INDIEN: Der Fluch der Entwicklung - RUANDA: Im Plastikwald von Kigali - missio München
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www.missiomagazin.de . ISSN 1862-1988 MENSCHEN, KIRCHE, KONTINENTE 6/2019 INDIEN: Der Fluch der Entwicklung RUANDA: Im Plastikwald von Kigali
GRUSSWORT 6/2019 TITEL 6/2019 Fritz Stark fotografierte diese Arbeiter, die eine Straße in den Dschungel von Meghalaya/Indien bauen. Liebe Leserin, lieber Leser, in diesen Tagen sind wir mit unseren Gästen aus Nordostindien hier in den bayrischen Diözesen und Speyer unterwegs. Es sind herbstliche Tage, die uns durch die unterschiedlichen Färbungen der Wälder und der Wiesen mit den darauf fallenden Sonnenstrahlen führen. Die Großartigkeit der Schöpfung, wie sie im Buch Genesis in ihrer Entstehung beschrieben ist, wird für uns so greifbar. In der Enzyklika „Laudato si“ fasst der Heilige Vater dies so zusammen: „Der heilige Franziskus bringt uns in Treue zur Heiligen Schrift nahe, die Natur als ein prächtiges Buch zu erkennen, in dem Gott zu uns spricht und einen Abglanz seiner Schönheit und Güte aufscheinen lässt: ,Von der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich auf ihren Schöpfer schließen‘ (Weish 13,5), und ,seine unsichtbare Wirklichkeit wird an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit‘(Röm 1,20). Deshalb forderte Franziskus, im Konvent immer einen Teil des Gartens unbebaut zu lassen, damit dort die wilden Kräuter wüchsen und die, welche sie bewunderten, ihren Blick zu Gott, dem Schöpfer solcher Schönheit erheben könnten. Die Welt ist mehr als ein zu lösendes Problem, sie ist ein freudiges Geheimnis, das wir mit frohem Lob betrachten.“ Für uns als Kirche, als weltweite Gemeinschaft, ist es wichtig, dies immer wieder in den verschiedensten Teilen unserer Welt in den Blick zu nehmen. Wir sind aufge- fordert, vereint unser gemeinsames Haus zu gestalten. Es ist uns von Gott anvertraut und wir müssen dafür gemeinsam Verantwortung übernehmen. Dies geschieht durch den Austausch und in der Begegnung mit den Menschen über Kontinente, Ethnien und Religionen hinweg, weil wir aufeinander angewiesen sind und dem Evangelium gemäß Lebensumstände schaffen, die eine Abkehr vom Raubbau der Natur zum Ziel haben. Die Reportagen in diesem Heft aus Nordostindien und Informieren Sie sich online zum Ruanda machen dies deutlich. In der Begegnung und im Austausch mit unseren Monat der Weltmission: Partnern wird mir immer wieder von neuem bewusst, dass es ein großes Geschenk www.missio-multimedia.de/dossier-wms2019 ist, hier in unserer bayrischen Heimat zu leben. Dies führt aber auch zur Verpflichtung, nicht die Hände in den Schoß zu legen und nur zu konsumieren, sondern in Dankbarkeit gegenüber Gott das eigene Leben so zu gestalten, dass Zukunft auch für Generationen nach uns möglich ist. Dies muss für alle Menschen gelten, auch für die Ärmsten der Armen. Möge Gott uns darin stärken und so danke ich Ihnen, die Sie durch Ihren Einsatz auf unterschiedliche Weise dazu Oder folgen Sie uns auch auf beitragen. Facebook („missio München“) und bei Instagram („missiomagazin“) Ihr Monsignore Wolfgang Huber missio 6/2019 | 3
06 BLICKFANG Unerschrocken: In Hongkong demons- trieren auch viele Christen gegen die Repressalien aus China. 08 STICHWORT ... „Laudato si“ – über die Notwendigkeit, fundamental umzudenken 10 FACETTEN INTERNATIONAL Bäume für Äthiopien / Irakische Chris- ten renovieren Kirche / Gespenstische 14 Stille in Kaschmir / Waldbrände im Kongo 12 NACHGEFRAGT ... ... bei Jean Ziegler: Der Schweizer Soziologe berichtet von den menschenunwürdigen Zuständen in den Flüchtlingslagern auf der griechischen Insel Lesbos. VOR ORT: RUANDA Chefredakteurin Barbara Brustlein mit 14 VOR ORT: RUANDA dem Chef der Recyclingfirma Ecoplastic, Im Plastikwald von Kigali – Wenceslas Habamungu, in Kigali. wie eine Firma mit viel Handarbeit den Plastikmüll wiederaufbereitet. 22 RECHENSCHAFTSBERICHT Für Perspektiven in Afrika, Asien und Ozeanien: missio München zieht die Spendenbilanz für das Jahr 2018. 24 BLICKWECHSEL Zwei Generationen – zwei Visionen: 12 über den Einsatz für eine bessere Welt 10 26 MOMENTE DER STILLE 4 | missio 6/2019
INHALT 6/2019 28 SATIRE/AUSGERECHNET Kabarettist Christoph Fritz ist froh, dass er nicht dabei war, als die Menschen den Mars besiedelten. 30 VOR ORT: INDIEN Das Ende der Bäume? Wie die Kirche 30 gegen die Zerstörung der Natur und für nachhaltige Lösungen kämpft. 38 MISSIO FÜR MENSCHEN missio-Studienreise nach Indien / „Woche der Goldhandys“ / Geldspende für Solar- anlage / Jede Runde zählt 40 STIFTER, STIFTUNGEN UND UNTERNEHMEN Testament zugunsten notleidender VOR ORT: INDIEN Menschen / Stiftung fördert Schulen in Fotograf Fritz Stark und Redakteur Christian Selbherr besuchten das Syrien / Hilfe für Straßenkinder in Indien Ökospiritualitätszentrum in Orlong Hada, wo sich die Franziskaner für die Bewahrung der Schöpfung einsetzen. 43 AKTION FURCHTLOS Moderatorin Uschi Dämmrich von Luttitz besucht missio-Projekte für benach- teiligte Frauen in Indien. 44 SEHEN, HÖREN, ERLEBEN Kunst / Kulturkalender / Medientipps 46 GUSTO Tarka Dal – kräftiges Linsengericht aus Indien 48 DIALOG - GUT GEDACHT IMPRESSUM 43 50 WIEDERSEHEN MIT ... ... dem Jesuiten Endashaw Debrework: Die Zahl der Flüchtlinge ist unverändert hoch. missio 6/2019 | 5
Unerschrocken EINE MELODIE ERKLINGT in den Reihen der Demonstranten: Das US-amerikanische Kirchenlied „Sing Hallelujah to the Lord“ ist zu ei- ner Hymne der Protestbewegung in Hongkong geworden. Religiöse Versammlungen genießen etwas mehr Rechte als politische Kundge- bungen – aber nicht nur deshalb gehen auch viele Christen zusammen mit Hunderttausenden in Hongkong auf die Straße. Regierungschefin Carrie Lam, selbst eine gläubige Katholikin, hatte sich den Zorn der Bür- ger eingehandelt, weil sie ein Gesetz verabschieden wollte, das die Aus- lieferung von Kriminellen auf das chinesische Festland erleichtern sollte. Damit, so befürchteten viele, hätte Peking unbequeme Opposi- tionelle in chinesischen Gefängnissen verschwinden lassen können. Carrie Lam lenkte schließlich auf massiven Druck der Demonstranten ein. Weihbischof Ha Chi Shing gilt als moralische Führungsfigur des Pro- testes und erklärte schon im Juni: „Egal, wie lange es dauert – ich werde bei den Demonstranten bleiben.“ A Foto: Danish Siddiqui/Reuters missio 6/2019 | 7
