FOLTER 2014 30 JAHRE GEBROCHENE VERSPRECHEN - Bericht zur weltweiten Anwendung von Folter 30 Jahre nach Verabschiedung der Antifolterkonvention ...

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FOLTER 2014
                30 JAHRE GEBROCHENE
                VERSPRECHEN

Bericht zur weltweiten
Anwendung von Folter
30 Jahre nach
Verabschiedung der
Antifolterkonvention
der Vereinten Nationen
FOLTER 2014 30 JAHRE GEBROCHENE VERSPRECHEN - Bericht zur weltweiten Anwendung von Folter 30 Jahre nach Verabschiedung der Antifolterkonvention ...
Amnesty International

Inhalt

1 
  A NGRIFF AUF DIE MENSCHENWÜRDE – DIE GLOBALE KRISE
  AUS GRAUSAMKEIT, VERSAGEN UND ANGST 3
  Einleitung von Salil Shetty, Internationaler Generalsekretär
  von Amnesty International

2 
  FOLTER – EINE MENSCHENRECHTS­VERLETZUNG UND EINE STRAFTAT              5

3 
  DAS GLOBALE AUSMASS DER FOLTER                    6

4 
  W ER IST IN GEFAHR?            7

5 
  WANN UND WARUM KOMMT ES ZU FOLTER?                          8

6 
  W ELTWEITE Stop-Folter-KAMPAGNE                       10

7 
  S CHLÜSSELFAKTOR SCHUTZMechanismen                          11

8 
  S CHWERPUNKTLÄNDER DER KAMPAGNE                        13

9 
  Foltermethoden              18

10 Zur Lage in den verschiedenen Weltregionen 21
   Afrika 21
   Asien und Pazifik 23
   Europa und Zentralasien 25
   Naher und mittlerer Osten und Nordafrika 28
   Amerika 31

    Anhang 33
    Zusammenfassung des rechtlichen Rahmens                         33
    Definitionen und Begriffe 37

© Amnesty International, 16. Mai 2014
V.i.S.d.P.: Markus N. Beeko
Alle Rechte an den in dieser Broschüre abgebildeten Fotos liegen,
soweit nicht anders angegeben, bei Amnesty International.
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„Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher
oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 5

1 ANGRIFF AUF DIE MENSCHENWÜRDE –
  DIE GLOBALE KRISE AUS GRAUSAMKEIT,
  VERSAGEN UND ANGST
  Einleitung von Salil Shetty,
  Internationaler Generalsekretär
	von Amnesty International

Elektroschocks. Schläge. Vergewaltigung. Demütigung.       Vor 30 Jahren, im Jahr 1984, wurde dieser Fortschritt
Scheinhinrichtungen. Verbrennungen. Schlafentzug.          durch die Antifolterkonvention der Vereinten Nationen
Wasserfolter. Viele Stunden in gekrümmten Positionen.      weiter ausgebaut. Diese Konvention war bahnbrechend,
Einsatz von Zangen, Drogen und Hunden.                     denn sie bot konkrete Schritte, um das internationale
                                                           Folterverbot durchzusetzen, indem sie rechtliche Regeln
Die Worte allein klingen bereits wie der Stoff, aus dem    festlegte, die speziell dazu dienen, Folter zu verhindern,
Alpträume gemacht sind. Doch für zahllose Männer,          die TäterInnen zu bestrafen und Gerechtigkeit und
Frauen und Kinder in vielen Teilen der Welt gehören        Wiedergutmachung für die Opfer sicherzustellen.
diese unvorstellbaren Schrecken zur täglichen Realität.
                                                           Diese Maßnahmen sollen jedoch nicht nur Folter und
Folter ist abscheulich. Sie ist grausam und unmensch-      andere Misshandlungen auf nationaler Ebene verhindern,
lich. Sie ist niemals gerechtfertigt. Sie ist falsch und   sondern sie stellen auch sicher, dass niemand in andere
kontraproduktiv. Und sie vergiftet das Rechtsstaats-       Länder verschleppt werden darf, um dort gefoltert zu
prinzip, indem sie es durch Terror ersetzt. Niemand ist    werden, und dass TäterInnen nicht anderswo einen
mehr sicher, wenn Regierungen dem Einsatz von Folter       sicheren Zufluchtsort finden.
zustimmen.
                                                           Menschen, die andere gefoltert haben, werden heute
Nach den Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges haben         über Landesgrenzen hinweg strafrechtlich verfolgt. Es
Regierungen weltweit diese grundlegenden Wahrheiten        gibt eine verlässliche internationale Rechtsgrundlage.
anerkannt, als sie 1948 die Allgemeine Erklärung der       155 Länder sind Vertragsstaaten der UN-Konvention.
Menschenrechte verabschiedeten. Eine Erklärung, in der     Das ist tatsächlich ein bedeutender Fortschritt.
das Grundrecht auf ein Leben ohne Folter, ohne Grau-
samkeit, verankert ist – für jeden Menschen überall auf    Dennoch kommen zahlreiche Regierungen ihrer Verant-
der Welt.                                                  wortung nicht nach. Drei Jahrzehnte nach Verab-
                                                           schiedung der Konvention – und mehr als 65 Jahre
1966 wurde dieses Recht, das unserem menschlichen          nach Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der
Miteinander zugrunde liegt, in einem rechtsverbindli-      Menschenrechte – ist Folter nicht nur weiterhin existent,
chen internationalen Abkommen, dem Internationalen         sie ist sogar auf dem Vormarsch. Das erschreckende
Pakt über bürgerliche und politische Rechte, durch ein     Ausmaß, in dem Folter heute angewendet wird, zeigt die
ausdrückliches und umfassendes Verbot der Folter und       tiefe Kluft zwischen dem, was die Regierungen vor 30
anderer Formen der Misshandlung festgeschrieben.           Jahren beschlossen haben, und dem, was sie heute tun.
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In den vergangenen fünf Jahren hat Amnesty Internati-         Unsere weltweite Befragung zeigt zudem, dass die
onal über Fälle von Folter und anderen Formen der Miss-       überwältigende Mehrheit der Menschen eindeutige
handlung in 141 Ländern berichtet. In einigen Ländern         Vorschriften gegen Folter verlangt. Solche Vorschriften
wurde Folter routinemäßig und systematisch angewandt,         und andere Schutzmaßnahmen könnten Folter verhin-
in anderen wurden Einzel- und Ausnahmefälle doku-             dern und schließlich ganz abschaffen. Die herrschende
mentiert – doch selbst ein einziger Fall von Folter und       Doppelmoral hinsichtlich Folter muss entschieden
Misshandlung ist absolut inakzeptabel.                        bekämpft werden. Die Straflosigkeit muss beendet
                                                              werden.
Folter ist ein beliebtes Mittel der Unterdrückung. Ihr
Einsatz ist jedoch nicht auf autoritäre und diktatorische     Seit mehr als 50 Jahren setzt sich Amnesty International
Regime beschränkt – wenngleich sie dort besonders weit        dafür ein, eines der heimtückischsten Verbrechen auszu-
verbreitet ist. Folter ist auch nicht nur der Geheimpolizei   merzen, das ein Mensch einem anderen antun kann. Vor
vorbehalten. Zwar nehmen viele Staaten das absolute           30 Jahren hat unsere Bewegung die Kampagne für ein
Folterverbot ernst und haben bereits bedeutende Fort-         absolutes Folterverbot angeführt, die zur Verabschiedung
schritte im Kampf gegen Folter erzielt, dennoch sind          der UN-Antifolterkonvention geführt hat. Jetzt rufen wir
auf allen Kontinenten Regierungen jeglicher politischer       eine weltweite Stop-Folter-Kampagne ins Leben, um
Couleur an diesem extremen Verfall der Menschlichkeit         die damaligen Versprechen in die Tat umzusetzen. Die
beteiligt. Sie wenden Folter an, um Informationen zu          jüngste Kampagne in unserem langjährigen Kampf hat
erpressen, um Geständnisse zu erzwingen, um abwei-            zum Ziel, Folter endgültig zu beenden. Wir können das
chende Meinungen zum Verstummen zu bringen und als            schaffen, wenn sich jeder einzelne – vom Menschen auf
grausame Form der Bestrafung.                                 der Straße bis zum Staatsoberhaupt – zwischen den
                                                              Folterer und sein Opfer stellt.
Eine neue weltweite Befragung im Auftrag von Amnesty
International kommt zu dem besorgniserregenden                Amnesty International wird sich weltweit dafür einsetzen,
Ergebnis, dass – 30 Jahre nach Verabschiedung der             Folter abzuschaffen. Wir werden Regierungen anspre-
UN-Konvention – fast die Hälfte der Menschheit noch           chen, ­wir werden demonstrieren und die Brutalität
immer in Angst vor schrecklichen Misshandlungen lebt.         dieser Misshandlung aufdecken. Wir werden uns an die
Hier zeigt sich ein gewaltiges politisches Versagen –         Seite derjenigen stellen, die sich mutig für den Schutz
genährt von einer zerstörerischen Haltung, die schlicht       vor Folter einsetzen. Wir werden gemeinsam eingreifen,
leugnet, dass Folter existiert. Diejenigen, die Folter        wann immer Menschen gefoltert werden. Wir werden
anordnen oder anwenden, müssen in der Regel keine             Folterer zur Rechenschaft ziehen. Wir werden Folteropfer
Strafverfolgung fürchten. Folter bleibt in den meisten        wissen lassen, dass sie nicht allein und vergessen sind.
Fällen ungesühnt – es wird nicht ermittelt, und niemand
wird vor Gericht gestellt. Viele der Regierungen, die sich    Der Kampf gegen Folter ist Teil unserer Geschichte, er
der weltweiten Ächtung von Folter angeschlossen und           ist unser Auftrag, und er wird uns so lange begleiten, bis
diese entmenschlichende Praxis gesetzlich verboten            die letzte Folterkammer geschlossen ist.
haben, setzen Folter weiterhin ein oder erleichtern
zumindest ihren Einsatz.

