Tête-à-Tête - Bewegungs-Aktions- Interventionsradius Praterstern - Erweiterter malerischer Raum

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Tête-à-Tête - Bewegungs-Aktions- Interventionsradius Praterstern - Erweiterter malerischer Raum
Tête-à-Tête
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     Bewegungs-
     Aktions-
     Interventionsradius
     Praterstern
Tête-à-Tête - Bewegungs-Aktions- Interventionsradius Praterstern - Erweiterter malerischer Raum
Kunst ist essenziell
    für unsere
    Gesellschaft.
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         DE                                               EN
    Bewegungs-/Aktions-/Interventions-               Movement/Action/Intervention Radius
    radius Praterstern                               Praterstern

          Die künstlerischen Projekte von Tête-            Art is essential for our society. The ar-
    à-Tête setzen am Praterstern einen neuen         tistic projects of Tête-à-Tête set a new soci-
    gesellschaftlich und sozial relevanten Im-       etal and socially relevant impetus at Pra-
    puls. Exemplarisch soll das Projekt aufzei-      terstern. The project aims to exemplarily
    gen, dass Transitzonen auch Orte der Kunst       demonstrate that transit zones also need
    und Kreativität benötigen, um inmitten des       places of art and creativity in order to let
    austauschbar kommerziellen Geschehens            the soul of the city become present in the
    in Bahnhofseinkaufzentren die Seele der          midst of interchangeable commercial activ-
    Stadt präsent werden zu lassen. Wir reali-       ities in train station shopping centers. We
    sieren Kunst nicht, um ihr eine Funktion zu      do not realize art to give it a function – it
    geben – es ist Aufgabe der Stadtregierung,       is the city government’s task to get ade-
    hier adäquat aktiv zu werden. Vielmehr           quately active here. Rather, we want to ini-
    wollen wir eine „Parallelwelt“ initiieren, die   tiate a “parallel world” that irritates, amaz-
    irritiert, verwundert, interessiert, mit der     es and attracts interest, with the intention
    Intention, dass es so zu einem Miteinan-         that it could result in togetherness. It is im-
    der kommen könnte. Wichtig ist dabei, die        portant to perceive and engage with the
    ortsspezifische, historische und soziale Ent-    site-specific, historical and social develop-
    wicklung wahrzunehmen und sich darauf            ment.
    einzulassen.                                           Every day more than 250,000 people
          Den Praterstern im 2. Wiener Gemein-       pass above and below the Praterstern sta-
    debezirk passieren ober- und unterirdisch        tion in Vienna’s 2nd district. In order to ac-
    täglich mehr als 250.000 Menschen. Um            tivate new creative and action potentials
    hier neue Gestaltungs- und Handlungs-            here, this location will be used by students
    potenziale zu aktivieren, wird dieser Ort im     in the period from January 2018 to June 2019
    Sinne eines erweiterten Kunstbegriffs im         in the sense of an expanded concept of art.
    Zeitraum von Januar 2018 bis Juni 2019 von             Tête-à-Tête, literally “head to head,”
    Studierenden bespielt.                           means a confidential private conversation
          Tête-à-Tête, wortwörtlich „Kopf an         in French. The romantic undertone of a ren-
    Kopf“, bedeutet französisch ein vertrauli-       dezvous resonates in the German usage of
    ches Gespräch unter vier Augen. Im deut-         the term. An important aspect of the Tête-
    schen Gebrauch schwingt der romanti-             à-Tête project is not to impose opinions or
    sche Unterton eines Rendezvous mit. Ein          artistic expressions on the area, the people
    wichtiger Aspekt des Projektes Tête-à-Tête       and groups on site, but to become part of a
    ist, dem Areal, den Menschen und Grup-           “whole” in a subtle and self-evident man-
    pierungen vor Ort nicht Meinungen oder           ner. Parallel worlds thus gain the option to
    künstlerische Äußerungen überzustülpen,          “meld.”
    sondern subtil und selbstverständlich Teil
                                                     (Judith Huemer and Ursula Maria Probst)
    eines „Ganzen“ zu werden. Parallele Wel-
    ten gewinnen so die Option zum „Ver-
    schmelzen“.

    (Judith Huemer und Ursula Maria Probst)
Tête-à-Tête - Bewegungs-Aktions- Interventionsradius Praterstern - Erweiterter malerischer Raum
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                                                                       Praterstern, Donnerstag,
                                                                       26. April 2018 um 11:05

