Im Dialog Das Magazin des Bundesministeriums für Gesundheit - Psychische Gesundheit geht alle an - Bundesministerium für Gesundheit

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Im Dialog Das Magazin des Bundesministeriums für Gesundheit - Psychische Gesundheit geht alle an - Bundesministerium für Gesundheit
Im Dialog
 Das Magazin des Bundesministeriums für Gesundheit
Januar 2023 | Ausgabe Nr. 9

 Schwerpunkt Ratgeber
 Psychische Gesundheit Reanimation – Prüfen! Rufen!
 geht alle an Drücken! Jede Sekunde zählt
Im Dialog Das Magazin des Bundesministeriums für Gesundheit - Psychische Gesundheit geht alle an - Bundesministerium für Gesundheit
INHALT
 Inhalt

 04 Schwerpunkt

 Psychische Gesundheit geht alle an
 Psychische Erkrankungen sind häufiger als man glaubt.
 Es gilt, die Gesellschaft für das Thema zu sensibilisieren.

 Psyche und Körper im Dialog
 Prof. Dr. med. Hans-Christoph Friederich zu
 den Grundlagen Psychosomatischer Medizin

 10 Digitalisierung
 Videosprechstunden im Praxisalltag

 04 12 Global Health
 Global Health Hub Germany – gemeinsam
 globale Gesundheit voranbringen
 Impressum
 14 Ratgeber
 Herausgeber:
 Bundesministerium für Gesundheit
 Referat Öffentlichkeitsarbeit, Publikationen
 Prüfen! Rufen! Drücken!
 11055 Berlin Jede Sekunde zählt
 www.bundesgesundheitsministerium.de
 V. i. S. d. P.: Meike Mader-Luckey
 Redaktion und Gestaltung:
 CP/COMPARTNER, 45128 Essen
 16 Hintergrund
 Druck: Bonifatius GmbH, 33042 Paderborn
 Papier: Vivus 100 (Umschlag) und Steinbeis Silk (Innenteil); Akute und langfristige Entlastungs­
 Blauer-Engel-zertifiziert, FSC-zertifiziert
 Redaktionsschluss: 2. Dezember 2022
 maßnahmen für Krankenhäuser
 Titelbild: Ob im privaten oder beruflichen Bereich – ein offener Umgang
 mit psychischen Belastungen und Erkrankungen ist wichtig.
 Bildnachweis: Ground Picture/Shutterstock (1); Guido Schroeder (2, 4);

 14
 Pixel-Shot/Shutterstock (2); Thomas Ecke Berlin (3, 19, 31); BMG (3, 13, 18, 20,
 21, 22, 23); Rainer Hotz (9); Katharina Müller-Güldemeister (10); Black Salmon/
 Shutterstock (12); Frederike van der Straeten (16); Viktoria Kurpas/Shutterstock
 (23, 29); Rawpixel.com/Shutterstock (24); Irina/Shutterstock (26); Alliance
 Images/Shutterstock (30); MedizinFotoKöln (32); Michael Wodak (33); galang
 wibowo/Shutterstock (34); olya osyunina/Shutterstock (34); Mary Long/
 Shutterstock (34); Lemberg Vector studio/Shutterstock (34); BMG (35)
 Bestellmöglichkeit:
 Publikationsversand der Bundesregierung
 Postfach 48 10 09, 18132 Rostock
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 Bestellnummer für die Ausgabe 9: BMG-G-11178

 Diese Publikation wird vom Bundesministerium für Gesundheit im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit
 herausgegeben. Die Publikation wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Sie
 darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum
 Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Bundestags-, Landtags- und Kommunal-
 wahlen sowie für Wahlen zum Europäischen Parlament.

02
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RUBRIK

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 IC Liebe Leserin, lieber Leser,
 weil bei uns alle willkommen sind. Außer Corona.
 vielen Menschen fällt es schwer, über psychische Erkrankungen
Edina hält als Gastronomin ihren Corona-Schutz aktuell. zu sprechen. Dabei spielt es oft keine Rolle, ob man selbst betrof-
 fen ist oder ein naher Angehöriger, eine Kollegin oder ein Freund
 erkrankt ist – psychische Erkrankungen gelten immer noch häu-
 fig als Tabu. Auch daher haben wir die „psychische Gesundheit“
18 Panorama zum Schwerpunktthema dieser Ausgabe gemacht. Zudem ist das
 Thema gerade jetzt besonders wichtig. Denn die vielen, sich gera-
„Ich schütze mich“ de überlagernden Krisen – die Pandemie, der Angriffskrieg auf
 die Ukraine, die Inflation, die steigenden Energiepreise – können
84 Menschen aus ganz Deutschland erklären,
 auch die psychische Gesundheit stark beeinträchtigen. Der Alltag
warum sie sich vor Corona schützen
 ist sorgenvoller geworden, auch wenn die Bundesregierung alles
 daran setzt, die aktuellen Krisen zu bewältigen und ihre Folgen
24 Hintergrund für die Menschen im Land abzumildern. Die großen Herausfor-
 derungen unserer Zeit gehen trotz aller Unterstützung an kaum
Intensivmedizinische Versorgung: jemandem spurlos vorbei – viele Kinder, Jugendliche und Er-
Neues „Triage­Gesetz“ schützt wachsene sind psychisch belastet. Daher können Sie in dieser
vor Benachteiligung Ausgabe der „Im Dialog“ neben allgemeinen Informationen
 zum Thema auch erfahren, wie Sie Ihr seelisches Wohlbefinden
 im Blick behalten und wohin Sie sich wenden können, wenn Sie
26 Gesundheitswissen bei sich Anzeichen einer möglichen psychischen Erkrankung
 bemerken.
Die soziale Pflegeversicherung:
Aktuelle Pläne für weitere Entlastungen Auch unser Gesundheitssystem steht aufgrund der aktuellen
 Herausforderungen unter Druck. So sind beispielsweise die

28 Ratgeber
 Beschäftigten in unseren Krankenhäusern in der Coronavirus-
 SARS-CoV-2-Pandemie besonders gefordert. Um die Arbeits-
BMG im Dialog bedingungen der Pflegekräfte in den Kliniken zu verbessern,
 haben wir vor wenigen Wochen das Krankenhauspflegeent-
5 Fragen zum Thema Kurzzeitpflege
 lastungsgesetz beschlossen, mit dem wir unter anderem auch
 die Geburtshilfe, die Kinderheilkunde und unsere Hebammen
30 Pflege stärken. Einige dieser Fortschritte sind direkt auf die Empfeh-
 lungen der „Regierungskommission für eine moderne und
Bessere Arbeitsbedingungen bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ ­zurückzuführen.
für Pflegekräfte in Kliniken Auch hierzu erfahren Sie im Magazin mehr.

 Darüber hinaus erwarten Sie viele weitere informative Beiträge –
32 Serie beispielsweise zu den Fortschritten in der Telemedizin, zum
Orthoptistinnen und Orthoptisten – Global Health Hub Germany und zur Laienreanimation. Wir
 wünschen Ihnen viel Freude beim Lesen, hoffentlich neue
für mehr Durchblick sorgen Erkenntnisse und wir laden Sie herzlich ein, mit uns weiter
 „im Dialog“ zu bleiben.
34 Junge Seiten
 Ihr
Was du tun kannst,
wenn es dir schlecht geht Prof. Dr. Karl Lauterbach
 Bundesminister für Gesundheit

Januar 2023 | Ausgabe Nr. 9 03
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Schwerpunkt

 Die beiden Komiker Kurt Krömer (links) und Torsten Sträter sprachen in
 der TV-Sendung „Chez Krömer“ über ihre eigenen Erfahrungen mit psychi-
 schen Erkrankungen. Das sorgte für viel Aufmerksamkeit für das Thema.

