Höhlen Schatzkammern der Wissenschaft - naturhistorisches museum wien - Naturhistorisches ...
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Impressum Verlag des Naturhistorischen Museums Wien, 2022 | ISBN 978-3-903096-51-6 Naturhistorisches Museum Wien, w. A. ö. R., Burgring 7, 1010 Wien Autoren: S. 26–28 Mathias Harzhauser S. 30–33 Nesrine Akkari S. 34–37 Mathias Harzhauser S. 38–41 Luise Kruckenhauser S. 42–44 Walpurga Antl-Weiser Restliche Texte: Lukas Plan & Pauline Oberender Redaktion: Lukas Plan, Pauline Oberender & Andreas Kroh Lektorat: Erhard Christian, Andrea Krapf, Andreas Kroh, Andrea Kroh, Rudolf Pavuza, Brigitta Schmid & Christoph Spötl Layout: Andrea Krapf Grafiken: Josef Muhsil-Schamall Druck: Samson Druck, Samson Druck Strasse 171, 5581 St. Margarethen/Lungau Zitiervorschlag: Plan, L., Oberender, P. & Kroh, A. (Hrsg.) (2022): Höhlen – Schatzkammern der Wissen- schaft. – 52 S., Wien (Verlag des Naturhistorischen Museums Wien). Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten Link zur Offenlegung gem. §25 MedienG: https://www.nhm-wien.ac.at/impressum Gedruckt nach der Richtlinie „Druckerzeugnisse“ des Österreichischen Umweltzeichens, Samson Druck GmbH, St. Margarethen/Lungau, UW-Nr. 837 Bitte sammeln Sie Altpapier für das Recycling. EU Ecolabel awarded printed paper. EU Ecolabel: SE/011/007
C. Rittmannsperger Vorwort Was haben Rom, Damaskus und Wien keit und noch ältere Hinweise auf die Ent- gemeinsam? Alle drei Großstädte decken stehung geologischer Formationen finden. ihren Wasserbedarf aus dem Karst. Karst Last, but not least faszinieren Höhlen Men- besteht meist aus Kalkstein, der dafür, dass schen aus aller Welt – und haben sogar es sich um Stein handelt, recht wasserlöslich Astronaut*innen als Trainingsort gedient. ist. Das führt zu den typischen wildroman- Das NHM Wien befasst sich wis- tischen Erscheinungsformen des Karsts und senschaftlich mit Höhlen, ihrer Kartie- zu ausgedehnten unterirdischen Höhlensys- rung sowie der Erforschung ihrer langen temen und entsprechenden Wasserspei- Geschichte. Seit 2012 ist die Karst- und chern. Global werden bis zu 20 % des Trink- Höhlen-Arbeitsgruppe Teil der Geologisch- wasserbedarfs aus Karsthöhlen gedeckt. paläontologischen Abteilung des NHM Höhlen faszinieren darüber hinaus Wien. Hervorgegangen ist sie 1928 aus dem aufgrund ihrer speziellen Bewohner und Referat für Höhlenschutz am Bundesdenk- Gesteinsformationen, wie zum Beispiel malamt. Aufgrund der Bedeutung von Höh- Tropfsteine: Stalaktiten (wachsen von oben) len als Lebensraum, als Archiv der Vorzeit und Stalagmiten (wachsen von unten). Ande- und als Wasserspeicher ist die Schutzwür- re spannende Gebilde sind die Excentriques digkeit schon früh erkannt worden. (die heißen wirklich so!), die im NHM Wien Diese Arbeitsgruppe hat große Unter- zu bewundern sind. Mindestens ebenso stützung durch ehrenamtliche Höhlen- spannend sind die blassen Höhlen-Lebewe- forscher*innen – Citizen Scientists – und sen, aber auch die vielen Knochen der Höh- profitiert stark von deren Fachkenntnis, lenbären. Für die Wissenschaft besonders Engagement und Erfahrung. interessant sind pigmentlose Höhlenfische, Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Entde- da ihre morphologischen Veränderungen in cken der vielen Höhlen-Anknüpfungspunkte Verbindung mit genetischen Studien Ein- auf unserem Höhlenpfad durch das Naturhi- sicht in Evolutionsprozesse geben. storische Museum Wien! Darüber hinaus lassen sich in Höhlen frühe Zeugnisse menschlicher Kunstfertig- Ihre Katrin Vohland Generaldirektorin 1
L. Plan Eingang zur Hirlatzhöhle im Dachstein, der mit 113 km drittlängsten Höhle Österreichs. Im Hintergrund sieht man Hallstatt (Oberösterreich). Einleitung Überspitzt gesagt gibt es gar keine Höh- zur Speläotherapie, bei der Menschen mit len. Die sind nämlich natürlich entstandene Atemwegserkrankungen durch die Beson- Löcher und faktisch existiert nur das umge- derheiten der Höhlenluft Linderung ihrer bende Gestein. Eben diese Hohlräume sind Beschwerden erfahren. für etliche Lebewesen der Vergangenheit und Das Naturhistorische Museum Wien Gegenwart und auch für die Menschheitsge- hat sowohl historisch als auch aktuell einen schichte von großer Bedeutung. Nach wie vor starken Bezug zu Höhlen. Die Karst- und Höh- ziehen Höhlen viele Menschen in ihren Bann. lenarbeitsgruppe am NHM Wien ist auch die Sei es aus kultischen Gründen oder wegen einzige staatlich geförderte Einrichtung Öster- ihrer Schönheit – besonders bei Tropfstein- reichs, deren Mitarbeiter*innen sich direkt mit und Eishöhlen – oder wegen der naturwissen- Höhlen beschäftigen – etwa mit der Entste- schaftlichen und kulturhistorischen Inhalte. hung dieser besonderen Hohlräume. Wissenschaftler*innen unterschiedlichs- Diese Broschüre soll einen Einblick in die ter Disziplinen forschen in diesen, in vielerlei faszinierenden unterirdischen Welten und Hinsicht speziellen, unterirdischen Räumen. deren Erforschung geben und einige Streif- Das Wissen über Höhlen findet aber auch lichter auf ihre Bedeutung für die Wissen- praktische Anwendung, wenn es etwa um schaft werfen. Vielleicht macht sie ja auch die Versorgung von Menschen mit sauberem Lust, sich selbst mit Höhlen zu beschäftigen. Trinkwasser geht. Und auch bei der Erfor- Sowohl in Sammlungen und Archiven als schung des Klimas der Vergangenheit im auch draußen in der Natur gibt es noch viel Vergleich zum heutigen Klimawandel bis hin zu erforschen! 2
Höhlen – Wissenswertes Was ist eine Höhle? Höhlen sind natürlich entstandene unterir- kann. Es ändern sich die Fließeigenschaften dische Hohlräume. Stollen und andere vom und auch die Lösungsgeschwindigkeit, was Menschen geschaffene Bauwerke gehören wiederum Einfluss auf die Höhlenbildung hat. somit nicht dazu. Soweit der relativ simple Neben dem Gang-Querschnitt wird oft auch Teil der Definition. Es muss aber zusätzlich eine Mindestlänge definiert (in Österreich 5 m). noch eine Mindestgröße angegeben werden, Erst dann wird eine Höhle ins Österreichische da sonst jeder Hohlraum zwischen den Stei- Höhlenverzeichnis aufgenommen; auch die nen eines Schotterhügels eine Höhle wäre. Höhlenschutzbestimmungen beziehen sich auf Wie so oft wird hier der Mensch als Maßstab diese Referenz. genommen und definiert, dass ein Mensch Der Begriff „Grotte“ war früher gleichbe- in eine Höhle passen muss. Dies ist zwar für deutend mit Höhle, wird aber heute im natur- Hydrogeolog*innen, die