NRW-Nachhaltigkeitstagung Heute Handeln! - Umsetzung der NRW-Nachhaltigkeitsstrategie 29. September 2016 in Münster - #nachhaltigesNRW ...

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5.NRW-Nachhaltigkeitstagung
HeuteHandeln!–Umsetzungder
NRW-Nachhaltigkeitsstrategie
29. September 2016 in Münster

                                         #nachhaltigesNRW
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Inhalt
Vorwort Minister Johannes Remmel                                                                               3

5. NRW-Nachhaltigkeitstagung                                                                                   4

Begrüßung                                                                                                      6
Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz
des Landes Nordrhein-Westfalen, und Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster

Grußwort                                                                                                      10
Prof. Dr. Ursula Nelles, Rektorin der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

Bedeutung der globalen Nachhaltigkeitsziele für Wissenschaft und Wissenschaftspolitik                         11
Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen,
und Prof. Dr. Doris Fuchs, Sprecherin des Zentrums für interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung der
Universität Münster (ZIN)

Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele auf Bundes- und EU-Ebene                                          14
Prof. Dr. Günther Bachmann, Generalsekretär des Rates für Nachhaltige Entwicklung

Podiumsdiskussion                                                                                             16
Land und Kommunen gemeinsam für nachhaltige Entwicklung in NRW

Themenforen Vormittag
Fortschritt NRW – Forschung und Innovation für nachhaltige Entwicklung                                        21
Zukunft Lernen NRW – Von der Strategie zur Umsetzung                                                          24
Nachhaltigkeitsindikatoren – Globale und nationale Perspektive                                                28
Klimaschutz im Zeichen des Paris-Abkommens                                                                    31
Alternative Wirtschaftsformen                                                                                 35

Speakers’ Corner                                                                                              39

Themenforen Nachmittag
Fortschritt NRW – Forschung und Innovation für nachhaltige Entwicklung                                        42
Junge Talente nehmen ihre Zukunft in die Hand                                                                 46
Nachhaltigkeitsindikatoren – Landes- und Kommunalperspektive                                                  50
Perspektiven der Umweltwirtschaft für ein Industrieland im Wandel                                             53
Verantwortungsvolles Investieren im Niedrigzinsumfeld                                                         54

Podiumsdiskussion                                                                                             58
Nachhaltigkeit aus Jugendperspektive

Partizipation und Bildung für nachhaltige Entwicklung                                                         61
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung und stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes
­Nordrhein-Westfalen
 Abschlussdiskussion                                                                                          63

Anhang
Evaluation                                                                                                    65
Nachhaltiges Veranstaltungsmanagement                                                                         66
Impressum                                                                                                     67
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3     Vorwort

SehrgeehrteDamenundHerren,

am 14. Juni 2016 hat das Kabinett die NRW-Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen. Nun heißt es, zielgerichtet an deren Umsetzung zu
arbeiten. Ich freue mich sehr, dass sich zahlreiche Akteurinnen und Akteure aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und
Kommunen am 29. September bei der 5. NRW-Nachhaltigkeitstagung dieser Aufgabe angenommen haben. Unter dem Motto „Heute
Handeln! – Umsetzung der NRW-Nachhaltigkeitsstrategie“ diskutierten wir im Hauptgebäude der Universität Münster gemeinsam über
Ziele und Merkmale eines nachhaltigen Nordrhein-Westfalens.

Darüber hinaus betrachteten wir die Realisation der globalen Nachhaltigkeitsziele auf Bundes- und EU-Ebene und legten gleichzeitig
besondere Aufmerksamkeit auf die nachhaltige Entwicklung in den Kommunen Nordrhein-Westfalens. In zehn Themenforen setzten
sich Teilnehmer gezielt mit den Schwerpunkten der NRW-Nachhaltigkeitsstrategie auseinander. Wie bereits in den Vorjahren, gab die
Veranstaltung auch 2016 den Nachhaltigkeitsvisionen junger Menschen Raum.

Die vorliegende Dokumentation fasst die auf der 5. NRW-Nachhaltigkeitstagung angesprochenen Themen, Vorschläge und Gesprächs-
runden zusammen. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Referentinnen und Referenten, Diskutantinnen und Diskutanten, allen
Teilnehmerinnen und Teilnehmern und vor allem bei den zahlreichen Jugendlichen bedanken, die mit großem Engagement an der
5. NRW-Nachhaltigkeitstagung teilgenommen haben.

Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre.

Ihr

Johannes Remmel
Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen
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5. NRW-Nachhaltigkeitstagung – 
Zusammenfassung
Wie gestalten wir die große Transformation zur Nachhal-      Das Münsteraner Schloss, Hauptgebäude der Westfäli-
tigkeit? Diese Frage bildete das Leitmotiv der 5. NRW-       schen Wilhelms-Universität, war bewusst als Tagungsort
Nachhaltigkeitstagung am 29. September 2016 im               gewählt worden, um die wichtige Rolle von Wissenschaft
Schloss der Universität Münster. Unter dem Motto             und Forschung für den NRW-Nachhaltigkeitsprozess zu
„Heute Handeln! – Umsetzung der NRW-Nachhaltigkeits-         verdeutlichen. Universitätsrektorin Prof. Dr. Ursula Nelles
strategie“ diskutierten über 400 Akteure aus Politik,        beschrieb die Notwendigkeit der interdisziplinären Nach-
Kommunen, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesell-          haltigkeitsforschung, die in Münster bereits praktiziert
schaft die Möglichkeiten zur Umsetzung der Nachhaltig-       werde. Um die angestrebten Ziele einer nachhaltigen
keitsstrategie für Nordrhein-Westfalen, die am 14. Juni      ­Entwicklung zu erreichen, müsse Nachhaltigkeit präzise
dieses Jahres von der Landesregierung verabschiedet           definiert werden, forderte Nelles.
worden war.
                                                             Die Definition von Nachhaltigkeit als Herausforderung für die
„Nachhaltigkeit kann nicht von der Politik oktroyiert wer-   Forschung erörterten anschließend NRW-Wissenschaftsmi-
den, sondern muss von unten wachsen. Die NRW-Nach-           nisterin Svenja Schulze und Prof. Dr. Doris Fuchs, Sprecherin
haltigkeitsstrategie bietet einen Handlungsrahmen, den       des Zentrums für interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung
wir nun mit Leben füllen müssen“, erklärte NRW-Umwelt-       der Universität Münster. Ministerin Schulze betonte, dass der
minister Johannes Remmel zur Eröffnung der Tagung, die       Fortschritt in Nordrhein-Westfalen unmittelbar mit dem
einen besonderen Fokus auf das Engagement von Kom-           Thema Nachhaltigkeit zusammenhänge. Eine integrative
munen und Zivilgesellschaft richtete. Die Transformation     beziehungsweise transdisziplinäre Forschung, der Austausch
zur Nachhaltigkeit in Nordrhein-Westfalen soll – wie         zwischen Wissenschaft und praktischem Wissen aus Wirt-
bereits die Entwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie – ein   schaft und Zivilgesellschaft seien notwendige Prozessschritte
breit angelegter Partizipationsprozess werden.               auf dem Weg zur Nachhaltigkeit.
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5    Zusammenfassung