04 Im Dialog
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Schwerpunkt

 Psychische
 Gesundheit geht
 alle an
 Psychische Erkrankungen stellen das Gesund-
 heitssystem in Deutschland vor enorme Heraus-
 forderungen. Fast jeder dritte Mensch leidet im
 Laufe seines Lebens an einer behandlungsbe-
 dürftigen psychischen Erkrankung. Durch die ak-
 tuellen Krisen in der Welt verstärken sich die Pro-
 bleme. Zielgerichtete Präventionsangebote sollen
 die psychische Gesundheit in allen Lebensphasen
 fördern und die Gesellschaft für das Thema
 sensibilisieren.
 Guido Schweiß-Gerwin

 „M enschen mit Depressionen sind für mich keine schwa-
 chen, sondern die stärksten Leute, weil für sie jeder Tag
 ein Kampf ist“, sagt Torsten Sträter als Botschafter und
 Schirmherr der Deutschen DepressionsLiga e. V. (DDL). Der
 Autor und Kabarettist, der selbst viele Jahre an Depressionen
 litt, erzählt weiter: „Depressionen sind schlimm. Hoffnungs-
 losigkeit, schwarze Löcher im Seelenleben, bleierne, lähmen-
 de Antriebslosigkeit – gar nicht so einfach, das für Außenste-
 hende in Worte zu fassen. Aber man muss darüber sprechen:
 mit dem Arzt, mit der Familie, mit der Welt.“ Als häufiger
 Gast bei der Sendung „nuhr im Ersten“ in der ARD verarbei-
 tet Sträter seine Erfahrungen mit Depressionen kabarettis-
 tisch. Eher ernst und ganz offen war im März 2021 das
 TV-Gespräch mit Kurt Krömer im rbb in der Sendung „Chez
 Krömer“, in der beide Komiker ihre Depressionen öffentlich
 thematisierten. Sträter und Krömer wollen dazu beitragen,
 dass der Krankheit das Stigma genommen wird. Für ihren
 Mut erhielten die beiden Comedians 2022 den Grimme-Preis,
 den renommiertesten Medienpreis in Deutschland.

 Zweithäufigster Grund für Fehlzeiten
 Depressionen, Angststörungen und Störungen durch
 Alkohol und Medikamente zählen zu den häufigsten »

Januar 2023 | Ausgabe Nr. 9 05
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Schwerpunkt

 » psychischen Erkrankungen. Mittlerweile stehen psychische regelmäßigen Reflektieren und Führen bekommen und sich
 Erkrankungen als Ursache für Arbeitsunfähigkeitstage an dann auch die Zeit dafür nehmen. Um das Thema stringent
 zweiter Stelle hinter Muskel- und Skeletterkrankungen, in die Betriebe zu tragen, wäre es aus unserer Perspektive
 wie die Statistiken der Gesetzlichen Krankenversicherung hilfreich, wenn das Bewusstsein über die Bedeutsamkeit
 (GKV) zeigen. Besonders in den Fokus rücken sie durch die des Themas dort noch weiter steigen würde“, sagt Psycho-
 Dauer der Erkrankung, die mit 36 Tagen drei Mal so hoch ist login Antje Juschkat vom staatlichen Gewerbeaufsichtsamt
 wie bei anderen Erkrankungen mit zwölf Tagen. Bei vor- Hannover. Das bestätigt auch Prof. Dr. Klaus Lieb vom
 zeitigen Rentenzugängen stand diese Erkrankungsgruppe Leibniz-Institut für Resilienzforschung: „Für besonders
 2019 mit 67.000 Fällen sogar an der Spitze der krankheits- wichtig halte ich das Training von Führungskräften in der
 bedingten Ursachen. Erkennung und im Umgang mit psychischen Belastungen
 ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wenn hier die
 Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz entsprechende Sensibilität entsteht, können Arbeitswelten
 Insbesondere die Krankenkassen blicken besorgt auf die geschaffen werden, die die psychische Gesundheit erhalten,
 Zunahme von Arbeitsunfähigkeitstagen aufgrund psychi- fördern und letztlich zu größerer Arbeitszufriedenheit und
 scher Erkrankungen. Allein im Jahr 2020 gab es deshalb Arbeitsleistung führen.“ Dazu sollten sich die Verantwort-
 118 Millionen Fehltage – ein alarmierender Wert. „Wir lichen schon im Vorfeld mit den spezifischen situativen,
 beobachten zwar seit einigen Jahren eine steigende Inan- tätigkeitsbezogenen und organisatorischen Arbeitsanfor-
 spruchnahme der Versorgungsangebote, sehen aber auch, derungen in ihrem Betrieb auseinandersetzen. Ein weiterer
 dass die Bereitschaft, Unterstützung in Anspruch zu nehmen, wichtiger Punkt ist die Wertschätzung am Arbeitsplatz,
 meist erst dann steigt, wenn die Symptome einen Krank- wobei ein respektvoller Umgang in beide Richtungen gilt.
 heitswert erreicht haben. Darum ist ein offener Umgang so Wertschätzung trägt wesentlich zum Wohlbefinden bei.
 wichtig“, so Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbandes.
 Allein im Homeoffice
 Führungskräfte spielen aus Sicht vieler Expertinnen und Ungeahnte neue Aspekte der psychischen Belastung im
 Experten eine entscheidende Rolle, wenn es um psychische Arbeitsumfeld sind durch eine coronabedingte Zunahme
 Gesundheit am Arbeitsplatz geht. Neben Maßnahmen des von Homeoffice zu beobachten. Neben Vorteilen wie
 Arbeitsschutzes sowie zur Prävention und Gesundheitsför- beispielsweise der Zeitersparnis beim Arbeitsweg entstehen
 derung im Sinne des betrieblichen Gesundheitsmanage- auch Probleme wie die erschwerte Abgrenzung zwischen
 ments ist ein offener Umgang mit psychischen Belastungen Privatleben und Arbeit. Insbesondere fehlt vielen Arbeitneh-
 und Erkrankungen wichtig. Es wird noch zu wenig im merinnen und -nehmern der direkte Austausch mit anderen
 18,5 %
 Arbeitsumfeld darüber geredet. „Für die Betriebe würde 51,7 %
 Beschäftigten. Bei manchen führt dies zu einer gewissen
 ich mir wünschen, dass Führungskräfte mehr Zeit zum Vereinsamung, die als psychische Belastung erlebt werden