das Fließen des Was- wissenschaftlichen Sprachgebrauch nicht sers durch eine Höhle untersuchen, nicht mehr verwendet. Große, komplexe Höhlen gänzlich zielführend, aber es gibt selbst im werden als Höhlensysteme bezeichnet. Wenn 21. Jahrhundert noch keine Möglichkeit, aus- eine Verbindung zwischen zwei Höhlen ent- gedehnte und mehr als einige Meter unter der deckt wird, kann dies zur Benennung eines Oberfläche liegende Höhlen zu erforschen, neuen Höhlensystems führen. außer durch Höhlenforscher*innen, die sich Ein Eingang zur Höhle kommt in der Höh- selbst in den Untergrund begeben. Auch aus lendefinition nicht vor, denn aufgrund statis- hydrologischer Sicht ist der Querschnitt des tischer Überlegungen kann man davon aus- Hohlraums relevant und der menschliche gehen, dass die überwiegende Mehrheit der Körper als Maßstab nicht unangebracht. In unterirdischen Hohlräume gar keinen Eingang schmalen Spalten hat das Wasser andere hat. Etliche Höhlen kennt man nur, weil sie bei Eigenschaften als in breiteren Durchgängen, Steinbrucharbeiten oder in Bergwerken ange- durch die ein Mensch hindurchschlüpfen schnitten wurden. 98 m tiefe Schachtstufe im 1.082 m tiefen Stein- bockschacht am Hochschwab (Steiermark) 3 Á. Berentés
Wie entstehen Höhlen? Ein Loch in einem Material kann während der Die meisten Höhlen bilden sich in einem Herstellung entstehen, als Produktionsfehler, schon bestehenden Gestein – durch unter- oder später, zum Beispiel durch Verschleiß. schiedliche Prozesse. Die meisten und die Genauso verhält es sich mit Höhlen: Ein Hohl- ausgedehntesten Höhlen entstehen durch raum kann sich schon während der Bildung Lösung des Gesteins. Dieser Prozess wird des Gesteins formen oder erst nachträglich. „Verkarstung“ genannt. Wie sie funktioniert, Lavahöhlen zum Beispiel bilden sich wird im nächsten Kapitel beschrieben. gleichzeitig mit dem Gestein. Dabei fließt Besonders in den Alpen entstehen viele am Hang eines Vulkans das flüssige Gestein Höhlen durch Verwitterung. Frostsprengung abwärts, kühlt an der Oberfläche ab und ist dabei die treibende Kraft. Jeder, der schon erstarrt. In einem Kanal darunter fließt es einmal schnell ein Getränk kühlen wollte aber weiter, bis der Zustrom endet und sich und die Glasflasche im Tiefkühlfach verges- der Kanal entleert. Verzweigte Systeme sol- sen hat, weiß um die Kraft, die beim Gefrie- cher Lavahöhlen können eine Länge von ren von Wasser auf die Umgebung ausgeübt einigen Dutzend Kilometern erreichen und wird. Wenn Wasser in Fugen einer Felswand über 1.000 m Höhenunterschied aufweisen. gefriert, kommt es unweigerlich zur Spren- Beispiele dafür gibt es weltweit in vielen Vul- gung des Gesteins. Oft entstehen dadurch kanregionen wie Hawaii, den Kanarischen sogenannte Halbhöhlen, bei denen der Ein- Inseln und im Süden Kenias. In den wenigen gang breiter ist als die Tiefe. Es können auf Vulkanresten Österreichs, im Südburgen- diese Weise aber auch komplexe und bis land und der Oststeiermark, sind keine Lava- zu etliche Zehnermeter tiefe unterirdische höhlen bekannt. Hohlräume entstehen. Lavatunnel des Ätna 4 Á. Berentés
L. Plan Nur durch Frostverwitterung entstanden: das Wetzsteinloch im Hochschwab (Steiermark) Ein anderer Prozess, der Halbhöhlen formt, ist Erosion, also Gesteinsabtragung – meist durch bewegtes Wasser. Solche Höhlen bil- oder sind die Spalten unregelmäßig geformt, den sich zum Beispiel, wenn Flüsse an stei- bilden sich Höhlen. Manche Spalthöhlen errei- len Ufern entlangströmen und sowohl das chen einige 100 m Länge und etliche Zehner- schnell fließende Wasser als auch die darin meter Tiefe. mitgeführten Sedimente die Felswände Die Liste der Prozesse, die Hohlräume im unterspülen. Brandungshöhlen wiederum Gestein hervorrufen, ließe sich lange fortset- bilden sich, wenn die Wellenbewegungen zen. Sie beinhaltet auch einige Kuriositäten. an einer Meeresküste Schwächezonen im So untersuchten brasilianische Forscher*innen Gestein aushöhlen. rund 50 m tiefe, verzweigte Gangsysteme, für Diese Halbhöhlen sind unter dem Gesichts- deren Entstehung keine geologische Ursache punkt der naturkundlichen Erforschung nicht in Frage kommt. Des Rätsels Lösung sind aus- besonders spannend und weisen oft nicht gestorbene Rie- einmal einen lichtlosen Teil auf. Für unse- senfaultiere, wel- re Vorfahren waren sie aber willkommene che die Höhlen in Unterstände. Das macht einige Halbhöhlen zu der jüngeren Erd- bedeutenden archäologischen Fundplätzen. neuzeit (Neogen) Der Cro-Magnon-Mensch zum Beispiel wurde gegraben haben. 1868 in einer flachen Halbhöhle, dem Abri de Nach wie vor Cro-Magnon in Frankreich, entdeckt. gibt es auch einige In den Alpen, wo die Gletscher der letzten Höhlen, deren Ent- Eiszeit oft steile Talflanken hinterließen, sind stehung unklar ist. Spalthöhlen häufig. Besonders, wenn mas- Besonders schwie- sive Gesteine wie Kalkgesteine relativ weiche rig wird die Rekon- Gesteine wie Tonschiefer überlagern, kommt struktion, wenn es zum langsamen Abgleiten von Kalkblöcken, Menschen eine was zum Aufreißen von Spalten führt. Werden Höhle nutzten und diese von nachstürzenden Blöcken überdeckt veränderten. Eine typische Spalthöhle: das Markierte Windloch bei Otterthal (Niederösterreich) 5 L. Plan
Die größten Höhlen entstehen durch Wasser Weltweit und auch in Österreich sind die Kohlendioxid auf; dadurch entsteht Kohlen- meisten und fast alle großen und bekannten säure – wie wir sie aus dem Mineralwasser Höhlen sogenannte Karsthöhlen. Sie bilden kennen, nur schwächer. Diese kann das Cal- sich in Gesteinen, die eine erhöhte Löslich- ciumcarbonat lösen und abtransportieren, keit haben. Auch wir lösen Minerale, also ähnlich wie die Essigreiniger, die wir zum die Bestandteile von Gesteinen, wenn wir Lösen von Kalkrändern in Sanitär-Einrich- zum Beispiel Salz in die Suppe geben. Und tungen verwenden. Auch Dolomit, der aus Steinsalz ist tatsächlich eines der Gesteine, dem gleichnamigen Mineral besteht und in denen es Karsthöhlen gibt. Allerdings häufig als Gestein auftritt, ist löslich, aller- kommt Steinsalz nur in extrem trockenen dings schwerer. Deshalb sind Höhlen im Regionen an der Erdoberfläche vor. Beispiele Dolomitgestein seltener. sind die Umgebung des Toten Meeres in Das kohlensäurehaltige Wasser versi- Israel oder die Atacama-Wüste in Chile. Mit ckert oben am Berg entlang winziger Fugen jedem der seltenen Regenfälle können sich im Gestein und bahnt sich einen unterir- im Steinsalz Höhlen bilden oder vergrößern. dischen Weg zu einer Quelle im Tal; dabei Die wichtigsten und am weitesten ver- werden die Fugen im Gestein durch Lösung breiteten Karstgesteine sind Kalk sowie erweitert. Auf diese Weise können mit der andere Gesteine, die ebenfalls aus Calcium- Zeit weitläufige Höhlen im Untergrund ent- carbonat bzw. dem Mineral Calcit beste- stehen, deren Dimensionen sogar mensch- hen. Dieses Mineral wird nicht wie Steinsalz liche Bauwerke in den Schatten stellen. Die durch reines Wasser gelöst, sondern durch größten bekannten Höhlengänge welt- kohlensäurehaltiges. Regenwasser nimmt weit finden sich in Höhlen Südostasiens; in der Atmosphäre und vor allem im Boden sie sind einige Kilometer lang und haben Durchmesser von rund 100 m. