Höhlen Schatzkammern der Wissenschaft - naturhistorisches museum wien - Naturhistorisches ...

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Höhlen Schatzkammern der Wissenschaft - naturhistorisches museum wien - Naturhistorisches ...
Höhlen
Schatzkammern der Wissenschaft

                     naturhistorisches
                        museum wien

                                         1
Höhlen Schatzkammern der Wissenschaft - naturhistorisches museum wien - Naturhistorisches ...
Impressum
Verlag des Naturhistorischen Museums Wien, 2022 | ISBN 978-3-903096-51-6
Naturhistorisches Museum Wien, w. A. ö. R., Burgring 7, 1010 Wien

Autoren:
S. 26–28 Mathias Harzhauser
S. 30–33 Nesrine Akkari
S. 34–37 Mathias Harzhauser
S. 38–41 Luise Kruckenhauser
S. 42–44 Walpurga Antl-Weiser
Restliche Texte: Lukas Plan & Pauline Oberender

Redaktion: Lukas Plan, Pauline Oberender & Andreas Kroh

Lektorat: Erhard Christian, Andrea Krapf, Andreas Kroh, Andrea Kroh, Rudolf Pavuza, Brigitta Schmid &
Christoph Spötl

Layout: Andrea Krapf

Grafiken: Josef Muhsil-Schamall

Druck: Samson Druck, Samson Druck Strasse 171, 5581 St. Margarethen/Lungau

Zitiervorschlag: Plan, L., Oberender, P. & Kroh, A. (Hrsg.) (2022): Höhlen – Schatzkammern der Wissen-
schaft. – 52 S., Wien (Verlag des Naturhistorischen Museums Wien).

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der
Übersetzung, vorbehalten

Link zur Offenlegung gem. §25 MedienG: https://www.nhm-wien.ac.at/impressum

               Gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“
               des Österreichischen Umweltzeichens,
               Samson Druck GmbH, St. Margarethen/Lungau, UW-Nr. 837

               Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling.
               EU Ecolabel awarded printed paper.

               EU Ecolabel: SE/011/007
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C. Rittmannsperger

Vorwort
Was haben Rom, Damaskus und Wien                keit und noch ältere Hinweise auf die Ent-
gemeinsam? Alle drei Großstädte decken          stehung geologischer Formationen finden.
ihren Wasserbedarf aus dem Karst. Karst         Last, but not least faszinieren Höhlen Men-
besteht meist aus Kalkstein, der dafür, dass    schen aus aller Welt – und haben sogar
es sich um Stein handelt, recht wasserlöslich   Astronaut*innen als Trainingsort gedient.
ist. Das führt zu den typischen wildroman-          Das NHM Wien befasst sich wis-
tischen Erscheinungsformen des Karsts und       senschaftlich mit Höhlen, ihrer Kartie-
zu ausgedehnten unterirdischen Höhlensys-       rung sowie der Erforschung ihrer langen
temen und entsprechenden Wasserspei-            Geschichte. Seit 2012 ist die Karst- und
chern. Global werden bis zu 20 % des Trink-     Höhlen-Arbeitsgruppe Teil der Geologisch-
wasserbedarfs aus Karsthöhlen gedeckt.          paläontologischen Abteilung des NHM
    Höhlen faszinieren darüber hinaus           Wien. Hervorgegangen ist sie 1928 aus dem
aufgrund ihrer speziellen Bewohner und          Referat für Höhlenschutz am Bundesdenk-
Gesteinsformationen, wie zum Beispiel           malamt. Aufgrund der Bedeutung von Höh-
Tropfsteine: Stalaktiten (wachsen von oben)     len als Lebensraum, als Archiv der Vorzeit
und Stalagmiten (wachsen von unten). Ande-      und als Wasserspeicher ist die Schutzwür-
re spannende Gebilde sind die Excentriques      digkeit schon früh erkannt worden.
(die heißen wirklich so!), die im NHM Wien          Diese Arbeitsgruppe hat große Unter-
zu bewundern sind. Mindestens ebenso            stützung durch ehrenamtliche        Höhlen-
spannend sind die blassen Höhlen-Lebewe-        forscher*innen – Citizen Scientists – und
sen, aber auch die vielen Knochen der Höh-      profitiert stark von deren Fachkenntnis,
lenbären. Für die Wissenschaft besonders        Engagement und Erfahrung.
interessant sind pigmentlose Höhlenfische,          Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Entde-
da ihre morphologischen Veränderungen in        cken der vielen Höhlen-Anknüpfungspunkte
Verbindung mit genetischen Studien Ein-         auf unserem Höhlenpfad durch das Naturhi-
sicht in Evolutionsprozesse geben.              storische Museum Wien!
    Darüber hinaus lassen sich in Höhlen
frühe Zeugnisse menschlicher Kunstfertig-                                      Ihre Katrin Vohland
                                                                                 Generaldirektorin   1
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L. Plan

    Eingang zur Hirlatzhöhle im Dachstein, der mit 113 km drittlängsten Höhle Österreichs. Im
    Hintergrund sieht man Hallstatt (Oberösterreich).

          Einleitung
          Überspitzt gesagt gibt es gar keine Höh-           zur Speläotherapie, bei der Menschen mit
          len. Die sind nämlich natürlich entstandene        Atemwegserkrankungen durch die Beson-
          Löcher und faktisch existiert nur das umge-        derheiten der Höhlenluft Linderung ihrer
          bende Gestein. Eben diese Hohlräume sind           Beschwerden erfahren.
          für etliche Lebewesen der Vergangenheit und            Das Naturhistorische Museum Wien
          Gegenwart und auch für die Menschheitsge-          hat sowohl historisch als auch aktuell einen
          schichte von großer Bedeutung. Nach wie vor        starken Bezug zu Höhlen. Die Karst- und Höh-
          ziehen Höhlen viele Menschen in ihren Bann.        lenarbeitsgruppe am NHM Wien ist auch die
          Sei es aus kultischen Gründen oder wegen           einzige staatlich geförderte Einrichtung Öster-
          ihrer Schönheit – besonders bei Tropfstein-        reichs, deren Mitarbeiter*innen sich direkt mit
          und Eishöhlen – oder wegen der naturwissen-        Höhlen beschäftigen – etwa mit der Entste-
          schaftlichen und kulturhistorischen Inhalte.       hung dieser besonderen Hohlräume.
              Wissenschaftler*innen unterschiedlichs-            Diese Broschüre soll einen Einblick in die
          ter Disziplinen forschen in diesen, in vielerlei   faszinierenden unterirdischen Welten und
          Hinsicht speziellen, unterirdischen Räumen.        deren Erforschung geben und einige Streif-
          Das Wissen über Höhlen findet aber auch            lichter auf ihre Bedeutung für die Wissen-
          praktische Anwendung, wenn es etwa um              schaft werfen. Vielleicht macht sie ja auch
          die Versorgung von Menschen mit sauberem           Lust, sich selbst mit Höhlen zu beschäftigen.
          Trinkwasser geht. Und auch bei der Erfor-          Sowohl in Sammlungen und Archiven als
          schung des Klimas der Vergangenheit im             auch draußen in der Natur gibt es noch viel
          Vergleich zum heutigen Klimawandel bis hin         zu erforschen!

