Sozial - Paritätischer SH
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sozial DIE MITGLIEDERZEITSCHRIFT DES PARITÄTISCHEN SCHLESWIG-HOLSTEIN #1/22 Am 3. März 2022 demonstrierten in Kiel über 1000 Menschen gegen den Krieg in der Ukraine. Schwerpunkt „Landespolitik“ Paritätische Perspektiven Seite 4 Suchthilfe in SH Seite 10 Rechte Angriffe gegen soziales Engagement Seite 28
Auszeichnung Editorial Wir freuen uns über die Auszeichnung beim International Creative Media Award: Aus 406 Arbeiten aus 21 Ländern wurde das Magazin sozial – die Mitgliederzeitschrift des PARITÄTISCHEN Schleswig-Holstein in der Kategorie ,,Magazine, Typographie/Layout‘‘ ausgewählt und mit Bronze ausgezeichnet! Danke an alle Beteiligten für die gute Zusammenarbeit! Liebe Leser*innen, seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs am 24. Februar stockt uns allen der Atem ob der schrecklichen Bilder und beunruhigenden Nachrichten, die uns fast stündlich von dort erreichen. Der Krieg ist nicht nur geografisch nah, sondern hat auch unmittelbare Auswirkungen auf unser Leben hier in Deutschland – und damit sind nicht ausschließlich die gestiegenen Energie- und Lebenshaltungskosten gemeint, die viele Menschen in unserer Gesellschaft in die Existenz- angst treiben. Bundeskanzler Olaf Scholz sprach in seiner Regierungserklärung im Februar von einer ,,Zeitenwende‘‘ und kündigte gravierende Veränderungen für die deutsche Verteidigungs- und Energiepolitik an. Der Etat für die Bundeswehr wird durch ein Sondervermögen massiv aufge- stockt, rasch sollen zwei neue Terminals für Flüssiggas errichtet werden und im März reiste Wirt- schaftsminister Robert Habeck nach Katar, um die Türen für neue Energiegeschäfte zu öffnen – ob dies neben einer Unabhängigkeit von russischem Gas zu neuen Problemen führen wird, bleibt abzuwarten. Was bei dieser Zeitenwende – man möchte schon zynisch sagen: wie gewohnt – fehlt, ist der Blick auf das Soziale. Zwar erleben wir in diesem Jahr erneut eine beispiellose Willkommens- kultur und Hilfsbereitschaft innerhalb der deutschen Bevölkerung gegenüber den Ukrainer*innen, doch wir werden den Migrations- und Fluchtbewegungen auf dieser Welt nicht allein mit freiwil- ligem Engagement, Turnhallen und gespendeter Kleidung begegnen können. Laut UNHCR befinden sich derzeit 82,4 Millionen Menschen auf der Flucht, verantwortlich dafür sind der Klimawandel und Kriege. In Schleswig-Holstein wurden in den letzten zwei Jahren 8.113 Geflüchtete aufgenommen; es ist davon auszugehen, dass in den kommenden Monaten Bildverzeichnis Impressum mehrere Tausend Menschen aus der Ukraine hinzukommen werden. Das ist für uns alle, für Land, Kommunen und Wohlfahrt, eine große Herausforderung, der Titelfoto: © Tim Kirchhof Herausgeber wir nur in gemeinsamer Verantwortung begegnen können. Alle Bereiche der Daseinsvorsorge und Seite 3: © Neumünster Medien e.V. Der PARITÄTISCHE Schleswig-Holstein e.V. Sozialen Arbeit sind hier gefragt, neben den Migrationsfachdiensten insbesondere Kitas und die Seite 13: © ASB Landesverband Schleswig-Holstein e.V. Geschäftsführender Vorstand: Michael Saitner Kinder- und Jugendhilfe. Denn – und das wird in der öffentlichen Wahrnehmung leider oft verges- Seite 23: © ZEBRA e.V. Zum Brook 4 sen – ein improvisierter Schlafplatz und regelmäßige Mahlzeiten reichen bei Weitem nicht aus. Seite 26: © KIBIS Flensburg 24143 Kiel Zu uns kommen Familien, die Kita- und Schulplätze benötigen, psychosoziale Beratung, Seite 31: © Timo Wilke / Studentenwerk SH https://paritaet-sh.org Sprachkurse, gesundheitliche Versorgung, bedarfsgerechten Wohnraum – all das, was man für Alle weiteren Fotos & Abbildungen: © PARITÄTISCHER SH ein menschenwürdiges Dasein braucht. Dies gilt auch für die vielen geflüchteten Menschen, die Redaktion & Lektorat bereits seit 2015 in Schleswig-Holstein leben. Manche von ihnen konnten die Gemeinschafts- Kein Exemplar mehr bekommen? Julia Bousboa, bousboa@paritaet-sh.org unterkünfte noch immer nicht verlassen, bei vielen stockt pandemiebedingt die Integration in Ein Download der sozial als PDF ist möglich unter: Konzept & Gestaltung den Arbeitsmarkt. Gleichzeitig harren in Belarus, in Griechenland und Kroatien Tausende Geflüch- https://paritaet-sh.org/aktuelles/publikationen Bucharchitektur \ Kathrin Schmuck, Kiel tete aus, täglich sterben weiterhin Menschen im Mittelmeer – ihr Schicksal wird gerade durch Mitarbeit: Paul Eichholtz die Coronapandemie und den Ukrainekrieg aus der medialen Berichterstattung verdrängt. Korrektorat Die große Herausforderung: Die Geflüchteten treffen auf ein überlastetes System, auf Fach- Miriam Seifert-Waibel, Hamburg kräftemangel in allen Bereichen der Sozialen Arbeit, auf knappen Wohnraum, auf Migrationsfach- Lithografie dienste, die alles allein über Projektfinanzierungen stemmen müssen. Es ist offensichtlich: Auch Falk Messerschmidt, Leipzig hier ist eine Zeitenwende dringend notwendig! Druck Deshalb zum Abschluss eine Bitte: Lassen Sie uns unsere Kräfte bündeln und in Schleswig- Schmidt & Klaunig GmbH, Kiel Holstein eine Zeitenwende einführen, die nicht nur Energie und Verteidigung in den Blick nimmt, Papier sondern auch das Soziale nicht aus den Augen verliert. Und für eine Willkommenskultur, die ihren Circle Volume White, 240 g/qm & 115 g/qm Namen verdient, die nicht in gute und schlechte Geflüchtete unterscheidet und die immer die Klimaneutrales Druckprodukt: Kompensation von Treibhaus- FSC®-zertifiziert Würde des Menschen ins Zentrum stellt – nur so kann Integration gelingen. Michael Saitner gasemissionen durch zusätzliche Klimaschutzprojekte. Geschäftsführender Vorstand Der PARITÄTISCHE SH unterstützt mit ClimatePartner Auf- ISSN 2700-0168 0431 56 02 – 10 forstung und Umbau deutscher Wälder. © Der PARITÄTISCHE Schleswig-Holstein e.V., 4/2022 vorstand@paritaet-sh.org
Inhaltsverzeichnis Schwerpunkt: Landespolitik 1 Editorial Neumünster Medien e.V. produziert Kurzfilme über aktuelle politische Themen für Neuzugewanderte in zehn Sprachen, aktuell auch auf Ukrainisch. 3 Schwerpunkt: Landespolitik 13 Gesellschaft 14 Teilhabe & Pflege 18 Kinder & Jugendliche 20 Migration & Flucht 22 Frauen & LSBTIQ* 23 Engagement 24 Freiwilligendienste 26 EUTB & KIBIS 27 Zivilgesellschaftliches Engagement 30 Förderung 31 Soziale Arbeit 32 Digitalisierung 34 Qualität & Fortbildung 36 Neuigkeiten aus dem Verband 2