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sie aus einer nur millimeterbreiten Fuge im Kalkgestein ent- standen sind. Die fortschreitende Aushöhlung durch Lösungsprozesse bewirkt, dass der Wasser- spiegel in einem Kalksteinmassiv auf das Niveau der Quellen im Tal absinkt. Oberhalb dieses sogenannten Karstwasserspiegels fließt das Wasser gemäß der Schwerkraft durch meist schmale, aber hohe Canyons oder durch senkrechte Schächte nach unten. Die meisten großen Gänge entwickeln sich aber unter dem Wasserspiegel, wo das Was- ser aufgrund des Druckunterschiedes zur Fugen im Gestein werden durch Lösung 6 erweitert – ein Hohlraum entsteht (Marmor- steinbruch in Arzwiesen, Niederösterreich). C . Bauer
v H. Meyrl Während ihrer Entstehung sind viele Höh- len wassergefüllt und können nur von tiefstmöglichen Austrittsstelle beziehungs- Höhlentaucher*innen befahren werden. weise zu einer Quelle strömt. Dabei kann es wie im Siphon eines Waschbeckens bergauf Für viele Höhlenräume bedeutet das aber, und bergab fließen. dass geologische Prozesse zum Erliegen Sobald eine Fuge ungefähr auf Dezime- kommen und kaum mehr Veränderungen tergröße erweitert ist, erfolgt die Erweite- stattfinden. rung zu einem Gang mit ein paar Metern Dass Höhlen in vielen Filmen ein- Durchmesser in einem Zeitraum von eini- stürzen, ist übrigens der Phantasie der gen 10.000 Jahren, also in geologisch kur- Drehbuchautor*innen geschuldet und dient zer Zeit. Gleichzeitig werden die Täler an dazu, die Dramatik zu steigern. In der Natur der Erdoberfläche durch Erosion tiefer ein- passiert dies nämlich ausgesprochen sel- geschnitten; dadurch verlagern sich der ten. Höhlenräume im Kalkstein können Karstwasserspiegel und die Quellaustritte über mehrere Millionen Jahre bestehen, bis nach unten; die höhergelegenen Gänge sich die Erdoberfläche durch Erosion dem fallen trocken. Erst dann kann man auch Hohlraum nähert und seine Decke von oben ohne Tauchausrüstung in diese Höhlen. abgetragen wird. Das Einschneiden des Tals lässt in einem Karstmassiv neue unterirdische Abflusswege entstehen und alte Höhlen trocken fallen. Karstplateau Karstplateau Schwinde Schwinde Fluss Karstquelle Höhleneingang trockene Höhle wassergefüllte Höhle Fluss 7 Karstquelle wassergefüllte Höhle vor einigen Millionen Jahren heute
Was ist Karst? Durch die Löslichkeit des Gesteins und die oder Il Carso bezeichnet und wurde schon unterirdische Entwässerung entsteht auch früh eingehend untersucht. Jovan Cvijić an der Erdoberfläche eine Landschaft mit (1865–1927), ein Schüler führender Geo- speziellen Formen. An den Stellen, an denen graphen und Geologen wie Albrecht Penck Wasser versickert und dabei Gestein löst, und Eduard Suess, promovierte 1893 an bilden sich trichterförmige Vertiefungen, der Universität Wien mit seiner Arbeit über sogenannte Dolinen. Es können aber auch „Das Karstphänomen“. Aufgrund der Ver- ganze Bäche oder sogar Flüsse im Unter- öffentlichung seiner Arbeit in den renom- grund verschwinden. Diese Schlucklöcher mierten „Geographischen Abhandlungen“ werden als Ponore bezeichnet und sind oft von Albrecht Penck hat sich die ursprüng- auch befahrbare Höhleneingänge. liche Lokalbezeichnung „Karst“ weltweit als Besonders ausgeprägt sind diese Land- Fachbegriff für diesen Landschaftstyp eta- schaftsformen in einem kleinen wasser- bliert. Der Prozess der Entstehung wird als losen Areal im Hinterland von Triest an der „Verkarstung“ bezeichnet. slowenisch-italienischen Grenze. Die Regi- Der Landschaftstyp „Karst“ beschränkt on wird als Karst beziehungsweise Kraš sich allerdings nicht – wie vielfach angenom- L. Plan Schwinde nahe der Sonnschienalm am Hochschwab (Steiermark) 9 Karstlandschaft am Hochschwab (Steiermark)
L. Plan Karstlandschaft mit Dolinen am Hochschwab (Steiermark) men – auf kahle, vegetationsarme Gebiete; lich als Kalk, wenn auch nicht so gut wie tatsächlich ist die Verkarstung in den Tro- Salz, sodass er in Regionen mit humidem pen am intensivsten. Einerseits begünstigen Klima, wo mehr Wasser versickert als ver- dort die großen Niederschlagsmengen die dunstet, auch an der Erdoberfläche auf- Kalklösung, andererseits führen die hohen tritt. Die Lösungsprozesse erfolgen so Temperaturen zu einer verstärkten Aktivi- schnell, dass sie rascher wahrgenommen tät der Bodenorganismen und zu hohen werden als bei Kalkstein. Auch ist Gips viel Kohlendioxid-Konzentrationen. Dadurch weicher als Kalk. In Gipskarst-Gebieten entstehen entsprechend saure Wässer, kommt es immer wieder vor, dass ober- die viel Kalkstein lösen können. Durch den flächennahe Höhlen einbrechen, was zu rascheren Lösungsprozess und weil es kei- Einsturzdolinen an der Oberfläche führt. ne Frostverwitterung gibt, bilden sich unter Mitunter sind dadurch auch Bauwerke tropischen Bedingungen an der Oberfläche betroffen. Zudem kann diese Dynamik andere Karstformen als in den nördlichen durch menschliche Eingriffe in den Was- und südlichen Breiten: Es entstehen hohe serhaushalt ausgelöst oder verstärkt Türme und teilweise abgerundete Kegel. werden. Beispiele dafür gibt es in Hinter- Dieser sogenannte Turm- oder Kegelkarst brühl südlich von Wien. Dort haben alte ist unter anderem aus China, Vietnam und Bergwerksstollen die natürlichen unter- Thailand bekannt. Nur in sehr trockenen irdischen Wasserläufe verändert. Selbst Gebieten und in Permafrost-Gebieten, etwa das jährliche Auslassen von Swimming- in polaren Regionen, kann der Verkarstungs- pools kann zur Entstehung oberflächen- prozess nicht ablaufen. naher Lösungshohlräume im Gips und Ein weiteres bedeutendes Karstge- dadurch zu Problemen in dicht bebauten stein ist Gips. Gips ist deutlich besser lös- Gebieten führen. 10
