzfristig an. Dem Insektensterben an sich wirkt dies aber nicht entgegen. Durch den Klimawandel werden manche Insektenarten seltener werden Dafür kommen andere dazu, die früher ausschließlich in südlichen Regionen zu Hause waren. Ein Beispiel dafür ist die blaue Holzbiene, die einer Hummel ähnelt. Ihr auffälligstes Merkmal sind ihre blau schimmernden Flügel. Auch sie fühlt sich im Totholz wohl. Bis vor einigen Jahrzehnten lebte die Blaue Holzbiene vor allem in Südeuropa. In Deutschland kam sie allenfalls in der klimatisch milden Oberrheinebene vor. Inzwischen ist sie auch in Bayern, Hes- sen, Ost- und Norddeutschland keine Seltenheit mehr. Doch auch Schädlinge Borkenkäfer vermehren sich derzeit rasant, dem Insektensterben an sich wirkt Jörg Beckmann neben einer abgestorbenen Fichte im Tiergarten, vielen Arten werden in unseren Breiten heimisch - dies aber nicht entgegen. dient sie jetzt als Lebensraum.
MAI 2020 T I E R G A RT E N Z E I T U N G NO. 20 SEITE 5 Die Vorratskammer muss voll sein Futtermeister Gerd Schlieper sorgt dafür, dass alle Tiere satt werden – vieles stammt aus der Region und aus eigenem Anbau G erd Schlieper muss regelmäßig 6.414 hungrige Mäuler stopfen. „Das ist kein Hexenwerk“, meint der Futtermeister im Tiergarten Nürn- berg. Damit hat er sicher recht. Denn der Landwirt ist ein kühler Rechner und ein erfahrener Logistiker. Seit Sommer 2012 sorgt der Chefeinkäufer dafür, dass die Tröge in den Gehegen immer gut gefüllt sind. Dabei greift er auf Ware zu- rück, die er aus ganz unterschiedlichen Quellen bezieht. Schlieper ist stolz dar- auf, dass der Tiergarten über eine eige- ne Futterproduktion im Gut Mittelbüg verfügt und dadurch sehr nachhaltig wirtschaftet. Vor allem frisches Gras stammt aus dem nur sieben Kilometer entfernten, landwirtschaftlichen Betrieb der Stadt Nürnberg. Es war ein Glücksfall, dass dieses früher ganz unterschiedlich ge- nutzte Anwesen bereits vor Jahrzehnten dem Tiergarten zugeschlagen wurde. Schlieper und sein Team planen lang- fristig und verfügen damit über regel- mäßigen Nachschub. Das ist wichtig, denn manche Be- wohner des Tiergartens sind absolute Feinschmecker und verschmähen das Gras, wenn es nicht die richtige Kon- sistenz hat. Das kann passieren, wenn das Futter einen zu langen Transport- weg hat. Bei 90 Prozent des gesamten Volumens an Heu für die Fütterung im Tiergarten ist das nicht der Fall: Es stammt aus eigenem Anbau. Die Landwirtschaft in Mittelbüg ist „Bio“ zertifiziert und somit von hoher Qua- lität. Bei der Weltleitmesse „Biofach“ im Februar 2020 war der Tiergar- ten offizieller Botschafter der „Bio- Gerd Schlieper kauft größere Mengen an Grünfutter, wie den Endiviensalat, am liebsten aus der näheren Umgebung. stadt Nürnberg“. An einem größeren Stand wurde den Besuchern die Bewirt- Dabei stellt er ganz besondere Ansprü- Das gilt auch für exotische Sachen wie Herde wie viel frisst, ist schwer zu kon- Naturalien bei. Die Säcke mit getrock- schaftung vorgestellt. „Viele in Nürn- che. Die Fische müssen mager sein. Er Kolibrinektar. Den findet Schlieper in trollieren. „Sie grasen, grasen, grasen“, netem Brot hat der Tiergarten seit län- berg wissen gar nicht, dass wir hier ein weiß genau, wann die Fänge aus wel- Holland. Häufig werden die Futtersor- verdeutlicht Baumgartner. Auch ein gerem vom Eingang verbannt, weil die Vorzeigebetrieb sind“, vermutet der chen Fanggründen entsprechend