„Schlechte Arbeitsbedingungen und Qualität passen nicht zusammen!“ Julia Bousboa sprach mit Prof. Dr. Melanie Groß, ben bereits heute, dass insbesondere kleinere JB | So heterogen der Verband ist und so unter- Wartezeiten auf das Hochschulstudium dann Vorsitzende des Verbandsrates, und Michael Saitner, Einrichtungen im ländlichen Raum ihre Tätig- schiedlich die Felder der Sozialen Arbeit sind – immer häufiger durch den Besuch von Fach- geschäftsführender Vorstand des PARITÄTISCHEN SH, keiten nicht mehr umfassend ausüben können beim Lesen fällt eine Problemlage sofort ins schulen, blockieren dort die Plätze und stehen über die Herausforderungen für Gesellschaft, Politik oder Angebote gänzlich einstellen müssen; es Auge: der Fachkräftemangel. Was erfahren Sie dem Arbeitsmarkt danach als Erzieher*in auch und Soziale Arbeit in den kommenden Jahren. wird keine Nachfolge gefunden, weil die Rah- diesbezüglich aus Ihrer Mitgliedschaft? gar nicht zur Verfügung, weil sie direkt im An- menbedingungen so herausfordernd sind. Dies MS | In der Pandemie stand und steht der Fach- schluss an ihre Ausbildung an die Hochschulen zu verhindern und für eine Verbesserung der kräftemangel in Pflege und Kita im öffentlichen gehen, um dann Soziale Arbeit zu studieren. Es Situation zu kämpfen, wird in den kommenden Fokus, Fakt ist jedoch, dass es mittlerweile in gibt im Studiengang Soziale Arbeit immer we- Jahren unsere Hauptaufgabe als Spitzenver- ausnahmslos allen Bereichen der Sozialen Ar- niger Studienanfänger*innen, die direkt von band sein. beit Schwierigkeiten bereitet, Stellen zu beset- der Schule kommen – für das Studium kann das zen und Bedarfe abzudecken – und das aus den durchaus ein Vorteil sein, schlussendlich verlän- JB | Der Verband hat im Dezember erstmalig ein vielfältigsten Gründen: Insbesondere in ländli- gert es aber die Ausbildungszeiten enorm und Impulspapier mit dem Titel „Gemeinsam weiter- chen Räumen ist es schwer, qualifiziertes Per- ist hinsichtlich der Frage des Fachkräftemangels gehen – Paritätische Perspektiven für Schleswig- sonal zu finden; in vielen Organisationen steht geradezu kontraproduktiv. Die Hochschulen Holstein“ veröffentlicht. Es zeigt die große gerade ein Generationenwechsel ins Haus, mit müssten ihre Kapazitäten deutlich erhöhen. Für Bandbreite, in der sich der Verband und seine dem viel Fachwissen verloren geht; der psych- den Arbeitsmarkt ist der aktuelle Zustand fatal. über 500 Mitgliedsorganisationen bewegen: Von iatrische Bereich und die Suchtkrankenhilfe ha- Armut über Migration und Pflege bis hin zu Kita ben Probleme, Ärzt*innen und Psycholog*innen und Wohnen werden für insgesamt 22 Felder der zu finden. Hier muss dringend gegengesteuert Was es braucht, ist eine umfas- JB | Frau Groß, im November wurden Sie zur Ver- Sozialen Arbeit Perspektiven entwickelt. Wie werden, um dem Bedarf an Sozialer Arbeit, der sende Fachkräftestrategie, die bandsratsvorsitzenden gewählt. Zwei Jahre sind diese entstanden? ja durch die pandemischen Bedingungen eher Pandemie liegen momentan hinter uns und der MS | Unsere Fachreferent*innen stehen seit je- zu- als abnehmen wird, begegnen zu können. diesen Namen auch verdient. Verband hat zahlreiche Aufgaben zu bewältigen – her in einem sehr engen Austausch mit unseren Dabei hilft eine rein sektorale Betrachtung nicht was steht auf der Agenda des PARITÄTISCHEN SH? Mitgliedern, sei es durch die Gespräche in der mehr aus – was es braucht, ist eine umfassen- MG | Momentan erleben wir eine unglaubliche Fachberatung, Arbeitskreise oder gemeinsame de Fachkräftestrategie, die diesen Namen auch MS | Und die, die dann tatsächlich in dem Beruf Beschleunigung von verschiedenen Phänome- Projekte wie im Migrationsbereich. Trotz der verdient. arbeiten, stoßen auf sehr unattraktive Rahmen- nen wie dem Auseinanderdriften der Gesell- enormen Heterogenität des Verbandes – von der bedingungen: niedrige Gehälter, wenig Auf- schaft und der Zunahme sozialer Ungerechtig- eingruppigen, ehrenamtlich getragenen Kita stiegschancen, hohe Arbeitsbelastung. Ein*e Er- keit. Als Verband nehmen wir diese Probleme bis hin zum großen Komplexträger – konnten Komplexer werdende recht- zieher*in zum Beispiel verweilt im Durchschnitt wahr und versuchen, ihnen zu begegnen, indem wir daraus die Herausforderungen, Probleme liche Vorgaben hindern unsere nur drei Jahre in diesem Beruf. Daran muss sich wir auf sozialpolitische Weichenstellungen Ein- und Bedarfe in „Gemeinsam weitergehen“ so- dringend etwas ändern. fluss nehmen, um anwaltschaftlich an der Seite zusagen destillieren. Denn bei all der Vielfalt Mitgliedsorganisationen massiv MG | Es sind einfach zu wenig Ressourcen und unserer Nutzer*innen zu stehen. Gleichzeitig ar- einen uns alle dieselben paritätischen Werte daran, ihrer eigentlichen Auf- zu wenig Personal im System, was zu einer beiten wir weiterhin dafür, Professionalität und sowie der Wunsch, bestmögliche Soziale Arbeit gabe nachzukommen. überhöhten Belastung der Arbeitnehmer*innen Qualität in der Sozialen Arbeit sicherzustellen. für die Nutzer*innen zu erbringen. führt. Das wiederum führt zu schlechter Quali- Dabei haben wir es mit einer immer komplexer MG | Dabei ist uns wichtig, in Zukunft unse- tät für die Klient*innen. Schlechte Arbeitsbedin- werdenden Situation zu tun, sowohl im operati- re Partizipationsformate weiterzuentwickeln MG | Man kann auch nicht oft genug betonen, gungen und gute Qualität passen einfach nicht ven Geschäft als auch in den Bedarfen der Nut- und langfristig zu etablieren. Das hat bei der dass wir es hier auch mit einem hochschul- und zusammen. Melanie Gross zer*innen und der Struktur der Sozialen Arbeit gemeinsamen Arbeit an „Gemeinsam weiter- bildungspolitischen Problem zu tun haben: gross@paritaet-sh.org insgesamt. gehen“ schon sehr gut funktioniert, sollte aber Die Vernetzung zwischen Sozialwirtschaft und JB | Was erwarten Sie von der nächsten Landes- MS | Operativ blicken wir auf eine immer stärke- stetig weiterentwickelt werden. Die aktuellen Hochschule funktioniert nicht so, wie sie eigent- regierung, um dem Fachkräftemangel entgegen- re Regulierung diverser Leistungsbereiche, ins- Zeiten fordern zudem schnellere Austauschfor- lich müsste. Wir haben an den Hochschulen das zuwirken? besondere im SGB VIII und SGB IX . Komplexer mate und sehr agile Kommunikationsformen. Problem, dass wir einen enorm hohen NC von MS | Allgemein gesprochen müssen die Berufs- werdende rechtliche Vorgaben hindern unsere Die Zeiten, in denen man sich für ein gemein- meist 1,x in den Studiengängen der Sozialen Ar- felder innerhalb der Sozialen Arbeit endlich die Mitgliedsorganisationen massiv daran, ihrer sam abgestimmtes Papier fünf Wochen Zeit beit haben, weil wir deutlich mehr Bewerbun- Wertschätzung und die Rahmenbedingungen eigentlichen Aufgabe nachzukommen, näm- lassen konnte, sind vorbei – eine immer schnel- gen erhalten, als wir Plätze bieten können. Auf erfahren, die sie verdienen. Das bedeutet auch, Michael Saitner lich eine vernünftige und an den Nutzer*innen lere Kommunikation in öffentlichen Diskursen einen Studienplatz gibt es derzeit etwa fünf Be- dass sich die Politik einmal ganzheitlich mit 0431 56 02 – 10 orientierte Soziale Arbeit zu leisten. Wir erle- erfordert schnelle Reaktionen. werbungen. Die jungen Leute überbrücken die dem Thema beschäftigt. In der Pflege müssen vorstand@paritaet-sh.org 4 | SCHWERPUNKT: LANDESPOLITIK 5