Höhlenforschung ist Citizen Science Es gibt noch keine Möglichkeit, Höhlen zu Deshalb werden neu entdeckte Höhlen erforschen, außer dass sich ein Mensch oder Höhlenteile von erfahrenen Höhlen- hineinbegibt. Da man in Höhlen nur selten forscher*innen immer gleich vermessen. normal gehen kann, sondern Fortbewe- Höhlenforscher*innen sind in den gungsarten wie Klettern, Kriechen, Absei- meisten Fällen Enthusiasten, die das Ver- len und Schwimmen vorherrschen, spricht messen und Dokumentieren von Höh- man von Höhlenbefahrung. Beim Erkunden len in ihrer Freizeit betreiben. Trotzdem von Höhlen stößt man aber bald an Grenzen, sind diese Citizen Scientists – oder Lai- da man vor allem in ausgedehnteren Höh- enwissenschaftler*innen – meist gut lensystemen leicht die Orientierung ver- ausgebildet und betreiben ihre For- liert. Für alle, die sich mit Höhlen beschäf- schung auf hohem Niveau. Der Fach- tigen, ist daher ein Höhlenplan wichtig. begriff für die Höhlenforschung lautet übrigens Speläologie und leitet sich vom P. Crochet Höhlenforscher*innen beim EuroSpeleo 11 Forum 2018 in Ebensee (Oberösterreich)
Lateinischen spelunca ab – wie auch elektronisches der umgangssprachliche Ausdruck für Messgerät erle- schummrige (Keller)Lokale. digt diese Mes- Höhlenforscher*innen sind in Vereinen sung heute auf organisiert (Adressen finden sich auf der Knopfdruck und letzten Seite). In den meisten Ländern ist die Daten wer- auch die Führung des Höhlenkatasters, den an ein Tablet der systematischen Sammlung von Daten übertragen. Zu zu Höhlen, eine Aufgabe solcher Vereine. diesem gemes- Der älteste Höhlenverein weltweit wurde senen Grundge- übrigens 1879 in Wien gegründet. Eines rüst werden vor der Gründungsmitglieder war der dama- Ort auch die lige Direktor des k. k. Naturhistorischen Raumformen und Hofmuseums, Ferdinand von Hochstetter der Inhalt der (1829–1884), von dessen höhlenkund- Höhle skizziert. lichen Aktivitäten in weiterer Folge noch Der Höhlen- U. Tichy die Rede sein wird. plan, der so ent- Die Vermessung von Höhlen erfolgt nor- steht, stellt die Grundlage für die weitere malerweise mittels aneinandergereihter Erforschung und wissenschaftliche Unter- Messzüge, die von Punkt zu Punkt führen suchung dar, denn jeder Fund und jede und durch ihre Länge, Neigung und Him- Beobachtung verlieren ohne genaue Orts- melsrichtung bestimmt sind. Ein kleines angabe an Bedeutung. Höhlenforscher in einer Engstelle – einem sogenannten Schluf 12 T. Exel
Karstgebiete (rot) sind weltweit verbreitet – in Südost-Asien und Südchina finden sich besonders viele. Wo gibt es Höhlen? Karstgebiete machen weltweit rund bezeichnet, was aber streng genommen nur 15–20 % der eisfreien Landoberfläche aus, für Höhlen korrekt ist, deren höchster Punkt wobei Kalkgesteine die häufigsten Träger der Eingang ist. des Karstphänomens sind. Gipskarst ist weit Den größten Anteil an Karstgebieten weniger verbreitet, jedoch regional durch- haben Südost-Asien und Südchina. Die pit- aus bedeutend. Vor allem die miozänen toresken Kegelkarst-Landschaften sind als Gipsvorkommen der Westukraine beherber- Tourismus-Aushängeschild bekannt. Neben gen einige extrem labyrinthische Höhlensy- ausgedehnten Kalkstein-Arealen trägt auch steme: In der Optimisticheskaja-Höhle sind das tropische Klima zur intensiven Verkar- 257 km an Gangstrecken dokumentiert, was stung bei, und nicht zufällig finden sich auch sie zur längsten Höhle Europas macht. die weltweit größten unterirdischen Hallen Übrigens: Die Länge ist die am häufigsten in diesem Erdteil. Im Süden Chinas konnte verwendete Kenngröße einer Höhle und mittels Laserscan im Miao-Room des Gebihe- wird aus der Summe der Messzüge berech- Höhlensystems ein Hohlraumvolumen von net. Dabei spielt die Neigung keine Rolle: Ein 10,6 Mio. m³ ermittelt werden. Zum Vergleich: 10 m tiefer Schacht wird demnach als 10 m Das Wasser der Alten Donau in Wien (durch- Länge gewertet. Ein anderer Wert ist der schnittlich 2,3 m tief) hat nur 35 % dieses Höhenunterschied zwischen dem höchsten Volumens. Im malaysischen Teil der Insel und tiefsten Punkt. Er wird auch als Tiefe Borneo, im Mulu Nationalpark, befindet sich 13
die flächenmäßig größte unterirdische Halle, Oberfläche nur knapp über dem Meeres- die Sarawak Chamber, mit 168.870 m². Zum spiegel liegt. Die Höhlen dort sind groß- Vergleich: Das Areal von Natur- und Kunsthi- teils wassergefüllt und können nur von storischem Museum samt den Parkanlagen Höhlentaucher*innen erforscht werden. Die erstreckt sich nur über 38 % dieser Fläche. längste dieser Unterwasserhöhlen ist das Die längste Höhle der Welt befindet Sistema Sac Actun mit 372 km Länge. sich in den USA. Das Mammoth-Cave- Die vier tiefsten Höhlen der Welt liegen System in Kentucky hat eine Länge von allesamt auf relativ engem Raum im West- 676 km – um 100 km mehr als die Ost- kaukasus in der georgischen Provinz Abcha- West-Erstreckung Österreichs. Der Höhen- sien. Seit 2017 führt die Veryovkina-Höhle unterschied von 124 m hingegen erscheint mit 2.202 m Höhenunterschied die Liste der im Vergleich zu alpinen Höhlen unbedeu- tiefsten Höhlen der Welt an. Davor war es L. Plan Bis zu 6 m große Gipskristalle in der Lechuguilla- Höhle in New Mexico (USA) die benachbarte Krubera-Höhle mit 2.197 m. Pauline Oberender vom NHM Wien war tend. Die Lechuguilla-Höhle in New Mexico mehrmals an Expeditionen in die vierttiefste ist mit 242 km die längste Karsthöhle der Höhle, die Snezhnaya-Höhle, beteiligt, bei Welt, die nicht durch Kohlensäure, sondern denen die Forscherin bis zu 21 Tage im Unter- aufgrund spezieller geologischer Gegeben- grund verbrachte. heiten durch Schwefelsäure gebildet wurde. Weitere bedeutende Karstgebiete und Sie zeichnet sich durch große Gipskristalle Höhlensysteme mit über 100 km Länge gibt und sehr spezielle Höhlenminerale aus. es außerhalb Europas in Brasilien, im Süden Auf der Halbinsel Yucatán in Mexiko Australiens und in Madagaskar. Die nörd- gibt es ausgedehnte Kalkstein-Areale, deren lichste Höhle der Welt wurde erst in den 14
