Holland nimmt den Klimawandel sportlich, obwohl es unter dem Meeresspiegel liegt, die Flusspegel steigen, der Regen zunimmt, cloudfront.net
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Holland nimmt den Klimawandel sportlich, obwohl es unter dem Meeresspiegel liegt, die Flusspegel steigen, der Regen zunimmt, die Felder versalzen und die Nordsee die Küste abnagt. Bislang hat das Land für jedes Problem eine technische Lösung gefunden. Aber wie lange kann es sich noch über Wasser halten?
K l i m a e rwä r m u ng HOLL A N D IN NOT Text Mathias Plüss Bilder R aimond Wouda Der Klügere gibt nach: In Noordwaard darf der Rhein, der hier «Waal» heisst, kontrolliert über die Ufer treten. 9
Er ster Tag – Sü dholl a n d u n d Z eel a n d Gegen das Meer Warum die niederländische Küste einem Verteidigungswall gleicht. Und was der Gotthard an der Nordsee verloren hat. Wir sitzen im Filmsaal, als plötzlich ein Rumpeln und Rauschen herein- dringt. Das muss das Unwetter sein, früher und heftiger als angekündigt. Peter Persoon, Informationsbeauf- tragter des Maeslant-Sperrwerks, sagt grinsend: «Willkommen in Holland!» Draussen weht es mir fast die Bril- le weg. Man hat mir einen Schirm in die Hand gedrückt – einen windschnit- tigen, made in Holland, dem selbst die stärkste Böe nichts anhaben kann. Von den Einheimischen hat niemand einen Schirm. Sie scheinen den Regen gar nicht zu bemerken. «Ist das noch nor- mal, oder ist das schon ein Sturm?», frage ich Persoon zwischen zwei Wind- stössen. Der zuckt nur mit den Schul- tern: «Könnte schlimmer sein.» Tat- sächlich, es sollte noch schlimmer kommen diese Woche. Ich bin gekommen, um zu erfah- ren, wie man hier mit dem Klimawan- del umgeht. Holland droht unterzuge- hen. Schon heute liegt ein Viertel des Landes unter dem steigenden Meeres- spiegel, die Hälfte ist überschwem- mungsgefährdet. Um zwanzig Zenti- meter hat sich der Pegel der Nordsee in den letzten hundert Jahren erhöht, und mit dem Klimawandel wird er wei- ter steigen, während zu allem Übel gleichzeitig das Land absinkt. Als Binnenländer ist man ver- sucht, den Meeresspiegel für eine fixe Grösse zu halten, aber dem ist beileibe nicht so, auch ganz ohne Klimawandel. Wellen lassen das Wasser an- und ab- schwellen, die Gezeiten zerren an ihm, und der Wind vermag es bis zu einem Meter zusätzlich in die Höhe zu trei- ben. Geschieht dies alles gleichzeitig, kann das Meer über die Ufer treten und schlimmste Verheerungen anrich- ten. Die Holländer sind seit Jahrhun- derten gewohnt, sich dagegen zu weh- ren. Die ganze Küste ist ein einziges Bollwerk. 10
Ein Teil dieses Verteidigungswalls me, die stark genug waren, die Schlies- liegt hier vor mir: das Maeslant-Sperr- sung auszulösen. Der erste kam 2007. werk, ein gewaltiges Tor im Hafen von Der zweite am 3. Januar 2018: das Rotterdam. Bei drohender Sturmflut Sturmtief Burglind, das auch in der schliesst es automatisch und schützt Schweiz gewütet hat. An diesem Tag die Stadt vor Überschwemmungen. waren, zum ersten Mal überhaupt in Dazu schwenken die beiden Flügel, die der Geschichte des Landes, alle fünf normalerweise an Land lagern, über grossen beweglichen Sturmflut-Sperr- die Wasserfläche und sinken dann zu werke gleichzeitig geschlossen. Ein Boden. Das Wasser ist an dieser Stelle grosser Event, denn viele Holländer 17 Meter tief, das Tor 22 Meter hoch – wollten ihre technischen Meisterwer- das Wehr kann also Fluten von bis zu ke sehen, wenn sie schon mal zum Ein- fünf Metern Höhe standhalten, wie sie satz kamen. «Wir hatten hier zehntau- nur einmal in zehntausend Jahren vor- send Zuschauer», sagt Persoon. kommen. Jedenfalls bisher. Ziemlich cool, diese Holländer, Es ist eines der grössten bewegli- finde ich. Offensichtlich haben sie vol- chen Bauwerke der Welt, viermal so les Vertrauen in ihre Technik. Trotz- schwer wie der Eiffelturm. Ein fixes dem war die Angelegenheit «nicht Schutzwehr kam an dieser Stelle nicht ganz ungefährlich», wie Persoon sagt. infrage, weil dies den Schiffsverkehr Nicht wegen drohender Überschwem- im Rotterdamer Hafen, dem grössten mungen. Sondern weil die Leute wild Europas, behindern würde. Aus dem- parkierten und kreuz und quer über selben Grund ist das Tor auch so selten stark befahrene Strassen und Schienen wie möglich geschlossen. «Das ist eine liefen. der Schwierigkeiten», sagt Peter Per- Ich möchte mehr sehen vom hol- soon. «Wir brauchen den Schutzme- ländischen Küstenschutz. Wir setzen chanismus nur alle zehn Jahre, aber uns ins Auto und fahren südwärts, dann muss er funktionieren.» über Dämme und Brücken, entlang an Tatsächlich gab es in mittlerweile Dünen und Kanälen. Kaum ein Fle- zwanzig Betriebsjahren nur zwei Stür- cken hier ist naturbelassen. Mein Chauffeur und Reiseführer ist Ruud Staverman von der staatlichen Was- Das schwenkbare Maeslant-Sperrwerk serbehörde Rijkswaterstaat. Er fährt schützt Rotterdam gegen die Sturmflut. Es normalerweise Besucher aus den USA ist viermal so schwer wie der Eiffelturm. oder Asien