Misch dich ein! Unterrichtsbeispiele für Politische Bildung ab der Sekundarstufe I - Unterrichtsbeispiele für Politische Bildung
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Georg Lauss, Philipp Mittnik, Stefan Schmid-Heher Misch dich ein! Unterrichtsbeispiele für Politische Bildung ab der Sekundarstufe I
Georg Lauss, Philipp Mittnik, Stefan Schmid-Heher Misch dich ein! Unterrichtsbeispiele für Politische Bildung ab der Sekundarstufe I
Grußworte von Ruth Petz Das Zentrum für Politische Bildung wurde 2014 an der Pädagogischen Hochschule Wien gegründet, um den Stellenwert der Politischen Bildung in der Lehrer:innen-Aus-, -Fort- und -Weiterbildung zu intensivieren. Die Schwerpunkte des Zentrums liegen in der pra- xisnahen Aufarbeitung der Politischen Bildung – mit starkem Fokus auf schulischen Mehr- wert. Einer dieser Schwerpunkte ist die Gestaltung von ausgearbeiteten Handreichungen mit Unterrichtsbeispielen für Lehrer:innen um die Umsetzung der Ziele und Aufgaben der schulischen Politischen Bildung zu unterstützen. Neben einer allgemeinen, für alle Schul- typen relevanten Ratgeber mit dem Thema „Was darf Politische Bildung“ bestehen bereits Handreichungen für die Primarstufe und die Sekundarstufe II. Die nun vorliegende Handreichung bezieht sich auf die Sekundarstufe I und soll Mittel- schulen und Gymnasien einen niederschwelligen Zugang zur Politischen Bildung durch lebensweltnahe und schüler:innenorientierte Beispiele ermöglichen. Diese neue Publika- tion richtet sich zusätzlich an die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Pädagog:innen. Eine praxisnahe, wissenschaftsorientierte und nachhaltige Politische Bildung kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Demokratie zu schützen und gegen (gruppenbezo- gene) Menschenfeindlichkeit aufzutreten. Es liegt im Interesse der Pädagogischen Hoch- schule Wien, dass die Bedeutung der Demokratie auf allen Ebenen im Fokus steht. Vielen Dank an das Autorenteam für diesen wichtigen gesellschaftspolitischen Beitrag, der kostenfrei zur Verfügung stehen wird. HRin Mag.a Ruth Petz Rektorin, PH Wien
von Christoph Wiederkehr Politische Bildung ist mir als Wiener Bildungsstadtrat ein großes Anliegen. Sie begleitet uns alle in unserem Alltag und ist ein wesentlicher Faktor zur Meinungsbildung jedes Ein- zelnen. Auch Kinder und insbesondere Schülerinnen und Schüler sind oftmals sehr an gesellschaftspolitischen Ereignissen und demokratischen Entscheidungsprozessen inter- essiert. Deshalb ist die Initiative, die Wissbegier und den Hunger der Kinder und Jugend- lichen mit wertvollen Informationen und Vorträgen zu stillen, sehr begrüßenswert. Da Jugendliche in Wien bereits mit 16 Jahren am Wahlgeschehen teilhaben können, ist es umso wichtiger, dass wir unseren Kindern Demokratieverständnis mit schulpraktischen Programmen näherbringen. Je eher politische Prozesse im Schulalltag eine gewichtige Rolle spielen, desto besser werden sie eigenständige Entscheidungen treffen können. Die vorliegende Publikation fasst alle wesentlichen Angebote in diesem so wichtigen Be- reich zusammen. Ich möchte mich bei allen, die an den sehr interessanten und nützlichen Inhalten mitgearbeitet haben, sehr herzlich bedanken, denn nur durch diese Pionierarbeit wird es uns gelingen, Politische Bildung als wesentlichen Beitrag zur Entwicklung und Festigung der Persönlichkeit von jungen Menschen nachhaltig zu etablieren. Christoph Wiederkehr, MA Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat
Inhaltsverzeichnis Einleitung ......................................................................................................................................... 10 Kompetenzorientierte Unterrichtsbeispiele .............................................................................. 14 1. Politische Bildung und Naturwissenschaft 1.1 Impfpflicht: Ungerechter Zwang oder wichtige Maßnahme? (Philipp Mittnik) .................. 15 1.2 Der Wolf: Schützen oder schießen? (Georg Lauss) ............................................................... 24 2. Politische Bildung gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit 2.1 Sogenannte Juden- oder NS-Vergleiche: Eine komplexe Form des Antisemitismus (Stefan Schmid-Heher) ......................................................................... 43 2.2 Sexismus, Rassismus und soziale Medien (Stefan Schmid-Heher) ................................... 63 3. Politische Bildung zwischen Privatem und Öffentlichkeit 3.1 Küssen verboten!? (Georg Lauss) ........................................................................................... 81 3.2 Die Nutzung des öffentlichen Raums in städtischen Gebieten (Philipp Mittnik) ............... 94 Politikdidaktische Prinzipien (Philipp Mittnik, Stefan Schmid-Heher) ............................. 102 1. Exemplarisches Lernen ......................................................................................................... 103 2. Handlungsorientierung ......................................................................................................... 105 3. Kontroversität ......................................................................................................................... 108 4. Problemorientierung ............................................................................................................... 110 5. Schüler:innenorientierung ..................................................................................................... 112 6. Wissenschaftsorientierung ..................................................................................................... 114 Kompetenzen der Politischen Bildung (Georg Lauss) ............................................................. 116 Weitere Unterrichtsmaterialien des Zentrums für Politische Bildung .............................. 121 Impressum ...................................................................................................................................... 122 8 9