Dass erfolgreiche Nachhaltigkeitsprozesse vor allem von
den Menschen vor Ort, den Bürgerinnen und Bürgern
getragen werden, zeigten Erfolgsbeispiele aus Münster,
Dortmund und dem Kreis Steinfurt, die zu den 15 Modell-
kommunen im Projekt „Global Nachhaltige Kommune in
NRW“ gehören, sowie aus der Stadt Essen, die 2017
„Grüne Hauptstadt Europas“ sein wird. Unter der Mode-
ration von Dr. Tanja Busse und Dr. Klaus Reuter stellten
die Oberbürgermeister Markus Lewe und Ullrich Sierau,
die Beigeordneten Simone Raskob und Matthias Peck
sowie Landrat a.D. Thomas Kubendorff die Aufgaben und
Herausforderungen einer nachhaltigen Stadt- bezie-
hungsweise Kommunalentwicklung dar. Einen Einblick
in Nachhaltigkeitsprozesse im europäischen Ausland
brachte Rolf Holub, Landesrat für Umwelt, Energie, Nach-
haltigkeit und öffentlichen Verkehr im österreichischen
Land Kärnten, in die Diskussion ein. Wie wichtig die lokal-   Impression vom Markt der Möglichkeiten.
regionale Handlungsebene für die nachhaltige Entwick-
lung nicht nur aus Landes-, sondern auch aus Bundes-
und internationaler Perspektive ist, machte Professor
Dr. Günther Bachmann, Generalsekretär des Rates für           Anschließend begrüßte NRW-Schulministerin Sylvia
nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung, deutlich.        Löhrmann das außerordentliche Engagement, das junge
Die Akteure der Nachhaltigkeit müssten vor allem Brü-         Menschen beim Thema Nachhaltigkeit zeigen. Zugleich
cken in die Gesellschaft bauen.                               stellte sie die Bedeutung der Bildung zur nachhaltigen
                                                              Entwicklung heraus, die als Querschnittsthema in allen
In zehn, über den Tag verteilten Themenforen konnten          Unterrichtsfächern und allen Bildungsinstitutionen veran-
die Teilnehmer der Tagung verschiedene Aspekte einer          kert werden solle. Die Schule der Zukunft müsse auch
nachhaltigen Entwicklung vertiefen, unter anderem zu          außerschulische Lernräume bieten. Wie das geht, zeigte
den Themen alternative Wirtschaftsformen, Klimaschutz,        z.B. ein vorgestelltes Projekt der Erich-Klausener-Real-
Umweltwirtschaft, nachhaltiges Investieren sowie Nach-        schule am Aasee in Münster. Dort organisierten Schüler
haltigkeitsindikatoren. Ein Markt der Möglichkeiten bot       und Lehrer, mit der Unterstützung von Vamos e.V., einen
darüber hinaus Gelegenheit zum Netzwerken.                    Aktionstag, der die unmenschlichen Rahmenbedingungen
                                                              der Handy-Produktion vor Augen führte. Auch die Schü-
Einen besonderen Schwerpunkt legte die NRW-Nachhal-           lervertreter wünschten sich einen Ausbau nachhaltig ori-
tigkeitstagung auch in diesem Jahr auf die Perspektive        entierter Schulprojekte und Bildungsangebote.
künftiger Generationen. Schon zum Einstieg thematisier-
ten Schauspieler des Münsteraner Jugendtheaters Cac-          Die 6. NRW-Nachhaltigkeitstagung ist für den 19. Oktober
tus in einem temporeichen Stück die vielfach halbherzige      2017 in der „Grünen Hauptstadt“ Essen geplant.
öffentliche Diskussion um Nachhaltigkeit und wirtschaftli-
ches Wachstum. Gewinnerinnen und Gewinner aus den
Landeswettbewerben „Jugend forscht“, „Schüler experi-
mentieren“ und „We Tube“ stellten darüber hinaus ihre
Beiträge zur praktischen Nachhaltigkeit vor. Unter der
Moderation von Jil Blume erörterten im Landesjugendring
NRW aktive Jugendliche, wie Jugendliche in gesellschaft-
lichen Partizipationsprozessen mitwirken können. Bernd
Neuendorf, Staatssekretär im NRW-Jugendministerium
stand den jungen Menschen zum Jugendförderplan, zur
Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre oder zu den gymna-
sialen Schulzeitmodellen Rede und Antwort.
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Begrüßung

Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt,   Johannes Remmel:
Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des     Sehr geehrter Landesrat Holub,
­Landes Nordrhein-Westfalen                          sehr geehrte Ministerin Schulze,
                                                     sehr geehrte Rektorin Prof. Dr. Nelles,
Markus Lewe, Oberbürgermeister der Stadt Münster     sehr geehrter Oberbürgermeister Lewe,
                                                     sehr geehrter Regierungspräsident Klenke,
                                                     sehr geehrte Abgeordnete des Landtages,
                                                     meine sehr geehrten Damen und Herren,

                                                     am 14. Juni dieses Jahres wurde die Nachhaltigkeits­
                                                     strategie für unser Bundesland verabschiedet. Viele von
                                                     Ihnen haben an dieser Strategie mitgearbeitet, jetzt geht
                                                     es darum, sie auch tatsächlich umzusetzen. Ich freue
                                                     mich, dass die Nachhaltigkeitsfamilie Nordrhein-Westfa-
                                                     lens sich dafür wieder zusammengefunden hat. Die NRW-
                                                     Nachhaltigkeitstagung findet heute zum fünften Mal und
                                                     erstmals in einer Universität statt. Wissenschaft, For-
                                                     schung und Innovation sind wichtige Akteure, wenn es
                                                     darum geht, an der großen Transformation zu arbeiten.
                                                     Darüber hinaus haben wir sehr viele engagierte Städte,
                                                     Kommunen und Kreise. Ihre Aktivitäten und somit die von
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7    Begrüßung

                                                                 Im Bereich des Divestments besitzen wir mittlerweile
                                                                 europaweit eine Vorreiterrolle. Bei allen Investitionen wird
                                                                 darauf geachtet, dass sie nachhaltigen Unternehmen
                                                                 zugute kommen. Darüber hinaus ist Münster als flächen-
                                                                 sparende Kommune ausgezeichnet worden.
                                                                 Eine beachtliche Leistung, wenn man bedenkt, dass wir
                                                                 deutschlandweit die am stärksten wachsende Stadt
                                                                 neben Leipzig sind, bezogen auf die relative Einwohner­
                                                                 anzahl. Bei der Gestaltung und Umsetzung von Stadtent-
                                                                 wicklungs- und Grünflächenkonzepten bringen wir die
                                                                 Bürgerinnen und Bürger mit ein. Wir nutzen Bürgerinnen
                                                                 und Bürger quasi als Experten, nehmen ihre Ideen auf und
                                                                 geben ihnen die Möglichkeit, ihre Angelegenheiten und
                                                                 ihr Umfeld selbst mitzugestalten. Nicht zuletzt sind die
                                                                 Herausforderungen der Aufnahme von Geflüchteten
                                                                 Bestandteil der werteorientierten und nachhaltigen
Minister Johannes Remmel und Oberbürgermeister Markus Lewe bei   Münsteraner Politik. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es,
der gemeinsamen Begrüßung.                                       sie dezentral unterzubringen und Integration vom ersten
                                                                 Tag an zu gewährleisten.

unten wachsende Nachhaltigkeit wollen wir heute beson-
ders intensiv betrachten. Münster trägt den Titel der
lebenswertesten Stadt der Welt. Das hat, denke ich, sehr         Johannes Remmel:
viel mit Nachhaltigkeit zu tun und macht die Stadt seit          In Sachen Nachhaltigkeit konnte NRW ohne Frage viel von
2004 zu einem wertvollen Austragungsort.                         seinen Kommunen lernen, so kommt zum Beispiel die
                                                                 Entwicklung Agenda 21 aus den Reihen der Kommunen.
                                                                 Nicht zuletzt aufgrund des Koalitionsvertrages haben wir
                                                                 uns entschlossen, eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie
Markus Lewe:                                                     für NRW aufzubauen, die sich auch an den 17 globalen
Lieber Minister Remmel,                                          Nachhaltigkeitszielen orientiert und Ziele für das Jahr
sehr geehrte Ministerin Schulze,                                 2030 sowie Indikatoren definiert. An dieser Stelle möchte
sehr geehrte Prof. Fuchs,                                        ich meinen Dank noch einmal an die zahlreichen Beteilig-
sehr geehrter Prof. Dr. Bachmann,                                ten richten. Die Erstellung der Strategie ist das eine, das
sehr geehrter Regierungspräsident Klenke,                        andere ist das konkrete Leben und Umsetzten. Darum
sehr geehrter Landrat a.D. Kubendorff,                           geht es jetzt. Bei einigen Themen sind wir bereits mitten
meine sehr geehrten Damen und Herren,                            im Umsetzungsprozess, beispielsweise wenn es darum
                                                                 geht, Bildung für nachhaltige Entwicklung zu implemen-
                                                                 tieren oder den Klimaschutz zu fördern. Bei anderen The-
Münster ist in der Tat eine Stadt, in der Nachhaltigkeit         men stehen wir noch am Anfang. In diesem Zusammen-
regelrecht gelebt wird. Zum einen ist es laut Aalborg-           hang freut es mich umso mehr, dass 15 NRW-Kommunen
Charta unser Auftrag, Nachhaltigkeit auch auf kommuna-           als „global nachhaltige Kommunen NRW“ Vorreiterrollen
ler Ebene zu gestalten. Zum anderen ist der nachhaltige          übernehmen und den Nachhaltigkeitsprozess aktiv mit-
Gedanke in unserer bürgerlichen Gesellschaft tief veran-         gestalten. Gerade von diesen Kommunen, unter anderem
kert. Unter Nachhaltigkeit verstehen wir auch, werteori-         gehört Münster dazu, kann das Land viel lernen.
entiert zu handeln. In den 1990er-Jahren wurde die lokale
Agenda Münster gegründet. Sie beschäftigt sich mit der           Um Ihnen die Größe der Herausforderung deutlich zu
Frage, wie wir die Zukunft für kommende Generationen             machen: Wenn man sich anschaut, welche Staaten der
lebbar machen können. Aus diesem Prozess sind viele              Erde zugleich ein gutes Wohlfahrtsniveau haben und
wichtige Impulse in ein integriertes Stadtentwicklungs-          gleichzeitig einen akzeptablen ökologischen Fußabdruck,
und Marketingkonzept eingeflossen. Das nachhaltige               dann gibt es derzeit nur einen einzigen Staate, der beide
Engagement zeigt sich auf vielen weiteren Ebenen. Es             Kriterien erfüllt: Kuba. Bitte verstehen Sie mich nicht
gibt einen jährlichen Nachhaltigkeitsbericht, es gibt die        falsch, wir sollen jetzt nicht alle so leben, wie die Men-
Agenda 21 und es gibt eine ganze Reihe von Veranstaltun-         schen in Kuba. Aber ein paar Ableitungen sind vielleicht
gen. Wir sind Fairtrade-Town 2011, spielen in puncto Kli-        sinnvoll, denn Kuba besitzt hohe Gesundheits- und Bil-
maschutz ganz vorne mit, haben mehrfach den European             dungsstandards bei geringem Ressourcenverbrauch.
Energy Award gewonnen.                                           ­Insbesondere mit Blick auf Demokratie, Freiheit und
NRW-Nachhaltigkeitstagung Heute Handeln! - Umsetzung der NRW-Nachhaltigkeitsstrategie 29. September 2016 in Münster - #nachhaltigesNRW ...
8    Begrüßung

