JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT - ORTE, TRADITIONEN, GESCHICHTEN
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JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT DAVID-STERNSCHE KLINGT IRGENDWIE FRANKFURDERISCH? GRUSSWORTE Uwe Becker Bürgermeister und Kirchendezernent 4 Prof. Dr. Salomon Korn Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main 6 GEMEINSAME GESCHICHTE Geschichte 8 Persönlichkeiten 14 Die Jüdische Gemeinde 22 ENTDECKEN Besondere Orte 26 Das Jüdische Museum 32 Der jüdische Friedhof 36 ERLEBEN Jüdisches Leben in Bildern 40 Aktiv mit Makkabi 44 Feiertage und Traditionen 48 ERINNERN Anne Frank. Morgen mehr. 52 ISS JA AACH FRANKFURT Frankfurter Stolpersteine 56 David-Sternsche, Kippa und Damit ist Frankfurt auch die Schabbat klingen ein wenig jüdischste Stadt in Deutschland. Rundgang durch Frankfurt 60 „frankfurderisch“, denn jüdisches Wir sind glücklich und stolz, dass Leben ist seit mindestens 900 dies so ist und jüdisches Leben Jahren Teil der Identität unserer nach der schrecklichen Zäsur Organisationen, Vereine, Einrichtungen 63 Stadt. Viele der besonderen des Holocaust unser Frankfurt Eigenschaften Frankfurts, von der weiter mitprägt. Damit dies so Kultur über die Wissenschaft bis bleibt, setzen wir uns gegen jede zur Wirtschaft, sind mit dem Wir- Form des Antisemitismus ein und ken jüdischer Familien verbunden stehen als Frankfurterinnen und – in Geschichte und Gegenwart. Frankfurter zusammen. 3
GRUSSWORT UWE BECKER JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT Liebe Frankfurterinnen und Frankfurter, liebe Leserinnen und Leser, Jüdisches Leben besitzt in Frankfurt am Main eine große und lange Tradition. Dort, wo die historischen Wurzeln Frankfurts in der Altstadt liegen, finden sich seit dem 12. Jahrhundert auch die ersten Spuren jüdischen Gemeindelebens. Viele der besonderen Eigenschaften Frankfurts als Kultur- und Wissenschaftsstadt bis hin zur Wirtschaftsmetropole sind mit dem Wirken großer jüdischer Persönlichkeiten in Geschichte und Gegenwart verbunden. Wichtige Institutionen wie die Goethe-Universität verdanken ihre Existenz diesem Engagement. Damit ist Frankfurt am Main auch die jüdischste Stadt in Deutschland und jüdisches Leben ist ein fester Teil der Identität Frankfurts. Dennoch haben jüdische Bürgerinnen und Bürger über die Jahrhunderte hinweg immer wieder um ihre Gesundheit und ihr Leben fürchten müssen. Pogro- me in der Zeit der Kreuzzüge, während der schwarzen Pest oder im Zeit- fenster des Fettmilchaufstandes zeugen schon vor dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte von der Diskriminierung und der Entrechtung, denen Frankfurts Jüdinnen und Juden immer wieder ausgesetzt waren. Die schreckliche Zäsur des Holocaust mit der Vertreibung und Ermordung tausender jüdischer Frankfurterinnen und Frankfurter hat in unserer Stadt gesellschaftlich tiefe Wunden geschlagen, deren Narben bis heute sichtbar sind. Umso glücklicher sind wir darüber, dass jüdisches Leben vom TuS Mak- kabi bis zur I. E. Lichtigfeld-Schule heute wieder ein deutlich sichtbarer Teil unserer Stadtgesellschaft ist und die Jüdische Gemeinde Frankfurt als eine der größten Gemeinden in Deutschland seit Jahrzehnten auch das