HEIMAT WESTFALEN - ORTE DES ERINNERNS: KONZEPTE HISTORISCH-POLITISCHER BILDUNG HEUTE - WESTFÄLISCHER HEIMATBUND
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I N H A LT 3 Editorial NEuE MITgLIEdEr IM WHb orTE dES ErINNErNS: koNZEpTE HISTorIScH-poLITIScHEr 46 Heimat- und Vereinsgemeinschaft Schwaney e. V. bILduNg HEuTE WHb-proJEkTE 4 STEFAN MÜHLHoFEr, NorbErT rEIcHLINg uNd 47 Neue WHB-Publikation Westfälische Kunststätten – uLrIkE ScHrAdEr Pfarrkirche St. Heinrich und Kunigunde in Schloß Neuhaus Wissen – Irritation – Haltung. Was vermitteln Gedenk- 48 Machen Sie mit! „Rolle vorwärts – der Preis stätten und Erinnerungsorte? des Westfälischen Heimatbundes für frische Ideen“ 2021 12 IM INTErVIEW: MATTHIAS Löb 50 WHB-Handreichungen zu neuen Zielgruppen „Erinnerungsarbeit ist ein Beitrag zur Demokratisierung“ WHb-SEMINArE 14 ArbEITSkrEIS dEr NS-gEdENkSTäTTEN uNd 52 Digitale Westfalen-Akademie von Westfälischem Heimatbund e. V., -ErINNEruNgSorTE IN NrW E. V. Stiftung Westfalen-Initiative und lagfa NRW e. V. Netzwerke stärken 53 Workshop-Angebote des Westfälischen Heimatbundes e. V. mit der FreiwilligenAkademie 2021 15 FrAukE HoFFScHuLTE uNd ALExANdEr LANg Blick in die Region: 12 Beispiele westfälischer WHb-ForEN Gedenkstätten und Erinnerungsorte 54 WHB-Forum „Natur und Umwelt“: Packen wir’s an! Eintreten für den Erhalt von Biodiversität und Artenvielfalt 24 HAukE-HENdrIk kuTScHEr, bArbArA rÜScHoFF- pArZINgEr uNd MALTE THIEßEN prEISE uNd AuSScHrEIbuNgEN Licht in den Erinnerungsschatten bringen: Vergangenheit, 55 Die Wolfgang Suwelack-Stiftung: Für Frieden und Toleranz! Gegenwart und Zukunft der Gedenkstätte „STALAG 326“ ENgAgIErT Vor orT MEINE HEIMAT WESTFALEN 56 Heimatmacher-Praxisbeispiele aus Ihrer Arbeit 31 Monika Guist dANk uNd ANErkENNuNg AuS gEScHäFTSSTELLE uNd grEMIEN 60 Georg Ketteler 32 WHB baut Mitglieder-Service im Versicherungsbereich aus: 61 Wilhelm Elling Vereins-Rechtsschutzversicherung ab sofort verfügbar 62 Heinz Heidbrink 34 WHB-Mitgliederversammlung am 2. Dezember 2020 in 63 Peter Kaenders Münster NEuErScHEINuNgEN SErVIcEbÜro WHb 64 Zersplitterte Sterne. Erinnerungen an jüdische Familien 36 WHB-Handreichung für Mitgliedsvereine in Zeiten in Billerbeck und ihre Zeit der Corona-Krise 64 Mein Schulweg – Bilder und Anekdoten 36 Mitgliederversammlung und Vorstandswahlen von Vereinen in 2021 65 „Wer spart, hilft Adolf Hitler“. Nationalsozialismus und Sparkassen 40 Politische Mitsprache gemeinnütziger Organisationen stärken 65 Brilon mit Ortsteilen und Dörfern: Chronik 2020 41 WHB-Mitgliederinformation zum Jahressteuergesetz 2020 bucHbESprEcHuNgEN 44 Tipps für historisch-politische Bildungsarbeit 66 Schutzjuden – Bürger – Verfolgte – Vergessene. Die Geschichte der jüdischen Minderheit in Herdecke seit dem 17. Jahrhundert HEIMAT WESTFALEN ISSN 2569-2178 / 34. Jahrgang, Ausgabe 1/2021 Herausgeber: Westfälischer Heimatbund e. V. · Kaiser-Wilhelm-Ring 3 · 48145 Münster. Vorstand im Sinne des § 26 BGB: Matthias Löb (Vorsitzender), Birgit Haberhauer-Kuschel (stellvertr. Vorsitzende) Vereinsregister des Amtsgerichts Münster, Nr. 1540 · Steuer-Nr.: 337/5988/0798 Telefon: 0251 203810 - 0 · Fax: 0251 203810 - 29 Gefördert von: E-Mail: whb@whb.nrw · Internet: www.whb.nrw Verantwortlich im Sinne des presserechts: Dr. Silke Eilers Schrift- und Anzeigenleitung: Dr. Silke Eilers redaktion: Dr. Silke Eilers, Dörthe Gruttmann, Frauke Hoffschulte, Sarah Pfeil, Astrid Weber Layout: Gaby Bonn, Münster druck: Druck & Verlag Kettler GmbH · Robert-Bosch-Straße 14 · 59199 Bönen Für namentlich gezeichnete Beiträge sind die Verfasser persönlich verantwortlich. Diese Zeitschrift erscheint im Februar, April, Juni, August, Oktober, Dezember. Titelbild: Der ehemalige „Obergruppenführersaal“ im Nordturm der Wewelsburg. Die orangefarbenen Sitzkissen dienen dazu, dem Ort alles „Mystische“ zu nehmen. Foto/ Lina Loos_8617 © Kreismuseum Wewelsburg
e d it o r ial 2021 wird ein bundesweites Themen- jahr zu 1.700 Jahre jüdischem Le- ben in Deutschland begangen. Ziel ist es, die Vielfalt jüdischen Lebens in Geschichte und Gegenwart sichtbar und erlebbar zu machen. Damit soll auch ein Zeichen gegen Rassismus und Antisemi- tismus gesetzt werden. Das Festjahr bietet Anlass zum Feiern und zum Erinnern, aber auch dafür, einen Blick Foto/ Greta Schüttemeyer auf die Erinnerungskultur im Allgemeinen zu richten. Mit jeder Generation verändert sich der Blick auf die Geschichte – durch den zeitlichen Abstand und andere Zugän- ge. Dies hat auch Auswirkungen auf die Vermittlungsformen. Die Erinnerungs- und Gedenkkultur steht heute mit dem Verschwinden der Zeitzeugen und der zunehmenden Digitalisierung vor neuen Herausforderungen. Wie kann eine zu- kunftsorientierte erinnerungskulturelle Praxis aussehen? Auf welche Weise kann eine aktive Auseinandersetzung mit den Geschehnissen ermöglicht werden? Wie können demokratisches Bewusstsein und eigenes Engagement befördert werden? In Westfalen hat sich eine lebendige Erinnerungslandschaft etabliert, die ohne den persönlichen Einsatz vieler bürgerschaftlich Engagierter nicht denkbar wäre. Vereine, Initiativen und Einzelne machen für uns in Gedenkstätten und Erinnerungsorten Vergangenes greifbar und halten das Bewusstsein dafür wach. Mittlerweile gibt es in NRW eine ausgesprochen vielfältige, dezentrale Gedenkstättenstruktur, wie sie in kaum einem anderen Bundesland zu finden ist. In der ersten Ausgabe der Heimat Westfalen in diesem Jahr, in dem der WHB wie auch in 2020 den Fokus auf die ländlichen Räume richtet, stellen wir Ihnen Orte des Erinnerns und Konzepte historisch-politischer Bildung in der Region vor. Dr. Ste- fan Mühlhofer, Dr. Norbert Reichling und Dr. Ulrike Schrader vom Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte NRW e. V. gehen der Frage nach, was Gedenkstätten und Erinnerungsorte vermitteln. In einem Interview hebt WHB-Vor- sitzender und LWL-Direktor Matthias Löb die Bedeutung der Erinnerungsarbeit als Beitrag zur Demokratisierung hervor. Frauke Hoffschulte und Alexander Lang (beide WHB) präsentieren Ihnen exemplarisch 12 westfälische Erinnerungsorte und Gedenkstätten. LWL-Kulturdezernentin Dr. Barabara Rüschoff-Parzinger, Dr. Hauke Hendrik Kutscher (LWL-Museums- amt für Westfalen) und Prof. Dr. Malte Thießen (LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte) beleuchten Vergangen- heit, Gegenwart und Zukunft der Gedenkstätte „Stalag 326“. Unser Servicepart gibt Tipps zur Vereinsarbeit in Corona-Zeiten und zum Jahressteuergesetz 2020. Überdies freuen wir uns, Ihnen die neuen WHB-Handreichungen zu den Themen junges Engagement sowie Integration vorstellen zu dürfen. Nicht zuletzt möchten wir Sie einladen, sich um „Rolle vorwärts – der Preis des Westfälischen Heimatbundes für frische Ideen“ zu bewerben, den wir mittlerweile zum vierten Male ausschreiben. Wir freuen uns auf Ihre Einsendungen! Herzliche Grüße Ihre Dr. Silke Eilers Geschäftsführerin des WHB HEIMAT WESTFALEN – 1/2021 / 3