Der vorliegende Ratgeber bietet Lehrer:in- Politische Bildung in der Volksschule. Einleitung nen eine Sammlung praxisnaher Unter- Unterrichtsmaterial zum frühen politi- richtsbeispiele aus dem Bereich Politische schen Lernen (2017).3 Bildung an. Die Materialien sind so gestaltet, Was darf Politische Bildung? Eine dass sie in der Sekundarstufe I (MS und AHS Handreichung für Lehrer_innen für den 1. bis 4. Klasse) einsetzbar sind, sie können Unterricht in Politischer Bildung (2018).4 aber auch in höheren Schulstufen zur An- Schwerpunkt Sekundarstufe Allgemein wendung kommen. Zusätzlich zu den Unter- Politische Handlungsfelder zwischen richtsbeispielen finden sich in der Hand- Interessens- und Identitätspolitik. Was reichung Überblicke über die wichtigsten wir wollen und wer wir sind. Eine Hand- politikdidaktischen Prinzipien. Diese können reichung für Lehrkräfte in der Sekundar- dem Unterricht in Politischer Bildung Struk- stufe II (2019).5 tur verleihen und fokussieren auf die wich- tigsten Ziele der Politischen Bildung. Weiters Die Zielsetzung all dieser Handreichungen ist das österreichischen Kompetenz-Struk- ist es, Lehrer:innen bestmöglich dabei zu turmodell für Politische Bildung zusammen- unterstützen, Politische Bildung ohne gro- fassend dargestellt. ße Vorbereitungszeit in ihre Unterrichts- praxis zu integrieren. Zu Beginn werden Der Grundsatzerlass für Politische Bildung Lehrer:innen über zentrale Inhalte und den führt an, dass das Unterrichtsprinzip Poli- Ablauf des Beispiels informiert. Die weite- tische Bildung in allen Schulstufen und ren Seiten sind kopierfähige Vorlagen für die Schultypen berücksichtigt werden soll. Arbeit in der Klasse. Die Rolle des Lehrers Üblicherweise wird Politische Bildung vor bzw. der Lehrerin besteht darin, die Beispie- allem in den Unterrichtsfächern Geschich- le zu begleiten, zusätzliche Informationen, te und Politische Bildung1 oder Geografie wenn diese im Unterrichtsverlauf benötigt und Wirtschaftliche Bildung2 umgesetzt. werden, anzubieten und die Diskussions- Diese Publikation thematisiert z. B. auch prozesse zu leiten. Der in allen Ratgebern naturwissenschaftliche Aspekte, um einen angebotene niederschwellige Zugang soll Anschluss an andere Fächer zu erleichtern. Lehrer:innen und Schüler:innen ermutigen, sich explizit mit Fragen der Politischen Bil- Der vorliegende Ratgeber ist der letzte Bau- dung auseinanderzusetzen. Wie in der zeit- stein einer Serie von Publikationen des Zen- gemäßen Politischen Bildung üblich, wird bei trums für Politische Bildung (ZPB) an der den Unterrichtsbeispielen von einem breiten Pädagogischen Hochschule Wien. In dieser Politikbegriff ausgegangen, der aber stets im Serie sind bisher folgende Handreichungen Blick behält, dass es in der Politik (auf allen mit Praxisbeispielen erschienen, die auf Ebenen) um das Aushandeln allgemein ver- ein breites Spektrum der österreichischen bindlicher Regeln für das menschliche Zu- Schullandschaft abzielen. sammenleben geht. Politische Bildung geht damit stets über soziales Lernen und das Alle Publikationen stehen zum freien Einüben einer zivilisierten Debattenkultur Download zu Verfügung: hinaus. 1 Neue Fachbezeichnung ab dem Schuljahr 2023/24. 2 Neue Fachbezeichnung ab dem Schuljahr 2023/24. 3 Download: https://zpb.phwien.ac.at/wp-content/uploads/2017/09/Politische_Bildung.pdf (letzter Zugriff: 20. Juni 2021). 4 Download: https://zpb.phwien.ac.at/wp-content/uploads/Was_darf_politische_Bildung_A4.pdf (letzter Zugriff: 20. Juni 2021). 5 Download: https://zpb.phwien.ac.at/wp-content/uploads/PolitischeHandlungsfelder_Interessens-uIdentitaetspolitik.pdf (letzter Zugriff: 20. Juni 2021). 10 11
Die Beispiele der vorliegenden Handrei- tikunterricht zu integrieren. Über den reinen jeweils für sich genommen schon komplex durch den Einsatz diverser Sozial- und Inter- chung sind in drei Kategorien gegliedert: Wissenserwerb und die Fähigkeit zur Ana- sind. Diese Kombination ermöglicht ein rea- aktionsformen Streitkultur und Dissonanz- 1. Politische Bildung und lyse von Daten hinaus soll bei Schüler:innen ler Fall, der beispielhaft im Mittelpunkt des bereitschaft. Naturwissenschaft Verantwortungsgefühl und politische Urteils- Unterrichts steht: Über soziale Medien wird 2. Politische Bildung gegen gruppen- kompetenz angeregt werden, indem soziale, ein – scherzhaft gemeinter – sexistischer Das zweite Beispiel in dieser Kategorie bezogene Menschenfeindlichkeit ethische und rechtliche Konfliktdimensionen Aushang in einer Gasthaustoilette kritisiert. setzt sich mit dem öffentlichen Raum aus- 3. Politische Bildung zwischen Privatem mit Formen naturwissenschaftlicher Er- Neben berechtigten Debattenbeiträgen er- einander. Dieser bietet allen Menschen, und Öffentlichkeit kenntnisgewinnung verschränkt werden. scheinen auch diffamierende und bedrohli- aber vor allem auch Jugendlichen Möglich- che Kommentare. Im Zuge dessen bekommt keiten, außerhalb der eigenen Wohnung Im folgenden Abschnitt werden die Beispiele 2. Politische Bildung auch das rassistische Logo des Gasthauses die Gesellschaft kennenzulernen. Dieser kurz erläutert. Bei allen Beispielen wurde die gegen gruppenbezogene Aufmerksamkeit. Die Schüler:innen erarbei- öffentliche Raum wird in den städtischen Handlungsorientierung und die Schüler:in- Menschenfeindlichkeit ten den konkreten Fall Schritt für Schritt. Sie Gebieten durch die fortschreitende Urbani- nenorientierung insofern berücksichtigt, als nähern sich dabei über die eigene Urteilsbil- sierung immer knapper. Damit nimmt man das Bearbeiten der Beispiele in erster Linie Das Unterrichtsbeispiel „Sogenannte Juden- dung und die Auseinandersetzung mit den Jugendlichen auch jenen Raum, der für ihre durch die Schüler:innen geschehen soll. oder NS-Vergleiche: Eine komplexe Form Begriffen Sexismus und Rassismus politi- Entwicklung sehr wichtig ist. Der Autover- des Antisemitismus“ greift eine für viele schen Fragestellungen, die unsere Gesell- kehr nimmt durch parkende und fahrende 1. Politische Bildung und Menschen schwer zu fassende, aber weitver- schaft herausfordern. Autos den Großteil des öffentlichen Raums Naturwissenschaft breitete Form des gegenwärtigen Antisemi- ein. Davon profitieren Kindern und Jugend- tismus auf: die Relativierung des Holocaust 3. Politische Bildung liche häufig nicht, daher sollen von den Das erste Beispiel setzt sich mit der Frage durch die Gleichsetzung mit allen möglichen zwischen Privatem und Schüler:innen auch alternative Nutzungen einer gesetzlichen Impfpflicht für Masern empfundenen oder auch tatsächlichen Un- Öffentlichkeit erarbeitet werden. auseinander. Dazu werden Daten und Infor- gerechtigkeiten. Während die allermeisten mationen zu Pflichtimpfungen in Europa, Menschen in Österreich als nationalsozialis- Im Unterrichtskonzept „Küssen verboten!?“ Die Autoren der Handreichung hoffen, Ih- zu möglichen Krankheitsverläufen und den tisch erkennbaren Antisemitismus ablehnen, analysieren Schüler:innen einen lebenswelt- nen damit die Umsetzung Politischer Bil- Argumenten von Impfgegner:innen ange- werden subtilere Formen von Antisemitis- nahen politischen Fall. An einer oberösterrei- dung in der Schule zu erleichtern. Kritisch boten. Nach dem Bearbeiten des Beispiels mus oft gar nicht als antisemitisch erkannt chischen Mittelschule informierte ein Schul- denkende sowie mündige Kinder und Ju- sollen Schüler:innen so weit in das Thema und bleiben unreflektiert. Hier setzt das Bei- direktor in einem Elternbrief darüber, dass gendliche sind für den Fortbestand unserer eingebunden sein, dass sie ein politisch ab- spiel an: Ausgehend vom Vorverständnis der lang anhaltende Küsse auf den Mund auf demokratischen Gesellschaft von großer gesichertes Urteil zu einer möglichen Impf- Schüler:innen wird anhand von drei konkre- dem Schulgelände nicht mehr erlaubt sind. Bedeutung. Daher ist die Auseinander pflicht abgeben können. ten „NS- bzw. Judenvergleichen“ eine Ausein- Der konkrete Fall entpuppt sich bei näherer setzung mit gesellschaftlich relevanten andersetzung mit Antisemitismus gefördert. Betrachtung als gute Gelegenheit, um nahe Themen bereits in der Unterstufe wichtig. In der Unterrichtssequenz „Wolf: Schützen Der Unterrichtsvorschlag setzt aufseiten der an der eigenen Lebenswelt zu thematisie- oder schießen?