aus- ten gemischt, um den Bedürfnissen der Raubtier muss sich vollfressen können. Gefahr des Schimmelns zu groß ist. Futtermeister. fallen und kauft dann im Voraus gleich Tiere gerecht zu werden. Aber dafür gibt es zwei Mal in der Wo- Auch die abgegebenen Christbäume große Mengen ein. 70 bis 90 Tonnen Wer welches Nahrungsmittel erhält, che gar kein Futter. rund um Weihnachten sind mehr Spiel- Selbst der Kot wird Fisch sind es im Durchschnitt pro Jahr. das legt Tierärztin Katrin Baumgart- Manchmal wächst ein besonderer zeug als Futter. Hierfür eignen sich viel- Wegen der Delphin- und Seelöwenhal- ner zusammen mit den Revierleitern Leckerbissen gleich um die Ecke, wie mehr Pellets, die häufig mit Mineral- wiederverwendet tung hat Nürnberg einen hohen Bedarf. fest. Regelmäßig werden die Futter- etwa Akazienäste. Die Bäume befinden stoffen angereichert sind. Futtermeister Sogar die Hinterlassenschaften der Die gefrorenen Fische lagern beim listen überprüft und angepasst. Als sich in dem Gebiet des Reichswalds, für Schlieper bezieht diese bevorzugt von Tiere werden genutzt, indem das Stroh Händler auf Abruf. Zurzeit wird eine Richtschnur gilt ein Bodyscoring, das in das der Tiergarten zuständig ist. Daher einem kleineren Betrieb in Emskirchen. aus den Ställen in Mittelbüg kompos- neue Futterhalle gebaut und damit die Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für kommt es vor, dass manchmal ganze Er geht wegen der kurzen Transportwe- tiert und zur Düngung eingesetzt wird. Lagerfläche deutlich vergrößert. Das Tiermedizin in Zürich überwacht wird. Baumkronen in den Gehegen landen. ge gerne in der Umgebung auf die Suche Auf diese Weise schließt sich der Kreis- freut den Futtermeister, denn dadurch Die Durchschnittswerte seien „gut Sehr zur Freude der Besucher. Sie foto- nach Nahrung für seine Schützlinge. lauf der Nährstoffe. Natürlich schlägt wird er flexibler. Wenn er mal ein bis geeignet, die Tiere weder mit Überge- grafieren gerne während der Fütterung Wenn der Tiergarten einen größeren es sich auch auf der Kostenseite posi- zwei Tonnen Fisch zu viel eingekauft wicht noch unterernährt zu halten“, be- und wissen ein ungewöhnliches Mo- Teil der benötigten Futtermengen in tiv nieder, wenn 40 Tonnen Runkelrü- hat, „verkaufe ich es weiter“, sagt er. kräftigt die Tierärztin. tiv zu schätzen. Das kann der stellver- der Region einkauft, ist das nicht nur ben, zehn Tonnen Weizen, 7,5 Tonnen Schwieriger sei es, wenn er zu wenig ge- tretende Direktor Helmut Mägdefrau für die Ökobilanz gut, sondern macht Grünmais und drei Tonnen Hafer – um ordert hat. Aber gehungert hat deswe- Ein Raubtier muss sich verstehen. Dennoch wolle man sich ein sich auch positiv im Budget bemerkbar. nur die größten Posten zu nennen – gen noch kein Tier. vollfressen können Stück von den festen Fütterungszeiten Schließlich ist es den Tieren egal, ob das dort selbst angebaut werden. Manchmal geht es auch schlicht um verabschieden, sagt er. Bei den Men- Obst so aussieht wie in der Werbung. Da Nürnberg bekanntlich nicht am eine Extraportion. Giraffen lieben bei- Natürlich kennt sie noch andere In- schenaffen hat der Tiergarten schon in Ihnen schmeckt eine krumme Möhre Meer liegt, aber etliche Bewohner spielsweise getrocknete Himbeerblät- dikatoren für eine zu gute Ernährung. den 1980er Jahren umgestellt und bei oder ein kleiner Apfel ebenso. am Schmausenbuck leben, die gerne ter. Die