Ein Ort der Interaktion
und Kommunikation ?
    DE
     Praterstern – ein Ort des Verweilens,     Äußerung überzustülpen, sondern unter-
der Entschleunigung und der Gastfreund-        schwellig und selbstverständlich Teil des
schaft oder ein Ort des Kommerzes, der         Ganzen zu werden und Anteil am alltägli-
Sucht und Aggressionen?                        chen Leben der Menschen vor Ort zu neh-
     Auf jeden Fall ein Ort des Aufeinan-      men. Sie auf verschiedenen Ebenen anzu-
dertreffens verschiedenster Positionen.        sprechen und dabei zu versuchen, nicht nur
Und ein Ort von Interaktion und Kommuni-       die einzelnen Menschen, sondern auch die
kation. Aber auch ein Ort für Kunst?           räumlich getrennten Einzelbereiche am Ort
     Es ist nicht so, dass Kunst alles kann    miteinander zu verbinden.
und für alles Lösungen hat. Kunst kann den          Als Ergebnis entstanden sehr unter-
Menschen allerdings eine aktive Rolle in       schiedliche Aktionen und Interventionen
Gestaltung, Wahrnehmung und Aneignung          des Projektes, die in vielfältiger Weise mit-
von Stadt ermöglichen und ihnen damit          einander und zwischen den Menschen und
neue Perspektiven, Umgangsweisen und           Einzelbereichen kommuniziert und vermit-
Möglichkeiten für das Erleben und Handeln      telt haben. Und damit künstlerisch gezeigt
aufzeigen. Um nachfolgend auch die sozi-       haben, wie der Praterstern im Alltag auch
alen Qualitäten des Raumes in einer Stadt,     ganz anders erlebt und gesehen werden
an einem Ort zu fördern.                       kann!
     Wie sich dies am Praterstern realisie-
ren lässt, hat die Studierenden der Akade-     Martina Taig, Geschäftsführung KÖR Kunst im
mie der bildenden Künste Wien seit Januar      öffentlichen Raum Wien
letzten Jahres beschäftigt. Ich denke, wich-
tig und entscheidend für das Projekt war
und ist, dem Ort und den Gruppierungen
dort nicht eine Meinung oder künstlerische
Tête-à-Tête - Bewegungs-Aktions- Interventionsradius Praterstern - Erweiterter malerischer Raum
Die Verallgemeinerung
    von Geschmack ist
    Politik. Und deswegen
    ist Kunst auch Politik.
    Über Kunst, Geschmack und                           tete. Das war auch bei den vielen Projekten        nachzudenken, was es als Parallelwelten zu
                                                        der Studierenden schön zu beobachten: Fast         den Shoppingcentern geben könnte, die an
    politische Verdrängungsprozesse
                                                        alle haben Projekte oder Interaktionen ent-        jedem Transitort etabliert werden und eine
    Judith Huemer im Gespräch mit Johan F.              wickelt, durch die die Menschen zusammen-          Monopolstellung zu haben scheinen. Sie
    Hartle, Rektor der Akademie der bilden-             kommen können.                                     bedienen ausschließlich gleichmacherische
4   den Künste Wien                                                                                        Tendenzen und sind an Bahnhöfen und Tran-
                                                              Hartle: Wie Politik an solchen Plätzen
                                                                                                           sitorten ein offenbar allgemein akzeptiertes
                                                        gemacht wird, auch vonseiten der Stadt und
                                                                                                           Modell. Im Gegenzug dazu hat sich die Idee
          Judith Huemer: Der Praterstern als            der Polizei, hat eine ästhetische Relevanz.
                                                                                                           entwickelt, an diese Orte Kunsträume ein-
    wichtiger Transitort in Wien könnte ein groß-       Deswegen gefällt mir das als ein Thema der
                                                                                                           zuschleusen. Es wäre großartig, wenn dort
    artiger Ort für Begegnung und Austausch             Kunst im öffentlichen Raum sehr gut. Es geht
                                                                                                           auch Dependancen von Museen zu einer
    sein. Das Gegenteil ist der Fall. Ein Großauf-      ja um einen Grundkonsens darüber, wie man
                                                                                                           Selbstverständlichkeit würden.
    gebot an Exekutive ist präsent, Verbote und         sich zu verhalten hat, um das Erzeugen kul-
    Restriktionen zuhauf. Vieles, was Begegnung         tureller Suggestionen. Damit wird ein Le-              Hartle: Das gibt es zum Beispiel am
    und Austausch zwischen den verschiedenen            bensstil verallgemeinert und es werden an-         Flughafen von Amsterdam, an dem das Ri-
    Menschen und Kulturen ermöglicht, wurde             dere Lebensstile an die Seite gedrängt. Man        jksmuseum eine Dependance hat.
    entfernt. Bestimmte politische Parteien ha-         könnte fast sagen, dass sich an öffentlichen
                                                                                                               Huemer: Das Einschleusen der Museen
    ben den Platz dermaßen vereinnahmt, dass            Plätzen und bei deren Gestaltung immer so
                                                                                                           meine ich nicht in der Form von Werbedis-
    fast keine Diskussion mehr darüber statt-           eine Art „Geschmackspolitik“ vollzieht. Und
                                                                                                           plays oder Museumsshops.
    fand, was ein Transitort eigentlich sein kann.      die „Geschmacksdefinitionsmacht“ hat na-
    Meine Motivation, Ideen für diesen Platz zu         türlich in erster Linie die Lokalregierung, also       Hartle: Dann muss man sich überlegen,
    entwickeln, entstand aus dem Unbehagen              die Stadtregierung inne, gemeinsam mit             welche Kunst an solchen Orten relevant sein
    an dieser Situation und der politischen Po-         der Exekutive. Sie verbieten, eine bestimm-        könnte. Flughäfen sind die schicke und kos-
    larisierung. Daraus entwickelte sich eine Ko-       te Form von Genuss zu wollen, also zum Bei-        mopolitische Version von Bahnhöfen. Bahn-
    operation mit der Stadt Wien, speziell mit          spiel Alkohol oder Zigaretten. Seit wann gibt      höfe versammeln eher Alltagspassant*innen
    KÖR Kunst im öffentlichen Raum, die das             es das Alkoholverbot am Praterstern?               und lokale Subkulturen, wohingegen Flug-
    Projekt finanziell unterstützt haben.                                                                  häfen schon eine gewisse Selektion vorneh-
                                                              Huemer: Seit April 2018. Am 26. Ap-
                                                                                                           men. Dort gibt es ja auch oft Kunst am Bau,
          Johan F. Hartle: Ich mag den Praterstern      ril 2018 waren wir mit einer unserer Aktivitä-
                                                                                                           aber das sind dann keine Interventionen
    sehr. Er ist eine Schnittstelle, an dem un-         ten vor Ort, und genau zu diesem Zeitpunkt
                                                                                                           oder Unterbrechungen der kommerziellen
    terschiedliche Raumbedürfnisse und Le-              wurde das Alkoholverbot eingeführt. In dem
                                                                                                           Räume, sondern zumeist Ornamente eines
    bensformen aufeinanderprallen. Es finden            Zusammenhang wurden auch viele Sitzbän-
                                                                                                           kosmopolitischen Lebensstils.
    sich auch unterschiedliche Geschmacksty-            ke abmontiert. Dadurch wurde die Gelegen-
    pen, wovon die gastronomischen Strukturen           heit zur Begegnung, zu einem sozialen Mit-              Huemer: Da wird Kunst schnell zur De-
    sprechen. Was ich am Praterstern interes-           einander stark reduziert.                          koration. Meine Idee ist, dass Kunsträume
    sant finde, und das ergänzt oder differen-                                                             genauso zu einer Selbstverständlichkeit wer-
                                                              Hartle: Das Interessante an solchen Ver-
    ziert Ihre Erzählung vielleicht: Es gibt ja nicht                                                      den könnten, weil dadurch den Leuten ein
                                                        boten ist, dass sie so tun, als wären sie neu-
    nur Begegnungszonen und Kommerzzo-                                                                     viel größeres und differenzierteres Angebot
                                                        tral, aber sie richten sich in Wahrheit ge-
    nen, sondern auch unterschiedliche Formen                                                              gemacht werden könnte.
                                                        gen ganz spezifische Gruppen. Das bringt
    von Gastronomie und Handel. Kommerz
                                                        dieses berühmte Wort von Anatole Fran-                  Hartle: Vielleicht kann man, was den
    ist also nicht gleich Kommerz und Konsum
                                                        ce auf den Punkt: für Reiche wie für Arme ist      Elitefaktor von Transitorten angeht, meh-
    nicht gleich Konsum. Eigentlich finde ich den
                                                        es gleichermaßen verboten, unter Brücken           rere Abstufungen vornehmen: U-Bahnhö-
    Praterstern, also den Bahnhof mit den Un-
                                                        zu schlafen. Dieses Verbot ist natürlich ge-       fe, moderne Bahnhöfe, die gleichzeitig als
    terführungen, Brücken und tunnelartigen
                                                        nauso wie das Alkoholverbot kein neutra-           Shoppingmalls geplant sind, wie der Haupt-
    Durchläufen, nämlich immer noch span-
                                                        les Verbot, das gleichermaßen für alle gilt.       bahnhof in Wien, und Flughäfen. Flughä-
    nend, obwohl er einigen Restriktionen aus-
                                                        Hier stellt sich die Frage nach dem legitimen      fen sind von allen dreien am elitärsten,
    gesetzt wurde. Neben dem cleanen Innen-
                                                        Geschmack. Immer wird so getan, als wäre           U-Bahnhöfe sind das kleinste Modell. Der
    bereich mit den klassischen Läden existieren
                                                        das einfach nur eine Optimierung oder Ver-         Praterstern ist eine Art Mischform zwischen
    draußen in diesen Halbzonen auch noch
                                                        besserung. Aber gleichzeitig geht es um die        Bahnhof und U-Bahnhof. An Bahnhöfen hat
    Bierstuben und chinesische Fastfood-Läden,
                                                        Verallgemeinerung eines bestimmten Ge-             man zunehmend eine standardisierte Shop-
    die einen anderen Adressatenkreis bedie-
                                                        schmackstypus und Lebensstiles, der immer          pingmall-Struktur mit den gängigen Ket-
    nen. Insofern ist der Praterstern nicht ganz
                                                        auch die Ausgrenzung von anderen bedeu-            ten. U-Bahnhöfe sind dagegen manchmal