“ setzen sich die Schüler:innen Schüler:innen und Lehrer:innen Folgendes ren, nach welchen Kriterien beurteilt werden mit einem Konflikt um die Wiederansiedlung voraus: Die Schüler:innen müssen bereits kann, ob eine allgemein gültige Regel legitim des Wolfs in Österreich auseinander, in dem über Nationalsozialismus und Holocaust ge- ist oder nicht. Beleuchtet werden Konzepte sich Artenvielfalt und der Schutz freilebender lernt haben. Die Lehrer:innen müssen ihre und Themen wie individuelle Freiheit und Wildtiere, wirtschaftliche Interessen und die eigenen Voraussetzungen reflektiert haben, deren Begrenzung, Privatheit und Öffent- Angst vor Wolfsattacken gegenüberstehen. um mit herausfordernden Unterrichtssitua- lichkeit, Kinderrechte sowie Macht und poli- Das Unterrichtskonzept folgt dem Social- tionen professionell umgehen zu können. tische Mitbestimmung. Die Schüler:innen Science-Issues-Ansatz und eignet sich auch werden im Unterrichtsverlauf anhand unter- dafür, Politische Bildung in naturwissen- Im Beispiel „Sexismus, Rassismus und so- schiedlicher Materialien mit kontroversen schaftlichen Fächern oder in den Mathema- ziale Medien“ geht es um drei Inhalte, die Standpunkten konfrontiert und erlernen 12 13
1 | POLITISCHE BILDUNG Kompetenzorientierte UND NATURWISSENSCHAFT Unterrichts- beispiele 1.1 Impfpflicht: Ungerechter Zwang oder wichtige Maßnahme? Philipp Mittnik Inhaltliche Einführung für Lehrer:innen Impfungen stehen nicht erst seit der Co- im Jahr 2019 in die Top Ten der größten vid-19-Pandemie im Fokus der weltweiten Gesundheitsbedrohungen der Menschheit medizinischen Behörden. Zweifelsfrei sind aufgenommen. Impfungen einer der größten Erfolge der Der große Nutzen von Impfungen für die Ge- Medizin und haben Millionen von Toten sellschaft steht wissenschaftlich betrachtet verhindert. Weltweit können durch Impfun- völlig außer Frage, und daher wird auch in gen zwei Millionen Menschen vor Anste- Österreich diskutiert, ob es eine Impfpflicht ckungen mit Masern oder Neugeborenen- geben sollte. Zwischen 1948 und 1977 gab Tetanus und eine Million vor Keuchhusten es in Österreich eine Impfpflicht für die geschützt werden. Zusätzlich werden so Pockenimpfung.2 Viele europäische Staa- Millionen von Menschen vor Lähmungen ten, wie z. B. Frankreich, Italien, Ungarn oder lebenslanger Krankheit bewahrt.1 oder die Slowakei, haben eine Impfpflicht, Trotzdem kommt es bei Impfungen, wie und der Europäische Gerichtshof für Men- bei allen Medikamenten, selten zu Neben- schenrechte hat bereits entschieden, dass wirkungen, die in über 95 Prozent der Fälle eine Impfpflicht nicht gegen europäisches völlig unbedenklich sind. Sehr selten gibt Recht und die dort geltenden Grundrechte es aber auch ernst zu nehmende Nebenwir- verstößt.3 Trotzdem gibt es auch zahlrei- kungen, die vor allem von Impfgegner:in- che Argumente, die gegen eine Impfpflicht nen thematisiert werden. Die Weltgesund- sprechen. Zu dieser Kontroverse wurde die- heitsorganisation (WHO) hat Impfskepsis ses Unterrichtsbeispiel gestaltet. 1 EC, „Fragen und Antworten: EU-weite Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von durch Impfung vermeidbaren Krankheiten.“ https://ec.europa.eu/commission/ presscorner/detail/de/MEMO_18_3458 (letzter Zugriff: 1. Juli 2021). 2 Bundesgesetzblatt, Bundesgesetz vom 30. Juni 1948 über Schutzimpfungen gegen Pocken (Blattern) (1948). https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/ BgblPdf/1948_156_0/1948_156_0.pdf (letzter Zugriff: 1. Juli 2021). 3 Case of Vavricka and Others v. The Czech Republic (8. April 2021). https://hudoc.echr.coe.int/eng#{%22itemid%22:[%22001-209039%22]} (letzter Zugriff: 1. Juli 2021). 14 15
Tabelle 1: Staaten der Europäischen Union, in denen eine Impfpflicht für die Krankheit Materialien für den Unterricht Masern besteht M1 Auswirkungen der Impfpflicht Staaten Impfpflicht Durchimpfungsrate (in %) Herdenimmunität erreicht Anhand der Krankheit Masern soll beispiel- wiegende Komplikationen auf, die u. a. zu Bulgarien ✔ haft gezeigt werden, wie sich eine Impf- Lungen- oder Hirnentzündungen führen Frankreich ✔ pflicht auf die Durchimpfungsrate (Immuni- können. Dazu wird zu Beginn eine Karte der sierung) der Bevölkerung auswirkt. Masern europäischen Gesundheitsbehörde ECDC Italien ✔ sind eine hoch ansteckende Viruserkran- gezeigt und anschließend eine Tabelle mit Kroatien ✔ kung, die meist bei Kindern auftritt. Bei 20 jenen Staaten angeführt, in denen es eine Lettland ✔ bis 30 Prozent der Infizierten treten schwer- Impfpflicht für Masern gibt. Polen ✔ Herdenimmunität Slowakei ✔ Je ansteckender eine Krankheit ist, desto höher muss der Anteil der Immunisierten, also Slowenien ✔ Geschützten (geimpft oder genesen), in einer Gesellschaft sein, um die Weiterverbreitung Tschechische Republik ✔ zu stoppen. Damit sind auch diejenigen in einem hohen Ausmaß geschützt, die aus unter- schiedlichen Gründen (je nach Impfung z. B. Säuglinge oder Menschen mit Immunschwä- Ungarn ✔ chen) nicht geimpft sind bzw. gar nicht geimpft werden können. Das nennt man Herden- immunität. Die ECDC geht davon aus, dass die Herdenimmunität bei Masern frühestens mit 90 Prozent der geschützten Bevölkerung erreicht ist. ISLAND Darstellung der ECDC (Europäisches Zentrum für die Prävention FINNLAND EN und die Kontrolle von Krankheiten) zur SCHWED EN WEG Durchimpfungsrate betreffend Masern4 NOR ESTLAND Abdeckung der zweiten Dosis von LETTLAND Masern- und Röteln-Impfungen, 2018: LITAUEN à Arbeitsauftrag zu M1 ARK EM DÄN 0 – 89 % IRLAND VEREINIGTES 1. Vervollständige die Tabelle mithilfe der Karte. POLEN 90 – 94 % KÖNIGREICH DE AN RL E DEUTSCHLAND ED 2. Vergleicht mithilfe eures Atlas, Handys oder Tablets die Staaten, in denen eine NI BELGIEN 95 – 99 % TSCHECHISCHE LUXEMBURG REPUBLIK SLO WA KEI Impfpflicht besteht, mit der Europakarte, die die Durchimpfungsrate zeigt. Findet keine Daten vorhanden ÖSTERREICH UNGARN heraus, ob jene Staaten, die eine Impfplicht haben, eine höhere Durchimpfung auf- FRANKREICH RUMÄNIEN nicht inkludiert IEN SLO WEN KROATIEN weisen. BULGARIEN 3. Diskutiere mit deiner Sitznachnachbarin bzw. deinem Sitznachbarn, ob eine Impf- ITA LI EN pflicht für euch sinnvoll erscheint. Sammelt einige Argumente. SPANIEN UGAL GRIECHEN- LAND PORT 4. Erörtert im Klassenverband, ob eine Impfpflicht auch für andere Krankheiten sinn- ZYPERN voll erscheint. 4 ECDC, „Monthly measles and rubella monitoring report.“ https://www.ecdc.europa.eu/en/rubella/surveillance-and-disease-data/monthly-measles-rubella-monitoring- reports (letzter Zugriff: 1. Juli 2021). 16 17