orTE dES ErINNErNS WISSEN – IrrITATIoN – HALTuNg WAS VErMITTELN gEdENkSTäTTEN uNd ErINNEruNgSorTE? VoN STEFAN MÜHLHoFEr, NorbErT rEIcHLINg uNd uLrIkE ScHrAdEr 2018 wurde im Jüdischen Museum Westfalen die dauerausstellung neukonzipiert und unter dem Titel „L`chaim! – Auf das Leben! Jüdisch in Westfalen“ eröffnet. Foto/ NRW-Stiftung/ Werner Stapelfeldt 4 / HEIMAT WESTFALEN – 1/2021
HISTorIScH-poLITIScHE bILduNg N icht nur ihre geografische Nähe und gute Er- Dass sich die NS-Geschichte weder nur im fernen Berlin reichbarkeit sind die Vorzüge der lokalen Ge- als Regierungssitz, ihre Verbrechen nicht nur im heute denkstätten in Nordrhein-Westfalen und in ´ ¸ polnischen Ort Oswiecim (deutsch: Auschwitz) abge- anderen Bundesländern. Auch ihre spezifischen Leistun- spielt haben, dass NS-Geschichte nicht nur ein Kapitel gen liegen neben dem Praktischen ebenso auf anderen im Schulgeschichtsbuch ist, das man weit von sich hal- Ebenen: ten oder einfach zuklappen kann, machen die lokalen · Lokale Gedenkstätten erzählen (ihre) Geschichte in Gedenkstätten für ihre Besucherinnen und Besucher vertrauter Umgebung. begreifbar. · Lokale Gedenkstätten leisten durch ihre Grund- lagenforschung einen unerlässlichen Beitrag zur Zeitgeschichtsschreibung. örTLIcHE NäHE – ZEITLIcHE FErNE · Lokale Gedenkstätten sind persönliche familienge- schichtliche Erinnerungsorte für Nachfahren in In der eigenen Stadt, an vertrautem Ort, im Alltag und aller Welt. quasi nebenan stehen die Gedenkstätten wie Zeugen und · Lokale Gedenkstätten schaffen Zeit und Raum für Beweise in der städtischen Bebauung. Die meisten von ih- persönliche Begegnungen, die Diskussion unter- nen sind historische Stätten – sie befinden sich an einem schiedlicher Meinungen und die aktive Aneignung. Ort, an dem sich tatsächlich Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus ereignet hat. Die Bestürzung über die Tatsache, dass in unmittelbarer Nachbarschaft zur STärkEN dEr gEdENkSTäTTEN- eigenen Adresse, genau an dieser bezeichneten Stelle, LANdScHAFT IN NrW Verbrechen organisiert, in Gang gesetzt und/oder kon- kret begangen wurden, scheint die wachsende zeitliche „Das kulturelle Gedächtnis […] ruht nicht nur in Bibliothe- Distanz zu überbrücken. Erforderlich dafür ist selbstver- ken, Museen und Archiven, es ist auch in Orten verankert ständlich eine Erklärung, um die baulichen Relikte in […], man muss reisen, um diese Qualität des Gedächtnis- ihren historischen Kontext einzuordnen und ihre Bedeu- ses – im Wortsinne – zu erfahren.“ (Aleida Assmann) tung nachvollziehbar zu machen. HEIMAT WESTFALEN – 1/2021 / 5
Orte des Erinnerns Stelen zur Erinnerung an die Opfer der Wehrmachtsjustiz in Wuppertal-Ronsdorf, nach einem Entwurf von Schülern 2019 als Kontrast zum klassischen Ehrenmal platziert Foto/ Illigen Wolf Partner, Wuppertal Wissenschaftliche Redlichkeit und Licht beförderten ungekannten und ungeahnten De- tails, die die pädagogische Arbeit in den Ausstellungen der Eigenwert historisch-politischen so anschaulich und nachvollziehbar machen. Darüber Lernens hinaus bilden diese mittlerweile einen Quellenfundus und eine reiche Datenbasis zur Alltagsgeschichte im Na- Es muss als eine Selbstverständlichkeit vorausgesetzt tionalsozialismus; auf beidem baut die Zeitgeschichts- werden, dass die Authentizität des Ortes als Gedenkstät- forschung verlässlich auf. te geprüft und mit Quellen belegt ist. Sollten die Recher- cheergebnisse mager oder gar ungenügend ausfallen, Zwar wird der Stellenwert von „Faktenwissen“ schon muss auch das transparent werden, ebenso dann, wenn lange in Zweifel gezogen. Dennoch bilden die weit- ein „authentischer Ort“ für die Gedenkstätte gar nicht gehend unumstrittenen historischen Sachverhalte erst gefunden werden kann. weiterhin ein wichtiges Grundgerüst dessen, woraus Wissenschaftliche Genauigkeit ist die Basis jeder Ge- sich Geschichtsbilder oder Geschichtsbewusstsein ent- denkstättenarbeit. Die Grundlagenforschung auf lokaler wickeln. Orientierungs- und Zusammenhangswissen Ebene drückt sich in Mikrostudien und konkreten klei- sowie Erschließungskompetenzen sind unabdingbare nen Geschichten aus: über Gebäude, Familien, Firmen, Voraussetzungen für das, was mit „Erinnern“ und „Ge- Institutionen, vergangene soziale Alltagspraxis. Es sind denken“ gemeint ist, aber vor allem für die Anerken- die Tiefenbohrungen an einem bestimmten Ort, die ans nung von Leidtragenden historischer Geschehnisse. 6 / HEIMAT WESTFALEN – 1/2021
historisch-politische Bildung Die Moderation einer Auseinandersetzung mit den Verbrechen und ihren Opfern steht in der ständigen Spannung, die Opfer zu würdigen, ohne in Betroffen- heitsrituale zu verfallen oder nur ein „erwünschtes Spre- chen“ zu produzieren. Selbst in der Konfrontation mit extremen Leidgeschichten sollte, soweit dies möglich ist, eine Distanz gewahrt bleiben, die für eine respektvolle und zugleich autonome Haltung notwendig ist. Gesprächskultur statt Überwältigung Generell erlauben die Gedenkstätten vor Ort, und hier gerade die kleineren, ungewöhnlichen Formate der Ge- schichtsvermittlung. Vor allem herrscht Redefreiheit auch für abweichende (und irrige) Meinungen. Es gibt dort keine „Grenzen des Sagbaren“, sondern offene Dis- kussionen, nicht Mainstream, sondern Meinungsaus- tausch. Man darf und soll hier auch mitreden, wenn man nicht die letzte argumentative Finesse des wissenschaftli- chen oder feuilletonistischen Diskurses beherrscht. Das wird in hoher Qualität und mit nachhaltiger Wir- kung dann möglich, wenn die Begegnung auf dem Fun- dament einer gesicherten Faktenlage beruht und die Mitarbeitenden sich souverän und reflektiert darauf Mahnmal für ehemalige Zwangsarbeiter auf der Kulturinsel bewegen. Längst haben sich die Institutionen, bei aller am Phoenix-See in Dortmund Verschiedenheit, darauf verständigt, die moralisch in- Foto/ Arnd Lülfing/ Stadtarchiv Dortmund tendierte, emotionalisierte Überzeugungshaltung zu- gunsten einer zugewandten, offenen und Widersprüche Bestandteil einer Berufsethik, für die „Überwältigung“ zulassenden Präsentation von Biografien, Ereignissen keine Option ist. und Situationen aufzugeben. Mehr und mehr erproben die in der Vermittlung Tätigen Erzählformate, die Leerstellen und Unauflös- Pädagogik und Sachlichkeit … barkeiten tolerieren. Es geht nicht mehr darum – wie noch zu Beginn der 1980er-Jahre vielfach zu beobachten Die Erwartungen an Gedenkstättenbesuche sind regelmä- – Schrecklichstes durch Dramatisierung und Kommen- ßig sehr hoch. Selten wird der Versuchung widerstanden, tierung zu doppeln, um einen zweifelhaften Mehrwert der Auseinandersetzung mit Diktaturen, Staatsverbre- in der „Demokratie- und Menschenrechtsbildung“ zu er- chen und Opferschicksalen auch einen aktuellen poli- zielen, sondern darum, Fragen aufzurufen, auf die auch tischen Nutzen zuzuschreiben. Historisch-politisches die Mitarbeitenden nicht zwingend immer eine „Mahn- und Gedenkstätten freunden sich mit den Prinzipien offener Kom- Antwort haben. Eine sol- munikation an und kritisieren schlichte top-down-Belehrungskonzepte.