NRW-Nachhaltigkeitstagung Heute Handeln! - Umsetzung der NRW-Nachhaltigkeitsstrategie 29. September 2016 in Münster - #nachhaltigesNRW ...
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5.NRW-Nachhaltigkeitstagung HeuteHandeln!–Umsetzungder NRW-Nachhaltigkeitsstrategie 29. September 2016 in Münster #nachhaltigesNRW www.nachhaltigkeit.nrw.de www.nrw-nachhaltigkeitstagung.de
Inhalt Vorwort Minister Johannes Remmel 3 5. NRW-Nachhaltigkeitstagung 4 Begrüßung 6 Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, und Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster Grußwort 10 Prof. Dr. Ursula Nelles, Rektorin der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Bedeutung der globalen Nachhaltigkeitsziele für Wissenschaft und Wissenschaftspolitik 11 Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, und Prof. Dr. Doris Fuchs, Sprecherin des Zentrums für interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung der Universität Münster (ZIN) Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele auf Bundes- und EU-Ebene 14 Prof. Dr. Günther Bachmann, Generalsekretär des Rates für Nachhaltige Entwicklung Podiumsdiskussion 16 Land und Kommunen gemeinsam für nachhaltige Entwicklung in NRW Themenforen Vormittag Fortschritt NRW – Forschung und Innovation für nachhaltige Entwicklung 21 Zukunft Lernen NRW – Von der Strategie zur Umsetzung 24 Nachhaltigkeitsindikatoren – Globale und nationale Perspektive 28 Klimaschutz im Zeichen des Paris-Abkommens 31 Alternative Wirtschaftsformen 35 Speakers’ Corner 39 Themenforen Nachmittag Fortschritt NRW – Forschung und Innovation für nachhaltige Entwicklung 42 Junge Talente nehmen ihre Zukunft in die Hand 46 Nachhaltigkeitsindikatoren – Landes- und Kommunalperspektive 50 Perspektiven der Umweltwirtschaft für ein Industrieland im Wandel 53 Verantwortungsvolles Investieren im Niedrigzinsumfeld 54 Podiumsdiskussion 58 Nachhaltigkeit aus Jugendperspektive Partizipation und Bildung für nachhaltige Entwicklung 61 Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung und stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen Abschlussdiskussion 63 Anhang Evaluation 65 Nachhaltiges Veranstaltungsmanagement 66 Impressum 67
3 Vorwort SehrgeehrteDamenundHerren, am 14. Juni 2016 hat das Kabinett die NRW-Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen. Nun heißt es, zielgerichtet an deren Umsetzung zu arbeiten. Ich freue mich sehr, dass sich zahlreiche Akteurinnen und Akteure aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kommunen am 29. September bei der 5. NRW-Nachhaltigkeitstagung dieser Aufgabe angenommen haben. Unter dem Motto „Heute Handeln! – Umsetzung der NRW-Nachhaltigkeitsstrategie“ diskutierten wir im Hauptgebäude der Universität Münster gemeinsam über Ziele und Merkmale eines nachhaltigen Nordrhein-Westfalens. Darüber hinaus betrachteten wir die Realisation der globalen Nachhaltigkeitsziele auf Bundes- und EU-Ebene und legten gleichzeitig besondere Aufmerksamkeit auf die nachhaltige Entwicklung in den Kommunen Nordrhein-Westfalens. In zehn Themenforen setzten sich Teilnehmer gezielt mit den Schwerpunkten der NRW-Nachhaltigkeitsstrategie auseinander. Wie bereits in den Vorjahren, gab die Veranstaltung auch 2016 den Nachhaltigkeitsvisionen junger Menschen Raum. Die vorliegende Dokumentation fasst die auf der 5. NRW-Nachhaltigkeitstagung angesprochenen Themen, Vorschläge und Gesprächs- runden zusammen. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Referentinnen und Referenten, Diskutantinnen und Diskutanten, allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern und vor allem bei den zahlreichen Jugendlichen bedanken, die mit großem Engagement an der 5. NRW-Nachhaltigkeitstagung teilgenommen haben. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre. Ihr Johannes Remmel Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen
4 5. NRW-Nachhaltigkeitstagung – Zusammenfassung Wie gestalten wir die große Transformation zur Nachhal- Das Münsteraner Schloss, Hauptgebäude der Westfäli- tigkeit? Diese Frage bildete das Leitmotiv der 5. NRW- schen Wilhelms-Universität, war bewusst als Tagungsort Nachhaltigkeitstagung am 29. September 2016 im gewählt worden, um die wichtige Rolle von Wissenschaft Schloss der Universität Münster. Unter dem Motto und Forschung für den NRW-Nachhaltigkeitsprozess zu „Heute Handeln! – Umsetzung der NRW-Nachhaltigkeits- verdeutlichen. Universitätsrektorin Prof. Dr. Ursula Nelles strategie“ diskutierten über 400 Akteure aus Politik, beschrieb die Notwendigkeit der interdisziplinären Nach- Kommunen, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesell- haltigkeitsforschung, die in Münster bereits praktiziert schaft die Möglichkeiten zur Umsetzung der Nachhaltig- werde. Um die angestrebten Ziele einer nachhaltigen keitsstrategie für Nordrhein-Westfalen, die am 14. Juni Entwicklung zu erreichen, müsse Nachhaltigkeit präzise dieses Jahres von der Landesregierung verabschiedet definiert werden, forderte Nelles. worden war. Die Definition von Nachhaltigkeit als Herausforderung für die „Nachhaltigkeit kann nicht von der Politik oktroyiert wer- Forschung erörterten anschließend NRW-Wissenschaftsmi- den, sondern muss von unten wachsen. Die NRW-Nach- nisterin Svenja Schulze und Prof. Dr. Doris Fuchs, Sprecherin haltigkeitsstrategie bietet einen Handlungsrahmen, den des Zentrums für interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung wir nun mit Leben füllen müssen“, erklärte NRW-Umwelt- der Universität Münster. Ministerin Schulze betonte, dass der minister Johannes Remmel zur Eröffnung der Tagung, die Fortschritt in Nordrhein-Westfalen unmittelbar mit dem einen besonderen Fokus auf das Engagement von Kom- Thema Nachhaltigkeit zusammenhänge. Eine integrative munen und Zivilgesellschaft richtete. Die Transformation beziehungsweise transdisziplinäre Forschung, der Austausch zur Nachhaltigkeit in Nordrhein-Westfalen soll – wie zwischen Wissenschaft und praktischem Wissen aus Wirt- bereits die Entwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie – ein schaft und Zivilgesellschaft seien notwendige Prozessschritte breit angelegter Partizipationsprozess werden. auf dem Weg zur Nachhaltigkeit.