M2 Sanktionierung der Impfpflicht M3 Gesellschaftlicher Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen Studien belegen, dass Strafzahlungen bei Kinder. In jenen Staaten, in denen das Nicht- In den (sozialen) Medien treten regelmäßig macht etwa 57 Prozent der österreichischen Nichteinhalten der Impfpflicht zu einer hö- einhalten der Impfpflicht sanktioniert wird, Impfgegner:innen auf. Sehr häufig werden Bevölkerung aus. 39 Prozent sind Impfbefür- heren Impfbereitschaft führen.5 Nicht alle z. B. in Ungarn, in der Slowakei, in Frank- pseudowissenschaftliche6 Begründungen worter:innen, sie lassen sich und ihre Kinder Staaten überprüfen ihre Impfpflicht, und reich oder Polen, gibt es vor allem zwei Zu- dafür angeführt, warum es nicht notwendig vorbehaltlos impfen.7 Ziel dieser Aufgabe ist es gibt auch nicht in allen Staaten Strafen, gänge: sei, sich impfen zu lassen. Die Argumente es, Argumente gegen das Impfen zu über- wenn Menschen nicht geimpft werden. hierfür reichen von der Begründung, dass prüfen („Faktencheck“) und unwissenschaft- Kinder und Jugendliche werden nicht in ein gesundes Immunsystem mit jedem Er- liche und damit falsche Argumente von be- Der allergrößte Anteil der Pflichtimpfun- öffentliche Kindergärten, reger fertig wird, bis hin zur Leugnung, gründeten Vorbehalten gegen das Impfen gen wird an Kinder ausgegeben, daher ent- Horte und Schulen aufgenommen dass diese Krankheiten überhaupt existie- zu unterscheiden. Da es gegen das Impfen scheiden in diesen Fällen die Eltern für ihre Geldstrafen von bis zu € 3.000,– ren. Diese Gruppe macht etwa vier Prozent unzählige Vorbehalte gibt, soll in diesem Bei- der österreichischen Bevölkerung aus. Sehr spiel auf zwei ausgewählte Argumente ein- viel größer ist die Gruppe jener, die nicht gegangen werden: grundsätzlich gegen Impfungen sind, aber 1. Impfungen sind schädlicher verschiedene Impfungen aus unterschied- als die Krankheit selbst. à Arbeitsauftrag zu M2 lichen Gründen ablehnen oder unsicher be- 2. Die Wirksamkeit der Impfungen 1. Analysiere die Folgen davon, züglich deren Wirkung sind. Diese Gruppe wurde nie bewiesen. wenn Kinder nicht in öffentliche Kindergärten und Schulen aufge- nommen oder ihre Eltern zu ho- Ad 1. Impfungen sind schädlicher als die Krankheit selbst hen Strafen verurteilt werden. Von Impfgegner:innen werden Behauptun- schen in der Schule befähigt werden, wissen- 2. Finde Argumente, die für und ge- gen aufgestellt, die pseudowissenschaftlich schaftliche Erkenntnisse richtig deuten und gen eine Bestrafung bei Nichtein- begründet werden. Daher sollten junge Men- einordnen zu können. haltung der Impfpflicht sprechen. 3. Diskutiert eure unterschiedlichen Ansätze in der Klasse. Tabelle 2: Vergleich der Komplikationen, ausgelöst durch die Krankheit Masern, und der Komplikationen nach der Impfung gegen diese Krankheit8 Erkrankung/ Komplikationen bei Komplikationen bei Todesfälle Masern-Erkrankung Masern-Impfungen Lungenentzündung 3.000 von 100.000 0–3 von 100.000 100 von 100.000 Gehirnentzündung 0–1 von 100.000 (bei 1/3 dauerhafte Schäden) Hautausschlag 98 % < 5 % (abgeschwächt) Fieber 98 % (meist sehr hoch) 3–5 % (sehr selten hoch) Schwere Nebenwirkungen 2% (Impfungen) 5 Olivia Vaz et al., „Mandatory Vaccination in Europe.“ pediatrics 145, Nr. 2 (2020), https://pediatrics.aappublications.org/content/pediatrics/145/2/e20190620.full.pdf, 6 Pseudowissenschaft täuscht wissenschaftliche Ergebnisse z. B. durch Fachsprache und Aufmachung vor. Eine Überprüfung von pseudowissenschaftlichen Ergebnissen 1–10, hier 6f. ist häufig nicht möglich, weil der Weg zu den Ergebnissen nicht nachvollziehbar ist. 7 „Wenige Österreicher sind strikte Impfgegner.“ ORF Wien, https://wien.orf.at/v2/news/stories/2871271/ (letzter Zugriff: 1. Juli 2021). 8 In Österreich fast immer im Rahmen einer Dreifachimpfung: Mumps, Masern, Röteln (MMR). Christiane Meyer und Sabine Reiter, „Impfgegner und Impfskeptiker. Geschichte, Hintergründe, Thesen, Umgang.“ In Bundesgesundheitsblatt. Gesundheitsforschung. Gesundheitsschutz, hrsg. von Robert Koch Institut (Heidelberg: Springer Medizin Verlag, 2014), 1182–1188, hier 1184. 18 19
à Arbeitsauftrag zu M3 M4 1. Analysiere anhand der oben stehenden Tabelle die beiden folgenden Abbildung 1: Rückgang der Infektionszahlen bei der Krankheit Masern durch den Impf- Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt: fortschritt in Europa – Masernfälle pro Million Einwohner:innen9 a. Impfungen können niemals eine Krankheit auslösen. 1.200 b. Impfungen sind weit weniger gefährlich als die Krankheit. 1.000 971 2. Beurteile zu zweit mit deinem Sitznachbarn/deiner Sitznachbarin, wie mit Argu- 800 711 Masernfälle Europa menten, die sich als nicht haltbar herausgestellt haben, umgegangen werden sollte. 600 400 250 200 160 38 38 30 25 0 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 à Arbeitsauftrag zu M4 1. Beschreibe das oben stehende Diagramm in Bezug auf den Zusammenhang von Infektionen und Impfungen. 2. Beurteile mögliche Motive und/oder Interessen von Menschen, die behaupten, dass zwischen Infektionen und Impfungen kein Zusammenhang besteht. 3. Beurteile mindestens zwei der vier Aussagen mit deinem Wissen über Infektions- Ad 2. Die Wirksamkeit der Impfungen wurde nie bewiesen krankheiten und die Wirkung von Impfstoffen. In dem Buch eines Impfgegners finden sich folgende Aussagen: Impfgegner:innen gehen unter anderem weltweite Impfprogramm aufgenommen. a) „Impfstoffe können Infektionskrankheiten nicht verhindern, sie können den- davon aus, dass Hygiene und ein gutes Im- Masern sind eine Infektionskrankheit, die noch erhebliche Nebenwirkungen mit sich bringen und dauerhafte gesundheit- munsystem ausreichend sind, um gesund vor allem bei Kindern unter fünf Jahren liche Folgen haben. (…) zu bleiben. Daher bezweifeln sie die Not- auftritt. In zwei Drittel der Fälle verläuft b) Die einzige wirksame Vorbeugung vor Infektionskrankheiten liegt in einer ge- wendigkeit und die Sinnhaftigkeit von Imp- eine Infektion vergleichsweise harmlos. Bei sunden Lebensführung, insbesondere einer naturbelassenen Ernährung, viel fungen. Dazu ist allerdings anzumerken, einem Drittel treten laut WHO Komplika- Bewegung und ausreichend Ruhe. (…) dass Krankheiten wie Typhus, Cholera, tionen wie Mittelohrentzündung, Bronchi- c) Der anhaltende Glaube an eine Schutzwirkung von Impfstoffen ist auf die jahr- Tuberkulose oder Hepatitis A durchaus in tis oder Lungenentzündung auf. Bei circa zehntelange Werbung durch die Impfstoffhersteller zurückzuführen, die durch einem Zusammenhang mit Lebensbedin- einem Prozent der Infektionen kommt es Lobbyismus auf allen Entscheidungsebenen mit großem finanziellem Einsatz gungen und der Hygiene stehen. Krank- zu Gehirnentzündungen, die sehr häufig und unter Beeinflussung der Ärzteschaft diesen Glauben aufrechterhalten. (…) heiten wie Masern, Röteln, Varizellen, Me- mit schweren Behinderungen, Lähmungen ningokokken, Pneumokokken oder Mumps oder dem Tod enden. Ist die Sterblichkeit d) Ungeimpfte können niemals geimpften Personen gefährlich werden. Umge- jedoch nicht. Um ein Beispiel zu geben, soll in hoch entwickelten Ländern eher gering, kehrt können jedoch Geimpfte, besonders wenn sie mehrfach geimpft sind und die Entwicklung von Masern-Infektionen beträgt sie in Entwicklungsländern bis zu erkranken, auch ungeimpfte Personen infizieren.