Wohlstand können wir es jedoch besser machen. Die
Untersuchung macht aber deutlich, welche Aufgaben
noch vor uns liegen, um in die Zone der nachhaltigen
Gesellschaften zu kommen.

Markus Lewe:
Gehen wir wieder zurück über den Atlantik nach NRW und
nach Münster. Was stellen wir hier verstärkt fest? Es
macht Menschen zunehmend Spaß, bescheidener zu
leben. Unser Problem ist, dass wir Wert und Geld oft in
Einklang miteinander bringen, obwohl zwischen den
Begriffen ein himmelweiter Unterschied besteht. Nicht
zuletzt aufgrund dieser Wahrnehmung organisieren wir in
Münster einen Zukunftsprozess, der das voraussichtliche
Leben in den nächsten Jahren betrachtet. Für den
­Prozess spielen unter anderem auch der Masterplan
 „100 Prozent Klimaschutz 2050“ und unsere nachhaltige
 Forstwirtschaft eine Rolle. Zudem haben wir eins der        Johannes Remmel:
 ambitioniertesten Radverkehrskonzepte Europas auf­          Die hohe Münsteraner Ehrenamtsquote sticht besonders
 gebaut. Der Fahrradverkehrsanteil nimmt 40 Prozent          heraus. Für NRW sprechen wir von einer durchschnittli-
 des Verkehrsmixes ein, an den 50 Prozent arbeiten wir       chen Quote von 25 Prozent. Damit sind wir bundesweit
 momentan. Zudem ist in Zusammenarbeit mit der Region        immer noch spitze und gelten als Land des Ehrenamtes.
 der Bau von 13 neuen Velo-Routen geplant. Aber auch das     Ohne die ehrenamtlich tätigen Menschen würde hier,
 ist machbar. Was Neulinge in Münster angeht, komme ich      denke ich, sehr wenig funktionieren. Bleiben wir bei den
 auf das Flüchtlingsthema zurück. Wir arbeiten mit vielen    Menschen: Im Vorfeld dieser Tagung haben wir eine
 Organisationen und Stiftungen zusammen, unterstützen        Umfrage zum Thema Nachhaltigkeit gemacht, die Ergeb-
 unter anderem das Projekt „Angekommen in deiner Stadt       nisse sind sehr interessant. 62 Prozent der Befragten hal-
 Münster“. In dessen Rahmen wird jungen zugewanderten        ten es für sehr wichtig, dass globale Nachhaltigkeitsziele
 Menschen geholfen, hier ein Zuhause zu finden.              auch auf Landesebene berücksichtigt werden, 33 Prozent
                                                             halten es zumindest für wichtig. Es besteht somit eine
Und ich möchte noch einmal verdeutlichen: Eine stark         große Zustimmung zum Thema Nachhaltigkeit im Allge-
wachsende Stadt braucht intelligente Baulandkonzepte.        meinen. Die Umfrage liefert zudem Daten zur Bedeutung
Das heißt, es muss bezahlbarer, barrierefreier Wohnraum      konkreter Schutzgüter. Sehr wichtig für die Befragten
geschaffen werden. Dafür folgen wir einer besonderen         sind Wasser, Luft, aber auch Energie und Klimaschutz.
Strategie und gehen, wenn wir städtische Immobilien          Eine hohe Verbreitung in den Medien verzeichnet regel-
oder Grundstücke zur Verfügung stellen, nicht auf das        mäßig die Frage nach einem Ausstieg aus der Braunkoh-
höchste Gebot, sondern auf den niedrigsten Mietvor-          leförderung. 71 Prozent der Menschen in NRW halten die-
schlag ein. Zudem ist es eine wichtige Herausforderung,      sen für sehr wichtig oder wichtig.
die sieben Grünfinger der Stadt zu erhalten. Nur so wah-
ren wir die hohe städtebauliche Qualität. Wer nur darauf     Auffällig ist, dass die Befragten im Gegenzug vergleichs-
aus ist, viel Fläche in Geld umzuwandeln, übersieht einen    weise weniger bereit sind, sich im eigenen Leben für die
wichtigen Punkt: Wenn keine Orte der Begegnung von           Erreichung der Nachhaltigkeitsziele einzusetzen. Auf eine
Menschen entstehen, wie Plätze, Cafés, Kitas und Parks,      Flugreise würden nur ungefähr 20 Prozent verzichten. Als
dann werden diese Menschen sich auch nicht organisie-        wichtigstes Merkmal für ein persönliches nachhaltiges
ren. In Münster haben wir diese Orte der Begegnung und       Handeln wird der Verzicht auf die Plastiktüte angesehen.
können auf eine Ehrenamtsquote von 44 Prozent bauen.         Da fallen die Erwartungen der Menschen an die Allge-
Diese stellt auch ein Stück von werteorientierter Nachhal-   meinheit und die eigene Einsatzbereitschaft etwas ausei-
tigkeit dar.                                                 nander. Bemerkenswert ist, dass Münsteraner sich im
                                                             Landesvergleich in besonderem Maß der Nachhaltigkeit
Sie sehen, ich sprudle vor Begeisterung. Letztlich kann      verpflichtet fühlen. Für 88 Prozent der Einheimischen
man festhalten: Kleinteilig zu planen ist viel besser, als   spielt Nachhaltigkeit eine Rolle im persönlichen Alltag, im
große Projekte umzusetzen, die im Nachhinein von den         Landesdurchschnitt sind es 78 Prozent. Herr Lewe, Müns-
Bürgerinnen und Bürgern nicht angenommen werden.             ter scheint so etwas wie eine Nachhaltigkeitsregion zu
                                                             sein.
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9    Begrüßung

Markus Lewe:                                                   Johannes Remmel:
Das ist in der Tat so. Ich kann nur alle einladen, sich ein-   Die Beispiele beweisen, dass Kommunen ganz wesentlich
mal von unseren regionalen Köstlichkeiten zu überzeu-          bei der Durchsetzung der großen nachhaltigen Transfor-
gen. Heutzutage braucht man keine langen Lieferketten.         mation in unserer Gesellschaft sind. Wir wissen alle, dass
Wir produzieren in Münster und Umgebung Milchpro-              die Zeitläufe, beispielsweise um die Klimaziele zu errei-
dukte, haben mehrere Käsereien, Kaffeeröstereien, eine         chen, sehr knapp sind.
Brauerei, die mit der Verwertung von Biolandgetreide
begonnen hat und damals belächelt wurde. Ich finde,            Es geht um Verantwortung, es geht aber auch um
nichts schmeckt besser als die unmittelbare Region. Wir        Beschleunigung, wenn wir diese Ziele erreichen wollen.
haben tolles Brot, tolles Gemüse, einen Wochenmarkt, bei       Das werden wir nur im internationalen Kontext schaffen.
dem viele Verkäufer zugleich auch Produzenten sind. Man        Wir müssen über die nationalen Grenzen hinaus europäi-
kann Nachhaltigkeit bei uns somit im wahrsten Sinne des        sche und international denken, um nachhaltige Lösungen
Wortes schmecken.                                              auch unter Gerechtigkeitsaspekten implementieren zu
                                                               können.