5 Zusammenfassung Dass erfolgreiche Nachhaltigkeitsprozesse vor allem von den Menschen vor Ort, den Bürgerinnen und Bürgern getragen werden, zeigten Erfolgsbeispiele aus Münster, Dortmund und dem Kreis Steinfurt, die zu den 15 Modell- kommunen im Projekt „Global Nachhaltige Kommune in NRW“ gehören, sowie aus der Stadt Essen, die 2017 „Grüne Hauptstadt Europas“ sein wird. Unter der Mode- ration von Dr. Tanja Busse und Dr. Klaus Reuter stellten die Oberbürgermeister Markus Lewe und Ullrich Sierau, die Beigeordneten Simone Raskob und Matthias Peck sowie Landrat a.D. Thomas Kubendorff die Aufgaben und Herausforderungen einer nachhaltigen Stadt- bezie- hungsweise Kommunalentwicklung dar. Einen Einblick in Nachhaltigkeitsprozesse im europäischen Ausland brachte Rolf Holub, Landesrat für Umwelt, Energie, Nach- haltigkeit und öffentlichen Verkehr im österreichischen Land Kärnten, in die Diskussion ein. Wie wichtig die lokal- Impression vom Markt der Möglichkeiten. regionale Handlungsebene für die nachhaltige Entwick- lung nicht nur aus Landes-, sondern auch aus Bundes- und internationaler Perspektive ist, machte Professor Dr. Günther Bachmann, Generalsekretär des Rates für Anschließend begrüßte NRW-Schulministerin Sylvia nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung, deutlich. Löhrmann das außerordentliche Engagement, das junge Die Akteure der Nachhaltigkeit müssten vor allem Brü- Menschen beim Thema Nachhaltigkeit zeigen. Zugleich cken in die Gesellschaft bauen. stellte sie die Bedeutung der Bildung zur nachhaltigen Entwicklung heraus, die als Querschnittsthema in allen In zehn, über den Tag verteilten Themenforen konnten Unterrichtsfächern und allen Bildungsinstitutionen veran- die Teilnehmer der Tagung verschiedene Aspekte einer kert werden solle. Die Schule der Zukunft müsse auch nachhaltigen Entwicklung vertiefen, unter anderem zu außerschulische Lernräume bieten. Wie das geht, zeigte den Themen alternative Wirtschaftsformen, Klimaschutz, z.B. ein vorgestelltes Projekt der Erich-Klausener-Real- Umweltwirtschaft, nachhaltiges Investieren sowie Nach- schule am Aasee in Münster. Dort organisierten Schüler haltigkeitsindikatoren. Ein Markt der Möglichkeiten bot und Lehrer, mit der Unterstützung von Vamos e.V., einen darüber hinaus Gelegenheit zum Netzwerken. Aktionstag, der die unmenschlichen Rahmenbedingungen der Handy-Produktion vor Augen führte. Auch die Schü- Einen besonderen Schwerpunkt legte die NRW-Nachhal- lervertreter wünschten sich einen Ausbau nachhaltig ori- tigkeitstagung auch in diesem Jahr auf die Perspektive entierter Schulprojekte und Bildungsangebote. künftiger Generationen. Schon zum Einstieg thematisier- ten Schauspieler des Münsteraner Jugendtheaters Cac- Die 6. NRW-Nachhaltigkeitstagung ist für den 19. Oktober tus in einem temporeichen Stück die vielfach halbherzige 2017 in der „Grünen Hauptstadt“ Essen geplant. öffentliche Diskussion um Nachhaltigkeit und wirtschaftli- ches Wachstum. Gewinnerinnen und Gewinner aus den Landeswettbewerben „Jugend forscht“, „Schüler experi- mentieren“ und „We Tube“ stellten darüber hinaus ihre Beiträge zur praktischen Nachhaltigkeit vor. Unter der Moderation von Jil Blume erörterten im Landesjugendring NRW aktive Jugendliche, wie Jugendliche in gesellschaft- lichen Partizipationsprozessen mitwirken können. Bernd Neuendorf, Staatssekretär im NRW-Jugendministerium stand den jungen Menschen zum Jugendförderplan, zur Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre oder zu den gymna- sialen Schulzeitmodellen Rede und Antwort.
6 Begrüßung Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Johannes Remmel: Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Sehr geehrter Landesrat Holub, Landes Nordrhein-Westfalen sehr geehrte Ministerin Schulze, sehr geehrte Rektorin Prof. Dr. Nelles, Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster sehr geehrter Oberbürgermeister Lewe, sehr geehrter Regierungspräsident Klenke, sehr geehrte Abgeordnete des Landtages, meine sehr geehrten Damen und Herren, am 14. Juni dieses Jahres wurde die Nachhaltigkeits strategie für unser Bundesland verabschiedet. Viele von Ihnen haben an dieser Strategie mitgearbeitet, jetzt geht es darum, sie auch tatsächlich umzusetzen. Ich freue mich, dass die Nachhaltigkeitsfamilie Nordrhein-Westfa- lens sich dafür wieder zusammengefunden hat. Die NRW- Nachhaltigkeitstagung findet heute zum fünften Mal und erstmals in einer Universität statt. Wissenschaft, For- schung und Innovation sind wichtige Akteure, wenn es darum geht, an der großen Transformation zu arbeiten. Darüber hinaus haben wir sehr viele engagierte Städte, Kommunen und Kreise. Ihre Aktivitäten und somit die von
7 Begrüßung Im Bereich des Divestments besitzen wir mittlerweile europaweit eine Vorreiterrolle. Bei allen Investitionen wird darauf geachtet, dass sie nachhaltigen Unternehmen zugute kommen. Darüber hinaus ist Münster als flächen- sparende Kommune ausgezeichnet worden. Eine beachtliche Leistung, wenn man bedenkt, dass wir deutschlandweit die am stärksten wachsende Stadt neben Leipzig sind, bezogen auf die relative Einwohner anzahl. Bei der Gestaltung und Umsetzung von Stadtent- wicklungs- und Grünflächenkonzepten bringen wir die Bürgerinnen und Bürger mit ein. Wir nutzen Bürgerinnen und Bürger quasi als Experten, nehmen ihre Ideen auf und geben ihnen die Möglichkeit, ihre Angelegenheiten und ihr Umfeld selbst mitzugestalten. Nicht zuletzt sind die Herausforderungen der Aufnahme von Geflüchteten Bestandteil der werteorientierten und nachhaltigen Minister Johannes Remmel und Oberbürgermeister Markus Lewe bei Münsteraner Politik. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, der gemeinsamen Begrüßung. sie dezentral unterzubringen und Integration vom ersten Tag an zu gewährleisten. unten wachsende Nachhaltigkeit wollen wir heute beson- ders intensiv betrachten. Münster trägt den Titel der lebenswertesten Stadt der Welt. Das hat, denke ich, sehr Johannes Remmel: viel mit Nachhaltigkeit zu tun und macht die Stadt seit In Sachen Nachhaltigkeit konnte NRW ohne Frage viel von 2004 zu einem wertvollen Austragungsort. seinen Kommunen lernen, so kommt zum Beispiel die Entwicklung Agenda 21 aus den Reihen der Kommunen. Nicht zuletzt aufgrund des Koalitionsvertrages haben wir uns entschlossen, eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie Markus Lewe: für NRW aufzubauen, die sich auch an den 17 globalen Lieber Minister Remmel, Nachhaltigkeitszielen orientiert und Ziele für das Jahr sehr geehrte Ministerin Schulze, 2030 sowie Indikatoren definiert. An dieser Stelle möchte sehr geehrte Prof. Fuchs, ich meinen Dank noch einmal an die zahlreichen Beteilig- sehr geehrter Prof. Dr. Bachmann, ten richten. Die Erstellung