INDIEN: Der Fluch der Entwicklung - RUANDA: Im Plastikwald von Kigali - missio München

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INDIEN: Der Fluch der Entwicklung - RUANDA: Im Plastikwald von Kigali - missio München
www.missiomagazin.de . ISSN 1862-1988

                                        MENSCHEN, KIRCHE, KONTINENTE 6/2019

INDIEN:
Der Fluch der
Entwicklung

RUANDA:
Im Plastikwald
von Kigali
INDIEN: Der Fluch der Entwicklung - RUANDA: Im Plastikwald von Kigali - missio München
INDIEN: Der Fluch der Entwicklung - RUANDA: Im Plastikwald von Kigali - missio München
GRUSSWORT 6/2019

                                                                                           TITEL 6/2019
                                                                                 Fritz Stark fotografierte
                                                                           diese Arbeiter, die eine Straße
                                                                                   in den Dschungel von
                                                                                Meghalaya/Indien bauen.

                                           Liebe Leserin, lieber Leser,

                                                       in diesen Tagen sind wir mit unseren Gästen aus Nordostindien hier in
                                           den bayrischen Diözesen und Speyer unterwegs. Es sind herbstliche Tage, die uns
                                           durch die unterschiedlichen Färbungen der Wälder und der Wiesen mit den darauf
                                           fallenden Sonnenstrahlen führen. Die Großartigkeit der Schöpfung, wie sie im
                                           Buch Genesis in ihrer Entstehung beschrieben ist, wird für uns so greifbar. In der
                                           Enzyklika „Laudato si“ fasst der Heilige Vater dies so zusammen: „Der heilige
                                           Franziskus bringt uns in Treue zur Heiligen Schrift nahe, die Natur als ein prächtiges
                                           Buch zu erkennen, in dem Gott zu uns spricht und einen Abglanz seiner Schönheit
                                           und Güte aufscheinen lässt: ,Von der Größe und Schönheit der Geschöpfe lässt sich
                                           auf ihren Schöpfer schließen‘ (Weish 13,5), und ,seine unsichtbare Wirklichkeit wird
                                           an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht
                                           und Gottheit‘(Röm 1,20). Deshalb forderte Franziskus, im Konvent immer einen Teil
                                           des Gartens unbebaut zu lassen, damit dort die wilden Kräuter wüchsen und die,
                                           welche sie bewunderten, ihren Blick zu Gott, dem Schöpfer solcher Schönheit
                                           erheben könnten. Die Welt ist mehr als ein zu lösendes Problem, sie ist ein freudiges
                                           Geheimnis, das wir mit frohem Lob betrachten.“
                                           Für uns als Kirche, als weltweite Gemeinschaft, ist es wichtig, dies immer wieder in
                                           den verschiedensten Teilen unserer Welt in den Blick zu nehmen. Wir sind aufge-
                                           fordert, vereint unser gemeinsames Haus zu gestalten. Es ist uns von Gott anvertraut
                                           und wir müssen dafür gemeinsam Verantwortung übernehmen. Dies geschieht
                                           durch den Austausch und in der Begegnung mit den Menschen über Kontinente,
                                           Ethnien und Religionen hinweg, weil wir aufeinander angewiesen sind und dem
                                           Evangelium gemäß Lebensumstände schaffen, die eine Abkehr vom Raubbau der
                                           Natur zum Ziel haben. Die Reportagen in diesem Heft aus Nordostindien und
      Informieren Sie sich online zum      Ruanda machen dies deutlich. In der Begegnung und im Austausch mit unseren
         Monat der Weltmission:            Partnern wird mir immer wieder von neuem bewusst, dass es ein großes Geschenk
www.missio-multimedia.de/dossier-wms2019   ist, hier in unserer bayrischen Heimat zu leben.
                                           Dies führt aber auch zur Verpflichtung, nicht die Hände in den Schoß zu legen und
                                           nur zu konsumieren, sondern in Dankbarkeit gegenüber Gott das eigene Leben so zu
                                           gestalten, dass Zukunft auch für Generationen nach uns möglich ist. Dies muss für
                                           alle Menschen gelten, auch für die Ärmsten der Armen. Möge Gott uns darin stärken
                                           und so danke ich Ihnen, die Sie durch Ihren Einsatz auf unterschiedliche Weise dazu
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                                                                                                                 missio   6/2019 |   3
INDIEN: Der Fluch der Entwicklung - RUANDA: Im Plastikwald von Kigali - missio München
06   BLICKFANG
                                                                       Unerschrocken: In Hongkong demons-
                                                                       trieren auch viele Christen gegen die
                                                                       Repressalien aus China.

                                                                  08   STICHWORT ...
                                                                       „Laudato si“ – über die Notwendigkeit,
                                                                       fundamental umzudenken

                                                                  10   FACETTEN INTERNATIONAL
                                                                       Bäume für Äthiopien / Irakische Chris-
                                                                       ten renovieren Kirche / Gespenstische

14
                                                                       Stille in Kaschmir / Waldbrände im
                                                                       Kongo

                                                                  12   NACHGEFRAGT ...
                                                                       ... bei Jean Ziegler:
                                                                       Der Schweizer Soziologe berichtet von
                                                                       den menschenunwürdigen Zuständen
                                                                       in den Flüchtlingslagern auf der
                                                                       griechischen Insel Lesbos.
                        VOR ORT: RUANDA
                        Chefredakteurin Barbara Brustlein mit     14    VOR ORT: RUANDA
                        dem Chef der Recyclingfirma Ecoplastic,        Im Plastikwald von Kigali –
                        Wenceslas Habamungu, in Kigali.
                                                                       wie eine Firma mit viel Handarbeit den
                                                                       Plastikmüll wiederaufbereitet.

                                                                  22   RECHENSCHAFTSBERICHT
                                                                       Für Perspektiven in Afrika, Asien und
                                                                       Ozeanien: missio München zieht die
                                                                       Spendenbilanz für das Jahr 2018.

                                                                  24   BLICKWECHSEL
                                                                       Zwei Generationen – zwei Visionen:

        12                                                             über den Einsatz für eine bessere
                                                                       Welt

                        10                                        26   MOMENTE DER STILLE

4   | missio   6/2019
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INHALT         6/2019

28   SATIRE/AUSGERECHNET
     Kabarettist Christoph Fritz ist froh, dass
     er nicht dabei war, als die Menschen den
     Mars besiedelten.

30    VOR ORT: INDIEN
     Das Ende der Bäume? Wie die Kirche

                                                                                                                   30
     gegen die Zerstörung der Natur und für
     nachhaltige Lösungen kämpft.

38   MISSIO FÜR MENSCHEN
     missio-Studienreise nach Indien / „Woche
     der Goldhandys“ / Geldspende für Solar-
     anlage / Jede Runde zählt

40   STIFTER, STIFTUNGEN
     UND UNTERNEHMEN
     Testament zugunsten notleidender
                                                  VOR ORT: INDIEN
     Menschen / Stiftung fördert Schulen in       Fotograf Fritz Stark und Redakteur Christian Selbherr besuchten das
     Syrien / Hilfe für Straßenkinder in Indien   Ökospiritualitätszentrum in Orlong Hada, wo sich die Franziskaner für
                                                  die Bewahrung der Schöpfung einsetzen.
43   AKTION FURCHTLOS
     Moderatorin Uschi Dämmrich von Luttitz
     besucht missio-Projekte für benach-
     teiligte Frauen in Indien.

44   SEHEN, HÖREN, ERLEBEN
     Kunst / Kulturkalender / Medientipps

46   GUSTO
     Tarka Dal – kräftiges Linsengericht
     aus Indien

48   DIALOG - GUT GEDACHT
     IMPRESSUM

                                                                                                                    43
50   WIEDERSEHEN MIT ...
     ... dem Jesuiten Endashaw Debrework: Die
     Zahl der Flüchtlinge ist unverändert hoch.