„LAUDATO NACHGEFRAGT STICHWORT BEI... SI“ „Wir sind nicht Gott.“ DIE DRINGENDE Herausforde- nicht mehr unter den Teppich kehren rung, unser gemeinsames Haus zu schüt- können. (...) zen, schließt die Sorge ein, die gesamte Die Pflege der Ökosysteme setzt einen Menschheitsfamilie in der Suche nach ei- Blick voraus, der über das Unmittelbare ner nachhaltigen und ganzheitlichen hinausgeht, denn wenn man nur nach ei- PAPST FRANZISKUS: Entwicklung zu vereinen, denn wir wis- nem schnellen und einfachen wirtschaft- sen, dass sich die Dinge ändern können. lichen Ertrag sucht, ist niemand wirklich „Es gibt keine politischen oder Der Schöpfer verlässt uns nicht, niemals an ihrem Schutz interessiert. Doch der sozialen Grenzen und Barrieren, macht er in seinem Plan der Liebe einen Preis für die Schäden, die durch die egois- die uns erlauben, uns zu Rückzieher, noch reut es ihn, uns er- tische Fahrlässigkeit verursacht werden, isolieren, und aus ebendiesem schaffen zu haben. Die Menschheit be- ist sehr viel höher als der wirtschaftliche sitzt noch die Fähigkeit zusammenzuar- Vorteil, den man erzielen kann. Im Fall Grund auch keinen Raum beiten, um unser gemeinsames Haus auf- des Verlustes oder des schweren Schadens für die Globalisierung der zubauen. Ich möchte allen, die in den an einigen Arten ist von Werten die Rede, Gleichgültigkeit.“ verschiedensten Bereichen menschlichen die jedes Kalkül überschreiten. Darum Handelns daran arbeiten, den Schutz des können wir stumme Zeugen schwerster Hauses, das wir miteinander teilen, zu Ungerechtigkeiten werden, wenn der An- gewährleisten, meine Anerkennung, mei- spruch erhoben wird, bedeutende Vorteile LAUDATO SI ne Ermutigung und meinen Dank aus- zu erzielen, indem man den Rest der sprechen. Menschheit von heute und morgen die „Welche Art von Welt wollen wir denen Besonderen Dank verdienen die, wel- äußerst hohen Kosten der Umweltzerstö- überlassen, die nach uns kommen, den che mit Nachdruck darum ringen, die rung bezahlen lässt. (...) Kindern, die gerade aufwachsen?“ Das ist dramatischen Folgen der Umweltzerstö- die zentrale Frage, die das Lehrschreiben Fotos: Behnen / Jesuitenmission, Reuters rung im Leben der Ärmsten der Welt zu Wenn wir berücksichtigen, dass der „Laudato si: Über die Sorge für das gemein- lösen. Die jungen Menschen verlangen Mensch auch ein Geschöpf dieser Welt ist, same Haus“ von Papst Franziskus stellt. von uns eine Veränderung. Sie fragen sich, das ein Recht auf Leben und Glück hat Papst Franziskus prangert darin die Menta- wie es möglich ist, den Aufbau einer bes- und das außerdem eine ganz besondere lität einer Konsum- und Wegwerfgesell- seren Zukunft anzustreben, ohne an die Würde besitzt, können wir es nicht unter- schaft an, die auf Kosten der Armen und Umweltkrise und an die Leiden der Aus- lassen, die Auswirkungen der Umweltzer- der künftigen Generationen jedes Maß geschlossenen zu denken.(...) störung, des aktuellen Entwicklungsmo- verloren hat. Er fordert ein fundamentales dells und der Wegwerfkultur auf das Umdenken. „Es gibt nicht zwei Krisen Nach einer Zeit irrationalen Vertrauens menschliche Leben zu betrachten. nebeneinander, eine der Umwelt und eine auf den Fortschritt und das menschliche Heute beobachten wir zum Beispiel der Gesellschaft, sondern eine einzige Können tritt jetzt ein Teil der Gesellschaft das maßlose und ungeordnete Wachsen und komplexe sozial-ökologische Krise", in eine Phase stärkerer Bewusstheit ein. Es vieler Städte, die für das Leben ungesund schreibt der Papst. Das Lehrschreiben ist eine steigende Sensibilität für die Um- geworden sind, nicht nur aufgrund der greift den Sonnengesang des Heiligen welt und die Pflege der Natur zu beob- Verschmutzung durch toxische Emissio- Franziskus und dessen Denken auf. Papst achten, und es wächst eine ehrliche, nen, sondern auch aufgrund des städti- Fotos: iStockphoto, Archiv Franziskus hat mit der Enzyklika, die er im schmerzliche Besorgnis um das, was mit schen Chaos, der Verkehrsprobleme und Jahr 2015 vor dem Klimagipfel in Paris ver- unserem Planeten geschieht. Wir geben der visuellen und akustischen Belästi- öffentlicht hat, eine breite internationale einen – wenn auch sicherlich unvollstän- gung. Viele Städte sind große unwirt- Debatte ausgelöst. digen – Überblick über jene Fragen, die schaftliche Gefüge, die übermäßig viel uns heute beunruhigen und die wir jetzt Energie und Wasser verbrauchen. Es gibt 8 | missio 6/2019
Stadtviertel, die, obwohl sie erst vor Kur- Dazu kommen die Schäden, die durch die erlauben, uns zu isolieren, und aus eben- zem erbaut wurden, verstopft und unge- Exportierung fester und flüssiger toxi- diesem Grund auch keinen Raum für die ordnet sind, ohne ausreichende Grünflä- scher Abfälle in die Entwicklungsländer Globalisierung der Gleichgültigkeit. (...) chen. Es entspricht nicht dem Wesen der und durch die umweltschädigende Akti- Auffallend ist die Schwäche der inter- Bewohner dieses Planeten, immer mehr vität von Unternehmen verursacht wer- nationalen politischen Reaktion. Die Un- von Zement, Asphalt, Glas und Metall er- den, die in den weniger entwickelten Län- terwerfung der Politik unter die Techno- drückt und dem physischen Kontakt mit dern tun, was sie in den Ländern, die ih- logie und das Finanzwesen zeigt sich in der Natur entzogen zu leben. (...) nen das Kapital bringen, nicht tun kön- der Erfolglosigkeit der Weltgipfel über nen: „Wir stellen fest, dass es häufig Umweltfragen. Es gibt allzu viele Sonder- Die soziale Ungerechtigkeit geht nicht nur multinationale Unternehmen sind, die so interessen, und leicht gelingt es dem wirt- Einzelne an, sondern ganze Länder, und handeln und hier tun, was ihnen in den schaftlichen Interesse, die Oberhand über zwingt dazu, an eine Ethik der internatio- entwickelten Ländern bzw. in der soge- das Gemeinwohl zu gewinnen und die In- nalen Beziehungen zu denken. Denn es nannten Ersten Welt nicht erlaubt ist. (...) formation zu manipulieren, um die eige- gibt eine wirkliche „ökologische Schuld“ nen Pläne nicht beeinträchtigt zu sehen. – besonders zwischen dem Norden und Die Auslandsverschuldung der armen (...) dem Süden – im Zusammenhang mit Un- Länder ist zu einem Kontrollinstrument gleichgewichten im Handel und deren geworden, das Gleiche gilt aber nicht für Wir sind nicht Gott. Die Erde war schon Konsequenzen im ökologischen Bereich die ökologische Schuld. Auf verschiedene vor uns da und ist uns gegeben worden. wie auch mit dem im Laufe der Ge- Weise versorgen die weniger entwickelten (...) Wenn wir auf der Aussage bestehen, schichte von einigen Ländern praktizier- Völker, wo sich die bedeutendsten Reser- dass der Mensch ein Abbild Gottes ist, ten unproportionierten Verbrauch der na- ven der Biosphäre befinden, weiter die dürfte uns das nicht vergessen lassen, dass türlichen Ressourcen. Entwicklung der reichsten Länder, auf jedes Geschöpf eine Funktion besitzt und Der Export einiger Rohstoffe, um die Kosten ihrer eigenen Gegenwart und Zu- keines überflüssig ist. Das ganze materielle Märkte im industrialisierten Norden zu kunft. Der Erdboden der Armen im Sü- Universum ist ein Ausdruck der Liebe befriedigen, hat örtliche Schäden verur- den ist fruchtbar und wenig umweltge- Gottes, seiner grenzenlosen