Anstatt durch eine Nulltoleranz-Politik gegenüber Folter
das Rechtsstaatsprinzip zu achten, belügen Regie-
rungen beharrlich ihr eigenes Volk und die ganze Welt.
Anstatt sich um wirksame Maßnahmen zum Schutz ihrer
Bevölkerung vor Folterern zu kümmern, schaffen sie
Voraussetzungen dafür, dass Folter zunimmt. Dieses weit
verbreitete und schädliche Vorgehen beweist, dass ein
globales Folterverbot nicht ausreicht.
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2 FOLTER – EINE MENSCHENRECHTS­-
  VERLETZUNG UND EINE STRAFTAT
Unter Folter versteht man jede Handlung, bei der eine      Folter und bestimmte Formen von Misshandlungen sind
Person einer anderen vorsätzlich große Schmerzen           Straftaten nach dem Völkerrecht. So gelten sie zum
oder Leiden zufügt, um einen bestimmten Zweck zu           Beispiel nach den vier Genfer Konventionen, die von allen
erreichen, so zum Beispiel, um Informationen oder          Staaten der Welt ratifiziert wurden, als Kriegsverbrechen.
Geständnisse zu erhalten, um jemanden zu bestrafen,        Unter bestimmten Umständen können diese Handlungen
einzuschüchtern oder zu nötigen. Die TäterInnen sind       auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völker-
entweder selbst Staatsbedienstete oder ihre Handlungen     mord darstellen – zum Beispiel nach dem Rom-Statut
werden zumindest in irgendeiner Form von staatlichen       des Internationalen Strafgerichtshofs.
Behörden gebilligt.
                                                           Bereits eine einzige Folterhandlung ist laut Völkerrecht
So lässt sich die rechtliche Definition von Folter nach    eine Straftat. Dies bedeutet – zumindest für die 155
der UN-Antifolterkonvention zusammenfassen. Sie            Staaten, die die Antifolterkonvention ratifiziert haben –
spiegelt die vollkommene Ablehnung der internationalen     dass Regierungen verpflichtet sind, Folter unter Strafe zu
Gemeinschaft gegenüber Handlungen wider, bei denen         stellen, jegliche Foltervorwürfe umfassend und unpar-
Menschen andere körperlich und/oder seelisch angreifen     teiisch zu untersuchen und die TäterInnen bei entspre-
und ihren Opfern absichtlich große Schmerzen zufügen,      chender Beweislage zu bestrafen.
wobei diese Schmerzen als Mittel zum Zweck eingesetzt
und die Opfer zu reinen Instrumenten gemacht werden.       Befindet sich ein mutmaßlicher Folterer in einem
Es überrascht daher nicht, dass das Recht auf Schutz       Vertragsstaat der Antifolterkonvention, so muss dieser
vor Folter und anderer grausamer, unmenschlicher und       Staat dem „Weltrechtsprinzip“ folgend eine Untersu-
erniedrigender Behandlung oder Strafe das völkerrecht-     chung des Falls einleiten, die verdächtige Person gege-
lich wohl am besten geschützte Menschenrecht ist.          benenfalls festnehmen und sie entweder an ein anderes
                                                           Land oder Gericht zur Strafverfolgung überstellen oder
Die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten lassen   selbst strafrechtlich verfolgen. Dies gilt selbst dann,
absolut keinen Spielraum: Folter und andere Formen         wenn die eigentliche Folterhandlung in einem anderen
der Misshandlung sind unter allen Umständen, in jedem      Land ausgeübt wurde und keine eigenen Staats­-
Land der Welt und an jedem Menschen verboten. Dieses       bür­gerInnen beteiligt sind.
Verbot gilt auch für Zeiten extremer Ausnahmezu-
stände, wie Kriege, innere Unruhen sowie natürliche und    Alle Opfer von Folter und anderen Formen der Misshand-
menschengemachte Katastrophen. Und es schützt auch         lung – Überlebende von Folter und Familienangehörige
Personen, die eine extreme Bedrohung darstellen, wie       von zu Tode gefolterten Menschen – haben das Recht
feindliche SoldatInnen, SpionInnen, Schwerverbreche-       auf Entschädigungsleistungen, Rehabilitation, Gerechtig-
rInnen oder TerroristInnen.                                keit und andere Formen der Wiedergutmachung.

Rechtlich gesehen ist das absolute Verbot von Folter       30 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Konvention muss
und anderen Formen der Misshandlung „notstandsfest“        endlich sichergestellt werden, dass diese Gesetze und
– es kann also selbst während eines Ausnahmezustands       Normen überall umfassend in die Praxis umgesetzt
nicht gelockert werden. Das Verbot wurde international     werden.
mit solch großer Einigkeit angenommen, dass es zu
einer Regel des Völkergewohnheitsrechts geworden ist,
das selbst für die Staaten bindend ist, die nicht zu den
Vertragsstaaten der betreffenden Menschenrechtsab-
kommen gehören.
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3 DAS GLOBALE AUSMASS DER FOLTER

Es ist unmöglich, das globale Ausmaß der Folter               In den vergangenen fünf Jahren hat Amnesty Interna-
umfassend und statistisch präzise zu ermitteln. Folter –      tional über Folter und andere Formen der Misshand-
verstanden als internationale Straftat, als politischer und   lung in mehr als drei Viertel aller Länder berichtet. In
diplomatischer Skandal, als Übergriff, der von fast allen     einigen kommt es nur vereinzelt zu Fällen von Folter und
Regierungen abgelehnt und rhetorisch oder in der Praxis       anderen Misshandlungen, in vielen ist Folter jedoch noch
verurteilt wird – findet im Verborgenen statt. Regie-         immer an der Tagesordnung.
rungen bemühen sich oftmals mehr darum, die Existenz
von Folter abzustreiten oder zu vertuschen, als effektive     Zwischen Januar 2009 und März 2014 hat Amnesty
und transparente Untersuchungen zu Foltervorwürfen            International Berichte über Folter und andere Miss-
einzuleiten und die TäterInnen vor Gericht zu stellen.        handlungen durch Staatsbedienstete aus 141 Ländern
                                                              erhalten. Dies sind nur die Fälle, die der Organisation
Folter ist in den meisten Ländern nur lückenhaft doku-        bekannt wurden, daher spiegeln sie nicht das gesamte
mentiert. Bei den Opfern handelt es sich oft um Tatver-       Ausmaß der Folter weltweit wider. Da in diesen Statis-
dächtige, die kaum Möglichkeiten haben, Beschwerde            tiken nur Fälle berücksichtigt werden, die sich belegen
einzulegen, und die problemlos ignoriert oder zurück-         lassen, ist das tatsächliche Ausmaß vermutlich bedeu-
gewiesen werden können, wenn sie es doch tun. Häufig          tend größer.
sind die Opfer auch nicht in der Lage oder zu verängs-
tigt, um Folter zu melden, und glauben nicht daran,
dass tatsächlich wirksame Maßnahmen ergriffen werden,
sollten sie Anzeige erstatten.