“10 weltweit in der nächsten Abbildung ge- 25 Prozent. Laut UNICEF gab es im Jahr 4. Diskutiert nun in der Klasse über eure Ergebnisse. Versucht, eine Beurteilung der zeigt werden. 1963 wurde der erste Impf- 2019 bei steigender Tendenz weltweit etwa Aussagen und Haltungen der Impfgegner:innen vorzunehmen. Bilde dir dein eige- stoff gegen die Masern entwickelt, aber erst 870.000 Infektionen und mehr als 200.000 nes abgesichertes Urteil. 1980 wurde unter der Leitung der WHO das Todesopfer, meist Kinder unter fünf Jahren. 9 Our World in Data, „Measels.“ https://ourworldindata.org/vaccination (letzter Zugriff: 1. Juli 2021). Andreas Roll, Gesund ohne Impfung? Impfschäden contra wirksame Krankheitsvorbeugung bei Säuglingen und Kindern (Illerkirchberg: Homoeopathicus-Verlag, 10 2003), 49f. 20 21
M5 Abschlussaufgabe à Arbeitsauftrag zu M5 Du hast nun einige Fakten über das Impfen kennengelernt. Sieh dir zusätzlich in der Klasse das folgende Video an, das sich mit Pro- und Kontra-Positionen zur Impfpflicht in Deutschland auseinandersetzt. Bedenke dabei, dass Deutschland seit 2020 eine Impfpflicht für Masern umgesetzt hat. Link zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=G_jMbceB-p0 (Titel des Videos: Possoch klärt: Was bringt eine Impfpflicht? Pro und Contra! | BR24, vom 10.05.2019). 1. Erörtere in der unten stehenden Tabelle Pro- und Kontra-Argumente zur Impf- pflicht in Österreich. 2. Beurteile, ob du für oder gegen eine Impfpflicht betreffend Masern bist. 3. Diskutiert eure Urteile im Klassenverband. PRO Impfpflicht KONTRA Impfpflicht 22 23
1 | POLITISCHE BILDUNG In den letzten Jahren hat die Zahl der Doch Wölfe genießen einen besonderen Wolfshinweise in Österreich auf niedrigem Schutzstatus in Europa, vor allem auf- Niveau stark zugenommen. Stand 2020 grund der 1992 im Rat der Europäischen UND NATURWISSENSCHAFT dürften sich etwas mehr als 30 Wölfe in Gemeinschaft erlassenen Fauna-Flora-Ha- Österreich aufhalten. Darunter drei Fa- bitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) zur „Er- milien und einige „Durchzügler“ aus den haltung der natürlichen Lebensräume so- Nachbarländern, die auf der Suche nach wie der wild lebenden Tiere und Pflanzen“. 1.2 Der Wolf: Schützen oder schießen? Partnertieren und Lebensraum sind.4 Wäh- rend die meisten Österreicher:innen die Sie einfach zu jagbarem Wild zu erklären und auf einen für Nutztierhalter:innen Rückkehr der Wölfe als eine Bereicherung und Jagdwirtschaft erträglichen Bestand Georg Lauss empfinden und die Wiederansiedlung des zu reduzieren, ist demnach rechtlich nicht Wolfs mit Verweis auf den Wert von Arten- erlaubt. Man muss nach einem Umgang vielfalt und einem ökologischen Gleich- mit Wölfen suchen, den die Gesetzeslage gewicht begrüßen, fühlen sich andere in zulässt, oder versuchen, die Gesetzeslage ihrer Lebensweise vom Wolf gestört oder zu ändern. Letzteres scheint aber kaum bedroht und führen unterschiedliche For- umsetzbar, weil es für eine Änderung der Inhaltliche Einführung für Lehrer:innen men von Sicherheitsbedenken gegen die FFH-Richtlinie Einstimmigkeit im europäi- Wiederansiedlung ins Treffen.5 Denn durch schen Rat bräuchte.6 ihr natürliches Verhalten geraten Wölfe Einst waren Wölfe über ganz Europa ver- nicht immer einfach. Attacken frei leben- immer wieder in Konkurrenz zu mensch- breitet. Im Laufe der Jahrhunderte wurden der, gesunder Wölfe auf Menschen kamen lichen Gewohnheiten. Sie beeinträchtigen sie in West- und Mitteleuropa nahezu aus- in den letzten 100 Jahren nahezu nicht die Jagd und verursachen Schäden in der gerottet. Nur im Osten und Südosten Eu- mehr vor.2 Trotzdem bleibt die Geschichte Viehwirtschaft – vor allem dort, wo Tiere ropas und in wenigen Regionen Spaniens vom „großen bösen Wolf“ – z. B. im Mär- im Sommer auf ungeschützte Almen getrie- und Italiens konnten Wölfe überleben. Von chen Rotkäppchen der Gebrüder Grimm – ben werden. Die alpine Schafzucht stand dort aus breiten sie sich heute wieder aus, weiterhin tief im kulturellen Bewusstsein schon zuvor unter starkem wirtschaftli- da sie mittlerweile in den meisten Ländern verwurzelt. Der Wolf ist ein Symbol für chem Druck. Im Angesicht des Wolfs und geschützt sind.1 Im Übergang von einer den räuberisch wilden und damit beispiel- seines rechtlichen Schutzes fühlen sich ländlich-bäuerlichen zu einer städtischen losen Feind der Hirten und Bauern. Weil immer mehr Landwirt:innen zunehmend Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft er ein Risiko für Nutztiere darstellt, stellt macht- und wertlos. Aber auch die Angst wurde der Wolf von einer bedrohlichen zu er den Schutz infrage, den Landwirt:innen vor Wolfsattacken auf Menschen lässt An- einer bedrohten Tierart. ihrer Herde angedeihen lassen wollen. Der wohner:innen von Wolfsgegenden Forde- Wolf steht in mythischen Erzählungen rungen nach der Jagd auf Wölfe erheben. In vielen Geschichten, Sagen und Märchen allerdings auch für Schutz und Vitalität. ist der Wolf mehr als irgendeine wild leben- Man denke nur an den Gründungsmythos de Tierart. Er ist ein Mythos und steht für von Rom durch Romulus und Remus oder die Bedrohung der Zivilisation durch die die Rolle der Wölfin Raksha im Dschun- Wildnis genauso wie für das Versprechen gelbuch. In beiden Fällen handelt es sich von urwüchsiger Sorge, Weisheit und Um- um Wölfinnen als nährende und sorgende sicht. Das macht die politische Auseinan- Mütter für von Menschen ausgesetzte dersetzung rund um seinen Schutzstatus Kinder.3 1 Christian Pichler und Silvia Nietlispach, „Willkommen zu Hause: Die Wölfe kehren zurück.“ Unterrichtsmaterial, hrsg. von WWF Österreich (Wien 2019), 4 Pichler und Nietlispach, „Willkommen zu Hause“. https://www.wwf.at/wp-content/uploads/2021/07/wolf_unterrichtsmaterial-2.pdf (letzter Zugriff: 1. Juli 2021). 5 „Zwei Drittel der Österreicher sehen Wolfs-Rückkehr positiv.“ Kleine Zeitung, 19. Juni 2019. https://www.kleinezeitung.at/oesterreich/5661764/Umfrage_Zwei-Drittel- 2 John D. C. Linnell, The fear of wolves: A review of wolfs attacks on humans. NINA Oppdragsmelding 731 (Trondheim: Norsk institutt for naturforskning, 2002). der-Oesterreicher-sehen-WolfsRueckkehr-positiv (letzter Zugriff: 1. Juli 2021). 3 Henry Buller, „Safe from the Wolf: Biosecurity, Biodiversity, and Competing Philosophies of Nature.“ Environment and Planning A: Economy and Space 40, Nr. 7 (2008): 6 Klaus Hackländer, Er ist da: Der Wolf kehrt zurück. 1. Aufl. (Salzburg, München: Ecowin, 2020), 182. 1583–1597, hier 1584f. 24 25
