Ilia VASELLA Windstill - Dörlemann Verlag, Zürich, 2021 - ch Stiftung
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Ilia VASELLA Windstill Dörlemann Verlag, Zürich, 2021 ch Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit +41 31 320 16 16 Haus der Kantone info@chstiftung.ch Speichergasse 6, Postfach www.chstiftung.ch CH-3001 Bern www.twitter.com/fondationch
Ilia VASELLA W indstill Roman, 160 Seiten / pages / pagine Zürich, Dörlemann Verlag, 2021 CHF 28.00 ISBN 978-3-03820-087-1 www.unionsverlag.com Inhaltsübersicht / Bref résumé / Breve riassunto Das titelgebende Wort «Windstill» fällt gleich im ersten Satz: Es ist ein windstiller Tag, an dem Marie stirbt, so zufällig wie unvermeidbar. Der Unfall passiert in einem Haus, einem Schloss eher in Frankreich, am Fusse der Pyrenäen, in dem eine bunte Schar von Gästen ihre Sommerferien verbringen. Und er webt sich ein in das Geflecht dieser Sommertage, hinterlässt seine Spuren, noch viele Jahre nachher: «Was wissen wir, wo er in die feinsten Fasern drang, der eine Tag im August. Wo er sich niederliess und eingrub.» Marie kommt bei einem «Alltagsunfall» ums Leben – sie stolpert auf der Treppe beim Reinholen eines Wäschekorbes und schlägt hart mit dem Kopf auf. Der Roman beleuchtet aus verschiedenen Perspektiven, wie es jenen geht, die zurückbleiben: Franz, ihr Partner, ist erstarrt in seinem Schmerz und «funktioniert» dennoch – es gilt, für die Leiche, die einen Tag lang im Schoss aufgebahrt wird, einen Transport zurück in die Schweiz zu organisieren. Pierre, der Gastgeber und Schlossbesitzer, ist ein Fels in der Brandung, Pieres Neffe Nick ist erschüttert. Odile, die als eine Art Haushälterin im Schloss wohnt, bemüht sich, einen würdigen Rahmen für die Totenruhe an diesem einen Tag zu schaffen. Die anderen beiden Ehepaare, die auch in dem Haus wohnen, schauen zu ihren Kindern, sind insgeheim froh, dass das Unglück sie nicht selber ereilt hat – und merken Jahre später dennoch, dass es auch an ihnen nicht spurlos vorbeigegangen ist. Erzählt wird wie gesagt aus verschiedenen Perspektiven – im Laufe der Zeit wird die Stimme von Dorothea (eine der beiden anderen anwesenden Frauen, ihre Ehe wird viele Jahre nachher zerbrechen und sie fragt sich, ob das wohl damals seinen Anfang nahm) immer zentraler. Begründung des Vorschlags / Motivation de la proposition / Motivazione della proposta Der Roman überzeugt in vielerlei Hinsicht: Die Autorin behandelt ein wichtiges, schwieriges Thema – Vergänglichkeit, Tod mitten in der Fülle des Lebens – auf eine überzeugende, eindringliche, nie pathetische Art. Die Figuren sind plastisch und fein gezeichnet und dennoch bleibt vieles im Ungefähren, kann die Leserin ihren eigenen Fährten folgen. Das Buch ist sehr atmosphärisch geschrieben, die Autorin – selber visuelle Gestalterin – hat den Blick für das Detail, für die kleinen Dinge, die zusammen die Menschen und den Ort lebendig machen. Neben den Personen ist auch das Schloss selbst, in dem sich die Dinge ereignen, eine zentrale «Figur», es wird zur genau beleuchteten Bühne, Szenerie, in der sich die Dinge ereignen. Der zeitliche Rahmen ist einerseits genau abgesteckt: Die wenigen Stunden zwischen dem Unfall und dem Leichentransport in die Schweiz, zum einen tun sich in der Erinnerung (an Marie wie sie vor dem Unfall war), oder in Vorblenden zu Dorotheas Situation viele Jahre später weite Zeiträume auf. Es ist ein Buch, das – und das ist sehr positiv gemeint! – nicht zuviel will, das auf kleinem Raum verharrt, das eigentlich Unbegreifliche in eine Erzählung kleidet; und gerade darin sehr überzeugend ist. Ich kann mir vorstellen, dass der Roman viele Leser/innen findet, und auch in der Übersetzung gut funktionieren würde.
Biografie / Biographie / Biografia Ilia Vasella, geboren 1961, studierte Grafik Design und später Gender Studies an der heutigen Zürcher Hochschule der Künste. Nach langjähriger Tätigkeit als freischaffende visuelle Gestalterin leitet sie seit 2007 den Studiengang Visuelle Gestaltung an der F+F Schule für Kunst und Design in Zürich und unterrichtet. Sie lebt in Zürich und Frankreich. Für die Arbeit am vorliegenden Text erhielt Ilia Vasella 2017 einen Werkbeitrag des Kantons Zürich. Windstill ist ihre erste Veröffentlichung.