Zärtlichkeit sacht wie die Quecksilbervergiftung in schädigt, doch in den Besitz dieser Güter uns gegenüber. Der Erdboden, das Was- den Goldminen oder die Vergiftung mit und Ressourcen zu gelangen, um ihre Le- ser, die Berge – alles ist eine Liebkosung Schwefeldioxid im Bergbau zur Kupferge- bensbedürfnisse zu befriedigen, ist ihnen Gottes. A winnung. Besonders muss man der Tatsa- verwehrt durch ein strukturell perverses Aus der Enzyklika „Laudato si: Über die Sorge für che Rechnung tragen, dass der Umweltbe- System von kommerziellen Beziehungen das gemeinsame Haus“ von 2015 reich des gesamten Planeten zur „Entsor- und Eigentumsverhältnissen. Es ist not- gung“ gasförmiger Abfälle gebraucht wird, die sich im Laufe von zwei Jahrhun- wendig, dass die entwickelten Länder zur Lösung dieser Schuld beitragen, indem sie j IHRE MEINUNG INTERESSIERT UNS! derten angesammelt und eine Situation den Konsum nicht erneuerbarer Energie Papst Franziskus wendet sich gegen eine geschaffen haben, die nunmehr alle Län- in bedeutendem Maß einschränken und „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ auf Kosten der der Welt in Mitleidenschaft zieht. Die Hilfsmittel in die am meisten bedürftigen der Armen und der Umwelt. Er fordert ein grund- Erwärmung, die durch den enormen Länder bringen, um politische Konzepte sätzliches Umdenken. Wie kann das gelingen? Konsum einiger reicher Länder verursacht und Programme für eine nachhaltige Ent- wird, hat Auswirkungen in den ärmsten wicklung zu unterstützen. (...) Redaktion „missio magazin“ Zonen der Erde, besonders in Afrika, wo Wir müssen uns stärker bewusst ma- Pettenkoferstraße 26-28 der Temperaturanstieg, vereint mit der chen, dass wir eine einzige Menschheits- 80336 München Dürre, verheerende Folgen für den Ertrag familie sind. Es gibt keine politischen oder redaktion@missio.de des Ackerbaus hat. sozialen Grenzen und Barrieren, die uns missio 6/2019 | 9
FACETTEN INTERNATIONAL Grüne Lunge Knapp 354 Millionen Bäume für Äthiopien MIT EINEM NEUEN REKORD hat Äthiopien auf sich Übermäßige Landwirtschaft, Brandrodung und industrielle Ab- aufmerksam gemacht: Insgesamt 353 633 660 Setzlinge sollen holzung haben die Böden stark ausgelaugt. Mit den neu ge- Freiwillige innerhalb von zwölf Stunden im ganzen Land ge- pflanzten Bäumen sollen sich die Böden nun wieder erholen pflanzt haben. Das verkündete der Minister für Innovation und und die Felder fruchtbarer werden. Technologie, Dr. Getahun Mekuria, am 29. Juli auf der sozialen Kritiker werfen dem Regierungschef Abiy Ahmed jedoch vor, Plattform Twitter. Mit diesem Erfolg möchte Äthiopien ins dass er die Kampagne vor allem nutze, um von den politischen Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen werden. Problemen im Land abzulenken. Hintergrund der Aktion ist eine nationale Kampagne, die Mi- missio München unterstützt die Wiederaufforstung im Rah- nisterpräsident Abiy Ahmed zur Wiederbegrünung des Landes men eines Projekts der Kapuziner in Äthiopien. In Maganasse, ausrief. Denn von ehemals 30 Prozent Waldfläche zu Beginn des etwa 185 Kilometer südlich der Hauptstadt Addis Abeba, wer- 20. Jahrhunderts sind gegenwärtig noch rund vier Prozent der den rund 50 000 einheimische Bäume und Sträucher gepflanzt Fläche Äthiopiens begrünt. Bis heute wird Äthiopien immer wie- (Bild). Langfristig kümmern sich zwei Experten darum, dass die der von schweren Dürren heimgesucht. Die Erosion großer Jungpflanzen regelmäßig gegossen und gepflegt werden. „Wir Landstriche stellt für die Landwirtschaft ein elementares Pro- planen neben diesem noch weitere Projekte in den kommen- blem dar. Der Großteil der Bevölkerung in Äthiopien bezieht den Jahren“, sagte Kapuzinerpater Abba Hailegabriel Meleku seinen Lebensunterhalt aus dem landwirtschaftlichen Sektor. gegenüber missio München. A SOPHIE KRATZER Gespenstische Stille Bischof aus Kaschmir: „Keine Gefahr für die Christen“ über 220 000 Quadratkilometer der Region unter anderem zahlreiche großen Diözese. „Wir haben nur Schulen und Programme zur Förderung wenige Informationen aus Kasch- der Jugend betreibt. „Aber wir sind indi- mir, da die Kommunikation im- rekt betroffen: Schulen und Universitäten mer noch unterbrochen ist“. Tele- sind geschlossen, öffentliche Verkehrs- fon- und Internetdienste sind im mittel fahren nicht mehr. Alle unsere IN DER INDISCHEN Unruhere- Zuge der staatlichen Maßnahmen vor- Pläne sind jetzt erst einmal über den gion Kaschmir hofft die katholische Kir- übergehend abgeschaltet worden. Fast 600 Haufen geworfen worden“, schreibt der che, dass sich die Lage bald bessert. „Es Menschen sollen laut Berichten indischer Bischof weiter. Fotos: missio, dpa, Fritz Stark, privat, NASA liegt eine gespenstische Stille über der Re- Medien festgenommen worden sein. Anfang August 2019 hatte Indiens gion Kaschmir“, schreibt der Bischof von Die Aktionen hätten sich aber nicht Premierminister Narendra Modi den Jammu-Srinagar, Ivan Pereira, an missio gegen die christliche Bevölkerung gerich- bisherigen Autonomiestatus für Kasch- München. „Derzeit können wir nur spe- tet, betont Bischof Pereira. „Es gibt keine mir aufgehoben und der Region damit kulieren, was als Nächstes passieren wird. Gefahr für die Christen im Staat.“ Die lo- weitreichende Sonderrechte entzogen. Es gibt große Ungewissheit und Angst in kale Regierung und die überwiegend Seit langem streiten die Nachbarländer den Köpfen der Menschen“, erklärt Bi- muslimische Mehrheitsbevölkerung seien Indien und Pakistan um die Vorherr- schof Pereira. Kaschmir ist ein Teil seiner dankbar für die Präsenz der Kirche, die in schaft in Kaschmir. A CHRISTIAN SELBHERR 10 | missio 6/2019
Wieder wie neu Christen renovieren Kirche im Irak WAS FÜR EINE FREUDE nach syrisch-katholische Bischof Boutros Yo- all dem Leid und der Zerstörung: Beim hanna Moshe, als er vor kurzem zu Gast Gottesdienst zu Mariä Himmelfahrt (15. bei missio in München war. Allein 800 zen, ist Kardinal Louis Sako, das Ober- August) sahen die Gläubigen in der sy- Familien seien wieder zurück in Kara- haupt der chaldäischen Christen, anderer risch-katholischen Kirche „Benjamin und kosch, „sogar welche, die bis nach Austra- Ansicht: Er setzt auf die offiziellen Stellen Sara“ ihr geliebtes Gotteshaus endlich im lien ausgewandert waren“. des irakischen Staates, also Armee und alten Glanz wieder. Das Gebäude in der Es gebe jedoch immer wieder Konflikte Polizei, und hält paramilitärische Splitter- irakischen Stadt Karakosch war beim Ab- mit anderen bedrängten Minderheiten, gruppen für den falschen Weg. zug der Milizen des „Islamischen Staates“ wie etwa den muslimischen Schabak. So bleibt die Lage angespannt, und (IS) schwer beschädigt worden. Brand- Auch sie haben unter dem IS gelitten, jetzt viele, die ihre Heimat verlassen haben, sätze hatten das