                                                                                                          missio          6/2019 |   5
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BLICKFANG CHINA

  6   | missio   6/2019
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Unerschrocken
           EINE MELODIE ERKLINGT in den Reihen der Demonstranten:
Das US-amerikanische Kirchenlied „Sing Hallelujah to the Lord“ ist zu ei-
ner Hymne der Protestbewegung in Hongkong geworden. Religiöse
Versammlungen genießen etwas mehr Rechte als politische Kundge-
bungen – aber nicht nur deshalb gehen auch viele Christen zusammen
mit Hunderttausenden in Hongkong auf die Straße. Regierungschefin
Carrie Lam, selbst eine gläubige Katholikin, hatte sich den Zorn der Bür-
ger eingehandelt, weil sie ein Gesetz verabschieden wollte, das die Aus-
lieferung von Kriminellen auf das chinesische Festland erleichtern
sollte. Damit, so befürchteten viele, hätte Peking unbequeme Opposi-
tionelle in chinesischen Gefängnissen verschwinden lassen können.
Carrie Lam lenkte schließlich auf massiven Druck der Demonstranten
ein. Weihbischof Ha Chi Shing gilt als moralische Führungsfigur des Pro-
testes und erklärte schon im Juni: „Egal, wie lange es dauert – ich werde
bei den Demonstranten bleiben.“ A Foto: Danish Siddiqui/Reuters

                                                 missio      6/2019 |   7
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„LAUDATO
                                           NACHGEFRAGT
                                           STICHWORT    BEI... SI“

                                                                                         „Wir sind nicht Gott.“
                                                                                                   DIE DRINGENDE    Herausforde-        nicht mehr unter den Teppich kehren
                                                                                         rung, unser gemeinsames Haus zu schüt-         können. (...)
                                                                                         zen, schließt die Sorge ein, die gesamte           Die Pflege der Ökosysteme setzt einen
                                                                                         Menschheitsfamilie in der Suche nach ei-       Blick voraus, der über das Unmittelbare
                                                                                         ner nachhaltigen und ganzheitlichen            hinausgeht, denn wenn man nur nach ei-
                                           PAPST FRANZISKUS:                             Entwicklung zu vereinen, denn wir wis-         nem schnellen und einfachen wirtschaft-
                                                                                         sen, dass sich die Dinge ändern können.        lichen Ertrag sucht, ist niemand wirklich
                                           „Es gibt keine politischen oder               Der Schöpfer verlässt uns nicht, niemals       an ihrem Schutz interessiert. Doch der
                                           sozialen Grenzen und Barrieren,               macht er in seinem Plan der Liebe einen        Preis für die Schäden, die durch die egois-
                                           die uns erlauben, uns zu                      Rückzieher, noch reut es ihn, uns er-          tische Fahrlässigkeit verursacht werden,
                                           isolieren, und aus ebendiesem                 schaffen zu haben. Die Menschheit be-          ist sehr viel höher als der wirtschaftliche
                                                                                         sitzt noch die Fähigkeit zusammenzuar-         Vorteil, den man erzielen kann. Im Fall
                                           Grund auch keinen Raum                        beiten, um unser gemeinsames Haus auf-         des Verlustes oder des schweren Schadens
                                           für die Globalisierung der                    zubauen. Ich möchte allen, die in den          an einigen Arten ist von Werten die Rede,
                                           Gleichgültigkeit.“                            verschiedensten Bereichen menschlichen         die jedes Kalkül überschreiten. Darum
                                                                                         Handelns daran arbeiten, den Schutz des        können wir stumme Zeugen schwerster
                                                                                         Hauses, das wir miteinander teilen, zu         Ungerechtigkeiten werden, wenn der An-
                                                                                         gewährleisten, meine Anerkennung, mei-         spruch erhoben wird, bedeutende Vorteile
                                           LAUDATO SI                                    ne Ermutigung und meinen Dank aus-             zu erzielen, indem man den Rest der
                                                                                         sprechen.                                      Menschheit von heute und morgen die
                                           „Welche Art von Welt wollen wir denen
                                                                                            Besonderen Dank verdienen die, wel-         äußerst hohen Kosten der Umweltzerstö-
                                           überlassen, die nach uns kommen, den          che mit Nachdruck darum ringen, die            rung bezahlen lässt. (...)
                                           Kindern, die gerade aufwachsen?“ Das ist      dramatischen Folgen der Umweltzerstö-
                                           die zentrale Frage, die das Lehrschreiben
Fotos: Behnen / Jesuitenmission, Reuters

                                                                                         rung im Leben der Ärmsten der Welt zu          Wenn wir berücksichtigen, dass der
                                           „Laudato si: Über die Sorge für das gemein-   lösen. Die jungen Menschen verlangen           Mensch auch ein Geschöpf dieser Welt ist,
                                           same Haus“ von Papst Franziskus stellt.       von uns eine Veränderung. Sie fragen sich,     das ein Recht auf Leben und Glück hat
                                           Papst Franziskus prangert darin die Menta-    wie es möglich ist, den Aufbau einer bes-      und das außerdem eine ganz besondere
                                           lität einer Konsum- und Wegwerfgesell-        seren Zukunft anzustreben, ohne an die         Würde besitzt, können wir es nicht unter-
                                           schaft an, die auf Kosten der Armen und       Umweltkrise und an die Leiden der Aus-         lassen, die Auswirkungen der Umweltzer-
                                           der künftigen Generationen jedes Maß          geschlossenen zu denken.(...)                  störung, des aktuellen Entwicklungsmo-
                                           verloren hat. Er fordert ein fundamentales                                                   dells und der Wegwerfkultur auf das
                                           Umdenken. „Es gibt nicht zwei Krisen          Nach einer Zeit irrationalen Vertrauens        menschliche Leben zu betrachten.
                                           nebeneinander, eine der Umwelt und eine       auf den Fortschritt und das menschliche           Heute beobachten wir zum Beispiel
                                           der Gesellschaft, sondern eine einzige        Können tritt jetzt ein Teil der Gesellschaft   das maßlose und ungeordnete Wachsen
                                           und komplexe sozial-ökologische Krise",       in eine Phase stärkerer Bewusstheit ein. Es    vieler Städte, die für das Leben ungesund
                                           schreibt der Papst. Das Lehrschreiben         ist eine steigende Sensibilität für die Um-    geworden sind, nicht nur aufgrund der
                                           greift den Sonnengesang des Heiligen          welt und die Pflege der Natur zu beob-         Verschmutzung durch toxische Emissio-
                                           Franziskus und dessen Denken auf. Papst       achten, und es wächst eine ehrliche,           nen, sondern auch aufgrund des städti-
                                                                                                                                                                                      Fotos: iStockphoto, Archiv

                                           Franziskus hat mit der Enzyklika, die er im   schmerzliche Besorgnis um das, was mit         schen Chaos, der Verkehrsprobleme und
                                           Jahr 2015 vor dem Klimagipfel in Paris ver-   unserem Planeten geschieht. Wir geben          der visuellen und akustischen Belästi-
                                           öffentlicht hat, eine breite internationale   einen – wenn auch sicherlich unvollstän-       gung. Viele Städte sind große unwirt-
                                           Debatte ausgelöst.                            digen – Überblick über jene Fragen, die        schaftliche Gefüge, die übermäßig viel
                                                                                         uns heute beunruhigen und die wir jetzt        Energie und Wasser verbrauchen. Es gibt

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INDIEN: Der Fluch der Entwicklung - RUANDA: Im Plastikwald von Kigali - missio München
Stadtviertel, die, obwohl sie erst vor Kur-   Dazu kommen die Schäden, die durch die         erlauben, uns zu isolieren, und aus eben-
zem erbaut wurden, verstopft und unge-        Exportierung fester und flüssiger toxi-        diesem Grund auch keinen Raum für die
ordnet sind, ohne ausreichende Grünflä-       scher Abfälle in die Entwicklungsländer        Globalisierung der Gleichgültigkeit. (...)
chen. Es entspricht nicht dem Wesen der       und durch die umweltschädigende Akti-              Auffallend ist die Schwäche der inter-
Bewohner dieses Planeten, immer mehr          vität von Unternehmen verursacht wer-          nationalen politischen Reaktion. Die Un-
von Zement, Asphalt, Glas und Metall er-      den, die in den weniger entwickelten Län-      terwerfung der Politik unter die Techno-
drückt und dem physischen Kontakt mit         dern tun, was sie in den Ländern, die ih-      logie und das Finanzwesen zeigt sich in
der Natur entzogen zu leben. (...)            nen das Kapital bringen, nicht tun kön-        der Erfolglosigkeit der Weltgipfel über
                                              nen: „Wir stellen fest, dass es häufig         Umweltfragen. Es gibt allzu viele Sonder-
Die soziale Ungerechtigkeit geht nicht nur    multinationale Unternehmen sind, die so        interessen, und leicht gelingt es dem wirt-
Einzelne an, sondern ganze Länder, und        handeln und hier tun, was ihnen in den         schaftlichen Interesse, die Oberhand über
zwingt dazu, an eine Ethik der internatio-    entwickelten Ländern bzw. in der soge-         das Gemeinwohl zu gewinnen und die In-
nalen Beziehungen zu denken. Denn es          nannten Ersten Welt nicht erlaubt ist. (...)   formation zu manipulieren, um die eige-
gibt eine wirkliche „ökologische Schuld“                                                     nen Pläne nicht beeinträchtigt zu sehen.
– besonders zwischen dem Norden und           Die Auslandsverschuldung der armen             (...)
dem Süden – im Zusammenhang mit Un-           Länder ist zu einem Kontrollinstrument
gleichgewichten im Handel und deren           geworden, das Gleiche gilt aber nicht für      Wir sind nicht Gott. Die Erde war schon
Konsequenzen im ökologischen Bereich          die ökologische Schuld. Auf verschiedene       vor uns da und ist uns gegeben worden.
wie auch mit dem im Laufe der Ge-             Weise versorgen die weniger entwickelten       (...) Wenn wir auf der Aussage bestehen,
schichte von einigen Ländern praktizier-      Völker, wo sich die bedeutendsten Reser-       dass der Mensch ein Abbild Gottes ist,
ten unproportionierten Verbrauch der na-      ven der Biosphäre befinden, weiter die         dürfte uns das nicht vergessen lassen, dass
türlichen Ressourcen.                         Entwicklung der reichsten Länder, auf          jedes Geschöpf eine Funktion besitzt und
   Der Export einiger Rohstoffe, um die       Kosten ihrer eigenen Gegenwart und Zu-         keines überflüssig ist. Das ganze materielle
Märkte im industrialisierten Norden zu        kunft. Der Erdboden der Armen im Sü-           Universum ist ein Ausdruck der Liebe
befriedigen, hat örtliche Schäden verur-      den ist fruchtbar und wenig umweltge-          Gottes, seiner grenzenlosen Zärtlichkeit
sacht wie die Quecksilbervergiftung in        schädigt, doch in den Besitz dieser Güter      uns gegenüber. Der Erdboden, das Was-
den Goldminen oder die Vergiftung mit         und Ressourcen zu gelangen, um ihre Le-        ser, die Berge – alles ist eine Liebkosung
Schwefeldioxid im Bergbau zur Kupferge-       bensbedürfnisse zu befriedigen, ist ihnen      Gottes. A
winnung. Besonders muss man der Tatsa-        verwehrt durch ein strukturell perverses       Aus der Enzyklika „Laudato si: Über die Sorge für
che Rechnung tragen, dass der Umweltbe-       System von kommerziellen Beziehungen           das gemeinsame Haus“ von 2015