                                                               Leider stehen wir gerade hier vor Herausforderungen. Bei
                                                               den Tagungen des Wuppertal Instituts und der Feier zum
                                                               15-jährigen Bestehen unserer Stiftung „Umwelt und Ent-
                                                               wicklung“ vor wenigen Tagen hat mich der Vortrag von
                                                               Professor Messner sehr beeindruckt. Er hat ausführlich
                                                               dargelegt, dass wir für alle Transformationsaufgaben auf
                                                               dem Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft im Grunde
                                                               sämtliche notwendigen gesellschaftlichen, wirtschaftli-
                                                               chen und technologischen Techniken besitzen. Zeitgleich
                                                               macht sich eine Art Gegentransformation breit. Es gibt
                                                               Menschen und Nationen, die sich abschotten wollen und
                                                               die offene Gesellschaft in Frage stellen. Insofern befinden
                                                               wir uns in gewissem Maße an einem entscheidenden
                                                               Punkt, an dem es darum geht, die richtige Richtung einzu-
                                                               schlagen. Ich freue mich, dass wir heute genau daran
                                                               arbeiten.
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Grußwort                                                     schung, so Nelles, sei der interdisziplinäre Austausch. Nur
                                                             so könne der Begriff „Nachhaltigkeit“ definiert werden – für
                                                             die Juristin eine Grundvoraussetzung für den Erfolg nach-
                                                             haltiger Entwicklung. „Was nicht eindeutig definiert ist, kann
                                                             den Schmerz der Grenze nicht verursachen“, beschrieb Nel-
Prof. Dr. Ursula Nelles, Rektorin der Westfälischen          les die Forschungsaufgabe, Nachhaltigkeit als Instrument
­Wilhelms-Universität Münster                                präzise zu fassen. Zurzeit sei „Nachhaltigkeit“ – ähnlich wie
                                                             die „Digitalisierung“ – ein vielfach noch „schillernder
„Nachhaltigkeit braucht Nachhaltigkeitsforschung“,           Begriff“, den jeder mit unterschiedlichen Vorstellungen ver-
erklärte Professorin Dr. Ursula Nelles an ihrem vorletzten   binde. Dabei bestehe nur ein Minimalkonsens, „dass wir die
Diensttag als Rektorin der Westfälischen Wilhelms-­          Sache voranbringen müssen“, so Nelles weiter.
Universität Münster (WWU). Sie freute sich, dass der
Universitätssitz Münster bewusst als Veranstaltungsort       Nachhaltigkeit berühre zahlreiche ökologische und ökono-
der 5. NRW-Nachhaltigkeitstagung gewählt worden war.         mische, soziale und kulturelle Aufgabenfelder und Ziel­
Schließlich setzt die WWU bereits seit vielen Jahren         vorstellungen. Damit verbänden sich komplexe Frage­
einen erklärten Forschungsschwerpunkt auf die Themen-        stellungen, auf die es keine einfachen Antworten gebe.
felder der Nachhaltigkeit und gründete deshalb im Som-       Lösungen ließen sich durchaus im interdisziplinären Dis-
mersemester 2015 das Zentrum für Interdisziplinäre           kurs von Wissenschaft und Praxis finden und entwickeln,
Nachhaltigkeitsforschung (ZIN). Das Zentrum bündelt          müssten aber auch politisch, zwischen verschiedenen
gesellschafts-, geo-, geistes- und rechtswissenschaftli-     ­Interessengruppen, ausgehandelt werden – ein (For­
che sowie theologische Nachhaltigkeitsforschung, -lehre       schungs)-Auftrag, den Professorin Nelles den Teilneh-
und -beratung an der WWU. Darüber hinaus dient es dem         merinnen und Teilnehmern der 5. NRW-Nachhaltigkeitsta-
Land Nordrhein-Westfalen, der Stadt Münster sowie             gung mit auf den Weg gab. Dabei bemühte die Universi-
Medien und zivilgesellschaftlichen Akteuren als               tätsrektorin mit einem Augenzwinkern den Westfälischen
Ansprechpartner für Nachhaltigkeitsfragen.                    Frieden als Beispiel dafür, dass Verhandlungen, die in
                                                              Münster geführt werden, nachhaltigen Bestand haben!
Grundlegend für eine erfolgreiche Nachhaltigkeitsfor-
11

Bedeutung der globalen Nachhaltig­
keitsziele für Wissenschaft und 
Wissenschaftspolitik
Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft      Über die Rolle der Wissenschaft im Hinblick auf die globa-
und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen                 len und NRW-weiten Nachhaltigkeitsziele tauschten sich
                                                             Svenja Schulze, Ministerin für Innovation, Wissenschaft
Prof. Dr. Doris Fuchs, Sprecherin des Zentrums für           und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, und
interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung der Universität   Prof. Doris Fuchs, Sprecherin des Zentrums für interdiszi-
Münster (ZIN)                                                plinäre Nachhaltigkeitsforschung der Universität Münster,
                                                             im Anschluss an die Begrüßung durch Prof. Dr. Ursula
                                                             ­Nelles aus. Moderatorin Dr. Tanja Busse rückte dabei
Moderation:                                                   zunächst den Fokus auf die gängige Wissenschaftspolitik.
Dr. Tanja Busse, freie Journalistin                           Ministerin Schulze unterstrich, dass Nachhaltigkeit kein
                                                              starrer Begriff sei, der sich einfach definieren lasse. „In
                                                              diesem Bereich muss natürlich geforscht werden“, stellte
                                                              sie klar. Laut Schulze müssten die Hochschulen zum einen
                                                              erforschen, wie Menschen beispielsweise angesichts des
                                                              Klimawandels oder einer älter werdenden Gesellschaft
                                                              und weiterer Faktoren nachhaltig leben könnten. Eine
                                                              ­Schwierigkeit dabei bilde die meist disziplinäre Organisa-
                                                               tion der Hochschulen, so Schulze. Beim Thema Nachhal-
                                                               tigkeit und den damit einhergehenden Fragestellungen
12   Bedeutung der globalen Nachhaltig­keitsziele für Wissenschaft und Wissenschaftspolitik

müsse man jedoch interdisziplinär denken. Zum anderen
müssten Wissenschaft und Forschung, so die Ministerin
weiter, selbst mit gutem Beispiel voran gehen und sich
nachhaltig aufstellen.