Innere ausbrennen las- geht es oft darum, wer sich auf dem knap- müssen sich anderswo eine Zukunft auf- sen, zurück blieben rußverschmierte pen Siedlungsland niederlassen darf. bauen. Gerade ist in München eine neue Wände (Bild). Aber jetzt ist die Renovie- Auch innerhalb der vielen orientalischen syrisch-katholische Exilgemeinde ge- rung ein gutes Stück vorangekommen, Christengemeinden gibt es immer wieder gründet worden. Auf seiner Europareise der Innenraum strahlt in frischen Farben. unterschiedliche Meinungen. Während war der Bischof auch dort zu Gast, er fei- Auch allgemein habe sich die Lage der etwa Bischof Boutros die Präsenz bewaff- erte die Messe und spendete mehrere Christen im verwundeten Land zwischen neter christlicher Milizen ausdrücklich Taufen. Denn egal wo: Das Leben muss Euphrat und Tigris verbessert, sagte der dafür lobt, dass sie die Christen beschüt- weitergehen, irgendwie. Auch der Kongo brennt Feuer in Afrika bedrohen zweitgrößten Regenwald DER BRENNENDE AMAZONAS und für den Ackerbau be- hat diesen Sommer viel Aufmerksamkeit nutzt. Nach ein paar Jahren erhalten. Deutlich weniger Anteilnahme ziehen die Bauern weiter, das spürten dagegen Mensch und Natur im Feld kann sich erholen und südlichen und zentralen Afrika. Wie Sa- wächst wieder zu. Aber seit tellitenaufnahmen der NASA von Anfang der internationale Hunger auf Hölzer aus die in einstmals unberührte Gebiete vor- September 2019 belegen, brannten aber Afrika steigt, gerät das Kongobecken als dringen und immer weitere Schneisen auch in Ländern wie Kongo, Sambia und zweitgrößtes Regenwaldgebiet der Welt in schlagen. Schwindet der Regenwald, dann Angola weite Waldgebiete. immer größere Gefahr. Nach Angaben breitet sich Trockenheit aus – was wie- Die Gründe liegen laut Umweltexper- von Umweltschützern importiert allein derum die Gefahr für Brände erhöht. Auf ten vor allem in der übermäßigen indus- China inzwischen 75 Prozent der indus- der Grundlage der NASA-Bilder lassen triellen Abholzung. Zwar gibt es auch die triellen Holzproduktion Afrikas. Oft wer- sich für die letzte Augustwoche 2019 über traditionelle Art der Bewirtschaftung, auf den die Bäume illegal abgeholzt und aus- 300 000 Brände lokalisieren – fast drei Französisch als „Bruli“ bekannt. Dabei geführt. Für industrielle Projekte braucht Mal so viele wie in Brasilien und Boli- werden bewaldete Flächen abgebrannt es außerdem Straßen und Stromtrassen, vien. A CHRISTIAN SELBHERR missio 6/2019 | 11
NACHGEFRAGT BEI... „Europa begeht Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ Herr Ziegler, Sie waren vor kurzem auf der Insel Lesbos. Was haben Sie dort beobachtet? Die Situation der Flüchtlinge ist schreck- lich. Carolin Willemen, die Missionsche- fin von „Ärzte ohne Grenzen“ vor Ort, sagt, die Leute werden gehalten wie Tiere. Das kann ich auch so wiederholen. Und zwar sowohl innen im offiziellen Camp, wie außen in den Olivenhainen, wo es noch schlimmer ist. Was macht die Lage Ihrer Meinung nach so dramatisch? Erstens ist die Nahrungsmittelausgabe völlig ungenügend. Moria war früher eine Militärkaserne für 1200 Menschen. Jetzt sind über 8 000 Menschen dort. Plus die 4 000 in den Olivenhainen. Die grie- chische Regierung hat dem Verteidigungs- ministerium die Nahrungsmittelzufuhr übertragen. Die Generäle machen mit privaten Cateringfirmen vom Festland Verträge und bereichern sich dabei ganz massiv. Beobachter sagen: Da muss mas- siv Korruption im Spiel sein. Der frühere Verteidigungsminister wurde sogar schon wegen Korruption verhaftet. Was bedeutet das im Ergebnis für die Flüchtlinge, von denen ja bis zu 35 Pro- Jean Ziegler, 85 zent Kinder unter zehn Jahren sind? Mangelernährung. Ich bin acht Mal bei Man kennt ihn als leidenschaftlichen Streiter für die der Nahrungsmittelausgabe dabei gewe- Unterdrückten in Afrika, Asien und Südamerika. In sen, die einmal pro Tag stattfindet und bei Fotos: Joel Hunn / Neue Zürcher Zeitung, Pro Asyl der man zwei bis drei Stunden Schlange seinen Büchern und Vorträgen fordert Jean Ziegler ein stehen muss. Vier Mal haben die Men- Ende des Raubtierkapitalismus und der globalen schen das Hühnerfleisch weggeworfen, Ungerechtigkeiten. Jetzt war der Schweizer Soziologe auf weil es stank und verfault war. der griechischen Insel Lesbos und machte sich ein Bild Welche weiteren Kritikpunkte sehen Sie? Weil das eigentliche Lager überfüllt ist, le- von der Situation in den dortigen Flüchtlingslagern. ben alle Neuankömmlinge seit Februar in INTERVIEW: CHRISTIAN SELBHERR den Olivenhainen nebendran. Da gibt es keine Container, und keine UNO-Zelte, 12 | missio 6/2019
sondern die Leute müssen sich behelfen „DIE MENSCHEN WERDEN GEHALTEN WIE TIERE... mit Planen, mit gespendeten Camping- DESHALB MÜSSEN DIESE LAGER ENDLICH GESCHLOSSEN WERDEN.”.. zelten, mit dürren Ästen und so weiter, und bauen sich ihren Unterstand selber. Es ist eine Abschreckungsstrategie. Die das Festland gebracht werden und von Dort beginnt dann das lange Warten. Hoffnung oder die Absicht der EU-Kom- dort, wenn sie das Asylgesuch bewilligt be- Nach Genfer UN-Flüchtlingskonvention mission ist, den Flüchtlingsstrom zu kommen, auf die 28 Mitgliedsländer der hat jeder Mensch, der in seinem Heimat- stoppen. Genau wie es Orban in Ungarn EU aufgeteilt werden, wie es der Plan vom land politisch, religiös oder ethnisch ver- mit Mauern und Stacheldraht macht. Beginn dieses Jahres ganz klar vorsieht. folgt wird, das Recht, eine Grenze zu Man hofft, dass sich die fürchterlichen Auch wenn sich die osteuropäischen Staa- überschreiten und im Nachbarland um Bedingungen von Moria herumsprechen ten weigern, daran teilzunehmen. Was bis Schutz nachzusuchen. Also konkret: ein unter den potentiellen Flüchtlingen und jetzt geschehen ist – all das Leid, die Men- Asylgesuch einzureichen. Das Einreichen dass dann keine mehr kämen. Dass sie sa- schenrechtsverletzungen, all die Toten – eines Asylgesuches ist seit 1951 ein uni- gen: „Da erwartet uns die Hölle.