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Höhlen – Wissenswertes
              Was ist eine Höhle?
              Höhlen sind natürlich entstandene unterir-     kann. Es ändern sich die Fließeigenschaften
              dische Hohlräume. Stollen und andere vom       und auch die Lösungsgeschwindigkeit, was
              Menschen geschaffene Bauwerke gehören          wiederum Einfluss auf die Höhlenbildung hat.
              somit nicht dazu. Soweit der relativ simple        Neben dem Gang-Querschnitt wird oft auch
              Teil der Definition. Es muss aber zusätzlich   eine Mindestlänge definiert (in Österreich 5 m).
              noch eine Mindestgröße angegeben werden,       Erst dann wird eine Höhle ins Österreichische
              da sonst jeder Hohlraum zwischen den Stei-     Höhlenverzeichnis aufgenommen; auch die
              nen eines Schotterhügels eine Höhle wäre.      Höhlenschutzbestimmungen beziehen sich auf
              Wie so oft wird hier der Mensch als Maßstab    diese Referenz.
              genommen und definiert, dass ein Mensch            Der Begriff „Grotte“ war früher gleichbe-
              in eine Höhle passen muss. Dies ist zwar für   deutend mit Höhle, wird aber heute im natur-
              Hydrogeolog*innen, die das Fließen des Was-    wissenschaftlichen Sprachgebrauch nicht
              sers durch eine Höhle untersuchen, nicht       mehr verwendet. Große, komplexe Höhlen
              gänzlich zielführend, aber es gibt selbst im   werden als Höhlensysteme bezeichnet. Wenn
              21. Jahrhundert noch keine Möglichkeit, aus-   eine Verbindung zwischen zwei Höhlen ent-
              gedehnte und mehr als einige Meter unter der   deckt wird, kann dies zur Benennung eines
              Oberfläche liegende Höhlen zu erforschen,      neuen Höhlensystems führen.
              außer durch Höhlenforscher*innen, die sich         Ein Eingang zur Höhle kommt in der Höh-
              selbst in den Untergrund begeben. Auch aus     lendefinition nicht vor, denn aufgrund statis-
              hydrologischer Sicht ist der Querschnitt des   tischer Überlegungen kann man davon aus-
              Hohlraums relevant und der menschliche         gehen, dass die überwiegende Mehrheit der
              Körper als Maßstab nicht unangebracht. In      unterirdischen Hohlräume gar keinen Eingang
              schmalen Spalten hat das Wasser andere         hat. Etliche Höhlen kennt man nur, weil sie bei
              Eigenschaften als in breiteren Durchgängen,    Steinbrucharbeiten oder in Bergwerken ange-
              durch die ein Mensch hindurchschlüpfen         schnitten wurden.

                                                                 98 m tiefe Schachtstufe im 1.082 m tiefen Stein-
                                                                      bockschacht am Hochschwab (Steiermark)

                                                                                                                    3

Á. Berentés
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Wie entstehen Höhlen?
          Ein Loch in einem Material kann während der       Die meisten Höhlen bilden sich in einem
          Herstellung entstehen, als Produktionsfehler,     schon bestehenden Gestein – durch unter-
          oder später, zum Beispiel durch Verschleiß.       schiedliche Prozesse. Die meisten und die
          Genauso verhält es sich mit Höhlen: Ein Hohl-     ausgedehntesten Höhlen entstehen durch
          raum kann sich schon während der Bildung          Lösung des Gesteins. Dieser Prozess wird
          des Gesteins formen oder erst nachträglich.       „Verkarstung“ genannt. Wie sie funktioniert,
             Lavahöhlen zum Beispiel bilden sich            wird im nächsten Kapitel beschrieben.
          gleichzeitig mit dem Gestein. Dabei fließt            Besonders in den Alpen entstehen viele
          am Hang eines Vulkans das flüssige Gestein        Höhlen durch Verwitterung. Frostsprengung
          abwärts, kühlt an der Oberfläche ab und           ist dabei die treibende Kraft. Jeder, der schon
          erstarrt. In einem Kanal darunter fließt es       einmal schnell ein Getränk kühlen wollte
          aber weiter, bis der Zustrom endet und sich       und die Glasflasche im Tiefkühlfach verges-
          der Kanal entleert. Verzweigte Systeme sol-       sen hat, weiß um die Kraft, die beim Gefrie-
          cher Lavahöhlen können eine Länge von             ren von Wasser auf die Umgebung ausgeübt
          einigen Dutzend Kilometern erreichen und          wird. Wenn Wasser in Fugen einer Felswand
          über 1.000 m Höhenunterschied aufweisen.          gefriert, kommt es unweigerlich zur Spren-
          Beispiele dafür gibt es weltweit in vielen Vul-   gung des Gesteins. Oft entstehen dadurch
          kanregionen wie Hawaii, den Kanarischen           sogenannte Halbhöhlen, bei denen der Ein-
          Inseln und im Süden Kenias. In den wenigen        gang breiter ist als die Tiefe. Es können auf
          Vulkanresten Österreichs, im Südburgen-           diese Weise aber auch komplexe und bis
          land und der Oststeiermark, sind keine Lava-      zu etliche Zehnermeter tiefe unterirdische
          höhlen bekannt.                                   Hohlräume entstehen.

    Lavatunnel des Ätna

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                                                                                                              Á. Berentés
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L. Plan

                                                         Nur durch Frostverwitterung entstanden: das
                                                          Wetzsteinloch im Hochschwab (Steiermark)
Ein anderer Prozess, der Halbhöhlen formt,
ist Erosion, also Gesteinsabtragung – meist
durch bewegtes Wasser. Solche Höhlen bil-          oder sind die Spalten unregelmäßig geformt,
den sich zum Beispiel, wenn Flüsse an stei-        bilden sich Höhlen. Manche Spalthöhlen errei-
len Ufern entlangströmen und sowohl das            chen einige 100 m Länge und etliche Zehner-
schnell fließende Wasser als auch die darin        meter Tiefe.
mitgeführten Sedimente die Felswände                   Die Liste der Prozesse, die Hohlräume im
unterspülen. Brandungshöhlen wiederum              Gestein hervorrufen, ließe sich lange fortset-
bilden sich, wenn die Wellenbewegungen             zen. Sie beinhaltet auch einige Kuriositäten.
an einer Meeresküste Schwächezonen im              So untersuchten brasilianische Forscher*innen
Gestein aushöhlen.                                 rund 50 m tiefe, verzweigte Gangsysteme, für
    Diese Halbhöhlen sind unter dem Gesichts-      deren Entstehung keine geologische Ursache
punkt der naturkundlichen Erforschung nicht        in Frage kommt. Des Rätsels Lösung sind aus-
besonders spannend und weisen oft nicht            gestorbene      Rie-
einmal einen lichtlosen Teil auf. Für unse-        senfaultiere, wel-
re Vorfahren waren sie aber willkommene            che die Höhlen in
Unterstände. Das macht einige Halbhöhlen zu        der jüngeren Erd-
bedeutenden archäologischen Fundplätzen.           neuzeit (Neogen)
Der Cro-Magnon-Mensch zum Beispiel wurde           gegraben haben.
1868 in einer flachen Halbhöhle, dem Abri de           Nach wie vor
Cro-Magnon in Frankreich, entdeckt.                gibt es auch einige
    In den Alpen, wo die Gletscher der letzten     Höhlen, deren Ent-
Eiszeit oft steile Talflanken hinterließen, sind   stehung unklar ist.
Spalthöhlen häufig. Besonders, wenn mas-           Besonders schwie-
sive Gesteine wie Kalkgesteine relativ weiche      rig wird die Rekon-
Gesteine wie Tonschiefer überlagern, kommt         struktion, wenn
es zum langsamen Abgleiten von Kalkblöcken,        Menschen       eine
was zum Aufreißen von Spalten führt. Werden        Höhle nutzten und
diese von nachstürzenden Blöcken überdeckt         veränderten.

                            Eine typische Spalthöhle: das Markierte
                           Windloch bei Otterthal (Niederösterreich)                                     5

                                                                                                       L. Plan
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Die größten Höhlen entstehen
    durch Wasser
    Weltweit und auch in Österreich sind die        Kohlendioxid auf; dadurch entsteht Kohlen-
    meisten und fast alle großen und bekannten      säure – wie wir sie aus dem Mineralwasser
    Höhlen sogenannte Karsthöhlen. Sie bilden       kennen, nur schwächer. Diese kann das Cal-
    sich in Gesteinen, die eine erhöhte Löslich-    ciumcarbonat lösen und abtransportieren,
    keit haben. Auch wir lösen Minerale, also       ähnlich wie die Essigreiniger, die wir zum
    die Bestandteile von Gesteinen, wenn wir        Lösen von Kalkrändern in Sanitär-Einrich-
    zum Beispiel Salz in die Suppe geben. Und       tungen verwenden. Auch Dolomit, der aus
    Steinsalz ist tatsächlich eines der Gesteine,   dem gleichnamigen Mineral besteht und
    in denen es Karsthöhlen gibt. Allerdings        häufig als Gestein auftritt, ist löslich, aller-
    kommt Steinsalz nur in extrem trockenen         dings schwerer. Deshalb sind Höhlen im
    Regionen an der Erdoberfläche vor. Beispiele    Dolomitgestein seltener.
    sind die Umgebung des Toten Meeres in               Das kohlensäurehaltige Wasser versi-
    Israel oder die Atacama-Wüste in Chile. Mit     ckert oben am Berg entlang winziger Fugen
    jedem der seltenen Regenfälle können sich       im Gestein und bahnt sich einen unterir-
    im Steinsalz Höhlen bilden oder vergrößern.     dischen Weg zu einer Quelle im Tal; dabei
        Die wichtigsten und am weitesten ver-       werden die Fugen im Gestein durch Lösung
    breiteten Karstgesteine sind Kalk sowie         erweitert. Auf diese Weise können mit der
    andere Gesteine, die ebenfalls aus Calcium-     Zeit weitläufige Höhlen im Untergrund ent-
    carbonat bzw. dem Mineral Calcit beste-         stehen, deren Dimensionen sogar mensch-
    hen. Dieses Mineral wird nicht wie Steinsalz    liche Bauwerke in den Schatten stellen. Die
    durch reines Wasser gelöst, sondern durch       größten bekannten Höhlengänge welt-
    kohlensäurehaltiges. Regenwasser nimmt          weit finden sich in Höhlen Südostasiens;
    in der Atmosphäre und vor allem im Boden        sie sind einige Kilometer lang und haben
                                                    Durchmesser von rund 100 m. Erstaunlich,
                                                    wenn man bedenkt, dass sie aus einer nur
                                                    millimeterbreiten Fuge im Kalkgestein ent-
                                                    standen sind.
                                                        Die fortschreitende Aushöhlung durch
                                                    Lösungsprozesse bewirkt, dass der Wasser-
                                                    spiegel in einem Kalksteinmassiv auf das
                                                    Niveau der Quellen im Tal absinkt. Oberhalb
                                                    dieses sogenannten Karstwasserspiegels
                                                    fließt das Wasser gemäß der Schwerkraft
                                                    durch meist schmale, aber hohe Canyons
                                                    oder durch senkrechte Schächte nach unten.
                                                    Die meisten großen Gänge entwickeln sich
                                                    aber unter dem Wasserspiegel, wo das Was-
                                                    ser aufgrund des Druckunterschiedes zur