    so leicht umzustülpen, weil er das Nicht-Cle-
                                                        tet. Es geht gegen einen bestimmten Typus          sehr interessant: In den Zwischenetagen der
    ane immer noch hat.
                                                        von Geschmack, wenn Menschen verboten              U-Bahnen gibt es Kioske, Bäckereien, Keba-
          Huemer: Aber die Optimierung schrei-          wird, dort auf Bänken zu liegen. Dabei finden      bläden, manchmal auch Buch-Antiquariate.
    tet immer weiter voran und die Mensch-              andere das eigentlich ganz prima, und für          Das ist eine differenzierte Form von kom-
    lichkeit bleibt auf der Strecke. Alles rund-        manche ist es vielleicht sogar lebensnotwen-       merzieller Ladenkultur, die durchlässig ist für
    herum wird optimiert insofern, als vieles           dig. Dieser Geschmack wird aber als Allge-         subkulturelle und randständigere Lebensfor-
    eliminiert wird und wegkommt. Eine seltsa-          meingut verkauft, als öffentliches Interesse,      men und auch Schattierungen bietet, neben
    me Optimierung, wenn der öffentliche Platz          als allgemein verbindlicher Lebensstil. Und        dem Gegensatz von Kunst und Einkaufszen-
    kein öffentlicher mehr ist, weil in ihm die         dann wird es als ästhetischer Eingriff präsen-     tren. Einkaufen und Einkaufen ist auch nicht
    Menschlichkeit verschwindet. Das war unter          tiert, dass man Bänke entfernt oder andere         dasselbe, weil die Frage bleibt: wer kauft wo,
    anderem auch Thema beim kürzlich veran-             Dinge etabliert, um die Stadt zu verschönern       warum, was? Manche Shoppingmalls bedie-
    stalteten Symposium an der TU mit Profes-           und diesem vorgeblich allgemein verbindli-         nen eher den Mittelschichts-, andere auch
    sor Wilfried Kuehn. Bei meinem Vortrag über         chen Lebensstil anzupassen.                        einen normalen Workingclass-Konsumwil-
    das Praterstern-Projekt habe ich mich unter                                                            len, während es auch Nischen-Strukturen
                                                             Huemer: Damit werden Vielfalt und Un-
    anderem auf Joseph Beuys bezogen, der be-                                                              für bohemische Bedürfnisse gibt wie die Se-
                                                        terschiedlichkeit eingeschränkt und zu ei-
    reits von der „sozialen Wärme“ sprach, die                                                             condhand-Buchläden in den U-Bahn-Stati-
                                                        nem einheitlichen Geschmacksschema re-
    er als evolutionäre Grundsubstanz betrach-                                                             onen.
                                                        duziert. Das war für mich auch der Moment
Tête-à-Tête - Bewegungs-Aktions- Interventionsradius Praterstern - Erweiterter malerischer Raum
Huemer: Das könnte man schon fast als          len Zeichensystemen. Und doch suggerieren        nerhalb dessen Kämpfe um „wessen Kunst
subversiven kulturellen Akt sehen.                 sie, den Reisenden etwas von der Kultur des      für wen, wann und warum“ geführt werden.
                                                   jeweiligen Landes mitzugeben. Die Bezie-
     Hartle: Es ist ein alternativer Kulturraum,                                                         Huemer: Die Politik spielt zu eng in eine
                                                   hung zwischen dem Rijksmuseum als einge-
der nur überlebt, weil es hier einen anderen                                                        Richtung. Es scheint eine politische Haltung
                                                   schummelte Hochkultur am Transitort einer-
Passant*innenkreis gibt und damit auch ein                                                          zu sein, immer noch mehr in Konsum zu in-
                                                   seits und dem echten Museum andererseits
anderer Kulturkonsum stattfindet.                                                                   vestieren, noch mehr Geschäfte zu etab-
                                                   ist dann zugleich weniger problematisch, als
                                                                                                    lieren, auch wenn sie gar nicht gebraucht
     Huemer: Über diese andere Art von             man glaubt. Denn es gibt natürlich auch eine
                                                                                                    werden. Das ist auch am Hauptbahnhof zu
Kunst- oder Kulturkonsum nachzudenken              Jetset-Kultur der Städtereisen mit absurden
                                                                                                    beobachten.
war im Laufe der vier Semester dieses Pro-         Selbstverständlichkeiten wie dem schnellen
jekts spannend. Umso enttäuschter war ich,         Mitnehmen eines Kulturerlebnisses.                    Hartle: Das ist tatsächlich die Erzeugung
als im EU-Ressort die Begriffe Bildung und                                                          einer Kultur, eines Lebensstils, eines Ge-
                                                         Huemer: Vielleicht brauchen Kunst und
Kultur zunächst gar nicht mehr vorkommen                                                            schmacks durch politische Steuerung. Und
                                                   Kultur wirklich diese komplett getrennten
sollten, sondern zu „Innovation und Jugend“                                                         diese Steuerung produziert klassischerweise
                                                   Zonen, um sich entsprechend hochzuhal-
wurden. Aber das ist für mich etwas kom-                                                            gegenüber Sozialprojekten oder alternativen
                                                   ten. Das eine wird dann über die Politik oder
plett anderes, als mit dem Begriff Bildung                                                          Marktstrukturen die großen Warenhausket-
                                                   gewisse Gesinnungen vermarktet, und das
kommuniziert wird. Dieses EU-Vorhaben                                                               ten und Einkaufshäuser. Sie orientiert sich an    5
                                                   andere liegt eher in diesem Großbürgerli-
wurde nach vielen Protesten schließlich wie-                                                        einem Verständnis von gelingendem Markt-
                                                   chen. Ob dieser Gegensatz sein muss, ist für
der rückgängig gemacht.                                                                             verhalten, das unglaublich verkürzt ist. Die
                                                   mich immer wieder die Frage. Ich habe ei-
                                                                                                    kleinen Nischenläden werfen vielleicht kein
     Hartle: Der Kulturbegriff kann auch pro-      nen anderen Hintergrund und bin dadurch
                                                                                                    hohes ökonomisches Wachstum ab, bedie-
blematisch sein. Die Begriffe „Heimatkul-          sehr idealistisch an die Kunst herangegan-
                                                                                                    nen dafür aber ein Milieu und ermöglichen
tur“ und „kulturelles Erbe“ sind auf ganz          gen, weil mir beide Seiten fremd waren. Ich
                                                                                                    eine gewisse Zufriedenheit oder eine Aner-
bestimmte Weise ideologisch besetzt. Das           denke, dass es diese beiden Fraktionen nicht
                                                                                                    kennung auch diverser Lebensstile in dem
gleiche gilt für die Restituierung der Hoch-       geben muss, stattdessen könnte größer ge-
                                                                                                    jeweiligen Grätzl. Sie enthalten ein hohes
kultur, die ja immer auch klassenspezifisch        dacht und gelebt werden. Aber meine Be-
                                                                                                    soziokulturelles Potenzial und funktionieren
war. Deswegen ist Wien auch so interessant,        obachtung ist im Gegenteil, dass es immer
                                                                                                    auf eine ganz bestimmte Weise, aber sie ge-
weil es eine offensichtliche Prachtkultur aus      enger wird. Das sieht man auch an den kul-
                                                                                                    hen durch diese politischen Projekte kaputt.
dem Hochkapitalismus bereithält, die über-         turellen Playern: Dort läuft es oft ähnlich ab
wiegend noch unter kaiserlichen Vorzeichen         wie beim Praterstern, wo viele durch das In-         Huemer: Sie werden nicht als wertvoll
entstanden ist. Hier wird der alte Glanz des       stallieren enger Zonen und Grenzen vertrie-      wahrgenommen, sondern es wird einfach et-
Bürgertums zelebriert, oder in seiner Zombi-       ben werden. Man könnte sagen, dass es lei-       was anderes darübergelegt, ein Geschmack,
form am Leben erhalten – mehr als irgend-          der auch im Kunst- und Kulturbetrieb enger       der wahrscheinlich nur einer kleinen Gruppe
wo sonst auf der Welt.                             wird statt großzügiger.                          entspricht, aber dennoch allen übergestülpt
                                                                                                    wird.
    Huemer: Das stimmt, umso schwerer                    Hartle: Man darf sich Kunst und Kultur
tun wir uns mit neueren Entwicklungen, be-         nicht als monolithisch vorzustellen. Mono-            Hartle: Genau, ein Geschmack wird ver-
sonders auch durch eine gewisse politische         lithisch sind nicht einmal der Markt oder der    allgemeinert. Und die Verallgemeinerung
Richtung, bei der diese „Heimatkultur“ ext-        Kommerz. Jedes Einkaufszentrum und je-           von Geschmack ist Politik. Und deswegen ist
rem betont wird.                                   des Großprojekt wie der Hauptbahnhof sind        Kunst auch Politik.
                                                   gleichzeitig auch politische Projekte: nicht
     Hartle: Das ist auch eine paradigmati-        nur, weil sich damit eine bestimmte Kultur            Huemer: Aus dieser Motivation heraus
sche politische Frontstellung, die man sich        als dominant etabliert, sondern auch, weil       sind zahlreiche Interaktionen entstanden.
bewusst machen muss: nämlich die falsche           man die Unterstützung der Parteien oder          Zum Beispiel die Plakatserie von Olga Stei-
Alternative von Heimat und Elite. Die popu-        Stadträte braucht, um sie zu verwirklichen.      ner, um dem Praterstern selbst eine Stimme
läre/populistische Besetzung von Kulturthe-        Nicht einmal der Markt und die Kommerz-          zu geben. Das Wichtigste bei all den Projek-
men wie Heimat/Erbe wird als scheinbarer           welt haben aus sich heraus irgendeinen be-       ten war, dass wir alle gemeinsam vor Ort wa-
Gegenpol zu einer elitären großbürgerlichen        stimmten Charakter, wenn sie nicht in dieser     ren und Präsenz und Aktivität ausgestrahlt
Kultur präsentiert, in der sich soziale Eliten     oder jener Weise hergestellt oder bestätigt      haben, die sich nach meiner Wahrnehmung