besorgt Schlieper ebenso selbst- Bei den Huftieren setzt sich Fett zum den Raubtieren sollte es ebenso sein. und regelmäßig Fisch fressen, muss verständlich wie spezielle Leckerli für Beispiel im Mähnenkamm ab. Egal, ob Zur Versorgung der Tiere tragen die Text: Petra Nossek-Bock Schlieper jede Menge davon einkaufen. die Affen, die es in der Schweiz gibt. Esel, Zebras oder Pferde: Wer in der Besucher übrigens immer weniger mit Fotos: Tilmann Grewe Bei dem Gemüse zum Verfüttern handelt es sich oft um zweite Wahl. Fische werden in Blöcken als Tiefkühlware eingelagert. Für Fleisch gibt es verschiedene Bezugsquellen.
SEITE 6 T I E R G A RT E N Z E I T U N G N O . 2 0 MAI 2020 T I E R G A RT E N Z E I T U N G N O . 2 0 SEITE 7 Brillenbären, Elefanten, Nilpferde und Iberische Wölfe zieren die Ahnengalerie des Tiergartens. Giraffen, Seekühe, Fischkatzen, Mistkäfer, Paviane und Bartgeier verdeutlichen ein modernes Zoomanagement. Wer geht, wer bleibt, wer kommt? Welche Tiere werden ausgewählt? Über die Zusammensetzung des Bestands entscheiden viele Kriterien – heute werden andere Arten berücksichtigt als vor 50 Jahren. Das europäische Erhaltungszuchtprogramm ist ein wesentlicher Faktor – das Publikum würde häufig für andere Tiere plädieren. Durch veränderte Ansprüche an Größe und Ausgestaltung der Gehege sind frühere Bewohner nicht mehr so einfach wieder anzusiedeln. W elche Tiere erwarten Zoo- Besucher in Nürnberg – und welche passen zur Idee des Tiergartens? Wieso sitzen Bartgei- er in einem Gehege, in dem zuvor ein ten – ob Delphine oder Elefanten – hier- zulande Menschen für Themen erreiche, die beispielsweise in Afrika von Belang sind. „Kein Mensch würde sich für Ele- fanten interessieren, wenn sie durch ihre linge im Manati-Haus: Sie sind als Bestäuber in den Tropen essentiell. Doch wie attraktiv sind sie etwa gegenüber Nilpferd oder Braunbär? Dag Encke überlegt keine Sekunde. Die Beweggründe und Entschei- dungskriterien für tierische Ein- und Auszüge am Schmausenbuck sind äu- ßerst vielschichtig und als Kurzinforma- tion für Besucher kaum zu transportie- Will man im Zoo etwas Spezifisches mit Erinnerungswert präsentieren, braucht man Überraschungseffekte. Käfer etwa: „Es gibt keinen Zoo, der Pillendreher züchtet. Niemand weiß, haltung“, erläutert der 54-Jährige. „Wir mussten das Gehege also erst mal sinn- voll füllen. Und angeblich soll es nun eine der besten Fischkatzenanlagen sein, die es gibt.“ pulation der ursprünglich gewünschten Art schrumpfen sollte, um Platz für eine weitere Art freizugeben.“ So gab man im Nürnberger Tiergarten die Mayotte-Makis ab, die sich in einer muss zum Charakter des Zoos auf lange Sicht passen“, verweist er auf die – auch durch Politiker – immer wieder auffla- ckernde Diskussion über ein neues Ele- fantenhaus. „Wir haben damals vieles Vom Tier zum Lebensraum Mit einzelnen Tierarten können weder Auch im Mediterraneum zog 2010 mit Braunbär gelebt hat? Weshalb sind Ele- Präsenz nicht auch Teil unserer Kultur „Wenn man gut ist, kann man jedes Tier ren. „Es wäre zu einfach zu sagen, man wie man sie gezielt vermehren kann, Aus einem ähnlichen Grund genetischen Studie als Hybride und nicht geprüft und uns die Entscheidung nicht Zoos noch Naturschutzverbände die Arten- den Berberaffen eine Tierart aus und eine fanten vorerst kein Thema in Nürnberg? geworden wären; denn die Empathie für attraktiv präsentieren. Das Letzte, wor- hätte etwa die Elefanten nur abgeschafft, das wollen wir hier herausfinden. Für wurden die Berberaffen mit den Gorillas als Unterart entpuppten. „Stattdessen ha- leicht gemacht.