 13,1 %
 Psychischer Gesundheitszustand im Zeitraum 56,8
 2020 –%
 2021

 18,5 % 51,7 %
 2021
 13,1 % 2020
 56,8 %

 2021
 (eher) schlecht
 2020
 (eher) gut
 Psychischer Gesundheitszustand
 Während sich der allgemeine Gesundheitszustand nach
 der belastenden Pandemie-Zeit im Jahr 2020 kaum ver-
 ändert hat, ist der Anteil derjenigen, die ihre Gesundheit
 eher negativ einschätzen, im Jahr 2021 im Vergleich zum
 (eher) schlecht
 Vorjahr deutlich angestiegen.
 Quelle: BKK Gesundheitsreport 2021
 Psychischer Gesundheitszustand (eher) gut
06 Im Dialog
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kann. „Beschäftigte selbst können neben einer gesundheits- Anteil der Kinder und Jugendlichen mit einer
fördernden Arbeitsgestaltung im Homeoffice Gesundheit geminderten Lebensqualität
und Resilienz durch einen gesunden Lebensstil, zum Beispiel
durch Tagesstrukturierung, Bewegungserhalt, gesunde
Ernährung, Schlafhygiene, Entspannungstechniken wie
progressive Muskelentspannung oder Achtsamkeitsübungen
fördern“, sagt PD Dr. Dr. Stefanie Mache, Leiterin der Arbeits-
gruppe Psychische Gesundheit des Zentralinstituts für Arbeits- 2 von 10 4 von 10 5 von 10 3 von 10
 Kindern Kindern Kindern Kindern
medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf.
 vor der erste Befragung zweite Befragung dritte Befragung
Die Expertin empfiehlt regelmäßige virtuelle Treffen mit Corona-Pandemie (Mai – Juni 2020) (Dez. 2020 – Jan. 2021) (Sept. – Okt. 2021)
Kolleginnen und Kollegen, um eine notwendige Struktur
in den Arbeitsprozessen zu erhalten.
 Risiko für psychische Auffälligkeiten
Präventionsmaßnahmen besser verknüpfen
Betriebliche Gesundheitsförderung unterstützt im Arbeits- 35
umfeld bei der Erhaltung und Förderung der psychischen 30
Gesundheit der Beschäftigten. Die Krankenkassen, aber auch 25
andere Träger wie die gesetzliche Unfallversicherung, bieten 20
in diesem Bereich umfangreiche Leistungen an. Ebenso gibt 15
es zahlreiche Präventions- und Unterstützungsangebote 10
weiterer Akteure und Initiativen. Es gibt eine Vielzahl von 5
Institutionen, die zum Erhalt, zur Stärkung und Wieder- 0
 vor der Welle 1 Welle 2 Welle 3
 Corona-Pandemie (Mai – Juni 2020) (Dez. 2020 – Jan. 2021) (Sept. – Okt. 2021)
herstellung der psychischen Gesundheit beitragen.
 Während der Corona-Pandemie hat sich die Zahl der psychisch auffälligen
Kinder und Jugendliche besonders belastet Kinder und Jugendlichen deutlich erhöht.
Die COVID-19-Pandemie hat auch bei jungen Menschen Quelle: COPSY-Studie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
deutliche Spuren hinterlassen. Das Lernen zu Hause für
Schule und Hochschule während der Zeit der Schließungen Kind unter psychischen Auffälligkeiten – eine Verdoppelung.
von Schulen und Universitäten ist vielen schwergefallen. Die Laut Statistischem Bundesamt waren psychische Erkran-
Jugend-und-Corona-Studie, kurz JuCo-Studie, des Forschungs- kungen im Jahr 2020 die häufigste Ursache für stationäre
verbundes „Kindheit – Jugend – Familie in der Corona-Zeit“ Behandlungen in Krankenhäusern von jungen Menschen
des Instituts für Sozial- und Organisationspädagogik an der zwischen 15 und 24 Jahren. Die Zahl der Erkrankungen
Stiftung Universität Hildesheim und des Instituts für Sozialpä- stieg von 2005 bis 2020 von 12,4 auf knapp 18 Prozent.
dagogik und Erwachsenenbildung an der Goethe-Universität
Frankfurt am Main zeigt, dass die Belastungen sehr ausgeprägt Ältere Menschen leiden unter Einsamkeit
sind: Mehr als jede bzw. jeder Fünfte gibt an, professionelle Hilfe- Die Wahrscheinlichkeit, bei guter Gesundheit zu altern, war
und Beratungsangebote zu brauchen, jedoch nicht über ein noch nie so hoch wie heute. Aber auch im Alter ist neben der
entsprechendes Angebot zu verfügen. Neben Schülerinnen und körperlichen ebenso die psychische Gesundheit eine zentrale
Schülern wurden in der JuCo-Studie 2020/2021 auch Studie- Voraussetzung für eine lange selbstständige und selbstbe-
rende, Auszubildende und Freiwillige im Sozialen Jahr befragt. stimmte Lebensführung. Der Verlust der Partnerin oder des
 Partners kann zu sozialer Isolation führen und die Mobilität
Laut Bundes-Psychotherapeuten-Kammer entstehen die vermindern. Einsamkeit ist ein für viele Menschen subjektives
Hälfte aller psychischen Erkrankungen vor dem 19. Lebens- Empfinden belastender sozialer Isolation. „Einsamkeit macht
jahr. Expertinnen und Experten der Initiative Neue Qualität krank. Man muss sich Einsamkeit wie Dauerstress vorstellen,
der Arbeit (INQA) des Bundesministeriums für Arbeit und denn wir alle sind soziale Wesen und wollen Beziehungen
Soziales schätzen, dass drei Viertel der psychischen Erkran- mit anderen Menschen haben. Dieser Dauerstress wirkt sich
kungen auf die Zeit bis zum 25. Lebensjahr zurückgehen. Nach auf die Grundbedingungen der Gesundheit aus: Anspannung,
den Ergebnissen der KiGGS-Studie des Robert Koch-Institutes Bluthochdruck, schlechter Schlaf“, sagt Prof. Dr. Clemens Tesch-
waren 2017 etwa 17 Prozent der Drei- bis 17-Jährigen von Römer, Institutsleiter am Deutschen Zentrum für Altersfragen
psychischen Auffälligkeiten betroffen. Nach aktuellen Zahlen in Berlin. „Häufig wird angenommen, es reiche aus, einsame
der COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg- Menschen zusammenzubringen – und damit sei das Problem
Eppendorf leidet seit der Corona-Pandemie jedes dritte erledigt. Maßnahmen dieser Art sind in Evaluationsstudien »

Januar 2023 | Ausgabe Nr. 9 07
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Schwerpunkt

 » untersucht worden, waren aber nie sehr erfolgreich“, wird darüber hinaus auf die vorhandenen vielfältigen nied-
 erklärt der Experte weiter. So berichtet jede vierte hochalt- rigschwelligen Informations- und Beratungsangebote hinge-
 rige Person aus der „Hochaltrigenstudie NRW80+“, unter wiesen, die vor Ort und im Internet zur Verfügung stehen.
 mindestens zwei Symptomen (Motivationsverlust, Grübeln,
 eingetrübte Stimmung und Verlust von Lebensfreude) zu Anlaufstellen für Betroffene
 leiden. Laut Deutschem Alterssurvey 2017 besteht für mehr Neben der Pandemie sind viele Menschen aktuell auch durch
 als 20 Prozent der Hochaltrigen die Gefahr der sozialen den Krieg in der Ukraine und steigende Preise stark psychisch
 Isolation und für über 11 Prozent die der Einsamkeit. belastet. Für einige von ihnen und Betroffene, die an psychi-
 Durch die Corona-Pandemie sind die Zahlen vermutlich schen Erkrankungen leiden, sind präventive Angebote nicht
 abhängig von der jeweiligen Lebenssituation angestiegen. ausreichend. Sie können umfassende Unterstützung bei
 Hochaltrige in Heimen sind davon mehr betroffen als diversen Anlaufstellen erhalten. So berät die Telefonseelsorge
 noch in Privathaushalten Lebende, so die Ergebnisse eines Menschen in seelischen Notsituationen. Neben Telefongesprä-
 ersten Zwischenberichts der laufenden „D80+“-Studie. chen unter den Nummern 0800 1110111 und 0800 1110222
 werden zunehmend auch digitale Wege über Chats und Mails
 Das eigene seelische Wohlbefinden im Blick behalten genutzt. Im Jahr 2021 führten die Mitarbeiterinnen und
 Doch nicht nur für viele ältere Menschen ist die Corona-Pan- Mitarbeiter der Telefonseelsorge nahezu eine Million Seel-
 demie eine große psychische Belastung. Für die allermeisten sorge- und Beratungsgespräche am Telefon, eine Steigerung
 Menschen sind die Auswirkungen, die mit der Pandemie von rund zehn Prozent gegenüber 2019. Längerfristige Bera-
 einhergehen, immer noch deutlich spürbar. Deshalb infor- tung vor Ort bieten die „Offenen Türen“ der Telefonseelsorge.
 miert das Bundesministerium für Gesundheit im Themenbe-
 reich „Psychisch stabil bleiben“ unter www.zusammengegen- Erste Anlaufstelle bei psychischen Erkrankungen sollte die
 corona.de/corona-im-alltag/psychisch-stabil-bleiben über Hausärztin oder der Hausarzt sein, die bei Bedarf an eine
 Verhaltensweisen, die dabei helfen können, seelisch gesund Fachmedizinerin oder einen Fachmediziner überweisen
 durch Krisen zu kommen, wie sie die Corona-Pandemie können. Auch ein direkter Kontakt zu einer Psychothe-
 darstellt. Ziel hierbei ist die Stärkung der eigenen Bewäl- rapeutin oder einem Psychotherapeuten ist möglich.
 tigungskompetenz und die Wahrnehmung vorhandener Bei der Terminvermittlung hilft die Terminservicestelle
 Ressourcen, die im Umgang mit solchen Belastungen hilf- der Kassenärztlichen Vereinigung unter der Nummer
 reich sein können. Die Informationen sind für unterschied- 116 117. Wichtig ist, eines der zahlreichen Angebote zur
 liche Zielgruppen aufbereitet und richten sich beispielsweise Prävention oder zur Unterstützung zu nutzen und über
 an Eltern mit Kindern, an ältere und Menschen mit psychi- die persönliche Situation – ganz im Sinne von Torsten
 schen Vorerkrankungen. Im Sinne einer Wegweiserfunktion Sträter – mit anderen ins Gespräch zu kommen.