“ che tastende Gesprächs- führung bedeutet nicht Orientierungslosigkeit, sondern im Gegenteil: Vertrauen Lernen soll (und zwar in kürzester Zeit) gegen Vieles im- in die Autonomie eigenständigen Denkens der Besuche- munisieren, zum Beispiel gegen autoritäre Versuchun- rinnen und Besucher. Und sie ist selbstverständlicher gen, Extremismus oder politische Gleichgültigkeit. HEIMAT WESTFALEN – 1/2021 / 7
Orte des Erinnerns Friedensgruß an die sowjetischen Opfer der deutschen Überfälle Synagogen in Westfalen: hier die ehemalige Synagoge und auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg – eine Initiative des Erinnerungsstätte zur Geschichte der Juden in Marsberg, die ein- Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. am Deutschen zige ihrer Art in Fachwerkbauweise. Ortsheimatpfleger N. Becker Evangelischen Kirchentag 2019 in Dortmund vermittelt Wissen über die jüdische Gemeinschaft in Führungen. Foto/ Sören Pinsdorf © LWL-Medienzentrum für Westfalen Foto/ Olaf Mahlstedt © LWL-Medienzentrum für Westfalen Zeithistorische Museen und Gedenkstätten – der Unter- kann nicht eindimensional motivieren und in Bewegung schied ist stark geschrumpft – sind jedoch seit circa zwei setzen – sie hat immer ein irritierendes Moment. Jahrzehnten dabei, sich der Pathosformeln zu entledigen, die ihre Gründung noch begleiteten. Ungeachtet man- cher Ungleichzeitigkeiten lässt sich feststellen, dass die … statt Pathos und Sinnstiftung linearen Botschaften, Erzählungen und Wirksamkeits- versprechen unterschiedlicher Herkunft („Nie wieder!“, Dass es legitim sein könnte, via Geschichtspolitik kultu- Schutzimpfung gegen Rechtsextremismus, Versöhnung relle Sinnstiftung zu betreiben, ist eine Vorstellung, die mit den Überlebenden, „geistig-moralische Wende“) weit- sich ungeachtet der eher gegenläufigen professionellen gehend nüchterner Programmatik weichen. Debatten nicht nur in Deutschland verbreitet hat. Mit der Integration des „Holocaust-Gedenkens“ und der „ho- Die Ausstellungen verstehen sich inzwischen als Mög- locaust education“ in den Wertekanon internationaler lichkeitsräume für individuelle Lerninteressen, für das Gemeinschaften haben sich zwar sinnvolle Vernetzung „Anschlusslernen“ verschiedenster Gruppen von zwangs- und staatliche Unterstützungsaktivitäten eingestellt rekrutierten Schülerinnen und Schülern über diverse beziehungsweise verstärkt. Indes ist darin die Gefahr Berufsgruppen bis hin zu Touristinnen und Touristen. enthalten, mit einem weltweit artikulierten Geltungs- Heiner Treinens Befund, dass in Museen „kulturelles win- anspruch diese Lehren nicht nur normativ aufzuwer- dow shopping“ geschehe – 1983 noch als herbe profes- ten, sondern zugleich inhaltlich zu entleeren: Denn – abgesehen von den höchst „Angehörige aus den Familien der Zeitzeugen können uns durchaus unterschiedlichen Lektionen, die daraus zu gewinnen wären: einen neuen Zugang zur Geschichte geben. Ihre Berichte über den wie viel historische Konkretion Umgang mit den Verfolgungsgeschichten in den Familien machen von Taten, Täterhandeln, Wi- das oft auch innerfamiliär schwere Erbe deutlich.“ derstand, Kontextanalyse und so fort verträgt ein weltweit sionelle Kränkung aufgenommen – wird heute weithin gültiger Versuch, aus der Gesamtsumme von Staatsver- als Realität akzeptiert. Auch Mahn- und Gedenkstätten brechen zu lernen? Welche neuen Opferkonkurrenzen freunden sich mit den Prinzipien offener Kommunika- und Hierarchisierungskonflikte drängen sich dann auf? tion an und kritisieren schlichte top-down-Belehrungs- In der Regel wird das Motiv der Werteerziehung konzepte. Ihre historische Quellen- und Deutungsarbeit durch Gedenkstätten so ausbuchstabiert, dass an der 8 / HEIMAT WESTFALEN – 1/2021
historisch-politische Bildung Geschichte des NS-Regimes und seiner Verbrechen die schrecklichen Folgen gesellschaftlicher Diskriminie- rung und Ausgrenzung sowie des Fehlens beziehungs- weise der Missachtung von Grundrechten ablesbar seien. An den Verbrechensorten sei zu sehen, wie die Radikalisierung der Täterinnen und Täter und des Ter- rors funktionierte, manchmal auch: wie die Verhaltens- möglichkeiten der Opfer schrumpften und wo dennoch gelegentlich Widerstand möglich wurde. Doch solche ortsbezogenen Blicke zeigen schnell, dass eine schematische Betrachtung unangemessen ist: Die Themen, die Ausstellungen und die pädagogischen An- gebote der Gedenkstätten und Geschichtsorte sind so verschieden, dass die Zielsetzungen ebenfalls ausdiffe- renziert werden sollten – und sich an den Wissensbe- ständen orientieren, die dort zur Verfügung stehen. Ziele mittlerer Reichweite Außenansicht des Geschichtsortes Villa ten Hompel in Münster, eine Gedenkstätte für Verbrechen von Polizei und Verwaltung in der Zeit des Nationalsozialismus Es liegt also nahe, bescheidenere Ziele als die zitierten Foto/ Maren Kuiter zu formulieren: Gelegenheit, Räume und „Anschlüsse“ zu schaffen, sich überhaupt in eine Beziehung zu den historischen Geschehnissen am jeweiligen Ort zu set- Zeitzeugen zen, verlangt viel pädagogische Freiheit und Flexibili- tät. Sich von schulischen Lernformen abzuheben, dürfte Wissenschaftsorientierung und Verlässlichkeit bilden aber die größte Chance der Gedenkstättenpädagogik die vertrauensbildenden Säulen für das Dach, unter sein. Zur professionellen Ethik gehört es, unterschiedli- dem sich die Nachfahren der Menschen treffen, die che Zugänge zu eröffnen, die Klischees dekonstruieren Opfer der Nationalsozialisten geworden sind: Jüdische können und multiperspektivische Sichtweisen (über ver- Familien kommen regelmäßig, um die Heimatstädte einfachende Opfer-Täter-Zuschauer-Typologien hinaus) ihrer Eltern und Großeltern zu erkunden, Nachfahren zu unterstützen. Die Bereitschaft, solche Wege mitzuge- von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern suchen hen und sich in weitere Diskussionen der „unangeneh- möglicherweise