“ vielfalt retten. Wurden früher einzelne Tiere Vielzahl neuer Tierarten ein. Das sind etwa Auch Wölfe, Nilpferde oder Brillenbären Lebewesen sinkt mit dem physischen an ich bei Bestandsänderungen denke, weil das Haus zu klein geworden war“, dieses rein fachliche Ziel werden die vergesellschaftet: In das für sie nicht ben wir nun Kronenmakis, entsprechend oder Tierarten gezeigt, versuchten die Zoos Ziesel, drei Schildkrötenarten, eine Echsen- sind passé, während Pillendreher, Strei- Abstand.“ ist, ob sie für die Besucher attraktiv sind. verdeutlicht Encke. Käfer aber so ungewöhnlich präsen- erweiterbare und damit untaugliche dem Bedarf für Lemuren im Europäischen Weltweiter Austausch schon vor Jahrzehnten durch Vergesellschaf- art namens Scheltopusik und Perleidechsen. fenwiesel oder Kronenmakis Einzug Denn es liegt an uns, Tiere attraktiv zu tiert, dass sie plötzlich zu einem Al- Gehege (heute Mediterraneum) zogen Raum.“ Strategien, die entscheidend sein von Tieren tung verschiedene Tierarten gemeinsam zu Im 2011 eröffneten Manatihaus leben gar 55 halten. Läuft das Besucherinteresse dem Kleine Tiere haben präsentieren.“ Zudem sei Nürnberg „an Forschung für die leinstellungsmerkmal unseres Zoos Ziesel und Reptilien ein. können – und die Bedeutung der Zoos auf halten. Und seit etwa zehn Jahren gestaltet Tierarten zusammen unter einem Dach. Da- Interesse des Zoos für Arterhalt und riesige Wirkung Großtieren kaum zu übertreffen“, betont freie Wildbahn werden.“ eine ganz andere Ebene heben. Encke lässt sich in die Sessellehne der Tiergarten Nürnberg wenn möglich runter sind Seekühe, Affen oder Fledermäu- Forschung vielleicht sogar entgegen? der Zoochef. Kamele, Tiger, Löwen, Oder Bartgeier: „Sie waren hier im- Mitentscheidend ist „Die heute in den Zoos befindlichen zurückfallen – und stellt klar: „Wir se- neue Tiergehege nach dem Vorbild von Le- se wie auch Vögel – drei Entenarten, Tauben, Tiergartendirektor Dag Encke atmet 2008 analysierte man in Nürnberg den Menschenaffen, Panzernashörner, meh- „Haben wir ein Zuchtprogramm für mer ein Schwerpunkt – die Zucht ist die Landschaft Kattas, auch sie gehören zur Gruppe der hen unseren Tierbestand als Teil von bensräumen. Organisten, Naschvögel oder Tangare – und tief durch. Ein Riesenthema! Und per- Tierbestand. Das Ergebnis überraschte: rere Großrinderarten, Delphine, Mana- Afrikanische Elefanten, ist das für sich hoch erfolgreich. Ich weiß nicht, wie Lemuren, werden weltweit die letzten Populationen, die es weltweit aufzu- Nachdem die Nilpferde ausgezogen wa- Reptilien wie Leguane, Geckos, Schildkrö- manent aktuell. „Wir müssen uns fragen, „Wir erkannten, dass wir einen enormen tis, Giraffen, Malaiische Tapire, je zwei gesehen noch kein Beitrag für die Wild- viele Tiere wir nach Süd-Spanien, in Eine weitere Facette bei Neubele- sein. Wir haben einen Überschuss und bauen gilt.