reich des gesamten Planeten zur „Entsor-      und Eigentumsverhältnissen. Es ist not-
gung“ gasförmiger Abfälle gebraucht
wird, die sich im Laufe von zwei Jahrhun-
                                              wendig, dass die entwickelten Länder zur
                                              Lösung dieser Schuld beitragen, indem sie      j      IHRE MEINUNG INTERESSIERT UNS!

derten angesammelt und eine Situation         den Konsum nicht erneuerbarer Energie                 Papst Franziskus wendet sich gegen eine
geschaffen haben, die nunmehr alle Län-       in bedeutendem Maß einschränken und                   „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ auf Kosten
der der Welt in Mitleidenschaft zieht. Die    Hilfsmittel in die am meisten bedürftigen             der Armen und der Umwelt. Er fordert ein grund-
Erwärmung, die durch den enormen              Länder bringen, um politische Konzepte                sätzliches Umdenken. Wie kann das gelingen?
Konsum einiger reicher Länder verursacht      und Programme für eine nachhaltige Ent-
wird, hat Auswirkungen in den ärmsten         wicklung zu unterstützen. (...)                       Redaktion „missio magazin“
Zonen der Erde, besonders in Afrika, wo          Wir müssen uns stärker bewusst ma-                 Pettenkoferstraße 26-28
der Temperaturanstieg, vereint mit der        chen, dass wir eine einzige Menschheits-              80336 München
Dürre, verheerende Folgen für den Ertrag      familie sind. Es gibt keine politischen oder          redaktion@missio.de
des Ackerbaus hat.                            sozialen Grenzen und Barrieren, die uns

                                                                                                                                missio           6/2019 |   9
INDIEN: Der Fluch der Entwicklung - RUANDA: Im Plastikwald von Kigali - missio München
FACETTEN INTERNATIONAL

      Grüne Lunge

      Knapp 354 Millionen Bäume für Äthiopien

                 MIT EINEM NEUEN REKORD hat Äthiopien auf sich              Übermäßige Landwirtschaft, Brandrodung und industrielle Ab-
      aufmerksam gemacht: Insgesamt 353 633 660 Setzlinge sollen            holzung haben die Böden stark ausgelaugt. Mit den neu ge-
      Freiwillige innerhalb von zwölf Stunden im ganzen Land ge-            pflanzten Bäumen sollen sich die Böden nun wieder erholen
      pflanzt haben. Das verkündete der Minister für Innovation und         und die Felder fruchtbarer werden.
      Technologie, Dr. Getahun Mekuria, am 29. Juli auf der sozialen           Kritiker werfen dem Regierungschef Abiy Ahmed jedoch vor,
      Plattform Twitter. Mit diesem Erfolg möchte Äthiopien ins             dass er die Kampagne vor allem nutze, um von den politischen
      Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen werden.                         Problemen im Land abzulenken.
         Hintergrund der Aktion ist eine nationale Kampagne, die Mi-           missio München unterstützt die Wiederaufforstung im Rah-
      nisterpräsident Abiy Ahmed zur Wiederbegrünung des Landes             men eines Projekts der Kapuziner in Äthiopien. In Maganasse,
      ausrief. Denn von ehemals 30 Prozent Waldfläche zu Beginn des         etwa 185 Kilometer südlich der Hauptstadt Addis Abeba, wer-
      20. Jahrhunderts sind gegenwärtig noch rund vier Prozent der          den rund 50 000 einheimische Bäume und Sträucher gepflanzt
      Fläche Äthiopiens begrünt. Bis heute wird Äthiopien immer wie-        (Bild). Langfristig kümmern sich zwei Experten darum, dass die
      der von schweren Dürren heimgesucht. Die Erosion großer               Jungpflanzen regelmäßig gegossen und gepflegt werden. „Wir
      Landstriche stellt für die Landwirtschaft ein elementares Pro-        planen neben diesem noch weitere Projekte in den kommen-
      blem dar. Der Großteil der Bevölkerung in Äthiopien bezieht           den Jahren“, sagte Kapuzinerpater Abba Hailegabriel Meleku
      seinen Lebensunterhalt aus dem landwirtschaftlichen Sektor.           gegenüber missio München. A SOPHIE KRATZER

                                                            Gespenstische Stille

                                                            Bischof aus Kaschmir: „Keine Gefahr für die Christen“

                                                             über 220 000 Quadratkilometer         der Region unter anderem zahlreiche
                                                             großen Diözese. „Wir haben nur        Schulen und Programme zur Förderung
                                                             wenige Informationen aus Kasch-       der Jugend betreibt. „Aber wir sind indi-
                                                             mir, da die Kommunikation im-         rekt betroffen: Schulen und Universitäten
                                                             mer noch unterbrochen ist“. Tele-     sind geschlossen, öffentliche Verkehrs-
                                                             fon- und Internetdienste sind im      mittel fahren nicht mehr. Alle unsere
                 IN DER INDISCHEN      Unruhere-     Zuge der staatlichen Maßnahmen vor-           Pläne sind jetzt erst einmal über den
      gion Kaschmir hofft die katholische Kir-       übergehend abgeschaltet worden. Fast 600      Haufen geworfen worden“, schreibt der
      che, dass sich die Lage bald bessert. „Es      Menschen sollen laut Berichten indischer      Bischof weiter.
                                                                                                                                               Fotos: missio, dpa, Fritz Stark, privat, NASA

      liegt eine gespenstische Stille über der Re-   Medien festgenommen worden sein.                 Anfang August 2019 hatte Indiens
      gion Kaschmir“, schreibt der Bischof von           Die Aktionen hätten sich aber nicht       Premierminister Narendra Modi den
      Jammu-Srinagar, Ivan Pereira, an missio        gegen die christliche Bevölkerung gerich-     bisherigen Autonomiestatus für Kasch-
      München. „Derzeit können wir nur spe-          tet, betont Bischof Pereira. „Es gibt keine   mir aufgehoben und der Region damit
      kulieren, was als Nächstes passieren wird.     Gefahr für die Christen im Staat.“ Die lo-    weitreichende Sonderrechte entzogen.
      Es gibt große Ungewissheit und Angst in        kale Regierung und die überwiegend            Seit langem streiten die Nachbarländer
      den Köpfen der Menschen“, erklärt Bi-          muslimische Mehrheitsbevölkerung seien        Indien und Pakistan um die Vorherr-
      schof Pereira. Kaschmir ist ein Teil seiner    dankbar für die Präsenz der Kirche, die in    schaft in Kaschmir. A CHRISTIAN SELBHERR

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Wieder wie neu

Christen renovieren Kirche im Irak

           WAS FÜR EINE FREUDE nach          syrisch-katholische Bischof Boutros Yo-
all dem Leid und der Zerstörung: Beim        hanna Moshe, als er vor kurzem zu Gast
Gottesdienst zu Mariä Himmelfahrt (15.       bei missio in München war. Allein 800         zen, ist Kardinal Louis Sako, das Ober-
August) sahen die Gläubigen in der sy-       Familien seien wieder zurück in Kara-         haupt der chaldäischen Christen, anderer
risch-katholischen Kirche „Benjamin und      kosch, „sogar welche, die bis nach Austra-    Ansicht: Er setzt auf die offiziellen Stellen
Sara“ ihr geliebtes Gotteshaus endlich im    lien ausgewandert waren“.                     des irakischen Staates, also Armee und
alten Glanz wieder. Das Gebäude in der          Es gebe jedoch immer wieder Konflikte      Polizei, und hält paramilitärische Splitter-
irakischen Stadt Karakosch war beim Ab-      mit anderen bedrängten Minderheiten,          gruppen für den falschen Weg.
zug der Milizen des „Islamischen Staates“    wie etwa den muslimischen Schabak.               So bleibt die Lage angespannt, und
(IS) schwer beschädigt worden. Brand-        Auch sie haben unter dem IS gelitten, jetzt   viele, die ihre Heimat verlassen haben,
sätze hatten das Innere ausbrennen las-      geht es oft darum, wer sich auf dem knap-     müssen sich anderswo eine Zukunft auf-
sen, zurück blieben rußverschmierte          pen Siedlungsland niederlassen darf.          bauen. Gerade ist in München eine neue
Wände (Bild). Aber jetzt ist die Renovie-    Auch innerhalb der vielen orientalischen      syrisch-katholische Exilgemeinde ge-
rung ein gutes Stück vorangekommen,          Christengemeinden gibt es immer wieder        gründet worden. Auf seiner Europareise
der Innenraum strahlt in frischen Farben.    unterschiedliche Meinungen. Während           war der Bischof auch dort zu Gast, er fei-
Auch allgemein habe sich die Lage der        etwa Bischof Boutros die Präsenz bewaff-      erte die Messe und spendete mehrere
Christen im verwundeten Land zwischen        neter christlicher Milizen ausdrücklich       Taufen. Denn egal wo: Das Leben muss
Euphrat und Tigris verbessert, sagte der     dafür lobt, dass sie die Christen beschüt-    weitergehen, irgendwie.