Vorstellung Verbandsrat die Chancen der generalistischen Pflegeaus- tungen der Sozialen Arbeit noch nicht flächen- bildung genutzt und Anreize geschaffen wer- deckend auf die Erfordernisse vorbereitet, die den. Insbesondere muss in diesem Bereich die sich aus den Änderungen des Personenstands- Schnittstelle zwischen Eingliederungshilfe und rechts oder der Istanbulkonvention ergeben. Bei Pflege mit Ressourcen ausgestattet werden, da all diesen Punkten könnte und müsste meines Menschen mit Behinderung mittlerweile im- Erachtens die Landesregierung auch Verände- mer älter werden. Im Bereich Kita muss das Land rungsprozesse unterstützen und anstoßen so- dort einspringen, wo der Bund bisher versagt wie Verantwortung für die Prozesse überneh- Prof. Dr. Melanie Groß hat, und die praxisintegrierte Ausbildung für Er- men – das kann nicht alles nebenbei durch die Verbandratsvorsitzende zieher*innen etablieren. Und die Rahmenbedin- einzelnen Organisationen erledigt werden. gungen in den ländlichen Regionen Schleswig- Holsteins müssen für Arbeitnehmer*innen at- traktiver werden. Die Digitalisierung hat zwar Ich fände es wichtig, dass durch die Pandemie an Fahrt aufgenommen, jetzt endlich mal wieder die aber mit Telemedizin allein ist das leider alles nicht getan. Auch auf dem Land müssen Kin- Jugend gesehen wird. der betreut werden, brauchen Jugendliche Frei- zeitangebote, müssen zum Beispiel ungewollt Dr. Michaela Oesser Detlev Wulff Schwangere oder HIV-Infizierte eine Beratungs- JB | Gibt es weitere Themen, die die neue Landes- Stellvertretende Vorsitzende Stellvertretender Vorsitzender stelle aufsuchen können. regierung ganz oben auf die Agenda setzen sollte? MS | Die letzten Jahre standen ganz im Zeichen der Kita-Reform. Zu deren Gelingen konnten Die Rahmenbedingungen wir in zahlreichen Verhandlungen und Gesprä- in den ländlichen Regionen chen beitragen. Was jedoch nach wie vor sauer aufstößt, ist, dass Inklusion beim Thema Kita Schleswig-Holsteins müssen ausgeblendet beziehungsweise nur sehr halb- für Arbeitnehmer*innen herzig angegangen wird. Hier werden wir wei- attraktiver werden. ter darauf drängen, die Teilhabe aller Kinder zu Heiko Frost Ernst Hillebrecht ermöglichen. MG | Ich fände es wichtig, dass jetzt endlich mal wieder die Jugend gesehen wird. Es gab MG | Ich sehe da einige Punkte und greife nur inzwischen zwei Kinder- und Jugendberich- drei davon auf: Wie schon gesagt, müssen die te der letzten beiden Bundesregierungen, die Kapazitäten in den Hochschulen für die Sozia- die Lebensphase Jugend endlich mal wieder in le Arbeit deutlich ausgebaut werden, um dem den Fokus genommen haben, doch in der Lan- Fachkräftemangel begegnen zu können. Zu- despolitik hat das leider keine Kraft entfaltet. gleich müssen bei den vielen Erfordernissen in Wenn man darüber hinaus auch noch Themen der Praxis die Ressourcen passen, damit den wie geschlechtliche Vielfalt, Inklusion, die enor- Dr. Cebel Küçükkaraca Katja Rathje-Hoffmann inhaltlichen Veränderungen und der Zunahme men psychischen Belastungen und sich ver- der Komplexität der Arbeit auch auf qualitativ schärfenden Bildungsungleichheiten durch die hohem Niveau begegnet werden kann. Konkret Pandemie sieht, haben wir viel zu tun. Momen- sehe ich da etwa das neue Kinder- und Jugend- tan ist es beispielsweise nicht einmal möglich, stärkungsgesetz, das zu vielen Veränderungen einen psychologischen Diagnostiktermin für im System führt, von der Anerkennung ge- Kinder und Jugendliche zu bekommen, so kata- Kontaktieren Sie den Verbandsrat: schlechtlicher Vielfalt bis zur systematischen strophal ist die Versorgung inzwischen. Da liegt Julia Bousboa Integration der Inklusion, die jeweils konzepti- viel brach und da sehe ich eine Landesregierung 0431 56 02 – 13 onelle, räumliche und operative Veränderungen auch klar in der Verantwortung • bousboa@paritaet-sh.org nach sich ziehen. Des Weiteren sind die Einrich- Bettina Spechtmeyer-Högel Eka von Kalben 6 | SCHWERPUNKT: LANDESPOLITIK 7
Gewalt? Schutz! Pflichtgemäße Anhörung (Auch) Eine Frage der Gleichstellung Selbstorganisationen von Migrant*innen werden selten gefragt Beim Thema Gewalt herrscht meist große Ei- Ressource betrachtet wird, dann ist das ein so- Auch im neuen Koalitionsvertrag der Am- Innen- und Rechtsausschuss des Landtags nigkeit: Jeder Mensch hat unabhängig von lides Fundament auf dem es Unterdrückung, pel-Koalition werden Organisationen von außer den üblichen Institutionen auch eine Herkunft, Alter, sozialem oder biologischem Ge- Machtmissbrauch und Gewalt schwerer haben, Migrant*innen wieder gelobt und wertge- Reihe von Organisationen von Migrant*in- schlecht, Hautfarbe, Beeinträchtigung, sexueller zu gedeihen. schätzt: Es soll ein Partizipationsgesetz ge- nen zur Anhörung lud, die erst eine schrift- Orientierung, Religionszugehörigkeit oder so- Neben einem bedarfsgerecht und barrierefrei schaffen werden, dabei sollen die Organisati- liche Stellungnahme abgaben, dann in einer zialem Status das Recht auf Schutz vor Gewalt. ausgestatteten Gewaltschutzsystem, zielgrup- onen „beteiligt“ werden. Und es soll ein Rat, ganztägigen Ausschusssitzung ihre Kritik Untermauert wird das im Grundgesetz verbrief- penübergreifenden und niedrigschwelligen Be- eine Art runder Tisch, auf Bundesebene eta- und Vorschläge vortrugen. Die Diskussion da- te Recht durch Abkommen für verschiedene Be- ratungs- und Interventionsangeboten braucht bliert werden. nach spielte sich allerdings wieder intern ab, völkerungsgruppen. es Information und Prävention. Es bedarf eines diesmal innerhalb der Regierungsfraktionen, Gewalt hat viele Formen, noch mehr Gesichter breiten Verständnisses von Gewaltdynamiken die 15 Monate lang berieten und kaum Ände- und kann überall zuhause sein. Wenn von Ge- und teils generationenübergreifenden Gewalt- In Schleswig-Holstein haben rungsvorschläge übernahmen. Übrigens soll- walt gesprochen wird, ist häufig körperliche kreisläufen. Betroffene müssen rasch und un- wir in der Entstehungsge- te nach Inkrafttreten des Gesetzes im Mai oder sexualisierte Gewalt gemeint, doch auch kompliziert