                                                Fugen im Gestein werden durch Lösung
6                                               erweitert – ein Hohlraum entsteht (Marmor-
                                                steinbruch in Arzwiesen, Niederösterreich).

                                   C . Bauer
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v

H. Meyrl

                                                                           Während ihrer Entstehung sind viele Höh-
                                                                              len wassergefüllt und können nur von
             tiefstmöglichen Austrittsstelle beziehungs-                    Höhlentaucher*innen befahren werden.
             weise zu einer Quelle strömt. Dabei kann es
             wie im Siphon eines Waschbeckens bergauf         Für viele Höhlenräume bedeutet das aber,
             und bergab fließen.                              dass geologische Prozesse zum Erliegen
                 Sobald eine Fuge ungefähr auf Dezime-        kommen und kaum mehr Veränderungen
             tergröße erweitert ist, erfolgt die Erweite-     stattfinden.
             rung zu einem Gang mit ein paar Metern              Dass Höhlen in vielen Filmen ein-
             Durchmesser in einem Zeitraum von eini-          stürzen, ist übrigens der Phantasie der
             gen 10.000 Jahren, also in geologisch kur-       Drehbuchautor*innen geschuldet und dient
             zer Zeit. Gleichzeitig werden die Täler an       dazu, die Dramatik zu steigern. In der Natur
             der Erdoberfläche durch Erosion tiefer ein-      passiert dies nämlich ausgesprochen sel-
             geschnitten; dadurch verlagern sich der          ten. Höhlenräume im Kalkstein können
             Karstwasserspiegel und die Quellaustritte        über mehrere Millionen Jahre bestehen, bis
             nach unten; die höhergelegenen Gänge             sich die Erdoberfläche durch Erosion dem
             fallen trocken. Erst dann kann man auch          Hohlraum nähert und seine Decke von oben
             ohne Tauchausrüstung in diese Höhlen.            abgetragen wird.

                                                                            Das Einschneiden des Tals lässt in einem
                                                                        Karstmassiv neue unterirdische Abflusswege
                                                                          entstehen und alte Höhlen trocken fallen.
                                  Karstplateau

                                                                                                Karstplateau
                                                 Schwinde

                                                                                                               Schwinde

     Fluss
              Karstquelle                                             Höhleneingang      trockene Höhle

                              wassergefüllte Höhle

                                                            Fluss                                                         7
                                                                       Karstquelle

                                                                                        wassergefüllte Höhle
       vor einigen Millionen Jahren                           heute
Höhlen Schatzkammern der Wissenschaft - naturhistorisches museum wien - Naturhistorisches ...
8

    T. Exel
Was ist Karst?
Durch die Löslichkeit des Gesteins und die    oder Il Carso bezeichnet und wurde schon
unterirdische Entwässerung entsteht auch      früh eingehend untersucht. Jovan Cvijić
an der Erdoberfläche eine Landschaft mit      (1865–1927), ein Schüler führender Geo-
speziellen Formen. An den Stellen, an denen   graphen und Geologen wie Albrecht Penck
Wasser versickert und dabei Gestein löst,     und Eduard Suess, promovierte 1893 an
bilden sich trichterförmige Vertiefungen,     der Universität Wien mit seiner Arbeit über
sogenannte Dolinen. Es können aber auch       „Das Karstphänomen“. Aufgrund der Ver-
ganze Bäche oder sogar Flüsse im Unter-       öffentlichung seiner Arbeit in den renom-
grund verschwinden. Diese Schlucklöcher       mierten „Geographischen Abhandlungen“
werden als Ponore bezeichnet und sind oft     von Albrecht Penck hat sich die ursprüng-
auch befahrbare Höhleneingänge.               liche Lokalbezeichnung „Karst“ weltweit als
    Besonders ausgeprägt sind diese Land-     Fachbegriff für diesen Landschaftstyp eta-
schaftsformen in einem kleinen wasser-        bliert. Der Prozess der Entstehung wird als
losen Areal im Hinterland von Triest an der   „Verkarstung“ bezeichnet.
slowenisch-italienischen Grenze. Die Regi-        Der Landschaftstyp „Karst“ beschränkt
on wird als Karst beziehungsweise Kraš        sich allerdings nicht – wie vielfach angenom-

   L. Plan

                        Schwinde nahe der Sonnschienalm am Hochschwab (Steiermark) 
                                                                                              9

 Karstlandschaft am Hochschwab (Steiermark)
L. Plan

     Karstlandschaft mit Dolinen am
     Hochschwab (Steiermark)

           men – auf kahle, vegetationsarme Gebiete;       lich als Kalk, wenn auch nicht so gut wie
           tatsächlich ist die Verkarstung in den Tro-     Salz, sodass er in Regionen mit humidem
           pen am intensivsten. Einerseits begünstigen     Klima, wo mehr Wasser versickert als ver-
           dort die großen Niederschlagsmengen die         dunstet, auch an der Erdoberfläche auf-
           Kalklösung, andererseits führen die hohen       tritt. Die Lösungsprozesse erfolgen so
           Temperaturen zu einer verstärkten Aktivi-       schnell, dass sie rascher wahrgenommen
           tät der Bodenorganismen und zu hohen            werden als bei Kalkstein. Auch ist Gips viel
           Kohlendioxid-Konzentrationen. Dadurch           weicher als Kalk. In Gipskarst-Gebieten
           entstehen entsprechend saure Wässer,            kommt es immer wieder vor, dass ober-
           die viel Kalkstein lösen können. Durch den      flächennahe Höhlen einbrechen, was zu
           rascheren Lösungsprozess und weil es kei-       Einsturzdolinen an der Oberfläche führt.
           ne Frostverwitterung gibt, bilden sich unter    Mitunter sind dadurch auch Bauwerke
           tropischen Bedingungen an der Oberfläche        betroffen. Zudem kann diese Dynamik
           andere Karstformen als in den nördlichen        durch menschliche Eingriffe in den Was-
           und südlichen Breiten: Es entstehen hohe        serhaushalt ausgelöst oder verstärkt
           Türme und teilweise abgerundete Kegel.          werden. Beispiele dafür gibt es in Hinter-
           Dieser sogenannte Turm- oder Kegelkarst         brühl südlich von Wien. Dort haben alte
           ist unter anderem aus China, Vietnam und        Bergwerksstollen die natürlichen unter-
           Thailand bekannt. Nur in sehr trockenen         irdischen Wasserläufe verändert. Selbst
           Gebieten und in Permafrost-Gebieten, etwa       das jährliche Auslassen von Swimming-
           in polaren Regionen, kann der Verkarstungs-     pools kann zur Entstehung oberflächen-
           prozess nicht ablaufen.                         naher Lösungshohlräume im Gips und
               Ein weiteres bedeutendes Karstge-           dadurch zu Problemen in dicht bebauten
           stein ist Gips. Gips ist deutlich besser lös-   Gebieten führen.