 Kontaktstellen für psychische Erkrankungen

 Terminservicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen Nummer gegen Kummer
 Kinder- und Jugendtelefon
 116 117
 Mo – Sa 14.00 – 20.00 Uhr
 Geflüchtete aus der Ukraine können über die Terminservicestellen gezielt
 116 111
 nach Ärztinnen und Ärzten sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten
 mit entsprechenden Sprachkenntnissen suchen. Elterntelefon
 Informationen dazu gibt es hier: Mo – Fr 9.00 – 17.00 Uhr, Di + Do bis 19.00 Uhr
 www.germany4ukraine.de/hilfeportal-de/medizinische-versorgung/ 0800 11 10 55 0
 psycho-therapie-fluechtlinge
 www.nummergegenkummer.de

 Telefonseelsorge (rund um die Uhr): Aktionsbündnis Seelische Gesundheit
 0800 11 10 111 0800 11 10 222 Weitere Informationen bietet darüber hinaus das
 Aktionsbündnis Seelische Gesundheit unter
 www.telefonseelsorge.de www.seelischegesundheit.net

08 Im Dialog
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RUBRIK

Psyche und Körper im Dialog
Das Fachgebiet Psychosomatische Medizin und Psychotherapie ist zum einen ein Grundlagenfach
mit integrativen Aufgaben an der Schnittstelle zur somatischen Medizin (z. B. Psychoonkologie,
Psychokardiologie, Psychodiabetologie) und zum anderen eine Spezialdisziplin zur Versorgung von
psychosomatischen Erkrankungen im engeren Sinne (z. B. Essstörungen, somatoforme Störungen,
Stress- und Traumafolgestörungen).

Psychosomatische Medizin befasst sich mit den wechselseitigen Medizin und Psychotherapie im Krankenhaus stellte in den letzten
Beziehungen psychischer, körperlicher und sozialer Vorgänge in 30 Jahren einen stetig wachsenden Versorgungsbereich dar.
ihrer Bedeutung für Gesundheit und Krankheit von Menschen. In
den letzten zwei Jahrzehnten ist es im Rahmen der neurobiologi- Im ambulanten Bereich hat sich ein dreigliedriges, gestuftes
schen, molekularbiologischen und epigenetischen Forschung Modell der Versorgung von somatopsychisch und psychosoma-
sowie der Bindungs-, Säuglings- und Stressforschung zu einem tisch Erkrankten in Deutschland etabliert. Dieses reicht von der
erheblichen Wissenszuwachs gekommen, der auf beeindruckende psychosomatischen Grundversorgung durch Hausärztinnen und
Weise diese biopsychosozialen Wechselwirkungen belegt. -ärzte über die somatischen Fachärzte mit der Zusatzbezeich-
Mit einer Prävalenz von ungefähr 30 Prozent sind psychische und nung Psychotherapie bis hin zu den Fachärzten für Psychosoma-
psychosomatische Erkrankungen im Erwachsenenalter längst zu tische Medizin und Psychotherapie. In der ambulanten Versor-
Volkskrankheiten geworden. Jede zweite Patientin oder Patient gungspraxis zeigt sich, dass die Risikogruppe der Patientinnen
mit einer psychischen Erkrankung leidet zusätzlich an einer chro- und Patienten, die eine psychische und körperliche Erkrankung
nisch verlaufenden körperlichen Erkrankung. Komorbid psychisch aufweisen, deutlich weniger psychotherapeutisch versorgt wird
und somatisch Erkrankte sind in besonderem Maße gesundheitlich als die Gruppe derer, bei denen ausschließlich eine psychische
gefährdet, da eine Nichtbehandlung der psychischen Komorbidität Erkrankung vorliegt. Um diese Versorgungslücke im ambulanten
auch zu einer Verschlechterung der körperlichen Erkrankung führt. Bereich zu schließen, sollte die Vernetzung zwischen der somati-
Das Vorliegen einer psychischen Komorbidität bei körperlich Er- schen und psychosomatisch-psychotherapeutischen Versorgung
krankten führt im Mittel zu einem Verlust von ca. zehn Lebensjah- gestärkt und Anreize für psychosomatische Gesprächsleistungen
ren bei Männern und etwa sieben Lebensjahren bei Frauen. geschaffen werden.

Die integrierte Versorgung komplex körperlich und psychisch Psychosomatische Erkrankungen und psychische Komorbidität bei
Erkrankter findet im Krankenhaus im Rahmen einer Mitbehand- körperlich Erkrankten stellen eine gesellschaftliche und gesund-
lung durch psychosomatische und psychiatrische Konsiliar- und heitliche Herausforderung dar. Das Fach Psychosomatische Medi-
Liaisondienste statt. Des Weiteren verfügen einzelne Kliniken zin und Psychotherapie leistet einen essenziellen Beitrag zur Ver-
über integriert klinisch-psychosomatisch arbeitende Stationen, sorgung dieser Patientengruppen sowohl als Grundlagenfach wie
die eine angepasste psychosomatisch-psychotherapeutische auch als Spezialdisziplin. Mit dem Fortschreiten der Präzisionsme-
Behandlung auch bei schweren behandlungsbedürftigen körper- dizin und Fragmentierung in weiten Bereichen der Medizin kommt
lichen Erkrankungen bzw. körperlichen Komplikationen im Rah- dem Grundgedanken der Psychosomatischen Medizin – den kran-
men der psychischen Erkrankung (z. B. massives Untergewicht ken Menschen ebenso ernst zu nehmen wie seine Krankheit – eine
bei Magersucht) ermöglichen. wachsende Bedeutung zu.

Die Kernleistung der spezifischen Versorgung von psychosomati-
schen Erkrankungen im Krankenhaus stellen die gut etablierten,
störungsorientierten und evidenzbasierten psychosomatisch-psy- Der Autor
chotherapeutischen Behandlungsprogramme dar, die in den letz-
ten 30 Jahren entwickelt wurden. Diese Behandlungsprogramme Univ.­Prof. Dr. med. Hans­Christoph Friederich, Lehr­
sind unter anderem durch eine hohe Dichte multimodaler Psycho- stuhlinhaber und Klinikdirektor für Allgemeine Innere
therapie, eine definierte psychosomatisch-psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik am Universitätsklinikum
Diagnostik und durch eine qualifizierte somatische Versorgung Heidelberg. Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für
gekennzeichnet. Dabei werden psychodynamische, verhaltens- Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie
therapeutische, systemische und neurobiologische Therapie- (DGPM e. V.).
elemente störungsbezogen integriert. Die Psychosomatische

Januar 2023 | Ausgabe Nr. 9 09
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Digitalisierung

 Videosprechstunden im
 Praxisalltag
 Das Modellprojekt „MUT – Telemedizin in der Pflege“ hat Erkenntnisse darüber gebracht, wie die
 Digitalisierung den Praxisalltag bei der ambulanten Versorgung von Pflegebedürftigen erleichtern
 kann. Ein Blick in die Praxis.
 Katharina Müller-Güldemeister

 Arbeiten gemeinsam an digitalen Lösungen in der Pflege (von links nach rechts):
 ):
 Dr. Holger Domann, Dr. Carsten Jäger, Michael Birkner, Madeleine Rickmann