der Strategie ist das eine, das sehr geehrter Regierungspräsident Klenke, andere ist das konkrete Leben und Umsetzten. Darum sehr geehrter Landrat a.D. Kubendorff, geht es jetzt. Bei einigen Themen sind wir bereits mitten meine sehr geehrten Damen und Herren, im Umsetzungsprozess, beispielsweise wenn es darum geht, Bildung für nachhaltige Entwicklung zu implemen- tieren oder den Klimaschutz zu fördern. Bei anderen The- Münster ist in der Tat eine Stadt, in der Nachhaltigkeit men stehen wir noch am Anfang. In diesem Zusammen- regelrecht gelebt wird. Zum einen ist es laut Aalborg- hang freut es mich umso mehr, dass 15 NRW-Kommunen Charta unser Auftrag, Nachhaltigkeit auch auf kommuna- als „global nachhaltige Kommunen NRW“ Vorreiterrollen ler Ebene zu gestalten. Zum anderen ist der nachhaltige übernehmen und den Nachhaltigkeitsprozess aktiv mit- Gedanke in unserer bürgerlichen Gesellschaft tief veran- gestalten. Gerade von diesen Kommunen, unter anderem kert. Unter Nachhaltigkeit verstehen wir auch, werteori- gehört Münster dazu, kann das Land viel lernen. entiert zu handeln. In den 1990er-Jahren wurde die lokale Agenda Münster gegründet. Sie beschäftigt sich mit der Um Ihnen die Größe der Herausforderung deutlich zu Frage, wie wir die Zukunft für kommende Generationen machen: Wenn man sich anschaut, welche Staaten der lebbar machen können. Aus diesem Prozess sind viele Erde zugleich ein gutes Wohlfahrtsniveau haben und wichtige Impulse in ein integriertes Stadtentwicklungs- gleichzeitig einen akzeptablen ökologischen Fußabdruck, und Marketingkonzept eingeflossen. Das nachhaltige dann gibt es derzeit nur einen einzigen Staate, der beide Engagement zeigt sich auf vielen weiteren Ebenen. Es Kriterien erfüllt: Kuba. Bitte verstehen Sie mich nicht gibt einen jährlichen Nachhaltigkeitsbericht, es gibt die falsch, wir sollen jetzt nicht alle so leben, wie die Men- Agenda 21 und es gibt eine ganze Reihe von Veranstaltun- schen in Kuba. Aber ein paar Ableitungen sind vielleicht gen. Wir sind Fairtrade-Town 2011, spielen in puncto Kli- sinnvoll, denn Kuba besitzt hohe Gesundheits- und Bil- maschutz ganz vorne mit, haben mehrfach den European dungsstandards bei geringem Ressourcenverbrauch. Energy Award gewonnen. Insbesondere mit Blick auf Demokratie, Freiheit und
8 Begrüßung Wohlstand können wir es jedoch besser machen. Die Untersuchung macht aber deutlich, welche Aufgaben noch vor uns liegen, um in die Zone der nachhaltigen Gesellschaften zu kommen. Markus Lewe: Gehen wir wieder zurück über den Atlantik nach NRW und nach Münster. Was stellen wir hier verstärkt fest? Es macht Menschen zunehmend Spaß, bescheidener zu leben. Unser Problem ist, dass wir Wert und Geld oft in Einklang miteinander bringen, obwohl zwischen den Begriffen ein himmelweiter Unterschied besteht. Nicht zuletzt aufgrund dieser Wahrnehmung organisieren wir in Münster einen Zukunftsprozess, der das voraussichtliche Leben in den nächsten Jahren betrachtet. Für den Prozess spielen unter anderem auch der Masterplan „100 Prozent Klimaschutz 2050“ und unsere nachhaltige Forstwirtschaft eine Rolle. Zudem haben wir eins der Johannes Remmel: ambitioniertesten Radverkehrskonzepte Europas auf Die hohe Münsteraner Ehrenamtsquote sticht besonders gebaut. Der Fahrradverkehrsanteil nimmt 40 Prozent heraus. Für NRW sprechen wir von einer durchschnittli- des Verkehrsmixes ein, an den 50 Prozent arbeiten wir chen Quote von 25 Prozent. Damit sind wir bundesweit momentan. Zudem ist in Zusammenarbeit mit der Region immer noch spitze und gelten als Land des Ehrenamtes. der Bau von 13 neuen Velo-Routen geplant. Aber auch das Ohne die ehrenamtlich tätigen Menschen würde hier, ist machbar. Was Neulinge in Münster angeht, komme ich denke ich, sehr wenig funktionieren. Bleiben wir bei den auf das Flüchtlingsthema zurück. Wir arbeiten mit vielen Menschen: Im Vorfeld dieser Tagung haben wir eine Organisationen und Stiftungen zusammen, unterstützen Umfrage zum Thema Nachhaltigkeit gemacht, die Ergeb- unter anderem das Projekt „Angekommen in deiner Stadt nisse sind sehr interessant. 62 Prozent der Befragten hal- Münster“. In dessen Rahmen wird jungen zugewanderten ten es für sehr wichtig, dass globale Nachhaltigkeitsziele Menschen geholfen, hier ein Zuhause zu finden. auch auf Landesebene berücksichtigt werden, 33 Prozent halten es zumindest für wichtig. Es besteht somit eine Und ich möchte noch einmal verdeutlichen: Eine stark große Zustimmung zum Thema Nachhaltigkeit im Allge- wachsende Stadt braucht intelligente Baulandkonzepte. meinen. Die Umfrage liefert zudem Daten zur Bedeutung Das heißt, es muss bezahlbarer, barrierefreier Wohnraum konkreter Schutzgüter. Sehr wichtig für die Befragten geschaffen werden. Dafür folgen wir einer besonderen sind Wasser, Luft, aber auch Energie und Klimaschutz. Strategie und gehen, wenn wir städtische Immobilien Eine hohe Verbreitung in den Medien verzeichnet regel- oder Grundstücke zur Verfügung stellen, nicht auf das mäßig die Frage nach einem Ausstieg aus der Braunkoh- höchste Gebot, sondern auf den niedrigsten Mietvor- leförderung. 71 Prozent der Menschen in NRW halten die- schlag ein. Zudem ist es eine wichtige Herausforderung, sen für sehr wichtig oder wichtig. die sieben Grünfinger der Stadt zu erhalten. Nur so wah- ren wir die hohe städtebauliche Qualität. Wer nur darauf Auffällig ist, dass die Befragten im Gegenzug vergleichs- aus ist, viel Fläche in Geld umzuwandeln, übersieht einen weise weniger bereit sind, sich im eigenen Leben für die wichtigen Punkt: Wenn keine Orte der Begegnung von Erreichung der Nachhaltigkeitsziele einzusetzen. Auf eine Menschen entstehen, wie Plätze, Cafés, Kitas und Parks, Flugreise würden nur ungefähr 20 Prozent verzichten. Als dann werden diese Menschen sich auch nicht organisie- wichtigstes Merkmal für ein persönliches nachhaltiges ren. In Münster haben wir diese Orte der Begegnung und Handeln wird der Verzicht auf die Plastiktüte angesehen. können auf eine Ehrenamtsquote von 44 Prozent bauen. Da fallen die Erwartungen der Menschen an die Allge- Diese stellt auch ein Stück von werteorientierter Nachhal- meinheit und die eigene Einsatzbereitschaft etwas ausei- tigkeit dar. nander. Bemerkenswert ist, dass Münsteraner sich im Landesvergleich in besonderem Maß der Nachhaltigkeit Sie sehen, ich sprudle vor Begeisterung. Letztlich kann verpflichtet fühlen. Für 88 Prozent der Einheimischen man festhalten: Kleinteilig zu planen ist viel besser, als spielt Nachhaltigkeit eine Rolle im persönlichen Alltag, im große Projekte umzusetzen, die im Nachhinein von den Landesdurchschnitt sind es 78 Prozent. Herr Lewe, Müns- Bürgerinnen und Bürgern nicht angenommen werden. ter scheint so etwas wie eine Nachhaltigkeitsregion zu sein.