Interdisziplinäre Forschungsansätze
Ministerin Schulze thematisierte darüber hinaus die For-
schungsstrategie Fortschritt NRW. Forschung für eine
nachhaltige Entwicklung beinhalte auch die Forderung
nach Veränderung, mit der sich Forschungseinrichtungen
auseinandersetzen müssten: „Der Kern ist, dass For-
schung einen Beitrag zu den großen gesellschaftlichen
Herausforderungen leisten soll.“ Antworten auf zum Teil
globale Fragestellungen wie Ressourcenknappheit und
Lebensmittelversorgung sollten aus Nordrhein-Westfalen
heraus gegeben werden. Dieser Prozess müsse stärker
inter- sowie transdisziplinärer gestaltet werden, auch der   Prof. Dr. Doris Fuchs von der Universität Münster.
­Sachverstand aus der Praxis sei in der Nachhaltigkeits-
 forschung gefragt. Während die Forschungsstrategie
 Fortschritt NRW mit den Hochschulen Nordrhein-­
 West­falens einvernehmlich diskutiert worden sei, habe      Angesprochen auf ihren Aufsatz über die Machtfrage in
 sie deutschlandweit durchaus Wirbel ausgelöst. „Aber        Bezug auf Nachhaltigkeit, stellte Prof. Doris Fuchs klar,
 das ist gut so“, sagte Schulze, „denn Wissenschaft lebt     dass sie keine grundlegende Antwort geben könne. Fest
 von Kontroversen und Auseinandersetzungen.“                 stehe für sie, dass Machtmechanismen unser heutiges
                                                             politisches und wissenschaftliches Umfeld bestimmten.
„Wie kann man die großen Zukunftsfragen ins Zentrum          In der Politik finde ein Wettbewerb statt, der in die Wis-
der universitären Forschung rücken und dabei veraltete       senschaft mit einfließe und umgekehrt. In diesem Rah-
Verhaltensmuster überwinden?“ Mit dieser Frage wandte        men müsse klar definiert werden, was ein Problem, was
sich Moderatorin Dr. Tanja Busse an Prof. Doris Fuchs,       eine Lösung und was eine nachhaltige Lösung sei. „Pro­
die die unterschiedlichen Aufgaben der inter- und trans-     blematisch wird es, wenn man erkennt, wie die Politik von
disziplinären Forschung und der disziplinären Grundla-       der Wirtschaft und den Medien beeinflusst wird, wie auch
genforschung erläuterte. Die Forschung zur nachhaltigen      die Wissenschaft ökonomisiert wird und sich nicht immer
Entwicklung benötige die finanzielle sowie die diskursive    neutral verhalten kann“, beschrieb die Wissenschaftlerin
Unterstützung durch die Akteure der Politik und der Lan-     wichtige Herausforderungen für die Demokratie und
desregierung. Dr. Tanja Busse verwies darauf, dass es        ­Wissenschaft – ganz besonders mit Blick auf die Nach­
nicht nur Grundlagenforscher und angewandte Nachhal-          haltigkeit.
tigkeitsforscher gebe. Viele Universitäten bestritten ihre
Forschung aus Drittmitteln, zum Teil im Auftrag von Wirt-    Partizipation als Forschungsmodus
schaftsunternehmen, die nicht immer in Richtung der          Von den Aufgaben der Nachhaltigkeitsforschung führte
Nachhaltigkeit handelten. „Wie können Ihr Zentrum, aber      Moderatorin Dr. Tanja Busse das Gespräch zur Frage der
auch die Wissenschaftspolitik hier ansetzen und versu-       wissenschaftlichen Partizipation und Kooperation. NRW-
chen, die Forschung in eine andere Richtung zu lenken?“,     Wissenschaftsministerin Svenja Schulze unterstrich die
fragte Busse. „Grundsätzlich müssen wir als Wissen-          Notwendigkeit, hier deutliche Akzente zu setzen: „Wir
schaftler erst einmal über unser Verständnis von Nach-       sind das erste Bundesland, das in der Doktorandenausbil-
haltigkeit diskutieren“, antwortete Fuchs. Gerade an gro-    dung interdisziplinär vorgeht.“ Es seien Fortschrittskol-
ßen Universitäten wie Münster mit vielen verschiedenen       legs geschaffen worden, die über Fachgrenzen hinweg
Fachbereichen träfen viele verschiedene Meinungen zur        arbeiten. „Eine Bedingung dieser Kollegs ist, dass schon
Bedeutung von Nachhaltigkeit aufeinander.                    die Forschungsfragen gemeinsam mit Praxispartnern
                                                             ­formuliert und die Forschungsaktivitätenvon Praxispart-
                                                              nern begleitet werden“, so die Ministerin. Dies sei ein
                                                              wichtiger Prozess, bei dem Praxispartner wertvolle Infor-
                                                              mationen einbringen könnten. So ergäben sich laut
                                                              Schulze ­völlig neue Fragestellungen. Ihr Credo: „Wir brau-
                                                              chen Partizipation – für Wissenschaftler gehört sie aber
                                                              noch nicht zum ­Alltag.“
13     Bedeutung der globalen Nachhaltig­keitsziele für Wissenschaft und Wissenschaftspolitik

                                                               Wie weit das Thema Partizipation in die Universitäten vor-
                                                               gedrungen ist, erläuterte Prof. Doris Fuchs. Die Entwick-
                                                               lung sei je nach Forschungsfeld unterschiedlich stark vor-
                                                               angeschritten. Im Bereich Nachhaltigkeit sei bereits eine
                                                               intensive Zusammenarbeit mit Praxispartnern vorhan-
                                                               den. „Wichtig ist es, die Partner umfassend in das
                                                               gesamte Projekt einzubinden“, machte Fuchs deutlich
                                                               und sagte gleichzeitig, dass dies nicht nur eine Herausfor-
                                                               derung für die Wissenschaft, sondern auch für die Praxis
                                                               darstelle. Für universitäre Forschungsprojekte müssten in
                                                               den Unternehmen Kapazitäten zur Verfügung stehen.
                                                               Grundsätzlich sei die Wissenschaft stark an einem Aus-
                                                               tausch mit der Zivilgesellschaft interessiert, man müsse,
                                                               so Fuchs, allerdings ständig hinterfragen, welche Zivilge-
                                                               sellschaft genau erreicht werde.

Wissenschaftsministerin Svenja Schulze im Gespräch.            Internationaler Austausch
                                                               Zum Abschluss des Gesprächs ging Moderatorin Dr.
                                                               Tanja Busse auf die globalen Nachhaltigkeitsziele – die
                                                               sogenannten Sustainable Development Goals (SDG) –
                                                               ein. Viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen befassten
                                                               sich bereits mit den SDGs, obwohl sie sich zeitgleich mit
                                                               zahlreichen weiteren Aufgaben konfrontiert sähen. Der
                                                               internationale Blick, so Ministerin Schulze, sei auch für
                                                               die Wissenschaft unabdingbar. Forschung dürfe heute
                                                               nicht mehr in Ländergrenzen gedacht werden, der inter-
                                                               nationale Austausch sei notwendig. Mit Einrichtungen wie
                                                               dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik oder auch
                                                               dem NRW-Fortschrittskolleg Wasser habe sich Nord-
                                                               rhein-Westfalen in globaler Perspektive bereits sehr gut
                                                               aufgestellt. „Was sind Besonderheiten, die wir in Deutsch-
                                                               land haben? Auf was müssen wir achten? Und was müs-
                                                               sen wir berücksichtigen im internationalen Vergleich?“,
                                                               stellte Schulze die zentralen Fragestellungen der Wissen-
                                                               schaft im Hinblick auf globale Nachhaltigkeitsziele dar.
14

Umsetzung der globalen
­Nachhaltigkeitsziele auf Bundes- 
 und EU-Ebene

Prof. Dr. Günther Bachmann, Generalsekretär   Die Agenda 2030 und die SDGs stellen neue Anforderun-
des Rates für Nachhaltige Entwicklung         gen an Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Gerade auch
                                              die Staaten Europas sind gefordert, die weltweiten Nach-
                                              haltigkeitsziele beispielgebend umzusetzen. Nicht zuletzt
                                              gehöre Deutschland zu den zentralen Akteuren der
                                              ­Strategieentwicklung. Was aber bedeuten die SDGs
                                               für Deutschland? Und wie kann Deutschland die interna­
                                               tionalen Entwicklungsziele voranbringen? Professor
                                               Dr. Günther Bachmann, Generalsekretär des Rates für
                                               Nachhaltige Entwicklung, erörterte im Gespräch mit
                                               ­Moderatorin Dr. Tanja Busse die Aufgaben deutscher
                                                Nachhaltigkeitspolitik und warum die europäische Nach-
                                                haltigkeits-Governance auf den Prüfstand gestellt werden
                                                müsse.
15   Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele auf Bundes- und EU-Ebene

„Wir haben eine aktive Rolle bei der Ausarbeitung der
SDGs gespielt. Deswegen sind das unsere Ziele, nicht
allein die der UN. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass
diese Ziele auch auf nationaler Ebene eine Rolle spielen.
Die Idee ist einfach: globale Ziele, aber nationale Umset-
zung“, erklärte Bachmann und freute sich, dass mit den
SDGs nun globale, für 193 Länder der Welt verbindliche
Zielvorgaben zur nachhaltigen Entwicklung formuliert
worden sind. Auch wenn die globalen Ziele notwendiger-
weise Kompromisse seien, die unter den beteiligten Staa-
ten ausgehandelt wurden, habe sich die Politik weltweit
über Legislaturperioden hinaus auf diese verpflichtet.