Die Autorin dankt dem Kanton Zürich für den Werkbeitrag, der sie bei der Arbeit an diesem Buch unterstützte. Der Verlag bedankt sich bei der Stadt und dem Kanton Zürich für die Unterstützung der Publikation. Ilia Vasella Windstill Roman n Dieses es Buch Dörlemann eBook erhältlich. uch ist auch als D eBook I S B N 978-3-03820-087-4 ! ! Alle Rechte vorbehalten © 2021 Dörlemann Verlag AG , Zürich Umschlaggestaltung: Mike Bierwolf unter Verwendung U Um einer Illustration von Anna Albisetti Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: CP I – Clausen & Bosse, Leck I S B N : 978-3-03820-087-1 DÖ R LE MAN N www.doerlemann.com " "
sich schnell wegbewegt und Marie das Gleich- gewicht verlieren lässt, sie fällt nach hinten, mit einem kleinen, überraschten Schrei, ein scharfes Aufseufzen, der Korb entgleitet dem Griff ihrer Als Marie mit dem Wäschekorb vor der Brust die Hände, Marie fällt, ihr Kopf trifft auf das metal- Treppe zur Terrasse hinaufkommt, ist es beinahe lene Rohr des steinernen Schirmfußes. Marie in windstill. Marie hält den Korb mit beiden Händen, ihrem schnell übergeworfenen, leicht zerknitter- sie schaut auf die hastig von den Klammern ge- ten Sommerkleid, Marie ist auf der Stelle tot. zogenen Kleidungsstücke, nah ihren Augen, un- üblich nah schlingern Buchstabenfragmente auf In den Sommermonaten summt und surrt das dem Gummiband einer Unterhose, Franz trägt Haus an allen Ecken und Enden, die Schwellen sie nicht oft, geschwungene Buchstaben, blau auf zwischen dem rissigen Gips der Zimmerwände schwarzem Grund, sie bemerkt sie zum ersten und dem dickwandigen Grün der Umgebung lö- Mal, stellt Marie schlaftrunken fest, sie sucht das sen sich in den Geräuschen auf. Spielzeuggefährte Wort, einen Sinn, und ihre Gedanken schwei- rollen durch den Gang zur Terrasse und Stim- fen weg, zu den Dingen, die im Haus verstreut men schwirren auf und ab, denn die Mauern sind liegen, zu den Koffern, die sie packen wird für dick und aus Stein, aber die Böden voller Ritzen, die Weiterreise, die Weiterreise mit Franz; und durch welche man da und dort in die unteren sie riecht den Kaffee vermischt mit dem trägen Zimmer blicken kann. Das Haus mit dem grünen Duft des Feigenbaums. Ihr Blick rutscht nach Herzen saugt Menschen auf und spuckt sie am oben, sucht Orientierung, aus dem Augenwin- Tag ihrer Abreise wieder aus, auf dem Landweg, kel sieht sie die Katze, wie sie dem Geländer den Gebüschen und Bäumen entlang fahren sie entlangstreicht, und dann Franz, wie er mit der zum Zug, ins Dorf, zur Autobahn. Beinahe täg- Kaffeekanne im Türrahmen steht, als sie aus- lich wird durch die Gänge ein neues Netz gewo- rutscht, weil etwas sich bewegt, auf das sie tritt, ben, in den Knoten verfangen sich Kinder. Die 7 8 " "
Kinder springen an einem hoch, wenn sie eine schlüpft, barfuß und erleichtert, niemandem zu Weile im Haus verbringen, und bilden ihr eige- begegnen, da ihre Glieder schwer und ihr Atem nes verwickeltes Geflecht, sie sind von Statur noch bettwarm sind, und an den Kinderstimmen kleiner und halten den Winden gleichmütiger und dem Geklapper von Geschirr, das aus der stand. Der Wind kommt unerwartet und zerrt Küche plätschert, vorbeihuscht; wie Marie den an den Nerven der Gäste, er lässt Fenster und leeren Wäschekorb unter den Arm nimmt und Türen zuschlagen im Haus auf der Hügelkuppe, beinahe ohne ein Geräusch durch den Gang auf in der Nacht fährt er in die Bäume, so dass ein die Terrasse tappt, in der Hoffnung, auch hier Rauschen in den Schlaf dringt wie von Regen. noch niemanden anzutreffen. Ihr Blick streift den Eigentlich ist das Haus ein Schloss. gedeckten Frühstückstisch und die hinter dem Geländer sich ausbreitende Landschaft, Marie Wie sie aufgebahrt liegt, Marie, in der bestickten nimmt die Katze wahr, so vervollständigt Do- Bluse, ihr Gesicht erstarrt, verstörend in seiner rothea das Bild, die graue Katze, die durch ein Anwesenheit, und wie ihre Hände braungebrannt Blumenbeet streicht, und das Kräuseln an ihren bleiben auf dem hellen Überwurf, daran wird nackten Fußsohlen, als sie von den Fliesen der Dorothea sich erinnern wie an eine hyperrealisti- Treppe auf den morgenfeuchten Rasen tritt. sche und in den Details trotzdem unscharfe Ma- lerei. Sie wird sich an das unmittelbare, oder war Es ist mitten im Hochsommer, fünf der sechs es ein langsames Abdämpfen der Geräusche im Gästezimmer sind belegt, drei Erwachsene mit Haus erinnern, und an ihre erstaunte Erkenntnis, ihren Kindern nehmen das Haus mit einer lär- dass Geräusche so etwas wie Unbeschwertheit migen Ferienfröhlichkeit ein, und Nick, schlak- verlieren können. Am schärfsten gezeichnet ist sig und noch nicht erwachsen, von der Mutter ihre Vorstellung davon, wie Marie, der sie vor hergeschickt, um Französisch zu lernen, der aus wenigen Tagen zum ersten Mal begegnet ist, seinem Zimmer in einem abgelegenen Winkel an jenem Morgen im August aus dem Zimmer des Hauses auftaucht, wenn die Familien bereits 9 10 " "