Verlässliche länderbezogene Statistiken gibt es nicht.
Es ist unmöglich, zu sagen, wie viele Menschen im
vergangenen Jahrhundert, im vergangenen Jahrzehnt
oder selbst im vergangenen Jahr gefoltert wurden. Alle
Statistiken zu Folter – ob zur Zahl der Länder, in denen
Folterfälle gemeldet wurden, oder zur zahlenmäßigen
Entwicklung von Foltervorwürfen in einem bestimmten
Land – sind mit Vorsicht zu behandeln.

Dennoch belegen die von Amnesty International gesam-
melten Beweise, die weltweite Recherche der Organi-
sation und ihre Erfahrungen, die sie in mehr als fünf
Jahrzehnten der Dokumentation und des Kampfes gegen
diese Misshandlung gewonnen hat, dass Folter – 30 Jahre
nach Verabschiedung der UN-Antifolterkonvention –
weiter auf dem Vormarsch ist.
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4 WER IST IN GEFAHR?

Wenn Regierungen erst einmal Foltermaßnahmen                Kinder und Jugendliche werden in zahlreichen Ländern
anwenden oder erlauben, ist niemand davor sicher. So        zum Opfer von Folter. In Polizeigewahrsam drohen ihnen
gut wie jeder kann zum Opfer werden – unabhängig            häufig Vergewaltigung und andere Formen sexueller
von Alter, Geschlecht und ethnischer oder politischer       Gewalt durch Polizeiangehörige und Mithäftlinge.
Zugehörigkeit. Oftmals foltern die Behörden direkt und
stellen dann erst Fragen.                                   In vielen Ländern werden Frauen Opfer von Vergewalti-
                                                            gungen und anderen sexuellen Übergriffen durch Staats-
Es gibt jedoch Personen und Gruppen, die häufiger Opfer     bedienstete. In vielen Fällen haben sie kaum Zugang zu
von Folter werden als andere. In zahlreichen Ländern        Rechtsmitteln und werden durch Gesetze diskriminiert,
werden Personen gefoltert, weil sie eine bestimmte poli-    sodass es für sie noch schwieriger ist, Gerechtigkeit zu
tische Haltung vertreten oder von ihrem Recht auf freie     erlangen. Auch Männer werden Opfer von Vergewaltigung
Meinungsäußerung Gebrauch machen. Menschen, die             und anderen Formen sexueller Gewalt – die Hauptbetrof-
einer bestimmten religiösen Gruppe oder einer anderen       fenen sind jedoch Frauen. Einige Formen von Folter und
Minderheit angehören, oder die wegen ihrer Identität        Misshandlungen betreffen ausschließlich Frauen, wie
ins Visier der Behörden geraten, droht ebenfalls erhöhte    zum Beispiel Zwangsabtreibungen, Abtreibungsverbote,
Foltergefahr. Personen, die einer Straftat verdächtigt      Zwangssterilisationen und Genitalverstümmelungen.
werden, werden häufig zum Opfer von Folter. Auch
Angehörige bewaffneter Gruppen, Terrorismusverdächtige      Inhaftierte Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender
und Menschen, die aus anderen Gründen als Gefahr für        und Intersexuelle werden ebenfalls in anderer Weise
die Staatssicherheit gelten, sind besonders gefährdet.      angegriffen als heterosexuelle Häftlinge. Transgender-
In vielen Ländern kann mit großer Sicherheit davon          Personen werden oftmals entsprechend ihrer äußeren
aus­gegangen werden, dass sie gefoltert werden.             Geschlechtsmerkmale Hafteinrichtungen zugewiesen
                                                            und nicht entsprechend des Geschlechts ihrer Wahl.
Andere werden gefoltert, weil sie zur falschen Zeit am      Lesbische und schwule Häftlinge werden häufiger Opfer
falschen Ort waren, weil man sie verwechselt hat oder       sexueller und anderer Gewalt als heterosexuelle Häft-
weil sie das Missfallen mächtiger wirtschaftlicher oder     linge, und zwar sowohl durch Mithäftlinge als auch durch
politischer Interessengruppen erregt haben – dies ist vor   das Personal der Hafteinrichtungen.
allem in den Ländern ein großes Problem, in denen der
Polizeiapparat von Korruption durchzogen ist.               Maßnahmen zur Bekämpfung von Folter müssen deshalb
                                                            alle Geschlechter umfassen und geschlechtsspezifische
Viele Opfer von Folter gehören benachteiligten Gruppen      Aspekte berücksichtigen. Außerdem sind spezifische
an: Frauen, Kinder, Angehörige ethnischer Minder-           Maßnahmen notwendig, um den Schutz von Lesben,
heiten, Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und        Schwulen, Bisexuellen, Transgender-Personen und Inter-
Inter­sexuelle. Besonders häufig sind auch Menschen         sexuellen zu gewährleisten.
betroffen, die in Armut leben. Es sind genau diese
Menschen, die nur unzureichenden oder überhaupt
keinen Zugang zu Wiedergutmachungsleistungen haben.
Es fehlt ihnen am notwendigen Wissen, an Kontakten
und finanziellen Mitteln, um eine Beschwerde gegen
ihre Folterer einzureichen. Sie halten es für unwahr-
scheinlich, dass die Behörden ihnen Glauben schenken,
und sie müssen befürchten, im Falle einer Anzeige
erneut misshandelt zu werden.
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5 WANN UND WARUM KOMMT ES ZU FOLTER?