“ Dazu gehört auch, dass ren, kam in das heutige Wüstenhaus eine ten und Anolis. Im Wasser tummeln sich vier was wollen wir den Menschen geben? Überhang an Großtieren haben und Zebra- und Wildesel-Arten... population, da diese im südlichen Afrika den Alpenraum und Korsika ausge- gungen bilden die Zielsetzungen der wissen, dass wir die Art für Madagaskar Tiere nach der Empfehlung von Experten Tropenhalle mit einer beachtlichen Tierviel- Fischarten und in der Luft schweben Falter Kann ich sie überraschen? Können wir ganze Tier-Klassen fast nicht repräsen- „Doch es ist wie im Museum“, meint noch gesichert ist. Doch konnten wir mit wildert haben. Wir konnten Bestände EU-Zoovereinigung für die Welt-Po- erhalten können. In den nächsten Jahr- zum Zweck der Vermehrung in andere falt. Das Sandsteingebäude vertrug jedoch aus 15 bis 30 Schmetterlingsarten. Tiere gut halten, auch in ethischer Hin- tieren: Vögel, Reptilien, Amphibien und Encke schmunzelnd. „Wann bin ich be- diesen Elefanten so viel Forschung be- stabilisieren! So etwas macht einfach pulationen bestimmter Arten. „Diese zehnten muss aber erst wieder ein gesi- Zoos reisen, Eisbären etwa. „Manche tun die Feuchtigkeit nicht. In dem nun als Wüs- In der Bartgeiervoliere am Standort der sicht begründen, warum wir sie halten Insekten. Also haben wir die Schwer- deutend? Wenn ich einen Picasso habe! treiben, dass wir mit den Methoden, die Freude.“ Oder Fischkatzen... Ziele basieren auf einer Analyse der cherter Lebensraum geschaffen werden, das auch mit Freuden“, sagt Encke la- tenterrarium genutzten Bau bewegen sich früheren Braunbärenanlage finden sich die und welches Ziel wir verfolgen? Nützt punkte gezielt auf kleinere Tiere verla- Und der Elefant ist eben ein Picasso, in Zoos entwickelt wurden, in die freie Für ihren Einzug ins einstige Brillen- Zoo-Populationen. Vom Prinzip her bevor wir in die Auswilderung gehen.“ chend. „Eisbär ,Felix‘ ist begeistert in jede die Besucher zwischen vielen Tierarten. Das neben Bartgeiern auch Steinhühner, Tan- das den Tieren? Wissen wir genug über gert, die in ihrer ökologischen Wirkung wie auch Delphin, Menschenaffe oder Wildbahn gehen können; beispielsweise bärgehege gab es einen ganz banalen, nimmt man eventuell eine andere Tier- Mitentscheidend bei Tierbestand- Kiste gerannt.“ sind Säugetiere wie Kurzohr-Rüsselspringer nenhäher oder Alpenkrähen und Steppen- sie, und wie soll sich die Population ent- aber als Riesen zu bezeichnen sind.“ Eisbär. Geht es um den Ruf, sollte man bei Krankheitsbekämpfung, Transport, doch essentiellen Grund: „Bei einer art als ursprünglich gewünscht, die sich Überlegungen in Nürnberg sei die Land- und Fette Sandratte, drei Vogel- und sieben murmeltiere. Außerdem nutzen viele heimi- wickeln? Wir müssen hier länderüber- Der Tannenhäher etwa spielt für schon einen Picasso haben – damit wird Narkotisierung, Befruchtung. So können Fortführung der Großbärenhaltung unter den gleichen Haltungsbedingun- schaft: „Ein Kleinod!“ Enckes Augen Text: Anabel Schaffer Reptilienarten, darunter Agamen oder Har- sche Tierarten die Anlage mit der Anmutung greifend denken!“ die Ausbreitung der Zirbelkiefer in die Erwartungshaltung der Besucher wir etwa genetisches Material vom Bullen hätten wir komplett neu denken und gen wohlfühlt, weil deren Gesamt- leuchten. „Auf sie baut alles auf, auch Fotos: Uwe Niklas (4), dune, und insgesamt vier Käferarten. Die eines eurasischen Gebirgsraums. Ein entscheidender Punkt sei, dass den Schutzwäldern der Schweiz eine scheinbar erfüllt. Doch eigentlich ist der zur Kuh bringen, ohne die Tiere transpor- bauen müssen, denn sie ist ähnlich Population langfristig wachsen muss, unsere Schwerpunkte: Lebensraum Wüs- Tilmann Grewe (2), TGN bekanntesten Käfer sind die Skarabäen oder man über Tiere aus anderen Kontinen- große Rolle. Oder die Schmetter- Picasso nur ein Schlüsselreiz.“ tieren zu müssen.“ anspruchsvoll wie die Menschenaffen- um stabil zu werden, während die Po- te, Wasser und Wald. Was wir hier bauen, Montage: Yannick Scharf auch Mistkäfer genannt. Text: Nicola A. Mögel