herum – China, Südkorea, Bangladesh. Neulich war der burmesi- sche Vizepräsident hier, mit dem ging Das gigantische Oosterschelde- er auf eine Helikoptertour. «Immer Sperrwerk in Zeeland, gewissermassen wenn es irgendwo auf der Welt eine der Gotthardtunnel der Niederlande. grosse Flut gibt, kommen sie nachher zu uns, um zu schauen, wie wir es ma- chen», sagt Staverman. Ich bin ein Exot hier. «Sie sind mein erster Schweizer», sagt Staver- man. Tatsächlich haben unsere beiden Länder auf den ersten Blick wenig ge- mein: Die Schweiz ist mit einer durch- schnittlichen Höhe von 1309 Metern das höchstgelegene Land Europas, Holland mit neun Metern das tiefste. Die Schweiz ist so etwas wie die Quel- le des Kontinents, Holland das Ab- flussrohr. Drei wichtige Flüsse mün- den hier ins Meer, der Rhein, die Maas und die Schelde, und machen das Land zu einem einzigen grossen Delta. Und doch gibt es auch Verbinden- des. Zunächst einmal den Rhein, der in 11
der Schweiz entspringt und in den Nie- Über den sechs Kilometer langen Eine Kombination aus Springflut und derlanden endet. Wenn es bei uns Brouwersdam erreichen wir die Pro- Nordweststurm hatte den Meeresspie- stark regnet oder viel Schnee schmilzt, vinz Zeeland, die vor allem aus Inseln gel um vier bis fünf Meter in die Höhe dann haben die Holländer eine Woche und Halbinseln besteht. Am Strassen- gedrückt. Das Wasser kam nachts, die später Hochwasser. Die beiden Natio- rand haben sich riesige Pfützen gebil- Menschen schliefen nichts ahnend. nen teilen auch ihre Neigung zum det, dahinter breitet sich ein endlos «Es gab damals noch keine Warn- technischen Pragmatismus. Die Prob- langer Sandstrand aus. Im Sommer ist dienste», sagt Ruud Staverman. «Das leme werden angepackt – liefere statt es hier angeblich gerammelt voll. Heu- Radio hatte um Mitternacht zu senden lafere. Die holländischen Hochschu- te ruckelt nur ein einsamer Glacestand aufgehört. Einzig die Bürgermeister len sind hervorragend, jedenfalls die im Wind. «Diese Landschaft sieht na- hatten Warntelegramme erhalten, man Ingenieurs-Abteilungen. Entspre- türlich aus, aber das ist alles Men- fand diese später teilweise ungeöff- chend fortgeschritten ist man beim schenwerk», sagt Ruud Staverman. Der net.» Nach dieser Katastrophe ging ein Küstenschutz. Brouwersdam wurde erst 1971 fertig- Ruck durchs Land. «Wir sagten uns: Mehr noch: Die Holländer sind gestellt. Wie das Maeslant-Sperrwerk nie wieder!» Weltmeister in der Prävention. Ideolo- gehört er zu den sogenannten Delta- Auf Anraten einer Expertenkom- gische Auseinandersetzungen mag es werken – ein System von Dämmen und mission beschloss die Regierung den durchaus auch hier geben, bei den Wehren, das die ganze Südwestküste Bau der Deltawerke. Wie im Norden konkreten Massnahmen herrscht al- vor der Gefahr des herandrängenden wurden nun auch im Süden ganze lerdings Konsens. Hochwasserschutz Meeres schützt. Es wurde gebaut nach Meeresarme abgeriegelt, Dämme auf- ist in Holland schlicht eine Überle- dem schwersten Sturm des 20. Jahr- geschüttet, Flutwehre gebaut. Die Del- bensfrage. Denn auch wer den Klima- hunderts am 1. Februar 1953. tawerke sind ein klassisches Produkt wandel bestreitet, bekommt nicht gern Die holländische Geschichte ist aus dem Zeitalter des Fortschrittsglau- nasse Füsse. voller tragischer Erfahrungen mit der bens, eine Orgie aus Stahl, Beton, Stein 97 Prozent der holländischen Teenager haben ein Schwimmdiplom. Es geht nicht ums Schönschwimmen, sondern ums Überleben im Wasser. Der steigende Meeresspiegel und ver- See. Schon im 10. Jahrhundert began- und Sand. Bis heute handelt es sich um heerende Stürme stärken nun auch in nen sich die Küstenbewohner mit das grösste Hochwasserschutzprojekt anderen Weltregionen die Einsicht, Schutzwällen zu wehren. Immer wie- der Welt – die amerikanische Gesell- dass etwas geschehen muss. Das hol- der hat sich das Meer die Deiche ge- schaft der Bauingenieure hat sie zu ländische Wissen wird zunehmend zu holt, doch stets hat man sie wieder auf- einem der sieben modernen Weltwun- einem Exportgut. Sandy, Katrina, Har- gebaut. Allein im 13. Jahrhundert star- der gewählt. Der Bau dauerte vierzig vey: «In letzter Zeit interessieren sich ben 150 000 Menschen in mehreren Jahre und kostete mehr als fünf Mil- vor allem die USA für unsere Erfah- Sturmfluten. liarden Euro. Den Schlusspunkt setzte rung und Technologie», sagt Ruud Sta- Nach einer erneuten Katastrophe das Maeslant-Sperrwerk, wo wir unse- verman. «Die Amerikaner sind zwar 1916 beschloss man, nördlich von re Reise heute begonnen hatten. gut im Aufräumen, aber in der Präven- Amsterdam einen ganzen Arm vom Der bei Weitem spektakulärste tion sind wir besser.» Meer abzutrennen. Ein vergleichbares und teuerste Teil ist aber das drei Kilo- Staverman beginnt vom Schwim- Projekt hatte es weltweit noch nir- meter lange Oosterschelde-Sturmflut- men zu reden. Es scheint hier ein wich- gends gegeben. Nach langer Planung wehr, dem wir uns jetzt nähern. Die tiges