Zwei Dinge liegen der Anwendung von Folter haupt-            Weitere Gründe sind: mangelndes Engagement der
sächlich zugrunde: Erstens profitieren die betreffenden      ermittelnden Behörden; die soziale Stigmatisierung, die
Regierungen von ihr – oder zumindest glauben sie das.        zum Beispiel Vergewaltigungsopfer erleiden; die Angst
Der zweite Grund ist die anhaltende Kultur der Straflo-      vor Vergeltungsmaßnahmen der Peiniger und geringe
sigkeit, die dazu führen, dass die Verantwortlichen für      Strafen für verurteilte PolizeibeamtInnen. Oft fehlt es
schwerwiegende Verletzungen der Menschenrechte und           auch an einer unabhängigen und angemessen finan-
des humanitären Völkerrechts nicht vor Gericht gestellt      zierten Institution, die Beschwerden entgegennimmt und
werden.                                                      Misshandlungsvorwürfe untersucht. Auch falschverstan-
                                                             dener Korpsgeist, das Vertuschen von Misshandlungen
In zahlreichen Ländern wird Folter nicht nur einge-          durch andere Staatsbedienstete, Amnestien und Begna-
setzt, um einem bestimmten Opfer Schmerzen zuzu-             digungen für Folterer sowie fehlender politischer Wille
fügen, sondern auch, um Dritte zu terrorisieren – seien      begünstigen Folter.
es Strafverdächtige, politisch Andersdenkende oder
vermeintliche FeindInnen. Sie sollen so von Handlungen       Menschen, denen ihre Freiheit entzogen wurde, sind vor
abgehalten werden, durch die sich die Regierung in           allem dann von Folter bedroht, wenn es keine klaren und
ihren Interessen bedroht fühlt. Häufig dient Folter dazu,    wirkungsvollen Schutzmaßnahmen gibt, bzw. diese unzu-
möglichst schnell „Geständnisse“ zu erhalten, denn           reichend oder wirkungslos sind. Insbesondere Personen,
das Opfer ist bereit, alles zu unterzeichnen. Wenn dann      die sich vor der Anklageerhebung und während der
noch Gerichte über diese Praktik hinwegsehen, kann           Untersuchungshaft in Polizeigewahrsam befinden,
die Polizei schnell und einfach Verurteilungen erreichen,    werden immer wieder Opfer von Folter. Die Berichte über
selbst wenn die eigentlichen StraftäterInnen womög-          Folter betreffen jede Phase des Zusammentreffens mit
lich gar nicht gefasst sind. Oft wird auch gefoltert, um     Polizei und Sicherheitskräften – von der Festnahme bis
Menschen zu erniedrigen, um Geld von den Opfern zu           zur Inhaftierung. Da es bereits kurz nach der Festnahme
erpressen oder weil es einfach zum Polizeialltag gehört.     oder sogar währenddessen zu ersten Folterhandlungen
                                                             kommen kann, müssen entsprechende Schutzmaß-
In vielen Teilen der Welt wird Folter nur in seltenen        nahmen von Anfang an greifen und überwacht werden.
Fällen als schwere Straftat gemäß Strafgesetzbuch
verfolgt, vor Gericht verhandelt und bestraft. Wenn          Auch das Verschwindenlassen von Personen begünstigt
Untersuchungen eingeleitet werden, so kommt es wegen         Folter. Für die Betroffenen ist es fast unweigerlich eine
Untätigkeit, Ineffektivität oder Mittäterschaft der ermit-   Form der Folter; für die Angehörigen der Opfer stellt
telnden Behörden häufig zu Verzögerungen. Nur sehr           es eine Form der Misshandlung dar. Wie die Folter ist
selten werden Folterer tatsächlich zur Verantwortung         auch das Verschwindenlassen gemäß Völkerrecht absolut
gezogen.                                                     verboten. Bei Amnesty International gehen weiterhin
                                                             Berichte über Menschen ein, die an unbekannten
Es gibt viele Faktoren, die dazu beitragen, dass Folter      Orten oder in geheimen Hafteinrichtungen festgehalten
begünstigt wird, dass TäterInnen nicht strafrechtlich        werden, was dem Verschwindenlassen gleichkommt.
verfolgt werden und den Opfern keine Gerechtigkeit           Die Inhaftierung ohne Kontakt zur Außenwelt begüns-
widerfährt. Dazu zählt, dass Häftlinge ohne Kontakt zur      tigt Folter und kommt grausamer, unmenschlicher und
Außenwelt festgehalten werden und ihnen der umge-            erniedrigender Behandlung oder sogar Folter gleich.
hende Zugang zu Rechtsbeiständen und unabhängigen
Gerichten verweigert wird.
9 / 		           Bericht                                    Amnesty International

Regierungen sind laut Völkerrecht und anderen internati-
onalen Normen dazu verpflichtet, das Recht eines jeden
Menschen auf Schutz vor Folter und anderen Formen
der Misshandlung sicherzustellen. Dies gilt auch, wenn
vergleichbare Straftaten von privaten Einzelpersonen,
Gruppen oder Institutionen verübt werden. Eine Regie-
rung verstößt deshalb auch gegen ihre internationalen
Verpflichtungen bezüglich des Schutzes vor Folter und
anderen Misshandlungen, wenn sie zum Beispiel häus-
liche Gewalt oder rassistische Angriffe nicht mit der
notwendigen Sorgfalt verhindert, verfolgt und bestraft.

Die Rechte von Frauen, Kindern, Minderheiten, Lesben,
Schwulen, Bisexuellen, Transgender-Personen und
Intersexuellen sowie anderer Menschen, die Diskriminie-
rung ausgesetzt sind, können nur gewahrt werden, wenn
Staaten dazu verpflichtet werden, auch bei Misshand-
lungen durch Privatpersonen einzugreifen. Institutionali-
sierte Diskriminierung führt oft dazu, dass Opfer weniger
Schutz und Unterstützung durch die Behörden erfahren.
So werden bestimmte Formen der Gewalt gegen Frauen
in vielen Ländern beispielsweise nicht als Straftaten
betrachtet, und dort, wo sie als Straftat gelten, werden
sie selten mit Nachdruck verfolgt.

In einigen Ländern wenden nichtstaatliche Akteure,
wie Angehörige politischer Parteien oder bewaffneter
Gruppen, Folter an.
10 / 		          Bericht                                                                      Amnesty International

6 WELTWEITE Stop-Folter-KAMPAGNE

Im Mai 2014 startet Amnesty International eine              Die Kampagne bezieht sich nicht auf Folter durch nicht-
welt­weite Stop-Folter-Kampagne mit dem Ziel, alle          staatliche Akteure oder Misshandlungen, die außerhalb
Menschen vor Folter zu schützen. 30 Jahre nach              des staatlichen Gewahrsams verübt werden, wie zum
Ver­abschiedung der UN-Antifolterkonvention greift die      Beispiel die exzessive Anwendung von Gewalt während
Organisation auf ihre mehr als 50-jährige Erfahrung         Demonstrationen. Amnesty International wird sich
zurück und fordert die Regierungen der Welt auf, ihre       jedoch jenseits der aktuellen Kampagne natürlich auch
Versprechen zu erfüllen und das Völkerrecht einzu-          weiterhin entschieden gegen derartige Formen des Miss-
halten. Amnesty International fordert Menschen welt-        brauchs einsetzen. Die Organisation wird ihre Mitglieder
weit auf, sich für ein Ende der Folter einzusetzen.         in aller Welt im Rahmen der Stop-Folter-Kampagne
                                                            auffordern, sich gegen Folter in folgenden fünf Ländern
Die Kampagne konzentriert sich auf Folter in staatlichem    einzusetzen: Marokko, Usbekistan, Nigeria, Mexiko und
Gewahrsam (dazu zählt neben der normalen Strafjustiz        Philippinen.
auch der Gewahrsam von Militär, Polizei, Spezial­
einsatzkräften und Geheimdienst). Sie umfasst auch          Nach Auffassung von Amnesty International können
Situationen, in denen Notstandsrechte, -regelungen und      Verbesserungen nur durch die Einführung und Umset-
-richtlinien gelten, sowie inoffizielle und geheime Haft-   zung wirksamer Schutzmaßnahmen erreicht werden.
einrichtungen, in denen eine besonders hohe Foltergefahr    Wenn solche Maßnahmen umgesetzt werden, sind die
besteht.                                                    Menschen sicher. Gibt es solche Schutzmaßnahmen
                                                            nicht, oder werden sie in der Praxis nicht umgesetzt,
                                                            wird sich Folter immer weiter ausbreiten.
11 / 		         Bericht                                                                     Amnesty International