beim Mittagessen im schattigen Hof sitzen. Und durch das Haus spannen, wenn auch scheinbar Franz und Marie, es ist ihre erste gemeinsame unbehelligt davon, ja unbeteiligt. Die Gäste be- Reise seit langem, vor wenigen Tagen angekom- wundern Pierre für seine stilsichere Eleganz und men, sind sie auf dem Weg an die Atlantikküste, seine kantige Schönheit, weil er Schlangen mit mit ihrem kleinen roten Auto; Marie hat sich ge- der bloßen Hand fängt und weil er dieses Schloss freut, auf das Stimmengewirr im Haus, die reifen besitzt. Ein leicht vergammeltes Landschloss, be- Feigen im Garten, Franz auf die Weiterfahrt zu stückt mit zusammengewürfeltem Mobiliar vom zweit und die belegten Brötchen in den Bars der Flohmarkt und vom Abbruch, das scheinbar zu- Kleinstadt am baskischen Meer. Marie und Franz, fällig, von Pierre jedoch peinlich genau insze- seit über zwanzig Jahren ein Paar, kinderlos, et- niert, einen losen Charme ausstrahlt. Pierre be- was ist immer wichtiger gewesen, für Franz oder wohnt die herrschaftlichen Räume über der Ter- für Marie, dann ist die Zeit abgelaufen, und sie rasse, den hellsten nutzt er als Atelier, wie aus fügten sich, beinahe ohne Wehmut, sind nicht einem Bilderbuch der Kunstgeschichte liegt es kompliziert geworden und auch nicht kinder- viele Monate bewegungslos, um im Sommer den scheu, Marie hat zwei Patenkinder und Franz ist Geruch nach frisch gespitzten Bleistiften und sich selbst genug. Franz kommt seit vielen Jahren Ölfarbe auszuatmen. Dann werden die hochwer- in das Schloss unweit der Gebirgskette zwischen tigen Kartons aus Pierres Lehrzeit aus den Schub- den Meeren, manchmal beruflich, um an einer laden gezogen, auf dem Kaminsims arrangierte Komposition zu arbeiten, seltener mit Marie, um Fundstücke hinterlassen kleine, staubfreie Flä- Ferien zu machen. chen auf dem Marmor, wenn sie zusammenge- schoben werden, um Platz zu schaffen für einen Der Schlossbesitzer bewegt sich zwischen den getrockneten Hirschkäfer oder einen seltsam auf- und abwippenden Geräuschen des Hauses gewachsenen Zedernzapfen. Schnipsel aus Illus- wie ein graues, schlankes Tier und meistens wort- trierten drängen sich zwischen die schnell hin- karg, ganz im Besitz der Fäden, die die Gäste geworfenen Bleistiftskizzen an den Wänden, 11 12 " "
und es kommt vor, dass Kinder unterschied- Verzweiflung sein könnte, wäre er zur Verzweif- lichen Alters auf dem Boden herumrutschen lung fähig. Nicht ohne Schärfe stellt die Mutter und zeichnen, meistens aber gebannt vor Pierres seines Sohnes nach der Trennung fest, die Zei- Laptop sitzen. Geduldig legt Pierre seine Pinsel chen ihrer verwickelten Beziehung sind überall zur Seite, selten macht er eine Bemerkung, zu sichtbar, im zugigen Schloss am Pyrenäenrand, einem langjährigen Gast vielleicht, dass er nicht dass kein Ort Pierres Einzelgängertum voll- zum Malen komme. Ende August fährt er zurück endeter beheimaten kann als das von ihm wie in die Schweizer Kleinstadt nördlich der Alpen, eine Biografie seines Schaffens bespielte, maß- wo er seine Bilder einem ausgewählten Publikum lose Haus. Aus den Tischgesellschaften auf der verkauft und sein Sohn Gian den Kindergarten Terrasse verschwindet Pierre unbemerkt, Betty besucht, in dessen Nähe sich Pierre eingerichtet Davis oder Zigeunerjazz schwebt dann aus den hat, nach der Trennung von Gians Mutter, ein- Fenstern des Ateliers und über das Terrassenge- gerichtet in einer Wohnung mit zwei Zimmern länder in die Blätter. und Gasheizung, und einem Job als Barkeeper. Marie hat Franz von den Blicken erzählt, die sie Der Blick Richtung Berge ist weit und sanft, er auffängt, wenn sie sich für ein Feierabendbier gleitet über Hügel und kleine Senken, auf den an die Theke setzt, Blicke von Frauen jeden Al- Kuppen stehen da und dort Häuser und Ställe, ters, die hinter Pierre herwandern, wenn er eine auch Wäldchen, Laute von Kühen und ande- Flasche vom Regal holt mit einer tänzerischen ren Tieren dringen kulissenhaft zum Haus hin- Geste, das Trinkgeld entgegennimmt. Doch auf. Bänder aus Gebüsch, undurchdringlich und Pierres Aufmerksamkeit gilt seinem Sohn und brombeerüberwuchert, begrenzen das trockene der Malerei, die Zeit, die verbleibt, investiert er Gelb der Weizenfelder, die sich in dunstigen Hü- in das verblassende Anwesen, an dem er hängt, gelketten verlieren. Nichts hält den Blick auf, bis obwohl er es kaum halten kann, wie an einem er die Berge erreicht, die sich in einem schmalen Teil seiner selbst, mit einer Zähigkeit, die auch Streifen erstrecken, feine, ferne Farbverläufe. 13 14 " "
Wolkenlos blau steht der Himmel, stehen Sekun- Schläfen, bedeckt mit den Fingern ihre geschlos- den still, es verstummt das Summen der Hum- senen Lider. Dorothea hat ihre beiden Kinder meln und Bienen und Fliegen, das Bewegen der an sich gezogen, sie sitzt wie versteinert, Rosa Flügel und Blätter. Maries Gesicht liegt weiß, und Emil starren auf den reglosen Körper, über weiß und etwas zerknittert auf den Steinplat- den Tisch hinweg, in der Umklammerung ihrer ten, wie absichtlich hingelegt, im hellen Licht Mutter. Stephan steht gelähmt, die Kanne in der des sommerlichen Morgens. Dorothea, die beim Hand. Franz legt den Kopf auf Maries Brust, Frühstück auf der Bank sitzt, denkt unwillkürlich nimmt ihre Hand in die seine, hektisch, hektisch an eine Fotografie mit übersteuerten Farben. Aus und abwesend zugleich, drückt sie, versucht den Franz kommt ein trockener Laut, ein erschreck- Puls zu fühlen, legt seine Wange an die ihre, Ma- tes Lufteinziehen und ein Atemanhalten. Später rie, Marie, Marie. Leise, eindringlich, flüsternd, kann er sich auch mit größter Anstrengung nicht panisch, streicht ihr mit der