nach dem Grab ihrer Angehörigen, Kin- men Themen“ zu verstricken, wächst sicherlich dort, wo der und Enkelkinder von Häftlingen recherchieren in man Freiräume forschenden und lebensgeschichtlich den Gedenkstätten die Umstände und Gründe des Un- relevanten Lernens aufzeigen kann (und Zeitbudgets rechts, das ihren Verwandten geschehen ist. dafür verfügbar gemacht werden). Diese Begegnungen bleiben nicht immer auf das Ge- spräch zwischen Besucherinnen und Besuchern und Herausforderungen und Probleme den Mitarbeitenden in den Gedenkstätten beschränkt. Zuweilen ergeben sich daraus beeindruckende und be- Die vorzeigbaren fachlichen und sonstigen Entwicklun- rührende Kontakte zwischen Jugendlichen aus Schulen gen der nordrhein-westfälischen Gedenkstätten seit den und den Gästen, manchmal erklären sich diese sogar 1990er-Jahren dürfen nicht den Blick darauf verstellen, bereit, vor einem größeren Publikum zu sprechen. Das dass es heikle Themenkomplexe gibt, die besonderer Auf- sind dann stets individuell und sorgsam vorbereitete Si- merksamkeit bedürfen. tuationen, außergewöhnlich und nie Routine. HEIMAT WESTFALEN – 1/2021 / 9
orTE dES ErINNErNS Rahmen ihrer Exkursionen in NS-Gedenkstätten, und zwar selbst dann, wenn dort aus inhaltlichen Gründen die Judenverfolgung überhaupt keine Rolle spielt. Wegen immer wieder auch bei Erwachsenen zu be- Schwarz-weiß Fotografien in einer Ausstellung des Jüdischen obachtendem Zusammendenkens der beiden Kompo- Museums Westfalen zeigten jüdische Hochzeiten und Szenen nenten „Nationalsozialismus“ und „Juden“ muss jede jüdischen Lebens. Gedenkstätte damit rechnen, entsprechend befragt zu Foto/ Jüdisches Museum Westfalen werden, und das nicht immer nur sachlich. Im Kern lässt sich das in folgender, gar nicht seltener Formulierung Angehörige aus den Familien der Zeitzeugen können fassen: „Was war denn nun mit den Juden, dass Hitler uns durchaus einen neuen Zugang zur Geschichte ge- sie so gehasst hat?“ Hier mischt sich eine Neugier für ben. Ihre Berichte über den Umgang mit den Verfol- jüdische Geschichte mit dem Wunsch, für den Holocaust gungsgeschichten in den Familien machen das oft auch eine Erklärung zu erhalten. Dass diese Gesprächssitua- innerfamiliär schwere Erbe deutlich. tion auf mehreren Ebenen – die verquere Logik und Kausalität in der Frage, das Interesse am spezifisch Jü- dischen und die Suche nach einer erlösenden Antwort – FrAgEN AuS dEr EINWANdEruNgS- analysiert, aber mit dem Fragenden in fairer Weise gelöst gESELLScHAFT werden muss, überfordert viele Mitarbeitende schon aus fachlichen Gründen, viel mehr aber noch aus psycholo- Die reale Vielfalt der Familien-Erinnerungen in der Ein- gischen. wanderungsgesellschaft, die widerstreitenden Narrative über Nationen, Fluchten und Grenzen sind oftmals ge- eignet, klare Botschaften zu zertrümmern, aber mit ih- dEMokrATIE IN gEFAHr? nen kommen neue Fragen auf den Tisch: Wie wichtig ist die Geschichte der NS-Taten für Menschen, deren Fami- In der öffentlichen Debatte wird häufig der Vergleich lie aus Belarus, Afghanistan oder Bosnien stammt? Sie mit den sogenannten Weimarer Verhältnissen gezogen. wird nicht einfach irrelevant, es kann aber auch nicht Trotz aller Sorgen, die sich Demokratinnen und Demo- eine schlichte Übernahme einfacher Lernziele erwar- kraten derzeit zu Recht beim Blick auf viele schon oben tet werden. Vielmehr müssen sich die Gedenkorte für genannte unerfreuliche Entwicklungen über unsere Ge- Debatten öffnen, in denen die Groß- und Staatsverbre- sellschaft machen, sollte man nicht in einen dauerhaf- chen des 20. und 21. Jahrhunderts sachlich abgewogen ten Alarmismus abgleiten. Die Unterschiede zwischen werden, ohne dass sofort ein „Geschichtsrevisionismus“- den späten 1920er-Jahren und heute sind so gravierend, Verdacht erhoben wird. Der „Abgleich verschiedener dass ein kurzer und nüchterner Blick auf die Fakten Gedächtnisse“ (Dan Diner) mag wenig kalkulierbar und Wachsamkeit befördern, panische Reaktionen aber zu- somit eine pädagogische Herausforderung sein, doch ist gleich verhindern sollte. er mit Sicherheit fruchtbarer als die Aufrechterhaltung der „moralischen Hochdruckkammern“ (Philipp Ruch), Dr. phil. Stefan Mühlhofer ist geschäftsführender die Gedenkstätten und Erinnerungsorte einmal waren. Direktor der Kulturbetriebe der Stadt Dortmund und Direktor des Stadtarchivs Dortmund. Zuvor leitete er die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in Dortmund. uMgANg MIT ANTISEMITISMuS Er ist unter anderem Vorsitzender einer regionalen Arbeitsgemeinschaft im Gegen das Vergessen – Für Zu den schwierigeren Aufgaben der Gedenkstätten Demokratie e. V., stellvertretender Vorsitzender des gehört das Thema Antisemitismus. Als prominenteste Kreisverbandes Dortmund des Volksbunds Deutsche Opfergruppe des Nationalsozialismus formen die Besu- Kriegsgräberfürsorge e. V. und seit 2020 Vorsitzender cherinnen und Besucher aus „den Juden“ quasi reflex- des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten und -Erinne- haft den zentralen und beherrschenden gedanklichen rungsorte NRW e. V. 10 / HEIMAT WESTFALEN – 1/2021
HISTorIScH-poLITIScHE bILduNg die neue Synagoge in gelsenkirchen, hier der Innenhof mit gedenktafel zu Ehren der im Nationalsozialismus deportierten gelsenkirchener Juden Foto/ Nantke Naumann © LWL-Medienzentrum für Westfalen Dr. phil. Norbert Reichling leitete von 2006 bis 2020 Dr. phil. Ulrike Schrader leitet seit 1994 die Begeg- in ehrenamtlicher Funktion das Jüdische Museum nungsstätte „Alte Synagoge“ in Wuppertal. Die Litera- Westfalen in Dorsten und ist der 1. Vorsitzende dessen turwissenschaftlerin erhielt für ihr Engagement und Trägervereins, dem Verein für jüdische Geschichte und ihre Forschungen zu jüdischem Leben und zu jüdi- Religion e. V. Bis 2018 war er als pädagogischer Mitar- scher Kultur in Wuppertal und im Bergischen Land beiter im Leitungsteam des Bildungswerks der Huma- verschiedene Auszeichnungen. Sie ist darüber hinaus nistischen Union NRW tätig. Er hat mehrere Bücher Lehrbeauftragte für Geschichte und ihre Didaktik an und Beiträge zur Erwachsenenbildung, zur politischen der Bergischen Universität. Bis 2016 gehörte sie dem Bildung und zur Erinnerungskultur veröffentlicht. Seit Vorstand des Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten und 2014 ist er Vorstandsmitglied im Arbeitskreis der NS- -Erinnerungsorte in NRW e. V. an. Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW e. V. HEIMAT WESTFALEN – 1/2021 / 11