Insbesondere begrüßte Bachmann die Tatsache, dass
viele Zielvorgaben konkret formuliert wurden. So solle
beispielsweise die Lebensmittelverschwendung bis 2030
halbiert werden. Positiv wertete er auch, dass endlich ein-   Erläuterte die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele auf Bundesebene:
mal Rechtsstaatlichkeit, Frieden und Zusammenarbeit als       Prof. Dr. Günther Bachmann.
Ziel formuliert und gesetzt wurden. Nachhaltigkeit dürfe
nicht allein von der „Klimaseite“ aus betrachtet werden,
sondern als eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung.         zung mit Nachhaltigkeit zu. Auch hier müsse sich die
„Wir wollen in der Nachhaltigkeitsstrategie Deutschlands      offene Gesellschaft positionieren.
für jedes dieser Ziele Beiträge darstellen und müssen uns
dafür jetzt erstmalig mit Themen wie Armut in Deutsch-        Abschließend stellte Moderatorin Dr. Tanja Busse zur
land auseinandersetzen. Das hatten wir bisher nicht drin.     ­Diskussion, ob jedes Bundesland, insbesondere auch
Wir werden auch einen Indikator festlegen für die Waffen-      Nordrhein-Westfalen – so wie die Bundesregierung –
exporte, konkret für Handfeuerwaffen“, nannte Bach-            einen Rat für Nachhaltige Entwicklung brauche. Bach-
mann Aufgaben, mit denen sich künftig alle politischen         mann plädierte vielmehr für eine „Brücke zur Gesell-
Ressorts auseinandersetzen müssten.                            schaft“. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung beschränke
                                                               sich deshalb nicht allein auf die Beratung der Regierung,
Mit Blick auf die öffentliche Diskussion um den Klima-         sondern biete beispielsweise mit dem Nachhaltigkeits-
schutzplan stellte Moderatorin Dr. Tanja Busse die Frage       Kodex auch Hochschulen und Unternehmen ein Instru-
nach konkreten Zielvorgaben durch die Nachhaltigkeits-         ment, ihr Nachhaltigkeitsengagement transparent, ver-
strategie Deutschlands: „Werden da klare Ziele für jeden       gleichbar und damit auch anschaulich für Investoren und
Indikator drin stehen?“ Bachmann zeigte sich optimis-          Konsumenten darzulegen. Die Transformation zur Nach-
tisch, betonte aber, dass eine Nachhaltigkeitsstrategie        haltigkeit müsse sich auch stärker mit der Lebenswelt der
auch Handlungsfelder beschreiben müsse, für die es bis-        Menschen und der Praxis in Unternehmen verbinden.
lang noch keine Zielvorgaben, aber mögliche Prüfaufträge
gebe. So sei die Datenlage zur Lebensmittelverschwen-
dung in Deutschland nicht ausreichend, um eine konkrete
Zielvorgabe zu formulieren. „Daran wird man noch weiter
arbeiten müssen“, betonte Bachmann.

Ein wichtiges Arbeitsfeld, so der Experte, sei die Nachhal-
tigkeits-Governance. Bachmann forderte hier gezielte
Veränderungen in den Institutionen. In vielen Ressorts
der Bundesregierung habe man Nachhaltigkeit noch nicht
als politischen Handlungsauftrag erkannt, sondern sehe
diese eher als „Hobby“. Für eine nachhaltige Entwicklung
müssten Ressourcen freigegeben, Strukturen geschaffen
und veraltete Denkweisen auf den Prüfstand gestellt wer-
den, verlangte Bachmann und kritisierte in diesem
Zusammenhang insbesondere die Wachstumsstrategie
Europa 2020. „Nachhaltigkeit passt zurzeit nicht in die
europäische Lage“, monierte Bachmann. Eine „Rhetorik
der Angst“, geprägt von Themen wie dem Flüchtlingszu-
zug und der Abwehrhaltung der Visegrad-Staaten oder
der EZB-Niedrigzinspolitik, lasse keine Auseinanderset-
16

Podiumsdiskussion:
Land und Kommunen gemeinsam für
nachhaltige Entwicklung in NRW
Teilnehmer:                                               Global, national, kommunal: Die Agenda 2030 und die
Ulrich Sierau, Oberbürgermeister der Stadt Dortmund       SDGs der Vereinten Nationen setzen einen Handlungs-
Thomas Kubendorff, Landrat a.D. des Kreises Steinfurt     rahmen für die Transformation zur nachhaltigen Entwick-
Matthias Peck, Beigeordneter für Wohnungsversorgung,      lung. Doch die vertikale Integration der Ziele – von der
Immobilien und Nachhaltigkeit der Stadt Münster           globalen auf die nationale und von der nationalen auf die
Simone Raskob, Beigeordnete für Umwelt und Bauen der      kommunale Ebene – ist eine Herausforderung. Das zeigen
Stadt Essen, Grüne Hauptstadt Europas 2017                insbesondere die Best Practices nachhaltig engagierter
Rolf Holub, Landesrat für Umwelt, Energie, Nachhaltig-    Kommunen, die im Fokus der Podiumsdiskussion standen.
keit und öffentlichen Verkehr, Land Kärnten, Österreich   Unter der Moderation von Dr. Klaus Reuter, Geschäfts­
Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt,        führer Landesarbeitsgemeinschaft Agenda 21 NRW
Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des          (LAG 21), erörterten NRW-Umweltminister Johannes
­Landes Nordrhein-Westfalen                               Remmel, Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau,
                                                          die Beigeordneten Simone Raskob aus Essen und
                                                          ­Matthias Peck aus Münster sowie Landrat a.D. Thomas
Moderation:                                                Kubendorff aus dem Kreis Steinfurt die Aufgaben einer
Dr. Klaus Reuter, Geschäftsführer Landesarbeitsge-         nachhaltigen Stadt- beziehungsweise Kommunalentwick-
meinschaft Agenda 21 NRW                                   lung. Rolf Holub, Landesrat für Umwelt, Energie, Nachhal-
                                                           tigkeit und öffentlichen Verkehr im österreichischen Land
                                                           Kärnten, gab dazu einen Einblick in Nachhaltigkeitspro-
                                                           zesse im europäischen Ausland und beschrieb gleich zum
17   Podiumsdiskussion