gesamt- gesellschaftliche Leben weit über die Stadtgrenzen hinaus intellektuell be- reichert. Diese Broschüre soll Ihnen in übersichtlicher Form einen Eindruck und Überblick über die jüdische Seite Frankfurts vermitteln, ohne die es unsere Stadt, so wie wir Frankfurt kennen und lieben, überhaupt nicht gäbe. Was ganze Buchbände nicht vollständig abbilden können, nämlich eine Ge- samtschau des jüdischen Lebens unserer Stadt, können auch die folgenden Seiten nicht leisten. Sie können Ihnen aber Geschichte und Gegenwart nä- herbringen und neugierig machen auf noch viel mehr an jüdischen Tradi- tionen, Geschichten und Persönlichkeiten unserer Stadt Frankfurt am Main. Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre. Uwe Becker Bürgermeister und Kirchendezernent 4 5
G R U S S W O R T P R O F. D R . S A LO M O N KO R N JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Frankfurter Freunde und verehrte Gäste, „Jüdisches Leben in Frankfurt“ – wo beginnt man und was erwähnt man als Erstes? Glücklicherweise stellt sich diese Frage hier in unserer schönen Stadt am Main. Spuren jüdischen Lebens finden sich nahezu überall! Denn Frankfurt blickt auf eine lange Tradition jüdischen Wirkens zurück. Ohne die jüdische Gemeinschaft wäre Frankfurt sicherlich nicht die Stadt, wie wir sie heute kennen. Kultur, Wissenschaft, Politik sind nur einige der Bereiche, die maßgeblich geprägt wurden von jüdischen Vertretern und die Frankfurt über die Landesgrenzen hinweg bekannt gemacht haben. Namen wie Horkheimer, Adorno und die „Frankfurter Schule“ oder auch Anne Frank haben heute noch Weltgeltung. Es ist eine Geschichte mit Höhen und Tiefen. Das Gedenken an die NS- Zeit und Gedenkstätten, die an das Leid der verfolgten und ermordeten Frankfurter Juden erinnern, gehören daher ebenfalls zum Stadtbild. Die jüdische Gemeinschaft in Frankfurt spielte zudem eine wichtige Rolle bei der Entwicklung eines neuen jüdischen Selbstbewusstseins nach 1945. Für das Wohl der hiesigen Gemeinschaft einzustehen und Herausforderungen anzunehmen, gehören seither zu den Hauptaufgaben der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main. Mit ihren ca. 6500 Mitgliedern setzt sie sich darüber hinaus für das Wohl der gesamten Stadtgesellschaft ein. Das Engagement für andere Minderheiten ist dabei ebenso wichtig wie der Kampf gegen Antisemitismus, Geschichtsvergessenheit und Intoleranz. Man kann guten Gewissens und mit historischer Gewissheit sagen, dass jüdisches Leben zu Frankfurt gehört, wie die Paulskirche und das Bethmännchen. Als fester Bestandteil dieser Stadt müssen wir daher keine Brücken mehr bauen, sondern nur unsere Türen öffnen. Sie sind herzlich eingeladen, einzutreten und die Vielfalt jüdischen Lebens kennenzulernen. Für ein Miteinander und Füreinander in unserer Stadt! Prof. Dr. Salomon Korn Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main 6 7