Interview WHB-Vorsitzender und LWL-Direktor Matthias Löb im Interview „Erinnerungsarbeit ist ein Beitrag zur Demokratisierung“ m it dem Fortschreiten der Zeit und dem Ver- einer Schuld geht, die frühere Generationen auf sich lust der Zeitzeugen droht die Erinnerung geladen haben. Wir müssen an diesen Orten verstehen, an die Verbrechen der Nationalsozialisten was damals geschehen ist und warum es damals gesche- zu verblassen. Wie können Gedenkstätten und Erin- hen ist. Warum Ausgrenzung und hasserfüllte Worte nerungsorte heute sich verändernden gesellschaftli- dann zu hasserfüllten Taten führten. Und wir müssen chen Herausforderungen gerecht werden und gerade an diesen Orten erkennen, dass schon das Bedienen auch junge Menschen ansprechen? von ethnischen Stereotypen oder der ausländerfeind- Ich betrachte Erinnerungskultur als einen wesentlichen liche Witz in einer Whats-App-Gruppe den Boden für Teil der Demokratieerziehung. Gedenkstätten können Ausgrenzung und Hass bereitet. informieren und sensibilisieren. Im besten Fall bleibt es nicht bei der Betroffenheit, sondern Besucher werden Wer verstehen will, welcher Auftrag unserer Gesell- zum Nachdenken darüber gebracht, was das mit ihrem schaft aus dem „damals“ erwächst, dem empfehle ich Alltag zu tun hat. Besonders herausfordernd, aber auch die berührende Rede von Marina Weisband, die sie am lohnend ist dabei die Vermittlung in der Migrationsge- 27. Januar 2021 im Bundestag gehalten hat. sellschaft und die Arbeit mit jungen Menschen. Es gibt viele Ansätze: So können etwa mit der Darstellung von Beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) be- individuellen Lebensläufen Identifikationsmöglichkei- fassen sich unterschiedliche Kultureinrichtungen mit ten eröffnet werden. Bei Gedenkstätten und Erinne- Erinnerungskultur. Als LWL-Direktor engagieren Sie rungsorten wird über den authentischen Ort Geschichte sich sehr stark für die Thematik. Was macht der LWL unmittelbar erfahrbar. Das gilt übrigens auch für Schul- konkret und mit welcher Zielsetzung? projekte, die sich mit der eigenen Gemeinde während Das Spektrum unserer Forschungen, Publikationen, der NS-Zeit befassen. Dort wo Zeitzeugen fehlen, können Ausstellungs- und Bildungsprojekte reicht von archäo- künftig digitale Formate helfen, die Erinnerung leben- logischen Ausgrabungen eines Kriegsverbrechens bis dig zu halten. zur Auseinandersetzung mit belasteten Straßennamen, über die Zwangsarbeit im Ruhrbergbau bis hin zum Auch heute erleben wir wieder Rassismus, Antise- schulischen Filmprojekt über deportierte jüdische Kin- mitismus und Fremdenfeindlichkeit. Wie können der in Dorsten, über die „Euthanasie“ in den Psychia- Gedenkstätten einer möglichen Erosion von Werten trien des Provinzialverbandes bis hin zu literarischen vorbeugen? Projekten auf der Burg Hülshoff. Wenn man Gedenkstätten als Lernorte einer demokrati- schen Gesellschaft begreift, dann ist klar, dass es nicht Beim LWL arbeiten also ganz unterschiedliche Diszipli- um ein ritualisiertes Erinnern oder um das Aufbürden nen insbesondere auch an der Zeit von 1933 bis 1945, 12 / HEIMAT WESTFALEN – 1/2021
Interview die Ziele sind aber sehr ähnlich: Wir wollen durch For- unterstützen. Zusätzlich werden bis 2024 Bau- und schung gesichertes Wissen für die Gegenwart bereitstel- Einrichtungsmaßnahmen mit jährlich 150.000 Euro len. Und wir wollen für unterschiedliche Altersgruppen gefördert. und Bildungsmilieus Zugänge schaffen. Gemeinsam mit dem Land NRW erhalten wir so eine de- Erwähnen möchte ich auch unseren Mobilitätsfonds, zentrale Gedenkstättenstruktur mit einer Vielfalt, wie mit dem wir Schulklassen Fahrten zu Erinnerungsor- sie in kaum einem anderen Bundesland zu finden ist. ten und Gedenkstätten er- möglichen. Und schließlich: Der Westfälische Heimat- Der LWL spielt eine maßgebli- bund, dessen Vorsitzender che Rolle beim Aufbau einer Sie sind, übernimmt Dach- neuen, national bedeuten- verbandsfunktion für die den Erinnerungsstätte. Im Heimataktiven in der Regi- Stalag 326 bei Schloß Holte- on. Welche Beiträge kann Stukenbrock wird es um sow- der Verband für die im Be- jetische Kriegsgefangene und reich der Erinnerungskul- Zwangsarbeit gehen. tur Engagierten leisten? Als Dienstleister beraten wir Welche Rolle spielt aus Ih- unsere Mitglieder in allen rer Sicht bürgerschaftliches vereinsbezogenen Fragestel- Engagement in der Erinne- lungen, beispielsweise auch rungskultur? zu Fördermöglichkeiten. Wir Viele Gedenkstätten in West- können ferner dazu beitra- falen sind aus nachhaltigem gen, dass gelungene Projekte bürgerschaftlichem Enga- zur Erinnerungsarbeit be- gement erwachsen – mit- kannt gemacht werden, wie unter gegen Widerstände wir das zum Beispiel mit un- vor Ort und ohne staatliche serem Heimatmachernews- Unterstützung. Von einigen letter auch schon getan ha- wenigen Ausnahmen abge- ben. Und schließlich vernet- sehen, ist die Gedenkstät- zen wir Akteurinnen und tenlandschaft in Westfalen Akteure und bringen Hand- dezentral und überwiegend reichungen oder Pilotprojek- ehrenamtlich geführt. Oder te auf den Weg. anders ausgedrückt: Ohne geschichtsbewusste, enga- Foto/ LWL/ Stephan Wieland Mir ist es sehr wichtig, auch gierte Bürgerinnen und Bür- auf unsere jüngsten Aktivi- ger wären vielerorts auch die letzten Spuren jüdischen täten aufmerksam zu machen: Unsere bundesweite Re- Lebens verschwunden, die Erinnerung an Ausgren- solution gegen Geschichtsvergessenheit und gegen die zung, Deportation und Kriegsverbrechen verblasst, Besetzung des Heimatbegriffes durch „Ewiggestrige“. manches bauliche Zeugnis einem Neubau zum Opfer Und wenn ich in diesem Zusammenhang auch die Argu- gefallen. mentationshilfe „gegen rechts“ sowie unseren Leitfaden „Heimat für alle“ erwähne, dann deswegen, um noch Weil wir um die herausragende Bedeutung des Ehren- einmal an den Beginn unseres Gespräches anzuknüp- amtes auf diesem Feld wissen, hat der LWL im letzten fen: Erinnerungsarbeit ist ein Beitrag zur Demokratisie- Jahr beschlossen, die westfälischen NS-Gedenkstätten rung, ebenso wie der Einsatz vieler Heimatmacher für und Erinnerungsorte mit 250.000 Euro pro Jahr zu Integration und für eine offene, vielfältige Gesellschaft. HEIMAT WESTFALEN – 1/2021 / 13