Einstieg seine Erfahrungen mit der nachhaltigen Entwick-      Land habe von den Kommunen gelernt und setze mit der
lung seiner Heimat.                                           Nachhaltigkeitsstrategie für Nordrhein-Westfalen die Ini-
                                                              tiativen aus den Kommunen und der Zivilgesellschaft fort:
Im Dialog mit den Menschen                                    „Partizipationsprozesse, wie wir sie im Hinblick auf Klima-
In puncto Nachhaltigkeit, so Holub, stehe jede Kommune        schutz und Nachhaltigkeit umgesetzt haben, gab es in
vor ähnlichen Problemen wie der „Rest der Welt“. Doch         Nordrhein-Westfalen bislang noch nicht. Unsere Prozesse
habe jede Region auch ihre spezifischen Stärken und           waren durchaus mit Fehlern behaftet, aber insgesamt
Besonderheiten. Das österreichische Bundesland Kärn-          haben wir eine erfolgreiche Strecke absolviert.“ Jetzt
ten zum Beispiel liege bei der Erzeugung und Nutzung          müsse die große Transformation zur Nachhaltigkeit auf
Erneuerbarer Energien mit einem Anteil von 55 Prozent         einer breiten Basis implementiert werden.
weit vorne. Dennoch sei das Bewusstsein der Kärntener
Bevölkerung in Sachen Nachhaltigkeit etwas „retro“, was       Akzeptanz durch Partizipation
mit der ländlichen Struktur zusammenhängen könne.             Dabei komme den Kommunen eine Schlüsselrolle zu.
Nachhaltige Ziele und Aktionen hätten einen verstärkten       Durch ihre Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern könn-
Erklärungsbedarf. In diesem Rahmen wurden beispiels-          ten vor allem sie eine nachhaltige Entwicklung vorantrei-
weise Masterpläne für die Bereiche Klima, Mobilität oder      ben. Moderator Dr. Klaus Reuter leitete die Diskussion
Energie im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern             über zu den Kommunen, die im Dialogforum „Chefsache
erstellt. „Wenn man den Bedürfnissen der Menschen             Nachhaltigkeit“ landesweit ihre Erfahrungen und „lessons
­Aufmerksamkeit schenkt, dann weiß man, was sie wirk-         to learn“ austauschen. Ulrich Sierau, Oberbürgermeister
 lich brauchen“, machte Ralf Holub seine Überzeugung          der Stadt Dortmund, beschrieb den Weg, den die West­
 deutlich. Partizipation müsse von unten aus gedacht          falenmetropole zur nachhaltigen Transformation ein­
 ­werden.                                                     geschlagen hat. Impulse für die nachhaltige Stadtent-
                                                              wicklung – die nicht nur ökologische, sondern auch
Im Austausch mit den Kommunen                                 ökonomische und soziale Fragen berücksichtigt – gaben
Mit NRW-Umweltminister Johannes Remmel blickte                laut Sierau nach dem Rioprozess unter anderem die
Moderator Dr. Klaus Reuter auf den Koalitionsvertrag, der     UN-Konferenz Habitat II in Istanbul und speziell im Ruhr-
unter anderem die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstra-      gebiet die Internationale Bauausstellung Emscher Park
tegie für Nordrhein-Westfalen vorsah. „Was waren vor          IBA. Auch die Landesregierung habe den Kommunen
vier beziehungsweise fünf Jahren Ihre Gedanken im             Ideen und Leitlinien an die Hand gegeben. „Das hieß
Bezug auf die Nachhaltigkeitsstrategie und mit welchen        damals nur noch nicht Nachhaltigkeitsstrategie“, meinte
neuen Herausforderungen sehen Sie sich nun konfron-           Sierau. Dortmunds Transformation zur Nachhaltigkeit
tiert?“, lautete die Frage. Remmel erklärte, dass die Stra-   startete 1992 mit einem Ratsbeschluss, einem weltweiten
tegie ein großes Dach über Fragen der sozialen, ökologi-      Klimabündnis beizutreten. Es folgten weitere Beschlüsse
schen und ökonomischen Nachhaltigkeit bilde. Dabei            und politische Konzepte zur Flächen- und Standortent-
habe das Thema Klimaschutz am Anfang gestanden, erst          wicklung, welche die Basis zur nachhaltigen Entwicklung
danach sei die Nachhaltigkeitsstrategie für Nordrhein-        der Zukunft legten. Integrierte Stadtentwicklungskon-
Westfalen entwickelt worden. Diese Vorgehensweise sei         zepte und Masterpläne erschließen heute Synergien zwi-
unter anderem der besonderen Situation Nordrhein-             schen ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielen.
Westfalens als Industrieland mit einer Tradition von 150      Inzwischen ist die Stadt mehrfach prämiert, beispiels-
Jahren geschuldet. Industrielle Wertschöpfung war über        weise für fairen Handel oder mit dem Deutschen Nachhal-
diese Zeit hinweg immer an die Nutzung fossiler Grund-        tigkeitspreis 2014. Nachhaltigkeit in Dortmund, so Sierau,
stoffe gekoppelt. „Unsere Industrie hat immer davon           basiere auf einem breiten Partizipationsprozess. Der
gelebt, billige Energie fossil zu beziehen“, so Remmel.       Strukturwandel vom Industrie- zum Kultur- und Wissens-
Eine Entkopplung der beiden Faktoren und somit eine           standort sei für die Stadt beispielsweise auch Verpflich-
­fossilarme oder sogar fossilfreie Energie sei, betonte       tung, Hochschulen und Studierende gezielt in die nach-
 der Minister, die größte Transformationsaufgabe und          haltige Transformation einzubinden. Dieses Vorgehen
 zugleich eine wichtige Grundlage, um die Nachhaltigkeit      schaffe Transparenz und führe zu einer hohen Akzeptanz.
 in NRW auf feste Füße zu stellen. Dass die Transforma-       „In unserer Stadt gibt es einen hohen Konsens, wo wir
 tion mit dem Klimaschutz ihren Anfang nahm, sei als pro-     sind und wo wir hinwollen“, erklärte Sierau und betonte:
 blemorientierte Handlungsweise zu verstehen. Zudem           „Nachhaltigkeit ist der Weg zur Problemlösung. Das weiß
 machte Remmel deutlich, dass Nordrhein-Westfalen mit         man seit mehr als 40 Jahren.“ Damals habe die Nord-
 seiner Nachhaltigkeitsstrategie insbesondere auch auf        Süd-Kommission schon die Migrationsbewegungen der
 die Nachhaltigkeitsprozesse in den Kommunen einzahle.        heutigen Zeit prognostiziert, warnte Sierau vor Egoismen
 Viele Städte, Gemeinden und Landkreise in NRW hätten         und Partikularinteressen auf europäischer Ebene, die der
 mit vorbildlichen Initiativen zu Klimaschutz und Klimaan-    Transformation zur Nachhaltigkeit nicht länger entgegen
 passung, Flächenverbrauch, demografischem Wandel             stehen dürften.
 und anderen Zukunftsthemen vorgemacht, wie nachhal-
 tige Entwicklung lebendig gestaltet werden könne. Das
18    Podiumsdiskussion

Simone Raskop, Thomas Kubendorff und Ulrich Sierau im Gespräch.

Von der Kommune in die Region                                     Lernprozesse anstoßen
Auf dem Weg zur Nachhaltigkeit müssten Widerstände                Über den Lernprozess zur Nachhaltigkeit diskutierte
überwunden, Bausteine geräumt und Meilensteine                    Moderator Dr. Klaus Reuter anschließend mit Thomas
gesetzt werden, resümierte Moderator Dr. Klaus Reuter             Kubendorff, der als ehemaliger Landrat im Landkreis
und gab das Wort weiter an Simone Raskop. Die Beige-              Steinfurt zu den Vorreitern einer nachhaltigen Entwick-
ordnete für Umwelt und Bauen der Stadt Essen beschrieb            lung in ländlichen Regionen zählt. Der Kreis Steinfurt
die Ideen und Ziele, die mit der Bewerbung und Auszeich-          engagiert sich bereits seit 1997 für Klimaschutz und
nung als „Grüne Hauptstadt Europas 2017“ verbunden                Nachhaltigkeit. Fundierte Erfahrungen aus über 200 Pro-
sind. Bereits im Jahr der Kulturhauptstadt RUHR.2010              jekten, eine gute Datenlage und funktionierende Netz-
hätten die Städte Dortmund, Bochum und Essen mit                  werkstrukturen sind das Ergebnis einer langjährigen
Unterstützung des Wuppertal Instituts eine gemeinsame             Nachhaltigkeitsbewegung, in die sich insbesondere auch
Metropolbewerbung geplant. Diese sei jedoch von den               kleinere Gemeinden mit weniger als 7.000 Einwohnern
Juristen der Europäischen Kommission abgelehnt wor-               eingebunden haben. „Man braucht einen langen Atem
den. „Das war ein Tiefschlag für uns alle. Aber wir haben         und darf sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen“,
dann entschieden, uns als Stadt wieder stellvertretend für        erinnerte sich Kubendorff an frühere Zeiten. Als der Kreis
die Region zu bewerben. Dazu gab es einen parteiüber-             Steinfurt vor mehr als zehn Jahren das Ziel „energieaut-
greifenden Konsens im Stadtrat“, erklärte Raskop. Das             ark 2050“ formulierte, hätte noch niemand daran
Jahr der Grünen Hauptstadt soll die Idee der Kulturmet-           geglaubt, dass sich inzwischen alle Kreiskommunen mit
ropole RUHR.2010 weiterführen und nachhaltig ausge-               einem detaillierten Klimaschutzplan auszeichnen. Wichtig
stalten. Die Themen und Aufgaben skizziert der 1. Nach-           bei der Implementierung nachhaltiger Prozesse sei die
haltigkeitsbericht für die Metropole Ruhr, den der                Bildung von Netzwerken gewesen. So habe der Kreis
Regionalverband Ruhr (RVR) im Januar 2017 herausge-               Steinfurt gemeinsam mit den Kirchen das Thema Suffizi-
ben wird: „Daran arbeiten jetzt alle Umweltdezernenten            enz diskutiert und ein Modellprojekt umgesetzt, bei dem
der Städte zusammen mit dem RVR. Das zeigt, dass die-             20 Familien ein Jahr lang suffizient lebten. Ebenso wür-
ses Thema in einem langjährigen Prozess qualitativ gesi-          den Themen wie die „Eine Welt“ über langjährige Lernpro-
chert, in der Region verankert und keine Eintagsfliege ist,       zesse aufgebaut. „Man muss den Menschen erst einmal
die nach 2017 wieder in der Schublade verschwindet“,              erklären, was Nachhaltigkeit wirklich ist. Dann werden sie
betonte Raskop. Das Jahr der Grünen Hauptstadt werde              Nachhaltigkeit auch wollen,“ zeigte sich Kubendorff über-
eine Dekade der Nachhaltigkeit einläuten. Passend dazu            zeugt. Nach der öffentlichen Akzeptanz könne die Umset-
habe die KlimaExpo.NRW 2017 im Ruhrgebiet Zwischen-               zung beginnen. Die Kommunen bräuchten dafür aber
präsentation. 2020 setze der Emscher-Umbau den                    auch die Unterstützung durch Bund und Land, wie sie
nächsten Meilenstein. Und 2027 habe die Metropole Ruhr            zurzeit erfolgreich beispielsweise beim Projekt „Haus im
große Chancen, die Internationale Gartenausstellung               Glück“ zur nachhaltigen Quartiersentwicklung durch ein
(IGA) zu präsentieren. Nicht zuletzt zeige auch der Inno-         Bundesprogramm geleistet werden. Kubendorff mahnte
vationCity roll out, dass von einer Kommune – hier                an, dass Nachhaltigkeit in den Kommunen zurzeit eine
Bottrop – ausgehend nachhaltige und dauerhaft wirkende            freiwillige Aufgabe sei und Investitionen in die nachhaltige
Prozesse in der gesamten Region angestoßen werden                 Entwicklung deshalb bei anstehenden Haushaltsplanbe-
können.                                                           ratungen als Einsparpotenzial oft dem Rotststift geopfert
                                                                  würden.
19   Podiumsdiskussion