M. Widmer Typisches Gangprofil im Hölloch, der läng- sten Höhle der Alpen (Muotatal, Schweiz) letzten Jahren unter österreichischer Betei- Tote Gebirge, aber weltweit gibt es in kei- ligung dokumentiert. Sie liegt in Nordost- nem anderen Gebiet so viele tiefe Höhlen: Grönland auf 80° nördlicher Breite und ist 16 davon erreichen mehr als 1 km Höhen- ein Relikt aus wärmeren Zeiten, als dort noch unterschied und vier Höhlen haben über ungefrorenes Wasser für die Kalklösung zur 100 km Länge. Verfügung stand. Auch die Wiege der Karstforschung, der In Europa befinden sich bedeutende Dinarische Karst, der von Triest bis Monte- Karstgebiete in den Alpen, im Jura samt negro reicht, zeichnet sich durch eine Viel- Schwäbischer und Fränkischer Alb, in den zahl von Höhlen aus. In der längsten, dem Pyrenäen, am Balkan und auf den Britischen Crnopac-System, sind 55 km an Passagen Inseln. Herausragend sind die Picos de Eur- dokumentiert. Das Crnopac-System liegt opa im Kantabrischen Gebirge im Nor- im Velebitgebirge in Kroatien, das vor allem den Spaniens. Sie sind nicht größer als das wegen seiner tiefen Höhlen bekannt ist. Vier davon haben über 1 km Höhenunterschied. Die längste Höhle der Alpen ist das Hölloch Überwindung eines Sees im Lamprechtsofen, im Muotatal in der Zentralschweiz: eine der tiefsten Höhle Europas (Weißenbach/ Lofer, Salzburg) 15 T. Exel
aktive Wasserhöhle, in der bisher 208 km an gesteine aus der Triaszeit dominieren. Aber Gängen vermessen wurden. auch in den Zentralalpen – hier besonders in Österreich ist besonders höhlenreich der Umgebung von Graz, im Helvetikum in und das Erforschen und Dokumentieren Vorarlberg und in den Südlichen Kalkalpen von Höhlen hat hier eine lange Tradition. gibt es lokal viele Höhlen. Die ersten systematischen Aufzeichnungen Österreich ist aufgrund der Topographie über Höhlen gehen bis in die 1920er Jahre der Alpen besonders reich an tiefen Höh- zurück. Seit damals konnten 18.100 Höhlen len. Immerhin gibt es 18 Höhlen mit mehr dokumentiert werden. Jährlich werden rund als 1 km Höhenunterschied. Auch die fünft- 350 Höhlen neu ins Österreichische Höhlen- tiefste Höhle weltweit liegt in Österreich: verzeichnis aufgenommen. Zum Vergleich: Der Lamprechtsofen in den Leoganger Stein- In den flächenmäßig 117-mal größeren USA bergen in Salzburg weist 1.727 m Höhenun- sind nicht einmal viermal so viele Höhlen terschied auf. Seine Erforschung begann vom wie in Österreich dokumentiert. Neben der Eingang im Tal, der einen zeitweise aktiven geringeren Verbreitung an Karstgesteinen in Quellaustritt darstellt und an den sich ein für den USA liegt dies auch an der weniger aus- Besucher erschlossener Teil anschließt. Von geprägten Tradition zur Höhlendokumenta- dieser Stelle wurde über 1 km Höhenunter- tion. Generell spiegeln Karten der Höhlen- schied von unten erklettert; in weiterer Folge verbreitung meist eher den Forschungsstand wurden von immer höher liegenden Einstie- als die tatsächlichen Vorkommen wider. gen Verbindungen zu diesem System ent- Alle bis dato vermessenen Höhlenstre- deckt. Ein Durchstieg vom höchstgelegenen cken Österreichs zusammen – also alle Gän- Schachteingang zum Eingang im Tal würde ge, Schächte und Hallen – machen etwas mehrere Tage in Anspruch nehmen und wur- über 2.450 km aus, was der Strecke von Wien de noch nie durchgeführt. nach Jerusalem entspricht. Die bedeutends- Aber auch bezüglich der langen Höh- ten Höhlen- und Karstgebiete Österreichs len muss sich Österreich nicht verstecken. liegen in den Nördlichen Kalkalpen, wo Kalk- Immerhin drei Höhlen sind länger als 100 km. Die längste ist das Schönberg-Höhlensystem östlich von Bad Ischl im Toten Gebirge, dem ausgedehntesten Karstmassiv Österreichs. Der Zusammenschluss mehrerer ehemals getrennter Systeme führte hier zur Entste- hung einer Höhle mit 153 km Länge und 1.061 m Höhenunterschied. Gurams-Lake – der tiefste Punkt der Snezhnaya-Höhle 1753 m unter dem höchsten Eingang (Abchasien, Georgien) Tropfsteinhöhle „Aven des Pèbres“ 16 in Frankreich A. Shuvalov
17 M. Wisshak
Was ist in Höhlen drinnen? Kommen wir zurück auf die Löcher. Da in die- chen oder Spuren unserer Vorfahren, ist es sen unterirdischen Hohlräumen kein Vakuum immer wichtig, auch die Schichten zu unter- herrscht, sind sie teilweise oder vollständig suchen, die den Fund umgeben. Erst dieser mit Gasen (meist Luft), mit Flüssigkeiten Zusammenhang liefert wichtige Informatio- (meist Wasser) oder mit Feststoffen gefüllt. nen über den damaligen Lebensraum – nicht Bei letzteren handelt es sich um Ablage- nur in der Höhle, sondern auch außerhalb. rungen verschiedenster Art und Herkunft. Auf In Höhlen kann auch eine Vielzahl unter- diese soll im Folgenden eingegangen werden. schiedlicher Minerale entstehen. Weltweit Im einfachsten Fall sind es Steine, die sind etwas über 350 Mineralarten aus Höh- von der Decke gefallen sind, oft wurden len – nicht nur aus Karsthöhlen – bekannt. In aber auch Sedimente wie Ton, Sand oder Österreich sind es nur rund 40, vor allem aus Kies vom Wasser in die Höhle gespült. Stößt Karsthöhlen. Das häufigste Mineral ist Calcit. man heute auf einen Anschnitt der Sedi- Da gelöstes Calciumcarbonat im Wasser trans- mentschichten, so kann man daraus viel portiert wird, kann es, sobald sich die che- über die ehemaligen Bedingungen erfahren: misch-physikalischen Bedingungen ändern, Die Zusammensetzung der Gesteinskörner ausfallen und so Calcit entstehen lassen. zeigt, woher sie stammen. Je abgerundeter Sickert das Wasser zum Beispiel durch die Körner sind, desto weiter wurden sie vom eine Fuge in einen Höhlenraum, in dem Wasser transportiert. Die Größe zeigt, wie der Kohlendioxid-Gehalt geringer ist als im schnell das Wasser geflossen ist, denn nur Boden darüber oder in den engen Klüften ein Fluss mit viel Energie kann große Steine des Gesteins, lagert sich mit jedem Tropfen bewegen. Tonpartikel hingegen, die so fein eine dünne Schicht aus Calcit ab; so können sind wie Puder, setzen sich nur in stehen- Tropfsteine und andere Sin- dem Was- ser ab. Vor allem bei terbildungen wach- Funden, die in Sedimente sen. Für viele einge- bettet sind, zum Men- Beispiel Höh- schen lenbärenkno- haben 18 L. Plan