 D ie wöchentliche Online-Sprechstunde möchte man in der
 Pflegeeinrichtung Schloss Glienig im Süden Brandenburgs
 nicht mehr missen. „Während des Lockdowns war sie für die
 ausgelaufenen Modellprojekt nahmen auch die Pflegeeinrich-
 tung Schloss Glienig und der in der Region praktizierende All-
 gemeinmediziner Dr. Holger Domann teil. Gefördert wurde es
 Bewohner ein schönes Mittel, in Kontakt mit ihrem Arzt zu vom Bundesministerium für Gesundheit im Rahmen der
 bleiben“, sagt Michael Birkner, stellvertretender Leiter der Ein- „Zukunftsregion Digitale Gesundheit“ mit dem Ziel, digitale
 richtung, in der Seniorinnen und Senioren und Menschen mit Lösungen in der Pflege auszubauen und Erkenntnisse über
 psychischen Erkrankungen leben. Denn um die Ansteckungs- ihren Einsatz zu gewinnen, die bundesweit angewendet werden
 gefahr zu verringern, habe sich der Visite-Rhythmus zunächst können. Gerade ältere und in ihrer Mobilität eingeschränkte
 stark reduziert. Dass es nach Aufheben der Kontaktbeschrän- Menschen können davon profitieren. Insbesondere wenn sie
 kungen bei dem festen Termin blieb, lag auch am Projekt in ländlichen Regionen leben, wo das Netz aus Haus- und
 „MUT – Telemedizin in der Pflege“. An diesem Ende 2022 Fachärztinnen und -ärzten dünner ist als in Städten und die

10 Im Dialog
Wege entsprechend weit. Zwischen Schloss Glienig und der die Fahrt selbst und die Zeit im Wartezimmer verursacht wer-
Praxis von Dr. Domann liegen beispielsweise 15 Kilometer. de. „Ich erzähle der Pneumologin dann zum Beispiel, wie das
Durch die Videosprechstunde entspannen sich die Abläufe in Sekret aussieht, und halte die Kamera auf bestimmte Stellen“,
der Pflegeeinrichtung daher ungemein. „Wir können besser erklärt Rickmann. Die Visiten sind durch die Videosprechstun-
planen und sparen viel Zeit“, sagt Birkner. Etwa weil die Be- de häufiger und regelmäßiger geworden. Aber auch Rickmann
wohnerinnen und Bewohner nicht mehr so häufig zur Praxis unterstreicht: Die Videosprechstunde ersetze nicht den per-
begleitet werden müssen. Auch Nachfragen und Besprechun- sönlichen Kontakt, aber der persönliche Kontakt müsse nicht
gen von Befunden lassen sich effizienter erledigen. Als Grund- jedes Mal sein. In der Pandemie hat sich gezeigt, dass eine Re-
lage musste allerdings zunächst eine stabile Internetverbin- duzierung persönlicher Kontakte manchmal sogar notwendig
dung sichergestellt werden. Denn die historischen Gemäuer ist, zum Beispiel um das Infektionsrisiko zu minimieren. Vor
von Schloss Glienig sind dick und gerade im ländlichen Raum diesem Hintergrund hat sich die Zahl der durchgeführten
ist schnelles Internet nicht immer selbstverständlich. Videosprechstunden in Deutschland in den vergangenen drei
 Jahren vervielfacht.
Hausbesuche sind zeitaufwendig
Auch Dr. Domann ist froh, dass die Videosprechstunde mithil- Mehr als Videosprechstunden
fe des Projekts Teil seines Praxisalltags geworden ist. Denn je- Telemedizin und Telepflege leisten noch deutlich mehr, als
der Hausbesuch kostet Zeit, in der er nicht für andere Patien- Videosprechstunden über sichere Verbindungen herzustellen.
tinnen und Patienten da sein kann. Wo Videogespräche sinn- Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegende und weitere Gesund-
voll sind und wo nicht, begreift er als Lernprozess. Um Befun- heitsberufe können sich beispielsweise über digitale Konferen-
de oder Verlaufskontrollen zu besprechen, nutzt er mittler- zen zu einem gemeinsamen Fall austauschen. Und Patientin-
weile häufig Videoschalten. Sich über eine Kamera sehen zu nen und Patienten sowie pflegebedürftige Menschen müssen
können, sei deutlich besser, als nur zu telefonieren. „Der Pati- nicht mehr für regelmäßige Monitorings – etwa ihres Herz-
ent weiß, dass der Arzt auf ihn fixiert ist, und fühlt sich ernster schrittmachers – in die Praxis kommen, sondern können rele-
genommen“, sagt Domann. Den persönlichen Kontakt ersetze vante Daten digital übermitteln und auswerten lassen. Auch in
es aber nicht. „Immer wenn ich das Stethoskop brauche oder der Verwaltung kann Digitalisierung viel Zeit sparen, etwa
Körperstellen abtasten muss, funktioniert Video nicht“, betont beim Versenden von elektronischen Rezepten und Verordnun-
er. Dies gelte zum Beispiel bei Atemwegserkrankungen oder gen oder ärztlichen Überweisungen. Hierzu braucht es eine
orthopädischen Beschwerden. Hautkrankheiten ließen sich stärkere Vernetzung zwischen den IT-Systemen verschiedener
dagegen meist gut per Video oder Fotos erkennen. Auch ge- Gesundheitseinrichtungen. Zur Stärkung und Harmonisie-
sprächsbasierte Behandlungen wie Psychotherapien oder Rat- rung der Interoperabilität wurde unter anderem die Koordi-
schläge etwa bei Angstzuständen seien gut per Videogespräch nierungsstelle für Interoperabilität geschaffen und mit dem
umsetzbar. „Interoperabilitätsnavigator für digitale Medizin“ eine neue
 Wissensplattform aufgebaut. Das MUT-Projekt hat dabei ge-
Gute Erfahrung bei mobil eingeschränkten Menschen holfen, entsprechende Bedarfe sichtbarer zu machen. Auch
Auch im brandenburgischen Landkreis Elbe-Elster wurden die darüber hinaus werden die Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt
Einsatzgebiete von Telemedizin im Rahmen des MUT-Projekts maßgeblich dazu beitragen, dass Telemedizin künftig noch
ausgelotet. „Für Notfälle kann die Videosprechstunde keine stärker in den Versorgungsalltag in Deutschland integriert
Lösung sein“, sagt Dr. Carsten Jäger vom beteiligten Ärztenetz wird. Zudem spielt die Thematik eine wichtige Rolle im Rah-
MEDIS. „Das geht schon aus Haftungsgründen nicht.“ Außer- men der Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen
dem könnten die teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte mit und die Pflege, die derzeit unter Federführung des BMG
jeweils eigenen Praxen ja nicht jederzeit Videocalls annehmen. erarbeitet wird.
„Ob man die 112 anrufen sollte oder der Patient in die Sprech-
stunde kommen kann, muss die Pflegefachkraft vor Ort ent-
scheiden“, führt Dr. Jäger aus. Weitere Informationen zur
 Zukunftsregion Digitale Gesundheit:
In Beatmungs-WGs, Demenz-WGs und in der Palliativmedizin www.bundesgesundheitsministerium.de/
habe man dagegen sehr gute Erfahrungen mit Videosprech- zukunftsregion-digitale-gesundheit
stunden gemacht. „Gerade für die Menschen, die dauerbeat-
met werden, ist das ein großer Gewinn“, sagt Gesundheits- und Hier werden neben weiteren im Rahmen der Zukunftsregion
Krankenpflegerin Madeleine Rickmann, die für das Ärztenetz geförderten Projekten auch die ausführlichen Ergebnisse
MEDIS arbeitet. Denn so falle der enorme Stress weg, der sonst veröffentlicht.
durch die halbe Stunde Vorbereitungszeit für den Transport,