und kulturelle Eliten ganz offensichtlich ver-     werden. Diese politische Herstellung von         auch auf die anderen Leute übertragen ha-
mischen. Ich kann noch nicht so viel zur So-       Märkten wird für mich besonders deutlich an      ben. Die Passant*innen sind stehen geblie-
zialstruktur der Kulturbetriebe in Österreich      dem Beispiel aus dem zweiten Weltkrieg, wo       ben und mit uns in Dialog getreten, haben
sagen, aber mein Eindruck ist, dass sich hier      in Amerika zu rein propagandistischen Zwe-       uns gefragt und angefangen zu erzählen. Ei-
gewisse Kulturen und auch Adelsdynastien           cken mit großen Billboards Waren beworben        nige, die von dort vertrieben wurden, ande-
sehr viel stärker in die Kultur einschreiben als   wurden, die gar nicht mehr zu kaufen waren.      re, die unsere Interventionen wertschätzten,
in anderen Ländern mit einer eher republi-         Man hat politisch die Illusion einer Marktkul-   weil sich so ein anderer Geschmack oder zu-
kanischen Tradition.                               tur erzeugt, die es gar nicht mehr gab. Und      mindest eine andere Ausdrucksform auf die-
                                                   so werden, glaube ich, viele Einkaufszent-       sem Platz entwickeln konnte.
     Huemer: Deswegen auch meine Über-
legung, Kulturstätten oder Kulturräume an          ren als politische Projekte etabliert, die von        Hartle: Das ist ein schönes Beispiel. Sol-
den Transitorten zu etablieren. Ich glau-          niemandem gefordert wurden, die bis dahin        che Dialoge über verschiedene Wahrneh-
be, es stellt nach wie vor eine enorme Bar-        niemand vermisst hat und die jetzt ins Nichts    mungen, Narrative oder Geschmäcker sind
riere für bildungsfernere Schichten dar, ein       gebaut werden. Dabei werden tolle städti-        paradigmatisch für eine Kunst, die die Äs-
Museum zu betreten, egal wie viel Vermitt-         sche Räume wie zum Beispiel alte Postämter       thetik wieder politisch werden lässt. Ich be-
lungsprogramm geliefert wird. Aber es soll         umstrukturiert, was ebenfalls niemand ver-       nutze übrigens ganz bewusst das Wort „Ge-
natürlich nicht so sein wie bei der Rijksmuse-     langt hat. So werden künstlich Bedürfnisse       schmack“, weil es nach kulinarischer oder
ums-Dependance am Amsterdamer Flugha-              geschaffen oder aufrechterhalten. Vielleicht     unmittelbar körperlicher/sinnlicher Erfah-
fen, die dort eher einen Teaser darstellt, um      kann man an diesen künstlich geschaffenen        rung klingt. In der philosophisch-ästheti-
die Menschen zum Besuch des eigentlichen           Bedürfnissen vorbeisteuern, Alternativmärk-      schen Tradition wurde diese Art der Erfah-
Hauses zu verlocken.                               te etablieren und dadurch dem Praterstern        rung immer degradiert. Bei Kant wird jede
                                                   sein Gesicht zurückgeben. Das muss nicht         Form des Geschmacks, der auf Körper und
      Hartle: Ja, oder noch schlimmer: Kul-        heißen, dass nichts verkauft wird und nur        Sinneserfahrungen basiert, delegitimiert.
tur als Zeitvertreib für die Businessclass-Eli-    noch „reine Kunst“ stattfindet. Es kann auch     Für ihn ist die legitime Form der ästhetischen
ten, die nicht mehr die Zeit haben, ins Ri-        heißen, dass es dort Kebabstände und Trafi-      Urteilsbildung rein intellektuell und kom-
jksmuseum zu gehen, und dann immerhin              kanten gibt, die ebenfalls Bedürfnisse bedie-    plex. Wenn man aber genauer hinschaut, ist
noch die B-Version der Rijksmuseumssamm-           nen und am Markt Praterstern genauso legi-       der Konsens in der bürgerlichen Gesellschaft
lung am Flughafen mitnehmen können – die           tim und genauso anwesend sind.                   sehr klar an bestimmten Dispositionen, Le-
Illusion des Eintauchens in einen Ort. Sol-              Das Gleiche gilt auch für die Kunst:       bensstilen und Geschmackspräferenzen ori-
che Kultur ist ein Simulacrum, eine herge-         Es gibt nicht nur den monolithischen             entiert. Es ist schwer zu sagen, wo demge-
stellte Ersatzerfahrung. Flughäfen sind ja         Kunstraum, der nur „denen“ gehört oder nur
buchstäblich Transitorte zwischen National-        „diesen“ Charakter hat. Es ist stattdessen ein
kulturen. Eigentlich werden sie mit einer ge-      weit aufgefächertes, differenziertes Feld, in-
wissen Neutralität konzipiert, mit universel-
Tête-à-Tête - Bewegungs-Aktions- Interventionsradius Praterstern - Erweiterter malerischer Raum
genüber ein Standpunkt des universellen                Huemer: Man muss Insider, also schon         Absichten getragen wurden, sind in letzter
    Geschmacks zu lokalisieren wäre.                  mal im Museum drin gewesen und mit der            Instanz zu einer Form des „Artwashings“ von
          Das passt zu der Frage nach den             Infrastruktur vertraut sein, um zu sehen, dass    Sozialkürzungen geworden. Ganz explizit
    Schwellenängsten bezüglich Kulturräumen           sie eigentlich für alle frei zugänglich ist.      unter Tony Blair, wo es massive Sozialkürzun-
    und Kulturinstitutionen: das Schlimme daran                                                         gen und Einschränkungen in bestimmten
                                                          Hartle: Alles ist an ein Insidertum ge-
    ist, dass sich die Steuerung von außen kaum                                                         sozialen Milieus und Quartieren gab. Dort
                                                      bunden – aber das ist, für Institutionen, die
    noch identifizieren lässt. Die Verhältnisse                                                         wurden dann die partizipatorischen Kunst-
                                                      der Öffentlichkeit gehören und die Frage des
    sind organisch schon da, und in der Regel                                                           projekte reingeschickt, damit es wenigstens
                                                      Gemeinguts verhandeln, ein Widerspruch!
    halten wir uns gemäß der jeweiligen sozia-                                                          gut aussah.
    len Position an bestimmte Trennungen und              Huemer: Das geht völlig am öffentli-
                                                                                                              Huemer: Das ist ja auch im Kontext der
    Vorgaben. Was die Schwellenängste mit Kul-        chen Auftrag vorbei, wie bei Kultur und Bil-
                                                                                                        Gentrifizierung ein Problem. Zuerst werden
    turinstitutionen betrifft, war das Beispiel des   dung, die ebenfalls weggekürzt und wegrati-
                                                                                                        Künstler*innen mit billigen Mieten ange-
    Frankfurter Flohmarkts für mich immer am          onalisiert werden.
                                                                                                        lockt, bis das Viertel zu einer attraktiven ur-
    prägendsten. In Frankfurt am Main gibt es
                                                           Hartle: Der Wert verschiedener Kultur-       banen Zone geworden und schön aufgewer-
    jede Woche einen riesengroßen Flohmarkt
                                                      formen und ihr Verhältnis zum finanziellen        tet ist. Dann steigen die Mieten unfassbar
    an der Museumsmeile. Das ist ein ganz
                                                      Kapital hat eine Geschichte. Ob man nun           an, was die Künstler*innen wieder vertreibt.
    tolles Beispiel für einen Alternativmarkt, der
6                                                     Bildung oder Geld als besonders einschlä-         Eine Entwicklung, die international leider
    verschiedene Milieus bedient. Er ist durch-
                                                      giges Kapital sieht, das Verhältnis der ver-      schon viel länger zu beobachten ist. Es gab
    aus auch eine Mischung zwischen legalem
                                                      schiedenen Kapitale zueinander und de-            ja mal ein soziales Wien, ein rotes Wien, da
    Markt und Schwarzmarkt, wo alle mögli-
                                                      ren historische Gewichtung sind Ausdruck          sind Sie ja der Experte.
    chen Wasserhähne, die vielleicht vorher aus
    irgendwelchen Wohnungen geklaut wurden,           der allgemeinen politischen Landschaft, der
                                                                                                             Hartle: Ja, in anderen Städten haben
    verkauft werden. Damit hat er einen ganz          hegemonialen Situation. Es gab Zeiten, in
                                                                                                        Verdrängungsprozesse allerdings schon
    anderen Charakter als die Haupteinkauf-           denen bestimmte Formen von Kultur und
                                                                                                        mehr Erfolg gehabt. Das zeigt vielleicht auch,
    straße und die Museen direkt nebendran            Bildung viel zählten, und in anderen Zei-
                                                                                                        dass selbst große politische Projekte, die tra-
    und adressiert auch andere Kunden. Zum            ten wurden sie wieder abgewertet. Selbst
                                                                                                        gische Niederlagen erfahren haben, sich in
    Thema Schwellenängste ist dieses Beispiel         das Verhältnis von Finanzkapital und Kultur
                                                                                                        der Geschichte nicht einfach in Luft auflösen.
    lehrreich: Jedes dieser Museen hat eine           – wobei Kultur alles Mögliche heißen kann –
                                                                                                        Das „rote Wien“ mit der Ermöglichung von
    sauber geputzte, wunderbare Lobby, viele          ist politisch und politisch hergestellt. Es än-
                                                                                                        Gemeindebauprojekten drückt bis heute die
    haben außerdem frei zugängliche Toiletten,        dert sich mit den politischen Kräfteverhält-
                                                                                                        Mietpreise in Wien, obwohl es schon 1934
    die direkt anzusteuern sind. Dennoch steht        nissen.
                                                                                                        zerschlagen wurde. Das kann einem auch
    am Frankfurter Flohmarkt eine riesige Rei-            Huemer: Soziale Ungerechtigkeit und           Mut machen – nichts ist ganz umsonst.
    he von Chemieklos. Das Hauptmilieu des            Ungleichheit nehmen heute zu.
    Flohmarkts ist sich der Möglichkeiten der
    Nutzung öffentlicher Güter also gar nicht               Hartle: Das ist richtig und berührt eben-
    bewusst. Sie kommen gar nicht auf die Idee,       falls die Frage der Kunst. In diesem Sinn ist
    dort die Infrastruktur zu nutzen. Das ist für     allerdings auch in der Kunst das Problem des
    mich ein gutes Beispiel für die Materialisie-     „gut Gemeinten“ nicht unerheblich. Viele
    rung der Schwellenangst.                          der sozialen und partizipatorischen Kunst-
                                                      projekte, die möglicherweise von den besten
Tête-à-Tête - Bewegungs-Aktions- Interventionsradius Praterstern - Erweiterter malerischer Raum
* 1
    Stairs
             Max Landegren
              2019