Unterstützung und Hilfe erfahren 2021 ein Integrationsrat auf Landesebene psychische, emotionale, digitale oder ökonomi- – unabhängig davon, mit wem der Erstkontakt schichte des „Integrations- und eingerichtet werden. Es ist unwahrscheinlich, sche Gewalt gehören dazu. Häufig überschnei- stattfindet: Justiz, Polizei, Beratungsstelle oder Teilhabegesetzes“ erlebt, wie dass das bis Mai 2022 noch klappen wird. den sich die Formen. Charakteristisch ist der Institution. Wer Gewalt erfahren hat, mehrfach lückenhaft die Beteiligung Und die fehlenden Proteste von Vereinen und Machtmissbrauch – Gewalt kennt keine Augen- sein Anliegen vortragen muss und weiterver- Verbänden zeigen auch, dass die Hoffnungen höhe. Und: Gewalt kann Betroffene krank ma- wiesen wird, schweigt irgendwann. ausfällt. auf eine Umsetzung eher gering waren. chen und das Armutsrisiko erhöhen, etwa wenn In vielen Bereichen der Sozialen Arbeit sind nach einer Gewalttat der Beruf nicht mehr aus- gelebte Gewaltschutzkonzepte längst Teil der geübt werden kann oder aufgrund von Stalking beruflichen Praxis, auch das neue Schulgesetz Wie und wann man startet, ist noch unklar. Die fehlenden Proteste von häufige Wohnortwechsel nötig sind. sieht diese Konzepte für Schulträger vor. Ande- Insbesondere Putins Krieg gegen die Ukrai- Vereinen und Verbänden re, insbesondere öffentlich geförderte Bereiche ne hat alle Planungen umgeworfen. Aber die sollten diesem Beispiel folgen. Diese Prozesse bisherigen Erfahrungen der Selbstorganisa- zeigen auch, dass die Hoff- Zielgruppenübergreifende müssen fachlich gut begleitet werden – das tionen sagen: Papier ist geduldig, die Betei- nungen auf eine Umsetzung Prävention kostet und scheint Know-how ist durch unsere Mitgliedsorgani- ligung von Migrant*innen an der Ausgestal- eher gering waren. sationen im Land vorhanden, die Ressourcen tung solcher Vorhaben wird oft zugesagt. Die manchmal wenig attraktiv, jedoch müssen angemessen zur Verfügung Realität sieht anders aus. weil sich der Effekt häufig nicht gestellt werden. Gender-Mainstreaming und In Schleswig-Holstein haben wir in der Ent- Auf Bundesebene ist eine Beteiligung schwe- unmittelbar zeigt, ist jedoch -Budgeting können als politische Richtschnur stehungsgeschichte des „Integrations- und rer, schon weil viele Vereine gar nicht die dienen, indem jede politische Maßnahme da- Teilhabegesetzes“ erlebt, wie lückenhaft die Kapazitäten haben, sich auf eine Anhörung eine lohnende Investition. raufhin überprüft wird, inwieweit Frauen und Beteiligung ausfällt. Nach der Auftaktveran- in Berlin vorzubereiten und daran teilzuneh- Männer davon profitieren. Nicht zuletzt muss staltung zum Diskussionsprozess sollte es men. Das können nur einige bundesweit ar- die Stimme der Betroffenen gehört werden. eine Plattform im Internet geben, dort sollten beitende Organisationen. Insofern: Der gute Reinhard Pohl Was aber hat das alles mit Gleichstellung zu Zielgruppenübergreifende Prävention kostet alle Vereine und Verbände, aber auch Einzel- Wille wird gerne zur Kenntnis genommen. (aktiv im Vorstand vom Einwande- tun? Hier geht es um die Dimension der struktu- und scheint manchmal wenig attraktiv, weil personen ihre Vorschläge und ihre Kritik an Dass es eine echte Beteiligung geben wird, rerbund e.V. und ZBBS e.V.) rellen Gewalt, der alltäglichen Ungleichbehand- sich der Effekt häufig nicht unmittelbar zeigt, Regierungsentwürfen vorbringen können. ist eher unwahrscheinlich. Da macht schon lung aufgrund von tradierten Zuschreibungen ist jedoch eine lohnende Investition, die sich für Erst danach sollte es einen Gesetzentwurf mehr Hoffnung, dass deutlich mehr Abgeord- Einwandererbund e.V. und der sozialen Geschlechtszugehörigkeit in uns alle vielfach auszahlt. Der Schutz vor Gewalt des Innenministeriums geben. Der Einwan- nete im Ausland geboren und irgendwann Feldstraße 3, 25335 Elmshorn einer Gesellschaft. Wenn Frauen weniger ver- ist hoheitliche Aufgabe des Staates und für alle dererbund e.V., der eigentlich beteiligt werden nach Deutschland eingewandert sind, bevor 04121 64010 – 60 dienen als Männer, Steuerlasten und Sorgear- Menschen rechtebasiert. Dies muss auf allen po- wollte, lud während der ministeriumsinter- sie eingebürgert und gewählt wurden. Und: info@ewbund.de beit ungleich verteilt sind oder „typisch weib- litischen Ebenen, in Bund, Land, Kommune, um- nen Beratungen den Staatssekretär zu einer Sie sind in allen Parteien. • www.ewbund.de liche“ Berufe schlechter vergütet werden, ist gesetzt sowie bedarfsgerecht finanziert werden Infoveranstaltung ein, und tatsächlich hatte das ein Gradmesser für Gleichstellung in einer und darf nicht vom ehrenamtlichen Engage- der schon einen Vorentwurf in der Tasche, ZBBS e.V. Gesellschaft. Umgekehrt schützt echte Gleich- ment einzelner Personen abhängig sein. • den er auch kurz zeigte. Sophienblatt 64/64a, 24114 Kiel Ivy Wollandt stellung zu einem guten Teil vor Gewalt: Wenn Kurz gesagt: Das Beteiligungsverfahren wur- 0431 200 11 50 0431 56 02 – 64 alle von Kindesbeinen an das Gegenüber als de überschlagen, der Entwurf kam direkt. Die info@zbbs-sh.de wollandt@paritaet-sh.org gleichwertig sehen, wenn Verschiedenheit als Beteiligung bestand letztlich darin, dass der www.zbbs-sh.de 8 | SCHWERPUNKT: LANDESPOLITIK 9
„Wenn wir über Sucht sprechen, müssen wir über Sucht sprechen!“ Julia Bousboa sprach mit Kai Sachs (Landesstelle auch weiterhin geben. Die Politik macht es sich sen. Jahrelang haben wir bei Alkohol dafür ge- bis harm reduction politisch diskutieren können. für Suchtfragen Schleswig-Holstein e.V.) und Sonja zu einfach, wenn ihr nur Entkriminalisierung kämpft, dass man nach dem Verursacherprinzip Deutlich verschlechtert hat sich allerdings die Steinbach (PARITÄTISCHER SH) über die Legalisie- und sauberer Stoff wichtig sind. Welchen Stel- diejenigen an den Kosten beteiligt, die die Prob- Situation der ambulanten Suchtkrankenhilfe: rung von Cannabis, die Haltung der Gesellschaft zu lenwert Sucht in der Gesellschaft hat, wird auf leme verursachen. Schon in den 1990ern galt in Sie ist kommunal verankert und eine in der Alkohol und Nikotin und die Situation der Sucht- politischer Ebene nicht diskutiert – außer, er Finnland, dass Alko, die staatliche Alkohol-Mo- Höhe freiwillige Leistung. Wenn in einem Sozial- krankenhilfe in Schleswig-Holstein. fällt volkswirtschaftlich oder sozial auf. Solange nopolgesellschaft, einen Teil ihres Gewinns in ausschuss Politiker*innen sitzen, die sich das Suchtkranke nicht besonders auffallen, werden die Suchtarbeit stecken muss. In Helsinki stand Thema auf die Fahne geschrieben haben, kann JB | Durch die Koalition im Bund ist das Thema eher keine Maßnahmen ergriffen. dadurch die größte Bibliothek der Welt zum man gute Projekte entwickeln wie in Rends- Legalisierung von Cannabis wieder sehr präsent. SS | Was ich an dieser Debatte spannend finde, Thema Sucht. Es kann nicht sein, dass die einen burg-Eckernförde. Bei anderen steht im Zuwen- Dabei stellt sich sofort die Frage, warum manche ist die Sonderstellung Schleswig-Holsteins. In Gewinn machen und die anderen die Folgen dungsbescheid Prävention, diese wird jedoch Drogen illegal sind und andere nicht – Alkohol den 2000ern war es eines der progressivsten tragen. Die Suchthilfe ist ohnehin schon am nicht mit Mitteln ausgestattet und muss neben- gilt nahezu als „erwünscht“ in der Gesellschaft. Länder, zum Beispiel in der Substitutionsbe- Limit, da kann jetzt nicht noch was obendrauf bei erfolgen. Wenn die Politik Prävention ernst- Welche Meinungen gibt es derzeit in den Fach- handlung. Doch seitdem hat es sich eher in die kommen, weil die Politik Cannabis freigibt und nehmen würde, müsste sie von der Kita bis zum kreisen? andere Richtung entwickelt. Aus anderen Bun- sich um die Folgen nicht ausreichend kümmert. Altenheim Präventionsangebote finanzieren. KS | Wir haben kulturhistorisch eine Veranke- desländern hört man gerade „Endlich Legali- rung bestimmter Suchtmittel in unserer Ge- sierung von Cannabis!“, doch hier ist man eher JB | Was muss in SH dringend angegangen werden? sellschaft. Alkohol, Nikotin, Medikamente und verhalten. Wenn die Politik Prävention KS | Wir haben hier die Möglichkeit, offen mit Glücksspiel gehören dazu. Der Verkauf von Al- ernstnehmen würde, müsste der Politik sprechen zu können, doch das hat lei- kohol wird in Deutschland extrem gering be- der nicht zur Folge, dass wir in eine kontinuier- steuert und die Preise sind weltweit betrachtet Es gibt ganz offensichtlich sie von der Kita bis zum Alten- liche Refinanzierung der Arbeit kommen. Aus im untersten Bereich. Einer möglichen Verän- ein Bedürfnis nach Rausch. heim Präventionsangebote dem Glücksspielstaatsvertrag müsste viel mehr derung steht eine einflussreiche Industrielobby finanzieren. Geld in die Suchtkrankenhilfe fließen. Das The- entgegen. Die Erfahrungen mit Prohibition ha- ma muss in den Lehrplänen verankert werden. ben gezeigt, dass dies eher illegale Strukturen Die Kommunen müssten im Rahmen ihrer Da- stärkt. Als sich in den 1960er Jahren die Gesetz- JB: Was spricht für eine Legalisierung von seinsvorsorge Leitlinien und Strategien für den gebung mit den damals neuen Suchtmitteln Cannabis? Wenn sich diese Gesellschaft nicht darüber im Umgang mit Sucht entwickeln. beschäftigen musste, sah die Regierung keine SS | Wer Cannabis konsumieren will, tut es. Ich Klaren ist, wie sie mit dem Thema Sucht um- SS | Ich habe die Hoffnung, dass das Thema mit andere Möglichkeit, als alles zu verbieten. kann uns, ohne weitere Kenntnis, innerhalb gehen will, wird man immer wieder scheitern, der neuen Bundesregierung und dem neuen Durch eine reine Verbotsstrategie erreicht man einer Stunde jede Droge besorgen: auf jedem schon im Kleinen: Papa diskutiert bei Feier- Bundesdrogenbeauftragten in die Länder getra- keine ausreichende Verhinderung. Wirkungs- Schulhof, in jedem Stadtteil. Doch das heutige abendbier und Zigarette mit seiner Tochter, dass gen wird und hoffentlich auch in die Kommu- voller ist ein Zusammenspiel von Begrenzung Cannabis hat nichts mehr mit dem Gras zu tun, sie nicht kiffen darf. Damit will ich nicht die nen. des Verkaufs durch Verteuerung sowie Redu- das manche vielleicht von früher kennen. Es ist Legalisierung von Cannabis untermauern, son- KS | Das Land könnte den eingeschränkten Alko- zierung der Konsummöglichkeiten und Werbe- von der Potenz vierfach so hoch und insbeson- dern möchte nur sagen: Wenn wir über Sucht holverkauf sowie ein Werbeverbot durchsetzen. verboten. Die Strategie, wie sie im Kontext mit dere die künstlichen Cannabinoide sind eine sprechen, müssen wir über Sucht sprechen – Es gäbe zum Beispiel die Möglichkeit, Sportver- Nikotin gefahren wurde – Dezimierung von große Gefahr. Dieses Problem lässt sich offen- und da ist es völlig egal, welche es ist. einen, die Bierwerbung platzieren, die Landes- Verkauf und Werbung, allgemeines Rauchver- sichtlich nicht mit Prohibition bekämpfen. Mit SS | Es ist eine Haltungsfrage. In unserer Gesell- förderung zu streichen. Außer Lobbyist*innen bot – hat dazu geführt, dass der Konsum von einer Legalisierung – nicht mit einer Freigabe – schaft gibt es nicht nur Suchtkranke, sondern hätte damit niemand ein Problem. Es ist, wie Julia Bousboa Nikotin deutlich zurückgegangen ist. könnte man so etwas wie Verbraucherschutz auch Menschen, die Drogen als Genussmittel gesagt, alles eine Frage der Haltung. 0431 56 02 – 13 Die Diskussion um Freigabe von Cannabis wird installieren. Dann wäre klar, welche Stoffe ver- konsumieren. Abstinenz ist illusorisch, es gibt SS | Durch die Legalisierungsdebatte, die wir bousboa@paritaet-sh.org Kai Sachs zu eindimensional geführt. Hier müssten wir kauft werden und der Staat könnte daran ver- ganz offensichtlich ein Bedürfnis nach Rausch. übrigens am 9. September auf einem Fachtag Landesstelle für Suchtfragen über eine Bandbreite von Fragen sprechen: Wel- dienen und mit dem Geld Prävention massiv Das Ziel ist harm reduction: dass Menschen also von möglichst vielen Seiten beleuchten, rücken Schleswig-Holstein e.V. cher Stoff wird in welcher Intensität verkauft? fördern. möglichst wenig Stoff konsumieren und sich so auch die anderen Suchtstoffe hoffentlich wie- Schreberweg 10 Wer wird es verkaufen? Wie wird tatsächlich KS | Es gibt viele Aspekte zu bedenken, die der wenig wie möglich selbst schädigen. der stärker in den Fokus. Die Landesregierung 24119 Kronshagen kontrolliert? Wie soll der Umgang im Straßen- Staat regeln muss. Wir haben immer eine kriti- wird sich zwangsläufig damit auseinanderset- 0431 65 73 94 – 44 verkehr geregelt werden? Hirnphysiologisch sche Position gegenüber einer bedingungslosen JB | Wie ist die momentane Situation der Sucht- zen müssen. Dass das Thema gerade in jedem 01522 46 39 026 müssten wir sagen: Männer dürfen erst ab 25, Freigabe von Cannabis formuliert. Eine Freigabe krankenhilfe in Schleswig-Holstein? Wohnzimmer diskutiert wird, ist ein guter An- Sonja Steinbach kai.sachs@lssh.de Frauen ab 21 konsumieren – aber das ginge na- wird zum Beispiel Folgen für den Suchtbereich KS | Positiv zu bewerten ist, dass wir heutzuta- lass, um jetzt umfassend suchtpolitisch aktiv zu 0431 56 02 – 28 www.lssh.de türlich nicht. Und einen Schwarzmarkt wird es haben, die personell abgedeckt werden müs- ge die ganze Bandbreite von völliger Abstinenz werden! • steinbach@paritaet-sh.org 10 | SCHWERPUNKT: LANDESPOLITIK 11