orTE dES ErINNErNS NETZWErkE STärkEN: ArbEITSkrEIS dEr NS-gEdENk- STäTTEN uNd -ErINNEruNgSorTE IN NrW E. V. die „Französische kapelle“ im dachgeschoss eines kasernenblocks in Soest ist ein eindrucksvolles Zeitdokument. Foto/ Geschichtswerkstatt Französische Kapelle e. V. A n vielen Orten Nordrhein-Westfalens engagie- eine historische Ausstellung und führen Veranstaltun- ren sich in ganz unterschiedlichen Einrich- gen oder Sonderausstellungen durch. Sie folgen neuen tungen neben-, haupt- und ehrenamtliche Wegen in der Forschung und gehen eigene Wege in der Mitarbeitende in der Auseinandersetzung mit der Ge- Vermittlung ihrer Themen. Sie sind ein wichtiges Merk- schichte des Nationalsozialismus. mal der politischen Kultur des bevölkerungsreichsten Die Gedenkstätten, Dokumentationszentren, Begeg- Landes der Bundesrepublik Deutschland geworden. nungsstätten und Lernorte finden Spuren, fragen nach dem Schicksal von Verfolgten und erforschen kritisch das Handeln der Täter vor Ort. Dabei spielt sowohl die AkTIVES NETZWErk SEIT 1995 lokale als auch die regionale Ebene eine Rolle. Vor diesem historischen Hintergrund leisten die 1995 gründete sich der Arbeitskreis der Gedenkstätten Gedenkstätten heute nicht nur einen Beitrag zur For- für die Opfer des Nationalsozialismus in NRW e. V. Als schung, sondern auch zur Bildung und Begegnung von Netzwerk bündelt er heute die Aktivitäten der Einrich- Menschen unterschiedlicher Herkunft, Generationen tungen und schafft Öffentlichkeit – beispielsweise für und Nationen. Ihr nachdrückliches Nein zu Diskriminie- die Belange von Verfolgten oder Angehörigen von Op- rung und Gewalt in der Gegenwart hat Auswirkungen fern der Terror- und Gewaltherrschaft. auf die tägliche Arbeit. Demokratieförderung, faire Kon- fliktlösungen, die Akzeptanz von Menschenrechten und Mitglied im Arbeitskreis kann jeder werden, der an ein toleranteres gesellschaftliches Klima in der Gegen- einer Mahn- und Gedenkstätte, an einem Lern- und wart sind Ziele gerade auch der pädagogischen Ansätze. Begegnungsort oder Dokumentationszentrum tätig ist, soweit sich diese Einrichtung der Erforschung und Vermittlung des Nationalsozialismus widmet. uNTErScHIEdLIcHE STrukTurEN Alle Gedenkstätten in Nordrhein-Westfalen sind von koNTAkT Menschen aus verschiedenen Gruppen und jeden Al- Arbeitskreis der NS-gedenkstätten und ters mit ins Leben gerufen worden. Sie haben in mehr -Erinnerungsorte in NrW e. V. oder weniger langwierigen Prozessen ihre Institutiona- c/o Geschichtsort Villa ten Hompel lisierung durchsetzen können – in der Regel an einem Vorsitzender Dr. Stefan Mühlhofer für die Geschichte des Nationalsozialismus bedeutsa- Kaiser-Wilhelm-Ring 28 · 48145 Münster men Ort. Manche Häuser sind von Vereinen getragen, 0251 492-7048 andere von der öffentlichen Hand, viele verfügen über redaktion@ns-gedenkstaetten.de 14 / HEIMAT WESTFALEN – 1/2021 5/2020
HISTorIScH-poLITIScHE bILduNg bLIck IN dIE rEgIoN: 12 bEISpIELE WESTFäLIScHEr gEdENkSTäTTEN uNd ErINNEruNgSorTE VoN FrAukE HoFFScHuLTE uNd ALExANdEr LANg Die Redaktion hat einige westfälische Gedenkstätten und nen Täter- und Opfergruppen und verbinden diese Ver- Erinnerungsorte ausgewählt, um den Leserinnen und Le- mittlungsarbeit mit der lokalen Geschichte ihrer Dörfer sern die Bandbreite der Einrichtungen und deren Entste- und Städte. hungsgeschichte in Kurzportraits darzustellen. Auch kommen regelmäßig neue Einrichtungen hin- Auch die kleineren und zumeist ehrenamtlich getra- zu, da vielerorts der Wunsch besteht, gerade die lokalen genen Gedenkstätten und Erinnerungsorte beschäftigen Geschehnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus zu er- sich sachkundig und zukunftsgewandt mit verschiede- forschen und für die Bevölkerung aufzuarbeiten. gEScHIcHTSWErkSTATT FrANZöSIScHE kApELLE SoEST gEScHIcHTSWErkSTATT FrANZöSIScHE kApELLE E. V., Die 1997 gegründete Geschichtswerkstatt Französische krEIS SoEST Kapelle e. V. hat es sich zum Ziel gesetzt, die Geschichte Während des Zweiten Weltkrieges war die Adam-Kaserne des ehemaligen Gefangenenlagers aufzuarbeiten. Die in Soest fünf Jahre lang Gefangenenlager für französische Geschichtswerkstatt erforscht Hintergründe, knüpft Offiziere. Um die Monotonie des Lageralltags erträglicher Kontakte zu ehemaligen Kriegsgefangenen und setzt zu machen, organisierten die Gefangenen ein reges Kul- sich für eine Erhaltung der Anlage als Ort der Erinne- turprogramm. Im Kriegsgefangenenlager waren bis zu rung, der Begegnung und der Kultur auf einem authen- 5.000 Offiziere im Jahr 1945 untergebracht. Das Muse- tischen Areal der Lokalgeschichte ein. um Französische Kapelle hält die Erinnerung an die Zeit Ende 2020 gab der LWL bekannt, eine Neukonzepti- des Gefangenenlagers wach. Benannt ist es nach einem on der Gedenkstätte mit 100.000 Euro ergänzend zu för- original erhaltenen Andachtsraum auf dem Kasernenge- dern. Das Land NRW mit dem „Heimatzeugnis“ und die lände, den Gefangene in den Farben Frankreichs ausge- NRW-Stiftung sind weitere Fördergeber der Gedenkstät- malt hatten. Der Kapellenraum war im Lager nicht nur te. Die Ausstellung der Gedenkstätte soll neu konzipiert religiöser Ort, sondern vielmehr Kristallisationspunkt für und auf insgesamt 500 qm neben der Französischen Ka- die persönliche und nationale Identität der Gefangenen. pelle in einem größeren Gebäude untergebracht wer- Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gelände erst den. Künftig sollen weitere Täter- und Opfergruppen von „Displaced Persons“, dann bis 1951 als Vertriebenen- behandelt und die Hierarchisierung von Häftlingen er- lager genutzt und diente im Anschluss bis 1994 als Ka- fahrbar gemacht werden. serne für belgische Truppen. www.franzkapellesoest.de HEIMAT WESTFALEN – 1/2021 / 15
Orte des Erinnerns Ehemalige Synagoge Drensteinfurt Außenansicht der ein Bürgerkreis für dessen Rettung ausgesprochen hat- ehemaligen Synagoge te. Bis dahin wurde das Gebäude als Lagerraum verwen- in Drensteinfurt im det. 1990 gründeten Mitglieder des Bürgerkreises den Jahr 2000 Förderverein Alte Synagoge Drensteinfurt, welcher es Foto/ Olaf Mahlstedt © LWL- sich zur Aufgabe gemacht hatte, ein Nutzungskonzept Medienzentrum für Westfalen zu entwerfen und die Kommune bei der Umsetzung des Vorhabens zu unterstützen. Die Synagoge wurde schließlich 1992 wiedereröffnet. Heute finden in der ehemaligen Synagoge kulturelle Veranstaltungen wie Lesungen, Vorträge, Ausstellungen und Führungen statt, welche oftmals Verfolgung und Ausgrenzung zum Thema haben. Das Gebäude soll die jüdische Kultur in Westfalen sichtbar und erfahrbar machen. Neben Fotos sind in der ehemaligen Synagoge auch die Portraits von Drensteinfurter Jüdinnen und Juden ausgestellt, wie beispielsweise das der zwölfjäh- Förderverein Alte Synagoge Drensteinfurt e. V., rigen Schülerin Fanny Irma Salomon, die 1941 depor- Kreis Warendorf tiert und alle, bis auf die Holocaust-Überlebende Herta Die Synagoge in Drensteinfurt wurde 1872 eingeweiht. Herschcowitsch, ermordet wurden. Die Mitglieder der dortigen jüdischen Gemeinde wurden Die Synagoge ist ein informatives Ziel für Schulklas- während der Reichspogromnacht in die Synagoge getrie- sen, deren Besuche vom Förderverein