             “funky functions“
             “the kids were playing on them“
(movable)    “lovers (almost) met“
             “such practical tools“

                                                                  7
                                               Stairs (movable)
                                               6.6.2019
Tête-à-Tête - Bewegungs-Aktions- Interventionsradius Praterstern - Erweiterter malerischer Raum
8

    Irgendwas und
    Paradies
    22.11.2018
Tête-à-Tête - Bewegungs-Aktions- Interventionsradius Praterstern - Erweiterter malerischer Raum
9
Tête-à-Tête - Bewegungs-Aktions- Interventionsradius Praterstern - Erweiterter malerischer Raum
* 2
                   Sidepicking I
                                    Miguel Teodoro, Lettice Gatacre, Ju Yoo, Max Landegren
                                     2019 Participating performer: Apolline Agard

                                    A rock in a stream of news.
                                    Something is waiting.
                                    Duration 15.00-17.00

                   Sidepicking II   Exploring the performativity of
                                    the word and its use. Words from
                                    a news article of the day are
                                    recomposed.
10
     Sidepicking
     22.11.2018
11
Eine glitzernd
     ritualisierte Neugeburt
     des Pratersterns
12
         27. Jänner 2018

                                                                                                     Kunsträume
                                                                                                     in Bahnhofs-
         DE                                             EN                                           arealen
           Den Start des Projektes Tête-à-Tête           The launch of the Tête-à-Tête project
     markiert am 27. Jänner 2018 die rituelle Um-   on January 27, 2018 marks the ritual recast-     Tête-à-Tête als Anregung,
     besetzung und Neudefinition des Pra-           ing and redefining of the Praterstern star       in Dependancen zu denken
     tersterns zu einem Glitzerstern durch die      into a glittering star through the perform-
     performative Installation PROZESS/ON von       ative installation PROZESS/ON by Cosima          Ein Gespräch zwischen Veronica
     Cosima Roth, Evi Jägle und Daphne von          Roth, Evi Jägle and Daphne von Schrad-           Kaup-Hasler, Kulturstadträtin,
     Schrader. Bei einem ritualisierten Zug von     er. During a ritualized procession from the      Martina Taig, Geschäftsführerin
     den Bildhauerateliers in der Kurzbauergas-     sculptor’s ateliers at Kurzbauergasse 9, also    KÖR, und Judith Huemer, Profes-
     se 9, ebenfalls im 2. Wiener Gemeindebe-       in the 2nd district of Vienna, to the Prat-      sorin der Akademie der bildenden
     zirk, zum Praterstern verlesen die Studie-     erstern, the students read texts through         Künste Wien.
     renden via Megaphon manifestartig Texte.       megaphones, in a manifesto-like fashion.
     In eigens produzierten Outfits, die auch       In specially produced outfits, which are also
     Passant*innen angeboten werden, fordern        offered to passers-by, they call for partici-         DE
     sie zum Mitmachen auf. Die feierliche Ein-     pation. The festive invitation to the ceremo-         Judith Huemer: Im Zeitraum
     ladung zur zeremoniellen Prozession mün-       nial procession ends at Praterstern, where       von vier Semestern habe ich ge-
     det auf dem Praterstern, wo der Festzug        the pageant, with everyone participating,        meinsam mit meinen Studierenden,
     unter Beteiligung aller eine glitzernd ritu-   celebrates a glittering, ritualized new birth    meiner Mitarbeiterin Ursula Maria
     alisierte Neugeburt des Pratersterns zele-     of Praterstern.                                  Probst und meinem Mitarbeiter
     briert.                                             A group of six young people joins to-       Tobias Pilz Tête-à-Tête Bewegungs-/
           Eine Gruppe von sechs jungen Leuten      gether for the performance Nothing lasts         Aktions-/Interventionsradius Pra-
     formiert sich für die Performance Nothing      forever by Elli Brandauer to claim the center    terstern entwickelt. Das Projekt war
     lasts forever von Elli Brandauer, um die       of the plaza and see how passersby and           gleichzeitig Feldforschung und Ex-
     Platzmitte in Anspruch zu nehmen und zu        viewers react to it. Towards the end of the      periment: ein Labor an Interaktio-
     sehen, wie Passant*innen und Zuschau-          live performance, all of the performers          nen, Ausdrucks- und Interpretati-
     er*innen darauf reagieren. Gegen Ende der      leave the plaza and the audience follows         onsmöglichkeiten der Studierenden
     Liveperformance verlassen alle Darstel-        without hesitation. A human queue forms to-      mit Passant*innen, mit den betei-
     ler*innen den Platz und das Publikum folgt,    wards Flucs, a project and event space at        ligten Behörden und mit dem Are-
     ohne zu zögern. Es bildet sich eine Mensch-    Praterstern, where the sound performance         al des Transitorts Praterstern selbst.
     schlange in Richtung Flucs, einem Projekt-     continues. The music and choreography of         Geplant war ursprünglich, ein leer
     und Veranstaltungsraum am Praterstern,         Nothing lasts forever, also by Elli Brandauer,   stehendes Geschäftslokal am Pra-
     in dem die Soundperformance fortgesetzt        deals with social states of mind. Through        terstern temporär zu nützen, um mit
     wird. Die Musik und Choreografie von           sound and body performances, the audi-           der Idee vor Ort zu sein und aus die-
     Nothing lasts forever, ebenfalls von Elli      ence experiences a dynamism that produces        ser Struktur heraus zu arbeiten.
     Brandauer, befasst sich mit gesellschaftli-    a hypnotic effect.
     chen Befindlichkeiten. Dabei erfahren die                                                            Martina Taig: Dieser Raum
                                                    (JH and UMP)                                     befindet sich direkt im Bahn-
     Zuschauer*innen durch Sound- und Kör-
     perperformances eine Dynamik von hypno-                                                         hof-Hauptgebäude auf der Seite
     tischer Wirkung.                                                                                der Straßenbahn-Haltestellen, ist
                                                                                                     also sehr zentral gelegen, ein Brenn-
     (JH und UMP)                                                                                    punkt schlechthin. Er gehört der
ÖBB, zuvor war eine Postfiliale darin. Bei ei-   sehen könnten, damit Kunst und Kultur zur          ÖBB wurde klar, dass sie sehr an einer Zu-
nem Gespräch mit der ÖBB kam es leider           Selbstverständlichkeit in Bahnhofsarealen          sammenarbeit interessiert sind, etwa bei
nicht zu einer Einigung. Die ÖBB begründete      werden. Sehen Sie Ihre Initiative der Stadtla-     permanenten künstlerischen Installationen
das damit, dass zu viel Aggression am Platz      bore in diesem Zusammenhang?                       wie einer Lichtinstallation zur Aufwertung ei-
herrsche und man die Studierenden nicht                                                             nes Bahnhofsgebäudes. Aber bis jetzt wurde
                                                      Kaup-Hasler: Die Stadtlabore sind
in dieses Umfeld bringen solle. Letztendlich                                                        noch nie über einen eigenen Raum gespro-
                                                 in transition, es wird experimentiert.
scheiterten die Gespräche jedoch an dem                                                             chen. Doch das wäre großartig und schon
                                                 Zum Beispiel die Intervention von Daniel
sehr hohen regulären Mietpreis, der einge-                                                          denkbar, so einen Versuchsballon zu starten.
                                                 Aschwanden: Er hat gemeinsam mit einem
hoben werden sollte.
                                                 Architektenteam eine volatile Dachkonst-                Huemer: Der nächste Ort könnte der
     Huemer: Bedauerlicherweise haben wir        ruktion konzipiert, die organische Formen          Hauptbahnhof sein, da gibt es ebenfalls
diesen Raum nie zur Verfügung gestellt be-       aufweist, aber nicht gebaut ist, sondern           Leerstand. Auch hier mit der gleichen Her-
kommen. KÖR hat entschieden, uns den-            durch Menschenhand gehalten wird. Ein              angehensweise, der permanenten Nutzung
noch zu unterstützen, und uns viel Freiraum      gemeinsamer Vorgang, Architektur, Schutz,          und Öffnung eines Kunst- und Kulturraums.
geboten. Tête-à-Tête ist Titel und Ausgangs-     dazu eine Solarküche und Livemusik – so-           Irgendwann wird es selbstverständlich sein,
punkt der künstlerischen Experimente und         zusagen ein kurzer Moment, in dem ein              dass solche Kunsträume und Labore Teil die-      13
Interventionen. Ein „Kopf an Kopf“, aber         Ort sich verändert, realisiert mit ungefähr        ser Zonen sind.
auch ein „Rendezvous“, um den Praterstern        30 Teilnehmenden und anderen Leuten.
                                                                                                          Kaup-Hasler: Das ist sicher eine Stoß-
wieder menschlicher werden zu lassen. Es         Das andere Stadtlabor war ein Wohnungs-
                                                                                                    richtung, die in der Zukunft für die Stadt
wäre aus kultureller, sozialer und stadtplane-   tausch, wodurch sich Gemeinschaften ge-
                                                                                                    wichtig sein wird: in unterschiedlichen Be-
rischer Perspektive doch toll, diesen Ort um-    bildet haben, Freundschaften geschlossen
                                                                                                    zirken solche Projekte zu ermöglichen. Da-
zupolen und zu einem attraktiven Ort in der      wurden. Das ist zwar eine einmalige Sache,
                                                                                                    für bräuchte es eine gute Initiative mit Ver-
Stadt zu machen. Ein Ort, der lebt, pulsiert     hat aber eine Form von Nachhaltigkeit.
                                                                                                    kehrsbetrieben, die uns die leer stehenden
und die Buntheit und Vielfalt widerspiegelt,          À la longue bräuchte man mehr sol-
                                                                                                    Räumlichkeiten zur Verfügung stellen und
die ein Transitort haben kann, statt von der     cher Orte oder Zonen, die niederschwel-
                                                                                                    uns möglicherweise zusätzlich noch finan-
Exekutive vereinnahmt zu werden.                 lig und offen sind. Oder auch hybride For-
                                                                                                    ziell unterstützen, um dieses Experiment in
                                                 men zwischen niederschwellig und Museen,
     Taig: Wobei man sagen muss, dass sich                                                          die Wege zu leiten. Es muss mit den Men-
                                                 das wäre schon toll. Wie langfristig das sein
die Reaktion der Exekutive im Laufe der zwei                                                        schen vor Ort kommunizieren, darf also kein
                                                 kann, ist schwer zu sagen. Aber wir brauchen
Jahre stark verändert hat. Am Anfang do-                                                            allein gelassener autonomer Ausstellungs-
                                                 sie grundsätzlich auch neben den Stadtlabo-
minierte die Furcht vor diesen Aktionen. Die                                                        raum sein.
                                                 ren, die ja erst seit einem Jahr existieren, mit
goldene Person wurde aufgrund des Ver-
                                                 derzeit noch einer Fülle an sehr paradoxen              Taig: Deshalb funktioniert am Platz der
mummungsverbots aufgehalten und man
                                                 Ansätzen. Hier muss man erst einmal beob-          Menschenrechte das Bankett so gut. Dort
musste zunächst erklären, dass sie zu einem
                                                 achten, welche Ideen funktionieren und wel-        sitzen die Menschen an der langen Tafel und
Kunstprojekt gehört. Aber später ist eine ge-
                                                 che eher weniger. Auch Daniel Aschwanden           begegnen einander.
wisse Entspannung eingetreten – man spürt,
                                                 ist der Meinung, dass ein Mangel an Ver-
diese Projekte brauchen Zeit!                                                                             Kaup-Hasler: Ihr habt mit dieser Viel-
                                                 ankerung und Zeit herrscht, ohne die man
                                                 schnell als klassische Straßenkunst identifi-      zahl an künstlerischen Projekten einen tollen
     Veronica Kaup-Hasler: Wenn du nur
                                                 ziert wird. Das würde ich sehr gerne vermei-       Möglichkeitsraum eröffnet. Der sollte schon
einmal kommst, erzählen sie dir, was alles
                                                 den, es muss Verortung stattfinden.                eine Art von Kontinuität bekommen. Es gilt
nicht geht. Zeit ist eine Form von Respekt
                                                                                                    zu überlegen, was die nächsten Schritte
und Begegnung auf Augenhöhe ist ganz
                                                     Huemer: Es sollte zu einer Selbstver-          sein könnten. Ich werde mit der ÖBB spre-
wichtig. Ich bin davon überzeugt, dass das
                                                 ständlichkeit werden, einen Kunstraum, ein         chen, mich mit den Zuständigen weiter ak-
Investment von Zeit, das beharrliche Anwe-
                                                 Labor in Bahnhofsarealen zu haben.                 tiv in Verbindung setzen und ihnen auch klar
sendsein etwas mit den Menschen macht.
                                                                                                    machen, dass es sich dabei nicht um Stra-
Insofern sollte man wirklich nochmals mit              Kaup-Hasler: Fantastisch wäre das!
                                                                                                    ßenkunst handelt. In der Hinsicht gibt es ein
der ÖBB wegen des Raums sprechen. Ein            Es bräuchte ein großes Commitment eini-
                                                                                                    großes Missverständnis, da gilt es Aufklä-
Raum als fixer Standort zum Zusammen-            ger großer Institutionen, die sich einbringen
                                                                                                    rung zu leisten.
kommen, mit einem Tisch, an dem Gesprä-          wollen. Es könnten Patenschaften entste-
che und Austausch stattfinden, man auch          hen, auch aus der Zivilgesellschaft. Eine an-           Huemer: Wir haben über vier Semes-
gemeinsam kochen kann – das verändert ei-        dere Form der Community müsste etabliert           ter mit viel Engagement und Energie an dem
nen Platz.                                       werden, aus Studierenden, Künstler*innen,          Projekt gearbeitet. Es ist viel Durchhaltever-
                                                 Anwohner*innen, Bürger*innen vor Ort. Wir          mögen nötig, sich immer wieder selbst zu
     Taig: Bevor man sich überlegt, wie man
                                                 können keine Institution gründen, also müs-        begeistern und dran zu bleiben, oft unter
diesen ganzen Praterstern verändern kann,
                                                 sen alle mithelfen und eine zeitliche Eintei-      widrigsten Umständen. Es sind auch Studie-
muss man die Meinung der Menschen dazu
                                                 lung finden, die bewältigbar ist. Eine Verei-      rende vom Projekt abgesprungen, weil es ih-
erfahren, die ihn jeden Tag benutzen und er-
                                                 nigung von Museen und Studierenden, die            nen zu strapaziös war.
leben. Expert*innen haben oft ihre eigenen
                                                 sich die Ausstellungszeit des Raumes auftei-
Vorstellungen, während die Leute vor Ort gar                                                            Kaup-Hasler: Auch verständlich.
                                                 len, in der restlichen Zeit dient er als Labor
nicht gefragt werden.
                                                 und Werkstatt, die nutzbar ist. Dafür bräuch-            Huemer: Ich finde es im Rahmen des
    Kaup-Hasler: Habt ihr die Leute vor Ort      ten wir ein Konzept einer offenen Werkstatt,       Kunststudiums wichtig, sich auch mit sol-
abgeholt? Oder war das gar nicht so Thema?       an der sich Institutionen wie Kunstuniversitä-     chen Situationen auseinanderzusetzen. Der
                                                 ten, Museen, Galerien usw. beteiligen. Damit       öffentliche Raum bietet enorm viel Reibung,
      Huemer: Das Menschliche, das Ge-           könnte man sich erneut an die ÖBB wenden,          manchmal wird es zu aufreibend und dann
meinsame, das Zusammenbringen waren              um ihr diese Kooperation attraktiv zu vermit-      ist es verständlich, wenn man sich wieder ins
zentrale Themen. Die soziale Wärme, wie sie      teln.                                              Atelier zurückzieht. Die Auseinandersetzung
Joseph Beuys bereits prägte, als Qualität der
                                                      Huemer: Transitorte wie Bahnhöfe und          ist enorm energieaufwendig. Doch die Pro-
menschlichen und gesellschaftlichen Bezie-
                                                 Flughäfen haben ein großes Potenzial, Syn-         jekte, die durchgeführt wurden, hatten Ener-
hungen, war bei all den künstlerischen In-
                                                 ergien mit Kunst und Kultur zu entwickeln. Es      gie und Kraft. Sie sind exemplarisch zu be-
terventionen der Studierenden wesentlicher
                                                 könnte zu einer Win-win-Situation werden,          trachten, von denen einige größer gedacht
Teil.
                                                 die Seele der Stadt präsent gemacht wer-           werden könnten. Mir ist wichtig, zur Bereit-
      Im Laufe des Projektes hat sich für mich
                                                 den. So wie damals Josef II. den Prater, da-       schaft anzuzetteln. Es wäre jetzt interessant,
immer mehr die Idee manifestiert, Kunsträu-
                                                 vor elitäres Jagdrevier, für alle geöffnet hat,    andere Leute dazuzuholen …
me und Dependancen von Museen an Bahn-
höfen einzuschleusen, um den wuchernden          so wäre es jetzt an der Zeit, das Museum viel           Kaup-Hasler: … die Staffel weiterzuge-
Shoppingcentern mit ihren gleichmache-           mehr in den öffentlichen Raum zu bringen,          ben. Die Anregung, in Dependancen zu den-
rischen Tendenzen entgegenzutreten und           um allen Bevölkerungsschichten ein Ange-           ken, ist sicher etwas, was wir in Zukunft ver-
andere Angebote an die Gesellschaft zu er-       bot machen zu können.                              suchen anzutreiben.
möglichen. Ich sehe die Interventionen der
Studierenden als ersten Schritt. Jetzt stellt         Kaup-Hasler: Man bräuchte auch meh-
sich die Frage, wie die nächsten Schritte aus-   rere dieser Orte. In einem Gespräch mit der
*
                       Nothing lasts
                                    3             Elli Brandauer
                                                   2018/19