Perspektive Wohnen Gesellschaft Schaffung von passgenauen Zugangswegen Mit Hilfe des Wünschewagens konnte die 31-jährige Frau P. gemeinsam mit ihrem Mann Abschied von der Insel Amrum nehmen. Wohnen ist ein Menschenrecht und existenziell indes noch nicht ausreichend oft berücksichtigt. wichtiges Gut der Daseinsvorsorge. Wohnen ist Beteiligungsprozesse bei der Quartiersentwick- aber auch seit Jahren Luxusgut und Mangelwa- lung sind häufig exklusiv gestaltet, das Wissen re. Der Wohnungsmarkt in Schleswig-Holstein um Teilnahmemöglichkeiten hängt nicht selten ist am Hamburger Rand wie auch in kleinen bis auch vom Bildungsgrad und sozialen Status ab, mittleren Ballungszentren angespannt. In be- Expert*innen in eigener Sache werden nur sel- liebten Stadtteilen sind Verdrängungsprozesse ten partizipativ miteinbezogen. zu beobachten, Zielgruppen der Sozialen Arbeit Die Sicherung von vorhandenem Wohnraum wie Alleinerziehende, Straffällige, Senior*innen, und Schaffung von passgenauen Zugangswe- Menschen mit Behinderungen, wohnungslose gen zum Wohnungsmarkt für Zielgruppen Personen, gewaltbetroffene Frauen, psychisch der Sozialen Arbeit sind heute ebenso wichtig oder chronisch Erkrankte, Care-Leaver, Geflüch- wie die Entwicklung und Realisation von Mo- tete oder kinderreiche Familien konkurrieren dellprojekten wie Frauen_Wohnen. Aus dem auf dem Wohnungsmarkt um bezahlbare Woh- Projekt heraus, das erfolgreich gewaltbetroffe- nungen. Kaum ein Beratungssetting, das nicht ne Frauen und ihre Kinder in eigenen Wohn- an irgendeinem Punkt das Thema Wohnen raum vermittelt, wurde das Instrument der streift; an verschiedenen Stellen werden Träger Belegungsbindung in Schleswig-Holstein neu Sozialer Arbeit durch gestiegene Mieten in exis- belebt. Das landesweite Netzwerk und die Ko- tenzielle Notlagen gebracht. operationen mit der Wohnungswirtschaft so- wie die gesamte Projektstruktur könnten als Blaupause für sämtliche Zielgruppen der So- Beteiligungsprozesse bei der zialen Arbeit dienen, um Wege in Wohnraum Quartiersentwicklung sind zu erschließen. Auch neue Formen der Zusam- menarbeit zwischen Kommunen und Sozialen häufig exklusiv gestaltet, das Trägern, beispielsweise bei der Bewirtschaftung Wissen um Teilnahmemöglich- von Wohnraum, sollten erprobt werden kön- keiten hängt nicht selten nen. Der Paritätische Gesamtverband fordert seit Langem eine neue Wohngemeinnützigkeit, auch vom Bildungsgrad und um bei Wohnungsbau und Sozialbindung eine sozialen Status ab. langfristige Verlässlichkeit und Planbarkeit zu gewährleisten. Wir begrüßen diesen Punkt im Koalitionsvertrag der Ampelregierung, der dazu So wertvoll und unverzichtbar sie sind: Sozialer beitragen soll, Menschen, die über geringe und Wohnungsbau und entsprechende Anreizpro- mittlere Einkommen verfügen, mit Wohnraum gramme allein können den Wohnraummangel zu versorgen. nicht beheben. Die vom Land aufgelegte Förder- Angelehnt an das im Vertrag ebenfalls erwähn- richtlinie „Wohnen für besondere Bedarfsgrup- te „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ wünschen pen“ ist beispielhaft, stärkt Soziale Träger als wir uns für Schleswig-Holstein einen interdiszi- Bauherren und fördert „Housing First“ als zeit- plinären und ressortübergreifenden „Pakt Woh- gemäße Methodik Sozialer Arbeit. Es braucht nen“ der alle Ministerien, Vertreter*innen der jedoch darüber hinaus eine Vielfalt der Ansätze, Wohnungswirtschaft, Wohlfahrtsverbände und kleine und größere Bausteine, Ideen, Kreativität relevanten Akteur*innen zusammenbringt. Nur und Konzepte, um dem gesamtgesellschaftli- gemeinsam können passgenaue, bedarfsge- chen Thema zu begegnen. Bei allen Herange- rechte Lösungsansätze entwickelt und realisiert hensweisen muss Wohnen ganzheitlich und in- werden. Das Thema Wohnen braucht die soziale Ivy Wollandt klusiv gedacht werden – von der Planung bis zur Perspektive – wir bringen sie gerne ein! • 0431 56 02 – 64 Umsetzung. Das Mitdenken der sozialen Pers- wollandt@paritaet-sh.org pektive ist von Beginn an unverzichtbar, wird 12 | SCHWERPUNKT: LANDESPOLITIK
Lots*innen zum Schulabschluss „Der Beratungsbedarf der Studieren- Peer-to-Peer-Begleitung für autistische Schüler*innen den ist so hoch wie nie zuvor“ Psychosoziale Beratung im Studentenwerk SH Dem Inklusionsgedanken folgend, dass jeder jugendliche Begleiter*in wird von dem*der Ob finanzielle oder psychische Probleme – die Normalität schwer. „Durch das Hin und Her zwi- Mensch, so wie er ist, Teil der Gemeinschaft sein Schüler*in gern akzeptiert und nicht selten als Coronapandemie bringt für die Studierenden in schen Präsenz- und Online-Lehre herrscht mitt- darf, stellt sich die Frage: Wie kann dies gelin- Rollenvorbild und auch als Gesprächspartner*in Schleswig-Holstein zahlreiche Belastungen mit lerweile Frustration und Resignation“, so López. gen? Wie kann eine notwendige Unterstüt- für allgemeine Fragen der eigenen Jugendlich- sich. Die Nachfrage nach den psychosozialen „Die jungen Leute fühlen sich um ihre Studien- zung Adressat*innen erreichen – wenn diese keit gesehen. Im Kontext des Klassenverbandes Beratungsangeboten des Studentenwerks SH und Lebenszeit betrogen.“ Eine wichtige Unter- sich darüber hinaus auch noch in der Pubertät erfahren die Peer-to-Peer-Schulbegleiter*innen ist seit Pandemiebeginn deutlich gestiegen. stützung in dieser schwierigen Zeit bietet die befinden? Denn hierbei geht es ja um die sich eine große Akzeptanz und werden als Ältere der „Als den Studierenden plötzlich die Nebenjobs Beratung des Studentenwerks, die inzwischen jedem Jugendlichen stellende Entwicklungs- eigenen Peergroup häufig bewundert. Dadurch weggebrochen sind, war ihre finanzielle Not nicht nur in Präsenz oder telefonisch, sondern aufgabe von Autonomie, Eigenständigkeit und gelingt es ihnen, Brücken zu bauen und für groß“, berichtet Ramona López, Sozialberaterin auch per Video angeboten wird. So können noch die Ablösung von der Welt der Elterngeneration. den*die jugendliche*n Autist*in einen Zugang im Studentenwerk SH. Gemeinsam mit ihren mehr Studierende erreicht werden. Vor allem aber geht es um die Orientierung an zur Peergroup zu ermöglichen. fünf Kolleginnen bietet sie Studierenden in der Gleichaltrigengruppe und den dort stattfin- Dass die Peer-Schulbegleiter*innen als Langzeit- ganz Schleswig-Holstein Hilfestellung bei viel- denden Austausch um die wichtigen Fragen des praktikant*innen nach einem Jahr wechseln, fältigen Fragen und Anliegen rund ums