Thema zu sein, ich werde diese wurde der sogenannte Abschluss- weissen Zylinder, die von Weitem wie Woche noch oft darauf angesprochen. deich, der die Nordsee von dem neu Schiffskamine aussehen, bilden die Auch das hat mit dem holländischen geschaffenen Ijsselmeer trennt, ab Spitze von 65 gewaltigen Betonpfei- Vorsorgedenken zu tun. 97 Prozent der 1927 in nur fünf Jahren aus dem Boden lern, die im Meeresboden stecken. Teenager haben ein Schwimmdiplom. gestampft – eine Gewaltleistung, er- Zwischen den Pfeilern befinden sich Die Anforderungen für die Diplome bracht mit sehr viel Handarbeit. Bis tonnenschwere Stahltore, die bei Be- wurden Anfang Jahr nochmals ver- vor wenigen Jahren war der Abschluss- darf, das heisst bei Sturm, einzeln ge- schärft. Es geht dabei keineswegs um deich mit seinen 32 Kilometern der schlossen werden können. Schönschwimmen, sondern um das längste Damm der Welt. Weil es sich bei dem gewaltigen DA S M AG A Z I N N ° 08 — 2018 Überleben im Wasser: Wer das A-Dip- Und er bewährte sich: Der Ab- Wehr um ein Pionierwerk handelt, lom machen will, der muss fähig sein, schlussdeich hielt dem Jahrhundert- konnte man die einzelnen Teile nicht mit langer Hose und Langarmshirt zu sturm 1953 stand. Dafür brachen im einfach bestellen. Man musste Fabri- schwimmen. Für das C-Diplom muss Süden reihum die Dämme. Grosse Tei- ken errichten, die sie herstellen konn- man gar mit einer dicken Jacke durch le Zeelands wurden überschwemmt, ten, und Schiffe, die sie transportier- ein Loch in einem Segel tauchen kön- 1836 Menschen starben, überdies ten. Gebaut wurde unter schwierigsten nen. mehr als 200 000 Kühe, Pferde und Bedingungen, bei Ebbe und Flut – und Schweine. Die Katastrophe hat das Be- dennoch millimetergenau. «Ich bin 12 wusstsein der Holländer geprägt. stolz darauf, wie die holländischen In-
genieure das geschafft haben», sagt Z w eiter Tag – Rot t er da m Hühner halten? Kann ich ein Grün- Staverman. Mich erinnern die Hollän- dach mit Solarzellen kombinieren? der und ihr Meer auf einmal an den Unter null «Als schliesslich in der Lokalpresse Schweizer Umgang mit den Bergen: eine Diskussion darüber ausbrach, ob Sie stellen Dämme auf, wir bohren Schweine auf Dächern Höhenangst Tunnels. Das Oosterschelde-Wehr ist Wie man die Nerven behält, wenn man bekommen können, wusste ich: Das ihr Gotthard. sechs Meter unter dem Meeresspiegel lebt. Programm ist erfolgreich.» In Stein gemeisselt, findet man am Der Stadt geht es um mehr als um Rand des Oosterschelde-Wehrs den Vor den Bögen des Hofplein-Viadukts Aufhübschung und Gemüsezucht: Be- Spruch: «Hier gaan over het tij de fotografieren sich Touristen. Was an- grünte Dächer halten mehr Regenwas- maan, de wind en wij.» Zu Deutsch: dernorts keine Beachtung fände, ist ser zurück. 25 Liter Wasser pro Quad- «Über die Gezeiten gebieten hier der hier eine Besonderheit: Bis vor weni- ratmeter können Pflanzen und Erde Mond, der Wind und wir.» Die Hollän- gen Jahren habe hier niemand Selfies speichern. 140 Liter sind es gar, wenn der bestimmen selber, wie viel Ebbe gemacht, sagt Eveline Bronsdijk, eine man unter dem Erdreich zusätzlich ein und Flut sie an ihren Küsten zulassen. Mitarbeiterin der Stadt. Rotterdam Auffangbecken anbringt. So entlastet Und sie sind dabei grosszügig: Wie in war schmuddelig. Heute gilt es als man die Kanalisation und bekommt Rotterdam stehen auch an der Ooster- trendy. Das Viadukt gleicht dem Zür- gleichzeitig einen Wasserspeicher für schelde die Stahltore meist offen. cher Lettenviadukt: In den Bögen den Garten. Überdies kühlt verduns- Ursprünglich sollte hier ein ge- unter der Bahnlinie haben sich Läden tendes Wasser die Luft über den Dä- schlossener Damm entstehen, der den und Bars eingerichtet, im Vorbeigehen chern – ein Aspekt, der im Sommer im- Meeresarm komplett abgeschnitten weist Bronsdijk auf ein Restaurant hin, mer wichtiger wird. hätte. Er war schon einige Jahre im das zwei Michelin-Sterne hat. Die neueste Entwicklung heisst Bau, als die Regierung vor dem Protest Auf dem gestrigen Roadtrip hatte «Slimdak»: «Schlaues Dach». Dabei von Fischern und Umweltschützern ich mich davon überzeugt, wie gut die übernimmt ein wettersensibler Com- kapitulierte. Küstengebiete gegen Sturmfluten ge- puter die Steuerung. Ist Starkregen an- Die Trennung vom Meer hätte das feit sind. Rotterdam hat mit der zwei- gesagt, so leert das Dach rechtzeitig Ende bedeutet für das artenreiche flügeligen Maeslant-Sperre sogar sei- seine Speicher, um genug Platz für das Salzwasserbiotop und die Austern- nen ganz persönlichen Schutzengel. neue Wasser zu haben. zucht in der Bucht. Die Arbeiten wur- Doch für die Stadt ist das Meer nur Arnoud Molenaar empfängt mich den gestoppt, ein neues Projekt ent- eine Bedrohung von vielen. So ver- im 34. Stock des «De Rotterdam», ein worfen. Und tatsächlich gelang es, die zeichnet Holland schon heute einen 340-Millionen-Bau des Stararchitek- unterschiedlichsten Anliegen unter klaren Trend zu mehr Extremregen- ten Rem