“ das ist der EU-Kommission unter Jean- verselles Menschenrecht. Praktisch alle Was fordern Sie? Claude Juncker anzulasten. Jetzt kann die Staaten der Welt haben diese Konvention Diese Lager müssen geschlossen werden. neue EU-Kommission unter Ursula von unterschrieben und ratifiziert. Hier fängt Fristlos. Ich sage es noch einmal: Das der Leyen sich entscheiden, ob sie diese die Rechtsverweigerung an. Recht, ein Asylgesuch zu deponieren, ist Verbrechen gegen die Menschlichkeit wei- Inwiefern? ein universelles Menschenrecht. Zur Ver- terführen will. A Das Asylgesuch wird geprüft von einer letzung dieses Menschenrechtes kommen sehr wenig bekannten europäischen In- noch die Verletzungen all der individuel- stanz: der EASO – „European Asylum len Rechte, die in der Deklaration der Support Office“. Diese EASO betreibt Menschenrechte von 1948 aufgeführt sind: eine reine Abschreckungspolitik. Sie lässt Recht auf Nahrung, Recht auf adäquate die Leute einfach schmoren und warten. Behausung, Recht auf Gesundheit, Recht Ich habe mit mehreren afghanischen Fa- auf Schule, und so weiter und so weiter. milien gesprochen. Eine Familie war am Wenn die Rechte vieler, vieler Tausend 15. Februar 2019 registriert worden – und Menschen verletzt werden, dann spricht die erste Vorladung für die Prüfung des man von einem Verbrechen gegen die Asylgesuches ist am 20. Juli 2020 ange- Menschlichkeit. Die Europäische Union setzt. Das ist eine systematische Verwei- begeht Verbrechen gegen die Menschlich- gerung des Asylrechts! keit. Mit welchen Konsequenzen? Ein harter Vorwurf. Neben all den Krankheiten, die von feh- Diese Strategie ist nicht nur moralisch lender Hygiene kommen, führt dieses verwerflich. Sie ist noch dazu politisch lange, unsichere Warten zu großen psy- auch völlig wirkungslos. Wenn Sie oder DIE „HOT SPOTS“ IN GRIECHENLAND chiatrischen Problemen. Die Selbstmorde Ihre Familie bombardiert werden, in Mit einer kleinen Delegation aus Vertretern von Hilfs- häufen sich, auch Selbstverstümmelung – Aleppo oder Idlib – denn es geht ja weiter, organisationen wie „Pro Asyl“ und „medico internatio- sogar unter Kindern. dieses fürchterliche Morden! – ob in Sy- nal“ war Jean Ziegler im Mai 2019 mehrere Tage vor Kinder, Alte und Schwerkranke gelten rien, oder im Westen von Afghanistan, Ort im Aufnahmezentrum Moria (Bild). Dort und in vier doch eigentlich als „vulnerable per- dann gehen Sie weg, was immer auch die weiteren so genannten „Hot Spots“ auf den Inseln sons“, und besonders schutzbedürftig. Nachrichten aus Moria sind. Verstehen Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos hoffen insgesamt Sie haben das Sonderrecht, dass sie die Sie? Da lassen Sie sich doch nicht ab- mehr als 20 000 Menschen (Stand: August 2019), dass Lager auf den Inseln verlassen und aufs schrecken, denn es geht ja um Ihr Leben sie auf das europäische Festland weiterreisen dürfen. Festland weiterreisen dürfen. Nach Anga- und das Leben Ihrer Familie. Sie kommen aus Ländern wie Syrien, Afghanistan und ben des Lagerkommandanten von Moria Nun hat mit Ursula von der Leyen an Irak, aber auch aus afrikanischen Krisenstaaten wie sind etwa 3000 Menschen als „vulnerable der Spitze gerade eine neue EU-Kom- Kongo und Eritrea. Als Mitglied im Beratenden Aus- persons“ anerkannt und registriert. Aber mission ihre Arbeit aufgenommen. Was schuss des UNO-Menschenrechtsrates nahm Jean sie sind noch immer in den Lagern, weil erhoffen Sie sich? Ziegler vor allem die rechtliche Lage der Flüchtlinge in es auf dem Festland an Aufnahmebedin- Jetzt ist eine Gelegenheit. Jetzt müssen den Blick. Er gab dem Menschenrechtsrat die Empfeh- gungen fehlt. diese Lager, diese fünf „Hot Spots“, und lung, die Schließung der „Hot Spots“ zu fordern. Wie bewerten Sie die Rolle, die die Eu- vor allem der wichtigste auf Lesbos, ge- Jean Zieglers UN-Mandat endet im Herbst 2019. ropäische Union hier insgesamt spielt? schlossen werden und die Flüchtlinge auf missio 6/2019 | 13
VOR ORT RUANDA 14 | missio 6/2019
Im Plastikwald von Kigali Während in Deutschland und Europa noch über ein Verbot von Plastiktüten diskutiert wird, ist Afrika schon weiter. Als erstes Land des Kontinents hat Ruanda 2005 ein Verbot durchgesetzt. Ein Besuch bei Herrn Habamungu in Kigali, einem Mann der ersten Stunde. TEXT: BARBARA BRUSTLEIN | FOTOS: JÖRG BÖTHLING missio 6/2019 | 15
VOR ORT RUANDA DER ERSTE EINDRUCK ist, dass hier etwas angebaut wird. Vielleicht eine Pflanze, die so zart ist, dass sie unter Pla- nen geschützt werden muss? Die Folien flattern im Wind. Milchiges Plastik, auf das die Sonne Kigalis an diesem Vormit- tag mit zunehmender Kraft scheint. Von Zeit zu Zeit kommt jemand, grüner Ar- beitsanzug, Gummistiefel, Machete in der Hand, nimmt die Plastikfahnen prüfend in die Hand, schneidet sie ab. Hier, 15 Kilometer vom Zentrum Kigalis, der Hauptstadt Ruandas, wird nichts angebaut. Hier flattert im Wind, was das 20. und das 21. Jahrhundert als Hauptmerkmal haben. Was vor kaum ei- Geschreddertes Plastik wird zu Plastikschnüren verarbeitet. nem Flecken der Welt Halt macht. Und was Ruanda mit aller Macht, die das kleine hügelige Land in Ostafrika auf- bringen konnte, schon 2005 eingedämmt hat: Plastik. In Deutschland und anderswo geht die Jugend auf die Straßen, weil sie genug hat von der Wegwerfgesellschaft, die die Um- welt und die Gesundheit der Menschen gefährdet. In den Körpern von Kleinkin- dern wurden laut einer jüngst veröffent- lichten Studie Plastikrückstände, vor al- lem von Weichmachern, gefunden. In den Meeren schwimmt der Müll, die Indus- trieländer exportieren ihn in die ärmeren Teile der Welt, um das Problem vor der eigenen Haustür unsichtbar zu machen. Saubermann Afrikas Doch in Ruanda ist das anders. Das kleine Land, das von der Fläche her Rheinland- Pfalz gleicht, hat sich seit anderthalb Jahrzehnten den Titel „Saubermann Ost- afrikas“ verdient. Die Straßen der Haupt- stadt sind sauberer als die Berlins oder Münchens. Und das in Afrika, in einem Land, wo Kinder in den Dörfern noch mangelernährt sind, wo im Bildungs- und Gesundheitssektor noch Luft nach oben ist, wo manches im Argen liegt. Aber dem Dreck und der Verschwendung hat sich Ruanda entgegengestellt. Und Wenceslas Habamungu ist einer von de- nen, die das von Anfang an vorange- bracht haben. Die Maschine, neben der er steht, kommt aus Indien. „Maschinen aus Süd- korea und Indien können wir uns hier 16 | missio 6/2019
Tonnenweise Müll: Lastwägen liefern den Abfall an, dann wird er nach Plastikarten und Verschmutzungsgrad sortiert. leisten“, sagt der Chef von Ecoplastic, ei- handschuhen, die teils rissig sind. In Ba- ner Recyclingfirma für Plastik mit 80 dewannen tauchen sie das Plastik ein, da- WENCESLAS HABAMUNGU: Mitarbeitern. „Der Anfang war schwer. mit das Reinigungsmittel Rückstände „Der Anfang war schwer. Die Banken Die Banken wollten mir keine Kredite ge- und Schmutz von den Folien wegätzt. wollten mir keine Kredite geben. Sie ben. Sie fragten: Unsere Regierung schafft Egal, wie der Wind dreht, immer bringt fragten: Wie soll das eine Zukunft haben?“ Plastiktüten ab und Sie wollen eine Firma er Gerüche von Fäulnis. Ein schöner Job gründen, die Plastik recycelt? Wie soll das ist das wahrlich nicht. eine Zukunft haben?“ Herr Habamungu Doch Muela Medidrie, die an einer die- ging also los, um das Gegenteil zu bewei- ser Wannen sitzt und die Folien in der sen: Plastiktüten waren verboten worden, Lauge knetet, ist froh darum. „Ich habe mit nicht aber die vielen anderen Polyethy- der Schule aufgehört, weil zu Hause kein lene, die überall im Einsatz sind. „Ich Geld da war“, erzählt die 20-Jährige. „Na- sammelte selbst den Müll der Kliniken, türlich wünschte ich, dass mein Weg an- der Restaurants, aus den Tonnen. An Ab- ders wäre, dass ich lernen könnte. Aber wir fall mangelte es wirklich nicht.“ Schließ- hier sind alle auf Arbeit angewiesen und lich ließen sich die Banker überzeugen ich bin dankbar, sie gefunden zu haben.“ und Habamungu fand diesen Ort, an dem Genauso geht es Jean-de-Dieu, einem der Grund günstiger war als im boomen- 22-Jährigen, der heute im Plastikwald den Zentrum Kigalis. Und wo sich die prüft, ob das Material getrocknet ist, da- Nachbarn weniger am Gestank und am mit es weiterverarbeitet werden kann. Dreck störten, den das Recycling von „Ich arbeite lieber an den Maschinen, Plastik eben mit sich bringt. aber wir helfen hier, wo immer es nötig Nur ein paar Meter vom Plastikwald ist“, sagt er. „Ich möchte unbedingt wei- entfernt sitzt eine Reihe von Frauen. ter hier arbeiten“, sagt er rasch, um einige Hände und Arme stecken in Gummi- Sekunden später nachzufragen, ob es missio 6/2019 | 17