diese glitzernden, formen- und far- benreichen Kristall- gebilde eine beson- bewegt wird. In die- dere Schönheit. sen kleinen Kugeln Hingegen sind Mine- sind die Schichten rale, die auf ähnliche Weise neu gebil- schalig angeordnet. det werden, im Haushalt unangenehm, Die eigenartigsten For- wenn zum Beispiel im Wasserkocher men heißen Excentriques, durch die Temperaturerhöhung der das sind filigrane würm- Heizstab verkalkt oder sich durch Ver- chenartige Gebilde, die der dunstung Kalkränder am Waschbecken Schwerkraft trotzen und bilden. Wenn die Versorgung mit Wasser scheinbar chaotisch aus der aus Karstgebieten erfolgt, kann man sich vor- Wand, aus Sinterflächen oder stellen, dass diese Minerale von der Bildung von Tropfsteinen wachsen. der Höhlen im Einzugsgebiet des Karstwas- Ihre Entstehung ist nicht rest- sers herrühren. Nutzen wir Grundwasser, so los geklärt. ist der Mineralgehalt noch höher. Würden wir Salopp ausgedrückt hat hingegen reines Regenwasser trinken, wür- der Calcit einen Zwillings- den uns wichtige Mineralstoffe fehlen, zum bruder, den Aragonit. Beide bestehen aus Beispiel das Calcium für den Knochenaufbau. Calciumcarbonat, sind also chemisch ident, In Höhlen erfolgen die Calcit-Ausfällungen unterscheiden sich aber in der geometri- unter unterschiedlichsten Bedingungen, was schen Anordnung der Atome im Kristallgitter. zu einem großen Formenreichtum führt. Aragonit ist ebenfalls häufig in Höhlen anzu- Von der Decke tropfendes Wasser bildet an treffen und kann auch Tropfsteine ausbilden. der Höhlendecke die bekannten Stalaktiten Speziell sind aber reinweiße, filigrane, den und am Boden die Stalagmiten; beide kön- Excentriques ähnliche Gebilde, die sogenann- nen zu Tropfsteinsäulen zusammenwachsen. ten Eisenblüten, oder nadelige Kristalle. Wand- oder Bodensinter entstehen, wenn ein Das dritthäufigste Mineral in Kalk- Wasserfilm flächig abrinnt. Haftwasser, das stein-Höhlen ist der Gips. Er besteht aus entlang einer schrägen Decke fadenförmig Calciumsulfat; dieses bildet sich zum abfließt, erzeugt einen kleinen länglichen Beispiel, wenn das aus Eisen und Schwe- Wulst, der laufend nach unten verlängert fel bestehende Mineral Pyrit, das in man- wird. Dadurch entstehen dünne, geschwun- chen Kalksteinarten eingeschlossen ist, gene Sinter, die als Sinterfahnen bezeichnet mit Sauerstoff in Kontakt kommt. So ent- werden. Sinterperlen bilden sich in Wasser, steht Schwefelsäure, die den Calcit in Gips das von Tropfen oder einer leichten Strömung umwandelt. Dabei wird das Volumen ver- Kleine Stalaktiten und Sinterröhrchen in den Rauchspalten (Kirchberg/Wechsel, Niederösterreich) Bäumchen aus nadeligen Aragonit-Kristallen (Lechuguilla-Höhle, New Mexico, USA) 19 L. Plan
sich nicht um Karsthöhlen handelt. Eini- ge der groß- en Bergkristalle aus den Alpen stammen aus befahr- baren Klüften. Diese sind kilo- metertief unter der Erdoberflä- che im Zuge der Gebirgsbildung aufgerissen und waren ebenfalls mit wässrigen Lösungen gefüllt. Die- se waren allerdings nicht an Calcium- carbonat, sondern an Silizium- dioxid übersättigt. Durch sehr langsame Ausfällung konnten große Quarzkri- stalle entstehen. Auch besonders große Amethyst-Dru- sen können an die Dimensionen von Höh- len heranreichen. Es handelt sich um Gas- blasen in vulkanischen Gesteinen, in denen Quarz- größert und der kristalle von den Wänden in den Gips wird aus der Wand Hohlraum wachsen. Die violette herausgepresst, was zu lockenartigen Färbung rührt von fein verteilten Eisen- Kristallen führen kann. atomen und von radioaktiver Strahlung her. Anfang der 2000er Jahre erschienen Ablagerungen in Höhlen können auch in den Medien Fotos von bis zu 11 m lan- biologischen Ursprungs sein. Die Palet- gen Gipskristallen, auf denen vergleichs- te reicht von eingeschwemmtem Holz weise kleine Höhlenforscher stehen. In über Reste toter Tiere bis zu Tierkot. einem Bergwerk in Mexiko wurden bis Große Kotanhäufungen stammen meist dahin geflutete Hohlräume im Kalkstein von Fledermäusen oder Vögeln. Da die- geöffnet; dort befinden sich die größ- ser sogenannte Guano reich an Phosphat ten bisher bekannten Gipskristalle. Sie und Nitrat ist, wurden in etlichen Höhlen sind über einen Zeitraum von vielen Nord- und Südamerikas Ablagerungen 100.000 Jahren gewachsen. von vielen Metern Mächtigkeit abge- Es gibt aber auch viele baut und als Dünger verwendet. Eine Zeit Minerale, bei denen man lang – vom Ersten Weltkrieg bis 1923 und im ersten Augenblick kurz nach dem Zweiten Weltkrieg – wur- nicht an Höhlenminerale de auch in Österreich Phosphatdünger in denkt, vor allem, wenn es Höhlen abgebaut. 20 M. Widmer
Schatzkammern der Wissenschaft Dass Höhlen wahre Schatzkammern men nur in einem sehr eingeschränkten für die Wissenschaft sind, hat mehrere Areal, mitunter gar nur in einer einzigen Gründe. Höhlen sind Orte, die im Gegen- Höhle vor. Manche dieser Höhlenbewoh- satz zur Erdoberfläche meist nur wenigen ner mit ihrer Anpassung an die Dunkelheit Änderungen unterworfen sind; dadurch und an die kargen Lebensbedingungen können Informationen über lange Zeit sind ideal, um die Mechanismen der Evolu- erhalten bleiben. Das macht Höhlen zu tion zu untersuchen. Archiven für die Landschafts- und Klima- Für die Hydrologie stellt ein unter- entwicklung und mitunter auch für die irdisches Fließsystem eine Black Box Erdbebenforschung. dar – besonders, wenn es um die Trinkwas- Höhlen waren schon immer auch serversorgung geht. Man kann in einem Rückzugsort für Tiere und Menschen. Der Karstgebiet relativ leicht messen, wie viel Mensch nutzte sie außerdem für kultische Niederschlag oben hineinrinnt und wie Handlungen, wovon Höhlenmalereien und viel bei einer Quelle herauskommt; aber Opferstätten zeugen. Senkrechte, schacht- was dazwischen passiert, ist unbekannt. artige Einstiege können zur Falle werden – Die meisten hydrologischen Modellvorstel- vor allem, wenn sie mit Vegetation oder lungen basieren nur auf dem Input und dem Schnee überdeckt sind. Höhlensedimente Output. Höhlen bieten aber die Möglichkeit, sind basisch bis neutral, denn die im das Wasser im Untergrund zu beobachten Boden vorkommenden Säuren haben ihre und auch dort Messungen durchzuführen. Lösungskraft schon am Kalk aufgebraucht. So können effizientere hydrogeologische Das ist gut für die Erhaltung von Knochen. Modelle entwickelt und wichtige Erkennt- Höhlen sind aber auch außergewöhn- nisse zum Schutz des Trinkwassers gewon- liche Ökosysteme und beherbergen spezi- nen werden. ell angepasste Tier- arten. Viele davon sind endemisch, das heißt, sie kom- Gipslocke in der Flower Cave (Neuseeland) Messung des Durch- flusses im Bach der Snezhnaya-Höhle (Abchasien, Georgien) 21 A.Shuvalov