9 Begrüßung Markus Lewe: Johannes Remmel: Das ist in der Tat so. Ich kann nur alle einladen, sich ein- Die Beispiele beweisen, dass Kommunen ganz wesentlich mal von unseren regionalen Köstlichkeiten zu überzeu- bei der Durchsetzung der großen nachhaltigen Transfor- gen. Heutzutage braucht man keine langen Lieferketten. mation in unserer Gesellschaft sind. Wir wissen alle, dass Wir produzieren in Münster und Umgebung Milchpro- die Zeitläufe, beispielsweise um die Klimaziele zu errei- dukte, haben mehrere Käsereien, Kaffeeröstereien, eine chen, sehr knapp sind. Brauerei, die mit der Verwertung von Biolandgetreide begonnen hat und damals belächelt wurde. Ich finde, Es geht um Verantwortung, es geht aber auch um nichts schmeckt besser als die unmittelbare Region. Wir Beschleunigung, wenn wir diese Ziele erreichen wollen. haben tolles Brot, tolles Gemüse, einen Wochenmarkt, bei Das werden wir nur im internationalen Kontext schaffen. dem viele Verkäufer zugleich auch Produzenten sind. Man Wir müssen über die nationalen Grenzen hinaus europäi- kann Nachhaltigkeit bei uns somit im wahrsten Sinne des sche und international denken, um nachhaltige Lösungen Wortes schmecken. auch unter Gerechtigkeitsaspekten implementieren zu können. Leider stehen wir gerade hier vor Herausforderungen. Bei den Tagungen des Wuppertal Instituts und der Feier zum 15-jährigen Bestehen unserer Stiftung „Umwelt und Ent- wicklung“ vor wenigen Tagen hat mich der Vortrag von Professor Messner sehr beeindruckt. Er hat ausführlich dargelegt, dass wir für alle Transformationsaufgaben auf dem Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft im Grunde sämtliche notwendigen gesellschaftlichen, wirtschaftli- chen und technologischen Techniken besitzen. Zeitgleich macht sich eine Art Gegentransformation breit. Es gibt Menschen und Nationen, die sich abschotten wollen und die offene Gesellschaft in Frage stellen. Insofern befinden wir uns in gewissem Maße an einem entscheidenden Punkt, an dem es darum geht, die richtige Richtung einzu- schlagen. Ich freue mich, dass wir heute genau daran arbeiten.
10 Grußwort schung, so Nelles, sei der interdisziplinäre Austausch. Nur so könne der Begriff „Nachhaltigkeit“ definiert werden – für die Juristin eine Grundvoraussetzung für den Erfolg nach- haltiger Entwicklung. „Was nicht eindeutig definiert ist, kann den Schmerz der Grenze nicht verursachen“, beschrieb Nel- Prof. Dr. Ursula Nelles, Rektorin der Westfälischen les die Forschungsaufgabe, Nachhaltigkeit als Instrument Wilhelms-Universität Münster präzise zu fassen. Zurzeit sei „Nachhaltigkeit“ – ähnlich wie die „Digitalisierung“ – ein vielfach noch „schillernder „Nachhaltigkeit braucht Nachhaltigkeitsforschung“, Begriff“, den jeder mit unterschiedlichen Vorstellungen ver- erklärte Professorin Dr. Ursula Nelles an ihrem vorletzten binde. Dabei bestehe nur ein Minimalkonsens, „dass wir die Diensttag als Rektorin der Westfälischen Wilhelms- Sache voranbringen müssen“, so Nelles weiter. Universität Münster (WWU). Sie freute sich, dass der Universitätssitz Münster bewusst als Veranstaltungsort Nachhaltigkeit berühre zahlreiche ökologische und ökono- der 5. NRW-Nachhaltigkeitstagung gewählt worden war. mische, soziale und kulturelle Aufgabenfelder und Ziel Schließlich setzt die WWU bereits seit vielen Jahren vorstellungen. Damit verbänden sich komplexe Frage einen erklärten Forschungsschwerpunkt auf die Themen- stellungen, auf die es keine einfachen Antworten gebe. felder der Nachhaltigkeit und gründete deshalb im Som- Lösungen ließen sich durchaus im interdisziplinären Dis- mersemester 2015 das Zentrum für Interdisziplinäre kurs von Wissenschaft und Praxis finden und entwickeln, Nachhaltigkeitsforschung (ZIN). Das Zentrum bündelt müssten aber auch politisch, zwischen verschiedenen gesellschafts-, geo-, geistes- und rechtswissenschaftli- Interessengruppen, ausgehandelt werden – ein (For che sowie theologische Nachhaltigkeitsforschung, -lehre schungs)-Auftrag, den Professorin Nelles den Teilneh- und -beratung an der WWU. Darüber hinaus dient es dem merinnen und Teilnehmern der 5. NRW-Nachhaltigkeitsta- Land Nordrhein-Westfalen, der Stadt Münster sowie gung mit auf den Weg gab. Dabei bemühte die Universi- Medien und zivilgesellschaftlichen Akteuren als tätsrektorin mit einem Augenzwinkern den Westfälischen Ansprechpartner für Nachhaltigkeitsfragen. Frieden als Beispiel dafür, dass Verhandlungen, die in Münster geführt werden, nachhaltigen Bestand haben! Grundlegend für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitsfor-
11 Bedeutung der globalen Nachhaltig keitsziele für Wissenschaft und Wissenschaftspolitik Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft Über die Rolle der Wissenschaft im Hinblick auf die globa- und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen len und NRW-weiten Nachhaltigkeitsziele tauschten sich Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft Prof. Dr. Doris Fuchs, Sprecherin des Zentrums für und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, und interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung der Universität Prof. Doris Fuchs, Sprecherin des Zentrums für interdiszi- Münster (ZIN) plinäre Nachhaltigkeitsforschung der Universität Münster, im Anschluss an die Begrüßung durch Prof. Dr. Ursula Nelles aus. Moderatorin Dr. Tanja Busse rückte dabei Moderation: zunächst den Fokus auf die gängige Wissenschaftspolitik. Dr. Tanja Busse, freie Journalistin Ministerin Schulze unterstrich, dass Nachhaltigkeit kein starrer Begriff sei, der sich einfach definieren lasse. „In diesem Bereich muss natürlich geforscht werden“, stellte sie klar. Laut Schulze müssten die Hochschulen zum einen erforschen, wie Menschen beispielsweise angesichts des Klimawandels oder einer älter werdenden Gesellschaft und weiterer Faktoren nachhaltig leben könnten. Eine Schwierigkeit dabei bilde die meist disziplinäre Organisa- tion der Hochschulen, so Schulze. Beim Thema Nachhal- tigkeit und den damit einhergehenden Fragestellungen