flachen Hand übers erinnern, wie und wo er die Kaffeekanne abge- Gesicht, über die Brauen, den Mund, so wie er es stellt hat. Später wird der Anblick von Marie in tut, wie er es immer tut, wenn sie aufgeregt ist. seiner Erinnerung verschwimmen, nicht aber das Gefühl, aus der Zeit gehoben zu werden. Doro- Ein Spalt öffnet sich, eine Erdspalte, ein Berg- thea fasst ihre Tochter Rosa am Arm, drückt sie kamm, ein Felsmassiv, saugt ihn weg, sein Blick zurück auf die Bank, als sie mit dem Butterbrot rutscht in die Tiefe, zieht ihn mit, ist es kalt, oder in der Hand zu Marie laufen will, Stephan nimmt glühend, ein Krater, kühler Humus, Franz sieht Franz die Kaffeekanne aus der Hand, ein Vogel die harten grauen Kieselsteine in der Erdmasse. zwitschert, flattert. Marie liegt bewegungslos, die Hat er noch Gewicht, einen Körper, Haut. Locken wirr, ein Bein weit gestreckt, ein Bein angewinkelt unter ihrem Körper. Franz geht ne- Marie hatte Kopfschmerzen bekommen, un- ben Marie auf die Knie, ein Arzt, schnell, seine erwartet starke Kopfschmerzen und keine Ta- Stimme flirrt. Franz legt die Hände an Maries bletten dabeigehabt, als sie unter den Tannen 15 16 " "
hervortraten, auf Alpweiden und Geröllfelder Franz wurde den gekränkten Missmut nicht los, hinaus, sie waren erst wenige Monate ein Paar. und Marie ergab sich dem sprachlosen Vorwurf. Ihre erste gemeinsame Wanderung bis über die Für Franz reihte sich der Nachmittag wie eine Waldgrenze, Franz hatte die Route vorgeschla- erstarrte Miniatur in die Erzählung ihrer gemein- gen, das Wochenende sorgfältig geplant. Von samen Geschichte, die holzgetäferte Stube, die einer angespannten Vorfreude erfasst, ging er Föhren an den schroffen Hängen, der eingefro- hinter Marie, passte seine Schritte den ihren an, rene Zwischenraum. ihrem Atem an, ließ sie den Aufstieg bestimmen, das kurze Innehalten, wenn ein Tritt den Aus- Über dem Frühstückstisch beugt sich Pierre aus blick ändert, ihre Armreifen klirrten aneinander; dem Fenster, Gian drängt sich neben ihn, steckt ob Marie, wie er, verstummen würde und hinaus- den Kopf weit vor und fragt, mit seiner hohen horchen, sich einhüllen ließe vom schwerelosen Kinderstimme, fragt in die gedehnten Minuten, Blick über Grate und Gipfel. Marie hatte sich die was hat sie. Als würde sich ein Stillleben aus der Stirn gekühlt, sie saßen an einem Tümpel, gelbe Erstarrung lösen, kommt Bewegung in Stephan, Gräser trieben an der Oberfläche, Marie tauchte der die Kaffeekanne auf dem Frühstückstisch ab- ihr Kopftuch ins dunkelblaue Wasser und wollte stellt, neben Franz niederkniet, atmet sie noch, umkehren. Sie brachen den Ausflug ab, und als er hält die flache Hand an Maries Hals, Franz seine Enttäuschung verebbt war, stellte sich bei reagiert nicht, Franz legt den Kopf auf Maries Franz eine Gereiztheit ein, die ihn seltsam be- Brust, schnell, schnell, jetzt schreit er. Gleichzei- rührte, er war sehr verliebt in Marie und ertrug tig ist Dorothea aufgesprungen, in welche Rich- es kaum, dass ihn der Gleichmut verärgerte, mit tung, zum Telefon, Marie helfen, Franz, die Kin- dem sie die eigene Unpässlichkeit und gleicher- der. Sie stürzt ins Haus, Pierres Schritte polternd maßen deren Folgen entgegennahm. Sie gingen über ihr, Rosa und Emil folgen ihr verängstigt. den Weg zurück und verbrachten den Nachmit- Bleibt hier, Dorotheas enge Stimme im Dunkel tag im Aufenthaltsraum der kleinen Pension. des Gangs, ihre fahrigen Hände in den Haaren 17 18 " "
der Kinder, sie hört, wie Pierre das Telefon er- der örtlichen Ambulanz telefoniert. Aber wann, reicht, ein Kissen, fährt es ihr durch den Kopf, Franz lässt zum ersten Mal den Blick von Marie, Marie stützen. Am Tisch allein gelassen, schreit seine Hand hält die Verbindung, die Fingerkup- Lara, scharf und durchdringend, Papa; echte Be- pen suchend in ihrem Gesicht, halten nur kurz drängnis, auf die Stephan in Sekundenschnelle inne, Franz dreht sich zu Pierre, wann, seine Au- reagiert, und zu ihr stürzt, sie flüsternd besänf- gen zwei brennende Seen. Pierre ist mit einem tigt, als wäre sie es, Lara, sein Kind, das einer Satz bei ihm, auch er fühlt den Puls, legt die Gefahr ausgesetzt ist, einer hereinbrechenden Hand an die Halsschlagader, schweigt. Gewiss- Bedrohung. Ein Arzt, Arzt, Franz wiederholt das heit breitet sich aus, eine alles durchdringende, Wort, eine Beschwörung, ein drängender, ge- messerscharfe Gewissheit, wie ein dumpfer, wie presster Schrei. Dorothea kniet sich neben Ma- ein farbloser Ton. Die Hektik auf höchster Alarm- rie, mit dem Kissen, ein Blumenmuster, eine stufe, waren es drei, waren es zehn Minuten, ist aufwändige Stickarbeit, blaue Kornblumen und einer Zeitlupenstille gewichen, die eng ist, wie gelbe Narzissen, die blühen doch gar nie gleich- zusammengeschnürt, Äste knacken in den Pla- zeitig, der Gedanke bleibt einen Moment bockig tanen, in der Ferne winseln Hunde. Emil und in ihrem Kopf sitzen, als sie das Kissen neben Rosa drängen sich neben Gian, Emil reibt sich Maries Locken auf die Steinplatten legt. rote Streifen auf den Arm, während ihn Rosa be- deutungsvoll anblickt, mit zusammengepressten Sie kommen, Pierre spricht niemanden an, zieht Lippen. Lara hängt in Stephans Arm, das Gesicht die wenigen Silben in die Länge, er steht unter in seinem Hemd verborgen, er zieht sie vom dem Türbogen, Gian taucht an seiner Seite auf, Stuhl, lässt sie zu Boden gleiten, und mit einer drückt ihm den Kopf an die Hüfte. Pierre ist entschiedenen Handbewegung bedeutet Stephan die geschwungene Treppe hinuntergestürzt, er den Kindern ihm zu folgen, zur Treppe, auf die hat seinen Sohn, mit hängenden Mundwinkeln, Wiese hinunter und in den Garten; Lara geht an auf dem obersten Absatz stehen lassen und mit ihn gedrängt, die andern dicht hinter ihm, vorbei 19 20 " "