10
Höhlenforschung ist
      Citizen Science
      Es gibt noch keine Möglichkeit, Höhlen zu       Deshalb werden neu entdeckte Höhlen
      erforschen, außer dass sich ein Mensch          oder Höhlenteile von erfahrenen Höhlen-
      hineinbegibt. Da man in Höhlen nur selten       forscher*innen immer gleich vermessen.
      normal gehen kann, sondern Fortbewe-               Höhlenforscher*innen sind in den
      gungsarten wie Klettern, Kriechen, Absei-       meisten Fällen Enthusiasten, die das Ver-
      len und Schwimmen vorherrschen, spricht         messen und Dokumentieren von Höh-
      man von Höhlenbefahrung. Beim Erkunden          len in ihrer Freizeit betreiben. Trotzdem
      von Höhlen stößt man aber bald an Grenzen,      sind diese Citizen Scientists – oder Lai-
      da man vor allem in ausgedehnteren Höh-         enwissenschaftler*innen – meist        gut
      lensystemen leicht die Orientierung ver-        ausgebildet und betreiben ihre For-
      liert. Für alle, die sich mit Höhlen beschäf-   schung auf hohem Niveau. Der Fach-
      tigen, ist daher ein Höhlenplan wichtig.        begriff für die Höhlenforschung lautet
                                                      übrigens Speläologie und leitet sich vom

   P. Crochet

Höhlenforscher*innen beim EuroSpeleo
                                                                                                   11
Forum 2018 in Ebensee (Oberösterreich)
Lateinischen spelunca ab – wie auch          elektronisches
           der umgangssprachliche Ausdruck für          Messgerät erle-
           schummrige (Keller)Lokale.                   digt diese Mes-
               Höhlenforscher*innen sind in Vereinen    sung heute auf
           organisiert (Adressen finden sich auf der    Knopfdruck und
           letzten Seite). In den meisten Ländern ist   die Daten wer-
           auch die Führung des Höhlenkatasters,        den an ein Tablet
           der systematischen Sammlung von Daten        übertragen.      Zu
           zu Höhlen, eine Aufgabe solcher Vereine.     diesem     gemes-
           Der älteste Höhlenverein weltweit wurde      senen Grundge-
           übrigens 1879 in Wien gegründet. Eines       rüst werden vor
           der Gründungsmitglieder war der dama-        Ort auch die
           lige Direktor des k. k. Naturhistorischen    Raumformen und
           Hofmuseums, Ferdinand von Hochstetter        der Inhalt der
           (1829–1884), von dessen höhlenkund-          Höhle skizziert.
           lichen Aktivitäten in weiterer Folge noch       Der Höhlen-
                                                                               U. Tichy
           die Rede sein wird.                          plan, der so ent-
               Die Vermessung von Höhlen erfolgt nor-   steht, stellt die Grundlage für die weitere
           malerweise mittels aneinandergereihter       Erforschung und wissenschaftliche Unter-
           Messzüge, die von Punkt zu Punkt führen      suchung dar, denn jeder Fund und jede
           und durch ihre Länge, Neigung und Him-       Beobachtung verlieren ohne genaue Orts-
           melsrichtung bestimmt sind. Ein kleines      angabe an Bedeutung.

     Höhlenforscher in einer Engstelle –
     einem sogenannten Schluf

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                                                                                                      T. Exel
Karstgebiete (rot) sind weltweit verbreitet – in Südost-Asien und Südchina finden sich besonders viele.

Wo gibt es Höhlen?
Karstgebiete machen weltweit rund                 bezeichnet, was aber streng genommen nur
15–20 % der eisfreien Landoberfläche aus,         für Höhlen korrekt ist, deren höchster Punkt
wobei Kalkgesteine die häufigsten Träger          der Eingang ist.
des Karstphänomens sind. Gipskarst ist weit           Den größten Anteil an Karstgebieten
weniger verbreitet, jedoch regional durch-        haben Südost-Asien und Südchina. Die pit-
aus bedeutend. Vor allem die miozänen             toresken Kegelkarst-Landschaften sind als
Gipsvorkommen der Westukraine beherber-           Tourismus-Aushängeschild bekannt. Neben
gen einige extrem labyrinthische Höhlensy-        ausgedehnten Kalkstein-Arealen trägt auch
steme: In der Optimisticheskaja-Höhle sind        das tropische Klima zur intensiven Verkar-
257 km an Gangstrecken dokumentiert, was          stung bei, und nicht zufällig finden sich auch
sie zur längsten Höhle Europas macht.             die weltweit größten unterirdischen Hallen
    Übrigens: Die Länge ist die am häufigsten     in diesem Erdteil. Im Süden Chinas konnte
verwendete Kenngröße einer Höhle und              mittels Laserscan im Miao-Room des Gebihe-
wird aus der Summe der Messzüge berech-           Höhlensystems ein Hohlraumvolumen von
net. Dabei spielt die Neigung keine Rolle: Ein    10,6 Mio. m³ ermittelt werden. Zum Vergleich:
10 m tiefer Schacht wird demnach als 10 m         Das Wasser der Alten Donau in Wien (durch-
Länge gewertet. Ein anderer Wert ist der          schnittlich 2,3 m tief) hat nur 35 % dieses
Höhenunterschied zwischen dem höchsten            Volumens. Im malaysischen Teil der Insel
und tiefsten Punkt. Er wird auch als Tiefe        Borneo, im Mulu Nationalpark, befindet sich

                                                                                                            13
die flächenmäßig größte unterirdische Halle,   Oberfläche nur knapp über dem Meeres-
            die Sarawak Chamber, mit 168.870 m². Zum       spiegel liegt. Die Höhlen dort sind groß-
            Vergleich: Das Areal von Natur- und Kunsthi-   teils wassergefüllt und können nur von
            storischem Museum samt den Parkanlagen         Höhlentaucher*innen erforscht werden. Die
            erstreckt sich nur über 38 % dieser Fläche.    längste dieser Unterwasserhöhlen ist das
                Die längste Höhle der Welt befindet        Sistema Sac Actun mit 372 km Länge.
            sich in den USA. Das Mammoth-Cave-                 Die vier tiefsten Höhlen der Welt liegen
            System in Kentucky hat eine Länge von          allesamt auf relativ engem Raum im West-
            676 km – um 100 km mehr als die Ost-           kaukasus in der georgischen Provinz Abcha-
            West-Erstreckung Österreichs. Der Höhen-       sien. Seit 2017 führt die Veryovkina-Höhle
            unterschied von 124 m hingegen erscheint       mit 2.202 m Höhenunterschied die Liste der
            im Vergleich zu alpinen Höhlen unbedeu-        tiefsten Höhlen der Welt an. Davor war es

                                                                                                           L. Plan

     Bis zu 6 m große Gipskristalle in der Lechuguilla-
     Höhle in New Mexico (USA)
                                                           die benachbarte Krubera-Höhle mit 2.197 m.
                                                           Pauline Oberender vom NHM Wien war
            tend. Die Lechuguilla-Höhle in New Mexico      mehrmals an Expeditionen in die vierttiefste
            ist mit 242 km die längste Karsthöhle der      Höhle, die Snezhnaya-Höhle, beteiligt, bei
            Welt, die nicht durch Kohlensäure, sondern     denen die Forscherin bis zu 21 Tage im Unter-
            aufgrund spezieller geologischer Gegeben-      grund verbrachte.
            heiten durch Schwefelsäure gebildet wurde.         Weitere bedeutende Karstgebiete und
            Sie zeichnet sich durch große Gipskristalle    Höhlensysteme mit über 100 km Länge gibt
            und sehr spezielle Höhlenminerale aus.         es außerhalb Europas in Brasilien, im Süden
                Auf der Halbinsel Yucatán in Mexiko        Australiens und in Madagaskar. Die nörd-
            gibt es ausgedehnte Kalkstein-Areale, deren    lichste Höhle der Welt wurde erst in den