Studi- Zu Beginn der Pandemie Lebens. klingt zunächst nicht kompatibel mit dem The- um. Die drei Top-Themen in den Coronajahren kamen die Studierenden vor ma Autismus, entpuppt sich jedoch als eigent- 2020 und 2021: Kredite/Darlehen, Sozialleistun- licher Clou des Ganzen. Die autistischen Schü- gen und Jobben. allem mit depressiven Symp- Eine Schulbegleitung auf ler*innen erfahren Sicherheit nicht über die Pandemiebedingt gehe es in der Sozialberatung tomen, Ängsten und Gefühlen Augenhöhe, ein Mensch aus womöglich jahrelange Beziehung zu einer Per- außerdem wesentlich häufiger als üblich um von Einsamkeit in die psycho- son, sondern in der Struktur wiederkehrender psychosoziale Themen wie Angst oder Stress. der Gleichaltrigengruppe, Abläufe. Indem sie sich selbst in jedem weite- Besonders auffällig ist laut López, dass der An- logische Beratung. Später der zudem unmittelbar aus ren Jahr neu durch die aktuelle Schulbegleitung teil der ratsuchenden internationalen Studie- fiel ihnen das Zurückfinden dem eigenen schulischen erfahren, wächst mit ihrem Erfahrungszuwachs renden gestiegen sei. „Diese Gruppe fühlt sich aus der sozialen Isolation in zugleich die Kenntnis ihrer Fähigkeiten und beim Ankommen im neuen Land besonders Kontext herausgewachsen ist, Kompetenzen enorm – und dient als Schlüssel stark auf sich allein gestellt und leidet erheblich die Normalität schwer. kann eine gute Lösung sein. für Zutrauen, Selbstbewusstsein und neue, eige- unter den Pandemiebedingungen.“ Ebenso die ne Wege. Studierenden mit Kind: Aufgrund von Gruppen- Die Schulbegleiter*innen wiederum haben im schließungen in Kitas muss der Nachwuchs im- „Wir glauben, dass wir noch lange mit den Fol- Dies stellt für Menschen aus dem Autismusspek- Laufe eines Jahres an der Seite eines*einer ju- mer wieder zeitweise zuhause betreut werden. gen der Pandemie zu tun haben werden“, lautet trum, deren wesentliche Einschränkung in der gendlichen Autist*in, angeleitet und begleitet Dadurch verzögert sich das Studium. Zudem das Fazit von Ramona López. Umso erfreulicher: Gestaltung von Kommunikation und sozialer durch erfahrene Autismuspädagog*innen, viel können die Kosten für das Mittagessen oder Das Land Schleswig-Holstein hat Ende letzten Interaktion liegt, eine große Herausforderung gelernt über andere Wahrnehmungswelten, die Beschäftigung der Kinder nur schwer aufge- Jahres beschlossen, den Ausbau der psychologi- dar. Die Notwendigkeit einer Schulbegleitung, über Autismus und wie sehr Verschiedenheit bracht werden. schen Beratung finanziell zu fördern. Seit dem um im Schulalltag bestehen zu können, wird unser aller Welt bereichert. Ihnen wird in ihrem Neben der Sozialberatung bietet das Studenten- 1. April stehen fast doppelt so viele Personal- zusätzlich von den Jugendlichen als Makel emp- Leben gewiss auch weiterhin Inklusion gut ge- werk SH auch eine psychologische Beratung an. stunden wie vorher zur Verfügung. „Dafür sind funden. lingen. Landesweit stehen mehrere Psycholog*innen wir und sicher auch die Studierenden sehr Eine Schulbegleitung auf Augenhöhe, ein Für weitere Informationen schauen Sie gerne Studierenden bei persönlichen Konflikten und dankbar.“ • Mensch aus der Gleichaltrigengruppe, der zu- auf unserer Website www.konfettiimdialog.de Problemen zur Seite. „Der Beratungsbedarf bei dem unmittelbar aus dem eigenen schulischen vorbei. Dort findet sich auch ein Link zu einem den Kolleg*innen der psychologischen Beratung Kontext herausgewachsen ist, kann hier eine unbedingt hörenswerten Radiofeature zum ist so hoch wie nie zuvor“, erzählt Ramona López. gute Lösung sein. Diesem Grundgedanken Peer-to-Peer-Konzept. • Lag die Wartezeit auf einen Erstgesprächster- Das Studentenwerk SH ist landesweit für zehn folgend, haben wir das Peer-to-Peer-Konzept min 2019 zu Spitzenzeiten noch bei etwa sechs Hochschulen und über 60.000 Studierende als Gesa Herold ,,Schulbegleitung für autistische Schüler*innen“ Wochen, so waren es 2020 zehn und 2021 sogar wichtiger Dienstleister verantwortlich. 560 Mit- Konfetti im Dialog gGmbH entwickelt. Wie sich zeigt, mit großem Erfolg. über 14 Wochen. arbeiter*innen setzen sich in den Bereichen Studentenwerk SH Viktoriastraße 15, 25524 Itzehoe Durch die unmittelbare Nähe zur eigenen Schul- Zu Beginn der Pandemie kamen die Studieren- Hochschulgastronomie, Wohnen, BAföG, Soziales Ramona López 0152 54151201 zeit gelingt es den jungen Schulbegleiter*innen den vor allem mit depressiven Symptomen, und Kultur für das Wohl der Studierenden ein. In Sozialberaterin 04822 34 29 116 erheblich besser, die anstehende Übersetzungs- Ängsten und Gefühlen von Einsamkeit in die der psychosozialen Beratung wurden im Jahr 2021 0431 8816 – 113 g.herold@itz-dialog.de leistung des Unterrichtsstoffes von „neuro- psychologische Beratung. Später fiel ihnen das über 4500 Beratungsgespräche mit Studierenden ramona.lopez@studentenwerk.sh www.konfettiimdialog.de typisch“ auf „autistisch“ zu leisten. Der*die Zurückfinden aus der sozialen Isolation in die geführt. www.studentenwerk.sh 14 | GESELLSCHAFT | TEILHABE & PFLEGE 15
JA zum Leben Zwischen Sorge und Sekt Aber eben auch zum Sterben Der Versuch, den assistierten Suizid in unsere Fachlichkeit zu integrieren Der Tod gehört nun mal zum Leben. Ein Satz, der zinisch überwacht und pflegerisch betreut wird Am Morgen nach dem Urteil des Bundesverfas- Die gute Nachricht: Nach und nach haben wir flott über die Lippen geht – vor allem, wenn das für die Fahrgäste also Unmögliches wahr: Am sungsgerichts, welches das Recht auf einen as- erkannt, dass es egal ist, wie wir persönlich dazu eigene Lebensende weit weg erscheint. Zwar ist Deich noch einmal ein Fischbrötchen essen, mit sistieren Suizid für alle, also wirklich ALLE , nicht stehen. Wenn – ja, wenn – wir bei unserer Hal- in den letzten Jahrzehnten eine beeindruckende der Familie noch einmal am Kaffeetisch sitzen, nur für unsere hospizlich Begleiteten, dokumen- tung der Absichtslosigkeit bleiben. Ohne Bewer- Entwicklung hospizlich-palliativer Versorgungs- bei der Hochzeit des Enkelkindes dabei sein, dem tierte, haben wir uns als Team wie häufig bei ei- tung, ohne Nachbessern-Wollen und Besser- angebote entstanden, die sich die Worte der Lieblingsstar einmal ganz nahe kommen, einen nem Kaffee im Seminarraum zusammengefun- Wissen. Wir scheuen das Thema nicht. Die englischen Krankenschwester Cicely Saunders besonderen Ort der eigenen Lebensgeschichte den. Das ging damals noch, vor Corona. Menschen, die sich mit ihm melden, sind will- (1918–2005) zu eigen machen: „Es geht nicht wiedersehen oder aber auch die letzten Kräfte Wie wir das finden? „Die Welt wird kälter wer- kommen. Wir kennen die Antwort nicht. Wir darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern für den immer erträumten, aber nie verwirklich- den“, sagte eine, das war genau genommen ich. müssen sie auch nicht wissen. Wir dürfen ein den Tagen mehr Leben.