7	SCHLÜSSELFAKTOR SCHUTZMechanismen

Regierungen müssen wirksame Schutzmechanismen              Während der Vernehmung
gegen Folter einrichten und auch tatsächlich anwenden.      	Vernehmungsmethoden und Zwangsmaßnahmen, die
Sie sind ein Schlüsselfaktor auf dem Weg zur Abschaf-         Folter oder anderen Misshandlungen gleichkommen,
fung der Folter. Dort, wo Schutzmaßnahmen wirksam             verbieten.
umgesetzt werden, geht die Zahl der gemeldeten Folter-      	Video- oder zumindest Audioüberwachung und
fälle deutlich zurück. Nachfolgend sind die wichtigsten       ­- dokumentation aller Vernehmungen.
Schutzmechanismen aufgelistet.                              	 Anwesenheit eines Rechtsbeistands während der
                                                               Vernehmung.
Bei der Festnahme                                           	 Das Recht auf einen Dolmetscher gewähren.
 	 Festnahmen nur durch befugte Staatsbedienstete          	 Zugang zu medizinischen Untersuchungen und
    und aus angemessenen Gründen.                              Versorgungsleistungen während der Zeit der
 	 Betroffene über die Gründe ihrer Festnahme sowie           ­Vernehmung ermöglichen.
    über ihre Rechte informieren.                           	  Detaillierte Dokumentation aller Vernehmungen.
 	 Festgenommene haben das Recht, ihre Familien­           	  Die Aufsicht über die Vernehmung und die
    angehörigen und weitere Personen zu informieren.            ­Verantwortung für die Haft unterschiedlichen
 	 Folter und andere Misshandlungen während des                 Behörden übertragen.
    Transports von Häftlingen verhindern (auch beim
    Transport von einer Hafteinrichtung zur anderen und    Bestimmte Häftlinge
    auf dem Weg zum Gericht).                               	Das Völkerrecht und andere internationale Normen
 	 Alle Festnahmen amtlich dokumentieren.                    enthalten Bestimmungen bezüglich der besonderen
                                                              Bedürfnisse und Rechte bestimmter Personen-
Während der Haft                                              gruppen unter Freiheitsentzug – dazu gehören unter
 	Geheime Haft und Haft ohne Kontakt zur Außenwelt           anderem Kinder, Menschen mit Behinderungen und
   muss verboten sein, und der Zugang zu Angehörigen,         Frauen.
   medizinischer Versorgung, rechtlichem Beistand und
   Gerichten etc. muss gewährleistet sein.                 Nach der Freilassung
 	Menschliche Behandlung aller Häftlinge sicherstellen,    	Die Freilassung aus der Haft birgt weitere Risiken.
   unter anderem durch Haftbedingungen, die dem               Nach der Freilassung sollte es den Betroffenen
   mentalen und körperlichen Wohl der Häftlinge würdig        möglich sein, ihre Rechte einzufordern, sollten sie
   und zuträglich sind.                                       während der Zeit in Gewahrsam zum Opfer von Folter
 	Es muss einen leicht zugänglichen, unabhängigen,           oder anderen Misshandlungen geworden sein. Hierzu
   unparteiischen und wirksamen Beschwerdemecha-              ist Folgendes erforderlich:
   nismus geben, der angerufen werden kann, ohne              • Die Freilassung aus der Haft genau dokumentieren.
   negative Konsequenzen fürchten zu müssen.                  • Zugang zu unabhängigen und wirksamen Beschwer-
                                                              demechanismen nach der Freilassung ermöglichen,
Während des Gerichtsverfahrens                                sowie Maßnahmen ergreifen, um die Beschwerdeführer-
 	
  Häftlinge zeitnah einer unabhängigen gerichtlichen          Innen und deren Angehörige vor Vergeltungsmaß-
  Instanz vorführen.                                          nahmen und Drangsalierung zu schützen.
 	
  Das Recht auf Zugang zu einem Rechtsanwalt von              • Zugang zu einer medizinischen Untersuchung, bzw.
  Anbeginn der Haft respektieren.                             Ausstellung eines medizinischen Gutachtens durch
 	
  Häftlingen die Möglichkeit bieten, die Rechtmäßigkeit       unabhängige GerichtsmedizinerInnen ermöglichen.
  ihrer Haft überprüfen zu lassen.                            • Die ehemaligen Häftlinge weder direkt noch
 	
  Aussagen, die unter Anwendung von Folter oder               indirekt in solche Länder oder an solche Orte über-
  anderen Misshandlungen gemacht wurden, vor                  stellen, in denen ihnen möglicherweise Folter oder
  Gericht nur dann zulassen, wenn sie zum Beweis              andere Formen der Misshandlung drohen.
  eben dieser Misshandlungen vorgelegt werden
12 / 		          Bericht                                                                               Amnesty International

Umfassende Überwachungs- und Kontrollmechanismen              Folterer zur Verantwortung ziehen
 	Es muss eine wirksame und unabhängige Über-                In vielen Ländern herrscht Straffreiheit für Folterer, sodass sie
   wachung aller Orte geben, an denen Menschen                ohne Angst vor Festnahme, Strafverfolgung oder Bestrafung
   die Freiheit entzogen ist. Ebenso sollten wirksame         handeln können. Straflosigkeit untergräbt das Strafjustizsystem
   Kontrollmechanismen eingesetzt werden, um das              und das Rechtsstaatsprinzip. Außerdem verhindert sie, dass die
   Verhalten der Strafvollzugsbehörden zu überwachen.         Opfer Gerechtigkeit erlangen.
 	Folgende Organisationen und Institutionen kommen
   für die Überwachung von Hafteinrichtungen in Frage:        Straflosigkeit geht häufig auf fehlenden politischen Willen
   • Nationale Menschenrechtsinstitutionen;                   zurück, schließlich ist in vielen Fällen der Staat selbst – oder
   • Nationale Präventionsmechanismen, die gemäß              staatliche Institutionen wie Polizei und Militär – unmittelbar
   dem Fakultativprotokoll zur Antifolterkonvention           für Folter verantwortlich oder an ihrer Anwendung beteiligt. In
   eingerichtet wurden oder sich an deren Vorbild             zahlreichen Ländern werden Foltervorwürfe nicht gründlich und
   orientieren;                                               unparteiisch untersucht, weil Polizei und Staatsanwaltschaft eng
   • Nationale, regionale und internationale Nicht-           mit den Beschuldigten zusammenarbeiten. Ein weiterer Grund
   regierungsorganisationen;                                  für Straflosigkeit kann das Versäumnis einer Regierung sein,
   • Regionale Institutionen wie der Sonderberichterstatter   den Menschenrechten Priorität auf der innenpolitischen Agenda
   für Gefängnisse und Haftbedingungen der Afrikanischen      einzuräumen. Auch bewaffnete Konflikte können zu Straffreiheit
   Union oder das Europäische Komitee zur Verhütung           führen – wenn sich beide Parteien darauf einigen, auf die Unter-
   von Folter;                                                suchung und Bestrafung von Verstößen zu verzichten.
   • Internationale Institutionen wie der Unter-
   ausschuss zur Verhütung von Folter und anderer             Stellt ein Staat Folterer nicht vor Gericht, so geht er meist auch
   grausamer, unmenschlicher und erniedrigender               Foltervorwürfen nicht nach und entschädigt die Folteropfer
   Behandlung oder Strafe des UN-Ausschusses gegen            nicht. Dies führt zu einem dreifachen Bruch der internationalen
   Folter, der UN-Ausschuss gegen Folter selbst und           Verpflichtungen des Staates: Denn nach dem Völkerrecht haben
   der UN-Sonderberichterstatter über Folter.                 Opfer ein Recht darauf zu wissen, was passiert ist, Gerechtigkeit
                                                              zu erfahren und für das Leid, das ihnen zugefügt wurde, best-
                                                              möglich entschädigt zu werden.

                                                              Wirksame, unabhängige Mechanismen zur Untersuchung von
                                                              Folterwürfen und zur Strafverfolgung von Folterern sind unver-
                                                              zichtbar. Notwendig ist aber auch der politische Wille, Gesetze
                                                              und Institutionen zu reformieren, dauerhaft wachsam zu bleiben,
                                                              Dis­kriminierung zu bekämpfen und auf jeden Folterfall zu
                                                              reagieren.
13 / 		          Bericht                                                                              Amnesty International

8	SCHWERPUNKTLÄNDER DER KAMPAGNE

Mexiko                                                                                         „Amnesty International kann mich
                                                                                               unterstützen und so dafür sorgen,
Am 7. August 2012 brachen Angehörige der Marine                                                dass in allen anderen Ländern
gegen drei Uhr nachts in das Haus von Claudia Medina                                           bekannt wird, was in Mexiko
Tamariz in Veracruz ein. Sie wurde zum örtlichen Marine-                                       passiert, was die mexikanischen
stützpunkt gebracht, wo man ihr Elektroschocks zufügte,                                        Behörden machen.”
sie schlug, trat und dazu zwang, eine sehr scharfe                                             Claudia Medina Tamariz
Sauce zu inhalieren. Um die Spuren der Misshandlung
zu verbergen, wurde sie in Plastikfolie eingewickelt.
Man warf Claudia Medina Tamariz vor, Mitglied einer
mächtigen und gewalttätigen Bande zu sein, obwohl sie         In ganz Mexiko kommt es weiterhin häufig zu Folter und Miss-
erklärte, dass sie nichts über diese Bande wisse.             handlungen durch Polizei und Sicherheitskräfte. In der Regel
                                                              bleibt dies jedoch ohne strafrechtliche Konsequenzen. Mexiko ist
Claudia Medina Tamariz wurde gezwungen, ein falsches          zahlreiche Verpflichtungen eingegangen, um Folter und andere
Geständnis zu unterschreiben, das sie sich vorher nicht       Formen der Misshandlung zu verhindern und zu bestrafen. Die
einmal durchlesen durfte. Später sagte sie Amnesty            ergriffenen Maßnahmen sind jedoch unzureichend und bleiben
International: „Wenn sie mich nicht gefoltert hätten, hätte   weitestgehend unbeachtet. Gesetze, die Folter unter Strafe
ich diese Erklärung niemals unterschrieben.“ Obwohl           stellen, werden regelmäßig umgangen. Das gilt auch für Gesetze,
die meisten Anschuldigungen gegen Claudia Medina              die verhindern sollen, dass in Strafverfahren Beweismittel
Tamariz später fallengelassen wurden, ist sie weiterhin       verwendet werden, die unter Einsatz von Folter oder anderen
eines schwerwiegenden Verbrechens angeklagt. Die von          Misshandlungen erlangt wurden. Die Regierung des Landes
ihr erhobenen Foltervorwürfe wurden bis heute nicht           verkündet jedoch stolz, dass es kaum noch Fälle von Folter und
untersucht. Eine wirksame medizinische Untersuchung ist       anderen Misshandlungen gebe.
notwendiger Bestandteil einer zeitnahen, umfassenden
und unparteiischen Ermittlung gemäß des international
anerkannten Istanbul-Protokolls, das die internationalen
Richtlinien zur Dokumentation und Untersuchung von
Folter und deren Folgen umfassend einbezieht.