14
M. Widmer

                                                                         Typisches Gangprofil im Hölloch, der läng-
                                                                          sten Höhle der Alpen (Muotatal, Schweiz)

                letzten Jahren unter österreichischer Betei-    Tote Gebirge, aber weltweit gibt es in kei-
                ligung dokumentiert. Sie liegt in Nordost-      nem anderen Gebiet so viele tiefe Höhlen:
                Grönland auf 80° nördlicher Breite und ist      16 davon erreichen mehr als 1 km Höhen-
                ein Relikt aus wärmeren Zeiten, als dort noch   unterschied und vier Höhlen haben über
                ungefrorenes Wasser für die Kalklösung zur      100 km Länge.
                Verfügung stand.                                   Auch die Wiege der Karstforschung, der
                    In Europa befinden sich bedeutende          Dinarische Karst, der von Triest bis Monte-
                Karstgebiete in den Alpen, im Jura samt         negro reicht, zeichnet sich durch eine Viel-
                Schwäbischer und Fränkischer Alb, in den        zahl von Höhlen aus. In der längsten, dem
                Pyrenäen, am Balkan und auf den Britischen      Crnopac-System, sind 55 km an Passagen
                Inseln. Herausragend sind die Picos de Eur-     dokumentiert. Das Crnopac-System liegt
                opa im Kantabrischen Gebirge im Nor-            im Velebitgebirge in Kroatien, das vor allem
                den Spaniens. Sie sind nicht größer als das     wegen seiner tiefen Höhlen bekannt ist. Vier
                                                                davon haben über 1 km Höhenunterschied.
                                                                Die längste Höhle der Alpen ist das Hölloch
          Überwindung eines Sees im Lamprechtsofen,             im Muotatal in der Zentralschweiz: eine
          der tiefsten Höhle Europas (Weißenbach/
          Lofer, Salzburg)

                                                                                                                      15

T. Exel
aktive Wasserhöhle, in der bisher 208 km an    gesteine aus der Triaszeit dominieren. Aber
     Gängen vermessen wurden.                       auch in den Zentralalpen – hier besonders in
         Österreich ist besonders höhlenreich       der Umgebung von Graz, im Helvetikum in
     und das Erforschen und Dokumentieren           Vorarlberg und in den Südlichen Kalkalpen
     von Höhlen hat hier eine lange Tradition.      gibt es lokal viele Höhlen.
     Die ersten systematischen Aufzeichnungen           Österreich ist aufgrund der Topographie
     über Höhlen gehen bis in die 1920er Jahre      der Alpen besonders reich an tiefen Höh-
     zurück. Seit damals konnten 18.100 Höhlen      len. Immerhin gibt es 18 Höhlen mit mehr
     dokumentiert werden. Jährlich werden rund      als 1 km Höhenunterschied. Auch die fünft-
     350 Höhlen neu ins Österreichische Höhlen-     tiefste Höhle weltweit liegt in Österreich:
     verzeichnis aufgenommen. Zum Vergleich:        Der Lamprechtsofen in den Leoganger Stein-
     In den flächenmäßig 117-mal größeren USA       bergen in Salzburg weist 1.727 m Höhenun-
     sind nicht einmal viermal so viele Höhlen      terschied auf. Seine Erforschung begann vom
     wie in Österreich dokumentiert. Neben der      Eingang im Tal, der einen zeitweise aktiven
     geringeren Verbreitung an Karstgesteinen in    Quellaustritt darstellt und an den sich ein für
     den USA liegt dies auch an der weniger aus-    Besucher erschlossener Teil anschließt. Von
     geprägten Tradition zur Höhlendokumenta-       dieser Stelle wurde über 1 km Höhenunter-
     tion. Generell spiegeln Karten der Höhlen-     schied von unten erklettert; in weiterer Folge
     verbreitung meist eher den Forschungsstand     wurden von immer höher liegenden Einstie-
     als die tatsächlichen Vorkommen wider.         gen Verbindungen zu diesem System ent-
         Alle bis dato vermessenen Höhlenstre-      deckt. Ein Durchstieg vom höchstgelegenen
     cken Österreichs zusammen – also alle Gän-     Schachteingang zum Eingang im Tal würde
     ge, Schächte und Hallen – machen etwas         mehrere Tage in Anspruch nehmen und wur-
     über 2.450 km aus, was der Strecke von Wien    de noch nie durchgeführt.
     nach Jerusalem entspricht. Die bedeutends-         Aber auch bezüglich der langen Höh-
     ten Höhlen- und Karstgebiete Österreichs       len muss sich Österreich nicht verstecken.
     liegen in den Nördlichen Kalkalpen, wo Kalk-   Immerhin drei Höhlen sind länger als 100 km.
                                                    Die längste ist das Schönberg-Höhlensystem
                                                    östlich von Bad Ischl im Toten Gebirge, dem
                                                    ausgedehntesten Karstmassiv Österreichs.
                                                    Der Zusammenschluss mehrerer ehemals
                                                    getrennter Systeme führte hier zur Entste-
                                                    hung einer Höhle mit 153 km Länge und
                                                    1.061 m Höhenunterschied.

                                                            Gurams-Lake – der tiefste Punkt der
                                                             Snezhnaya-Höhle 1753 m unter dem
                                                             höchsten Eingang (Abchasien, Georgien)

                                                                   Tropfsteinhöhle „Aven des Pèbres“
16                                                                                     in Frankreich 

                                      A. Shuvalov
17

M. Wisshak
Was ist in Höhlen drinnen?
     Kommen wir zurück auf die Löcher. Da in die-     chen oder Spuren unserer Vorfahren, ist es
     sen unterirdischen Hohlräumen kein Vakuum        immer wichtig, auch die Schichten zu unter-
     herrscht, sind sie teilweise oder vollständig    suchen, die den Fund umgeben. Erst dieser
     mit Gasen (meist Luft), mit Flüssigkeiten        Zusammenhang liefert wichtige Informatio-
     (meist Wasser) oder mit Feststoffen gefüllt.     nen über den damaligen Lebensraum – nicht
     Bei letzteren handelt es sich um Ablage-         nur in der Höhle, sondern auch außerhalb.
     rungen verschiedenster Art und Herkunft. Auf         In Höhlen kann auch eine Vielzahl unter-
     diese soll im Folgenden eingegangen werden.      schiedlicher Minerale entstehen. Weltweit
         Im einfachsten Fall sind es Steine, die      sind etwas über 350 Mineralarten aus Höh-
     von der Decke gefallen sind, oft wurden          len – nicht nur aus Karsthöhlen – bekannt. In
     aber auch Sedimente wie Ton, Sand oder           Österreich sind es nur rund 40, vor allem aus
     Kies vom Wasser in die Höhle gespült. Stößt      Karsthöhlen. Das häufigste Mineral ist Calcit.
     man heute auf einen Anschnitt der Sedi-          Da gelöstes Calciumcarbonat im Wasser trans-
     mentschichten, so kann man daraus viel           portiert wird, kann es, sobald sich die che-
     über die ehemaligen Bedingungen erfahren:        misch-physikalischen Bedingungen ändern,
     Die Zusammensetzung der Gesteinskörner           ausfallen und so Calcit entstehen lassen.
     zeigt, woher sie stammen. Je abgerundeter            Sickert das Wasser zum Beispiel durch
     die Körner sind, desto weiter wurden sie vom     eine Fuge in einen Höhlenraum, in dem
     Wasser transportiert. Die Größe zeigt, wie       der Kohlendioxid-Gehalt geringer ist als im
     schnell das Wasser geflossen ist, denn nur       Boden darüber oder in den engen Klüften
     ein Fluss mit viel Energie kann große Steine     des Gesteins, lagert sich mit jedem Tropfen
     bewegen. Tonpartikel hingegen, die so fein       eine dünne Schicht aus Calcit ab; so können
     sind wie Puder, setzen sich nur in stehen-       Tropfsteine und andere Sin-
     dem Was-                 ser ab. Vor allem bei   terbildungen wach-
     Funden,                     die in Sedimente     sen. Für viele
     einge-                       bettet sind, zum    Men-
                                   Beispiel Höh-      schen
                                   lenbärenkno-       haben