SEITE 8 T I E R G A RT E N Z E I T U N G NO. 20 MAI 2020 Seehunde sind durch eine gefährliche Viruserkrankung bedroht. Soll der Mensch ihnen bei der Bekämpfung aktiv zur Seite stehen? Virenschutz für alle Seehunde Nach gründlicher Abwägung impfen Wissenschaftler Robbenbestände, um der Gefahr einer Epidemie vorzubeugen D er Begriff Wildtiermanagement ist ein Widerspruch in sich. Entweder lebt ein Tier in der Wildnis, wo es nur den Gesetzen der Natur gehorcht, oder es wird von einem schaftswaldes wird in hohem Maße vom Menschen reguliert. Dies betrifft nicht nur Rehe und Hirsche, die ein Förster über den Winter füttert, durch Zäune von Jungbäumen fernhält und impfung für Füchse. Von 1983 bis 2008 wurden in Deutschland Köder mit dem Impfstoff gegen Tollwutviren ausgelegt. Seither gilt Deutschland offiziell als „tollwutfrei“. Die Infektionskrankheit, kurz vor dem Aussterben standen. Für alle anderen Wildtiere galt lange Zeit das ungeschriebene Gesetz der Tierfil- mer: „Nicht anfassen, nicht eingreifen!“- Doch langsam wird uns bewusst, dass Manager – das ist der Verwalter eines zuletzt nach festgeschriebenen Regeln die meist durch einen Biss übertragen wir bereits im Anthropozän leben, dem ökonomisch ausgerichteten Unterneh- abschießt. wird, endet für Mensch und Tier in der vom Menschen beeinflussten Erdzeit- mens – in seinem Dasein eingeschränkt. Jeder Baum, der ins Sägewerk abtrans- Regel tödlich. Zwar können alle Säuge- alter. Umweltverschmutzung, Lebens- Zootiere sind keine Haustiere, son- portiert wird, fehlt unzähligen Insek- tiere und sogar Vögel erkranken, doch raumverlust und Klimawandel führen dern Wildtiere, deren Körperbau, Phy- tenarten, Vögeln und Fledermäusen als die größte Gefahr für den Menschen immer schneller zu einem dramatischen siologie und Verhalten so weit wie mög- Lebensraum und Nahrungslieferant. An geht vom Haushund aus, der von ei- Rückgang von immer mehr Tierarten. lich erhalten bleiben soll, damit man sie dem geringen Anteil von Totholz lässt nem infizierten Fuchs gebissen wurde. Sollte der Mensch, der für diesen bei Bedarf auswildern kann. sich leicht ablesen, wie weit der Forst Die Bestandsregulierung und Impfung Rückgang verantwortlich ist, dazu Wenn ein Zoomitarbeiter ein Gehege von einem naturnahen Wald oder einem der Füchse diente in erster Linie dem übergehen, bedrohte Spezies in freier einrichtet, Futter zusammenstellt, den echten Urwald entfernt ist. Schutz des Menschen. Wildbahn zu managen? Prophylaktisch? Tagesrhythmus bestimmt und für eine Waldbesitzer und Förster waren Indem er etwa einen Meeressäuger ge- Charles Littnan hat ein Programm zur stressfreie Gruppenstruktur sorgt, in- schon immer Wildtiermanager, der Be- Drastischer Rückgang gen einen gefährlichen Virus impft, Impfung von Robben durchgesetzt. dem er zum Beispiel überzählige Männ- griff wurde aber erst in jüngster Zeit obwohl die Krankheit bei dieser Tier- vieler Tierarten chen tötet, dann managt er diese Tierart mit dem Auftreten längst ausgerotteter art noch gar nicht ausgebrochen ist? obwohl das Virus gar nicht aktiv ist. aufs Äußerste. Und niemand wird