Koolhaas. Es ist zwar nicht einen Hut zu bringen. Heute schützt fällen. Rotterdam ist besonders anfäl- das höchste, aber mit seinen drei Büro- das Werk zuverlässig vor Stürmen – die lig für Überschwemmungen – und türmen das grösste Gebäude der Nie- Bucht hat aber weiterhin Kontakt zum wehrt sich an allen Ecken und Enden derlande. Heute haben wir eine herrli- offenen Meer. So konnte sie ihren ein- dagegen. Das beginnt schon auf den che Sicht bis nach Den Haag. In einem maligen Charakter behalten. Das Oos- Dächern. Sturm wie gestern kann es hier oben terschelde-Sperrwerk ist darum auch Wir steigen auf den ehemaligen ganz schön schaukeln: «Die Lampen das Symbol des Aufbruchs in ein neu- Bahnhof Hofplein. Die Gärten, die wir pendelten wie bei einem Erdbeben», es, sanfteres Zeitalter. hier sehen, sind Teil eines Programms sagt Molenaar. «Mir hat es nichts aus- Es kommt von allen Seiten: Von vorne droht das Meer, von hinten strömt der Fluss, von oben prasselt der Regen, von unten drückt die Kanalisation. zur Dachbegrünung. Rotterdam hat gemacht, aber manche Kollegen ver- fast 15 Quadratkilometer Flachdächer zogen sich in die unteren Etagen, weil – eine Folge davon, dass die Nazis die ihnen schlecht wurde.» Altstadt 1940 innert Minuten kom- Molenaars Robustheit passt zu sei- plett zerbombten. Nach dem Krieg nem Amt: Er ist «Chief Resilience Offi- baute man sie bewusst modern wieder cer» der Stadt, was man mit «Belast- DA S M AG A Z I N N ° 08 — 2018 auf. Das Ziel der Stadtbehörden ist es, barkeitsmanager» übersetzen könnte. einen Quadratkilometer Dächer zu be- Sein Job hat sich entwickelt: Zuerst war grünen und zu nutzen, ein Viertel da- er nur für das Wasser zuständig, dann von ist schon geschafft. für das Klima und jetzt eben für die so- «Anfangs waren die Hausbesitzer genannte Resilienz – ein Modebegriff, skeptisch», sagt Eveline Bronsdijk. Als der die Fähigkeit eines Systems um- die Stadt ein Modelldach eröffnete, schreibt, sich nach einer Störung wie- wuchs das Interesse, und dann kamen die Anfragen: Kann man da oben auch 13
der zu stabilisieren. «Unser Ansatz ist Pavillon gibt es bereits, ein schwim immer ganzheitlicher geworden», sagt mender Bauernhof soll dieses Jahr da er. «Rotterdam soll klimafest sein, das zukommen. Häuser auf Wasser sind ist immer noch wichtig. Aber gleich nichts Neues; das Besondere ist, dass zeitig müssen wir uns auch gegen Cy sie hier den Gezeiten ausgesetzt sind. berangriffe wappnen, die Energiewen Sie müssen täglich Schwankungen von de bewältigen und den sozialen Zu anderthalb Metern mitmachen und sammenhalt stärken.» gleichzeitig sturmsicher sein. Für Rot Die grösste Herausforderung ist terdam wäre ein schwimmendes Quar jedoch noch immer das Wasser. Es tier ein weiteres Vorzeigeprojekt. An kommt hier von vier Seiten: Von vorne dernorts aber könnte die Technik droht das Meer, von hinten strömt der überlebensnotwendig sein. Etwa in Ja Fluss, von oben prasselt der Regen, karta, das wegen Grundwasserent von unten drückt die Kanalisation. nahmen jährlich um zehn Zentimeter «Achtzig Prozent der Stadtfläche lie sinkt und gleichzeitig rasch expan gen unter dem Meeresspiegel», sagt diert. Holländische Firmen strecken Molenaar. «Die tiefsten Stellen liegen bereits ihre Fühler aus. bei minus sechs, die höchsten bei plus Der Eindruck, den ich hier bekom sechs Metern.» me: Mit viel Technik und guter Politik Für einen Schweizer gewöhnungs ist alles machbar. Ich habe auch keinen bedürftig ist die Tatsache, dass sich die Zweifel, dass Rotterdam die Anpas höchstgelegenen Gebiete der Stadt sung an den Klimawandel stemmt. ausgerechnet am Fluss befinden, Was mich mehr stört: Von Vermeidung einem Arm des Rheins. Für Holland ist spricht hier niemand. Rotterdam hat das aber typisch. Und es ist logisch, kürzlich sein hochtrabendes Ziel, den denn ein Fluss braucht ein gewisses CO2-Ausstoss bis 2025 zu halbieren, Gefälle, damit er ins Meer fliessen auf unbestimmte Zeit verschoben. An kann. Doch Molenaars grösste Sorge passung bedeutet Ackern. Vermei ist nicht der Fluss, sondern der Regen. dung würde Verzicht erfordern. Das Rotterdam ist wie eine Badewanne fällt den Menschen schwerer. ohne Ablauf. Jeder Tropfen Regen, jede Ladung Spülwasser muss aus den tief gelegenen Gebieten in den Fluss Um die Fluten zu bändigen, hat man hochgepumpt werden. Mehr als tau in Rotterdam mehrere «Wasserplazas» send Pumpen sind im Einsatz. gebaut, in denen sich das Regenwasser sammeln kann. Bei starkem Regen ist das System rasch überfordert, es kommt zu loka len Überschwemmungen. «Darum Der Pegel steigt, das Land senkt sich. arbeiten wir daran, die Speicherfähig Doch die Holländer haben sich keit der Stadt zu erhöhen», sagt Mole seit Jahrhunderten gegen das Wasser zu wehren gewusst. naar. «Wir brauchen mehr Fläche, die wir kontrolliert überschwemmen kön nen.» Ein wichtiges Element sind da bei die wasserspeichernden Gründä cher. Es gibt aber auch Räume in Tief garagen, die gefüllt werden können, und mittlerweile vier Wasserplazas – grosse Becken auf öffentlichen Plät zen, die das Wasser der Umgebung auffangen. Sie sind eine Aufwertung für die betroffenen Quartiere, denn wenn es trocken ist, kann man darin Theater oder Basketball spielen. Der Resilienzmanager hat noch viele Ideen. «Mein Traum ist es, hier unten im kleinen Hafen schwimmen de Büros einzurichten.» Die Technik dazu existiert – einen schwimmenden 14