18

                                                                                                       L. Plan
diese glitzernden,
                 formen- und far-
                benreichen Kristall-
               gebilde eine beson-                                             bewegt wird. In die-
          dere Schönheit.                                                      sen kleinen Kugeln
              Hingegen sind Mine-                                             sind die Schichten
          rale, die auf ähnliche Weise neu gebil-                             schalig angeordnet.
          det werden, im Haushalt unangenehm,                                 Die eigenartigsten For-
          wenn zum Beispiel im Wasserkocher                                   men heißen Excentriques,
          durch die Temperaturerhöhung der                                   das sind filigrane würm-
          Heizstab verkalkt oder sich durch Ver-                             chenartige Gebilde, die der
          dunstung Kalkränder am Waschbecken                                 Schwerkraft trotzen und
          bilden. Wenn die Versorgung mit Wasser                            scheinbar chaotisch aus der
          aus Karstgebieten erfolgt, kann man sich vor-                     Wand, aus Sinterflächen oder
          stellen, dass diese Minerale von der Bildung                     von Tropfsteinen wachsen.
          der Höhlen im Einzugsgebiet des Karstwas-                         Ihre Entstehung ist nicht rest-
          sers herrühren. Nutzen wir Grundwasser, so                        los geklärt.
          ist der Mineralgehalt noch höher. Würden wir                          Salopp ausgedrückt hat
          hingegen reines Regenwasser trinken, wür-                        der Calcit einen Zwillings-
          den uns wichtige Mineralstoffe fehlen, zum        bruder, den Aragonit. Beide bestehen aus
          Beispiel das Calcium für den Knochenaufbau.       Calciumcarbonat, sind also chemisch ident,
              In Höhlen erfolgen die Calcit-Ausfällungen    unterscheiden sich aber in der geometri-
          unter unterschiedlichsten Bedingungen, was        schen Anordnung der Atome im Kristallgitter.
          zu einem großen Formenreichtum führt.             Aragonit ist ebenfalls häufig in Höhlen anzu-
          Von der Decke tropfendes Wasser bildet an         treffen und kann auch Tropfsteine ausbilden.
          der Höhlendecke die bekannten Stalaktiten         Speziell sind aber reinweiße, filigrane, den
          und am Boden die Stalagmiten; beide kön-          Excentriques ähnliche Gebilde, die sogenann-
          nen zu Tropfsteinsäulen zusammenwachsen.          ten Eisenblüten, oder nadelige Kristalle.
          Wand- oder Bodensinter entstehen, wenn ein            Das dritthäufigste Mineral in Kalk-
          Wasserfilm flächig abrinnt. Haftwasser, das       stein-Höhlen ist der Gips. Er besteht aus
          entlang einer schrägen Decke fadenförmig          Calciumsulfat; dieses bildet sich zum
          abfließt, erzeugt einen kleinen länglichen        Beispiel, wenn das aus Eisen und Schwe-
          Wulst, der laufend nach unten verlängert          fel bestehende Mineral Pyrit, das in man-
          wird. Dadurch entstehen dünne, geschwun-          chen Kalksteinarten eingeschlossen ist,
          gene Sinter, die als Sinterfahnen bezeichnet      mit Sauerstoff in Kontakt kommt. So ent-
          werden. Sinterperlen bilden sich in Wasser,       steht Schwefelsäure, die den Calcit in Gips
          das von Tropfen oder einer leichten Strömung      umwandelt. Dabei wird das Volumen ver-

          Kleine Stalaktiten und Sinterröhrchen in den Rauchspalten (Kirchberg/Wechsel, Niederösterreich) 

           Bäumchen aus nadeligen Aragonit-Kristallen (Lechuguilla-Höhle, New Mexico, USA)                   19

L. Plan
sich nicht um
                                                                                     Karsthöhlen
                                                                                     handelt. Eini-
                                                                                     ge der groß-
                                                                                  en Bergkristalle
                                                                                 aus den Alpen
                                                                           stammen aus befahr-
                                                                 baren Klüften. Diese sind kilo-
                                                               metertief unter der Erdoberflä-
                                                             che im Zuge der Gebirgsbildung
                                                           aufgerissen und waren ebenfalls
                                                          mit wässrigen Lösungen gefüllt. Die-
                                                         se waren allerdings nicht an Calcium-
                                                                carbonat, sondern an Silizium-
                                                                     dioxid übersättigt. Durch
                                                                       sehr langsame Ausfällung
                                                                        konnten große Quarzkri-
                                                                          stalle entstehen.
                                                                               Auch besonders
                                                                          große Amethyst-Dru-
                                                                          sen können an die
                                                                         Dimensionen von Höh-
                                                                        len heranreichen. Es
                                                                       handelt sich um Gas-
                                                                      blasen in vulkanischen
                                                                    Gesteinen, in denen Quarz-
          größert und der                                     kristalle von den Wänden in den
         Gips wird aus der Wand                             Hohlraum wachsen. Die violette
     herausgepresst, was zu lockenartigen           Färbung rührt von fein verteilten Eisen-
     Kristallen führen kann.                        atomen und von radioaktiver Strahlung her.
         Anfang der 2000er Jahre erschienen            Ablagerungen in Höhlen können auch
      in den Medien Fotos von bis zu 11 m lan-      biologischen Ursprungs sein. Die Palet-
      gen Gipskristallen, auf denen vergleichs-     te reicht von eingeschwemmtem Holz
      weise kleine Höhlenforscher stehen. In        über Reste toter Tiere bis zu Tierkot.
      einem Bergwerk in Mexiko wurden bis           Große Kotanhäufungen stammen meist
       dahin geflutete Hohlräume im Kalkstein       von Fledermäusen oder Vögeln. Da die-
       geöffnet; dort befinden sich die größ-       ser sogenannte Guano reich an Phosphat
        ten bisher bekannten Gipskristalle. Sie     und Nitrat ist, wurden in etlichen Höhlen
            sind über einen Zeitraum von vielen     Nord- und Südamerikas Ablagerungen
                 100.000 Jahren gewachsen.          von vielen Metern Mächtigkeit abge-
                        Es gibt aber auch viele     baut und als Dünger verwendet. Eine Zeit
                      Minerale, bei denen man       lang – vom Ersten Weltkrieg bis 1923 und
                       im ersten Augenblick         kurz nach dem Zweiten Weltkrieg – wur-
                        nicht an Höhlenminerale     de auch in Österreich Phosphatdünger in
                        denkt, vor allem, wenn es   Höhlen abgebaut.
20

                                                                                                      M. Widmer
Schatzkammern der
        Wissenschaft
        Dass Höhlen wahre Schatzkammern              men nur in einem sehr eingeschränkten
        für die Wissenschaft sind, hat mehrere       Areal, mitunter gar nur in einer einzigen
        Gründe. Höhlen sind Orte, die im Gegen-      Höhle vor. Manche dieser Höhlenbewoh-
        satz zur Erdoberfläche meist nur wenigen     ner mit ihrer Anpassung an die Dunkelheit
        Änderungen unterworfen sind; dadurch         und an die kargen Lebensbedingungen
        können Informationen über lange Zeit         sind ideal, um die Mechanismen der Evolu-
        erhalten bleiben. Das macht Höhlen zu        tion zu untersuchen.
        Archiven für die Landschafts- und Klima-         Für die Hydrologie stellt ein unter-
        entwicklung und mitunter auch für die        irdisches Fließsystem eine Black Box
        Erdbebenforschung.                           dar – besonders, wenn es um die Trinkwas-
            Höhlen waren schon immer auch            serversorgung geht. Man kann in einem
        Rückzugsort für Tiere und Menschen. Der      Karstgebiet relativ leicht messen, wie viel
        Mensch nutzte sie außerdem für kultische     Niederschlag oben hineinrinnt und wie
        Handlungen, wovon Höhlenmalereien und        viel bei einer Quelle herauskommt; aber
        Opferstätten zeugen. Senkrechte, schacht-    was dazwischen passiert, ist unbekannt.
        artige Einstiege können zur Falle werden –   Die meisten hydrologischen Modellvorstel-
        vor allem, wenn sie mit Vegetation oder      lungen basieren nur auf dem Input und dem
        Schnee überdeckt sind. Höhlensedimente       Output. Höhlen bieten aber die Möglichkeit,
        sind basisch bis neutral, denn die im        das Wasser im Untergrund zu beobachten
        Boden vorkommenden Säuren haben ihre         und auch dort Messungen durchzuführen.
        Lösungskraft schon am Kalk aufgebraucht.     So können effizientere hydrogeologische
        Das ist gut für die Erhaltung von Knochen.   Modelle entwickelt und wichtige Erkennt-
            Höhlen sind aber auch außergewöhn-       nisse zum Schutz des Trinkwassers gewon-
        liche Ökosysteme und beherbergen spezi-      nen werden.
        ell angepasste Tier-
        arten. Viele davon
        sind     endemisch,
        das heißt, sie kom-

 Gipslocke in der Flower
  Cave (Neuseeland)

   Messung des Durch-
    flusses im Bach der
      Snezhnaya-Höhle
 (Abchasien, Georgien)                                                                            21