didaktisch unter- ben und misshandelt, die Synagoge im Anschluss verwü- stützt werden. Die ehemalige Synagoge versteht sich als stet und ausgeraubt, religiöse Gegenstände geschändet. Ort der Begegnung mit der jüdischen Religion und mit Im Jahr 1988 kaufte die Stadt Drensteinfurt das 1985 Menschen jüdischen Glaubens. zum Denkmal erklärte Gebäude, um es als Veranstal- www.ns-gedenkstaetten.de/nrw/drensteinfurt/besucher- tungs- und Ausstellungsraum zu nutzen, nachdem sich informationen.html Informations- und Gedenkstätte Verein für Hemeraner Zeitgeschichte e. V., Stadtarchiv Hemer, Märkischer Kreis Im Spätherbst 1939 wurde auf dem Gelände einer im Bau befindlichen Kaserne das Kriegsgefangenen- Mannschaftstammlager VI A in Hemer, kurz Stalag VI A, eingerichtet. Das Lager im Norden des Sauerlandes Der damalige Vorsitzende des Vereins für Hemeraner Zeit- wurde am 14. April 1945 von amerikanischen Truppen geschichte e. V., Hans-Hermann Stopsack, 2012 bei einer befreit. Ab 1956 nutzte die Bundeswehr das Gelände Gedenkstättenführung für den damaligen Verteidigungsminister als Garnison und blieb dort bis zu ihrem Abzug 2007. Thomas de Maizière Die Beschäftigung mit der Erinnerung an das Kriegs- Foto/ Thomas Eberhard gefangenenlager geht auf die Bürgerinitiative für Frie- 16 / HEIMAT WESTFALEN – 1/2021
historisch-politische Bildung Gedenkstätte Zellentrakt im Herforder Rathaus Kuratorium Erinnern Forschen Gedenken e. V., Gedenkort für Terror Stadtarchiv Herford und Verfolgung in Her- ford engagiert hatte. Das bis 1917 errichtete neue Rathaus in Herford beher- Der Auftrag des Erinne- bergte im Erdgeschoss bis 1964 auch die Herforder Poli- rungsortes besteht in zeiwache inklusive eines Polizeigefängnisses. Zwischen der Aufarbeitung, Do- 1933 und 1945 war hier eine Außenstelle der Gehei- kumentation und akti- men Staatspolizei („Gestapo“) ansässig. In dieser Zeit ven Gedenkarbeit zur wurden im Herforder Rathaus ohne juristische Grund- Geschichte und Gegen- lage Angehörige von Minderheiten wie Juden und Zeu- wart verfolgter Min- gen Jehovas festgehalten. Sowohl Mitglieder von KPD, derheiten in der Stadt SPD und Gewerkschaften, Angehörige sozialer Rand- und im Kreis Herford. Blick in eine der Zellen gruppen, Arme und Obdachlose, als auch religiöse Min- Das Kuratorium wid- Foto/ J. Escher/ Gedenkstätte Zellentrakt derheiten sowie Sinti und Roma fielen der Verfolgung met sich der Geschich- zum Opfer. Nach der Reichspogromnacht wurden auch te aller verfolgten Herforderinnen und Herforder in der Jüdinnen und Juden inhaftiert, um anschließend in Zeit des Nationalsozialismus. Dazu gibt es in der Gedenk- das KZ Buchenwald transportiert zu werden. Im Zwei- stätte neben einer kleinen Dauerausstellung wechselnde ten Weltkrieg waren auch Zwangsarbeiterinnen und Ausstellungen, die unterschiedliche Opfergruppen in den Zwangsarbeiter inhaftiert. Blick nehmen. Für diese stellt das Kuratorium online unter www.zellentrakt.de zahlreiche pädagogische Ausstel- Im Herbst 2004 übergab die Stadt den Zellentrakt als lungsmaterialien zur Verfügung. Im Herforder Elsbach- Außenstelle an das Stadtarchiv Herford. Die Räumlich- Haus an der Goebenstraße befindet sich eine Außenstelle keiten werden seit 2005 als Gedenkstätte genutzt. Um der Gedenkstätte mit der geretteten Bibliothek der jüdi- den Betrieb kümmert sich zusammen mit dem Stadtar- schen Unternehmerfamilie Elsbach-Maass und einer Do- chiv das 1997 gegründete Kuratorium Erinnern Forschen kumentation der Familien- und Firmengeschichte. Gedenken e. V., welches sich bereits seit langem für einen www.zellentrakt.de zum Kriegsgefangenenlager Stalag VI A den und Abrüstung Hemer zurück, welche ab 1982 Gedenkstätte Stalag VI A am originalen Ort des Lagers. mit Gedenkveranstaltungen und Dokumentations- Die Ausstellung enthält neben zahlreichen Fotos, Do- schriften auf eine kritische Aufarbeitung hinwirkte. kumenten und Exponaten ein Modell des Lagers und 1992 wurde schließlich ein Mahnmal zum Gedenken ein Diorama mit einem Schnitt durch einen Kaser- an die Opfer des Gefangenenlagers an der Kaserne nenblock mit maßstabgetreuen Nachbildungen der aufgestellt. Der im Jahr 2005 gegründete Verein für Innenräume. Der Verein und das Stadtarchiv bieten Hemeraner Zeitgeschichte e. V. widmet sich der Be- Führungen durch die Gedenkstätte, über das Gelände treuung und konzeptionellen Weiterentwicklung ei- und zu den beiden Friedhöfen des Lagers (heute Kriegs- ner Dauerausstellung. gräberstätten) an. Heute befindet sich auf dem Gelände der Sauerland- sauerlandpark-hemer.de/park/fuer-wissenshungrige/ park mit der 2010 neu eröffneten Informations- und stalag-gedenkraum/ HEIMAT WESTFALEN – 1/2021 / 17
Orte des Erinnerns Blick in eine der drei ehemaligen Haftzellen mit Informationstafeln Foto/ Dirk Vogel Ge-Denk-Zellen Altes Rathaus Lüdenscheid Ge-Denk-Zellen Altes Rathaus Lüdenscheid e. V., 14 biografischen Tafeln und drei Audio- und Videosta- Märkischer Kreis tionen Schicksale von circa 700 politisch und rassisch Verfolgten der NS-Zeit in Lüdenscheid dargestellt. Der Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden in Verein hat sechs Wanderausstellungen zu den lokalen der Polizeiwache im Lüdenscheider Rathaus politische, Themen Euthanasie, Verführer und Verführte, Gesich- soziale und religiöse Minderheiten und Gegner des Re- ter und Geschichten von Zeitzeugen, Kindereuthanasie, gimes inhaftiert und teilweise in Konzentrations- und Frauen im Widerstand und Zwangsarbeit (im Rahmen Vernichtungslager deportiert. der Städtepartnerschaft Lüdenscheid – Taganrog) er- Dank des Engagements eines kleinen Arbeitskreises stellt. Der Verein hat für die Zukunft noch weitere am- gründete sich im Jahr 2010 schließlich der Verein Ge- bitionierte Projekte zur politischen Bildung. So sind Denk-Zellen Altes Rathaus Lüdenscheid e. V., der sich beispielsweise Unterrichtsmaterialien und ein Buch der Konzeption, Realisierung und Betreuung einer über jüdische Nachbarn im Märkischen Kreis geplant, Mahn-, Dokumentations- und Gedenkstätte verschrie- aber auch passende digitale Formate. ben hat. Im Jahr 2012 wurden die „Ge-Denk-Zellen“ im Rathaus eröffnet. Hierfür stellt die Stadt Lüdenscheid Der Verein engagiert sich darüber hinaus auch für an- die Kellerräume, in denen sich die Zellen befinden, dere Gedenkorte in und um Lüdenscheid. Er zeichnet zur Verfügung. für das Verlegen neuer „Stolpersteine“ verantwortlich Die Stätte steht unter dem Leitmotiv „Forschen – Ler- und betreut das Mahnmal des ehemaligen Arbeitserzie- nen – Gedenken für unsere Zukunft“. In drei der ehe- hungslagers Hunswinkel. maligen Gefängniszellen der Ortspolizei werden auf www.ge-denk-zellen-altes-rathaus.de Gedenk- und Informationsstätte Alte Synagoge Petershagen Fassadenansicht der Synagoge mit ikonischen Arbeitsgemeinschaft Alte Synagoge bunten Bleiglasfenstern Petershagen e. V., Kreis Minden-Lübbecke Foto/ NRW-Stiftung/ Stefan Ziese In der Stadt Petershagen möchte der ehrenamtliche Bürgerverein Arbeitsgemeinschaft Alte Synagoge Peters- hagen e. V. an die ehemalige jüdische Gemeinde im Ort erinnern. Der Verein, der zunächst lose bestand, wurde 1999 gegründet und betreibt mit Unterstützung von an- deren Institutionen, der Stadt und dem Kreis die Gedenk- stätte. Das Gebäude wurde 1998 von der Stadt Petershagen gekauft und mit Hilfe der NRW-Stiftung saniert. 18 / HEIMAT WESTFALEN – 1/2021