an den stummen Erwachsenen und der bewe- den Rücken. Ohne sich zu Odile umzudrehen, gungslosen Marie. Gian verfällt in ein hüpfendes flüstert Franz, ich hätte ihr einen Kaffee ans Bett Rennen, sobald er sich an Marie vorbeigeduckt gebracht. hat, Emil dreht sich um, vorn an der Treppe, und sucht die Augen seiner Mutter, den Ober- Odile lebt im hinteren Teil des Hauses, zur körper gekrümmt, wieselhaft, Dorothea ant- Miete, in einer eigenen Wohnung, deren Eck- wortet mit einem unsicheren Winken, ihr Blick zimmer vom Gewölbe eines Brotofens versperrt verfängt sich in Maries Ohrmuschel, als sie weg- ist, manchmal mit einem Liebhaber und mit ei- schaut. ner kleinen Terrasse Richtung Osten. Im Som- mer beteiligt sie sich selten an den lebhaften Trällernd kommt Odile vom Gemüsegarten, Abendessen an den langen Tischen unter dem über die Wiese, mit einem Korb voller Bohnen. offenen Himmel auf der weitläufigen Terrasse, Sie sieht Stephan Richtung Labyrinthgarten ge- denn sie spricht kein Deutsch, und die Ferien- hen, im Laufschritt, gefolgt von den Kindern, gäste machen sich nicht die Mühe, Französisch die kaum Schritt halten können, ohne aufzubli- mit ihr zu sprechen. Auch Pierre nicht, der da- cken. Dicke Luft, denkt sie, ein Streit zwischen mit beschäftigt ist, Filme an die Schlossmauern den Kindern. Sie geht die Treppe hinauf, und zu projizieren und seine Sprachlosigkeit in klei- bevor ihr Blick die Terrasse erreicht, kann sie es nen, geschickten Handgriffen, die dem Ambi- greifen, schlagartig, etwas ist aus den Fugen ge- ente dienen, verschwinden zu lassen. Odile zieht raten, ist verrückt worden; sie sieht zuerst Do- Tomaten und Salate im Gemüsegarten unten rothea, die am Boden kauert, dann Pierre, Franz, am Hang, im Sommer bleibt sie wenn immer und erst dann sieht sie Marie, Marie und die möglich nackt, und wer sie in ihrer Wohnung verstreuten Wäschestücke. In zwei Sätzen ist sie besucht, wird in einem schnell übergeworfenen bei Franz, Pierre gibt den Raum frei, Odile kniet Tuch empfangen. Sie hadert mit den Flecken, auf die Steinplatten, legt Franz die Hand auf die auf ihren Handrücken sichtbar werden, sie 21 22 " "
Presseinformation* _________________________________________________ Ilia Vasella Windstill Roman Ein heißer drückender Sommermorgen in Südfrankreich. In einem leicht verfallenen Schloss verlebt eine zusam- mengewürfelte Schar von Gästen entspannte Ferientage. Sie kochen gemeinsam, trinken auf der Terrasse Wein und genießen den Blick auf die blaue Bergkette in der Ferne. Dann passiert das Unfassbare: Marie rutscht aus und stürzt. Sie ist auf der Stelle tot. Die Anwesenden bahnen sich einen Weg durch die ersten Stunden nach ihrem Tod – Dorothea faltet Maries Wäsche, Odile setzt sich ans Klavier, Stephan flüchtet mit den Kindern in den Garten. Bei jedem hinterlässt Maries Tod andere Spuren, bleiben andere Erinnerungen zurück. ILIA VASELLA Windstill Roman 160 Seiten. Gebunden. Leseband € [D] 22.– / € [A] 22.70 / SFr. 28.– (UVP) ISBN 978-3-03820-087-1 eBook ISBN 978-3-03820-987-4 € 14.99 ET 19. März 2021 _________________________________________________ * Mit dem Erhalt des Rezensionsexemplars räumen Sie dem Dörlemann Verlag das Recht ein, aus der Rezension zum betreffenden Titel ein Zitat zu Werbezwecken zu verwenden (Print und elektronisch).
Pressemappe zu Ilia Vasella Windstill Dörlemann Verlag AG | Neptunstraße 20 | CH 8032 Zürich | +41 44 251 00 25 | www.doerlemann.com
Buch Bellini | Buchtipps | Belletristik | 23.3.2021 von Sandra Bellini »EIN HEISSER SOMMERTAG, DER ALLES VERÄNDERT.« Ein heißer drückender Sommermorgen in Südfrankreich. In einem leicht verfallenen Schloss verlebt eine zusammengewürfelte Schar von Gästen entspannte Ferientage. Sie kochen gemeinsam, trinken auf der Terrasse Wein und genießen den Blick auf die blaue Bergkette in der Ferne. Dann passiert das Unfassbare: Marie rutscht aus und stürzt. Sie ist auf der Stelle tot. Die Anwesenden bahnen sich einen Weg durch die ersten Stunden nach ihrem Tod – Dorothea faltet Maries Wäsche, Odile setzt sich ans Klavier, Stephan flüchtet mit den Kindern in den Garten. Bei jedem hinterlässt Maries Tod andere Spuren, bleiben andere Erinnerungen zurück. Das Cover allein ist ein Blickfang und könnte zum Inhalt nicht passender sein. Feinfühlig und stimmig verhandelt Ilia Vasella die letzten Dinge im Leben. Wie wird ein Mensch wahrgenommen? Was bleibt von ihm zurück? In einer klaren, aber feinen Sprache zeigt sie die Umbrüche und Neuanfänge, die durch den Abschied entstehen. Windstill von Ilia Vasella __________________________________________________________________________________________ Wichtiger Hinweis: Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Die Kopie dient allein Ihrem privaten 1 Gebrauch und darf insbesondere nicht verbreitet oder sonst zu öffentlichen Wiedergaben genutzt werden.