                                                  Performancereihe

                            forever
                            –
               But the moment

14

 „Ich setzte mich auf
 den Boden, auf der
 Suche nach etwas
 Festem unter meinen
 Füßen. Ich will Nähe,
 stoße auf Distanz. Ich
 strebe nach Freiheit,
 zugleich auch nach
 Liebe. Ich suche Tiefe
 in einer Welt des
 Überflusses. Meine
 Kleidung ist zerris-
 sen, verbrannt und alt,
 ihre Zeit ist vergan-
 gen. Vergänglichkeit
 der Schönheit, der
 Jugend, des Lebens.
 Aber eines bleibt: der
 Moment.“
     DE
      Die bislang dreiteilige Performancereihe
 mitten auf dem Praterstern greift die Sehn-
 süchte, Ängste, Alltagssituationen, Unsi-
 cherheiten, die Schnelllebigkeit und „Fomo“
 der heutigen jungen Generation, der „Mil-
 lenials“, auf. Die Darsteller*innen sitzen auf
 dem Boden, auf Augenhöhe mit den Vor-
 beigehenden und den Verweilenden, und
 fordern sie auf, für einen Moment innezu-
 halten und sich selbst in der dargestellten
 Bewegungsdynamik wiederzufinden. Die
 Vermittlung zwischen Performer*innen und
 Zuschauer*innen passiert nicht von oben
 herab, sondern in unmittelbarer Nähe, ohne
 Distanz, mit der Möglichkeit der Identifikati-
 on. Mode, Musik und Bewegung untermalen
 die dystopische Stimmung des dargestellten
 Narrativs.