Amnesty International fordert den Generalstaatsanwalt
von Mexiko auf:

	
 Die mutmaßliche Folter und Misshandlung von
 Claudia Medina Tamariz wirksam zu untersuchen, die
 Ergebnisse zu veröffentlichen und die Verantwort­
 lichen vor Gericht zu stellen.
	
 Sicherzustellen, dass Claudia Medina Tamariz im
 Rahmen dieser Untersuchung medizinisch und psycho-
 logisch begutachtet wird, wie es das von der UN
 unterstützte Istanbul-Protokoll vorsieht. Die Gutachten
 sowie weiterführende Berichte müssen Claudia Medina
 Tamariz schnellstmöglich vorgelegt werden.
	
 Zu gewährleisten, dass alle medizinischen Unter­
 suchungen mutmaßlicher Folteropfer durchweg dem
 Istanbul-Protokoll entsprechen, und auf diese Weise
 die Ermittlungen zu Foltervorwürfen entscheidend
 zu verbessern.
14 / 		               Bericht                                                                                                   Amnesty International

Marokko und Westsahara                                                                                                  „Ungerechtigkeit zu erfahren und
                                                                                                                        seiner Freiheit beraubt zu sein,
Am 24. November 2011 wurde Ali Aarrass wegen angeb-                                                                     führt zu schwer­wiegenden seeli-
licher Mitgliedschaft und Unterstützung einer kriminellen                                                               schen und körperlichen Schäden.
Bande und einer terroristischen Vereinigung verurteilt.                                                                 Noch niederschmetternder ist
Berichten zufolge war der einzige Beweis, der während des                                                               es, wenn man aufgegeben und
Verfahrens gegen ihn vorgelegt wurde, ein „Geständnis“,                                                                 vergessen wird, wenn Angehörige
das er unter Folter abgelegt hatte und vor Gericht widerrief.                                                           und Freunde nicht weiter für einen
Im Dezember 2010 war Ali Aarrass zwölf Tage lang in                                                                     kämpfen, während man selbst von
einer geheimen Haftanstalt des marokkanischen Geheim-                                                                   Mauern umgeben und hilflos ist.
dienstes DST ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten                                                                    Ich danke Gott, dass es bei mir
worden. Seinen Angaben zufolge wurde er während                                                                         anders ist. Aber ich bitte euch, an
dieser Zeit gefoltert. Man habe ihm auf die Fußsohlen                                                                   all diejenigen zu denken, denen es
geschlagen (eine als „Falaqa“ bekannte Foltermethode),                                                                  so geht, an die Opfer von willkür­
ihn mit Elektroschocks an den Genitalien gequält, über                                                                  licher Haft, die von allen verlassen
längere Zeiträume an den Handgelenken aufgehängt und                                                                    wurden.“ Ali Aarrass
mit Zigaretten verbrannt.
                                                                                 Defizite des Justizsystems führen nach wie vor dazu, dass Folter und andere
Amnesty International fordert den marokkanischen
                                                                                 Misshandlungen begünstigt werden, weil zum Beispiel bei polizeilichen
Justizminister auf, eine unabhängige und unparteiische                           Verhören keine Rechtsbeistände anwesend sind. Für die Urteilsfindung sind
Untersuchung der von Ali Aarrass erhobenen Foltervor-                            weiterhin durch Folter erzwungene „Geständnisse“ aus den Vernehmungs-
würfe einzuleiten und einem Beschluss der UN-Arbeits-                            protokollen der Polizei von zentraler Bedeutung – sie werden Sachbeweisen
gruppe für willkürliche Inhaftierungen vom 28. August                            und gerichtlichen Zeugenaussagen vorgezogen. Die derzeitigen Pläne, das
2013 nachzukommen. Sie hatte die Haft von Ali Aarrass                            marokkanische Justizsystem zu reformieren, bieten eine einmalige Chance
als willkürlich bezeichnet und seine sofortige Freilassung                       für Veränderungen.
sowie angemessene Entschädigungsleistungen gefordert.
                                                                                 Amnesty International fordert die marokkanischen Behörden auf:

  Die Jahrzehnte, in denen König Hassan II. Marokko regierte (1956 bis 1999),      –	Maßnahmen zum Schutz von Häftlingen während der Zeit in Gewahrsam
  werden als „bleierne Jahre“ bezeichnet. Kritische Stimmen wurden unterdrückt,       zu ergreifen. Dazu zählen ein zeitnaher Zugang zu Rechtsbeiständen
  Hunderte Menschen verschwanden, Tausende wurden willkürlich inhaftiert,             nach der Festnahme, die Anwesenheit von Rechtsbeiständen während
  Folter und andere Misshandlungen wurden systematisch angewandt.                     der Verhöre und die Videoaufzeichnung von Verhören.
                                                                                   –	Geheime Haft zu beenden, indem ein zentrales Häftlingsregister einge-
  Auch wenn sich die Menschenrechtslage in Marokko seit der Krönung von               führt wird, das Rechtsbeistände und Familienangehörige auf Anfrage
  König Mohammed VI. deutlich verbessert hat, erhält Amnesty International            jederzeit unverzüglich einsehen können.
  nach wie vor Berichte, dass es bei Verhören in Gewahrsam zu Folter und           –	Straflosigkeit zu beenden, indem alle Meldungen über Folter und andere
  anderen Misshandlungen durch Angehörige der Polizei oder der Gendarme-              Misshandlungen zeitnah, unabhängig und umfassend untersucht
  rie kommt. In manchen Fällen beziehen sich die Foltervorwürfe auch auf              werden. Dazu gehört auch, dass die mutmaßlichen Folteropfer von
  geheime Haftanstalten, in denen Menschen ohne Kontakt zur Außenwelt                 unabhängigem medizinischem Personal untersucht werden müssen.
  festgehalten werden, und auf Gefängnisse.                                           Wenn genügend zulässige Beweise vorliegen, müssen die TäterInnen in
                                                                                      einem fairen Verfahren vor Gericht gestellt werden.
  Folter und andere Formen der Misshandlung sind in Marokko bereits seit           –	Sicherzustellen, dass Beweise, die unter Einsatz von Folter und anderen
  einigen Jahren ausdrücklich verboten und gelten per Gesetz als Straftat,            Misshandlungen erzielt wurden, vor Gericht nicht zulässig sind – es sei
  dennoch werden sie immer wieder angewandt. Gerichte und Staatsanwalt-               denn, sie werden gegen Personen vorgebracht, die wegen Folter oder
  schaften leiten bei Vorwürfen von Folter und anderen Misshandlungen nur             anderer Misshandlungen vor Gericht stehen.
  selten Untersuchungen ein, sodass nur wenige TäterInnen tatsächlich vor          –	Menschen, die Folter und andere Formen der Misshandlung überlebt
  Gericht gestellt werden. Die abschreckende Wirkung der marokkanischen Anti-         haben, sowie Angehörige von Folteropfern schnell und umfassend zu
  foltergesetze wird auf diese Weise durch faktische Straflosigkeit konterkariert.    entschädigen.
15 / 		         Bericht                                                                            Amnesty International