GEMEINSAME GESCHICHTE GESCHICHTE JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT 1360 durften Juden sich erneut in 2 Frankfurt niederlassen. Das Herr- schafts-, Besteuerungs- und Schutz- recht über sie lag inzwischen wieder beim Kaiser. Durch Verpfändun- gen und politische Wendungen gelangten diese Rechte 1372 abermals in den Besitz der Stadt. Der Rat setzte seine Jüdische Geschichte die Juden mehr und mehr einschränkende und in Frankfurt am Main finanziell belastende Politik fort. Trotzdem E I N Ü B E R B LI C K blieb die Stadt mit ihren inzwischen zwei Messen Die Ersterwähnung jüdischer Prä- nieder. Ihre Häuser befanden sich in den folgenden Jahrzehn- senz in Frankfurt fällt in das Jahr 1150. auch diesmal wieder entlang der ten weiterhin für Juden als Wann sich genau eine Jüdische Ge- Fahr- und der Saalgasse, ihre Sy- Ansiedlungsort attraktiv. Das meinde bildete, ist unklar, ihre erste nagoge und ihr Gemeindehaus Verhältnis des Frankfurter Rats Auslöschung hat jedoch ein Datum. zwischen Dom und Main. Das „Ju- gegenüber den ansässigen Juden Am 22. Mai 1241, nicht ganz ein Jahr denregal“, die Herrschafts- und Be- war und blieb ambivalent. Dennoch nachdem Kaiser Friedrich II. den steuerungsrechte über die Juden, zögerte er, als Kaiser Friedrich III. Frankfurtern das Messeprivileg aus- lag beim König. Dieser verpfändete 1450 die Vertreibung der Juden aus 1 Alte Synagoge in gestellt hatte und fünf Jahre nach- 1349 seine Rechte an Frankfurts ihren Häusern in der Nähe des Doms dem er sich zum Schutzherrn aller Juden und ihrem Eigentum an den forderte. Erst auf dessen Druck be- der Judengasse Juden im Reich erklärt hatte, taten Rat der Stadt. Er verzichtete in der gann der Rat mit der Errichtung eines 2 Die Judengasse mit sich Frankfurter Bürger zusammen, Urkunde auf Schadensersatz, falls separaten Wohngebiets außerhalb Blick Richtung Süden überfielen und ermordeten 180 Ju- den Juden der Stadt etwas zustoßen der Stadt. 1462 wurden die Frank- den, um sich an ihrem Besitz zu sollte. Im Falle ihres Todes würde ihr furter Juden schließlich gezwungen, Haushalte. Die Neuankömmlinge er- bereichern. 24 Juden konnten sich Eigentum an die Stadt fallen. Kaum ihre Häuser in der Stadt aufzugeben richteten aus eigenen Mitteln neue durch Annahme der Taufe retten. hatte der Kaiser die Stadt verlassen, und in die vom Rat vor der nordöst- Gebäude, so dass mit der Zeit eine 1 Schon wenige Jah- überfielen und ermordeten verschul- lichen Stadtmauer errichteten Ge- etwa 330 Meter lange Gasse mit zu re später ließen sich dete Frankfurter Bürger die Juden. bäude umzuziehen. Um diese Zeit beiden Seiten je 100 Häusern ent- Juden wieder in der Die Pest, mit der dieses Ereignis in lebten 43 jüdische Familien in Frank- stand. Die enge Judengasse wurde wirtschaftlich flo- Verbindung gebracht wurde, kam furt. Durch Zuzug im Verlauf der durch 3 Tore abends sowie an Sonn- rierenden Mes- erst später in die Stadt, als schon folgenden sechzig Jahre verzehn- und christlichen Feiertagen von der sestadt Frankfurt keine Juden mehr hier lebten. Seit fachte sich die Zahl der jüdischen restlichen Stadt abgeschlossen. 8 9