Methodisch-didaktische Im ersten Schritt werden die Schüler:in- In Schritt vier werden die Schüler:innen standteil wissenschaftlicher Praxis. Zum Erläuterungen nen mithilfe von M1 und einem Lehrer:in- daran herangeführt, sich in komplexe Pro- anderen gibt es in politischen Konflikten zu- nenvortrag in die Kontroverse über den blemlagen im Sinne von entdeckendem meist mehr als eine Bezugswissenschaft.8 Das vorliegende Unterrichtskonzept folgt Schutzstatus des Wolfs in Österreich ein- Lernen einzuarbeiten. So lernen sie, nach Neben der Rechtswissenschaft sind das in dem Social-Science-Issues-Ansatz (SSI-An- geführt. Die Schüler:innen sollten aber und nach Prozesse naturwissenschaftlicher unserem Fall Ökonomie und andere Sozial- satz).7 Den Ausgangspunkt für Lernprozes- im Verlauf der Unterrichtseinheit auch Erkenntnisgewinnung zu verstehen und wissenschaften, Geisteswissenschaften wie se im SSI bilden reale Kontroversen, wie die Möglichkeit haben, auf die dort ange- sich auf dieser Basis ein begründetes Urteil die Philosophie oder die Mathematik, aber etwa der Streit um den Schutzstatus und botenen Informationen zurückzugreifen. zu bilden. Zunächst löst jede/r Schüler:in auch die Naturwissenschaften (insbesonde- den Umgang mit Wölfen in Österreich. Da- Danach werden ihnen in der Tabelle M2 in Einzelarbeit die Aufgabenstellung M6. re die Biologie).9 Die Schüler:innen bewer- durch soll über den reinen Wissenserwerb unterschiedliche Aussagen mit Konflikt- Anschließend werden die Ergebnisse in ten die Aussagen aus M2 in diesem Schritt hinaus das Verantwortungsbewusstsein bezug vorgelegt. Die Schüler:innen sollen Kleingruppen (drei bis vier Schüler:innen) noch einmal. Zunächst soll festgestellt wer- der Schüler:innen geweckt werden. Im SSI eine Vielzahl von Konfliktpositionen ken- verglichen, auf Richtigkeit überprüft und den, ob die Aussage a) wissenschaftliche sind die folgenden sechs Schritte zu be- nenlernen. Sie sollen sich ein Urteil über beurteilt. b) ethische oder c) rechtliche Fragen be- rücksichtigen, die anschließend im Detail die Positionen der beteiligten Personen bil- rührt. Die Begriffserläuterungen aus M7 vorgestellt werden: den und die Aussagen einer von fünf vor- Im fünften Schritt soll die Rolle der Wis- sollten hier zentrale Bezugspunkte bilden. gegebenen Themenkategorien zuordnen. senschaften und ihr Verhältnis zu politi- Danach sollen Bezugnahmen auf Wissen- 1. Einführung in den Konflikt scher Entscheidung thematisiert werden. schaft und Recht auf sachliche Richtigkeit 2. Schüler:innen positionieren sich Im zweiten Schritt werden die Schüler:in- Die Schüler:innen machen sich dabei Ge- geprüft und ethische Aussagen bewertet 3. Vorstellung naturwissenschaftlicher nen dazu aufgefordert, sich auf Basis ihrer danken über Vorteile, aber auch Grenzen werden. Basiskonzepte Voreinstellungen und dieser ersten Infor- wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung. 4. Erhebung/Analyse von Daten mationen zu positionieren. Dazu werden Selbstverständlich sind die Erkenntnisse Im sechsten Schritt positionieren sich die 5. Soziale und ethische Konfliktdimensio- in M3 drei Positionen zur Abstimmung ge- moderner Wissenschaft notwendiger Be- Schüler:innen zum Abschluss noch einmal nen im Verhältnis zur Wissenschaft bracht. Dies könnte entweder mittels Ab- zugspunkt jeder rationalen Debatte. Aus zu vier kontroversen Aussagen. Die Ergeb- reflektieren frage per Handzeichen oder über Online- den Erkenntnissen moderner Wissenschaft nisse der Umfrage (M8) werden ausgewer- 6. Abschließende Urteilsbildung Tools wie Mentimeter stattfinden. lassen sich allerdings in den seltensten Fäl- tet. Im Klassenplenum soll dann darüber len eindeutige politische Entscheidungen gesprochen werden, welche Argumente für Nun wird in Schritt drei die Auseinander- ableiten. Zum einen ist die sachliche Kritik die eigene Positionierung am wichtigsten setzung mit wissenschaftlichen Basiskon- von Forschungsergebnissen zentraler Be- eingeschätzt werden. zepten und Erkenntnissen vertieft. Dazu stellt die Lehrkraft in einem kurzen Vor- trag die wichtigsten Eckdaten zum Thema Wolf vor. Diese sind in M4 zusammenge- stellt. Danach überprüfen die Schüler:in- nen ihr Wissen mittels Selbsttests. Dabei kann auf die Informationen im Schaubild M4 zurückgegriffen werden. In diesem Schritt geht es um die Vorarbeit zu einer sachorientierten Urteilsbildung. Bei der Beurteilung der politischen Aussagen in Schritt fünf ist es wichtig, dass auf dieses Arbeitswissen zurückgegriffen wird. 7 Georg Lauss, „Politik – Natur – Wissenschaft: Der Social-Science-Issues-Ansatz in der Politischen Bildung.“ In Politische Bildung in internationaler Perspektive, hrsg. 8 Ingo Juchler, „Wissenschaftsorientierung.“ In Handbuch politische Bildung, hrsg. von Wolfgang Sander (Bonn: bpb, 2014), 284–292. von Monika Oberle (Schwalbach: Wochenschau Verlag, (im Erscheinen)); David C. Owens, Troy D. Sadler und Dana L. Zeidler, „Controversial issues in the science class- 9 Lauss, „Politik – Natur – Wissenschaft”. room.“ Phi Delta Kappan 99, Nr. 4 (2017): 45–49. 26 27
Materialien für den Unterricht M1 Einführung in den Konflikt Im Sommer 2019 beantragte die Agrar- setzen. Diese Gesetze besagen, dass nur gemeinschaft Tofernalm (ein Zusammen- Wölfe abgeschossen werden dürfen, wenn schluss von Bauern in der Salzburger Ge- sie wiederholt für Menschen gefährliches meinde Großarl) die Genehmigung, einen Verhalten zeigen oder in Siedlungsnähe Wolf zu jagen. Dieser Wolf hatte zuvor auf immer wieder Nutztiere reißen. Viele Ex- einer Alm 24 Schafe getötet. Im Juni 2020 pert:innen sprechen in so einem Fall auch bewilligte die Bezirkshauptmannschaft nicht von „töten“ oder einem „Abschuss“, St. Johann im Pongau die Entnahme des sondern davon, dass ein „Problemwolf“ „Problemwolfs“. Das bedeutet, dass der aus der Population „entnommen“ wird. Wolf nun gejagt und getötet werden durf- Die Population bilden alle Wölfe, die in te. Gegen diese Entscheidung protestier- einem bestimmten Gebiet leben. Im Sinne ten Umweltschutzverbände wie der World der Richtlinie handelt es sich hier um das Wildlife Fund (WWF). Sie zogen vor Gericht, österreichische Staatsgebiet. Aber auch und das Salzburger Landesverwaltungsge- die „Entnahme“ eines solchen „Problem- richt entschied, dass die Entscheidung zur wolfs“ ist nur zulässig, wenn alle anderen Tötung nicht im Einklang mit den geltenden Möglichkeiten zum Schutz von Nutztier- Bestimmungen in Österreich stand. herden oder zur Vertreibung des Wolfs ausgeschöpft worden sind. Zusätzlich gilt, In Österreich ist der Wolf eine durch dass durch den Abschuss der günstige Er- mehrere Gesetze streng geschützte Art. haltungszustand der Art innerhalb eines Erstens wird er in den jeweiligen Landes- Landes nicht gefährdet werden darf. Die jagdgesetzen entweder als „nicht jagdbar“ Europäische Kommission hat diesen Er- oder als „ganzjährig geschont“ geführt. haltungszustand in Österreich erst 2020 Zweitens wird er durch die Fauna-Flo- als „ungünstig-schlecht“ bewertet. Mit ra-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) der dieser Bewertung dürfte kaum ein Wolf Europäischen Union geschützt. Diese hat abgeschossen werden. das Ziel, die natürlichen Lebensräume so- wie wild lebende Tiere und Pflanzen zu er- Die Meinungen darüber, wie man mit Wöl- halten. Eine europäische Richtlinie muss fen in Österreich umgehen sollte, gehen in Österreich durch nationale Gesetze um- diesem Konflikt allerdings weit auseinander. 28 29