                                 A.Shuvalov
Höhlen als Archive der
           Klimageschichte
           Viele Höhlen sind sehr alt. Bei den hoch gele-   führten zur laufenden Veränderung der Erd-
           genen Höhlensystemen der Ostalpen geht           oberfläche. Dadurch wurde Information über
           man davon aus, dass sie vor etlichen Milli-      die Vergangenheit vernichtet: Nicht nur, dass
           onen Jahren gebildet wurden. Dass Höhlen         wir nicht mehr wissen, wie die Landschaft
           oftmals nach ihrer Entstehung kaum Verän-        ausgesehen hat, sondern es wurden auch
           derungen unterworfen sind, steht im kras-        Spuren von Lebewesen (inklusive unserer
           sen Gegensatz zur Erdoberfläche, besonders       Vorfahren) meist rasch wieder beseitigt.
           in Gebirgsregionen. Die Erosion von Gestein          Höhlen hingegen sind wie Zeitkapseln
           durch Flüsse, deren Ablagerungen, Mas-           und können die Informationen der Vergan-
           senbewegungen wie Murenabgänge, aber             genheit über lange Zeiträume konservieren.
           auch langsames Hangkriechen und ganz             Allerdings braucht es meist sehr spezielle
           besonders durch die Gletscher der Kaltzeiten     Techniken, um diese Informationen ent-
                                                            schlüsseln zu können.
     Aufgeschnittener Stalagmit mit Klima-                      Besonders bei der Frage, bis zu welchem
     kurve zwischen 14.000 und                              Grad der derzeitige, weltweite Temperatu-
     7.000 Jahren vor heute                                 ranstieg vom Menschen verursacht wurde, ist
                                                            man auf Klimadaten aus der Vergangenheit
                       7.000
                                                            angewiesen. Denn die systematischen Klima-
                                                            aufzeichnungen mit physikalischen Instru-
                                                            menten reichen maximal einige hundert Jah-
                                                            re zurück. Auch die Paläoklimaforscher*innen
                                                            können nicht etwa auf versteinerte Thermo-
                                                            meter zurückgreifen, sondern begeben sich
                                                            wie Detektive auf Spurensuche und versu-
                                                            chen Hinweise auf bestimmte Klimaparame-
                       8.700                                ter zu finden. Wichtige Langzeitarchive sind
                                         Holozän            Tiefsee-Sedimente und das Eis von Grönland
                                                            und der Antarktis. Gerade aber im Alpen-
                                                            raum haben die ausgedehnten Gletscher
                                                            der Kaltzeiten, die mächtigsten Zeugen des
                                                            wechselhaften, meist kühleren Klimas der
                                                            vergangenen Jahrhunderttausende, die mei-
                                                            sten Spuren zerstört.
                                                                Tropfsteine hingegen blieben im Schutz
           11.700
                                                            der Höhlen vielerorts bestehen. Sie haben
                                                            überdies den Vorteil, dass sie sehr lang-
                                        Pleistozän
                                                            sam über lange Zeiträume hinweg wachsen
           12.800
                                                            und dabei Signale aus der Atmosphäre und

                      14.000
22             kalt                 warm
                                             C. Spötl
S. Caillault

                                                                      Entnahme eines 8 mm dicken Bohrkerns aus
                                                                          einem Stalagmiten zur Altersdatierung
               der Umwelt oberhalb der Höhle speichern.
               Überträger der Klima-Signale ist vorwiegend
               das Wasser, das als Niederschlag durch das     Uran-Thorium-Methode. Sie beruht auf dem
               Gestein in die Höhle sickert.                  radioaktiven Zerfall von Uran und Thorium;
                  Neben anderen im Tropfstein gespei-         Uran wird als Spurenstoff in die Höhlensin-
               cherten Informationen wird meist das           ter eingebaut, Thorium in den Höhlensintern
               Verhältnis der beiden Sauerstoffisotope        aus Uran gebildet. Damit können Tropfsteine
               16
                 O und 18O herangezogen. Diese stabilen,      und andere Höhlensinter bis zu einem Alter
               also nicht radioaktiven, Isotope sind unter-   von einer halben Million Jahre zuverlässig
               schiedlich schwer, was zu einer tempera-       datiert werden.
               turabhängigen Veränderung des Verhält-             In Österreich wird Paläoklimafor-
               nisses im Wasserkreislauf führt. 16O und       schung anhand von Tropfsteinen vor allem
               18
                 O werden mit jeder dünnen Schicht in den     von Geolog*innen der Universität Inns-
               Tropfstein eingebaut, da das Mineral Calcit    bruck betrieben. Dabei hat sich zum Bei-
               aus Calcium, Kohlenstoff und Sauerstoff        spiel gezeigt, dass die aus grönländischen
               besteht. Zur Untersuchung werden meist         Eisbohrkernen ermittelte Klimakurve der
               Bohrkerne oder polierte Schnitte von Sta-      vergangenen rund 125.000 Jahre fast voll-
               lagmiten verwendet, aus denen in kleinen       kommen mit den Klimakurven alpiner Tropf-
               Abständen winzige Proben entnommen             steine übereinstimmt. Der Vorteil der Höh-
               und analysiert werden. Aus dem 18O/16O-        lensinter ist jedoch, dass sich diese deutlich
               Verhältnis kann dann ähnlich einer Fieber-     genauer datieren lassen als das polare Eis.
               kurve die zeitliche Veränderung des lokalen    Zudem existiert auf der gesamten Nord-
               Klimas rekonstruiert werden.                   halbkugel der Erde kein Eis, das älter als
                  Wichtig ist dabei, zu wissen, wann die      125.000 Jahre ist, während es eine Reihe von
               betreffenden Tropfsteinschichten abgela-       Höhlen gibt, aus denen deutlich ältere Tropf-
               gert wurden. Diese Datierung erfolgt mit der   steine bekannt sind.

                                                                                                                  23
L. Plan

     Durch eine junge tektonische Bewegung
     zerscherter Höhlengang (Obir-Tropfstein-
     höhlen, Kärnten)

           Erdbebenforschung in Höhlen
           Wie entsteht eigentlich ein Erdbeben? Die     Das Problem dabei ist ähnlich wie beim
           Drift der Kontinentalplatten führt im ober-   Paläoklima: Die Aufzeichnungen mit Mess-
           sten Teil der Erdkruste zu Verschiebungen,    instrumenten wie Seismometern reichen
           die entlang sogenannter „spröder Stö-         nur etwas über 100 Jahre zurück. Manche
           rungen“ stattfinden. Die Bewegung an den      und vor allem starke Erdbeben wiederho-
           Störungen kann entweder langsam und           len sich aber nur in Abständen von vielen
           eher gleichmäßig ablaufen, oder es baut       100 Jahren. Somit ist es möglich, dass sie
           sich über einen langen Zeitraum Spannung      bei der Ermittlung der Erdbebengefähr-
           auf, die dann zu einer abrupten Verschie-     dung nicht berücksichtigt wurden. Auch
           bung führt. Letztere wird an der Erdober-     hier werden die Spuren vergangener Erd-
           fläche als Erdbeben wahrgenommen. Erd-        beben ausgewertet, die an der Erdoberflä-
           beben lassen sich zwar nach wie vor nicht     che schon längst von anderen geologischen
           vorhersagen, aber anhand vergangener          Prozessen verwischt, aber in Höhlen kon-
           Ereignisse kann man zumindest abschät-        serviert wurden.
           zen, mit welcher Bebenstärke in einem             Forscher und Forscherinnen des NHM
           Gebiet zu rechnen ist. Aufgrund dieser        Wien haben zu diesem Thema in Öster-
           geschätzten Erdbebengefährdung werden         reich und Griechenland geforscht. In etli-
           zum Beispiel Vorschriften für erdbebensi-     chen Höhlen wurden Raumformen ent-
           cheres Bauen erteilt.                         deckt, die ursprünglich durch Lösung

24
entstanden sind, aber durch Störungen        Höhlen bieten aber noch eine andere
nachträglich versetzt wurden. In diesem      Möglichkeit zur Forschung an Störungs-
Fall spricht man von “aktiven Störungen”,    bewegungen und Erdbeben: An aktiven
die sich auch heute noch jederzeit bewe-     Störungen können kleinste Bewegungen
gen könnten. Störungen können nämlich        gemessen werden, die von Spannungen in
über etliche Millionen Jahre immer wie-      der obersten Erdkruste ausgehen. An der
der aktiv sein, bevor sie zur Ruhe kommen.   Erdoberfläche sind solche Messungen nicht
Wenn sie also jünger als Höhlen sind, ist    möglich, da die Materialausdehnung und
dies ein Beleg für ihr geringes Alter.       -schrumpfung durch Temperaturänderung
    In einigen Höhlen fanden sich zudem      größer ist als die Bewegung an der Störung
auch deformierte Tropfsteine oder Sinter-    selbst. Nur Höhlen mit ihren konstanten
bildungen. Wenn sich über die Bruchstel-     Bedingungen bieten diese Möglichkeit, denn
len wieder neue Sinterschichten abge-        im Inneren ausgedehnter Höhlen schwankt
lagert hatten, dann war es möglich, die      die Temperatur über das ganze Jahr meist
Schicht vor und nach dem Ereignis mittels    deutlich weniger als 1 °C. Erst diese geringe
der Uran-Thorium-Methode zu datieren         Temperaturschwankung ermöglicht es, Stö-
und somit den Zeitpunkt einzugrenzen.        rungsbewegungen in der Größenordnung
Eine Schwierigkeit bestand aber darin,       von hundertstel Millimetern mit speziellen
zwischen      langsam-kriechenden      und   Instrumenten aufzuzeichnen. Derartige
abrupten Störungsbewegungen, die Erd-        Messungen sollen zu mehr Wissen über die
beben verursachen, zu unterscheiden. In      Verteilung der Spannungszustände führen
einigen Fällen gab es jedoch Indizien, die   und in weiterer Folge auch dazu, Erdbeben
ehemalige, zum Teil starke Erdbeben sehr     besser zu verstehen und vielleicht eines
wahrscheinlich machen.                       Tages vorhersagen zu können.