Höhlen als Archive der Klimageschichte Viele Höhlen sind sehr alt. Bei den hoch gele- führten zur laufenden Veränderung der Erd- genen Höhlensystemen der Ostalpen geht oberfläche. Dadurch wurde Information über man davon aus, dass sie vor etlichen Milli- die Vergangenheit vernichtet: Nicht nur, dass onen Jahren gebildet wurden. Dass Höhlen wir nicht mehr wissen, wie die Landschaft oftmals nach ihrer Entstehung kaum Verän- ausgesehen hat, sondern es wurden auch derungen unterworfen sind, steht im kras- Spuren von Lebewesen (inklusive unserer sen Gegensatz zur Erdoberfläche, besonders Vorfahren) meist rasch wieder beseitigt. in Gebirgsregionen. Die Erosion von Gestein Höhlen hingegen sind wie Zeitkapseln durch Flüsse, deren Ablagerungen, Mas- und können die Informationen der Vergan- senbewegungen wie Murenabgänge, aber genheit über lange Zeiträume konservieren. auch langsames Hangkriechen und ganz Allerdings braucht es meist sehr spezielle besonders durch die Gletscher der Kaltzeiten Techniken, um diese Informationen ent- schlüsseln zu können. Aufgeschnittener Stalagmit mit Klima- Besonders bei der Frage, bis zu welchem kurve zwischen 14.000 und Grad der derzeitige, weltweite Temperatu- 7.000 Jahren vor heute ranstieg vom Menschen verursacht wurde, ist man auf Klimadaten aus der Vergangenheit 7.000 angewiesen. Denn die systematischen Klima- aufzeichnungen mit physikalischen Instru- menten reichen maximal einige hundert Jah- re zurück. Auch die Paläoklimaforscher*innen können nicht etwa auf versteinerte Thermo- meter zurückgreifen, sondern begeben sich wie Detektive auf Spurensuche und versu- chen Hinweise auf bestimmte Klimaparame- 8.700 ter zu finden. Wichtige Langzeitarchive sind Holozän Tiefsee-Sedimente und das Eis von Grönland und der Antarktis. Gerade aber im Alpen- raum haben die ausgedehnten Gletscher der Kaltzeiten, die mächtigsten Zeugen des wechselhaften, meist kühleren Klimas der vergangenen Jahrhunderttausende, die mei- sten Spuren zerstört. Tropfsteine hingegen blieben im Schutz 11.700 der Höhlen vielerorts bestehen. Sie haben überdies den Vorteil, dass sie sehr lang- Pleistozän sam über lange Zeiträume hinweg wachsen 12.800 und dabei Signale aus der Atmosphäre und 14.000 22 kalt warm C. Spötl
S. Caillault Entnahme eines 8 mm dicken Bohrkerns aus einem Stalagmiten zur Altersdatierung der Umwelt oberhalb der Höhle speichern. Überträger der Klima-Signale ist vorwiegend das Wasser, das als Niederschlag durch das Uran-Thorium-Methode. Sie beruht auf dem Gestein in die Höhle sickert. radioaktiven Zerfall von Uran und Thorium; Neben anderen im Tropfstein gespei- Uran wird als Spurenstoff in die Höhlensin- cherten Informationen wird meist das ter eingebaut, Thorium in den Höhlensintern Verhältnis der beiden Sauerstoffisotope aus Uran gebildet. Damit können Tropfsteine 16 O und 18O herangezogen. Diese stabilen, und andere Höhlensinter bis zu einem Alter also nicht radioaktiven, Isotope sind unter- von einer halben Million Jahre zuverlässig schiedlich schwer, was zu einer tempera- datiert werden. turabhängigen Veränderung des Verhält- In Österreich wird Paläoklimafor- nisses im Wasserkreislauf führt. 16O und schung anhand von Tropfsteinen vor allem 18 O werden mit jeder dünnen Schicht in den von Geolog*innen der Universität Inns- Tropfstein eingebaut, da das Mineral Calcit bruck betrieben. Dabei hat sich zum Bei- aus Calcium, Kohlenstoff und Sauerstoff spiel gezeigt, dass die aus grönländischen besteht. Zur Untersuchung werden meist Eisbohrkernen ermittelte Klimakurve der Bohrkerne oder polierte Schnitte von Sta- vergangenen rund 125.000 Jahre fast voll- lagmiten verwendet, aus denen in kleinen kommen mit den Klimakurven alpiner Tropf- Abständen winzige Proben entnommen steine übereinstimmt. Der Vorteil der Höh- und analysiert werden. Aus dem 18O/16O- lensinter ist jedoch, dass sich diese deutlich Verhältnis kann dann ähnlich einer Fieber- genauer datieren lassen als das polare Eis. kurve die zeitliche Veränderung des lokalen Zudem existiert auf der gesamten Nord- Klimas rekonstruiert werden. halbkugel der Erde kein Eis, das älter als Wichtig ist dabei, zu wissen, wann die 125.000 Jahre ist, während es eine Reihe von betreffenden Tropfsteinschichten abgela- Höhlen gibt, aus denen deutlich ältere Tropf- gert wurden. Diese Datierung erfolgt mit der steine bekannt sind. 23
L. Plan Durch eine junge tektonische Bewegung zerscherter Höhlengang (Obir-Tropfstein- höhlen, Kärnten) Erdbebenforschung in Höhlen Wie entsteht eigentlich ein Erdbeben? Die Das Problem dabei ist ähnlich wie beim Drift der Kontinentalplatten führt im ober- Paläoklima: Die Aufzeichnungen mit Mess- sten Teil der Erdkruste zu Verschiebungen, instrumenten wie Seismometern reichen die entlang sogenannter „spröder Stö- nur etwas über 100 Jahre zurück. Manche rungen“ stattfinden. Die Bewegung an den und vor allem starke Erdbeben wiederho- Störungen kann entweder langsam und len sich aber nur in Abständen von vielen eher gleichmäßig ablaufen, oder es baut 100 Jahren. Somit ist es möglich, dass sie sich über einen langen Zeitraum Spannung bei der Ermittlung der Erdbebengefähr- auf, die dann zu einer abrupten Verschie- dung nicht berücksichtigt wurden. Auch bung führt. Letztere wird an der Erdober- hier werden die Spuren vergangener Erd- fläche als Erdbeben wahrgenommen. Erd- beben ausgewertet, die an der Erdoberflä- beben lassen sich zwar nach wie vor nicht che schon längst von anderen geologischen vorhersagen, aber anhand vergangener Prozessen verwischt, aber in Höhlen kon- Ereignisse kann man zumindest abschät- serviert wurden. zen, mit welcher Bebenstärke in einem Forscher und Forscherinnen des NHM Gebiet zu rechnen ist. Aufgrund dieser Wien haben zu diesem Thema in Öster- geschätzten Erdbebengefährdung werden reich und Griechenland geforscht. In etli- zum Beispiel Vorschriften für erdbebensi- chen Höhlen wurden Raumformen ent- cheres Bauen erteilt. deckt, die ursprünglich durch Lösung 24