Ziele vor Ort übersetzen                                      Den Austausch fördern
Notwendige Sparziele und Investitionen in Nachhaltigkeit      Die anschließende Podiumsdiskussion zwischen den
stellen einen von vielen Zielkonflikten dar, mit denen sich   Kommunalvertretern und NRW-Umweltminister
eine Kommune auseinandersetzen muss. Moderator                ­Johannes Remmel rückte die gemeinsamen Aufgaben
Dr. Klaus Reuter führte die Diskussion weiter nach Müns-       nachhaltigen Handelns auf Landes- und Kommunalebene
ter, das sich als Gastgeber der NRW-Nachhaltigkeitskon-        und wechselseitige Lernprozesse sowie angespannte
ferenz insbesondere durch Projekte zur nachhaltigen            Haushaltslagen und mögliche Förder- oder Anreizmodelle
Stadtentwicklung auszeichnet. Welche Ziele verfolgt eine       in den Blickpunkt.
Stadt, die bereits nachhaltig wirkt? Matthias Peck, seit
einem Jahr Beigeordneter für Wohnungsversorgung,              NRW-Umweltminister Johannes Remmel hob noch ein-
Immobilien und Nachhaltigkeit der Stadt Münster, stand        mal die besondere Bedeutung der Agenda 2030 und der
dazu Rede und Antwort: „Im Landesumweltministerium            globalen SDGs hervor, die er in ihrer historischen Dimen-
habe ich mich lange und intensiv mit dem Thema Flä-           sion mit der Deklaration der Menschenrechte verglich.
chenverbrauch auseinandergesetzt. Als ich nach Münster        Die Weltgemeinschaft habe sich erstmals auf Standards
ging, meinten meine ehemaligen Kollegen, jetzt könne ich      in allen Handlungsfeldern sozialer, ökonomischer, ökolo-
vor Ort mal schauen, wie das denn umgesetzt werde.“           gischer, gesellschaftlicher und politischer Entwicklung
Und sie hätten Recht behalten, so Peck weiter. Es sei         verständigt und damit ein Radar entwickelt, das die Rich-
ganz entscheidend, die Auseinandersetzung um nac­             tung einer nachhaltigen Transformation vorgibt. Daran
haltige Zielvorgaben vor Ort zu führen. Münster sei eine      müssten sich alle Prozesse auf kommunaler, Landes- und
stark wachsende Stadt, in den letzten zehn Jahren stieg       Bundesebene messen lassen. Minister Remmel wieder-
die Einwohnerzahl um 30.000 Personen an. „Eine wun-           holte, dass das Land hier von den Kommunen gelernt
derbare Entwicklung, aber die wollen auch alle irgendwo       habe. Denn in den letzten Jahrzehnten habe durchaus
wohnen“, betonte der Beigeordete. Die Stadt musste sich       eine „ Schieflage“ geherrscht. Nachhaltigkeit, so der
mit der Frage nach der Unterbringung der Menschen aus-        Minister, wurde mit sozialer und ökologischer Entwick-
einandersetzen, dabei dem in vielen wachsenden Metro-         lung, aber nicht in ökonomische Handlungsfelder über-
polen vorherrschenden Trend stark steigender Boden-           setzt. Deshalb habe Nordrhein-Westfalen zu lange an
und Immobilienpreise entgegenwirken und den Erhalt von        alten Industrien festgehalten und die Transformation der
Grün- und Erholungsflächen ermöglichen. Daraufhin             Wirtschaft hin zu einer nachhaltigen Entwicklung zu
wurde das „Handlungskonzept Wohnen“ für Münster ent-          wenig unterstützt. Die Kommunen, insbesondere im
wickelt. Danach dürfen neue Baugebiete nur ausgewiesen        Münsterland, in Südwestfalen und in Ostwestfalen, dage-
werden, wenn vorher mindestens 50 Prozent der Fläche          gen hätten schon frühzeitig ökonomische Handlungsfel-
in den Besitz der Stadt übergehen. Damit sollen Boden-        der in ihren strategischen Entscheidungen berücksichtigt.
spekulationen verhindert werden. Zum anderen hat sich         Ähnlich sah Remmel eine Schieflage auf der europäischen
die Stadt entschieden, nicht in das übliche Höchstgebots-     Handlungsebene. Mit verschiedenen Gesetzgebungen
verfahren einzusteigen. Stattdessen wird der Verkehrs-        und gemeinsamen Initiativen zur Agrar- oder Klimapolitik
wert eines Grundstückes ermittelt. Investoren bieten          habe man zwar eine ökonomische und ökologische Nach-
dann um den niedrigsten Einstiegspreis bei der Start-         haltigkeit eingeleitet, doch bei 25 Prozent Jugendarbeits-
miete. Dieses Verfahren hat sich laut Peck bewährt:           losigkeit in Frankreich und hohen Arbeitslosenzahlen in
„Wir steuern damit aktiv der massiven Preispolitik auf        Südeuropa bestehe eindeutig eine soziale Schieflage.
dem Wohnungsmarkt entgegen.“ Das sei auch eine Form           Diese führe dazu, dass viele Menschen fragten, was
von nachhaltiger Entwicklung, weil sich sonst die Sozial-     Europa ihnen überhaupt noch bringe. Die SDGs als Radar
gesellschaft dramatisch verändere.                            und Messwerte könnten in Zukunft auch solche Defizite in
                                                              der europäischen und internationalen Politik aufzeigen.
Angesprochen auf Stadt-Umfeld-Kooperationen, erklärte
Matthias Peck, dass diese ebenfalls Teil des Wohnbau-         Moderator Dr. Klaus Reuter fragte, ob sich die Landespo-
landkonzeptes seien. Die Kooperationen mit Umlandge-          litik internationalisieren müsse, um von den Erfahrungen
meinden würden allerdings gute ÖPNV-Verbindungen              anderer Regionen zu profitieren und gegenseitige Lern-
und funktionierende Velo-Routen voraussetzen. Es sei          prozesse zu stärken. Minister Remmel stimmte zu. Das
aber eine Grundsatzfrage, ob man finanziell schwächere        Klimaschutzabkommen von Paris sei auch Ergebnis einer
Einwohner alle außerhalb der Stadt unterbringen wolle:        starken regionalen, kommunalen Bewegung und wäre
„Das führt zu mittelalterlichen Verhältnissen“, warnte        ohne diese nicht gelungen. Auf dieser Ebene regionaler
Peck. Ziel müsse es deshalb sein, bezahlbare Wohnmög-         Zusammenarbeit und kommunaler Bündnisse sieht
lichkeiten in der Stadt für alle Menschen zu schaffen.        ­Remmel eine Basis international nachhaltiger Politik. Der
                                                               Austausch zwischen Menschen und Unternehmen gehöre
                                                               in der „Einen Welt“ zur internationalen Politik.
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