GEMEINSAME GESCHICHTE GESCHICHTE JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT 1614 gestürmt und geplündert. Die Auch eine Verbesserung gab es: An- 1.380 Frankfurter Juden mussten ders als in den Jahrhunderten zuvor in benachbarte Territorien fliehen. mussten die jüdischen Haushalts- Das Eingreifen des Kaisers beende- vorstände ihre Aufenthaltserlaubnis te den Aufstand. Seinen Anführern, nun nicht mehr alle drei Jahre er- allen voran dem Lebkuchenbäcker neuern. Sie blieb, einmal gegeben, Vinzenz Fettmilch, wurde der Pro- dauerhaft bestehen. Das bezahlten zess gemacht. Er und sechs weitere sie allerdings mit hohen Abgaben Aufrührer wurden öffentlich hinge- und Steuern an sowohl den Rat als richtet. Kaiserliche Soldaten geleite- auch den Kaiser. Anfang des 18. ten schließlich die Frankfurter Juden Jahrhunderts ereigneten sich in- zurück in die Stadt und die Juden- nerhalb von zehn Jahren gleich gasse. An deren Toren wurde zwei Katastrophen in der Juden- 2 nun der Reichsadler als Zei- gasse. Ausgelöst durch ein schnell 1 chen des kaiserlichen Schut- um sich greifendes Feuer innerhalb zes angebracht. Den Jahrestag der Gasse, brannte im Januar 1711 ihrer Rückführung nach Frank- die gesamte Judengasse nieder. furt begingen die Juden fortan als Kaum waren die Häuser wiederauf- Freudenfest, genannt „Vinz-Purim“, gebaut, zerstörte im Januar 1721 ein nach dem Vornamen Fettmilchs. Im weiterer Großbrand im nördlichen selben Jahr erließ der Kaiser eine Teil der Gasse etwa 100 Häuser. Die neue Ordnung für die Frankfurter übrigen wurden während der Lösch- Juden. Sie beinhaltete eine Vielzahl arbeiten durch christliche Nachbarn an restriktiven Paragraphen. Die An- geplündert und beschädigt. Beide zahl der jüdischen Familien in Frank- Male durften bis nach Beendigung furt wurde auf 500 beschränkt. Zu- des Wiederaufbaus der Gasse die künftig durften jährlich nur noch 12 obdachlos gewordenen Juden, die jüdische Paare heiraten, davon nur es sich noch leisten konnten, in der 1 Hauptsynagoge, Inneres 6 Personen von auswärts stammen. Stadt bei Christen zur Miete wohnen. 2 Nördlicher Teil der Juden- Anfang des 17. Jahrhunderts führten Der Einkauf auf dem Markt vor den Die anderen und auch die, die keine soziale Spannungen zwischen Rat Bürgern und das Berühren der Ware Aufenthaltserlaubnis 3 gasse mit Hauptsynagoge, und Handwerkern zu Unruhen in der wurden ihnen ebenso untersagt wie hatten, mussten die 1885 wurde die gesamte Stadt und schließlich zum Aufstand das Halten von offenen Läden und Stadt verlassen. Judengasse in Börnestraße gegen den Rat. Der Zorn der aufstän- der Kleinhandel in der Stadt. Aus- Obwohl die bei- dischen Handwerker entlud sich ge- drücklich gestattet waren hingegen den Brände umbenannt 3 Börneplatz gen die jüdische Bevölkerung. Die von nun an der Großhandel mit zur Verarmung synagoge Innenraum, 1932 Judengasse wurde am 22. August Pfandgütern und der Fernhandel. eines Großteils 10 11
GEMEINSAME GESCHICHTE GESCHICHTE JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT 1 der jüdischen Haus- Der wieder etablierte Frankfurter kunft gerichtete offene lebenswerte freikamen und noch über Mittel ver- halte geführt hatten, Rat entzog ihnen die Gleichstellung, Stadt zu entwickeln. fügten, verließen Deutschland so verlangte der Rat gewährte aber verschiedene wirt- Die Nationalsozialisten zerschlu- schnell es ging. Anderen gelang die Zahlung der schaftliche Freiheiten. Diesen folgte gen diese Entwicklung. Im Jahr 1933 es nur noch ihre Kinder über den üblichen ho- ab September 1824 die privatrecht- lebten etwa 30.000 Juden in Frank- „Kindertransport“ nach England hen Abgaben. liche Gleichstellung, was die Nieder- furt, 6,3 % der Gesamtbevölkerung. zu