entstanden sind, aber durch Störungen Höhlen bieten aber noch eine andere nachträglich versetzt wurden. In diesem Möglichkeit zur Forschung an Störungs- Fall spricht man von “aktiven Störungen”, bewegungen und Erdbeben: An aktiven die sich auch heute noch jederzeit bewe- Störungen können kleinste Bewegungen gen könnten. Störungen können nämlich gemessen werden, die von Spannungen in über etliche Millionen Jahre immer wie- der obersten Erdkruste ausgehen. An der der aktiv sein, bevor sie zur Ruhe kommen. Erdoberfläche sind solche Messungen nicht Wenn sie also jünger als Höhlen sind, ist möglich, da die Materialausdehnung und dies ein Beleg für ihr geringes Alter. -schrumpfung durch Temperaturänderung In einigen Höhlen fanden sich zudem größer ist als die Bewegung an der Störung auch deformierte Tropfsteine oder Sinter- selbst. Nur Höhlen mit ihren konstanten bildungen. Wenn sich über die Bruchstel- Bedingungen bieten diese Möglichkeit, denn len wieder neue Sinterschichten abge- im Inneren ausgedehnter Höhlen schwankt lagert hatten, dann war es möglich, die die Temperatur über das ganze Jahr meist Schicht vor und nach dem Ereignis mittels deutlich weniger als 1 °C. Erst diese geringe der Uran-Thorium-Methode zu datieren Temperaturschwankung ermöglicht es, Stö- und somit den Zeitpunkt einzugrenzen. rungsbewegungen in der Größenordnung Eine Schwierigkeit bestand aber darin, von hundertstel Millimetern mit speziellen zwischen langsam-kriechenden und Instrumenten aufzuzeichnen. Derartige abrupten Störungsbewegungen, die Erd- Messungen sollen zu mehr Wissen über die beben verursachen, zu unterscheiden. In Verteilung der Spannungszustände führen einigen Fällen gab es jedoch Indizien, die und in weiterer Folge auch dazu, Erdbeben ehemalige, zum Teil starke Erdbeben sehr besser zu verstehen und vielleicht eines wahrscheinlich machen. Tages vorhersagen zu können. tektonische Störungsfläche Bewegung junger Bodensinter Bodensinter Der durch Lösung gebildete Gangquerschnitt wird bei einem tektonischen Ereignis zerschert. 25
Frühe Höhlen- funde am anderen Ende der Welt A u fe n t h a l t e n Pflanzen, Tiere und Gesteine Eine ungewöhnliche Episode der österrei- zu sammeln chischen Höhlenforschung ergab sich und detaillierte durch die Weltumsegelung der naturwissen- Fregatte Novara (1857–1859). schaftliche und Vordergründig war die ethnographische von der Kaiser- Daten zu erheben. lichen Aka- Darüber hinaus verfolgte demie der das durch die österreichische Wissen- Marine unter dem Kommando s c h a f- von Kommodore Bernhard von Wüllerstorf-Urbair (1816– 1883) organisierte Unterneh- men wahrscheinlich auch kolo- niale Interessen. Teil der wissenschaftlichen Kommission der Novara-Weltumsegelung war der deutsch-österreichische Geolo- ge und spätere Intendant des k. k. Natur- historischen Hofmuseums, Ferdinand von Hochstetter (1829–1884). Als der 29 Jah- re alte Hochstetter am 22. Dezember 1858 ten in Wien vorbereitete in Auckland ankam, war er bereits von der Expedition als For- neuseeländischen Kolonialregierung mit schungsreise konzipiert. dem Auftrag ausgestattet, die neu ent- Einem Stab an renom- deckten Kohle-Lagerstätten bei Drury im mierten Wissenschaft- Süden von Auckland zu untersuchen. Seine lern fiel die Aufgabe zu, Aufgaben als Mitglied des Novara-Expedi- an allen Stationen und tionskorps waren daher bis zur Abreise am Zeichnung eines Moa-Skeletts 26 von Ferdinand von Hochstetter
Vogelgattung erstmals wissenschaftlich beschrieben und mit dem Namen Dinor- nis benannt. Seitdem folgte Publikation um 2. Oktober 1859 ruhend ge- Publikation, die sich mit der Systematik der stellt. Österreichische Geo- geheimnisvollen Tiere befassten. Für Haast logen gehörten zu dieser war es daher wichtig, einige wertvolle Ske- Zeit zu den besten welt- lette für Neuseeland zu beschaffen und weit; so gesehen war es die Funde später in dem von ihm gegrün- nicht weiters ungewöhn- deten Canterbury Museum in Christchurch lich, dass das expandieren- auszustellen. Auch Wien sollte nicht leer de Britische Empire Hoch- ausgehen. Hochstetter reiste noch 1859, stetters geowissenschaftliche natürlich ohne fossile Knochen, weiter Expertise zukaufte. nach Sydney. Die Skelette gelangten Neben seinen Arbeiten für daher erst die Kolonialregierung fand Hoch- stetter Zeit für detaillierte geolo- gische Untersuchungen in der Region von Auckland und Nelson. Beglei- tet wurde er dabei meist von seinem Freund, dem deutschen Geologen Julius Ritter von Haast (1822–1887). Gemeinsam reisten die beiden im Sommer 1859 in die Provinz Nelson, wo sie in den Karst- höhlen des Aorere-Tals auf fossile Moa- Knochen stießen und die Reste zu ber- gen begannen. Während Hochstetter sich deutlich spä- schon bald wieder seinen geologischen ter nach Wien, Untersuchungen widmete, startete Haast wo sie 1876 umfangreiche Grabungsarbeiten und för- als Geschenke derte mehrere vollständige Moa-Skelette von Hochstetter zutage. Die Entdeckung war gewiss nicht und als Tauschob- zufällig, da die ausgestorbenen Riesenlauf- jekte von Haast vögel Neuseelands damals zu den heißes- in den Inven- ten Themen der Paläontologie zählten. Nur tarbüchern der wenige Jahre zuvor hatte der britische Palä- Geologisch-Palä- ontologe Sir Richard Owen (1804–1892) die ontologischen Auf Basis eines 3D-Scanns erstellte Ansicht des Moa-Skeletts. 27
Abteilung vermerkt wurden. Eben- tiere gab, hatten die flugunfähigen falls aus den Grabungen von Haast Moas kaum natürliche Feinde. Höhlen stammen die Skelettteile, die 1878 aus hatten für die Moas daher als Rück- Sydney ans Naturhistorische Museum zugs- und Schutzraum vermutlich geschickt wurden. keine Bedeutung. Auch die Jungtiere Doch wie kam es zu der ungewöhn- wurden nicht in den Höhlen aufge- lichen Ansammlung an Moa-Knochen zogen. Vielmehr dürften die Tiere in Höhlen? Die beiden Geologen waren Opfer geologischer Fallen geworden überrascht, die Skelette weitgehend im sein. Immer wieder stürzten Moas Verband und nicht als lose verstreute in die Hohlräume des Karstsystems, Knochen aufzufinden. Damit war klar, die durch üppige Vegetation gut dass es sich nicht um Essensreste der getarnt waren, und verhungerten Maori handeln konnte. Da die Kada- dort. ver auch nicht zerteilt und verschleppt Der gute Erhaltungszustand der waren, konnte man annehmen, dass Skelette liegt auch am geringen die toten Vögel auch allen Zugriffen Alter der Funde. Die meisten Kno- durch Aasfresser entzogen gewesen chen stammen aus geologisch jun- waren. Die Höhlen, die Haast später gen Höhlensedimenten, die sich Hochstetter-Höhle, Stafford-Höhle erst in den letzten 30.000 Jah- und Moa-Höhle nann- ren gebildet haben. te, entstanden als Mit der Landung Karsthöhlen in oli- der Polynesier auf gozänem Kalkstein, Neuseeland vor der von dichten Wäl- mehr als 700 Jah- dern bedeckt war. ren begann der Diese durchstreiften Untergang der Rie- die tagaktiven Moas senlaufvögel, die über zwei Millionen vermutlich bereits Jahre lang, um Blätter im 15. Jahrhundert und Früchte zu fres- ausgerottet waren. sen. Da es damals in Die jüngsten Moas Neuseeland keine Raub- stammen also aus historischer Zeit. Zeichnung eines Moa-Skeletts von Ferdinand von Hochstetter Eingang der Tummit-Tomo- Höhle auf Neuseeland 28
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