 Auch der Kongo brennt

Feuer in Afrika bedrohen zweitgrößten Regenwald

           DER BRENNENDE AMAZONAS            und für den Ackerbau be-
hat diesen Sommer viel Aufmerksamkeit        nutzt. Nach ein paar Jahren
erhalten. Deutlich weniger Anteilnahme       ziehen die Bauern weiter, das
spürten dagegen Mensch und Natur im          Feld kann sich erholen und
südlichen und zentralen Afrika. Wie Sa-      wächst wieder zu. Aber seit
tellitenaufnahmen der NASA von Anfang        der internationale Hunger auf Hölzer aus      die in einstmals unberührte Gebiete vor-
September 2019 belegen, brannten aber        Afrika steigt, gerät das Kongobecken als      dringen und immer weitere Schneisen
auch in Ländern wie Kongo, Sambia und        zweitgrößtes Regenwaldgebiet der Welt in      schlagen. Schwindet der Regenwald, dann
Angola weite Waldgebiete.                    immer größere Gefahr. Nach Angaben            breitet sich Trockenheit aus – was wie-
    Die Gründe liegen laut Umweltexper-      von Umweltschützern importiert allein         derum die Gefahr für Brände erhöht. Auf
ten vor allem in der übermäßigen indus-      China inzwischen 75 Prozent der indus-        der Grundlage der NASA-Bilder lassen
triellen Abholzung. Zwar gibt es auch die    triellen Holzproduktion Afrikas. Oft wer-     sich für die letzte Augustwoche 2019 über
traditionelle Art der Bewirtschaftung, auf   den die Bäume illegal abgeholzt und aus-      300 000 Brände lokalisieren – fast drei
Französisch als „Bruli“ bekannt. Dabei       geführt. Für industrielle Projekte braucht    Mal so viele wie in Brasilien und Boli-
werden bewaldete Flächen abgebrannt          es außerdem Straßen und Stromtrassen,         vien. A CHRISTIAN SELBHERR

                                                                                                                      missio      6/2019 |   11
NACHGEFRAGT BEI...

                                                              „Europa begeht
                                                                  Verbrechen
                                                                   gegen die
                                                              Menschlichkeit.“
                                                                            Herr Ziegler, Sie waren vor
                                                                kurzem auf der Insel Lesbos. Was haben
                                                                Sie dort beobachtet?
                                                                Die Situation der Flüchtlinge ist schreck-
                                                                lich. Carolin Willemen, die Missionsche-
                                                                fin von „Ärzte ohne Grenzen“ vor Ort,
                                                                sagt, die Leute werden gehalten wie Tiere.
                                                                Das kann ich auch so wiederholen. Und
                                                                zwar sowohl innen im offiziellen Camp,
                                                                wie außen in den Olivenhainen, wo es
                                                                noch schlimmer ist.
                                                                Was macht die Lage Ihrer Meinung nach
                                                                so dramatisch?
                                                                Erstens ist die Nahrungsmittelausgabe
                                                                völlig ungenügend. Moria war früher eine
                                                                Militärkaserne für 1200 Menschen. Jetzt
                                                                sind über 8 000 Menschen dort. Plus die
                                                                4 000 in den Olivenhainen. Die grie-
                                                                chische Regierung hat dem Verteidigungs-
                                                                ministerium die Nahrungsmittelzufuhr
                                                                übertragen. Die Generäle machen mit
                                                                privaten Cateringfirmen vom Festland
                                                                Verträge und bereichern sich dabei ganz
                                                                massiv. Beobachter sagen: Da muss mas-
                                                                siv Korruption im Spiel sein. Der frühere
                                                                Verteidigungsminister wurde sogar schon
                                                                wegen Korruption verhaftet.
                                                                Was bedeutet das im Ergebnis für die
                                                                Flüchtlinge, von denen ja bis zu 35 Pro-
Jean Ziegler, 85                                                zent Kinder unter zehn Jahren sind?
                                                                Mangelernährung. Ich bin acht Mal bei
   Man kennt ihn als leidenschaftlichen Streiter für die        der Nahrungsmittelausgabe dabei gewe-
   Unterdrückten in Afrika, Asien und Südamerika. In            sen, die einmal pro Tag stattfindet und bei
                                                                                                                Fotos: Joel Hunn / Neue Zürcher Zeitung, Pro Asyl

                                                                der man zwei bis drei Stunden Schlange
   seinen Büchern und Vorträgen fordert Jean Ziegler ein
                                                                stehen muss. Vier Mal haben die Men-
   Ende des Raubtierkapitalismus und der globalen               schen das Hühnerfleisch weggeworfen,
   Ungerechtigkeiten. Jetzt war der Schweizer Soziologe auf     weil es stank und verfault war.
   der griechischen Insel Lesbos und machte sich ein Bild       Welche weiteren Kritikpunkte sehen Sie?
                                                                Weil das eigentliche Lager überfüllt ist, le-
   von der Situation in den dortigen Flüchtlingslagern.         ben alle Neuankömmlinge seit Februar in
   INTERVIEW: CHRISTIAN SELBHERR                                den Olivenhainen nebendran. Da gibt es
                                                                keine Container, und keine UNO-Zelte,