retten. Mit Beginn des 2. Welt- Auch sonst setz- lassung an jedem gewünschten Ort Unter dem Druck von zunehmender kriegs wurde es für Juden fast un- te er in jeder Hin- innerhalb der Stadt mit sich brachte. Ausgrenzung, Entrechtung und Ver- möglich, Deutschland zu verlassen. sicht seine Politik Fremden Juden blieb jedoch weiter- folgung verließen viele von ihnen Ab 1941 war ihnen dies verboten. der Einschränkungen hin der Zuzug nach Frankfurt ver- Frankfurt und Deutschland, wäh- Die in Frankfurt verbliebenen Juden gegenüber der Jüdischen Gemein- wehrt. Das änderte sich erst 1848, rend ihre Geschäfte und Unterneh- wurden ab dem 19. Oktober 1941 in de fort. als die deutsche Nationalversamm- men arisiert wurden. Am 10. Novem- die Konzentrations- und Todesla- Erst eine weitere Katastrophe lung in der Paulskirche die Gleich- ber 1938 plünderten, verwüsteten ger verschleppt und ermordet. Von sollte die Lage der Frankfurter Ju- stellung der Juden beschloss. Mit und brandschatzten Nationalsozia- den mehr als 12.000 jüdischen Ver- den verbessern. Als französische dem Scheitern der Versammlung listen auch Frankfurts Synagogen schleppten kehrten nur 179 Perso- Truppen 1796 die Stadt belagerten wurde auch den Frankfurter Juden und ebenso überfielen, zerstörten nen nach Frankfurt zurück. und beschossen, geriet die Frank- ihre Gleichstellung wieder entzogen. und plünderten sie jüdische Ge- Im Jahr 1946 wurde die Gemein- furter Judengasse ein drittes Mal in Erst 1864, als sich längst viele schäfte und Privatwohnungen. Sie de wiederbegründet. Während viele Brand. Wieder verloren viele jüdi- Frankfurter Juden wirtschaftlich eta- verschleppten über 3000 jüdische überlebende Frankfurter Juden ins sche Familien Haus und Habe. Die- bliert und zum Wohle ihrer Heimat- Männer aus Frankfurt in die Kon- Ausland auswanderten, zogen über- se Zerstörung markierte das Ende stadt engagiert hatten, räumte ihnen zentrationslager Buchenwald und lebende Juden aus Polen, Russland der ersten und am längsten beste- schließlich der Frankfurter Stadtrat Dachau. Diejenigen, die wieder und anderen Ländern aus verschie- henden Judengasse Europas. Die die bürgerlich-rechtliche und politi- denen ‚Displaced Persons‘ Lagern folgenden Jahre brachten Verbes- sche Gleichstellung endgültig ein, 2 nach Frankfurt. Die nunmehr sehr serungen, aber auch immer wieder was 1871 auch auf der Ebene des heterogene Jüdische Gemeinde Rückschläge für die Frankfurter Ju- Deutschen Reichs zementiert wur- wuchs bis Ende der Achtziger den mit sich. Die erhoffte rechtliche de. Juden engagierten sich in den Jahre des 20. Jahrhunderts auf Gleichstellung durch den 1806 von unterschiedlichsten beruflichen und etwa 3000 Mitglieder an. Mit Napoleon eingesetzten Fürstprimas gesellschaftlichen Richtungen. In der in den Neunziger Jahren Carl Theodor von Dahlberg erfolgte Wirtschaft, Politik, Kultur und Wis- einsetzenden Zuwande- nicht von selbst. Erst als sie die Zah- senschaft, im Stiftungswesen und rung der jüdischen Kon- lung der enorm hohen Summe von in vielen anderen Bereichen trugen tingentflüchtlinge aus 440.000 Gulden an von Dahlberg Juden dazu bei, ihre Heimatstadt den Nachfolgestaaten der geleistet hatten, erhielten die Frank- Frankfurt in eine moderne in die Zu- ehemaligen Sowjetunion furter Juden 1811 die Gleichstellung. hat die Jüdische Gemeinde Mit der Niederlage Napoleons 1 Ruine Börneplatzsynagoge, die Frankfurt heute 6.500 Mitglie- 1813 floh von Dahlberg aus der Stadt. 1938 in der Pogromnacht in Brand der. gesetzt wurde 2 Chanukka-Leuchter vor der Alten Oper Frankfurt 12 13