“ Sterbende Menschen ten Fallschirmsprung bündeln – all das hat der „Wir machen einen Sekt auf“, sagte meine wun- kleines Stück mit nach ihr suchen. Wir bleiben sollen ein gutes, nicht künstlich verlängertes Wünschewagen bereits möglich gemacht. derbare Kollegin Dunja. Wir waren und sind innerlich die, die wir sind. Und alle anderen sol- Leben bis zuletzt haben, meinte die Begründerin immer ein wenig stolz darauf, dass wir den plu- len das auch bleiben dürfen, mit ein wenig Un- der modernen Hospizbewegung und Palliativ- ralistischen Diskurs schätzen. Wir können ruhig terstützung, wenn es geht, bei einer so drama- medizin damit. Dennoch findet das Sterben sehr Es geht nicht darum, unterschiedlicher Meinung sein. Manchmal ge- tischen Entscheidung. Und so tun wir es auch. oft abseits des gesellschaftlichen Lebens statt, in dem Leben mehr Tage raten wir in Diskussionen, öfter lassen wir sie Einmal kam ein Paar, der Mann hatte ganz Krankenhäusern und Heimen, teils recht ano- aus, weil wir unterschiedlicher Meinung sein frisch eine schwere Krebsdiagnose. Er hatte nym. Umso wichtiger, darüber zu sprechen und zu geben, sondern können, ohne dass die Arbeit beeinträchtigt das Krankenhaus wütend verlassen: Das wolle – mehr noch – den Tod und das Sterben in der den Tagen mehr Leben. wird. Dann ist eine Diskussion, die womöglich er nicht mitmachen, die Abhängigkeit, das Lei- Öffentlichkeit sichtbarer zu machen. trennend ausgeht, nicht nötig. den. Seine Freundin hielt ihm die Hand. Eine Der Arbeiter-Samariter-Bund Landesverband großartige mutige Liebesgeschichte. Und dann Schleswig-Holstein e.V. (ASB) hat sich diese Auf- „Was kann man sich denn hier wünschen?“ fehlten allerdings noch Informationen: Würde gabe in zweifacher Mission zu eigen gemacht. Sehr oft hören die Wunscherfüller*innen die- Widerspricht die Aufmerksam- eine weitere Diagnostik die Entscheidungen be- Zum einen erfüllt er mit seinem Projekt Wün- se Frage, wenn sie mit dem Wünschewagen in keit für diese Frage unserem An- einflussen? Welche Angebote hält das Gesund- schewagen todkranken Menschen letzte Wün- der Öffentlichkeit stehen. Und sehr oft sehen sie heits- und Pflegesystem bereit? Gibt es noch sche, und dies zumeist mitten drin im prallen Le- dann betretene Gesichter, wenn sie zu erzählen liegen, das Leben bis zuletzt wert- Wünsche oder wichtige Dinge zu erledigen? Wo ben. Zum anderen hat er zu Beginn dieses Jahres anfangen. „Wir haben Frau M. an Bord, sie wird zuschätzen und zu schützen? ist ein Medikament zu bekommen? Einige Zeit in Itzehoe das deutschlandweite erste ASB-Hos- bald sterben und wollte hier noch einmal einen später kam seine Freundin noch einmal allein. piz eröffnet, das dank angeschlossenem Veran- Kaffee trinken.“ Von „Ach, wie traurig“ bis „Nix Ihr Partner ist trotz vorhandenen Mittels ohne staltungsort in einer ehemaligen katholischen wie weg“ reichen die Reaktionen. Doch nicht Suizid, gut begleitet, verstorben. Jetzt ging es Kirche Kultur und Lebendigkeit dorthin bringen wenige werden neugierig und fragen nach und Diese hier war nötig. Es geht um unsere Arbeit, noch einmal um den gemeinsamen Prozess und soll, wo der Tod Alltag ist. erfahren dann staunend, wie fröhlich und aus- unsere Haltung, gewissermaßen um unser Mar- um die Trauer, mit der sie nun allein war. Menschen mit äußerst begrenzter Lebenserwar- gelassen die Stimmung bei den allermeisten kenzeichen als Fachleute für diese Grenzlinie Andere unserer Gesprächspartner*innen haben tung an ein Wunschziel ihrer Wahl zu bringen Wunschfahrten ist; wie sehr das Leben gefeiert zwischen Leben und Tod. sich anders entschieden und oft wissen wir es – das ist die Aufgabe des ASB-Wünschewagens. und in Erinnerungen geschwelgt wird. Und ja, In den nächsten Monaten haben wir uns – dann auch nicht. Ein kleines Puzzleteil in der Suchbe- Dank Spenden und des Engagements ehren- wie viel leichter den Fahrgästen dann schließ- unter Coronabedingungen häufig per Zoom – wegung – wenn wir das sein können: super! • amtlicher Wunscherfüller*innen ist das An- lich der Abschied vom Leben fällt. getroffen und diskutiert, unter den Hauptamt- gebot kostenlos. Circa 300 letzte Wünsche hat „Frau M. ist wenige Tage nach ihrem Ausflug lichen, mit dem Vorstand, mit etlichen Gruppen der Schleswig-Holsteiner Wünschewagen – Be- friedlich und zufrieden eingeschlafen.“ Wenn von Ehrenamtlichen, mit dem Team der am- Das Wichtigste aus den Leitsätzen der hospiz-initi- standteil eines deutschlandweiten Netzwerks – das Team des Wünschewagens wieder einmal bulanten Ethikberatung: Was löst das Thema ative kiel zur Frage des assistierten Suizids: in den gut sechs Jahren seines Bestehens erfüllt, eine solche Nachricht erhält, von Hospiz-Mit- in uns aus? Widerspricht die Aufmerksamkeit • Die Sorge für gute Bedingungen zur die allermeisten von erstaunlich bescheidener arbeitenden oder von Angehörigen, dann fühlt für diese schwere Frage unserem Anliegen, das Gestaltung des Lebensendes ist eine gesell- Annette Peters Natur. sich wieder alles gut und richtig an beim Projekt Leben bis zuletzt wertzuschätzen und zu schüt- schaftliche Aufgabe ASB LV Schleswig-Holstein e.V. Für viele Schleswig-Holsteiner*innen ist das Wünschewagen. Es sagt JA zum Leben – aber zen? Was bedeuten für uns Autonomie und Le- • Sterbe- und Suizidwünsche sind zulässig Kieler Straße 20a Meer der Sehnsuchtsort schlechthin. Oft sind eben auch zum Sterben. Beidem gleichberech- bensqualität, wenn es – mit Blick auf die Men- • Offen für Gespräche über Suizidwünsche Regina Barthel 24143 Kiel es nur wenige Kilometer dorthin, für einen tigt seinen Platz zu geben, lautet die Herausfor- schen, die wir so gerne begleiten – kaum generell • Beratung über Alternativen zum Suizid Waitzstraße 17, 24105 Kiel 0431 70694 31 schwerstkranken Menschen, in der letzten Pha- derung. • die materielle körperliche Selbstständigkeit • Schutz vor Fremdbestimmung 0431 22 03 35-0 a.peters@asb-sh.de se seines Lebens angekommen, ist dies jedoch sein kann? Was brauchen wir, um Menschen • Kein Angebot zur Beihilfe barthel@hospiz-initiative-kiel.de www.asb-sh.de oftmals ein unüberwindbares Hindernis. Medi- mit diesem Anliegen wirklich zu akzeptieren? • Begleitung bis zuletzt www.hospiz-initiative-kiel.de 16 | GESELLSCHAFT | TEILHABE & PFLEGE 17
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