 12   | missio    6/2019
sondern die Leute müssen sich behelfen         „DIE MENSCHEN WERDEN GEHALTEN WIE TIERE...
mit Planen, mit gespendeten Camping-
                                                           DESHALB MÜSSEN DIESE LAGER ENDLICH GESCHLOSSEN WERDEN.”..
zelten, mit dürren Ästen und so weiter,
und bauen sich ihren Unterstand selber.       Es ist eine Abschreckungsstrategie. Die       das Festland gebracht werden und von
Dort beginnt dann das lange Warten.           Hoffnung oder die Absicht der EU-Kom-         dort, wenn sie das Asylgesuch bewilligt be-
Nach Genfer UN-Flüchtlingskonvention          mission ist, den Flüchtlingsstrom zu          kommen, auf die 28 Mitgliedsländer der
hat jeder Mensch, der in seinem Heimat-       stoppen. Genau wie es Orban in Ungarn         EU aufgeteilt werden, wie es der Plan vom
land politisch, religiös oder ethnisch ver-   mit Mauern und Stacheldraht macht.            Beginn dieses Jahres ganz klar vorsieht.
folgt wird, das Recht, eine Grenze zu         Man hofft, dass sich die fürchterlichen       Auch wenn sich die osteuropäischen Staa-
überschreiten und im Nachbarland um           Bedingungen von Moria herumsprechen           ten weigern, daran teilzunehmen. Was bis
Schutz nachzusuchen. Also konkret: ein        unter den potentiellen Flüchtlingen und       jetzt geschehen ist – all das Leid, die Men-
Asylgesuch einzureichen. Das Einreichen       dass dann keine mehr kämen. Dass sie sa-      schenrechtsverletzungen, all die Toten –
eines Asylgesuches ist seit 1951 ein uni-     gen: „Da erwartet uns die Hölle.“             das ist der EU-Kommission unter Jean-
verselles Menschenrecht. Praktisch alle       Was fordern Sie?                              Claude Juncker anzulasten. Jetzt kann die
Staaten der Welt haben diese Konvention       Diese Lager müssen geschlossen werden.        neue EU-Kommission unter Ursula von
unterschrieben und ratifiziert. Hier fängt    Fristlos. Ich sage es noch einmal: Das        der Leyen sich entscheiden, ob sie diese
die Rechtsverweigerung an.                    Recht, ein Asylgesuch zu deponieren, ist      Verbrechen gegen die Menschlichkeit wei-
Inwiefern?                                    ein universelles Menschenrecht. Zur Ver-      terführen will. A
Das Asylgesuch wird geprüft von einer         letzung dieses Menschenrechtes kommen
sehr wenig bekannten europäischen In-         noch die Verletzungen all der individuel-
stanz: der EASO – „European Asylum            len Rechte, die in der Deklaration der
Support Office“. Diese EASO betreibt          Menschenrechte von 1948 aufgeführt sind:
eine reine Abschreckungspolitik. Sie lässt    Recht auf Nahrung, Recht auf adäquate
die Leute einfach schmoren und warten.        Behausung, Recht auf Gesundheit, Recht
Ich habe mit mehreren afghanischen Fa-        auf Schule, und so weiter und so weiter.
milien gesprochen. Eine Familie war am        Wenn die Rechte vieler, vieler Tausend
15. Februar 2019 registriert worden – und     Menschen verletzt werden, dann spricht
die erste Vorladung für die Prüfung des       man von einem Verbrechen gegen die
Asylgesuches ist am 20. Juli 2020 ange-       Menschlichkeit. Die Europäische Union
setzt. Das ist eine systematische Verwei-     begeht Verbrechen gegen die Menschlich-
gerung des Asylrechts!                        keit.
Mit welchen Konsequenzen?                     Ein harter Vorwurf.
Neben all den Krankheiten, die von feh-       Diese Strategie ist nicht nur moralisch
lender Hygiene kommen, führt dieses           verwerflich. Sie ist noch dazu politisch
lange, unsichere Warten zu großen psy-        auch völlig wirkungslos. Wenn Sie oder          DIE „HOT SPOTS“ IN GRIECHENLAND
chiatrischen Problemen. Die Selbstmorde       Ihre Familie bombardiert werden, in
                                                                                              Mit einer kleinen Delegation aus Vertretern von Hilfs-
häufen sich, auch Selbstverstümmelung –       Aleppo oder Idlib – denn es geht ja weiter,
                                                                                              organisationen wie „Pro Asyl“ und „medico internatio-
sogar unter Kindern.                          dieses fürchterliche Morden! – ob in Sy-
                                                                                              nal“ war Jean Ziegler im Mai 2019 mehrere Tage vor
Kinder, Alte und Schwerkranke gelten          rien, oder im Westen von Afghanistan,
                                                                                              Ort im Aufnahmezentrum Moria (Bild). Dort und in vier
doch eigentlich als „vulnerable per-          dann gehen Sie weg, was immer auch die
                                                                                              weiteren so genannten „Hot Spots“ auf den Inseln
sons“, und besonders schutzbedürftig.         Nachrichten aus Moria sind. Verstehen
                                                                                              Lesbos, Chios, Samos, Leros und Kos hoffen insgesamt
Sie haben das Sonderrecht, dass sie die       Sie? Da lassen Sie sich doch nicht ab-
                                                                                              mehr als 20 000 Menschen (Stand: August 2019), dass
Lager auf den Inseln verlassen und aufs       schrecken, denn es geht ja um Ihr Leben
                                                                                              sie auf das europäische Festland weiterreisen dürfen.
Festland weiterreisen dürfen. Nach Anga-      und das Leben Ihrer Familie.
                                                                                              Sie kommen aus Ländern wie Syrien, Afghanistan und
ben des Lagerkommandanten von Moria           Nun hat mit Ursula von der Leyen an
                                                                                              Irak, aber auch aus afrikanischen Krisenstaaten wie
sind etwa 3000 Menschen als „vulnerable       der Spitze gerade eine neue EU-Kom-
                                                                                              Kongo und Eritrea. Als Mitglied im Beratenden Aus-
persons“ anerkannt und registriert. Aber      mission ihre Arbeit aufgenommen. Was
                                                                                              schuss des UNO-Menschenrechtsrates nahm Jean
sie sind noch immer in den Lagern, weil       erhoffen Sie sich?
                                                                                              Ziegler vor allem die rechtliche Lage der Flüchtlinge in
es auf dem Festland an Aufnahmebedin-         Jetzt ist eine Gelegenheit. Jetzt müssen
                                                                                              den Blick. Er gab dem Menschenrechtsrat die Empfeh-
gungen fehlt.                                 diese Lager, diese fünf „Hot Spots“, und
                                                                                              lung, die Schließung der „Hot Spots“ zu fordern.
Wie bewerten Sie die Rolle, die die Eu-       vor allem der wichtigste auf Lesbos, ge-
                                                                                              Jean Zieglers UN-Mandat endet im Herbst 2019.
ropäische Union hier insgesamt spielt?        schlossen werden und die Flüchtlinge auf

                                                                                                                      missio       6/2019 |   13
VOR ORT RUANDA

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Im Plastikwald von Kigali
    Während in Deutschland und Europa noch über ein Verbot von Plastiktüten
    diskutiert wird, ist Afrika schon weiter. Als erstes Land des Kontinents hat
    Ruanda 2005 ein Verbot durchgesetzt. Ein Besuch bei Herrn Habamungu in
    Kigali, einem Mann der ersten Stunde.
    TEXT: BARBARA BRUSTLEIN | FOTOS: JÖRG BÖTHLING

                                                               missio   6/2019 |   15
VOR ORT RUANDA

                                                                         DER ERSTE EINDRUCK ist, dass
                                                              hier etwas angebaut wird. Vielleicht eine
                                                              Pflanze, die so zart ist, dass sie unter Pla-
                                                              nen geschützt werden muss? Die Folien
                                                              flattern im Wind. Milchiges Plastik, auf
                                                              das die Sonne Kigalis an diesem Vormit-
                                                              tag mit zunehmender Kraft scheint. Von
                                                              Zeit zu Zeit kommt jemand, grüner Ar-
                                                              beitsanzug, Gummistiefel, Machete in der
                                                              Hand, nimmt die Plastikfahnen prüfend
                                                              in die Hand, schneidet sie ab.
                                                                 Hier, 15 Kilometer vom Zentrum
                                                              Kigalis, der Hauptstadt Ruandas, wird
                                                              nichts angebaut. Hier flattert im Wind,
                                                              was das 20. und das 21. Jahrhundert als
                                                              Hauptmerkmal haben. Was vor kaum ei-
Geschreddertes Plastik wird zu Plastikschnüren verarbeitet.   nem Flecken der Welt Halt macht. Und
                                                              was Ruanda mit aller Macht, die das
                                                              kleine hügelige Land in Ostafrika auf-
                                                              bringen konnte, schon 2005 eingedämmt
                                                              hat: Plastik.
                                                                 In Deutschland und anderswo geht die
                                                              Jugend auf die Straßen, weil sie genug hat
                                                              von der Wegwerfgesellschaft, die die Um-
                                                              welt und die Gesundheit der Menschen
                                                              gefährdet. In den Körpern von Kleinkin-
                                                              dern wurden laut einer jüngst veröffent-
                                                              lichten Studie Plastikrückstände, vor al-
                                                              lem von Weichmachern, gefunden. In den
                                                              Meeren schwimmt der Müll, die Indus-
                                                              trieländer exportieren ihn in die ärmeren
                                                              Teile der Welt, um das Problem vor der
                                                              eigenen Haustür unsichtbar zu machen.

                                                              Saubermann Afrikas
                                                              Doch in Ruanda ist das anders. Das kleine
                                                              Land, das von der Fläche her Rheinland-
                                                              Pfalz gleicht, hat sich seit anderthalb
                                                              Jahrzehnten den Titel „Saubermann Ost-
                                                              afrikas“ verdient. Die Straßen der Haupt-
                                                              stadt sind sauberer als die Berlins oder
                                                              Münchens. Und das in Afrika, in einem
                                                              Land, wo Kinder in den Dörfern noch
                                                              mangelernährt sind, wo im Bildungs-
                                                              und Gesundheitssektor noch Luft nach
                                                              oben ist, wo manches im Argen liegt.
                                                              Aber dem Dreck und der Verschwendung
                                                              hat sich Ruanda entgegengestellt. Und
                                                              Wenceslas Habamungu ist einer von de-
                                                              nen, die das von Anfang an vorange-
                                                              bracht haben.
                                                                 Die Maschine, neben der er steht,
                                                              kommt aus Indien. „Maschinen aus Süd-
                                                              korea und Indien können wir uns hier

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Tonnenweise Müll: Lastwägen liefern den Abfall an, dann wird er nach Plastikarten und Verschmutzungsgrad sortiert.