M2 pro/ Unterschiedliche Positionen zum Umgang mit dem Wolf Tabelle M2: Aussagen Thema kontra 1. Der Wolf ist absolut gefährlich. Ich habe mit dem Wolf zu tun gehabt, ich habe auch Wölfe gejagt und mit der Bevölkerung gesprochen. Überall dort, wo der Wolf vorkommt, ➀➁➂ à Arbeitsauftrag zu M2 wird er nicht gerne gesehen. (Maximilian Mayr-Melnhof, Jäger) ➃➄ 2. Wenn wir in Europa von 30.000 Individuen reden, kann man nicht mehr sagen, dass es Einzelarbeit eine gefährdete Art ist. Österreich ist auf gar keinen Fall ein gutes Wolfshabitat, weil wir ➀➁➂ viel zu dicht besiedelt sind. Wir haben in Österreich nur noch vier bis sechs Prozent unbe- Lies dir die Aussagen in der Tabelle M2 aufmerksam durch und entscheide, rührte Natur. … Aber alles andere hat bereits der Mensch für sich in Anspruch genommen. ➃➄ ob sie für oder gegen den Abschuss von Wölfen sprechen! (Maximilian Mayr-Melnhof, Jäger) Gruppenarbeit 3. Es ist natürlich sehr bedauerlich, dass auch sogenannte Nutztiere gerissen werden, was aber darauf zurückzuführen ist, dass der Mensch dem Wolf den Lebensraum genommen Ordne jede Aussage einem oder mehreren der folgenden Themen zu! hat. ... Es ist ja keinesfalls so, dass der Wolf dafür gebaut wäre, Schafe zu reißen. Man ➀➁➂ 1. Sicherheit für Menschen kann sehr wohl auch in den Alpen Herdenschutz betreiben. … Was richtig ist: Wirtschaf- ten wie bisher wird nicht gehen. Aber nur wenn ein Wolf einmal fünf Schafe reißt, ist das ➃➄ 2. Herdenschutz (Schutz der Nutztiere, z. B. Schafe, durch Zäune und Hirt:innen) noch lange kein Problemwolf. (Kurt Kotrschal, Wolfsforscher und Verhaltensbiologe) 3. Wirtschaft 4. Recht 4. Der Wolf erfüllt im Ökosystem eine ganz wichtige Rolle als Gesundheitspolizei. Er er- kennt kranke Tiere und nimmt diese aus dem Bestand, noch bevor der Jäger es merken ➀➁➂ 5. Tierschutz und Artenvielfalt würde. (Sonja Großmann, Tierschützerin „Gut Aiderbichl“) ➃➄ 5. Man könnte eine wildökologische Raumplanung für Europa durchführen. Man kann sagen: Es gibt Kernzonen, in denen sich der Wolf frei bewegen kann. Es gibt Randzonen, ➀➁➂ in denen kann man ihn vorübergehend dulden. Und es gibt Freizonen, da ist er aus wirt- schaftlichen Gründen derzeit nicht brauchbar. (Hubert Stock, Wolfsbeauftragter Salzburg) ➃➄ 6. Mit der Wolfsromantik muss es vorbei sein. Sein Schutzstatus auf EU-Ebene muss verrin- gert werden, um eine „Entnahme“ von Wölfen zu ermöglichen. Allein dieses Jahr ist in Tirol von beinahe 90 Wolfsrissen auszugehen. Wenn es um den Schutz der Tiere geht, so muss man nicht nur an den Schutz des Wolfs denken, sondern auch an Schutz von Nutztieren – ➀➁➂ Schafe und Ziegen. Und ich bin der Meinung, dass der Wolf bei uns keinen Platz hat. [W]o es eine Kombination aus beengtem Siedlungsraum, klein strukturierter Berglandwirtschaft, ➃➄ Almwirtschaft und Tourismus gibt, funktioniert ein Miteinander von Mensch, Nutztier und Wolf nicht. (Günther Platter, Landeshauptmann Tirol, ÖVP) 7. Regionale „wolfsfreie Zonen“ sind nach EU-Recht gleich aus mehreren Gründen nicht möglich: Erstens gibt es Möglichkeiten zum Herdenschutz und zu finanziellen Entschädi- gungen. Zweitens darf auch der Abschuss eines „Problemwolfs“ den günstigen Erhaltungs- ➀➁➂ zustand der Art innerhalb eines Mitgliedsstaats nicht gefährden. Die Kommission hat die- sen Erhaltungszustand in Österreich erst vor einem Jahr als „ungünstig-schlecht“ bewertet. ➃➄ (Virginijus Sinkevičius, EU-Umweltkommissar) 8. Der Rechtsstaat ist zu akzeptieren. Ich gebe allerdings zu bedenken, dass es circa 25.000 Wölfe in Europa gibt. Experten rechnen in sieben Jahren mit 100.000. Ich mag mir ➀➁➂ nicht ausmalen, wie schwierig unsere Land- und Almwirtschaft wird. (Josef Schwaiger, Agrarlandesrat Salzburg, ÖVP) ➃➄ 9. Wem die berechtigten Sorgen der Almwirtschaft ein Anliegen sind, der blendet Bäue- rinnen und Bauern nicht mit unrealistischen Forderungen, sondern muss die Umsetzung von Herdenschutz konsequent unterstützen. Es braucht unter anderem bessere Ent- ➀➁➂ schädigungen für betroffene Halter von Nutztieren und ausgewogene Information. (Arno ➃➄ Aschauer, WWF-Artenschutzexperte) 10. Herdenschutz stellt eine beträchtliche Belastung für Almbauern dar. Insbesondere auf exponierten Almen kann der Schutz pro Schaf 55 Euro pro Jahr kosten. Eine ziemlich hohe Summe, wenn man bedenkt, dass ein Schaf derzeit einen Marktwert von rund 280 Euro hat. Wenn ein Wirtschaftszweig und die damit einhergehende Pflege unserer Kulturland- ➀➁➂ schaft mit hoher Artenvielfalt erhalten werden sollen, müssen Kosten irgendwie gedeckt werden. Die gute Nachricht für Bauern ist allerdings, dass die gesamten Anschaffungs- ➃➄ kosten für Herdenschutzmaßnahmen von der EU getragen werden. (Klaus Hackländer, Wildtierbiologe und Wolfsexperte) 11. Den Erhaltungsstand einer Art innerhalb nationaler Grenzen zu beurteilen, ergibt wissen schaftlich keinen Sinn. Von einer österreichischen Wolfspopulation zu sprechen, wäre grober Unfug, weil ein Wolf, der heute in Allentsteig zur Wanderung aufbricht, übermorgen ➀➁➂ schon die Population der Tschechischen Republik bereichern kann. (Klaus Hackländer, ➃➄ Wildtierbiologe und Wolfsexperte) 30 31