Dr itter Tag – Noor dwa a r d Mit dem Wasser Warum die Holländer begannen, die Deiche entlang ihrer Flüsse zu verkleinern, statt sie immer weiter zu vergrössern. Eingangs des Noordwaard-Polders halten wir ein erstes Mal an. Eine faszi- nierende Landschaft tut sich auf: weit und flach, halb unter Wasser stehend; Wolkenschatten laufen geschwind da- rüber. Hans Brouwer, ein altgedienter Mitarbeiter der staatlichen Wasserbe- hörde, ist überrascht: «So viel Wasser heute, hätte ich nicht gedacht! Es ist unberechenbar, die Landschaft sieht jedes Mal anders aus.» Ich hatte am ersten Tag gesehen, wie sich die Holländer vor dem Meer schützen. Am zweiten, wie sie mit gros- sen Regenmengen umgehen. Heute sind die Flüsse dran. Denn auch sie können das Land überschwemmen. Für die Zukunft erwartet man grösse- re, wenn auch nicht unbedingt häufi- gere Hochwasser. Hier im Noord- waard-Polder möchte ich sehen, wie man eine Landschaft so gestaltet, dass sie mehr Wasser schlucken kann. «Polder» ist ein altes Wort, das im Bewusstsein der Holländer einen wichtigen Platz einnimmt. Es bezeich- net ein Stück Land, das durch Deiche vor Flüssen und Meer geschützt ist. Die ersten Polder entstanden vor mehr als tausend Jahren. Oft auf Sumpfland, das man, um es landwirtschaftlich zu nutzen, permanent entwässern muss- te – dazu dienten die vielen Windmüh- len, die die Wiesen trocken pumpten. Doch das entwässerte Land sackt ste- tig ab, über die Jahrhunderte haben viele Gebiete fünf Meter Höhe verlo- ren. Dieser Prozess geht weiter und lässt sich durch nichts aufhalten. Heu- te pumpen die Niederländer täglich so viel Wasser aus ihren Poldern, wie die Region Tokio in einem Jahr verbraucht. So erklärt sich die «verkehrte Landschaft», die ich gestern auch in Rotterdam gesehen hatte: Die Fluss- betten liegen oft mehrere Meter über dem umliegenden Land, und es braucht immer höhere Deiche, um die- ses vor Überschwemmungen zu schüt- 15
zen. Doch im Noordwaard-Polder, vor sinkt der Flusspegel im nahen Städt- Brouwer eine lokale Version des Vater- dem wir jetzt stehen, ist alles anders. chen Gorinchem um dreissig Zenti unsers: Er wurde – eine sprachliche wie ge- meter. Für das Leben im Noordwaard «Gib uns heute unser täglich Brot dankliche Neuschöpfung – «entpol- hat dies drastische Folgen: Wegen der Und ab und zu eine Wassernot.» dert». Die Überschwemmung ist hier regelmässigen Überschwemmungen Natürlich habe es gegen «Raum kein Unglück, sondern Absicht. ist Landwirtschaft nur noch bedingt für den Fluss» auch Widerstand gege- «Nach dem Schock von 1953 ha- möglich. Die Hälfte der Familien ist ben. «Jedes einzelne Projekt bedeutete ben wir uns vierzig Jahre lang nur auf weggezogen, manche Häuser wurden zehn Jahre Diskussionen», sagt Brou- die Gefahren des Meeres konzent- abgerissen. wer. «Ich hätte auch keine Freude, riert», sagt Brouwer. «Dank der Delta- Wir fahren weiter in den Noord- wenn bei mir die Regierung klingeln werke fühlten wir uns schliesslich eini- waard hinein. Sehen halb wilde Pferde würde und sagte: Sorry, Ihr Haus wird germassen sicher – dann kamen 1993 und eine Herde Wasserbüffel. Wo sie zum Wohl der Allgemeinheit abgeris- und 1995 zwei Jahrhunderthochwas- grasen, wachsen keine Bäume nach. sen.» Die Akzeptanz des Programms ser an der Maas und am Rhein.» Be- Dann ein einsamer Bauernhof, der stieg mit der Zeit, weil man den Leuten sonders 1995 ging man nur haarscharf aussieht, als stünde er auf einer Insel. zuhörte und ihnen Möglichkeiten er- an einer Katastrophe vorbei, 250 000 «Wo ist denn das zugehörige Land?», öffnete. So konnte etwa jeder Betroffe- Menschen wurden evakuiert. «Der frage ich. «Momentan unter Wasser», ne sein Haus zum Marktpreis an die erste Gedanke danach war, die Deiche sagt Brouwer. Im Rahmen der Entpol- Regierung verkaufen. «Heute finden zu verstärken, so wie wir es immer ge- derung habe man das Bauernhaus auf die meisten, es habe sich gelohnt, auch tan hatten.» Doch unter dem Einfluss eine sogenannte Terpe verschoben, wegen der attraktiven Landschaft, die der Umweltbewegung setzte ein Um- auf einen eigens aufgeschütteten Flut- wir geschaffen haben.» Hier ist es wie- denken ein. Schliesslich entwickelte hügel. Es handelt sich um eine uralte der, das holländische Erfolgsrezept, man einen revolutionären Plan: Die holländische Bautechnik – schon vor von dem mir auch die Rotterdamer er- Deiche sollten nicht erhöht, sondern zweitausend Jahren, lange vor dem Er- zählt hatten: Die Bevölkerung einbin- an manchen Stellen gezielt verkleinert richten der ersten Deiche, haben sich den. Dafür sorgen, dass es hübsch