Buchladen Jens Köster | Instagram | 24.3.2021 von Jens Köster Unser heutiger #buchtipp kommt aus dem @doerlemannverlag: Ilia Vasella – Windstill. Bei uns vor Ort im Buchladen oder in unserem Onlineshop erhältlich! Ein heißer drückender Sommermorgen in Südfrankreich. In einem leicht verfallenen Schloss verlebt eine zusammengewürfelte Schar von Gästen entspannte Ferientage. Sie kochen gemeinsam, trinken auf der Terrasse Wein und genießen den Blick auf die blaue Bergkette in der Ferne. Dann passiert das Unfassbare: Marie rutscht aus und stürzt. Sie ist auf der Stelle tot. Die Anwesenden bahnen sich einen Weg durch die ersten Stunden nach ihrem Tod – Dorothea faltet Maries Wäsche, Odile setzt sich ans Klavier, Stephan flüchtet mit den Kindern in den Garten. Bei jedem hinterlässt Maries Tod andere Spuren, bleiben andere Erinnerungen zurück. __________________________________________________________________________________________ Wichtiger Hinweis: Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Die Kopie dient allein Ihrem privaten 1 Gebrauch und darf insbesondere nicht verbreitet oder sonst zu öffentlichen Wiedergaben genutzt werden.
lesenbringtwas | Instagram | 29.3.2021 von Ute Breuler-Jährling »Il y a quelque chose de beau … le silence dans le corps.« Wie in jedem Jahr haben sich auch in diesem Sommer in dem alten leicht verfallenen Schloß im Süden Frankreichs Urlauber eingemietet. Man genießt die malerische Schönheit des großen Gartens und die unaufgeregte Stille des Landlebens, kocht, isst und feiert miteinander, und die Kinder finden sich zum Spielen zusammen. Hier, abseits des Trubels, können sich alle frei und ungezwungen fühlen, ausruhen und entspannen, die Natur und die grandiose Landschaft genießen. Aber an diesem besonderen Morgen ereignet sich eine Katastrophe: Marie ist gerade mit einem Wäschekorb in den Händen auf dem Weg ins Haus, als sie auf der alten Steintreppe ausrutscht, stürzt und unglücklich auf dem Hinterkopf aufkommt – sie ist auf der Stelle tot. Geschockt laufen die Urlaubsgäste herbei, um zu schauen, ob sie irgendwie helfen können, aber man kann nichts mehr für Marie tun. Sie beschließen gemeinsam, die Verstorbene im kühlen abgedunkelten Musiksalon auf eine Couch zu betten, Blumen und Kerzen werden arrangiert, damit sich alle würdig von ihr verabschieden können. Franz, ihr Ehemann, hat es natürlich am Schwersten, muss diesen Schicksalsschlag erst verstehen und verarbeiten. Aber auch bei den anderen Bewohnern, die Marie nicht wirklich nahe standen, kommen angesichts dieser grauenhaften Tragödie Gedanken über Sterblichkeit und hinterlassene Lebensspuren auf. Ein aufwühlender, berührender, poetisch-zarter Roman über einen Tag des Abschiednehmens. Eine literarische Kostbarkeit … Ich stelle mir vor, dass das alte Landschloß, der verwachsene Garten und die Aussicht von der steinernen Terrasse auf die hellblauen Berge in der Ferne wirken, wie in einem Gemälde von Cezanne. Und sogleich stellen sich Erinnerungen an laue Sommerabende und Düfte von Blumen und Kräutern ein, an stille, sternenklare Nächte, in denen nur der Gesang der Zikaden zu hören ist … Und auch ich bin in Gedanken an meine bereits Verstorbenen – in Liebe. __________________________________________________________________________________________ Wichtiger Hinweis: Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Die Kopie dient allein Ihrem privaten 1 Gebrauch und darf insbesondere nicht verbreitet oder sonst zu öffentlichen Wiedergaben genutzt werden.
missmesmerized | Neueste Rezensionen | 2.4.2021 von Katja Zimmermann Ilia Vasella – Windstill Das heruntergekommene Schloss in Südfrankreich beherbergt auch in diesem heißen Sommer wieder eine bunte Schar von Gästen. Franz und Marie kommen schon seit Jahren in die Herberge des Künstlers Pierre, dessen Malerei sie schätzen. Dorothea und Mauro sind mit ihren Kindern Rosa und Emil zum ersten Mal Gast. Auch Stephan und seine Tochter Lara bewohnen eines der Zimmer, ebenso wie Nick, der schon fast zu den Erwachsenen zählt, aber seiner schlechten Französischkenntnisse wegen dort den Sommer verbringen soll. Odile geht im Winter mit ihrer Band auf Tour, den Rest des Jahres bewohnt sie hintere Zimmer des Anwesens. An einem Morgen wie jedem anderen auch ist ein Teil der Urlauber schon wach und auf der Terrasse beim Frühstück, als das völlig Unerwartete geschieht: Marie will nur die getrocknete Wäsche holen, rutscht aus, schlägt mit Kopf auf und ist sofort tot. Alles gerät aus dem Ruder, nichts geht mehr seinen normalen Gang. Ilia Vasella ist visuelle Gestalterin und lehrt an der Kunsthochschule Zürich, Windstill ist ihr erster Roman, der wie ein Gemälde auch einen Moment im Leben festhält und mit allen Details ausgestaltet. Der Blick der Künstlerin zeigt sich auch in der Geschichte, jede Ecke wird ausgelotet, kein noch so kleiner Fleck ist unbedeutend. Sie beschreibt nur einen einzigen Tag, an dem scheinbar die Zeit für die Figuren stehenbleibt. Im Allgemeinen messe ich Buchcovern keine große Bedeutung bei, in diesem Fall jedoch ist auffällig, wie stimmig es zum Text passt, dass es genau jene unheilvolle Ausgangsszene malerisch darstellt: die Terrasse, der Wäschekorb, die intensiven Farben Südfrankreichs. Was macht so ein Ereignis mit den Menschen? Wie reagieren sie? In Zeitlupe hält die Autorin dies fest. Die Schreckstarre, in die Franz verfällt, der es nicht fassen kann, immer wieder eingeholt wird von Erinnerungen an all jene Momente mit seiner Frau und der froh ist, dass andere das Handeln für ihn übernehmen. Odile gehört zu diesen pragmatischen Menschen, sie scheint zu wissen, was zu tun ist, wie man mit dem Tod umgeht, wie man den Leichnam immer noch menschlich behandelt. Die Kinder sollen von der Tragik des Lebens ferngehalten werden, merken jedoch, dass etwas geschieht, sind neugierig, haben noch nie einen toten Menschen gesehen. Und die Erwachsenen werden mit dem konfrontiert, was sie verdrängen wollen, der Endlichkeit des eigenen Seins, dem Wissen, dass von einer auf die nächste Sekunde alles vorbei sein kann. Ein intensives Leseereignis, das unheimlich dicht ist und förmlich in einen hineinkriecht. Eine oberflächliche Lektüre ist gar nicht möglich, man verlangsamt automatisch und erfasst so jede Sekunde des folgenschweren Tages und fragt sich auch selbst, wie man wohl agiert hätte, ob man vorbereitet ist, auf das Undenkbare. __________________________________________________________________________________________ Wichtiger Hinweis: Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Die Kopie dient allein Ihrem privaten 1 Gebrauch und darf insbesondere nicht verbreitet oder sonst zu öffentlichen Wiedergaben genutzt werden.