 Oben: Nothing lasts forever
 26.4.2018

 Unten: But the moment
 21.6.2018
* 4
     Aragog
                ömar kaplan
                  2018/19

                Eine Konstruktion, die vorwie-
                gend dem Beutefang dient.
                Ömer Kaplans Konstruktion aus
                Folien umspannte die drei
                Grillagen. Ausgehend von Stra-
                tegien des Beutefangs, the-
                matisiert Ömer Kaplan den ge-
                richteten Fluss von Bewegungs-
                abläufen am Praterstern.
            –                                                           15

Provisorische                                    Oben: Aragog
                                                 22.11.2018
Schwitzhütte                                     Unten: Provisorische
                                                 Schwitzhütte
                                                 6.6.2019
* 5
                  DIE KRALLE
                               Florian botka
                                2018

                                               „ICH MAG KEINE
                                               SCHOKOLADE.“
16
                                                   DE
     Die Kralle
                                                    PINGUIN SPRICHT KURZ NACH SEINER BEFREIUNG ÜBER
     22.11.2018
                                               SEIN LEBEN IN GEFANGENSCHAFT UND WAS ER SICH VON
                                               SEINER ZUKUNFT ERHOFFT.
                                                    FLOBO: ES FREUT MICH, DASS SIE HEUTE HIER BEI MIR
                                               SITZEN KÖNNEN, AUCH WENN VIELE IHRER KOLLEGINNEN
                                               NOCH EINGESPERRT SIND. DA STELLT SICH MIR AUCH GLEICH
                                               DIE FRAGE, WIE SIE DORT AN DIESEM „SCHANDFLECK“, IN
                                               JENER SOGENANNTEN GRILLAGE GELANDET SIND?
                                                    PINGUIN: DIE FREUDE IST GANZ MEINERSEITS. DASS
                                               EINIGE MEINER KOLLEGINNEN NOCH EINGESPERRT SIND,
                                               IST ZWAR SCHADE. ABER WIR STOFFTIERE SIND SEHR
                                               GENÜGSAME MENSCHEN. UNSERE BEWEGUNGSUNFÄHIGKEIT
                                               SETZT EINE GEWISSE GENÜGSAMKEIT VORAUS. UNGELOGEN,
                                               WIR STEHEN IN GROSSER ABHÄNGIGKEIT UNSRER
                                               BESITZERINNEN, UND DAMIT SOLLTE MAN SICH VOM ERSTEN
                                               TAG AN ABFINDEN. WIE SCHON ERWÄHNT, LIEGT ES OFTMALS
                                               NICHT IN MEINER HAND, WO MICH MEIN WEG HINFÜHRT.
                                               MEIN LETZTER BESITZER HAT MICH, DAVON GEHE ICH
                                               AUS, SEHR WAHLLOS ERWORBEN, DA ICH MICH IN EINEM
                                               MÜLLSACK ZUSAMMENGEKUSCHELT MIT VIELEN MEINER
                                               KOLLEGINNEN BEFAND. WIE ICH SPÄTER ERFAHREN HABE,
                                               WAR’S EINE SOGENANNTE WEIHNACHTSAKTION UM 3 STATT 9
                                               GELD, DIE DEN BESITZER WOHL ZUM KAUF MOTIVIERTE. NACH
                                               EINER SEHR TURBULENTEN FAHRT MIT DEM RAD, BELADEN
                                               MIT WEITEREN 3 SÄCKEN VOLL MIT MEINESGLEICHEN,
                                               WURDEN WIR PLÖTZLICH AUS HÖCHSTER HÖHE AUS UNSREN
                                               KUSCHELSÄCKEN GESCHÜTTELT UND LANDETEN NACH UND
                                               NACH IM GEBÜSCH DIESER SOGENANNTEN GRILLAGEN.
                                                    FLOBO: DAS HÖRT SICH JA NACH EINEM
                                               UNGEWÖHNLICHEN VERHÄLTNIS AN, ZU WELCHEM SIE
                                               DA IMMER WIEDER REGELRECHT GEZWUNGEN WERDEN.
                                               EINERSEITS KLINGT ES ETWAS HILFLOS, ABER ANDERERSEITS
                                               AUCH AUFREGEND. FAST WIE EINE SCHACHTEL PRALINEN,
                                               WO MAN NIE WEISS, WAS MAN BEKOMMT. HABEN SIE EINE
                                               VERMUTUNG, WAS DER GRUND FÜR DIESES VERHALTEN
                                               IHRES LETZTEN BESITZERS SEIN KÖNNTE?
                                                    PINGUIN: DAS STIMMT, ABER SO IST DAS LEBEN
                                               NUN MAL. ICH MAG KEINE SCHOKOLADE. MANCHE VON
                                               UNS WAREN SCHON IN VERGLEICHBAREN SITUATIONEN,
                                               ZUMINDEST DIE KRALLE KAM EINIGEN BEKANNT VOR, UNTER
                                               ANDEREM AUCH AUS MEINEM LIEBLINGSFILM TOY STORY.
                                               ABER IN DIESER DIMENSION HAT SIE AUCH NOCH NIEMAND
                                               ERLEBT. HATTE MEHR WAS VON EINER ANGEL, 8 ODER 9
                                               METER LANG, SCHON GEWALTIG. KUNST WAHRSCHEINLICH.
                                               DOCH LEIDER, AUCH WENN ER SEHR GUT AUSGESEHEN
                                               HAT, HAT DER BESITZER EINIGE MEINER KOLLEGINNEN
                                               ZURÜCKGELASSEN. MANCHE VON IHNEN HOFFEN NOCH AUF
                                               DEN EIGENTLICH GEPLANTEN ABRISS DER SOGENANNTEN
                                               GRILLIGEN, ABER WER WILL SICH SCHON DIE 40.000 GELD
                                               PRO SOGENANNTER GRILLAGE LEISTEN …
                                                    FLOBO: SPANNEND. UND WIE GEHT’S NUN BEI IHNEN
                                               WEITER? WER WIRD WOHL IHR NÄCHSTER BESITZER SEIN?
                                               PINGUIN: NA JA, ICH WERDE WOHL SO LANGE HIER AUF
                                               DEM STUHL SITZEN, BIS MICH JEMAND WEGBEWEGT. UND
                                               DANN IST DIE BESITZERINNENFRAGE AUCH SCHON GEKLÄRT.
                                               FLOBO: AH, NATÜRLICH. DANN WÜNSCHE ICH IHNEN EINE
                                               TOLLE NEUE BESITZERIN UND BEDANKE MICH HERZLICH FÜR
                                               DAS GESPRÄCH.
                                                    PINGUIN: DANKE SCHÖN. ES WAR MIR EINE FREUDE.
Performative Kunst und künstlerische
Interventionen im öffentlichen, urbanen
Raum außerhalb der üblichen dafür
definierten Orte bergen Überraschungen,
sowohl für die Passanten als auch für die   17

Ausführenden.
Durch künstlerische Interventionen in
Kommerzzonen können unerwartete
Dinge auftauchen, die alternative Vor-
schläge zur allgegenwärtigen agressiven
und meist stumpfen Kommerzkultur
formulieren.
Spannend kann für mich die Kunst in so
einer Gemengelage nur dann sein, wenn
damit Brüche, Differenzen, Kritik und
Ambivalenz diffizil ausgelotet werden.
Karl Heinz Klopf, Künstler & Filmemacher
18

     Prozess/on - Part 1
     27.1.2018
19
* 6
                           PROZESS/ON
                                                     Daphne von Schrader, Cosima Roth, Evi Jägle
                                                      2018/19

20
     von oben nach unten:

     PROZESS/ON – Part 1
     27.1.2018

     PROZESS/ON – Part 2
     26.4.2018

     PROZESS/ON – Part 3
     21.6.2018

         DE
          PART 1
          Dies ist eine feierliche Einladung zur
     zeremoniellen Prozession mit marschie-
     renden Feierungen, verzehrend-verzerr-
     ten Verstülpungen, gen Praterstern ver-
     läuft der Weg der Neugeburt entgegen, die
     Idee abstraktiert sich dort in ihrer vollen
     Pracht. Der Festzug wird sich seiner Ereig-
     nung entgegenziehen, dergestalt dass der
     Zug sich praterschiert und seine Spuren
     zeitigt durch Konfettisierung. Ein Schrift-
     gelehrter prophestziert aus der heilig-ge-
     nerösen Schriftrolle, derweil ein phan-
     tastisches glitzer-ritualisiertes Wesen der
     Opferung entgegengeführt wird, die freu-
     dige Verschlachtung initiiert die neue Ära
     des GLITZI-STERNS. Kostüme aller Art sind
     erwünscht, der Vorstellungskraft sind keine
     Grenzen gesetzt.