aus- werden. die Bauern an der Küste so vor Über- sieht. Dann sind alle zufrieden. «Raum für den Fluss» hiess das schwemmungen geschützt. Insgesamt ist «Raum für den beschlossene Programm. Die Idee da- «Wir haben mit Terpen begonnen, Fluss» ein grosser Erfolg. Das hollän- hinter ist die gleiche wie bei den Was- und jetzt kehren wir zu den Terpen zu- dische Flusssystem kann heute eine serplazas in Rotterdam: Wenn man rück», sagt Hans Brouwer. Es sei leider Million Liter Wasser pro Sekunde das Hochwasser gezielt auf Schwemm- viel altes Wissen verloren gegangen. mehr aufnehmen als vorher – das ist so flächen leitet, richtet es andernorts «Das Parterre der alten Häuser im viel, wie der Rhein bei Basel normaler- keinen Schaden an. «Siebenhundert Noordwaard war stets aus Stein ge- weise führt. «Es funktioniert, es ist Jahre lang haben wir immer nur ge- macht, mit breiten Treppen zum ers- schön, und ich bin stolz darauf», sagt kämpft gegen das Wasser», sagt Hans ten Stock, damit man bei einer Über- Brouwer. Das Budget von 2,3 Milliar- Brouwer. «Jetzt wollen wir mit ihm ko- schwemmung die Vorräte und Möbel den Euro habe man – in Holland eine operieren.» rasch in Sicherheit bringen konnte.» Sensation – sogar um ein paar Dutzend Das holländische Erfolgsrezept: Die Bevölkerung einbinden. Dafür sorgen, dass es hübsch aussieht. Dann sind alle zufrieden. Tönt ein wenig esoterisch, denke ich. Die neuen Häuser hingegen bestehen Millionen unterschritten. Theoretisch Doch wer glaubt, die Holländer wür- durchgehend aus Holz. «Nach dem ist das Programm mittlerweile abge- den einfach die Natur machen lassen, Hochwasser von 1993 haben sich diese schlossen. In der Praxis geht es weiter, liegt falsch: Auch in diesem Programm Leute gesagt: Egal, so etwas gibt es ja neue Projekte sind aufgegleist. «Hoch- operieren sie in grossem Massstab mit nur alle 250 Jahre.» Doch schon 1995 wasserschutz ist, wie sein Haus an- Baggern und Beton. Allein hier im kam die nächste, noch grössere Flut. streichen. Wenn man zu Ende ist, Noordwaard, einem der grössten Teil- Die Schutzmassnahmen der letz- muss man wieder von vorn beginnen.» projekte, hat man 300 Millionen Euro ten Jahrzehnte, allen voran die Delta- verbaut: Deiche versetzt oder niedri- werke, sind ungeheuer erfolgreich. DA S M AG A Z I N N ° 08 — 2018 ger gemacht, 33 Brücken und 50 Kilo- Seit 1953 ist in Holland kein einziger meter Strassen gebaut, einen neuen Mensch mehr bei einem Hochwasser Seitenarm für die Waal geschaffen, ertrunken. «Das ist natürlich toll, aber wie der Rhein hier heisst. anderseits hat es auch das Gefahren- Bei Hochwasser fliesst nun ein Teil bewusstsein ein wenig getrübt», sagt der Waal über die Deiche in den ent- Brouwer. Der Schreck, den die Beinahe- polderten Polder hinein – dadurch Katastrophe von 1995 den Leuten ein- jagte, habe darum auch etwas Heilsa- 16 mes gehabt. Und lachend rezitiert
V ierter Tag – Delf t schüttet hat. Um ihren Zweck zu erklä- Meer und machen halsbrecherische ren, beginnt Aarninkhof zu zeichnen. Luftmanöver. In einer Pfütze entde- Mit Sand gebaut Er skizziert eine Küstenlinie, die aus- cken wir zwei Sanderlinge, herzige sieht wie das Maggiadelta im Lago kleine Watvögel. Das Konzept, hier Maggiore: «So sieht eine Flussmün- nicht nur die Küste zu schützen, son- Wieso die See nicht nur steigt, sondern dung natürlicherweise aus. Beim Ein- dern gleichzeitig auch die Umwelt und auch an Hollands Küsten nagt – und was tritt ins Meer lagern sich Sand und den Tourismus zu fördern, scheint auf- ein Sandmotor dagegen tun kann. Schwebeteilchen ab, die der Fluss zugehen. transportiert.» Meeresströmungen Paul Drenth weist auf Zonen hin, Heute kommen mir Zweifel an der viel wiederum verteilen das Material an wo der Wind grosse Mengen feiner gepriesenen «Resilienz», an der Wi- den Stränden nördlich und südlich des Sandkörner über den Strand treibt. derstandskraft der Niederlande. Ich Deltas. So bleibt die Küste erhalten. «Das ist genau, was wir haben wollen. möchte mit dem Zug von Rotterdam In Holland ist dieser Prozess Der Sand wird auf die Dünen geweht ins Städtchen Delft fahren, normaler- unterbunden: Die Flussmündungen und verstärkt sie so.» In seiner Master- weise eine Sache von zehn Minuten. sind alle verbaut, unter anderem durch arbeit will er diese Transporte genau Ein starker Sturm war angekündigt, die Deltawerke. Den Küsten fehlt es quantifizieren. Wie viel Sand treibt die und dass einzelne Verbindungen ge- aus diesem Grund an Nachschub. Um Strömung nach Norden, wie viel nimmt strichen würden, war mir bewusst. dies auszugleichen, pumpt man hier der Wind mit, wie viel geht verloren? Nun aber dies: «Keine Züge. Dauer un- regelmässig gigantische Mengen Sand So viel kann Drenth schon sagen: bekannt.» Weitere Informationen sind an die Strände. «Grundsätzlich funktioniert das Kon- am Rotterdamer Zentralbahnhof nicht Das funktioniert. Aber es ist auf- zept des Sandmotors, die Küste wird zu erhalten, die Taxis alle schon weg. wendig, und