VOR ORT RUANDA Wiegen und Sortieren: Die Recyclingfirma Ecoplastic liegt 15 Kilometer vom Zentrum Kigalis entfernt und beschäftigt 80 Mitarbeiter. denn Chancen gebe, ins Ausland zu ge- USA und Europa durch eine blitzsaubere hen, ein anderes Leben zu führen. Von 8 Hauptstadt kutschiert werden. Dass man Uhr bis 17 Uhr arbeiten die Angestellten mit harter Hand durchgreifen muss, hier, wie ein Bürojob, nur ist es keiner. wenn man in einem Umfeld von Krisen- Die Chemikalien machen nach einer ländern derartige Fortschritte erzielen Weile krank, das wissen hier alle, und die will, ist ein offenes Geheimnis, das dann Plastikpartikel, die die Arbeiter einatmen, gerne übersehen wird. Und auch die sind Gift für die Lungen. Aber was tun? Legende vom landesweiten Fortschritt In diesem Vorort der Hauptstadt muss glaubt nicht, wer einmal in die Dörfer man nehmen, was kommt. Und Herr fährt. Aber die Reichen und Mächtigen Habamungu ist ein guter Chef, er zahlt tun das nicht, sie bleiben auf der Route, korrekt, 45 Euro im Monat verdienen die die sie sehen sollen. Arbeiter hier, das ist nach örtlichen Ge- Das, was die Müllsammler aus den gebenheiten in Ordnung. Einrichtungen und Straßen sammeln, wird nach Farben und Arten von Plastik Verträge mit Kantinen und Plantagen getrennt und von Hand in den Laugen Das Plastik kommt in großen Lastwägen der Badewannen vorgereinigt. „Das hätte an der Fabrik an. Herr Habamungu hat ich gerne maschinell“, sagt Habamungu. Verträge mit Kantinen, Teeplantagen und „Das ist der Teil der Arbeit, den ich den Kliniken, denen er regelmäßig ihre Ab- Leuten nicht so gerne zumute.“ Dann fälle abnimmt. Zusätzlich sind fast 40 trocknen die gereinigten Teile im Plastik- junge Leute für ihn im Einsatz, die Haus- wald, bevor eine Maschine sie zu Puder müll sammeln. Im Sinne von Ruandas schreddert, das Rohmaterial bei 200 Grad Regierung ist das gewiss: Dem interna- geschmolzen, in ein Wasserbad zur Küh- tionalen Renommee, das sich das Land lung geleitet, nochmals auf Reste von Ver- durch Hightech und Offenheit für Inves- unreinigungen gefiltert und schließlich toren verdient hat, ist es zuträglich, dass zu Plastikspaghettis geformt wird. Zuletzt Wirtschaftsleute und Politiker aus den werden sie Plastikfolien, die Herr Haba- 18 | missio 6/2019
Arbeiterinnen reinigen das Plastik in Badewannen. Dann wird es zum Trocknen im Freien aufgehängt. mungu für 3000 ruandische Francs pro Kilo verkauft. Sein Einkaufspreis liegt bei 250 Francs pro Kilogramm. Zwar hat Ruanda Plastiktüten ge- bannt, aber andere Formen von Plastik- verpackung sind nach wie vor nötig. „Bei den Lebensmitteln zum Beispiel“, erklärt der Firmenchef. „Fleisch und Fisch kön- nen Sie kaum anders verpacken.“ Das gilt für viele Produkte, die unverpackt Scha- den nehmen oder verderben würden. Und so ist das Tütenverbot ein erster, aber wichtiger Schritt. Vor allem aber ein Schritt, den Afrika vor anderthalb Jahr- zehnten gegangen ist, während Europa noch diskutiert. Kein Recycling für Plastikflaschen Plastikflaschen etwa werden nach wie vor nicht recycelt. Sie sind allgegenwärtig, be- tont Habamungu. Er selbst musste sich in das Recyclinggeschäft von Grund auf ein- arbeiten. Er hatte bei UNICEF gearbeitet, danach in einem weltweiten Konzern. Als die Regierung seines Landes aber anfing, den Umweltschutzgedanken in ernst zu nehmender Weise voranzubringen, kam ihm die Idee. „Wir haben hier in Ruanda
VOR ORT RUANDA Die Maschinen zur Weiterverarbeitung des Plastiks stammen aus Indien und Südkorea. Das Müllproblem in Deutschland Mehr als zwei Milliarden Tonnen Haus- und Gewerbemüll Abfall verschifft wird, verfügen allerdings oft über man- werden weltweit jährlich produziert. Prognosen gehen gelhafte Recyclinginfrastrukturen und geringe Umwelt- davon aus, dass die Zahl Mitte des 21. Jahrhunderts bei standards. Der Müll, der eigentlich recycelt werden sollte, 3,4 Milliarden Tonnen liegen wird, wenn es nicht zu einem wird verbrannt oder einfach deponiert. weltweiten Umdenken kommen sollte. Weltweit betrach- Deutschland exportiert seinen Müll vor allem nach Süd- tet verantwortet jeder Mensch täglich fast ein dreiviertel ostasien. Jährlich sind das über eine Million Tonnen Plas- Kilogramm Abfall. Die Unterschiede zwischen Industrie- tikabfälle, ein Sechstel des gesamten Plastikmülls, der in und Entwicklungsländern sind dabei enorm, wobei die der Bundesrepublik anfällt. reichen Länder den Großteil des Mülls produzieren. Seit China den Müllimport gedrosselt hat, geht deutsches Wenn Verpackungsmüll aus Deutschland exportiert wird, Plastik vor allem nach Malaysia, Indonesien und Indien. ist er bereits als recycelt deklariert. Die Länder, in die der Auch in die Niederlande wird unser Müll exportiert. Der 20 | missio 6/2019
etwas Besonderes: Einmal pro Monat pflichtende Abgabe. Aber immerhin hat widmen wir einen Arbeitstag der ge- sie die Zahl von fünf Milliarden Plastik- meinsamen Sache. Von Anfang an war tüten um die Hälfte gesenkt. Gerade Län- der Fokus darauf, gemeinsam Plastik zu der, die von Tourismus leben oder vom sammeln. Da ist in mir der Gedanke ge- Fischfang, realisieren immer mehr die Be- reift, Ecoplastic zu gründen.