leisten“, sagt der Chef von Ecoplastic, ei-    handschuhen, die teils rissig sind. In Ba-
ner Recyclingfirma für Plastik mit 80          dewannen tauchen sie das Plastik ein, da-        WENCESLAS HABAMUNGU:
Mitarbeitern. „Der Anfang war schwer.          mit das Reinigungsmittel Rückstände              „Der Anfang war schwer. Die Banken
Die Banken wollten mir keine Kredite ge-       und Schmutz von den Folien wegätzt.              wollten mir keine Kredite geben. Sie
ben. Sie fragten: Unsere Regierung schafft     Egal, wie der Wind dreht, immer bringt           fragten: Wie soll das eine Zukunft haben?“
Plastiktüten ab und Sie wollen eine Firma      er Gerüche von Fäulnis. Ein schöner Job
gründen, die Plastik recycelt? Wie soll das    ist das wahrlich nicht.
eine Zukunft haben?“ Herr Habamungu                Doch Muela Medidrie, die an einer die-
ging also los, um das Gegenteil zu bewei-      ser Wannen sitzt und die Folien in der
sen: Plastiktüten waren verboten worden,       Lauge knetet, ist froh darum. „Ich habe mit
nicht aber die vielen anderen Polyethy-        der Schule aufgehört, weil zu Hause kein
lene, die überall im Einsatz sind. „Ich        Geld da war“, erzählt die 20-Jährige. „Na-
sammelte selbst den Müll der Kliniken,         türlich wünschte ich, dass mein Weg an-
der Restaurants, aus den Tonnen. An Ab-        ders wäre, dass ich lernen könnte. Aber wir
fall mangelte es wirklich nicht.“ Schließ-     hier sind alle auf Arbeit angewiesen und
lich ließen sich die Banker überzeugen         ich bin dankbar, sie gefunden zu haben.“
und Habamungu fand diesen Ort, an dem              Genauso geht es Jean-de-Dieu, einem
der Grund günstiger war als im boomen-         22-Jährigen, der heute im Plastikwald
den Zentrum Kigalis. Und wo sich die           prüft, ob das Material getrocknet ist, da-
Nachbarn weniger am Gestank und am             mit es weiterverarbeitet werden kann.
Dreck störten, den das Recycling von           „Ich arbeite lieber an den Maschinen,
Plastik eben mit sich bringt.                  aber wir helfen hier, wo immer es nötig
    Nur ein paar Meter vom Plastikwald         ist“, sagt er. „Ich möchte unbedingt wei-
entfernt sitzt eine Reihe von Frauen.          ter hier arbeiten“, sagt er rasch, um einige
Hände und Arme stecken in Gummi-               Sekunden später nachzufragen, ob es

                                                                                                                     missio    6/2019 |   17
VOR ORT RUANDA

Wiegen und Sortieren: Die Recyclingfirma Ecoplastic liegt 15 Kilometer vom Zentrum Kigalis entfernt und beschäftigt 80 Mitarbeiter.

                                                           denn Chancen gebe, ins Ausland zu ge-           USA und Europa durch eine blitzsaubere
                                                           hen, ein anderes Leben zu führen. Von 8         Hauptstadt kutschiert werden. Dass man
                                                           Uhr bis 17 Uhr arbeiten die Angestellten        mit harter Hand durchgreifen muss,
                                                           hier, wie ein Bürojob, nur ist es keiner.       wenn man in einem Umfeld von Krisen-
                                                           Die Chemikalien machen nach einer               ländern derartige Fortschritte erzielen
                                                           Weile krank, das wissen hier alle, und die      will, ist ein offenes Geheimnis, das dann
                                                           Plastikpartikel, die die Arbeiter einatmen,     gerne übersehen wird. Und auch die
                                                           sind Gift für die Lungen. Aber was tun?         Legende vom landesweiten Fortschritt
                                                           In diesem Vorort der Hauptstadt muss            glaubt nicht, wer einmal in die Dörfer
                                                           man nehmen, was kommt. Und Herr                 fährt. Aber die Reichen und Mächtigen
                                                           Habamungu ist ein guter Chef, er zahlt          tun das nicht, sie bleiben auf der Route,
                                                           korrekt, 45 Euro im Monat verdienen die         die sie sehen sollen.
                                                           Arbeiter hier, das ist nach örtlichen Ge-          Das, was die Müllsammler aus den
                                                           gebenheiten in Ordnung.                         Einrichtungen und Straßen sammeln,
                                                                                                           wird nach Farben und Arten von Plastik
                                                           Verträge mit Kantinen und Plantagen             getrennt und von Hand in den Laugen
                                                           Das Plastik kommt in großen Lastwägen           der Badewannen vorgereinigt. „Das hätte
                                                           an der Fabrik an. Herr Habamungu hat            ich gerne maschinell“, sagt Habamungu.
                                                           Verträge mit Kantinen, Teeplantagen und         „Das ist der Teil der Arbeit, den ich den
                                                           Kliniken, denen er regelmäßig ihre Ab-          Leuten nicht so gerne zumute.“ Dann
                                                           fälle abnimmt. Zusätzlich sind fast 40          trocknen die gereinigten Teile im Plastik-
                                                           junge Leute für ihn im Einsatz, die Haus-       wald, bevor eine Maschine sie zu Puder
                                                           müll sammeln. Im Sinne von Ruandas              schreddert, das Rohmaterial bei 200 Grad
                                                           Regierung ist das gewiss: Dem interna-          geschmolzen, in ein Wasserbad zur Küh-
                                                           tionalen Renommee, das sich das Land            lung geleitet, nochmals auf Reste von Ver-
                                                           durch Hightech und Offenheit für Inves-         unreinigungen gefiltert und schließlich
                                                           toren verdient hat, ist es zuträglich, dass     zu Plastikspaghettis geformt wird. Zuletzt
                                                           Wirtschaftsleute und Politiker aus den          werden sie Plastikfolien, die Herr Haba-

     18    | missio       6/2019
Arbeiterinnen reinigen das Plastik in Badewannen. Dann wird es zum Trocknen im Freien aufgehängt.

mungu für 3000 ruandische Francs pro
Kilo verkauft. Sein Einkaufspreis liegt bei
250 Francs pro Kilogramm.
   Zwar hat Ruanda Plastiktüten ge-
bannt, aber andere Formen von Plastik-
verpackung sind nach wie vor nötig. „Bei
den Lebensmitteln zum Beispiel“, erklärt
der Firmenchef. „Fleisch und Fisch kön-
nen Sie kaum anders verpacken.“ Das gilt
für viele Produkte, die unverpackt Scha-
den nehmen oder verderben würden.
Und so ist das Tütenverbot ein erster,
aber wichtiger Schritt. Vor allem aber ein
Schritt, den Afrika vor anderthalb Jahr-
zehnten gegangen ist, während Europa
noch diskutiert.

Kein Recycling für Plastikflaschen
Plastikflaschen etwa werden nach wie vor
nicht recycelt. Sie sind allgegenwärtig, be-
tont Habamungu. Er selbst musste sich in
das Recyclinggeschäft von Grund auf ein-
arbeiten. Er hatte bei UNICEF gearbeitet,
danach in einem weltweiten Konzern. Als
die Regierung seines Landes aber anfing,
den Umweltschutzgedanken in ernst zu
nehmender Weise voranzubringen, kam
ihm die Idee. „Wir haben hier in Ruanda
VOR ORT RUANDA

                                                                                      Die Maschinen zur Weiterverarbeitung des Plastiks
                                                                                      stammen aus Indien und Südkorea.

 Das Müllproblem in Deutschland
                  Mehr als zwei Milliarden Tonnen Haus- und Gewerbemüll            Abfall verschifft wird, verfügen allerdings oft über man-
                  werden weltweit jährlich produziert. Prognosen gehen             gelhafte Recyclinginfrastrukturen und geringe Umwelt-
                  davon aus, dass die Zahl Mitte des 21. Jahrhunderts bei          standards. Der Müll, der eigentlich recycelt werden sollte,
                  3,4 Milliarden Tonnen liegen wird, wenn es nicht zu einem        wird verbrannt oder einfach deponiert.
                  weltweiten Umdenken kommen sollte. Weltweit betrach-             Deutschland exportiert seinen Müll vor allem nach Süd-
                  tet verantwortet jeder Mensch täglich fast ein dreiviertel       ostasien. Jährlich sind das über eine Million Tonnen Plas-
                  Kilogramm Abfall. Die Unterschiede zwischen Industrie-           tikabfälle, ein Sechstel des gesamten Plastikmülls, der in
                  und Entwicklungsländern sind dabei enorm, wobei die              der Bundesrepublik anfällt.
                  reichen Länder den Großteil des Mülls produzieren.               Seit China den Müllimport gedrosselt hat, geht deutsches
                  Wenn Verpackungsmüll aus Deutschland exportiert wird,            Plastik vor allem nach Malaysia, Indonesien und Indien.
                  ist er bereits als recycelt deklariert. Die Länder, in die der   Auch in die Niederlande wird unser Müll exportiert. Der