mit dem Meeresspiegel- genährt.» Tage wie der heutige seien Mir kommen Zweifel an der Widerstandskraft der Niederlande. Ein Sturm war angekündigt. Nun die Information: «Keine Züge. Dauer unbekannt.» Da erinnere ich mich, etwas von einem anstieg braucht es immer mehr Sand. dabei entscheidend: «Mehr als die Stadtbus gelesen zu haben, der auf Ausserdem bringt es jedes Mal das lo- Hälfte des Sandtransports findet wäh- Nebenstrassen nach Delft fährt. Und kale Ökosystem durcheinander. Daher rend weniger starker Stürme statt.» tatsächlich, der Bus hält den Betrieb die Idee mit der künstlichen Halbinsel. Weit kommen wir bei unserem aufrecht. Als ich an der Technischen Sie ist so platziert, dass Meeresströ- Spaziergang nicht, da sich am Strand Universität Delft ankomme, ist der mungen und Wind den Sand weit her- viele Bächlein und Lachen gebildet ha- Sturm Friederike auf seinem Höhe- um verteilen. «Auf diese Weise imitie- ben. Aber als gefährlich empfinde ich punkt. Neben dem Gebäude für Erd- ren wir den Prozess, der natürlicher- die Situation nie. Umso überraschter wissenschaften hat ein umgeblasener weise an Küsten stattfindet», sagt bin ich, als ich, zurück in Delft, erfah- Baum zwei Autos zerdrückt. Stefan Stefan Aarninkhof. Zwar war der Bau re, dass noch immer kein Zug fährt. Aarninkhof, Professor für Küstenbau, des Sandmotors ein Kraftakt – aber da- Mehr noch: Die niederländischen Bah- empfängt mich trotz meiner grossen für bleiben zwanzig Kilometer Küste nen haben den Betrieb auf dem gesam- Verspätung. Meine Frage, ob es sinn- zwanzig Jahre lang erhalten, ohne dass ten Netz komplett eingestellt, wegen voll sei, an einem Tag wie diesem an der Mensch eingreifen muss. Eine der zahlreichen Bäume auf ihren die Küste zu fahren, wischt er mit Weltpremiere. Schienen. einem Lachen weg: «Dann bekommen Aarninkhof spricht in diesem Zu- Offenbar habe ich das Ausmass Sie wenigstens etwas zu sehen!» Unsi- sammenhang von «Bauen mit der Na- des Sturms, des achtstärksten der letz- cher lache ich mit. So ganz habe ich tur». Das Schlagwort umschreibt ten fünfzig Jahre, nicht richtig mitbe- mich noch nicht an die holländische einen Paradigmenwechsel, der sich kommen. Auch manche Fähren und Coolness gewöhnt. schon mit «Raum für den Fluss» ab- Trams fahren nicht, auf den Autobah- Heute widme ich mich ein zweites zeichnete: Man will nicht mehr gegen nen herrscht Dauerstau, Flüge wurden Mal dem Meer. Wie man sich vor natürliche Prozesse ankämpfen, son- gestrichen. Die Feuerwehr ist 10 000- Sturmfluten schützt, weiss ich bereits. dern auf sie Rücksicht nehmen, sie im mal ausgerückt, zwei Männer wurden Es gibt aber noch ein weniger spekta- Idealfall sogar für seine Zwecke nut- von Bäumen erschlagen. An der Küste DA S M AG A Z I N N ° 08 — 2018 kuläres, langfristig aber genauso ge- zen. Statt Beton sind heute weiche Lö- vor Rotterdam mass man Windge- fährliches Problem: Erosion. Welle für sungen gefragt, die sich von selbst an schwindigkeiten von mehr als 140 Ki- Welle wird die Küste abgetragen. Ich künftige Veränderungen anpassen. lometern in der Stunde. Mancherorts will erfahren, wie man sich dagegen Paul Drenth, ein Masterstudent konnte man nicht ohne Schutzbrille an wehrt. von Stefan Aarninkhof, fährt mit mir den Strand. Mein Interesse gilt dem Sandmo- zum Sandmotor hinaus. Der Wind ist Meine Stimmung schwankt zwi- tor: einer künstlichen Halbinsel aus ein wenig abgeflaut, braust uns aber schen Abenteuerfieber und Verwun- gut 21 Millionen Kubikmetern Sand, immer noch gehörig um die Ohren. Ein die man 2011 im Meer vor Delft aufge- paar Kitesurfer rasen über das tosende 17
derung – darüber, wie wenig es Fünfter Tag – Den H a ag be ist es zu überlegen, wie Holland im braucht, das System zum Erliegen zu Jahr 2050 oder 2100 aussehen könnte bringen. Gewiss, das war ein schwerer Zwei Meter gehen noch – in Abhängigkeit der Stärke des Kli- Sturm, aber gehört es denn nicht zur ma- und Bevölkerungswandels», sagt Kernkompetenz der Holländer, gegen van Alphen. solche Ereignisse gerüstet zu sein? Warum die Holländer cool bleiben. Und Der Kommissär ist nicht nur Leiter Meine Zweifel verstärken sich, als mir was die Gletscher der Schweiz mit den Pol- einer Denkfabrik. Er verfügt über ein mehrere Gesprächspartner erzählen, dern in den Niederlanden zu tun haben. Budget von einer Milliarde Euro pro dass auch bei ein paar Zentimetern Jahr. Mit dem Geld soll Holland fit ge- Schnee in Holland regelmässig alles Den Haag, das Verwaltungszentrum macht werden für die heissere, nässere stillsteht. Hier könnten die Präven- der Niederlande, ist ähnlich urban wie Zukunft. Man setzt dabei im Wesent tionsweltmeister noch etwas von der Rotterdam. Mitten durch die Bahn- lichen die Massnahmen fort, die den Schweiz lernen. hofshalle führt eine Tramlinie auf Be- Hochwasserschutz in letzter Zeit so er- tonpfeilern. In der Nähe residiert der folgreich gemacht haben: Erneut will Deltakommissär, im Bürohochhaus man die Deiche und Schutzbauten sys- «Zurichtoren». Meine