historisch-politische Bildung Jüdisches Museum Westfalen Verein für jüdische Geschichte und Religion e. V., Dorsten, Kreis Recklinghausen Das Jüdische Museum Westfalen geht auf eine Bürgerini- tiative und deren Forschungsgruppe „Dorsten unterm Offene Führung im Jüdischen Museum Westfalen durch Hakenkreuz“ zurück, welche 1987 den Aufbau eines die Ausstellung „L` Chaim! Auf das Leben!“ Dokumentationszentrums anging. Der dabei gegrün- Foto/ NRW-Stiftung/ Werner Stapelfeldt dete Verein für jüdische Geschichte und Religion e. V. betreibt das Museum bis heute und konnte es 1992 mit die vielfältige Geschichte, Tradition und Gegenwart von der Unterstützung vieler Partner in NRW in einem klei- Juden und Jüdinnen im Allgemeinen und besonders in nen Altbau einrichten. Seit 2020 wird das Museum jähr- Westfalen zu entdecken. Das Museum will damit zum lich mit 100.000 Euro vom LWL gefördert. Bereits in der Verstehen des Judentums beitragen und dadurch für Vergangenheit unterstützte der Landschaftsverband das Menschenrechte und demokratische Teilhabe eintreten. Museum mit insgesamt 1,1 Mio. Euro. Für Kinder und Jugendliche hat das Museum ein vielfäl- Das Gebäude hat im Lauf der Geschichte unter- tiges Repertoire an pädagogischen Angeboten. Die Dau- schiedliche Nutzungszwecke erfahren, so diente es in erausstellung lädt Mädchen und Jungen zu besonderen den 1930er-Jahren als Stätte für die nationalsozialisti- Mitmach-Stationen ein und zeigt einzigartige Exponate, sche Wohlfahrt und Ausbildung. Während des Zweiten wie beispielsweise einen Teddybären, den ein Mädchen Weltkrieges wurden in dem Gebäude Soldaten unter- aus Minden bei ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten gebracht. 2001 wurde mit Hilfe des Landes NRW, des zurückließ. Das Museum bietet Anknüpfpunkte für alle LWL und der Stadt Dorsten ein Anbau errichtet. 2018 Altersklassen, den Besuch zu vertiefen und hält auch wurde die dort untergebrachte Dauerausstellung reno- Workshops und Projekttage für Schulklassen bereit. viert und unter dem Titel „L`Chaim! – Auf das Leben! Mit seinen Lesungen, Konzerten, Bastelnachmittagen, Jüdisch in Westfalen“ eröffnet. Die Dauerausstellung des Film- und Theatervorführungen spricht das Museum ein Museums und die regelmäßigen Sonderausstellungen breites Publikum an. sollen den Besucherinnen und Besuchern ermöglichen, www.jmw-dorsten.de Tatort – Gedenkort – Lernort Die ehemalige Synagoge ist seit 2003 ein Informati- Die jüdische Schule wurde Mitte 2012 renoviert und soll zu ons- und Dokumentationszentrum für jüdische Orts- einem (auch) digitalen Lernort gemacht werden. Besonders und Regionalgeschichte, die den Besucherinnen und Schulklassen werden angesprochen und können eigens für Besuchern mittels einer Dauerausstellung, Wechsel- diese Zielgruppe entwickelte Vorträge abrufen und Füh- ausstellungen und kultureller Veranstaltungen näher- rungen wahrnehmen. Das Themenspektrum reicht von der gebracht wird. Damit ist sie zugleich auch Gedenkstätte Geschichte der Juden in Petershagen, dem jüdischen Alltag und mahnende Erinnerung an den Terror des Hitlerre- mit Schule und Synagoge bis zu den verlegten Stolperstei- gimes. Das Ensemble, das neben der Synagoge, der jüdi- nen. Eine Bibliothek inklusive Arbeitsplätzen befindet sich schen Schule, der Mikwe und dem Friedhof ehemalige im Aufbau. So kann die Alte Synagoge Petershagen auch zu jüdische Wohnhäuser umfasst, ist in Norddeutschland einem Ort der Forschung werden. einzigartig. www.synagoge-petershagen.de HEIMAT WESTFALEN – 1/2021 / 19
Orte des Erinnerns Die Publikation „Gedenkort Nordbahnhof“ enthält einen ersten Vorschlag für eine künftige Ausstellung in dem ehemaligen Bahn- hofsgebäude. Foto/ Bernd Faulenbach Die Initiative Nordbahnhof e. V. setzt sich dafür ein, eine Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus zu realisieren. Die Initiative entstand 2013 als Zusam- menschluss von Historikerinnen und Historikern und wurde 2016 in einen gemeinnützigen Verein transfor- miert. Maßgeblich getragen wird die Initiative sowohl von engagierten Bürgerinnen und Bürgern als auch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, wie dem Gedenkort Nordbahnhof emeritierten Bochumer Professor Dr. Bernd Faulenbach, Vorsitzender des Vereins und jahrelang Mitglied im Bei- Bochum rat der Berliner Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ und in anderen Gremien der Erinne- rungskultur. Initiative Nordbahnhof e. V., Bochum Der Bahnhof wurde in den 1870er-Jahren als „Rheini- Das Projekt hat in der Bevölkerung vielfältig positive scher Bahnhof“ errichtet und ist ein wirtschafts- und Resonanz gefunden und soll schrittweise realisiert wer- verkehrsgeschichtlich bedeutendes Gebäude Bochums. den. Der Nordbahnhof ist ein authentischer Ort und Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden wäre die erste Gedenkstätte ihrer Art in Bochum, die von hier aus Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma Ausstellungs- und Seminarräume beinhalten soll. Das und weitere Verfolgte des NS-Regimes in Richtung inzwischen unter Denkmalschutz gestellte Gebäude soll Osten deportiert und in Vernichtungslager gebracht. zu einem Haftpunkt der kollektiven Erinnerung in Bo- Der Bahnhof ist besonders in die jüdische Erinnerung chum werden. eingeprägt. www.initiative-nordbahnhof-bochum.de Alte Synagoge Selm-Bork Stadt Selm, Kreis Unna Die Synagoge im Selmer Ortsteil Bork gehört zu den wenigen noch existierenden Landsynagogen im Müns- terland. Über mehr als 100 Jahre diente das Gebäude als Zentrum für die etwa elf Familien beziehungsweise rund 60 Mitglieder umfassende jüdische Gemeinde in Bork und Selm. In der Nacht des 9. November 1938 wurde auch die Bor- ker Synagoge geplündert und ihre Inneneinrichtung zer- Blick auf die Synagoge in Selm Foto/ André Kieslich/ Stadt Selm 20 / HEIMAT WESTFALEN – 1/2021
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