12 Bedeutung der globalen Nachhaltigkeitsziele für Wissenschaft und Wissenschaftspolitik müsse man jedoch interdisziplinär denken. Zum anderen müssten Wissenschaft und Forschung, so die Ministerin weiter, selbst mit gutem Beispiel voran gehen und sich nachhaltig aufstellen. Interdisziplinäre Forschungsansätze Ministerin Schulze thematisierte darüber hinaus die For- schungsstrategie Fortschritt NRW. Forschung für eine nachhaltige Entwicklung beinhalte auch die Forderung nach Veränderung, mit der sich Forschungseinrichtungen auseinandersetzen müssten: „Der Kern ist, dass For- schung einen Beitrag zu den großen gesellschaftlichen Herausforderungen leisten soll.“ Antworten auf zum Teil globale Fragestellungen wie Ressourcenknappheit und Lebensmittelversorgung sollten aus Nordrhein-Westfalen heraus gegeben werden. Dieser Prozess müsse stärker inter- sowie transdisziplinärer gestaltet werden, auch der Prof. Dr. Doris Fuchs von der Universität Münster. Sachverstand aus der Praxis sei in der Nachhaltigkeits- forschung gefragt. Während die Forschungsstrategie Fortschritt NRW mit den Hochschulen Nordrhein- Westfalens einvernehmlich diskutiert worden sei, habe Angesprochen auf ihren Aufsatz über die Machtfrage in sie deutschlandweit durchaus Wirbel ausgelöst. „Aber Bezug auf Nachhaltigkeit, stellte Prof. Doris Fuchs klar, das ist gut so“, sagte Schulze, „denn Wissenschaft lebt dass sie keine grundlegende Antwort geben könne. Fest von Kontroversen und Auseinandersetzungen.“ stehe für sie, dass Machtmechanismen unser heutiges politisches und wissenschaftliches Umfeld bestimmten. „Wie kann man die großen Zukunftsfragen ins Zentrum In der Politik finde ein Wettbewerb statt, der in die Wis- der universitären Forschung rücken und dabei veraltete senschaft mit einfließe und umgekehrt. In diesem Rah- Verhaltensmuster überwinden?“ Mit dieser Frage wandte men müsse klar definiert werden, was ein Problem, was sich Moderatorin Dr. Tanja Busse an Prof. Doris Fuchs, eine Lösung und was eine nachhaltige Lösung sei. „Pro die die unterschiedlichen Aufgaben der inter- und trans- blematisch wird es, wenn man erkennt, wie die Politik von disziplinären Forschung und der disziplinären Grundla- der Wirtschaft und den Medien beeinflusst wird, wie auch genforschung erläuterte. Die Forschung zur nachhaltigen die Wissenschaft ökonomisiert wird und sich nicht immer Entwicklung benötige die finanzielle sowie die diskursive neutral verhalten kann“, beschrieb die Wissenschaftlerin Unterstützung durch die Akteure der Politik und der Lan- wichtige Herausforderungen für die Demokratie und desregierung. Dr. Tanja Busse verwies darauf, dass es Wissenschaft – ganz besonders mit Blick auf die Nach nicht nur Grundlagenforscher und angewandte Nachhal- haltigkeit. tigkeitsforscher gebe. Viele Universitäten bestritten ihre Forschung aus Drittmitteln, zum Teil im Auftrag von Wirt- Partizipation als Forschungsmodus schaftsunternehmen, die nicht immer in Richtung der Von den Aufgaben der Nachhaltigkeitsforschung führte Nachhaltigkeit handelten. „Wie können Ihr Zentrum, aber Moderatorin Dr. Tanja Busse das Gespräch zur Frage der auch die Wissenschaftspolitik hier ansetzen und versu- wissenschaftlichen Partizipation und Kooperation. NRW- chen, die Forschung in eine andere Richtung zu lenken?“, Wissenschaftsministerin Svenja Schulze unterstrich die fragte Busse. „Grundsätzlich müssen wir als Wissen- Notwendigkeit, hier deutliche Akzente zu setzen: „Wir schaftler erst einmal über unser Verständnis von Nach- sind das erste Bundesland, das in der Doktorandenausbil- haltigkeit diskutieren“, antwortete Fuchs. Gerade an gro- dung interdisziplinär vorgeht.“ Es seien Fortschrittskol- ßen Universitäten wie Münster mit vielen verschiedenen legs geschaffen worden, die über Fachgrenzen hinweg Fachbereichen träfen viele verschiedene Meinungen zur arbeiten. „Eine Bedingung dieser Kollegs ist, dass schon Bedeutung von Nachhaltigkeit aufeinander. die Forschungsfragen gemeinsam mit Praxispartnern formuliert und die Forschungsaktivitätenvon Praxispart- nern begleitet werden“, so die Ministerin. Dies sei ein wichtiger Prozess, bei dem Praxispartner wertvolle Infor- mationen einbringen könnten. So ergäben sich laut Schulze völlig neue Fragestellungen. Ihr Credo: „Wir brau- chen Partizipation – für Wissenschaftler gehört sie aber noch nicht zum Alltag.“
13 Bedeutung der globalen Nachhaltigkeitsziele für Wissenschaft und Wissenschaftspolitik Wie weit das Thema Partizipation in die Universitäten vor- gedrungen ist, erläuterte Prof. Doris Fuchs. Die Entwick- lung sei je nach Forschungsfeld unterschiedlich stark vor- angeschritten. Im Bereich Nachhaltigkeit sei bereits eine intensive Zusammenarbeit mit Praxispartnern vorhan- den. „Wichtig ist es, die Partner umfassend in das gesamte Projekt einzubinden“, machte Fuchs deutlich und sagte gleichzeitig, dass dies nicht nur eine Herausfor- derung für die Wissenschaft, sondern auch für die Praxis darstelle. Für universitäre Forschungsprojekte müssten in den Unternehmen Kapazitäten zur Verfügung stehen. Grundsätzlich sei die Wissenschaft stark an einem Aus- tausch mit der Zivilgesellschaft interessiert, man müsse, so Fuchs, allerdings ständig hinterfragen, welche Zivilge- sellschaft genau erreicht werde. Wissenschaftsministerin Svenja Schulze im Gespräch. Internationaler Austausch Zum Abschluss des Gesprächs ging Moderatorin Dr. Tanja Busse auf die globalen Nachhaltigkeitsziele – die sogenannten Sustainable Development Goals (SDG) – ein. Viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen befassten sich bereits mit den SDGs, obwohl sie sich zeitgleich mit zahlreichen weiteren Aufgaben konfrontiert sähen. Der internationale Blick, so Ministerin Schulze, sei auch für die Wissenschaft unabdingbar. Forschung dürfe heute nicht mehr in Ländergrenzen gedacht werden, der inter- nationale Austausch sei notwendig. Mit Einrichtungen wie dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik oder auch dem NRW-Fortschrittskolleg Wasser habe sich Nord- rhein-Westfalen in globaler Perspektive bereits sehr gut aufgestellt. „Was sind Besonderheiten, die wir in Deutsch- land haben? Auf was müssen wir achten? Und was müs- sen wir berücksichtigen im internationalen Vergleich?“, stellte Schulze die zentralen Fragestellungen der Wissen- schaft im Hinblick auf globale Nachhaltigkeitsziele dar.
14 Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele auf Bundes- und EU-Ebene Prof. Dr. Günther Bachmann, Generalsekretär Die Agenda 2030 und die SDGs stellen neue Anforderun- des Rates für Nachhaltige Entwicklung gen an Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Gerade auch die Staaten Europas sind gefordert, die weltweiten Nach- haltigkeitsziele beispielgebend umzusetzen. Nicht zuletzt gehöre Deutschland zu den zentralen Akteuren der Strategieentwicklung. Was aber bedeuten die SDGs für Deutschland? Und wie kann Deutschland die interna tionalen Entwicklungsziele voranbringen? Professor Dr. Günther Bachmann, Generalsekretär des Rates für Nachhaltige Entwicklung, erörterte im Gespräch mit Moderatorin Dr. Tanja Busse die Aufgaben deutscher Nachhaltigkeitspolitik und warum die europäische Nach- haltigkeits-Governance auf den Prüfstand gestellt werden müsse.