Januar 2023 | Ausgabe Nr. 9 11
Global Health

 Global Health Hub Germany –
 gemeinsam globale
 Gesundheit voranbringen
 Aktuelle globale Gesundheitsherausforderungen wie Pandemien, Antibiotika-
 resistenzen oder der Einfluss von klimatischen Veränderungen auf die Gesundheit
 lassen sich nicht allein von Gesundheitsakteuren lösen. Es braucht die Zusam-
 menarbeit aller beteiligten Gruppen und Sektoren. Der vom Bundesministerium
 für Gesundheit 2019 eingerichtete Global Health Hub Germany setzt genau
 hier an und bildet einen starken Beitrag Deutschlands zur Verbesserung der
 weltweiten Gesundheit.
 Silja Mannitz

 M it dem Global Health Hub Germany hat das Bundesmi-
 nisterium für Gesundheit (BMG) ein Forum ins Leben ge-
 rufen, in dem sich nichtstaatliche Akteurinnen und Akteure in
 Wirksamkeit der verfügbaren Therapien. Neue Medikamente
 zu ihrer Bekämpfung können wiederum nicht schnell genug
 entwickelt werden. Es braucht sowohl die Zusammenarbeit
 Deutschland und darüber hinaus zu aktuellen Entwicklungen von Forschung, Pharmaunternehmen, Human- und Tiermedizin,
 in der globalen Gesundheit informieren, Erfahrungen austau- Apothekerinnen und Apothekern wie auch der Landwirtschaft
 schen und miteinander kooperieren können. Das verschafft und anderen Akteuren, um der voranschreitenden Pandemie
 verschiedenen Perspektiven, Herangehensweisen und Kompe- von Antibiotikaresistenzen Herr zu werden. Der Global Health
 tenzen aus unterschiedlichsten Bereichen Gehör. An der Arbeit Hub Germany schafft einen Raum, in dem gleichberechtigt
 des Netzwerks beteiligen sich über 1.500 Expertinnen und Ex- und konstruktiv diskutiert, Vertrauen aufgebaut und neue
 perten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Politik, Lösungen gefunden werden können.
 internationalen Organisationen und einer Vielzahl von Sekto-
 ren wie Bildung, Entwicklungszusammenarbeit, Landwirt- Gestaltungsspielraum für die Mitglieder
 schaft und Umwelt. Ziel ist es, die – für viele einleuchtende In den aktuell zwölf Hub Communitys of Practice arbeiten die
 und doch oft nicht ausreichend umgesetzte – akteurs- und Mitglieder des Hubs an den Themen, die die Mitglieder bewe-
 sektorübergreifende Zusammenarbeit zu befördern. gen. So gibt es Hub Communitys zu Antibiotikaresistenzen,
 Klimawandel und Gesundheit, Epidemievorsorge und -reaktion,
 Wie wichtig die inter- und transdisziplinäre Zusammenarbeit Kindergesundheit, Frauengesundheit, mentale Gesundheit,
 zur langfristigen Eindämmung von Krankheiten ist, zeigt das Stadtgesundheit, Migration, digitale Gesundheit, nichtüber-
 Beispiel der Antibiotikaresistenzen. Diese verbreiten sich tragbare Krankheiten und mehr.
 weltweit und drohen wichtige Erfolge bei der Bekämpfung
 von Infektionskrankheiten zunichtezumachen. Weltweit sind Intensiver Austausch mit der Politik
 und 4,95 Millionen Todesfälle pro Jahr auf Infektionen mit Das Netzwerk verbessert die Abstimmung der Beteiligten, baut
 resistenten Bakterien zurückzuführen – davon mindestens Partnerschaften mit relevanten Institutionen aus, macht das
 1,27 Millionen direkt auf antimikrobielle Resistenzen (AMR). Fachwissen nichtstaatlicher Institutionen für die Politik ver-
 AMR verursachen somit weltweit mehr Todesfälle als HIV/ fügbar und entwickelt geeignete Formate für den Dialog mit
 Aids oder Malaria. Die anhaltende weltweite Verbreitung anti- der Politik, wie beispielsweise Ad-hoc-Expertengruppen.
 mikrobiell resistenter Bakterien beeinträchtigt zunehmend die

12 Im Dialog
Wir wollten – und das ist gelungen! –
 den Dialog mit und zwischen der Zivil-
 gesellschaft, der Wissenschaft und
 der Wirtschaft verbessern und dabei
 besonders die Jugend einbeziehen.

 Ingo Behnel,
 Leiter der Zentralabteilung, Europa und Internationales im BMG

Die Erfolgsgeschichte von EWARS
Um außer Kontrolle geratene Krankheitsphänomene so früh Der Global Health Hub Germany macht ihn sichtbar und
wie möglich vorherzusagen und ein effizienteres Handeln zu ermöglicht es uns, unsere Prioritäten und Pläne mit den über
ermöglichen, arbeitet eine Arbeitsgruppe des Global Health 1.500 Mitgliedern des Hubs zu teilen, Feedback einzuholen
Hub Germany gemeinsam mit der WHO an der Weiterent- und Unterstützung zu mobilisieren. Gleichzeitig sichert der
wicklung des Frühwarn- und Reaktionssystems EWARS (Early Hub in all seinen Aktivitäten eine Perspektivenvielfalt und
Warning and Response System). Durch die Informationen aus somit Unabhängigkeit, die die Beiträge des Hubs für uns umso
EWARS können nationale und lokale Institutionen besser wertvoller und relevanter machen.“
Entscheidungen in Risikolagen treffen. So sollen gefährdete
Bevölkerungsgruppen Maßnahmen zur Abmilderung der In 2023 wird der Hub weiterhin die aktuellen Themen der
Auswirkungen eines drohenden Infektionsrisikos ergreifen globalen Gesundheit, wie zum Beispiel die Verhandlung des
können. Es soll ein Eingreifen bereits vor oder zu Beginn von internationalen Pandemieabkommens, begleiten, aber auch
Epidemiekurven ermöglichen und nicht erst während des Impulse zu weiteren Themen wie globale Gesundheitsfinan-
Abwärtstrends. Mittlerweile kommt EWARS in 17 Ländern zierung, Stadtgesundheit und mehr teilen.
zum Einsatz.

In den ersten vier Jahren hat der Global Health Hub Germany Mehr zum Global Health Hub Germany,
bereits ein großes Netzwerk aufgebaut, vielfältige Veranstal- zur Anmeldung für den Newsletter und
tungen umgesetzt und Aktivitäten pilotiert. Ingo Behnel, Lei-
 zur Mitgliedschaft erfahren Sie hier:
ter der Zentralabteilung, Europa und Internationales im BMG,
zieht ein positives Fazit: „Das BMG hat 2019 den Global Health Website: www.globalhealthhub.de
Hub Germany als deutsches Netzwerk initiiert und seitdem LinkedIn: www.linkedin.com/company/
konsequent gefördert. Wir wollten – und das ist gelungen! – globalhealthhubgermany
den Dialog mit und zwischen der Zivilgesellschaft, der Wissen- Twitter: twitter.com/GHHubGER
schaft und der Wirtschaft verbessern und dabei besonders die YouTube: www.youtube.com/channel/
Jugend einbeziehen. Der nichtstaatliche Beitrag unseres Lan- UCYNeV5TfTmq3KtYRDEKjBWA
des zur Stärkung der globalen Gesundheit ist einzigartig.