GEMEINSAME GESCHICHTE PERSÖNLICHKEITEN JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT vielfältig und lebendig. Besonders Was ist Ihr Lieblingsfeiertag? ist, dass bei uns zu fast jedem An- Definitiv Pessach. Es beginnt mit lass gegessen wird. An manchen dem Sederabend, eine zeremoniel- Feiertagen essen wir Fisch oder le Mahlzeit. Wir sind alle zusammen, etwas Süßes, an anderen etwas Mil- denn die Kinder und Enkel reisen chiges. Neben dem Essen spielen meistens an. Das ist schon mal das bei uns Fragen eine große Rolle. Schönste. Dann wird der Esstisch ge- Es heißt oft zwei Juden und drei Er- dreht, damit alle Platz finden, denn klärungen (lacht). Fragen sind im Ju- die Eltern meiner Schwiegerkinder dentum sehr wichtig, auch wichtiger kommen auch. Wir sind oft mindes- Im Gespräch als die Antworten. tens 25 Leute. Es ist wunderschön. Es beginnt mit der Huldigung des J Ü D I S C H E S L E B E N I N F R A N K F U R T – DA S S I N D N E B E N D E R J Ü D I S C H E N Was ist Ihnen an Ihrer Religion Tages und dem obligatorischen Be- G E M E I N D E N AT Ü R L I C H VO R A L L E M D I E J Ü D I N N E N U N D J U D E N , D I E wichtig? cher Wein sowie der Einladung am Die Religion gibt mir einen gewissen Mahl teilzunehmen, bei dem auch H I E R I N F R A N K F U R T L E B E N U N D D I E S TA DT G E S TA LT E N . W I R H A B E N Halt. Im Judentum beginnt die Reli- Andersgläubige und Bedürftige ein- VIER FRANKFURTERINNEN UND FRANKFURTER GETROFFEN UND SIE gion mit der Geburt und endet mit geladen sind. Allerdings muss der H A B E N U N S VO N S I C H E R Z Ä H LT. dem Ableben. Es ist von Babytagen Gast Geduld mitbringen, denn es bis ins hohe Alter alles geregelt. Ge- geht nicht gleich los. Erst wird aus Sind Sie gläubig und wie würden Sie sich in Ihrem Glauben beschreiben? nauso wie dir die Religion übers Jahr der Haggada vorgelesen. Das ist die In meinem Glauben bin ich sehr traditionell einen gewissen Rhythmus vorgibt. Geschichte des Auszuges aus Ägyp- mit dem Judentum verbunden. Es bedeu- Im Winter feiern wir unter anderem ten. Anschließend stellen die Kinder tet, dass ich versuche alle Gebote einzu- Chanukka, dann Pessach im Früh- vier Fragen symbolisch an die Tisch- halten. Ich halte mich an die Speisege- ling und im Herbst die hohen Feier- gesellschaft. Diese werden meis- setze und nach Möglichkeit auch an tage wie Rosch ha-Schana und Jom tens singend vorgetragen. Nach alle anderen Regeln. Traditionen Kippur. Innerhalb der Woche haben 1 bis 1,5 Stunden sind die Fragen be- wir Stress und am Sabbat kommen antwortet und dann wird gegessen, wir zur Ruhe. Dann steht die Familie anschließend geht es weiter mit vor- im Mittelpunkt. tragen und beten. Darüber hinaus ist das Judentum Das Beste an Pessach aber ist F I S ZE L A J N WOJ N E R ja nicht nur eine Religion. Auch Karl nicht das Essen oder der Wein, son- lebt seit seinem 2. Lebensjahr in