M3 Abstimmung M4 Fakten zum Wolf 10 Der Wolf zählt gemeinsam mit dem Braun- schen 150 und 300 km2. Im Alter von ein à Arbeitsauftrag zu M3 bären und dem Luchs zu den sogenannten bis zwei Jahren verlassen junge Wölfe ihr Großen Beutegreifern. Weltweit gibt es der- Rudel und besetzen selbst ein Territorium. Soll der Wolf unter allen Umständen geschützt werden, oder soll er, wenn er zum Pro- zeit 170.000 Wölfe. Davon leben 17.000 in blem wird, zum Abschuss freigegeben werden können? Europa, und davon wiederum (Stand 2020) Wölfe sind körperlich sehr leistungsfähig, Kreuze an, welche Aussage deiner Meinung am ehesten entspricht. etwas mehr als 30 Wölfe in Österreich. Wöl- was sich auch in ihren Wanderbewegungen ❍ Der Wolf gehört nicht nach Österreich. Sein Schutzstatus sollte aufgehoben und fe sind Rudeltiere, sie leben im Familienver- zeigt. Sie sind schnelle und ausdauernde der Wolf ausgerottet werden. band. Die Größe ihres Reviers richtet sich Läufer. Männliche Wölfe wandern meist nach den vorhandenen Beutetieren. Ihr Ter- weiter als weibliche. Von deutschen Wölfen ❍ Der Schutzstatus des Wolfs sollte aufgeweicht werden. Der Wolf sollte bejagt wer- ritorium ist immer so groß, dass es genü- sind Distanzen von bis zu 1.500 km nach- den dürfen, wenn er die ausgewiesenen Schutzzonen verlässt und dort z. B. Nutz- gend Futter für eine erfolgreiche Aufzucht gewiesen. Allgemein gilt, dass ein Tier in tiere reißt. der Jungen gibt. Tagsüber ist für Wölfe ein einem Tag bis zu 100 km wandern kann. Es ❍ Es kann nicht sein, dass ein Tier, das lange vor uns da war, vertrieben wird. Ruheplatz wichtig. Dorthin ziehen sie sich wurde auch schon ein Wolf beobachtet, der Der Schutzstatus des Wolfs darf keinesfalls aufgeweicht werden. zurück und ziehen ihre Welpen auf. In Mit- für eine Distanz von 76 km nur zwölf Stun- teleuropa liegt die Größe der Reviere zwi- den benötigte. Hervorragendes hört Töne bis zu 4o kHz Sehvermögen (Mensch 20 kHz) Blickwinkel von 250 ̊ C anis l upus lupus kann Tiere aus einer D u nkler attelfleck S Entfernung von bis zu 2 km riechen Gewicht me isten 15 bis 80 kg s hängender Schwanz Spitzengeschwindigkeit bis 60 km h Streifzüge durchschnittlich 45 km pro Tag Länge bis 150 cm Höhe bis 95 cm Was Wölfe fressen Rothirsch Wölfe sind Fleischfresser. Dabei sind sie 24,7 % nicht sonderlich wählerisch. Sie ernähren Hase 3,4 % sich von den Tieren, die sie in ihrem Gebiet Mufflon 0,7 % Damhirsch 1,5 % vorfinden. Nutztiere 0,8 % Sonstiges 0,5 % Auswertung von ca. 2.000 Wolfslosungen (2001–2009) Reh Wildschwein aus der Lausitz. Quellen: Senckenberg Museum für Na- 52,1 % 16,3 % turkunde, Görlitz; NABU 10 Hackländer, Er ist da; Pichler und Nietlispach, „Willkommen zu Hause.“ 32 33
Der gute Geruchssinn des Wolfes wird durch seinen langen Gesichtsschädel deut- neun Personen starben. Bei aktuell mehr als 170.000 Wölfen weltweit ist das eine M6 Mit der Wolfsromantik muss es vorbei sein! lich, der genügend Raum für die Nase mit recht überschaubare Zahl an Vorfällen. Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) geht im Jahr 2021 allein für Tirol – ihren Schleimhäuten lässt. Wölfe besitzen Fünf der tödlichen Angriffe gingen von Wöl- ebenso wie Jagdhunde einen ausgezeich- fen mit Tollwut aus. Allenfalls neigen an ein Bundesland mit viel Almwirtschaft – von 90 Wolfsrissen aus. Er tritt deshalb dafür ein, neten Orientierungssinn. Sie können Men- Tollwut erkrankte oder an Menschen ge- dass der Schutzstatus des Wolfes auf EU-Ebene herabgesetzt wird, und verlangt, dass es schen und andere Tiere schon aus mehre- wöhnte Wölfe zu gewalttätigen Übergriffen. mit der Wolfsromantik vorbei sein muss.11 Die Aussage des Tiroler Landeshauptmanns geht ren 100 Metern Entfernung riechen. Weil Tollwut ist in Österreich, Deutschland und von einem starken Wachstum der Wolfspopulation in Österreich aus, falls diese nicht bejagt der Wolf den Menschen normalerweise der Schweiz sowie in den meisten anderen werden kann. Darüber hinaus bewertet er die dadurch entstehenden Kosten als hoch. In den meidet, bekommen wir ihn selten zu Ge- europäischen Ländern ausgerottet. folgenden beiden Schritten wollen wir die beiden Teilurteile genauer prüfen. sicht, auch wenn er sich in der Nähe auf- hält. Der Sehsinn ist ebenfalls gut ausge- Forschungsergebnisse zeigen, dass der Ab- prägt. Wölfe sehen zwar nicht so scharf schuss von Wölfen in nur ganz speziellen wie etwa Greifvögel, sind aber dennoch Fällen ein wirkungsvolles Mittel ist, um die 1. Prognose erstellen: Wie lange dauert es, bis es in Österreich imstande, ihre Beutetiere auch auf größe- Risse an Nutztieren zu verringern. Manch- mehr Wölfe gibt, als das Land verträgt? re Distanzen zu erkennen. Die Sehleistung mal macht die sogenannte „Entnahme“ ei- entspricht untertags in etwa der des Men- nes Wolfs die Probleme nur noch schlimmer. Der Wildtierbiologe Klaus Hackländer be- Drittel erhöht, wenn der Mensch es nicht schen. In der Dämmerung sehen sie besser Wenn beispielsweise das Elterntier eines stätigt, dass Österreich ein hervorragen- verhindert. Erst wenn auf einem Gebiet als der Mensch, auch Bewegung erkennen Rudels erlegt wird und das Rudel daraufhin der Lebensraum für Wölfe ist, da es von so viele Wölfe leben, dass die Nahrung für sie besser, sind aber dafür Rot-Grün-blind. in einzelgängerische Wölfe zerbricht, kann Menschen relativ dünn besiedelt ist. Die sie knapp wird, kommt die Vermehrung das die Situation für Nutztierhalter:innen oft Wölfe stellen nur eine geringe Gefahr für noch schlimmer machen. Einzelgänger sind weitläufigen Berglandschaften der Alpen allmählich von allein zum Stillstand. Wis- Menschen dar. Zwischen 1950 und 2000 deutlich problematischer und verursachen sind fast ausschließlich Wildtieren vorbe- senschaftler:innen sagen dann, dass die sind weltweit 59 Wolfsattacken auf Men- mehr Schäden an Nutztieren als Wölfe, die halten. Dazu ist fast genau die Hälfte des Lebensraumtragfähigkeit erreicht wurde. schen dokumentiert worden, bei denen in intakten Familienverbänden leben. Landes mit Wald bedeckt (49 %), wo sich Berechnungen legen nahe, dass das Nah- Wölfe am liebsten aufhalten.12 Auch Beu- rungsangebot für Wölfe in Österreich für tetiere für den Wolf gibt es hier in unver- maximal 1.381 Wölfe ausreichen würde. M5 Überprüfe dein Wissen über den Wolf! gleichlicher Fülle, da Österreich einen im europäischen Vergleich außerordentlich Die tatsächliche Lebensraumtragfähig- keit wird allerdings erheblich vermindert, hohen Wildtierbestand hat. Aus Beobach- wenn man Regionen herausrechnet, in à Arbeitsauftrag zu M5 (Einzelarbeit) tungen weiß man, dass die natürliche Ver- denen die Koexistenz von Mensch und mehrungsrate in gut geeigneten Habitaten Wolf nicht klappen kann, so z. B. in Städten 1. Wie viel Prozent der Nahrung des Wolfs entfällt auf Nutztiere? (so nennen Wissenschaftler:innen die Le- oder Tourismusgebieten. Berücksichtigt a) 0,8 % b) 8 % c) 18 % bensräume von Wildtieren) bei 30 Prozent man diese Umstände, werden etwa 660 2. Wie weit wandern Wölfe manchmal, wenn sie sich neue Reviere suchen? pro Jahr liegt. Das bedeutet, dass sich die Wölfe als realistisches und tragbares Maß a) 10 km b) 100 km c) 500 km Anzahl von Wölfen jedes Jahr um fast ein für Österreich angegeben.13 3. Warum bekommen Menschen Wölfe selten zu Gesicht? a. … weil der Wolf den Menschen schon aus hunderten Metern Entfernung riecht. b. … weil der Wolf bei Tag viel besser sieht als der Mensch. 4. Wie viele Menschen starben zwischen 1950 und 2000 weltweit nach Wolfsattacken? a) 17.000 b) 59 c) 9 5. Wie viele Wölfe leben derzeit in Österreich? a) < 40 b) 90 c) 660 6. Führt der Abschuss einzelner Wölfe zwangsläufig zu weniger Nutztierrissen? a) Ja b) Nein 11 „Gut oder Böse? Thema Wolf kocht wieder hoch.“ orf.at, https://orf.at/stories/3177887/ (letzter Zugriff: 1. Juli 2021). 12 Hackländer, Er ist da, 42. 13 Ebd., 51. 34 35
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