Januar 2023 | Ausgabe Nr. 9 13
Ratgeber

 Prüfen! Rufen! Drücken!
 Jede Sekunde zählt
 Vielleicht erinnern Sie sich noch: Am 12. Juni 2021 brach der dänische Fußballnationalspieler
 Christian Eriksen plötzlich auf dem Spielfeld zusammen. Er wurde vor einem Millionenpubli-
 kum vor dem TV wiederbelebt. Bis zu 200 Mal täglich kommt es in Deutschland zu einem
 Herzstillstand. In rund 45 Prozent der Fälle sind sogar Familienangehörige, Freundinnen und
 Freunde oder andere Personen in der Nähe. Doch nur wenige Beobachterinnen und Beobach-
 ter trauen sich, selbst einzuschreiten und zu helfen. Anders Sonja Senking: Sie rettete ihren
 Großvater. Kathrin Lohmeyer

 Sonja Senking liegt schon im Bett, als es andere, drückt sie etwa fünf bis sechs „Mit der Herzdruckmassage übernimmt
 plötzlich an der Tür schellt. Immer wie- Zentimeter tief in die Mitte des Brust- man von außen die Funktion des Her-
 der. „Komm sofort herunter“, schreit die korbs. Die Arme sind durchgestreckt. zens und pumpt Blut ins Gehirn des
 Oma. Sie ist in Panik. Damals wohnt Jetzt heißt es: drücken, entlasten, drü- Menschen“, erläutert Prof. Dr. med.
 Sonja gemeinsam mit ihren Eltern und cken, entlasten – 100 bis 120 Mal pro Mi- Bernd W. Böttiger, Direktor der Klinik
 Großeltern in einem Haus. „Der Opa ist nute und ca. 5 cm tief. „Ich habe nicht für Anästhesiologie und Operative In-
 zusammengebrochen“, ruft die Oma. nachgedacht, einfach losgelegt mit der tensivmedizin an der Uniklinik Köln
 Als die damals 17-Jährige die Treppe Herzdruckmassage und der Beatmung.“ und Vorsitzender des Deutschen Rates
 herunterstürmt, findet sie ihren Groß- für Wiederbelebung. So wird das Gehirn
 vater regungslos auf dem Boden des mit Sauerstoff versorgt. Denn nach drei
 Wohnzimmers liegend. Die Oma steht bis fünf Minuten ohne Sauerstoff be-
 daneben und ist völlig aufgelöst. Gerade ginnt das Gehirn unwiederbringlich zu
 hätten sie noch gemeinsam Fernsehen sterben. Eine entscheidende Zeit, in der
 geschaut. Dann sei er aufgestanden, um
 Wir wollen die Anwesende sofort mit einer Herzdruck-
 zur Toilette zu gehen. Ihm ginge es Menschen ermutigen, massage beginnen sollten. Denn in der
 nicht gut, habe er gesagt, berichtet die akuten Situation ist weniger das Herz als
 Oma unter Tränen. Auf dem Weg zum
 im Falle eines beobach- vielmehr das Gehirn gefährdet. Am Ende
 Bad sei es dann passiert: Herz-Kreis- teten Herz-Kreislauf- geht es darum, ob und wie das Gehirn
 lauf-Stillstand! Sonja ist aufgeregt, hat diese Ausnahmesituation übersteht. Al-
 große Angst um ihren Großvater. Sie
 Stillstandes nicht weg- les sei besser, als nichts zu tun, sagt Böt-
 prüft die Lebenszeichen – Atmung, zuschauen, sondern tiger. „Jede Sekunde zählt.“ Derzeit dau-
 Puls. Da ist nichts mehr. Gleichzeitig ert es in Deutschland im Schnitt acht
 bittet sie ihre Oma energisch, die Not-
 schnell und gekonnt Minuten oder länger, bis der Rettungs-
 rufnummer 112 zu wählen und einen zu helfen.“ dienst am Notfallort eintrifft.
 Notarzt anzufordern.
 Nationales Aktionsbündnis Wiederbe-
 Das Gehirn beginnt nach drei bis fünf Prof. Dr. Martin Dietrich, lebung (NAWIB) sorgt für Aufklärung
 Minuten zu sterben Kommissarischer Direktor der BZgA So wie Sonja Senkings Großvater erlei-
 Umgehend beginnt sie mit der Wieder- den mehr als 60.000 Menschen pro Jahr
 belebung, weint und ruft immer lauter, Sonja wendet an, was sie in ihrer gerade einen Herz-Kreislauf-Stillstand außer-
 dass der Opa sie nicht verlassen soll. Die begonnenen Sanitäterausbildung beim halb eines Krankenhauses. Gut ein Drit-
 junge Frau legt die eine Hand über die Deutschen Roten Kreuz gelernt hat. tel der reanimierten Patientinnen und

14 Im Dialog
Patienten sind im erwerbsfähigen Alter. schafft das NAWIB mehr Aufmerksam- Die Geschichte von Sonja Senking ist üb-
Leider trauen sich nur wenige Anwe- keit für dieses wichtige Thema, stellt In- rigens gut ausgegangen. Voller Adrenalin
sende einzugreifen – trotz Schulungen, formationen bereit, bündelt und unter- setzte sie die Herzdruckmassage noch
Erste-Hilfe-Kurse und Aufklärungs- stützt bundesweit Aktionen zur Laien- fort, als die Rettungssanitäterinnen und
kampagnen. In nur 42,6 Prozent der reanimation. -sanitäter längst eingetroffen waren. Im
Fälle beginnen Laiinnen und Laien Krankenhaus kam der Großvater dann
hierzulande mit einer Reanimation. „Ich begrüße die Bestrebungen der wieder zu sich und konnte später noch
Oftmals führen Vorbehalte, Hemm- BZgA, die Bevölkerung und bereits Kin- viel Zeit mit seiner Enkelin verbringen.
schwellen oder Ängste, etwas falsch zu der und Jugendliche über das richtige
machen, dazu, dass Menschen nicht Verhalten im Notfall aufzuklären und Das NAWIB berichtet über weitere
einschreiten. Dadurch verstreicht wert- zum Handeln im Ernstfall zu bewegen“, Menschen, die bereits erfolgreich ande-
volle Zeit, die überlebensentscheidend bemerkt Bundesgesundheitsminister re Menschen wiederbelebt haben. Hel-
sein kann. Ein Herz-Kreislauf-Stillstand Prof. Dr. Karl Lauterbach. Je früher Kinder dinnen- und Heldengeschichten finden
gehört zu den häufigsten Todesursa- und Jugendliche Reanimation lernen, Sie hier: www.wiederbelebung.de/so-
chen in Deutschland. Die Überlebens- desto besser. gehts/heldengeschichten.
chancen können sich durch unverzüg-
lich eingeleitete Wiederbelebungsmaß-
nahmen verdoppeln bis verdreifachen.
 Reanimation: Die wichtigsten Schritte
Im europaweiten Vergleich werden teil-
 1. Prüfen! Rufen Sie laut: „Hallo, können Sie mich hören?“ Fassen Sie die
weise deutlich höhere Reanimations-
 Person an, etwa leicht an den Schultern schütteln. Wenn keine
quoten erreicht als in Deutschland. Um Reaktion erfolgt und die Person kaum oder gar nicht mehr atmet …
eine Erhöhung der Quote in Deutsch-
land bemüht sich das Nationale Akti- 2. Rufen!  Wählen Sie die europaweite Notrufnummer 112. Dann sofort
 bis der Rettungsdienst kommt:
onsbündnis Wiederbelebung (NAWIB).
Es wurde 2016 gemeinsam von der 3. Drücken! Beginnen Sie sofort mit der Wiederbelebung. Legen Sie Ihre
Bundeszentrale für gesundheitliche Hände übereinander mit den Handballen nach unten in die Mitte
Aufklärung (BZgA), dem Bundesminis- des Brustkorbs. Die richtige Position befindet sich in Höhe der
terium für Gesundheit sowie 13 Fach- Brustwarzen. Drücken Sie etwa fünf Zentimeter tief mit einer
 Frequenz von 100 bis 120 Mal in der Minute auf den Brustkorb.
gesellschaften und Hilfsorganisationen
 Am besten zum Rhythmus von „Stayin’ Alive“ oder „Atemlos
gegründet. Mit dem Ziel der Stärkung
 durch die Nacht“. Unterbrechen Sie nicht, bis professionelle Hilfe
der Laienreanimation in Deutschland kommt, und wechseln Sie sich mit anderen Anwesenden ab.

 NAWIB Kontakt

 Das NAWIB informiert über aktuelle
 Aktionen, beantwortet Fragen rund
 ums Thema und zeigt, wie Laiinnen
 und Laien eine Reanimation korrekt
 durchführen können – online unter
 www.wiederbelebung.de.