Nigeria                                                                                    „Die Schmerzen, die man unter
                                                                                           Folter erleidet, sind unerträglich.
Moses Akatugba wurde 2005 von der Polizei festge-                                          Ich hätte nie gedacht, dass ich den
nommen und gefoltert – damals war er gerade einmal 16                                      heutigen Tag noch erleben würde.
Jahre alt. Er berichtete, man habe ihn auf der Polizei-                                    Der Schmerz, den die Polizeikräfte
wache geschlagen, in die Hand geschossen und stun-                                         mir zugefügt haben, war unvor-
denlang an den Extremitäten aufgehängt.                                                    stellbar. Ich bin in meinem ganzen
                                                                                           Leben noch nie derart unmensch-
Moses Akatugba gab an, er habe nur aufgrund der Folter                                     lich behandelt worden.”
eingewilligt, eine Erklärung zu unterschreiben, in der                                     Moses Akatugba
er die Beteiligung an einem Raubüberfall zugab. Im
November 2013, nach acht Jahren des Wartens, wurde
Moses Akatugba zum Tode verurteilt. Die von ihm erho-     Amnesty International ist sehr besorgt über den zunehmenden
benen Foltervorwürfe sind nie untersucht worden.          Einsatz von Folter in Nigeria. Nach aktuellen Recherchen der
                                                          Organisation setzen Angehörige der Polizei und des Militärs Folter
Amnesty International fordert Dr. Emmanuel Uduaghan,      regelmäßig ein, um Informationen und „Geständnisse“ zu erhal-
den Gouverneur des nigerianischen Bundesstaates Delta,    ten und um Häftlinge zu bestrafen und zu zermürben.
auf, das Todesurteil in eine andere Strafe umzuwandeln
und die von Moses Akatugba erhobenen Foltervorwürfe       Informationen, die unter Einsatz von Folter und anderen Miss-
zu untersuchen.                                           handlungen erlangt wurden, werden routinemäßig als Beweis-
                                                          mittel vor Gericht zugelassen, was eine Verletzung nationaler
                                                          Gesetze sowie des Völkerrechts darstellt. Den Behörden fehlt
                                                          offensichtlich der politische Wille, internationalen Menschen-
                                                          rechtsverpflichtungen nachzukommen.
16 / 		          Bericht                                                                              Amnesty International

Philippinen                                                                                    „Er [ein inoffizieller Hilfspolizist]
                                                                                               stellte mir eine Schnapsflasche
Am 3. Oktober 2013 sprach die philippinische Polizei                                           auf den Kopf und zielte mit seiner
Alfreda Disbarro an einem öffentlichen Ort an und                                              Waffe darauf. Er sagte, dass er
beschuldigten sie des Drogenhandels. Die alleinerziehende                                      die Flasche auf meinem Kopf
Mutter bestritt dies und leerte freiwillig ihre Taschen, in                                    abschießen werde. Er war nur etwa
denen sich lediglich ein Handy und eine Fünf-Peso-Münze                                        eineinhalb Meter von mir entfernt.
befanden. Ohne Vorwarnung richtete die Polizei plötzlich                                       Am Ende hat er nicht geschossen,
eine Waffe auf Alfreda Disbarro und schlug sie auf die                                         aber ich hatte schreckliche Angst,
Brust. Dann legte man ihr Handschellen an und brachte                                          er würde mich erschießen. Aus
sie in das Polizeihauptquartier von Parañaque.                                                 lauter Angst habe ich die Augen
                                                                                               geschlossen.” Alfreda Disbarro
Um ein Schuldeingeständnis zu erhalten, drückte ein
hochrangiger Polizist Alfreda Disbarro gegen eine Wand.
Er versetzte ihr mehrfach Schläge in den Magen und ins        Amnesty International ist sehr besorgt über den weit verbreite-
Gesicht, schlug sie mit einem Schlagstock, drückte ihr        ten Einsatz von Folter auf den Philippinen. Die Polizei und andere
seine Finger in die Augen, ohrfeigte sie, zwang sie, einen    staatliche Sicherheitskräfte foltern Verdächtige und Häftlinge.
Wischlappen zu essen und schlug ihren Kopf gegen              Die meisten Folteropfer haben keine Möglichkeit, Gerechtigkeit
die Wand. In den Tagen nach ihrer Misshandlung hatte          zu erlangen. TäterInnen werden so gut wie nie zur Rechenschaft
sie so große Schmerzen, dass sie nichts essen konnte,         gezogen.
Schwierigkeiten beim Atmen hatte und sich immer
wieder übergeben musste. Alfreda Disbarro ist derzeit in      Das Land verfügt über eine umfangreiche Gesetzgebung zur
einem örtlichen Gefängnis inhaftiert und wartet auf ein       Verhinderung von Folter, und die philippinische Regierung hat
Gerichtsverfahren wegen des Verkaufs und des Besitzes         zugesichert, sich künftig verstärkt dafür einzusetzen, dass diese
illegaler Drogen. Obwohl sie von einem Amtsarzt unter-        Gesetze auch umgesetzt werden. Die Philippinen haben außerdem
sucht wurde, sind bisher keine Ermittlungen zu ihrer          wichtige internationale Antifolterabkommen und -mechanismen
Misshandlung durch die Polizei eingeleitet worden.            unterzeichnet. Dennoch herrscht noch immer Straflosigkeit.

Amnesty International fordert die Abteilung für innere
Angelegenheiten der philippinischen Nationalpolizei
dazu auf:

	
 Sicherzustellen, dass schnell eine unparteiische,
 wirksame und effiziente Untersuchung der mutmaß-
 lichen Folter und anderweitigen Misshandlung von
 Alfreda Disbarro eingeleitet wird.
	
 Sollte die Untersuchung die Foltervorwürfe bestä-
 tigen, den Fall zur strafrechtlichen Verfolgung
 weiterzuleiten und zu kooperieren, wenn das Gericht
 weitere Untersuchungen anordnet.
	
 Unmittelbar Disziplinarmaßnahmen gegen alle
 PolizeibeamtInnen einzuleiten, die an der Folter und
 Misshandlung von Alfreda Disbarro beteiligt waren.
	
 In der philippinischen Nationalpolizei eine Einrichtung
 zu schaffen, an die sich InformantInnen bedenkenlos
 wenden können, wenn sie Kenntnis von Foltermaß-
 nahmen haben, z.B. auch im Fall von Alfreda Disbarro.
17 / 		         Bericht                                                                           Amnesty International

Usbekistan
Erkin Musaev, ein ehemaliger Beamter des Verteidigungs-    Folter und andere Misshandlungen sind in Usbekistan an der
ministeriums, arbeitete für das Entwicklungs­programm      Tagesordnung. Amnesty International erhält regelmäßig glaub-
der Vereinten Nationen in Usbekistan, als er im Januar     würdige Berichte über routinemäßige und weit verbreitete Folter
2006 von Angehörigen des Nationalen Sicherheits-           und andere Misshandlungen durch Sicherheitskräfte und Gefäng-
dienstes (SNB) inhaftiert wurde. Man klagte ihn wegen      nispersonal. Laut dieser Berichte werden Menschen bei der
Spionage an und hielt ihn mehrere Wochen ohne              Festnahme, während des Transports, in Untersuchungshaft sowie
Kontakt zur Außenwelt fest. Berichten zufolge wurde        in Hafteinrichtungen Opfer von Folter. Nur sehr wenige TäterIn-
er einen Monat lang tagsüber geschlagen und nachts         nen werden wegen des Einsatzes von Folter vor Gericht gestellt.
verhört. Außerdem drohte man ihm, seinen Angehörigen       Zudem leiten die Behörden bei Folter- und Misshandlungsvorwür-
etwas anzutun.                                             fen in der Regel keine effektiven Untersuchungen ein.