Buchhandlung Lehmkuhl | Instagram-Video | 6.4.2021 von Marie Katzlinger Marie empfiehlt heute mal am Dienstag: Windstill von Ilia Vasel- la Ein Roman wie das Gemälde eines idyllischen Sommertages. Ilia Vasella erzählt dicht, intensiv und ausdrucksstark von einem einzigen Tag, an dem die Idylle zerbricht. Sprecherin Was empfiehlst du uns denn Sonniges? Marie Katzlinger Sehr sonnig, Ilia Vasella, Windstill, in dieser wunderschönen kleinen Ausgabe bei Dörlemann. Ein kleiner Roman, der einen mitnimmt an einen drückend heißen Som- mervormittag in ein altes Schloss, das als Ferienunterkunft für ein paar Familien und Paare dient. An diesem drückenden frühen Morgen geht Marie mit einem Wäschekorb nach draußen, spürt die Hitze des Tages schon auf sich eindringen, wendet sich um, sieht ihren Mann an, rutscht aus und ist tot. Und in diese Idylle bricht dieser Moment herein, hinterlässt Spuren bei allen Beteiligten, und alle haben unterschiedliche Erinne- rungen. Ilia Vasella erzählt ganz eindrucksvoll, ähnlich wie so ein impressionistisches Gemälde, in so kleinen Tupfern und Farbklecksen, wie welche Erinnerung bei den ein- zelnen Beteiligten hängenbleibt. Ein sehr poetischer, wunderschöner Sommerroman. Das ganze Video hier: https://www.instagram.com/tv/CNUQuzjKLLK/?utm_source=ig_web_copy_link __________________________________________________________________________________________ Wichtiger Hinweis: Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Die Kopie dient allein Ihrem privaten 1 Gebrauch und darf insbesondere nicht verbreitet oder sonst zu öffentlichen Wiedergaben genutzt werden.
fuxbooks | Instagram-Video | 14.4.2021 von Anne Sauer, Jasmin Humburg und Bücherhallen Hamburg @leaf.and.literature und @fuxbooks präsentieren Buchneuhei- ten des Frühjahrs (…) Anne Sauer Dann mache ich doch auch mal weiter mit einer Sommergeschichte der bisschen ande- ren Art. Windstill heißt das nächste Buch, von Ilia Vasella, einer Schweizerin. Dieses Buch ist ganz schmal im Vergleich zu dem ersten Buch, auch wenn ihr es nicht gesehen habt, es hat nur knapp 150 Seiten. Und es ist eines von diesen Büchern, da habe ich das Pressemailing gelesen und ich wusste, ich muss es sofort lesen, weil die Idee in einem Satz erklärt ist. Das gelingt mir wahrscheinlich nicht, aber: Es geht um ein Ereignis, das so tragisch wie alltäglich ist und das das Leben von einer zur nächsten Sekunde von ganzen vielen Leuten verändert. Es spielt an einem Sommermorgen in Südfrankreich, alles ist eigentlich wunderbar, die Sonne scheint, es ist drückende Hitze, aber auf eine angenehme Art und Weise. Der leichte Wind – nein, es ist ja windstill, aber man stellt sich trotzdem vor, dass so ein sanfter Wind die Gardinen umweht. Es spielt in einem Sommerhaus, wo diverse Som- merferiengäste untergekommen sind, und es geht vor allem um Marie, die gleich zu Beginn des Buches an diesem Sommermorgen die Wäsche aufhängen möchte auf der Terrasse, und sie rutscht aus, weil irgendwas in ihrem Weg ist, sie guckt nach oben, rutscht aus, fällt runter und ist einfach sofort tot. Dieses Buch beschreibt im Prinzip die Stunden danach, also: Was machen die Anwesenden mit diesem Ereignis. Da ist natür- lich Maries Partner, der in einer völlig verständlichen Schockstarre gefangen ist, sich aber trotzdem irgendwie um die Bestattung kümmern muss. Da ist ein Paar mit Kindern, die Kinder müssen irgendwie beschäftigt werden, da sind noch andere, die dann auf einmal anfangen, die Felder zu jäten, um sich abzulenken, da ist Dorothea, die einfach nur Maries Wäsche aufhängt oder zumindest zusammenlegt, weil sie das ja angefangen hat, und das will Dorothea jetzt beenden, damit sie irgendwas Sinnvolles tut. Da ist ein Schüler, der nur in Frankreich ist, um sein Französisch aufzubessern und der das erst gar nicht mitbekommt, sondern erst später, weil er länger geschlafen hat. Es ist natürlich extrem tragisch, es geht um einen Tod. Aber wie die Autorin das be- schreibt, diese Situation und diese Stimmung, in der die Anwesenden auf einmal sind, ist erschreckend poetisch und schön, sodass es fast schon was Verträumtes hat. Also fast wie so ein Gemälde von Renard, wo man in jeder Person eine eigene Stimmung erken- nen kann und man sich fragt, was die gerade denken. So ein bisschen ist irgendwie die- ses Buch. Ganz dünn, wie gesagt, kann man aber auch über einen längeren Zeitraum lesen, weil da sehr viele schöne, sehr klare Sätze drin sind, die einem ein Gefühl geben für die Situation, die man natürlich nicht begreifen kann, wenn man nicht in dieser Situ- ation ist. Fand ich auch sehr bemerkenswert. Also ein wunderbares Beispiel dafür, dass es manchmal nicht 500 Seiten braucht, um verschiedene Schicksale zu beschreiben, vor allem weil es aus der Sicht von einer dieser Frauen erzählt ist, die da dabei war, und die guckt auch ein bisschen rückblickend darauf. Es hat hie und da kurze Zeitsprünge, wo man merkt, dass sie aus der Gegenwart auf eine Vergangenheit schaut, die einfach alles danach verändert hat. Bei den einen ist es tiefer gegangen, bei den andern nicht so sehr. Ilia Vasella, Windstill. Es ist jetzt im März erschienen bei Dörlemann, ein ganz kleiner unabhängiger Verlag. Jasmin Humburg Ein super Verlag. Das ganze Video auf Instagram ab Minute 22:30: https://www.instagram.com/tv/CNp3eEFDdOw/?utm_source=ig_web_copy_link __________________________________________________________________________________________ Wichtiger Hinweis: Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Die Kopie dient allein Ihrem privaten 1 Gebrauch und darf insbesondere nicht verbreitet oder sonst zu öffentlichen Wiedergaben genutzt werden.