                                                                                      tektonische
                     Störungsfläche
                                                                                      Bewegung

                                                                     junger Bodensinter
      Bodensinter

                                              Der durch Lösung gebildete Gangquerschnitt wird
                                                      bei einem tektonischen Ereignis zerschert.
                                                                                                    25
Frühe Höhlen-
     funde
     am anderen
     Ende der Welt
                                                                            A u fe n t h a l t e n
                                                                            Pflanzen, Tiere
                                                                            und Gesteine
     Eine ungewöhnliche Episode der österrei-                              zu       sammeln
     chischen Höhlenforschung ergab sich                                  und detaillierte
     durch die Weltumsegelung der                                        naturwissen-
     Fregatte Novara (1857–1859).                                       schaftliche          und
     Vordergründig war die                                             ethnographische
     von der Kaiser-                                                  Daten zu erheben.
     lichen     Aka-                                          Darüber hinaus verfolgte
     demie der                                             das durch die österreichische
     Wissen-                                                Marine unter dem Kommando
     s c h a f-                                             von Kommodore Bernhard
                                                            von Wüllerstorf-Urbair (1816–
                                                            1883) organisierte Unterneh-
                                                           men wahrscheinlich auch kolo-
                                                          niale Interessen.
                                                           Teil der wissenschaftlichen
                                                 Kommission der Novara-Weltumsegelung
                                                war der deutsch-österreichische Geolo-
                                                ge und spätere Intendant des k. k. Natur-
                                                historischen Hofmuseums, Ferdinand von
                                                Hochstetter (1829–1884). Als der 29 Jah-
                                                re alte Hochstetter am 22. Dezember 1858
     ten in Wien vorbereitete                   in Auckland ankam, war er bereits von der
     Expedition     als   For-                  neuseeländischen Kolonialregierung mit
     schungsreise konzipiert.                   dem Auftrag ausgestattet, die neu ent-
     Einem Stab an renom-                       deckten Kohle-Lagerstätten bei Drury im
     mierten Wissenschaft-                      Süden von Auckland zu untersuchen. Seine
     lern fiel die Aufgabe zu,                  Aufgaben als Mitglied des Novara-Expedi-
     an allen Stationen und                     tionskorps waren daher bis zur Abreise am

                                                                        Zeichnung eines Moa-Skeletts
26                                                                     von Ferdinand von Hochstetter
Vogelgattung erstmals wissenschaftlich
                                                     beschrieben und mit dem Namen Dinor-
                                                     nis benannt. Seitdem folgte Publikation um
      2. Oktober 1859 ruhend ge-                     Publikation, die sich mit der Systematik der
      stellt. Österreichische Geo-                   geheimnisvollen Tiere befassten. Für Haast
      logen gehörten zu dieser                       war es daher wichtig, einige wertvolle Ske-
      Zeit zu den besten welt-                       lette für Neuseeland zu beschaffen und
      weit; so gesehen war es                        die Funde später in dem von ihm gegrün-
      nicht weiters ungewöhn-                        deten Canterbury Museum in Christchurch
      lich, dass das expandieren-                    auszustellen. Auch Wien sollte nicht leer
      de Britische Empire Hoch-                      ausgehen. Hochstetter reiste noch 1859,
      stetters geowissenschaftliche                    natürlich ohne fossile Knochen, weiter
      Expertise zukaufte.                                   nach Sydney. Die Skelette gelangten
          Neben seinen Arbeiten für                                                    daher erst
      die Kolonialregierung fand Hoch-
      stetter Zeit für detaillierte geolo-
      gische Untersuchungen in der Region
      von Auckland und Nelson. Beglei-
      tet wurde er dabei meist von
      seinem Freund, dem deutschen
      Geologen Julius Ritter von Haast
      (1822–1887). Gemeinsam reisten
      die beiden im Sommer 1859 in die
      Provinz Nelson, wo sie in den Karst-
      höhlen des Aorere-Tals auf fossile Moa-
      Knochen stießen und die Reste zu ber-
      gen begannen. Während Hochstetter sich         deutlich spä-
      schon bald wieder seinen geologischen          ter nach Wien,
      Untersuchungen widmete, startete Haast         wo sie 1876
      umfangreiche Grabungsarbeiten und för-         als Geschenke
      derte mehrere vollständige Moa-Skelette        von Hochstetter
      zutage. Die Entdeckung war gewiss nicht        und als Tauschob-
      zufällig, da die ausgestorbenen Riesenlauf-    jekte von Haast
      vögel Neuseelands damals zu den heißes-        in den Inven-
      ten Themen der Paläontologie zählten. Nur      tarbüchern der
      wenige Jahre zuvor hatte der britische Palä-   Geologisch-Palä-
      ontologe Sir Richard Owen (1804–1892) die      ontologischen

Auf Basis eines 3D-Scanns erstellte
Ansicht des Moa-Skeletts.                                                                           27
Abteilung vermerkt wurden. Eben-           tiere gab, hatten die flugunfähigen
     falls aus den Grabungen von Haast         Moas kaum natürliche Feinde. Höhlen
     stammen die Skelettteile, die 1878 aus    hatten für die Moas daher als Rück-
     Sydney ans Naturhistorische Museum        zugs- und Schutzraum vermutlich
     geschickt wurden.                          keine Bedeutung. Auch die Jungtiere
         Doch wie kam es zu der ungewöhn-       wurden nicht in den Höhlen aufge-
     lichen Ansammlung an Moa-Knochen            zogen. Vielmehr dürften die Tiere
     in Höhlen? Die beiden Geologen waren        Opfer geologischer Fallen geworden
     überrascht, die Skelette weitgehend im      sein. Immer wieder stürzten Moas
     Verband und nicht als lose verstreute       in die Hohlräume des Karstsystems,
     Knochen aufzufinden. Damit war klar,        die durch üppige Vegetation gut
     dass es sich nicht um Essensreste der       getarnt waren, und verhungerten
     Maori handeln konnte. Da die Kada-          dort.
     ver auch nicht zerteilt und verschleppt         Der gute Erhaltungszustand der
     waren, konnte man annehmen, dass            Skelette liegt auch am geringen
     die toten Vögel auch allen Zugriffen         Alter der Funde. Die meisten Kno-
     durch Aasfresser entzogen gewesen            chen stammen aus geologisch jun-
     waren. Die Höhlen, die Haast später           gen Höhlensedimenten, die sich
     Hochstetter-Höhle, Stafford-Höhle                erst in den letzten 30.000 Jah-
     und Moa-Höhle nann-                                         ren gebildet haben.
     te, entstanden als                                           Mit der Landung
     Karsthöhlen in oli-                                           der Polynesier auf
     gozänem Kalkstein,                                            Neuseeland     vor
     der von dichten Wäl-                                          mehr als 700 Jah-
     dern bedeckt war.                                             ren begann der
     Diese durchstreiften                                          Untergang der Rie-
     die tagaktiven Moas                                          senlaufvögel,   die
     über zwei Millionen                                          vermutlich bereits
     Jahre lang, um Blätter                                      im 15. Jahrhundert
     und Früchte zu fres-                                       ausgerottet waren.
     sen. Da es damals in                                       Die jüngsten Moas
     Neuseeland keine Raub-                                    stammen also aus
                                                               historischer Zeit.

                                                               Zeichnung eines
                                                                Moa-Skeletts von
                                                                Ferdinand von Hochstetter

                                                              Eingang der Tummit-Tomo-
                                                                   Höhle auf Neuseeland 

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