 Telefonisch erreicht man das NAWIB
 unter 0221 / 8992­0. Einfache Hand­
 lungsanleitungen und kostenlose In­
 formationsmaterialien können Sie hier
 bestellen: www.shop.bzga.de/alle­
 kategorien/wiederbelebung. Quelle: www.wiederbelebung.de/fileadmin/user_upload/BZgA-Wiederbelebung-Infoblatt_A4.pdf.

Januar 2023 | Ausgabe Nr. 9 15
Hintergrund

 Akute und langfristige Entlastungs-
 maßnahmen für Krankenhäuser
 Die im Mai 2022 ins Leben gerufene „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsge-
 rechte Krankenhausversorgung“ hat in wenigen Monaten mit hohem Tempo drei Stellungnahmen
 auf den Weg gebracht. In ihnen geht es darum, Krankenhäuser in Deutschland zu entlasten und
 die Situation für die Beschäftigten sowie für Patientinnen und Patienten zu verbessern – sowohl
 kurzfristig als auch auf lange Sicht. Ein Zwischenbericht.
 Guido Schweiß-Gerwin

 U nter der Leitung von Prof. Dr. Tom
 Bschor sollen 17 Expertinnen und
 Experten aus den Bereichen Pflege und
 Themen zu begleiten und damit Ent-
 scheidungen auf Grundlage von wis-
 senschaftlichen Erkenntnissen vorzu-
 Kinderchirurgie und Geburtshilfe ging auf
 den Koalitionsvertrag der Bundesregie-
 rung zurück und wurde in der Fachwelt
 Medizin, Ökonomie und Rechtswissen- bereiten. positiv aufgenommen. Auf insgesamt 14
 schaft gemeinsam Grundlagen für eine Seiten hat die Regierungskommission ei-
 Krankenhausreform im Jahr 2023 erar- Bereits Anfang Juli legte die Kommission nen sehr detaillierten Vorschlag in Form
 beiten. Ziel der Arbeit ist es, die Politik eine erste Stellungnahme vor. Die Emp- von vier Modellen gemacht. Auf Basis der
 kontinuierlich durch Stellungnahmen fehlung für eine kurzfristige Reform der Kommissionsempfehlungen hat der
 und Empfehlungen zu einzelnen stationären Vergütung für Pädiatrie, Bundestag bereits ein Gesetz zur

 Die „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ tagte für die finale Absprache zur dritten Stellungnahme Ende
 November in Berlin mit Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (vordere Reihe, Mitte); links neben ihm Prof. Dr. Tom Bschor, der Leiter und
 Koordinator der Regierungskommission.

16 Im Dialog
Entlastung von Kinderheilkunde und wenige Krankheiten erfordern eine strik- heute Versorgungsaufgaben zugewiesen.
Geburtshilfe verabschiedet (Kranken- te Bettruhe“, sagt Professor Bschor. Mini- Darüber hinaus empfiehlt die Regie-
hauspflegeentlastungsgesetz). malinvasive Eingriffe machen eine am- rungskommission, die Fallpauschalen
 bulante Behandlung möglich. Bettruhe deutlich abzusenken und den Kranken-
Mehr Krankenhausbehandlungen könnte in Einzelfällen sogar zu einer Ver- häusern das Geld zukünftig unabhängig
ohne Übernachtung schlechterung des Gesundheitszustands von erbrachten Behandlungen für ihren
Nach Ansicht des Leiters der Kommissi- führen. Es gelte, den Kreislauf und die Beitrag zur Daseinsvorsorge als Vorhalte-
on, Professor Bschor, herrscht in Mobilität in Schwung zu halten. Auch pauschale zuzuweisen. Somit werden die
Deutschland ein falsches Bild von Kran- dieser Vorschlag der Regierungskommis- mengenbezogenen Vergütungskompo-
kenhausbehandlungen: „Eine Kranken- sion wurde im Krankenhauspflegeentlas- nenten zugunsten einer bedarfsgerech-
hausbehandlung heißt nicht, dass man tungsgesetz bereits politisch umgesetzt. ten und qualitätsorientierten Vorhalte-
über Nacht bleiben muss. Viele Behand- finanzierung reduziert. Weitere Reform-
lungen können ohne Übernachtung, Vorschlag eines neuen schritte bestehen unter anderem in
auch über mehrere Tage hinweg, durch- ­Vergütungssystems einer sektorenübergreifenden Versor-
geführt werden.“ Wenn Patientinnen und Den nächsten elementaren Schritt geht gung, die in zukünftigen Vorschlägen
Patienten zwischen den einzelnen Be- die Regierungskommission mit der der Regierungskommission vertieft
handlungsschritten die Nacht zu Hause „Grundlegenden Reform der Kranken- werden soll. Dazu zählt auch die
verbringen, entlaste dies die Krankenhäu- hausvergütung“. Beim Reformvorschlag Reform des Notfallwesens.
ser durch eine Reduktion von Nacht- dieser dritten Stellungnahme steht eine
schichten. Deshalb legte die Regierungs- Umstellung des Vergütungssystems im
kommission im September eine Mittelpunkt. Bisher gilt mit dem DRG-Sys-
Empfehlung zu Tagesbehandlungen im tem (Diagnosis-Related-Groups-System)
Krankenhaus zur kurzfristigen Entlas- eine leistungs- und vor allem mengenori-
tung der Krankenhäuser und des Ge- entierte Vergütung in Form von diagnose-
sundheitswesens als zweite Stellungnah- bezogenen Fallpauschalen. Kern der neuen Diese Empfehlung wird
me vor. „Durch Personalmangel spitzt Vergütungssystematik ist eine einheitli- eine Grundlage für un-
sich die Situation in den Krankenhäusern che Definition von Krankenhaus-Versor-
zu. Mit der Empfehlung zur Tagesbe- gungsstufen, sogenannten Leveln, um sere große Kranken-
handlung wollen wir für eine akute und lokale, regionale und überregionale Ver- hausreform sein. Pati-
leicht umsetzbare Entlastung sorgen“, so sorgungsaufträge abzugrenzen. Nach ei-
Bschor weiter. „Wir brauchen einen Para- nem System von Leistungsgruppen wer- entinnen und Patienten
digmenwechsel in der Gesellschaft. Nur den den Krankenhäusern präziser als sollen sich darauf ver-
 lassen können, dass sie
 überall, auch in ländli-
 chen Regionen, schnell
 und gut versorgt wer-
 den sowie medizinische
 und nicht ökonomische
 Gründe ihre Behand-
 lung bestimmen. Dafür
 müssen wir das Fall-
 pauschalen-System
 überwinden.

 Prof. Dr. Karl Lauterbach,
 Bundesminister für Gesundheit

 17
Panorama

 „Ich schütze mich“ –
 84 Menschen aus ganz Deutsch-
 land erklären, warum sie sich vor
 Corona schützen
 Die multimediale Kampagne „Ich schütze mich“ porträtiert Menschen unterschiedlicher Herkunft
 mit ihren persönlichen Beweggründen, sich weiterhin vor einer Corona-Infektion zu schützen.
 Die Bevölkerung soll sensibilisiert werden, den eigenen Impfschutz zu prüfen und wenn nötig
 zu aktualisieren.
 Nicole Nawrath
 Jetzt
 Impfschutz
 überprüfen

 IC gut aufgelegt zu sein. 
 um weiter
 Corona-Schutz aktuell.
Günni hält als DJ seinen

 S eit Oktober 2022 wirbt die Bundesregierung mit 84 Testi­
 monials für den Schutz vor dem Coronavirus im Herbst und
 Winter. Diese 84 Menschen stehen stellvertretend für die große
 aussprechen und ihre Mitmenschen motivieren möchten, den
 Selbstschutz zu erhöhen. Dazu erzählen sie ihre ganz persönli­
 che Geschichte und nennen Gründe, warum sie sich vor einer
 Zahl der Bürgerinnen und Bürger im Land, die sich aus der Corona­Infektion beziehungsweise Erkrankung schützen.
 Erfahrung mit und aus Sorge vor Corona aktiv für den Schutz

 18 Im Dialog
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