anfängliche Be- tematisch renovieren und verstärken. geisterung schwindet etwas, als ich er- Allein die Generalüberholung des in- fahre, dass nicht die Stadt Zürich die zwischen 86-jährigen Abschlussdeichs Taufpatin war, sondern die gleichna- wird fast eine Milliarde verschlingen. mige Versicherung. Auch den Flüssen soll abermals mehr Meine ersten vier Tage hatte ich Raum gegeben werden. «Wir gehen erkundet, wie Holland bisher mit den davon aus», so van Alphen, «dass sie Naturgewalten umgeht. Nun will ich bis Ende des Jahrhunderts im Extrem- wissen, was die Zukunft bringt. Mein fall nochmals zwei Millionen Liter Gesprächspartner ist Jos van Alphen, Wasser pro Sekunde mehr schlucken Mitglied im Expertenstab des Delta- können müssen.» Also zweimal den kommissärs. Die Regierung hat diese Rhein bei Basel. Zusätzlich. Stelle 2010 geschaffen, als Antwort Die Institution des nationalen Del- auf den Klimawandel. «Unsere Aufga- takommissärs passt gut in die hollän- LEITTHEMA 2018 Gartenträume auf wenig Raum. Tauchen Sie ein in die 1:1-Gartenbei- spiele der besten Gartendesigner der Schweiz. Dank überraschender Gestaltung und durchdachter Ein- richtung entstehen auch auf wenig Raum grosse Gärten. giardina.ch/tickets
dische Tradition. Das kleine Team in möglicht ein weit in die Zukunft ge- Modell ist ein Vorbild für die Welt. Den Haag erteilt keine Befehle, son- richtetes Denken – für den Schutz vor Dennoch ist es gefährdet. Seit etwa dern koordiniert Massnahmen – die Naturgefahren unabdingbar. zwei Jahren mehren sich die Hinweise, eigentliche Arbeit wird lokal von Be- Aber wie lange kann Holland so dass der Klimawandel womöglich hörden, Firmen und Wissenschaftlern weitermachen? Noch recht lange, mei- drastischer ausfällt als erwartet. Neue geleistet. Wie hatte gestern der Profes- nen die meisten Experten. Jedenfalls Studien deuten darauf hin, dass das Eis sor für Küstenbau gemeint? Eine zent- wenn man weiter die Küste nährt, die der Antarktis viel rascher zerfallen rale staatliche Kontrolle nach dem Deiche stärkt, Städte und Polder ent- könnte als bislang angenommen. Dies Motto «Die Pläne müssen eingehalten wässert. «Wir rechnen mit maximal würde den Anstieg des Meeresspiegels werden», wie sie beispielsweise in einem Meter Meeresspiegelanstieg bis in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts Deutschland gepflegt werde, führe zu 2100», sagt van Alphen. «Das können massiv beschleunigen. Im schlimms- schlechteren Resultaten. wir gut bewältigen. Auch zwei Meter ten Fall könnte die Nordsee bis 2100 Ein weiterer Erfolgsfaktor ist fi- gehen noch.» Neue Lösungen werde es um zwei bis drei Meter ansteigen, bis nanzielle Unabhängigkeit: Das Pro- allenfalls in der Landwirtschaft brau- 2200 um acht Meter. gramm des Deltakommissärs ist zwar chen, weil das nachstossende Grund- Meine unter der Woche gewonne- auf Regierungsebene angesiedelt, wird wasser immer salziger wird. «Wir ex- ne Zuversicht, dass die Holländer das aber durch einen Spezialfonds finan- perimentieren derzeit mit salzresis- schon schaffen werden mit dem Kli- ziert. «Die Idee war, es nicht dem Ge- tenteren Gemüsesorten», sagt Jos van mawandel, schwindet am Ende ein zerre der Tagespolitik auszusetzen», Alphen. Auch ein potenzieller Wasser- wenig angesichts der drastischen Sze- sagt Jos van Alphen. Dieses Vorgehen konflikt mit der Schweiz ist nicht aus- narien. Die Schweiz wird sich mit hat bei den Holländern Tradition: Sie geschlossen: Wenn eines Tages die schneefreien Skigebieten und verdorr- praktizieren es seit Jahrhunderten in Gletscher geschmolzen sind und die ten Böden herumschlagen müssen, den Wasserschaften – uralten demo- Sommer immer trockener werden, schlimm genug. Aber verglichen mit kratischen Institutionen, vergleichbar braucht es wohl internationale Verein- dem, was auf die Holländer zukommt, den Schweizer Alpkorporationen, die barungen über die Nutzung des weni- ist das ein Kinderspiel. sich um den Unterhalt der Deiche und gen verbleibenden Rheinwassers. die Entwässerung der Polder küm- Das über Jahrhunderte an zahlrei- M AT H I A S PLÜ S S schreibt regelmässig mern. Die Wasserschaften dürfen so- chen Katastrophen geschulte Denken für «Das Magazin»; gar eigene Steuern erheben. Dies er- hat die Holländer cool gemacht. Ihr mathias.pluess@bluewin.ch DIE GRATIS-KREDITKARTE. 3000 PUNKTE Bis 31.3.2018 beantragen und 10C AsNsj Y0MDQ x0TU xMjQ 1MAcAi M05-Q 8AA AA= 3000 Bonuspunkte sichern! Antrag ausfüllen 10C E2LMQ 4CMRA DX7S Rvf FuElK i604U iD 4Noub _FYEKyS NNMT7 PGQ U_r sf tcdw nQ cnkDLQ ZI 4q3RM46R ske20Cm g_1C UY62 s_-PS d0DWN _GQ GMuVt sTF7O 6J1Xez9cH 3nhnoH sAA AA= unter cumulus-mastercard.ch, telefonisch anfordern unter 044 439 40 27 oder in Ihrer Migros abholen. DIE CUMULUS-MASTERCARD OHNE JAHRESGEBÜHR: Keine Jahresgebühr, auch in den Folgejahren Kostenlose Zusatzkarte Weltweit Cumulus-Punkte sammeln Herausgeberin der Cumulus-Mastercard ist die Cembra Money Bank AG.
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