Erkin Musaev unterschrieb schließlich ein „Geständnis“,
unter der Bedingung, dass der SNB seine Familie in
Ruhe lasse. Er wurde nach drei unfairen Prozessen in
den Jahren 2006 und 2007 wegen Hochverrats und
Amts­missbrauchs zu insgesamt 20 Jahren Haft verurteilt.
Alle drei Gerichte lehnten die formellen Beschwerden,
die Erkin Musaev wegen seiner Folter in Haft eingereicht
hatte, ohne angemessene Überprüfung ab. Im Mai 2012
entschied der UN-Menschenrechtsausschuss, dass
Usbekistan gemäß Artikel 7 (Folterverbot) des Inter­
nationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte
die Rechte von Erkin Musaev verletzt habe.

Amnesty International fordert eine umfassende, unpar-
teiische und effektive Untersuchung der von Erkin
Musaev erhobe­nen Foltervorwürfe.
18 / 		                 Bericht                                                                                                          Amnesty International

9 Foltermethoden

Diese Zeichnungen stellen die von Ali Aarrass erlittenen Folterungen dar (siehe Details zum Fall auf S. 14). Ein Mitgefangener erstellte sie unter seiner Anleitung.

Die von Amnesty dokumentierten Foltermethoden unter-                                   Weniger häufig, aber immer noch weit verbreitet, sind
scheiden sich von Land zu Land und von Region zu                                       Foltermethoden wie Peitschenhiebe, Scheinhinrichtungen,
Region. Nachfolgend sind einige der Foltermethoden                                     Waterboarding und Sauerstoffentzug, für den oft Plastik-
aufgelistet.                                                                           tüten oder abgedichtete Gasmasken eingesetzt werden.
                                                                                       Aus einigen Teilen der Welt gibt es Berichte von Folter­
Schläge sind heutzutage die weltweit häufigste Form der                                überlebenden, denen in Haft Nadeln unter die Fingernägel
Folter und Misshandlung. Sie können Tritte, Fausthiebe                                 geschoben und mit Zigaretten Verbrennungen zugefügt
sowie den Einsatz von Stöcken, Gewehrkolben, improvi-                                  wurden. Einige berichten sogar von Stichwunden. Weitere
sierten Peitschen, Eisenstangen, Baseballschlägern und                                 Häftlinge wurden offenbar gezwungen, ihren eigenen
Elektroschockern um­fassen. Die Opfer erleiden Bluter-                                 Urin, verunreinigtes Wasser und Chemikalien zu trinken.
güsse, innere Blutungen, Knochenbrüche, Zahn­verluste
und Verletzungen der Organe. In manchen Fällen führen                                  Es liegen Berichte über Schlaf- und Reizentzug sowie
Schläge gar zum Tod.                                                                   über mehrtägigen Nahrungs- und Wasserentzug vor.
                                                                                       Berichte über Vergewaltigungen und die Androhung von
Andere weit verbreitete Methoden sind Stromstöße,                                      Vergewaltigung gibt es aus zahlreichen Ländern, auch
erzwungenes Verharren in schmerzhaften Positionen und                                  Demütigungen werden weit verbreitet eingesetzt. Schein-
lang andauernde Isolation – teilweise werden die Opfer                                 hinrichtungen und die Androhung von Gewalt gegen die
über mehrere Monate oder sogar Jahre in Einzelhaft                                     Opfer selbst und/oder ihre Angehörigen sind häufige
gehalten.                                                                              Formen der psychischen Folter.
19 / 		          Bericht                                                                               Amnesty International

Die Zwangsverabreichung von Psychopharmaka wurde             hinterlassen. Klar ist, dass alle Formen von Folter verhee-
ebenso gemeldet wie Folter in Form von Zwangsabtrei-         rende und langfristige Konsequenzen nach sich ziehen
bungen und Zwangssterilisationen.                            können. Zu den häufigsten psychologischen Symptomen
                                                             gehören Angststörungen, Depressionen, Reizbarkeit,
Viele Häftlinge werden in schmutzigen, überfüllten           Gefühle von Scham und Erniedrigung, Gedächtnis-
Zellen festgehalten, in denen drückende Hitze herrscht.      störungen, verringerte Konzentrationsfähigkeit, Kopf-
Unmenschliche Haftbedingungen können – wenn sie              schmerzen, Schlafstörungen und Alpträume, emotionale
vorsätzlich und zielgerichtet eingesetzt werden – Folter     Instabilität, sexuelle Probleme, Amnesie, Selbstverstüm-
gleichkommen.                                                melung, Selbstmordgedanken und soziale Isolation.

Einige Staaten verhängen noch immer Körperstrafen.
Zu den häufigsten Formen gehören Auspeitschungen und
Amputationen. Das Amputieren von Körperteilen und              Im vergangenen Jahr wurden 27 Foltermethoden
das Zufügen von Verbrennungen gehören zu den Folter-           dokumentiert
methoden, die entwickelt wurden, um die Betroffe­nen
dauerhaft zu verstümmeln. Aber auch alle anderen               Die folgende Liste enthält 27 Foltermethoden, deren Verwendung
Körperstrafen können langfristige oder dauerhafte Verlet-      Amnesty International von 2013 bis 2014 weltweit dokumentiert
zungen nach sich ziehen. Was immer das jeweilige natio-        hat. Es handelt sich hierbei nicht um eine vollständige Liste
nale Recht diesbezüglich vorsieht – laut Völkerrecht sind      aller gemeldeten Methoden. Während einige der aufgelisteten
alle Formen von Körperstrafen verboten, da sie grausam,        Methoden über viele Jahre systematisch angewandt wurden, kann
unmenschlich und erniedrigend sind und oftmals Folter          es sich bei anderen um Einzelfälle handeln.
gleichkommen.
                                                               1.	Schläge                       17.	Androhung von Gewalt
Einige Regierungen nutzen die religiöse Überzeugung            2.	Stromschläge                       gegen Häftlinge / deren
eines Opfers, um es zu foltern oder zu misshandeln,            3.	Erzwungenes Verharren in           Familien
indem beispielsweise einem muslimischen Mann gegen                  schmerzhaften Positionen     18.	Zwangsverabreichung von
seinen Willen der Bart abrasiert wird.                         4.	Lang andauernde Isolation          Drogen
                                                               5.	Peitschenhiebe                19.	Unmenschliche
Folterüberlebende gaben an, dass sie über lange Zeit-          6.	Scheinhinrichtungen                Haftbedingungen
räume extremer Hitze oder Kälte ausgesetzt wurden,             7.	Wasserfolter / ­              20.	Nahrungs- und
oftmals mehrere Tage lang. Andere berichten, dass man               Sauerstoffentzug                  Wasserentzug
ihnen immer wieder kochend heißes Wasser über die              8.	Schieben von Nadeln unter     21.	Körperstrafen
nackte Haut schüttete oder ihre Knie, Ellbogen und                  die Fingernägel              22.	Gewaltsames Abrasieren
Schultern mit elektrischen Bohrern misshandelte.               9.	Verbrennungen mit                  der Bärte muslimischer
                                                                    Zigaretten                        Männer
Auch Hunde oder Ratten, wiederholte Beleidigungen              10.	Stichwunden                  23.	E xtremer Kälte / Hitze
rassistischen oder religiösen Inhalts, das Überstülpen von     11.	Einflößen von verunreinig-        aussetzen über lange
Kapuzen oder das Verbinden der Augen werden zu Folter-              tem Wasser, Urin und              Zeiträume
zwecken eingesetzt.                                                 Chemikalien (Chiffon)        24.	Übergießen mit kochend
                                                               12.	Schlafentzug                      heißem Wasser
Es gibt Berichte von Häftlingen, denen mit Absicht oder        13.	Reizentzug                   25.	Durchbohren der Gelenke
aus Fahrlässigkeit die medizinische Versorgung verweigert      14.	Zwangsabtreibung /           26.	Verweigerung medizinischer
wurde. In einigen Fällen führte dies zum Tod.                       -sterilisation                    Versorgung
                                                               15.	Vergewaltigung /             27.	Übergießen des Rückens
Folter kann dauerhafte und langfristige körper-                     Angedrohte Vergewaltigung         mit geschmolzenem Plastik
liche Verletzungen zur Folge haben, auch wenn                  16.	Demütigungen
manche Foltermetho­den nur wenig sichtbare Narben
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