15 Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele auf Bundes- und EU-Ebene „Wir haben eine aktive Rolle bei der Ausarbeitung der SDGs gespielt. Deswegen sind das unsere Ziele, nicht allein die der UN. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass diese Ziele auch auf nationaler Ebene eine Rolle spielen. Die Idee ist einfach: globale Ziele, aber nationale Umset- zung“, erklärte Bachmann und freute sich, dass mit den SDGs nun globale, für 193 Länder der Welt verbindliche Zielvorgaben zur nachhaltigen Entwicklung formuliert worden sind. Auch wenn die globalen Ziele notwendiger- weise Kompromisse seien, die unter den beteiligten Staa- ten ausgehandelt wurden, habe sich die Politik weltweit über Legislaturperioden hinaus auf diese verpflichtet. Insbesondere begrüßte Bachmann die Tatsache, dass viele Zielvorgaben konkret formuliert wurden. So solle beispielsweise die Lebensmittelverschwendung bis 2030 halbiert werden. Positiv wertete er auch, dass endlich ein- Erläuterte die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele auf Bundesebene: mal Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Zusammenarbeit als Prof. Dr. Günther Bachmann. Ziel formuliert und gesetzt wurden. Nachhaltigkeit dürfe nicht allein von der „Klimaseite“ aus betrachtet werden, sondern als eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung. zung mit Nachhaltigkeit zu. Auch hier müsse sich die „Wir wollen in der Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands offene Gesellschaft positionieren. für jedes dieser Ziele Beiträge darstellen und müssen uns dafür jetzt erstmalig mit Themen wie Armut in Deutsch- Abschließend stellte Moderatorin Dr. Tanja Busse zur land auseinandersetzen. Das hatten wir bisher nicht drin. Diskussion, ob jedes Bundesland, insbesondere auch Wir werden auch einen Indikator festlegen für die Waffen- Nordrhein-Westfalen – so wie die Bundesregierung – exporte, konkret für Handfeuerwaffen“, nannte Bach- einen Rat für Nachhaltige Entwicklung brauche. Bach- mann Aufgaben, mit denen sich künftig alle politischen mann plädierte vielmehr für eine „Brücke zur Gesell- Ressorts auseinandersetzen müssten. schaft“. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung beschränke sich deshalb nicht allein auf die Beratung der Regierung, Mit Blick auf die öffentliche Diskussion um den Klima- sondern biete beispielsweise mit dem Nachhaltigkeits- schutzplan stellte Moderatorin Dr. Tanja Busse die Frage Kodex auch Hochschulen und Unternehmen ein Instru- nach konkreten Zielvorgaben durch die Nachhaltigkeits- ment, ihr Nachhaltigkeitsengagement transparent, ver- strategie Deutschlands: „Werden da klare Ziele für jeden gleichbar und damit auch anschaulich für Investoren und Indikator drin stehen?“ Bachmann zeigte sich optimis- Konsumenten darzulegen. Die Transformation zur Nach- tisch, betonte aber, dass eine Nachhaltigkeitsstrategie haltigkeit müsse sich auch stärker mit der Lebenswelt der auch Handlungsfelder beschreiben müsse, für die es bis- Menschen und der Praxis in Unternehmen verbinden. lang noch keine Zielvorgaben, aber mögliche Prüfaufträge gebe. So sei die Datenlage zur Lebensmittelverschwen- dung in Deutschland nicht ausreichend, um eine konkrete Zielvorgabe zu formulieren. „Daran wird man noch weiter arbeiten müssen“, betonte Bachmann. Ein wichtiges Arbeitsfeld, so der Experte, sei die Nachhal- tigkeits-Governance. Bachmann forderte hier gezielte Veränderungen in den Institutionen. In vielen Ressorts der Bundesregierung habe man Nachhaltigkeit noch nicht als politischen Handlungsauftrag erkannt, sondern sehe diese eher als „Hobby“. Für eine nachhaltige Entwicklung müssten Ressourcen freigegeben, Strukturen geschaffen und veraltete Denkweisen auf den Prüfstand gestellt wer- den, verlangte Bachmann und kritisierte in diesem Zusammenhang insbesondere die Wachstumsstrategie Europa 2020. „Nachhaltigkeit passt zurzeit nicht in die europäische Lage“, monierte Bachmann. Eine „Rhetorik der Angst“, geprägt von Themen wie dem Flüchtlingszu- zug und der Abwehrhaltung der Visegrad-Staaten oder der EZB-Niedrigzinspolitik, lasse keine Auseinanderset-
16 Podiumsdiskussion: Land und Kommunen gemeinsam für nachhaltige Entwicklung in NRW Teilnehmer: Global, national, kommunal: Die Agenda 2030 und die Ulrich Sierau, Oberbürgermeister der Stadt Dortmund SDGs der Vereinten Nationen setzen einen Handlungs- Thomas Kubendorff, Landrat a.D. des Kreises Steinfurt rahmen für die Transformation zur nachhaltigen Entwick- Matthias Peck, Beigeordneter für Wohnungsversorgung, lung. Doch die vertikale Integration der Ziele – von der Immobilien und Nachhaltigkeit der Stadt Münster globalen auf die nationale und von der nationalen auf die Simone Raskob, Beigeordnete für Umwelt und Bauen der kommunale Ebene – ist eine Herausforderung. Das zeigen Stadt Essen, Grüne Hauptstadt Europas 2017 insbesondere die Best Practices nachhaltig engagierter Rolf Holub, Landesrat für Umwelt, Energie, Nachhaltig- Kommunen, die im Fokus der Podiumsdiskussion standen. keit und öffentlichen Verkehr, Land Kärnten, Österreich Unter der Moderation von Dr. Klaus Reuter, Geschäfts Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, führer Landesarbeitsgemeinschaft Agenda 21 NRW Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des (LAG 21), erörterten NRW-Umweltminister Johannes Landes Nordrhein-Westfalen Remmel, Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau, die Beigeordneten Simone Raskob aus Essen und Matthias Peck aus Münster sowie Landrat a.D. Thomas Moderation: Kubendorff aus dem Kreis Steinfurt die Aufgaben einer Dr. Klaus Reuter, Geschäftsführer Landesarbeitsge- nachhaltigen Stadt- beziehungsweise Kommunalentwick- meinschaft Agenda 21 NRW lung. Rolf Holub, Landesrat für Umwelt, Energie, Nachhal- tigkeit und öffentlichen Verkehr im österreichischen Land Kärnten, gab dazu einen Einblick in Nachhaltigkeitspro- zesse im europäischen Ausland und beschrieb gleich zum
17 Podiumsdiskussion Einstieg seine Erfahrungen mit der nachhaltigen Entwick- Land habe von den Kommunen gelernt und setze mit der lung seiner Heimat. Nachhaltigkeitsstrategie für Nordrhein-Westfalen die Ini- tiativen aus den Kommunen und der Zivilgesellschaft fort: Im Dialog mit den Menschen „Partizipationsprozesse, wie wir sie im Hinblick auf Klima- In puncto Nachhaltigkeit, so Holub, stehe jede Kommune schutz und Nachhaltigkeit umgesetzt haben, gab es in vor ähnlichen Problemen wie der „Rest der Welt“. Doch Nordrhein-Westfalen bislang noch nicht. Unsere Prozesse habe jede Region auch ihre spezifischen Stärken und waren durchaus mit Fehlern behaftet, aber insgesamt Besonderheiten. Das österreichische Bundesland Kärn- haben wir eine erfolgreiche Strecke absolviert.“ Jetzt ten zum Beispiel liege bei der Erzeugung und Nutzung müsse die große Transformation zur Nachhaltigkeit auf Erneuerbarer Energien mit einem Anteil von 55 Prozent einer breiten Basis implementiert werden. weit vorne. Dennoch sei das Bewusstsein der Kärntener Bevölkerung in Sachen Nachhaltigkeit etwas „retro“, was Akzeptanz durch Partizipation mit der ländlichen Struktur zusammenhängen könne. Dabei komme den Kommunen eine Schlüsselrolle zu. Nachhaltige Ziele und Aktionen hätten einen verstärkten Durch ihre Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern könn- Erklärungsbedarf. In diesem Rahmen wurden beispiels- ten vor allem sie eine nachhaltige Entwicklung vorantrei- weise Masterpläne für die Bereiche Klima, Mobilität oder ben. Moderator Dr. Klaus Reuter leitete die Diskussion Energie im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern über zu den Kommunen, die im Dialogforum „Chefsache erstellt. „Wenn man den Bedürfnissen der Menschen Nachhaltigkeit“ landesweit ihre Erfahrungen und „lessons Aufmerksamkeit schenkt, dann weiß man, was sie wirk- to learn“ austauschen. Ulrich Sierau, Oberbürgermeister lich brauchen“, machte Ralf Holub seine Überzeugung der Stadt Dortmund, beschrieb den Weg, den die West deutlich. Partizipation müsse von unten aus gedacht falenmetropole zur nachhaltigen Transformation ein werden. geschlagen hat. Impulse für die nachhaltige Stadtent- wicklung – die nicht nur ökologische, sondern auch Im Austausch mit den Kommunen ökonomische und soziale Fragen berücksichtigt – gaben Mit NRW-Umweltminister Johannes Remmel blickte laut Sierau nach dem Rioprozess unter anderem die Moderator Dr. Klaus Reuter auf den Koalitionsvertrag, der UN-Konferenz Habitat II in Istanbul und speziell im Ruhr- unter anderem die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstra- gebiet die Internationale Bauausstellung Emscher Park tegie für Nordrhein-Westfalen vorsah. „Was waren vor IBA. Auch die Landesregierung habe den Kommunen vier beziehungsweise fünf Jahren Ihre Gedanken im Ideen und Leitlinien an die Hand gegeben. „Das hieß Bezug auf die Nachhaltigkeitsstrategie und mit welchen damals nur noch nicht Nachhaltigkeitsstrategie“, meinte neuen Herausforderungen sehen Sie sich nun konfron- Sierau. Dortmunds Transformation zur Nachhaltigkeit tiert?