 20   | missio   6/2019
etwas Besonderes: Einmal pro Monat            pflichtende Abgabe. Aber immerhin hat
widmen wir einen Arbeitstag der ge-           sie die Zahl von fünf Milliarden Plastik-
meinsamen Sache. Von Anfang an war            tüten um die Hälfte gesenkt. Gerade Län-
der Fokus darauf, gemeinsam Plastik zu        der, die von Tourismus leben oder vom
sammeln. Da ist in mir der Gedanke ge-        Fischfang, realisieren immer mehr die Be-
reift, Ecoplastic zu gründen.“                deutung einer intakten Umwelt: So hat
   Weltweit haben 127 Länder Gesetze          Ägypten kürzlich nicht nur Plastiktüten,
zur Regulierung von Plastiktüten einge-       sondern Strohhalme, Geschirr und Be-
führt. Führend ist der afrikanische Kon-      steck aus Kunststoff verboten, um das
tinent: 34 der 55 afrikanischen Länder        Rote Meer zu bewahren. Senegal, an des-
haben Plastiktüten abgeschafft oder re-       sen Strände Touristen kommen, hat
guliert. Ruanda war dabei Vorreiter. Das      schärfere Gesetze eingeführt. Und Ma-
Plastiktütenverbot gilt dabei für jeden:      lawi kämpft mit einem Plastikverbot ge-
Schon bei der Einreise am Flughafen von       gen Mikropartikel im Malawisee.
Kigali muss man die Duty-free-Tüte, in           Oft haben die afrikanischen Stadtver-
der die Flasche Wein transportiert wurde,     waltungen nicht die finanziellen Mittel,
oder die in Plastikbeutelchen verpackten      um Recyclinghöfe einzurichten. Hier sind
Dinge im Koffer abgeben. Für die Einhei-      es private Geschäftsleute wie Herr Haba-
mischen zieht es harte Strafen nach sich,     mungu, die mit Risikobereitschaft und            Das ostafrikanische Ruanda und seine Hauptstadt Kigali
Müll ordnungswidrig zu entsorgen. Da-         Eigeninitiative die Lücken schließen. Bei        zählen zu den saubersten Orten Afrikas.
rum gilt Kigali als sauberste Großstadt       Ecoplastic werden aus dem Müll neue Fo-
Afrikas.                                      lien, die zum Beispiel verwendet werden,
   Das Beispiel Ruandas müsste aber           Setzlinge von Bäumen zu schützen.
weltweit befolgt werden: Nach Schätzun-          Ob ihm die Arbeit eines Tages ausge-
gen der Vereinten Nationen werden welt-       hen wird, wenn weitere gesetzliche Rege-
weit jedes Jahr fünf Billionen Plastiktüten   lungen folgen? Habamungu winkt ab:
in Umlauf gebracht. Auch in Deutschland       „Nein, da brauche ich mir keine Sorgen
kommen die Dinge nicht recht in Gang:         zu machen. Alles, was wir Menschen tun,
Auf Plastiktüten gibt es eine nicht ver-      jede Aktivität produziert Müll“, sagt er. A

deutsche Naturschutzbund geht davon aus, dass diese          ten trauern die alten Menschen den Landschaften ande-
Abfälle nicht in Europa bleiben, sondern ebenfalls auf an-   rer Zeiten nach, die jetzt von Abfällen überschwemmt
dere Kontinente verschifft werden.                           werden.“
Klassische Verpackungskunststoffe wie Polyethylen,           Das Problem, folgert Franziskus, sei eng mit der Weg-
Polypropylen und Polystyrol machten den Großteil des         werfkultur verbunden. „Wir brauchen eine Politik, deren
ausgeführten Abfalls aus. Umweltorganisationen wie           Denken einen weiten Horizont umfasst und die einem
Greenpeace Malaysia weisen darauf hin, dass das süd-         neuen, ganzheitlichen Ansatz zum Durchbruch verhilft, in-
ostasiatische Land nicht nur als Müllkippe für deutsche      dem sie die verschiedenen Aspekte der Krise in einen in-
Abfälle dient. Auch die USA, Japan und Australien expor-     terdisziplinären Dialog aufnimmt. Oft ist die Politik selbst
tierten große Mengen Müll in das Land. Der deutsche          für den Verlust ihres Ansehens verantwortlich. (...) Poli-
Naturschutzbund fordert daher etwa, dass Plastikmüll-        tik und Wirtschaft neigen dazu, sich in Sachen Armut und
gemische nicht mehr in Länder mit niedrigen Recycling-       Umweltzerstörung gegenseitig die Schuld zuzuschieben.“
standards exportiert werden dürfen.                          Dass die Plastikkrise, die insbesonders die Vermüllung
Einen der eindringlichsten Fürsprecher hat der Umwelt-       der Meere zur Folge hat, lösbar ist, betont Joachim Wille,
gedanke in Papst Franziskus, der mit seiner Umwelt-En-       Chefredakteur des Online-Magazins Klimareporter: „Vo-
zyklika „Laudato si“ weltweite Diskussionen und vor al-      raussetzung wäre der Aufbau funktionierender Sammel-
lem Engagement ausgelöst hat.                                und Recyclingsysteme für den Plastikabfall in Entwick-
„Die Erde, unser Haus“, schreibt der Papst aus Argenti-      lungsländern – in den armen Staaten werden der Welt-
nien, „scheint sich immer mehr in eine unermessliche         bank zufolge bisher rund 90 Prozent des Abfalls einfach
Mülldeponie zu verwandeln. An vielen Orten des Plane-        weggeworfen oder ungeordnet verbrannt.“

                                                                                                                       missio     6/2019 |   21
MISSIO RECHENSCHAFTSBERICHT 2018

        Vor Ort die Welt verändern
         missio München unterstützt Projektpartner mit über 12 Millionen Euro

                    „Es braucht Glauben und Zuversicht, um Menschen
                    dort beizustehen, wo sie in ihrer Not von allen
                    anderen verlassen wurden – sei es seelisch, materiell,
                    humanitär oder ökologisch. missio München ist an
                    der Seite dieser Menschen.“
Reinhard Kardinal Marx, Vorsitzender des Zentralrates von missio München

                                  missio München hat im Jahr 2018 insgesamt         unter anderem, dass missio München mit den anver-
                         958 Projekte in 53 Ländern mit 12 300 177,45 Euro          trauten Geldern sorgfältig und verantwortungsvoll um-
                         gefördert. Das geht aus dem Geschäftsbericht für das       geht, transparent arbeitet und sparsam wirtschaftet.
                         Jahr 2018 hervor. Über die Hälfte der Summe ging an
                         Länder in Afrika.                                          In Afrika ging die größte Summe 2018 mit 1 395 412,78
                                                                                    Euro wie bereits im Vorjahr nach Burkina Faso. Nach
                         missio-Präsident Monsignore Wolfgang Huber dankt           Äthiopien, dem Beispielland im Monat der Weltmission,
                         allen Spendern und Förderern. „Nur durch die Hilfe         flossen 516 064,80 Euro. In Asien wurden unter ande-
                         unserer Unterstützer können wir das Netzwerk der           rem Projekte in Indien mit insgesamt 2 182 199,02 Euro
                         katholischen Kirche in Afrika, Asien und Ozeanien          gefördert. Auf den Philippinen erhielten Projektpartner
                         nachhaltig stärken und so für die Menschen vor Ort         789 820,45 Euro. In Ozeanien hat Papua-Neuguinea mit
                         wirkliche Perspektiven schaffen.“                          40 181,88 Euro die größte Fördersumme erhalten.

                         Der Vorsitzende des Zentralrates von missio München,       Zugleich legte missio München den Rechenschaftsbe-
                         Kardinal Reinhard Marx, betont: „Es braucht Glauben        richt der Solidaritätsaktion „Priester helfen Priestern in
                                                                                                                                                 Fotos: Jörg Böthling (3), Erzbistum München und Freising, missio

                         und Zuversicht, um Menschen dort beizustehen, wo sie       der Mission“ (PRIM) vor. Mit mehr als 1,7 Mio. Euro
                         in ihrer Not von allen anderen verlassen wurden – sei es   haben Priester in Deutschland 2018 ihre Mitbrüder in
                         seelisch, materiell, humanitär oder ökologisch. missio     Afrika und Asien unterstützt. 8493 Priester in 23 Län-
                         München ist an der Seite dieser Menschen.“                 dern erhielten eine einmalige Unterhaltshilfe von je
                                                                                    200 Euro.
                         Sowohl die missio-Partner vor Ort als                      Den aktuellen Jahresbericht zum Download
                         auch das jährlich verliehene Spendensie-                   finden Sie unter folgendem Link:
                         gel des Deutschen Zentralinstituts für So-                 www.missio.com/ueber-uns/missio-transparent
                         ziale Fragen (DZI) bürgen dafür, dass die
                         missio-Spenden dort ankommen, wo sie                       Bestellung der gedruckten Version unter 089/5162-611
                         am nötigsten sind. Das DZI-Siegel belegt                   oder redaktion@missio.de