“ deutung einer intakten Umwelt: So hat Weltweit haben 127 Länder Gesetze Ägypten kürzlich nicht nur Plastiktüten, zur Regulierung von Plastiktüten einge- sondern Strohhalme, Geschirr und Be- führt. Führend ist der afrikanische Kon- steck aus Kunststoff verboten, um das tinent: 34 der 55 afrikanischen Länder Rote Meer zu bewahren. Senegal, an des- haben Plastiktüten abgeschafft oder re- sen Strände Touristen kommen, hat guliert. Ruanda war dabei Vorreiter. Das schärfere Gesetze eingeführt. Und Ma- Plastiktütenverbot gilt dabei für jeden: lawi kämpft mit einem Plastikverbot ge- Schon bei der Einreise am Flughafen von gen Mikropartikel im Malawisee. Kigali muss man die Duty-free-Tüte, in Oft haben die afrikanischen Stadtver- der die Flasche Wein transportiert wurde, waltungen nicht die finanziellen Mittel, oder die in Plastikbeutelchen verpackten um Recyclinghöfe einzurichten. Hier sind Dinge im Koffer abgeben. Für die Einhei- es private Geschäftsleute wie Herr Haba- mischen zieht es harte Strafen nach sich, mungu, die mit Risikobereitschaft und Das ostafrikanische Ruanda und seine Hauptstadt Kigali Müll ordnungswidrig zu entsorgen. Da- Eigeninitiative die Lücken schließen. Bei zählen zu den saubersten Orten Afrikas. rum gilt Kigali als sauberste Großstadt Ecoplastic werden aus dem Müll neue Fo- Afrikas. lien, die zum Beispiel verwendet werden, Das Beispiel Ruandas müsste aber Setzlinge von Bäumen zu schützen. weltweit befolgt werden: Nach Schätzun- Ob ihm die Arbeit eines Tages ausge- gen der Vereinten Nationen werden welt- hen wird, wenn weitere gesetzliche Rege- weit jedes Jahr fünf Billionen Plastiktüten lungen folgen? Habamungu winkt ab: in Umlauf gebracht. Auch in Deutschland „Nein, da brauche ich mir keine Sorgen kommen die Dinge nicht recht in Gang: zu machen. Alles, was wir Menschen tun, Auf Plastiktüten gibt es eine nicht ver- jede Aktivität produziert Müll“, sagt er. A deutsche Naturschutzbund geht davon aus, dass diese ten trauern die alten Menschen den Landschaften ande- Abfälle nicht in Europa bleiben, sondern ebenfalls auf an- rer Zeiten nach, die jetzt von Abfällen überschwemmt dere Kontinente verschifft werden. werden.“ Klassische Verpackungskunststoffe wie Polyethylen, Das Problem, folgert Franziskus, sei eng mit der Weg- Polypropylen und Polystyrol machten den Großteil des werfkultur verbunden. „Wir brauchen eine Politik, deren ausgeführten Abfalls aus. Umweltorganisationen wie Denken einen weiten Horizont umfasst und die einem Greenpeace Malaysia weisen darauf hin, dass das süd- neuen, ganzheitlichen Ansatz zum Durchbruch verhilft, in- ostasiatische Land nicht nur als Müllkippe für deutsche dem sie die verschiedenen Aspekte der Krise in einen in- Abfälle dient. Auch die USA, Japan und Australien expor- terdisziplinären Dialog aufnimmt. Oft ist die Politik selbst tierten große Mengen Müll in das Land. Der deutsche für den Verlust ihres Ansehens verantwortlich. (...) Poli- Naturschutzbund fordert daher etwa, dass Plastikmüll- tik und Wirtschaft neigen dazu, sich in Sachen Armut und gemische nicht mehr in Länder mit niedrigen Recycling- Umweltzerstörung gegenseitig die Schuld zuzuschieben.“ standards exportiert werden dürfen. Dass die Plastikkrise, die insbesonders die Vermüllung Einen der eindringlichsten Fürsprecher hat der Umwelt- der Meere zur Folge hat, lösbar ist, betont Joachim Wille, gedanke in Papst Franziskus, der mit seiner Umwelt-En- Chefredakteur des Online-Magazins Klimareporter: „Vo- zyklika „Laudato si“ weltweite Diskussionen und vor al- raussetzung wäre der Aufbau funktionierender Sammel- lem Engagement ausgelöst hat. und Recyclingsysteme für den Plastikabfall in Entwick- „Die Erde, unser Haus“, schreibt der Papst aus Argenti- lungsländern – in den armen Staaten werden der Welt- nien, „scheint sich immer mehr in eine unermessliche bank zufolge bisher rund 90 Prozent des Abfalls einfach Mülldeponie zu verwandeln. An vielen Orten des Plane- weggeworfen oder ungeordnet verbrannt.“ missio 6/2019 | 21
MISSIO RECHENSCHAFTSBERICHT 2018 Vor Ort die Welt verändern missio München unterstützt Projektpartner mit über 12 Millionen Euro „Es braucht Glauben und Zuversicht, um Menschen dort beizustehen, wo sie in ihrer Not von allen anderen verlassen wurden – sei es seelisch, materiell, humanitär oder ökologisch. missio München ist an der Seite dieser Menschen.“ Reinhard Kardinal Marx, Vorsitzender des Zentralrates von missio München missio München hat im Jahr 2018 insgesamt unter anderem, dass missio München mit den anver- 958 Projekte in 53 Ländern mit 12 300 177,45 Euro trauten Geldern sorgfältig und verantwortungsvoll um- gefördert. Das geht aus dem Geschäftsbericht für das geht, transparent arbeitet und sparsam wirtschaftet. Jahr 2018 hervor. Über die Hälfte der Summe ging an Länder in Afrika. In Afrika ging die größte Summe 2018 mit 1 395 412,78 Euro wie bereits im Vorjahr nach Burkina Faso. Nach missio-Präsident Monsignore Wolfgang Huber dankt Äthiopien, dem Beispielland im Monat der Weltmission, allen Spendern und Förderern. „Nur durch die Hilfe flossen 516 064,80 Euro. In Asien wurden unter ande- unserer Unterstützer können wir das Netzwerk der rem Projekte in Indien mit insgesamt 2 182 199,02 Euro katholischen Kirche in Afrika, Asien und Ozeanien gefördert. Auf den Philippinen erhielten Projektpartner nachhaltig stärken und so für die Menschen vor Ort 789 820,45 Euro. In Ozeanien hat Papua-Neuguinea mit wirkliche Perspektiven schaffen.“ 40 181,88 Euro die größte Fördersumme erhalten. Der Vorsitzende des Zentralrates von missio München, Zugleich legte missio München den Rechenschaftsbe- Kardinal Reinhard Marx, betont: „Es braucht Glauben richt der Solidaritätsaktion „Priester helfen Priestern in Fotos: Jörg Böthling (3), Erzbistum München und Freising, missio und Zuversicht, um Menschen dort beizustehen, wo sie der Mission“ (PRIM) vor. Mit mehr als 1,7 Mio. Euro in ihrer Not von allen anderen verlassen wurden – sei es haben Priester in Deutschland 2018 ihre Mitbrüder in seelisch, materiell, humanitär oder ökologisch. missio Afrika und Asien unterstützt. 8493 Priester in 23 Län- München ist an der Seite dieser Menschen.“ dern erhielten eine einmalige Unterhaltshilfe von je 200 Euro. Sowohl die missio-Partner vor Ort als Den aktuellen Jahresbericht zum Download auch das jährlich verliehene Spendensie- finden Sie unter folgendem Link: gel des Deutschen Zentralinstituts für So- www.missio.com/ueber-uns/missio-transparent ziale Fragen (DZI) bürgen dafür, dass die missio-Spenden dort ankommen, wo sie Bestellung der gedruckten Version unter 089/5162-611 am nötigsten sind. Das DZI-Siegel belegt oder redaktion@missio.de 22 | missio 6/2019
EINNAHMEN GESAMT: 25 588 840,55€ AUSGABEN GESAMT: 25 588 840,55 € BEWILLIGTE PROJEKTMITTEL NACH KATEGORIEN: 12 300 177,45 € – ANZAHL DER PROJEKTE 958 missio 6/2019 | 23