“, lautete die Frage. Remmel erklärte, dass die Stra- startete 1992 mit einem Ratsbeschluss, einem weltweiten tegie ein großes Dach über Fragen der sozialen, ökologi- Klimabündnis beizutreten. Es folgten weitere Beschlüsse schen und ökonomischen Nachhaltigkeit bilde. Dabei und politische Konzepte zur Flächen- und Standortent- habe das Thema Klimaschutz am Anfang gestanden, erst wicklung, welche die Basis zur nachhaltigen Entwicklung danach sei die Nachhaltigkeitsstrategie für Nordrhein- der Zukunft legten. Integrierte Stadtentwicklungskon- Westfalen entwickelt worden. Diese Vorgehensweise sei zepte und Masterpläne erschließen heute Synergien zwi- unter anderem der besonderen Situation Nordrhein- schen ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielen. Westfalens als Industrieland mit einer Tradition von 150 Inzwischen ist die Stadt mehrfach prämiert, beispiels- Jahren geschuldet. Industrielle Wertschöpfung war über weise für fairen Handel oder mit dem Deutschen Nachhal- diese Zeit hinweg immer an die Nutzung fossiler Grund- tigkeitspreis 2014. Nachhaltigkeit in Dortmund, so Sierau, stoffe gekoppelt. „Unsere Industrie hat immer davon basiere auf einem breiten Partizipationsprozess. Der gelebt, billige Energie fossil zu beziehen“, so Remmel. Strukturwandel vom Industrie- zum Kultur- und Wissens- Eine Entkopplung der beiden Faktoren und somit eine standort sei für die Stadt beispielsweise auch Verpflich- fossilarme oder sogar fossilfreie Energie sei, betonte tung, Hochschulen und Studierende gezielt in die nach- der Minister, die größte Transformationsaufgabe und haltige Transformation einzubinden. Dieses Vorgehen zugleich eine wichtige Grundlage, um die Nachhaltigkeit schaffe Transparenz und führe zu einer hohen Akzeptanz. in NRW auf feste Füße zu stellen. Dass die Transforma- „In unserer Stadt gibt es einen hohen Konsens, wo wir tion mit dem Klimaschutz ihren Anfang nahm, sei als pro- sind und wo wir hinwollen“, erklärte Sierau und betonte: blemorientierte Handlungsweise zu verstehen. Zudem „Nachhaltigkeit ist der Weg zur Problemlösung. Das weiß machte Remmel deutlich, dass Nordrhein-Westfalen mit man seit mehr als 40 Jahren.“ Damals habe die Nord- seiner Nachhaltigkeitsstrategie insbesondere auch auf Süd-Kommission schon die Migrationsbewegungen der die Nachhaltigkeitsprozesse in den Kommunen einzahle. heutigen Zeit prognostiziert, warnte Sierau vor Egoismen Viele Städte, Gemeinden und Landkreise in NRW hätten und Partikularinteressen auf europäischer Ebene, die der mit vorbildlichen Initiativen zu Klimaschutz und Klimaan- Transformation zur Nachhaltigkeit nicht länger entgegen passung, Flächenverbrauch, demografischem Wandel stehen dürften. und anderen Zukunftsthemen vorgemacht, wie nachhal- tige Entwicklung lebendig gestaltet werden könne. Das
18 Podiumsdiskussion Simone Raskop, Thomas Kubendorff und Ulrich Sierau im Gespräch. Von der Kommune in die Region Lernprozesse anstoßen Auf dem Weg zur Nachhaltigkeit müssten Widerstände Über den Lernprozess zur Nachhaltigkeit diskutierte überwunden, Bausteine geräumt und Meilensteine Moderator Dr. Klaus Reuter anschließend mit Thomas gesetzt werden, resümierte Moderator Dr. Klaus Reuter Kubendorff, der als ehemaliger Landrat im Landkreis und gab das Wort weiter an Simone Raskop. Die Beige- Steinfurt zu den Vorreitern einer nachhaltigen Entwick- ordnete für Umwelt und Bauen der Stadt Essen beschrieb lung in ländlichen Regionen zählt. Der Kreis Steinfurt die Ideen und Ziele, die mit der Bewerbung und Auszeich- engagiert sich bereits seit 1997 für Klimaschutz und nung als „Grüne Hauptstadt Europas 2017“ verbunden Nachhaltigkeit. Fundierte Erfahrungen aus über 200 Pro- sind. Bereits im Jahr der Kulturhauptstadt RUHR.2010 jekten, eine gute Datenlage und funktionierende Netz- hätten die Städte Dortmund, Bochum und Essen mit werkstrukturen sind das Ergebnis einer langjährigen Unterstützung des Wuppertal Instituts eine gemeinsame Nachhaltigkeitsbewegung, in die sich insbesondere auch Metropolbewerbung geplant. Diese sei jedoch von den kleinere Gemeinden mit weniger als 7.000 Einwohnern Juristen der Europäischen Kommission abgelehnt wor- eingebunden haben. „Man braucht einen langen Atem den. „Das war ein Tiefschlag für uns alle. Aber wir haben und darf sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen“, dann entschieden, uns als Stadt wieder stellvertretend für erinnerte sich Kubendorff an frühere Zeiten. Als der Kreis die Region zu bewerben. Dazu gab es einen parteiüber- Steinfurt vor mehr als zehn Jahren das Ziel „energieaut- greifenden Konsens im Stadtrat“, erklärte Raskop. Das ark 2050“ formulierte, hätte noch niemand daran Jahr der Grünen Hauptstadt soll die Idee der Kulturmet- geglaubt, dass sich inzwischen alle Kreiskommunen mit ropole RUHR.2010 weiterführen und nachhaltig ausge- einem detaillierten Klimaschutzplan auszeichnen. Wichtig stalten. Die Themen und Aufgaben skizziert der 1. Nach- bei der Implementierung nachhaltiger Prozesse sei die haltigkeitsbericht für die Metropole Ruhr, den der Bildung von Netzwerken gewesen. So habe der Kreis Regionalverband Ruhr (RVR) im Januar 2017 herausge- Steinfurt gemeinsam mit den Kirchen das Thema Suffizi- ben wird: „Daran arbeiten jetzt alle Umweltdezernenten enz diskutiert und ein Modellprojekt umgesetzt, bei dem der Städte zusammen mit dem RVR. Das zeigt, dass die- 20 Familien ein Jahr lang suffizient lebten. Ebenso wür- ses Thema in einem langjährigen Prozess qualitativ gesi- den Themen wie die „Eine Welt“ über langjährige Lernpro- chert, in der Region verankert und keine Eintagsfliege ist, zesse aufgebaut. „Man muss den Menschen erst einmal die nach 2017 wieder in der Schublade verschwindet“, erklären, was Nachhaltigkeit wirklich ist. Dann werden sie betonte Raskop. Das Jahr der Grünen Hauptstadt werde Nachhaltigkeit auch wollen,“ zeigte sich Kubendorff über- eine Dekade der Nachhaltigkeit einläuten. Passend dazu zeugt. Nach der öffentlichen Akzeptanz könne die Umset- habe die KlimaExpo.NRW 2017 im Ruhrgebiet Zwischen- zung beginnen. Die Kommunen bräuchten dafür aber präsentation. 2020 setze der Emscher-Umbau den auch die Unterstützung durch Bund und Land, wie sie nächsten Meilenstein. Und 2027 habe die Metropole Ruhr zurzeit erfolgreich beispielsweise beim Projekt „Haus im große Chancen, die Internationale Gartenausstellung Glück“ zur nachhaltigen Quartiersentwicklung durch ein (IGA) zu präsentieren. Nicht zuletzt zeige auch der Inno- Bundesprogramm geleistet werden. Kubendorff mahnte vationCity roll out, dass von einer Kommune – hier an, dass Nachhaltigkeit in den Kommunen zurzeit eine Bottrop – ausgehend nachhaltige und dauerhaft wirkende freiwillige Aufgabe sei und Investitionen in die nachhaltige Prozesse in der gesamten Region angestoßen werden Entwicklung deshalb bei anstehenden Haushaltsplanbe- können. ratungen als Einsparpotenzial oft dem Rotststift geopfert würden.