  22     | missio      6/2019
EINNAHMEN GESAMT: 25 588 840,55€                 AUSGABEN GESAMT: 25 588 840,55 €

BEWILLIGTE PROJEKTMITTEL NACH KATEGORIEN: 12 300 177,45 € – ANZAHL DER PROJEKTE 958

                                                                            missio    6/2019 |   23
BLICKWECHSEL DEUTSCHLAND

      Eine Welt – zwei Visionen
                 „ICH GLAUBE, dass                                                                        sumdenken und ausbeuteri-
     viele junge Menschen wütend                                                                          schen Kapitalismus zur Mas-
     sind“, sagt Daniel Köberle.                                                                          senbewegung der Jugend von
     Er sitzt in seinem Büro in                                                                           heute geworden. „Für jugend-
     einem Münchner Hinterhaus,                                                                           politische Themen braucht es
     erdgeschossig, das Fenster gibt                                                                      immer ein Momentum“, sagt
     den Blick auf einen von Bäu-                                                                         Köberle. „Nun ist es da.“ Ein
     men umrahmten Fahrradstän-                                                                           wenig ernüchternd sei es zwar,
     der frei. „Die jungen Menschen                                                                       dass sein Verband jahrelang
     sind wütend darüber, dass Po-                                                                        für die Sache gekämpft und in
     litik nur Lösungen anbietet, die                                                                     mühsamer Kleinarbeit Erfolge
     Kompromisse sind“, sagt er.                                                                          erzielt habe, nun aber, uner-
     „Und darüber, dass ihnen Poli-                                                                       wartet und plötzlich, Bewe-
     tiker zugleich den Vorwurf ma-                                                                       gung in die Sache komme.
     chen, nur verkopfte Idealisten                                                                       „Vor allem bin ich aber froh
     zu sein.“                                                                                            darüber. Denn das, was pas-
         An der Innenseite seiner Bü-                                                                     siert, ist ungeheuer wichtig.“
     rotür hängen sie alle in Plakat-                                                                        Köberle selbst unterzieht
     form: Minister und Staatsse-                                                                         sein eigenes Leben regelmäßig
     kretäre der CSU und der Grü-                                                                         einem kritischen Blick in Hin-
     nen. „Die SPD hat kein Plakat,                                                                       sicht auf sein Umweltverhal-
     sonst wäre sie selbstverständ-                                                                       ten: Er besitzt kein Auto, isst
     lich dabei“, sagt Köberle. Für                                                                       nur einmal in der Woche
     ihn sind die abgebildeten Ge-                                                                        Fleisch und will nur einmal
     sichter wichtige Zielpersonen                                                                        pro Jahr eine Flugreise antre-
     für die Anliegen des Jugendver-                                                                      ten: „Allerdings kommt man
     bandes. „Die Herabsetzung des
     Wahlalters ist unser Thema“,
                                          Daniel Köberle                                                  da ehrlich gesagt auch an seine
                                                                                                          Grenzen. Heißt das dann,
     sagt er. „Da bin ich mir voll-            Landesvorsitzender der katholischen Jugend wenn man beruflich fliegen
     kommen sicher, dass wir bald                                                                         musste, auf die private Reise
     den Durchbruch erleben. Das wird auch Zeit!“, sagt er. „Wir verzichten zu müssen?“
     können uns nicht leisten, junge Menschen weiterhin von der            Vielleicht sind auch solche Fragestellungen der Grund dafür,
     Teilhabe an politischen Entscheidungen, die sie am längsten be- dass Köberle überzeugt ist: „Die Zeit der freiwilligen Selbstver-
                                                                        pflichtungen ist vorbei. Ganz offensichtlich hilft es nicht, nur
   „ANGESICHTS DES KLIMAWANDELS DRÄNGT DIE ZEIT.“
                                                                        zu appellieren.“ Manche Dinge müssten teurer werden, um
     treffen werden, auszuschließen“, betont Köberle. Er selbst sei ei- Qualität zu fördern. „Angesichts des Klimawandels drängt die
     gentlich zu alt für das, was er in diesem Hinterhofbüro tut, sagt Zeit.“ Köberle erzählt, er habe mit 15 Jahren die Jugendver-
     er verschmitzt: Köberle ist Landesvorsitzender des Bundes der bandsarbeit kennengelernt. „Da hat sich mir eine neue Welt auf-
     deutschen katholischen Jugend (BDKJ) in Bayern.                    getan.“ Wenn junge Leute Verantwortung übertragen bekom-
         Gerade sind die Themen, für die sich der BDKJ seit Jahren men, dann mache das etwas mit ihnen, sagt er. „Ich bin jetzt 32
                                                                                                                                            Fotos: BDKJ, Steffi Seyferth

     und Jahrzehnten einsetzt, in aller Munde: Der Erhalt der Schöp- und habe eine Entwicklung in meinem Glauben gemacht.
     fung, das Streben nach Nachhaltigkeit und der Gedanke des kri- Gleichzeitig habe ich Anfragen an meine Kirche“, sagt er. „Wenn
     tischen Konsums sind Kernanliegen des katholischen Jugend- man diesen Job macht, dann sieht man aber: Die auf der ande-
     verbands. Mit Greta Thunberg und den „Fridays for future“ ren Seite, die Bischöfe und Würdenträger, sind auch nur Men-
     sind das Engagement für die Umwelt, der Protest gegen Kon- schen, die um Positionen ringen.“ A BARBARA BRUSTLEIN

 24   | missio     6/2019
Der Wunsch nach einer besseren Welt treibt sie an:
                                 Daniel Köberle (32), der sich um die Zukunft des Planeten sorgt, und Martin
                                 Pilgram (65), der sich seit seiner Jugend für eine friedlichere Welt einsetzt.

           „WENN MAN sich bei                                                                      flikten und Fluchtbewegungen.
uns umschaut, sind viele alt ge-                                                                   Dass die Jugend früher politi-
worden“, sagt Martin Pilgram                                                                       scher war, glaubt er nicht. Eher
und lacht. Er ist Diözesanvor-                                                                     war es eine Frage, wo und in
sitzender der katholischen Frie-                                                                   welchen Kreisen jemand ver-
densbewegung „Pax Christi“                                                                         kehrte. Wenn er sich an seine
und hat an diesem verregneten                                                                      Studienzeit in Kaiserslautern
Vormittag in sein Haus in Gil-                                                                     erinnert, erzählt Pilgram von
ching eingeladen. Heute ist er                                                                     politischen Diskussionen und
65 Jahre alt und er engagiert                                                                      Polizeiaktionen gegen Studen-
sich noch immer für den                                                                            ten. Als er dann nach Mün-
Frieden auf der Welt. Seit den                                                                     chen wechselte, dachte er: „Was
1980er Jahren schon.                                                                               ist denn das für eine Uni? So
    „In meiner Anfangszeit war                                                                     sauber!“
das Thema Nachrüstung ganz                                                                             Als Christ fühlt er sich ver-
groß“, sagt er. Als Kriegsdienst-                                                                  pflichtet, sich einzumischen –
verweigerer ging Pilgram da-                                                                       auch politisch. Eine Kirche, die
mals gemeinsam mit hundert-                                                                        einen Platz in der Gesellschaft
tausend anderen auf die Straße                                                                     will, müsse Stellung beziehen,
und protestierte in der damali-                                                                    findet Pilgram. Bei ihrem En-
gen Hauptstadt Bonn gegen                                                                          gagement für Geflüchtete sei
das atomare Wettrüsten.                                                                            das gut gelungen.
    Abrüstung und Waffenex-                                                                            Pilgram, der bis zu seinem
porte stoppen – das sind heute                                                                     Ruhestand als Diplom-Mathe-
noch immer seine Kernanlie-                                                                        matiker beim Deutschen Zen-
gen. „Wenn man Waffen in ein                                                                       trum für Luft- und Raumfahrt
Krisengebiet liefert, werden sie
dort sicher nicht in den
                                  Martin Pilgram                                                   in Oberpfaffenhofen gearbeitet
                                                                                                   hat, hat noch immer die Vision
Schrank gestellt“, sagt er. „Wä-                Diözesanvorsitzender von „Pax Christi“ von einer besseren Welt: von
ren wir nicht so laut geworden,                                                                    einer friedlicheren und gerech-
dann würden wahrscheinlich immer noch Rüstungsexporte di- teren. Wenn er es für angebracht hält, geht er auch heute noch
rekt in den Jemen fließen.“ Seine Devise ist: Man muss an einer auf die Straße. So wie zuletzt zwischen der amerikanischen und
Sache dran bleiben, um Erfolge zu erzielen. „Politik ist nicht so russischen Botschaft, als die beiden Staaten den INF-Vertrag
starr, wie sie nach außen wirkt und Wähler sind auf jeden Fall über nukleare Abrüstung im Mittelstreckenbereich endgültig
ein Druckmittel“, sagt er. „Beharrlichkeit ist das Wichtigste!“. aufkündigten.
Und das rät er auch den jungen Leuten von heute, die sich die
                                                                     „WAFFEN WERDEN NICHT IN DEN SCHRANK GESTELLT.“
Klimafrage zum großen Thema ihrer Generation gemacht
haben. Pilgram findet es gut, wenn sich Organisationen wie           Doch seinen größeren Einfluss sieht er heute woanders: Seit
„Fridays for Future“ bilden, aber er ist auch der Meinung, dass drei Jahren sitzt Pilgram für die Grünen im Gilchinger Gemein-
es nicht reiche, nur auf Demonstrationen zu gehen. „Es ist ein derat. „Aus Versehen“ ist er dort reingerutscht, wie er sagt. Als
Mittel“, sagt er. Doch gerade in der Umweltfrage müsse jeder Parteiloser stand er auf der Nachrückerliste der Grünen. Als er
auch seinen eigenen Lebensstil hinterfragen.                      dann tatsächlich zum Zug kam, trat er der Partei bei und setzte
    Wenn Pilgram mit seiner Frau in den Urlaub fährt, nimmt er auch gleich Akzente: Als eine seiner ersten Amtshandlungen ver-
möglichst den Zug. „Natürlich beschäftigt mich der Klimawan- fasste er ein eigenes Kapitel für das aktuelle Landtagswahlpro-
del“, sagt er. Schließlich sei dieser auch ein Auslöser von Kon- gramm – natürlich zum Thema Frieden. A STEFFI SEYFERTH

                                                                                                                missio      6/2019 |   25
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