be- Tierarten populär. In Bayern entwickelt Wildtiermanagement war und ist Charles Littnan, Leiter des Hawaiian So gelang es einem Team aus amerika- streiten, dass bei der Frage, welche Tier- die Arbeitsgruppe „Große Beutegreifer“ überall dort gängige Praxis, wo Wild- Monk Seal Research Program (HMS- nischen Tierärzten einen für Frettchen arten im Zoo wie präsentiert werden, Managementpläne für Luchs, Wolf und tiere gehalten oder genutzt werden oder RP), eines Instituts zur Erforschung der entwickelten Totimpfstoff gegen Mor- auch wirtschaftliche Überlegungen eine Bär. Ein Ausgleichsfonds entschädigt mit dem Menschen im Interessenskon- Hawaii-Mönchsrobbe, hatte diese Op- billiviren an fünf Seehunden zu testen, Rolle spielen. Landwirte, deren Nutztiere gerissen flikt stehen. Und natürlich gibt es einige tion bereits in Erwägung gezogen, als die im SeaWorld-Park in San Diego ge- Noch bedeutsamer wird der ökono- oder verletzt werden. Beispiele von Tierarten, denen aus ethi- 2010 ein Longman-Schnabelwal auf der halten wurden. Der Versuch war erfolg- mische Aspekt in der Forstwirtschaft. Ein Beispiel für erfolgreiches Wild- schen Gründen und ohne ein ökonomi- hawaiianischen Insel Maui strandete, reich und wurde 2013 veröffentlicht. Er Die Tierwelt des heimischen Wirt- tiermanagement ist die Tollwut-Schutz- sches Interesse geholfen wurde, weil sie der mit einem Virus infiziert war. zeigt, wie wichtig es ist, Tiere in Men- Littnan wusste, dass dieses Virus in schenobhut veterinärmedizinisch zu er- der Arktis, im Atlantik, dem Mittelmeer forschen, um ihren Verwandten im Frei- und dem Nordpazifik schon Zehntau- land helfen zu können. sende Robben und Delphine getötet hatte. Sein Auftreten im Zentralpazifik Gut die Hälfte der stellte eine unmittelbare Gefahr für die Population erreicht letzten etwa 1400 Hawaii-Mönchsrob- ben dar, von denen nur sieben in Men- Charles Littnan begann 2016 mit der schenobhut leben. Denn die Robben Impfung von Hawaii-Mönchsrobben mit dem schönen Namen Neomachus an ihren Liegeplätzen. Stand Febru- schauinslandi hatten noch keinen Kon- ar 2020 hat das Team aus Veterinären, takt mit dem Morbillivirus und folglich Zoo-Mitarbeitern und Dutzenden von keine Immunabwehr. Ihre geringe gene- saisonalen Freilandforschern bereits 764 tische Diversität machte sie außerdem der circa 1.400 Tiere zählenden Gesamt- besonders anfällig für eine tödliche Epi- population geimpft. demie. Doch Littnan wusste auch, dass Die Kosten belaufen sich auf 30 er von den amerikanischen Behörden US-Dollar pro Tier. „Wir haben niemals die Genehmigung bekommen wahrscheinlich bei einigen Teilpopu- würde, die Tiere aktiv zu impfen. Denn lationen 60 bis 90 Prozent der Tiere dies hätte bedeutet, einen abgeschwäch- geimpft und damit in vielen Teilen des ten Krankheitserreger als Lebendimpf- Verbreitungsgebietes eine Immunität ge- stoff in die „unberührte Natur“ einzu- gen das Virus erreicht“, erklärt Littnan. bringen. Das Impfprojekt sei das erste an einer Das Dilemma konnte nur mit mole- Wildtierpopulation mariner Säugetiere kulargenetischen Methoden gelöst wer- weltweit. den. Mit der Gentechnik lassen sich „re- kombinante Impfstoffe“ herstellen, die Text und Foto: Mathias Orgeldinger Stacie Robinson impft eine schlafende Hawaii-Mönchsrobbe am Strand. im Körper eine Immunabwehr auslösen, Weitere Fotos: HMSRP, NOAA
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