19 Podiumsdiskussion Ziele vor Ort übersetzen Den Austausch fördern Notwendige Sparziele und Investitionen in Nachhaltigkeit Die anschließende Podiumsdiskussion zwischen den stellen einen von vielen Zielkonflikten dar, mit denen sich Kommunalvertretern und NRW-Umweltminister eine Kommune auseinandersetzen muss. Moderator Johannes Remmel rückte die gemeinsamen Aufgaben Dr. Klaus Reuter führte die Diskussion weiter nach Müns- nachhaltigen Handelns auf Landes- und Kommunalebene ter, das sich als Gastgeber der NRW-Nachhaltigkeitskon- und wechselseitige Lernprozesse sowie angespannte ferenz insbesondere durch Projekte zur nachhaltigen Haushaltslagen und mögliche Förder- oder Anreizmodelle Stadtentwicklung auszeichnet. Welche Ziele verfolgt eine in den Blickpunkt. Stadt, die bereits nachhaltig wirkt? Matthias Peck, seit einem Jahr Beigeordneter für Wohnungsversorgung, NRW-Umweltminister Johannes Remmel hob noch ein- Immobilien und Nachhaltigkeit der Stadt Münster, stand mal die besondere Bedeutung der Agenda 2030 und der dazu Rede und Antwort: „Im Landesumweltministerium globalen SDGs hervor, die er in ihrer historischen Dimen- habe ich mich lange und intensiv mit dem Thema Flä- sion mit der Deklaration der Menschenrechte verglich. chenverbrauch auseinandergesetzt. Als ich nach Münster Die Weltgemeinschaft habe sich erstmals auf Standards ging, meinten meine ehemaligen Kollegen, jetzt könne ich in allen Handlungsfeldern sozialer, ökonomischer, ökolo- vor Ort mal schauen, wie das denn umgesetzt werde.“ gischer, gesellschaftlicher und politischer Entwicklung Und sie hätten Recht behalten, so Peck weiter. Es sei verständigt und damit ein Radar entwickelt, das die Rich- ganz entscheidend, die Auseinandersetzung um nac tung einer nachhaltigen Transformation vorgibt. Daran haltige Zielvorgaben vor Ort zu führen. Münster sei eine müssten sich alle Prozesse auf kommunaler, Landes- und stark wachsende Stadt, in den letzten zehn Jahren stieg Bundesebene messen lassen. Minister Remmel wieder- die Einwohnerzahl um 30.000 Personen an. „Eine wun- holte, dass das Land hier von den Kommunen gelernt derbare Entwicklung, aber die wollen auch alle irgendwo habe. Denn in den letzten Jahrzehnten habe durchaus wohnen“, betonte der Beigeordete. Die Stadt musste sich eine „ Schieflage“ geherrscht. Nachhaltigkeit, so der mit der Frage nach der Unterbringung der Menschen aus- Minister, wurde mit sozialer und ökologischer Entwick- einandersetzen, dabei dem in vielen wachsenden Metro- lung, aber nicht in ökonomische Handlungsfelder über- polen vorherrschenden Trend stark steigender Boden- setzt. Deshalb habe Nordrhein-Westfalen zu lange an und Immobilienpreise entgegenwirken und den Erhalt von alten Industrien festgehalten und die Transformation der Grün- und Erholungsflächen ermöglichen. Daraufhin Wirtschaft hin zu einer nachhaltigen Entwicklung zu wurde das „Handlungskonzept Wohnen“ für Münster ent- wenig unterstützt. Die Kommunen, insbesondere im wickelt. Danach dürfen neue Baugebiete nur ausgewiesen Münsterland, in Südwestfalen und in Ostwestfalen, dage- werden, wenn vorher mindestens 50 Prozent der Fläche gen hätten schon frühzeitig ökonomische Handlungsfel- in den Besitz der Stadt übergehen. Damit sollen Boden- der in ihren strategischen Entscheidungen berücksichtigt. spekulationen verhindert werden. Zum anderen hat sich Ähnlich sah Remmel eine Schieflage auf der europäischen die Stadt entschieden, nicht in das übliche Höchstgebots- Handlungsebene. Mit verschiedenen Gesetzgebungen verfahren einzusteigen. Stattdessen wird der Verkehrs- und gemeinsamen Initiativen zur Agrar- oder Klimapolitik wert eines Grundstückes ermittelt. Investoren bieten habe man zwar eine ökonomische und ökologische Nach- dann um den niedrigsten Einstiegspreis bei der Start- haltigkeit eingeleitet, doch bei 25 Prozent Jugendarbeits- miete. Dieses Verfahren hat sich laut Peck bewährt: losigkeit in Frankreich und hohen Arbeitslosenzahlen in „Wir steuern damit aktiv der massiven Preispolitik auf Südeuropa bestehe eindeutig eine soziale Schieflage. dem Wohnungsmarkt entgegen.“ Das sei auch eine Form Diese führe dazu, dass viele Menschen fragten, was von nachhaltiger Entwicklung, weil sich sonst die Sozial- Europa ihnen überhaupt noch bringe. Die SDGs als Radar gesellschaft dramatisch verändere. und Messwerte könnten in Zukunft auch solche Defizite in der europäischen und internationalen Politik aufzeigen. Angesprochen auf Stadt-Umfeld-Kooperationen, erklärte Matthias Peck, dass diese ebenfalls Teil des Wohnbau- Moderator Dr. Klaus Reuter fragte, ob sich die Landespo- landkonzeptes seien. Die Kooperationen mit Umlandge- litik internationalisieren müsse, um von den Erfahrungen meinden würden allerdings gute ÖPNV-Verbindungen anderer Regionen zu profitieren und gegenseitige Lern- und funktionierende Velo-Routen voraussetzen. Es sei prozesse zu stärken. Minister Remmel stimmte zu. Das aber eine Grundsatzfrage, ob man finanziell schwächere Klimaschutzabkommen von Paris sei auch Ergebnis einer Einwohner alle außerhalb der Stadt unterbringen wolle: starken regionalen, kommunalen Bewegung und wäre „Das führt zu mittelalterlichen Verhältnissen“, warnte ohne diese nicht gelungen. Auf dieser Ebene regionaler Peck. Ziel müsse es deshalb sein, bezahlbare Wohnmög- Zusammenarbeit und kommunaler Bündnisse sieht lichkeiten in der Stadt für alle Menschen zu schaffen. Remmel eine Basis international nachhaltiger Politik. Der Austausch zwischen Menschen und Unternehmen gehöre in der „Einen Welt“ zur internationalen Politik.
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