           PART 2
           „Auf drei Rädern mit neuem Haupte
     errollte ich den Praterstern, meine Verän-
     derung perpetuiert sich fortkriechend. Mei-
     ne Escorte visualisierte und aktualisierte im
     Video der letzten PROZESS/ON den neuen
     Aufmarsch im Juni prophezeiend. Tief-grei-
     fend langten die Finger nach meinem
     Schatz im Innern, während sich mein Ge-
     leit als Animateure des animalischen Pra-
     ter-Tags etablierte. Die Vorladung streute
     sich signifikant aus-verbildlicht den Men-
     schen entgegen. Meine Schale transfor-
     miert sich stetig in ephemeren Erscheinun-
     gen, deren Beiwohnung ich ersehne.“
     Zitat: Pratier, 1987.
21

                                                                                             PROZESS/ON –
                                                                                             Plakatserie in der Größe
     PART 3                                                                                  240 × 180 cm
     Der nächste Teil der Realitätserweite-   verschachtelt-szenische Dimension, in dem
rung findet im Rahmen der PROZESS/ON im       das Opfer-Tier sich in einem Rudel wieder-
wiederholten Gang gen Praterstern statt.      findet. Die Formen kreatieren sich ins Unfi-
Die Verrückten sind losgelassen und feiern    gürliche, um der neuen Realität Einlass zu
ein Milieu, dem man sich nicht mehr ent-      gebieten. Die Prozessierenden suchen ih-
ziehen kann. Die Maßlosigkeit hat einen       ren Platz in der vorgestellten Realität, die
neuen Namen, Zauberer, Priester, Hofnar-      alles einnimmt, um die Teilnehmenden mit
ren und allerlei andere verkleidete Um-       einem neuen Erfahrungswert hinfort wan-
triebigkeiten geben dem Happening seine       deln zu lassen.
PART 4
          Es wird verkündet: die zeremonielle
     Verspeisung eines Kuchens phantastischer
     Dimensionen! Das ist die leckerste Zelebra-   schlemmen und schwatzen, schnabulieren
     tion bunter Kommunikation, eine frohlo-       und diskutieren, lasst uns konsumieren und
     ckende Symbiose in zwischenmenschlicher       artikulieren, vollstopfen und verbalisieren.
     Verkostung am Praterstern. Die exquisite      Wir werden die Relationen erschließen und
     Einverleibung schmeckt nach Ästhetik in       den Praterstern mit Zucker begießen, wir
     Rosa und Hellblau. Wir sind alle Königskin-   werden bleiben im Durchzug, wir werden
     der und können zaubern, also kommt und        das Delikate manifestieren und laden ein
     probiert mal! Lasst uns den Gaumen be-        zum Partizipieren. Wir versprechen viel zu
     glücken im Naschen sowie im gegenseiti-       viel, aber wir wünschen euch die schönste
     gen Entzücken. Lasst uns gemeinsam spei-      und süßeste Kuchenüberdosis in fröhlichs-
     sen und sprechen, tafeln und tratschen,       tem Stil.

22

     PROZESS/ON – Part 4
     6.6.2019
* 7
  Radio Venusfalle
                      Josephine Baltzersen, Aurelia van Kempen
                       2018

                 –
The first woman to    Josephine Baltzersen

land in Louisiana’s    2019

            garden
                                                                                       23
                                                                 Oben:
                                                                 Radio Venusfalle
                                                                 22.11.2018

                                                                 Unten:
                                                                 The first woman to
                                                                 land in Louisiana´s
                                                                 garden
                                                                 6.6.2019
EN
24

     Thursday, the 6th of
     June, 2019 at 14.00h
     A meteorite landed at
     Praterstern Station,
     Leopoldstadt.
         EN
          The pussy is often regarded as: some-
     thing to have sex with, something to give
     birth with, something to trade money for.
          The first woman to land in Louisiana’s
     garden explores how the perception of the
     pussy can be freed from its usual context
     and given space for new understandings.
     The sculpture is put into public space to
     generate a new, powerful environment leav-
     ing the viewers to reflect on themselves.
          That Thursday in June, when The first
     woman to land in Louisiana’s garden land-
     ed at Praterstern station, the following hap-
     pened: Children interacted with the sculp-
     ture immediately; they touched it, kicked it
     and tried to roll it, but some of their parents
     stopped them once they realized what the
     sculpture depicted. Some women stopped
     and looked, some dared to touch it. One
     woman put her fingers slowly into one of the
     vaginas and afterwards smelled her fingers,
     then left. Other women looked at it and im-
     mediately looked away and started walking         The first woman to
     faster. Most men just stared; none of them        land in Louisiana´s
     touched it. Others looked with half an eye,       garden
     trying not to be noticed looking at it.           6.6.2019
* 8
Absolut Feuer
                Jakob Ehrlich
                 2019

                                                                            25
                                                      Oben:
                                                      Absolut Feuer
                                                      6.6.2019

                                                      Unten:
                                                      Absolut Feuer &
                                                      The first woman to
                                                      land in Louisiana´s
                                                      garden
                                                      6.6.2019

                                Die temporäre
                                Installation Abso-
                                lut Feuer ist ein
                                Amalgam aus As-
                                soziationen, die
                                mit der Örtlich-
                                keit Praterstern
                                zu tun haben. Zu
                                diesen Begriffen
                                zählen zum Bei-
                                spiel Stadtpolitik,
                                Sicherheit, Alko-
                                hol, Terror oder
                                Verlangen.
Neue Momente nisten
     sich in das Begegnungs-
     feld Praterstern ein.
26
         26. APRIL 2018

         DE                                   EN
           Nachdem am 27. Januar eine          After a ritual recasting of the
     rituelle Umbesetzung des Pra-        Praterstern star into a glittering
     tersterns zu einem Glitzerstern      star took place on January 27, the
     vorgenommen wurde, folgt am          sequel follows on April 26, 2018.
     26. April 2018 die Fortsetzung.      The artistic project PROZESS/ON
     Das künstlerische Projekt PRO-       by the students Evi Jägle, Cosima
     ZESS/ON der Studentinnen Evi         Roth and Daphne von Schrader is
     Jägle, Cosima Roth und Daph-         explained in separate chapters,
     ne von Schrader wird in einzel-      interlaced and superimposed, so
     nen Kapiteln erzählt, verschränkt    that the Praterstern star shines
     und überlagert, sodass der Pra-      anew in sparkling light. Subtly,
     terstern erneut im funkelnden        sometimes imperceptibly, new
     Licht erstrahlt. Subtil, teils un-   moments and elements are em-
     merklich nisten sich neue Mo-        bedded in the Praterstern field of
     mente und Elemente in das Be-        encounter. The “Pratier” of the
     gegnungsfeld Praterstern ein.        PROZESS/ON group rolls on Pra-
     Das „Pratier“ der Gruppe PRO-
     ZESS/ON rollt auf den Praterstern
                                          terstern and enters into lively
                                          exchange with Praterstern resi-        Politics of the (Anti)-
                                                                                 Mo(nu)ment(al).
     und tritt mit den Pratersternan-     dents and passers-by.
     sässigen und Passant*innen in             In Make Your Mommy Proud,

                                                                                 Behauptungen und
     regen Austausch.                     a performance conceptualized by
           In der von Liina Pääsuke       Liina Pääsuke, a group of black-
     konzipierten Performance Make        clad women, carrying flag-like
     Your Mommy Proud vermisst
     eine Gruppe schwarzgekleideter
     Frauen, fahnenähnliche schwar-
                                          black objects with them, meas-
                                          ures the Praterstern. Up close,
                                          the flags can be made out as tat-
                                                                                 Propositionen
     ze Objekte mit sich führend, den     tered black pants. Parallel to this,       DE
     Praterstern. Aus der Nähe lassen     a performance by Elli Brandau-
                                                                                 Proposition #1: MONUMENT
     sich die Fahnen als zerschlisse-     er, which addresses the theme of
     ne schwarze Hosen ausmachen.         fashion and body systems, and               Kunst im öffentlichen Raum ist die konsequente
     Zu einer Verdichtung der Bewe-       accompanies them with elec-            Weiterentwicklung der Denkmalkunst des 19. Jahrhun-
     gungsabläufe vor Ort trägt par-      tronic sounds, contributes to a        derts und muss auch im 20. Jahrhundert als eine Ma-
     allel dazu eine Performance von      condensing of the movement se-         nifestation von Macht gesehen werden, die selbstver-
     Elli Brandauer bei, die Mode-        quences on site.                       ständlich jedem gesellschaftlichen Paradigmenwechsel
     und Körpersysteme thematisiert                                              Rechnung trägt. Das heißt, sie ist bereits in ihrem struk-
                                          (JH and UMP)                           turellen Ansatz hierarchisch angelegt und spiegelt als
     und mit elektronischen Sounds
     begleitet.                                                                  solche Herrschaftsformen und damit Gesellschaftsfor-
                                                                                 men wieder. Spätestens im 21. Jahrhundert kennzeich-
     (JH und UMP)                                                                net sie als public art oder art in public interest (Arlen
                                                                                 Raven,1993) einen Schnittpunkt zwischen Gesellschaft
                                                                                 und Politik mit ästhetischen Mitteln und impliziert damit
                                                                                 den Begriff des Öffentlichen nicht als örtliche, sondern
                                                                                 als soziologische Einheit. Das Kunstwerk im öffentlichen
                                                                                 Raum der Gegenwart analysiert diese Einheit, gleichzei-
                                                                                 tig kann es als Monument für dessen Strukturen gese-
                                                                                 hen werden. Diese Gleichzeitigkeit und ihre Implikatio-
                                                                                 nen gilt es zu verstehen.

                                                                                 Proposition #2: MOMENT
                                                                                      Jacques Rancière stellte 2008 fest („Ist Kunst wi-
                                                                                 derständig?“), dass zwischen der autonomen Kunst
                                                                                 und ihrer „Politisierung“ kein Widerspruch besteht, da
                                                                                 in der Grundstruktur von Ästhetik eine Synthese zwi-
                                                                                 schen den vermeintlichen Gegensätzen liegt, die sehr
                                                                                 wohl ein emanzipatorisches politisches Moment enthält.
                                                                                 Dieses implizite politische Moment wird in der gegen-
                                                                                 wärtigen Kunst im öffentlichen Raum durch ein explizi-
                                                                                 tes erweitert. Gleichzeitig hat die Gattung die ursprüng-
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