BLICKWECHSEL DEUTSCHLAND Eine Welt – zwei Visionen „ICH GLAUBE, dass sumdenken und ausbeuteri- viele junge Menschen wütend schen Kapitalismus zur Mas- sind“, sagt Daniel Köberle. senbewegung der Jugend von Er sitzt in seinem Büro in heute geworden. „Für jugend- einem Münchner Hinterhaus, politische Themen braucht es erdgeschossig, das Fenster gibt immer ein Momentum“, sagt den Blick auf einen von Bäu- Köberle. „Nun ist es da.“ Ein men umrahmten Fahrradstän- wenig ernüchternd sei es zwar, der frei. „Die jungen Menschen dass sein Verband jahrelang sind wütend darüber, dass Po- für die Sache gekämpft und in litik nur Lösungen anbietet, die mühsamer Kleinarbeit Erfolge Kompromisse sind“, sagt er. erzielt habe, nun aber, uner- „Und darüber, dass ihnen Poli- wartet und plötzlich, Bewe- tiker zugleich den Vorwurf ma- gung in die Sache komme. chen, nur verkopfte Idealisten „Vor allem bin ich aber froh zu sein.“ darüber. Denn das, was pas- An der Innenseite seiner Bü- siert, ist ungeheuer wichtig.“ rotür hängen sie alle in Plakat- Köberle selbst unterzieht form: Minister und Staatsse- sein eigenes Leben regelmäßig kretäre der CSU und der Grü- einem kritischen Blick in Hin- nen. „Die SPD hat kein Plakat, sicht auf sein Umweltverhal- sonst wäre sie selbstverständ- ten: Er besitzt kein Auto, isst lich dabei“, sagt Köberle. Für nur einmal in der Woche ihn sind die abgebildeten Ge- Fleisch und will nur einmal sichter wichtige Zielpersonen pro Jahr eine Flugreise antre- für die Anliegen des Jugendver- ten: „Allerdings kommt man bandes. „Die Herabsetzung des Wahlalters ist unser Thema“, Daniel Köberle da ehrlich gesagt auch an seine Grenzen. Heißt das dann, sagt er. „Da bin ich mir voll- Landesvorsitzender der katholischen Jugend wenn man beruflich fliegen kommen sicher, dass wir bald musste, auf die private Reise den Durchbruch erleben. Das wird auch Zeit!“, sagt er. „Wir verzichten zu müssen?“ können uns nicht leisten, junge Menschen weiterhin von der Vielleicht sind auch solche Fragestellungen der Grund dafür, Teilhabe an politischen Entscheidungen, die sie am längsten be- dass Köberle überzeugt ist: „Die Zeit der freiwilligen Selbstver- pflichtungen ist vorbei. Ganz offensichtlich hilft es nicht, nur „ANGESICHTS DES KLIMAWANDELS DRÄNGT DIE ZEIT.“ zu appellieren.“ Manche Dinge müssten teurer werden, um treffen werden, auszuschließen“, betont Köberle. Er selbst sei ei- Qualität zu fördern. „Angesichts des Klimawandels drängt die gentlich zu alt für das, was er in diesem Hinterhofbüro tut, sagt Zeit.“ Köberle erzählt, er habe mit 15 Jahren die Jugendver- er verschmitzt: Köberle ist Landesvorsitzender des Bundes der bandsarbeit kennengelernt. „Da hat sich mir eine neue Welt auf- deutschen katholischen Jugend (BDKJ) in Bayern. getan.“ Wenn junge Leute Verantwortung übertragen bekom- Gerade sind die Themen, für die sich der BDKJ seit Jahren men, dann mache das etwas mit ihnen, sagt er. „Ich bin jetzt 32 Fotos: BDKJ, Steffi Seyferth und Jahrzehnten einsetzt, in aller Munde: Der Erhalt der Schöp- und habe eine Entwicklung in meinem Glauben gemacht. fung, das Streben nach Nachhaltigkeit und der Gedanke des kri- Gleichzeitig habe ich Anfragen an meine Kirche“, sagt er. „Wenn tischen Konsums sind Kernanliegen des katholischen Jugend- man diesen Job macht, dann sieht man aber: Die auf der ande- verbands. Mit Greta Thunberg und den „Fridays for future“ ren Seite, die Bischöfe und Würdenträger, sind auch nur Men- sind das Engagement für die Umwelt, der Protest gegen Kon- schen, die um Positionen ringen.“ A BARBARA BRUSTLEIN 24 | missio 6/2019
Der Wunsch nach einer besseren Welt treibt sie an: Daniel Köberle (32), der sich um die Zukunft des Planeten sorgt, und Martin Pilgram (65), der sich seit seiner Jugend für eine friedlichere Welt einsetzt. „WENN MAN sich bei flikten und Fluchtbewegungen. uns umschaut, sind viele alt ge- Dass die Jugend früher politi- worden“, sagt Martin Pilgram scher war, glaubt er nicht. Eher und lacht. Er ist Diözesanvor- war es eine Frage, wo und in sitzender der katholischen Frie- welchen Kreisen jemand ver- densbewegung „Pax Christi“ kehrte. Wenn er sich an seine und hat an diesem verregneten Studienzeit in Kaiserslautern Vormittag in sein Haus in Gil- erinnert, erzählt Pilgram von ching eingeladen. Heute ist er politischen Diskussionen und 65 Jahre alt und er engagiert Polizeiaktionen gegen Studen- sich noch immer für den ten. Als er dann nach Mün- Frieden auf der Welt. Seit den chen wechselte, dachte er: „Was 1980er Jahren schon. ist denn das für eine Uni? So „In meiner Anfangszeit war sauber!“ das Thema Nachrüstung ganz Als Christ fühlt er sich ver- groß“, sagt er. Als Kriegsdienst- pflichtet, sich einzumischen – verweigerer ging Pilgram da- auch politisch. Eine Kirche, die mals gemeinsam mit hundert- einen Platz in der Gesellschaft tausend anderen auf die Straße will, müsse Stellung beziehen, und protestierte in der damali- findet Pilgram. Bei ihrem En- gen Hauptstadt Bonn gegen gagement für Geflüchtete sei das atomare Wettrüsten. das gut gelungen. Abrüstung und Waffenex- Pilgram, der bis zu seinem porte stoppen – das sind heute Ruhestand als Diplom-Mathe- noch immer seine Kernanlie- matiker beim Deutschen Zen- gen. „Wenn man Waffen in ein trum für Luft- und Raumfahrt Krisengebiet liefert, werden sie dort sicher nicht in den Martin Pilgram in Oberpfaffenhofen gearbeitet hat, hat noch immer die Vision Schrank gestellt“, sagt er. „Wä- Diözesanvorsitzender von „Pax Christi“ von einer besseren Welt: von ren wir nicht so laut geworden, einer friedlicheren und gerech- dann würden wahrscheinlich immer noch Rüstungsexporte di- teren. Wenn er es für angebracht hält, geht er auch heute noch rekt in den Jemen fließen.“ Seine Devise ist: Man muss an einer auf die Straße. So wie zuletzt zwischen der amerikanischen und Sache dran bleiben, um Erfolge zu erzielen. „Politik ist nicht so russischen Botschaft, als die beiden Staaten den INF-Vertrag starr, wie sie nach außen wirkt und Wähler sind auf jeden Fall über nukleare Abrüstung im Mittelstreckenbereich endgültig ein Druckmittel“, sagt er. „Beharrlichkeit ist das Wichtigste!“. aufkündigten. Und das rät er auch den jungen Leuten von heute, die sich die „WAFFEN WERDEN NICHT IN DEN SCHRANK GESTELLT.“ Klimafrage zum großen Thema ihrer Generation gemacht haben. Pilgram findet es gut, wenn sich Organisationen wie Doch seinen größeren Einfluss sieht er heute woanders: Seit „Fridays for Future“ bilden, aber er ist auch der Meinung, dass drei Jahren sitzt Pilgram für die Grünen im Gilchinger Gemein- es nicht reiche, nur auf Demonstrationen zu gehen. „Es ist ein derat. „Aus Versehen“ ist er dort reingerutscht, wie er sagt. Als Mittel“, sagt er. Doch gerade in der Umweltfrage müsse jeder Parteiloser stand er auf der Nachrückerliste der Grünen. Als er auch seinen eigenen Lebensstil hinterfragen. dann tatsächlich zum Zug kam, trat er der Partei bei und setzte Wenn Pilgram mit seiner Frau in den Urlaub fährt, nimmt er auch gleich Akzente: Als eine seiner ersten Amtshandlungen ver- möglichst den Zug. „Natürlich beschäftigt mich der Klimawan- fasste er ein eigenes Kapitel für das aktuelle Landtagswahlpro- del“, sagt er. Schließlich sei dieser auch ein Auslöser von Kon- gramm – natürlich zum Thema Frieden. A STEFFI SEYFERTH missio 6/2019 | 25
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