Neue Buchtipps | Romane | Deutsche Romane | 27.4.2021 von Chistiane Schwalbe Ilia Vasella: Windstill Südfrankreich im Sommer – blauer Himmel, strahlende Sonne, weite Landschaft. Es ist heiß, die Luft flimmert, in der Mittagshitze zieht man sich lieber in die Kühle dicker Schlossmauern zurück oder sucht Schatten unter Bäumen. Sommer im Schloss »Ein leicht vergammeltes Landschloss, bestückt mit zusammengewürfeltem Mobiliar vom Flohmarkt und vom Abbruch, das scheinbar zufällig, von Pierre jedoch peinlich genau inszeniert, einen losen Charme ausstrahlt.« Pierre ist Maler und der Besitzer dieses in die Jahre gekommenen Hauses, mit seinem kleinen Sohn verbringt er hier jeden Sommer, zusammen mit anderen Gästen, an die er Zimmer vermietet. Franz und Marie, seit 20 Jahren ein Paar, sind Stammgäste geworden, andere machen hier mit ihren Kindern unbeschwert Urlaub. Es ist eine idyllische Gegend, fernab üblicher Touristenströme. Abends wird gemeinsam gekocht und an einer langen Tafel gegessen. Plötzlicher Tod Die fröhliche Ferienstimmung wird jäh unterbrochen, als Marie eines Morgens mit dem Wäschekorb auftaucht, noch etwas schlaftrunken die Treppe zur Terrasse hinaufgeht. Sie übersieht ein Spielzeug, tritt drauf, verliert das Gleichgewicht: »Marie fällt, ihr Kopf trifft auf das metallene Rohr des steinernen Schirmfußes. Marie in ihrem schnell übergeworfenen, leicht zerknitterten Sommerkleid. Marie ist auf der Stelle tot.« Der Schock trifft alle, sie sind fassungslos, wie gelähmt, können es nicht glauben, bis alle aufspringen, um irgendetwas zu tun. Jeder reagiert auf seine Weise – verstreutes Spielzeug zusammentragen, zum Telefon laufen, Kinder beruhigen. Endlich kommt der Arzt, er stellt nur noch den Tod fest. Eine bizarre Situation, niemand schreit, niemand weint, sie tragen Marie ins Haus, bahren sie auf. Irgendwie funktionieren Jede Handlung bekommt jetzt Bedeutung, auch die banalste – Aufräumen, Telefonieren, Wäsche zusammenlegen, das Abendessen planen; Franz muss Verwandte benachrichtigen, mit dem Bestattungsunternehmen die Formalitäten klären, den Transport nach Hause planen. »Auf der Terrasse schließt Dorothea die Dose mit Kakaopulver, stellt die flüssig gewordene Butter in den Schatten einer Topfpflanze, sie stellt die Teller zusammen, die Tassen ineinander und sieht sich zu, sieht zu, wie sich die Minuten ausbreiten, … wie kann sie ihre Hände beschäftigen, möglichst lange beschäftigen, wie kann sie in einem Rhythmus bleiben, der sie weiterträgt, einfach nur weiterträgt.« Eindringlich und poetisch Das Haus wird zur Kulisse, vor der ihre Bewohner, die hier zufällig zu einer Gemeinschaft zusammengewürfelt sind, hilflos agieren und Fragen stellen, auch wenn es müßig ist: Wer hat die Lokomotive liegen gelassen, über die Marie gestolpert ist, wer hat vergessen, den schützenden Topf über das Metallrohr zu stülpen. Der halbleere Musiksalon wird Totenzimmer und Andachtsraum, man zündet Kerzen an, legt tröstend die Hand auf Franz’ Arm, betrachtet die leblose Marie, berührt sie. Drinnen ist Stille, draußen geht das Leben weiter, wie in Zeitlupe, leiser, nachdenklicher. Und jeder für sich lässt auf einmal Gedanken zu, die bislang tabu waren: Beziehungsstress, Distanz, Entfremdung, Sinnsuche, Angst vor Trennung, Tod, Sterben. __________________________________________________________________________________________ Wichtiger Hinweis: Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Die Kopie dient allein Ihrem privaten 1 Gebrauch und darf insbesondere nicht verbreitet oder sonst zu öffentlichen Wiedergaben genutzt werden.
Neue Buchtipps | Romane | Deutsche Romane | 27.4.2021 von Chistiane Schwalbe Eindringliche Studie Was passiert, wenn jemand völlig unerwartet stirbt – ein durchaus ungewöhnliches Thema. Ilia Vasella beobachtet behutsam, sprachlich überaus genau und sorgfältig, beschreibt minutiös Haus, Umgebung, Szenen und Gespräche. Sie fügt diese Bruchstücke zu einem Mosaik, durch das sie als roten Faden die Trauer um Marie zieht, letzte Begegnungen und Erinnerungen. Mit ihrem Debütroman gelingt ihr eine subtile, eindringliche und poetische Studie über den Ausnahmefall, der alle aus dem Tritt bringt. Von einer Sekunde zur anderen. Ilia Vasella, *1961, Schweizer Grafikdesignerin, lebt in Zürich und Frankreich. Ilia Vasella: Windstill. Roman, Dörlemann, 160 Seiten, 20 Euro. eBook 14,99 Euro __________________________________________________________________________________________ Wichtiger Hinweis: Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Die Kopie dient allein Ihrem privaten 2 Gebrauch und darf insbesondere nicht verbreitet oder sonst zu öffentlichen Wiedergaben genutzt werden.
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