Marx und Leo Trotzki waren bei- dern dass wir die Freiheit feiern. Wir Frankfurt und ist Aufseher und Gabbai in spielsweise Juden ohne gläubig zu waren ein Sklavenvolk in Ägypten der Westend-Synagoge. Ein Gabbai ist der sein. Wir sind auch ein Volk, eine und Moses hat uns herausgeführt Laienvorsteher einer Synagoge, der den betrieblichen Ablauf organisiert. sind mir sehr wichtig. Sie be- Nation, eine Schicksals- und Glau- und von der Sklaverei befreit. Das Der 65-Jährige ist seit 40 Jahren stimmen meinen Alltag. Ge- bensgemeinschaft. Es ist vieles, was kenne ich von keiner anderen Reli- verheiratet und hat vier rade jüdische Traditionen sind uns miteinander verbindet. gion – ein Fest für die Freiheit. erwachsene Kinder. 14 15
GEMEINSAME GESCHICHTE PERSÖNLICHKEITEN JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT Was gefällt Ihnen an Frankfurt? das Feuerwerk losging, warfen sie Ich habe mein ganzes Leben hier sich instinktiv auf den Boden. Sie gelebt, habe also keinen Vergleich. wussten nicht, dass es ein Feuer- Das ist bei meinen Kindern schon werk gibt. Die anderen Menschen BARBARA BIŠICKÝ-EHRLICH anders. Grundsätzlich bin ich gern im Palmengarten schauten irritiert. ist gebürtige Frankfurterin. Gemeinsam Frankfurter. Ich fühle mich hier wohl Aber sie haben es halt von klein auf mit ihren drei Kindern (Mädchen (18), Junge (16) und Mädchen (12)) lebt die 46-jährige und habe alles, was ich brauche. gelernt, wenn es kracht, dann werft wieder im Stadtteil ihrer Kindheit. Sie hat in Es ist eine Großstadt, aber nicht so ihr euch auf den Boden. Sie han- Prag studiert sowie zwischenzeitlich in München, groß. Es gibt einen Flughafen und delten instinktiv. So ist das. Das be- Stuttgart und Baden-Baden gelebt. Sie arbeitet als Synchron- und Werbesprecherin, ist Autorin und einen großen Bahnhof. Ich habe ein schreibt den Unterschied ganz gut. leitet Kindertheatergruppen in der Jüdischen vielfältiges Kulturangebot mit Thea- Und vielleicht ist es nicht einfach zu Gemeinde. Gemeinsam mit ihrer acht- tern und der Alten Oper. Hier gibt es verstehen, wenn man die Erfahrung zehnjährigen Tochter Lyel, die kurz vor ihrem Abitur steht, erzählt sie uns ein gutes Sportangebot sowie Eis- nicht gemacht hat. Aber wenn das von ihrem jüdischen Leben in hockey und Bundesligafußball. Wir Kind unter Polizeischutz in den Kin- Frankfurt. dergarten kommt und Panzerfenster DA S B ESTE A N P ES S AC H im Gebäude sind und es in der Schu- A B E R I ST N I C HT DA S ES S E N le so weitergeht und in der Synago- Sind Sie gläubig und wie würden O D E R D E R W E I N , SO N D E R N ge auch, dann fragst du dich, was ist Sie sich in Ihrem Glauben beschrei- DA S S W I R D I E F R E I H E IT F E I E R N . eigentlich der Unterschied zu den ben? haben mehrere kleine Synagogen nicht jüdischen Frankfurterinnen L. Ich bin Jüdin, aber nicht religiös und eine wunderschöne große Syn- und Frankfurtern oder Offenbache- aufgewachsen und wir feiern nicht agoge sowie ein koscheres Lebens- rinnen oder Berlinern, bei denen jeden Freitag Shabbat oder essen mittelgeschäft. Ich kann hier mein kein Polizeiwagen vor dem Kinder- koscher, aber was ich wirklich mag, Judentum ausleben. Es gibt einen garten, der Schule und der Kirche sind die Feiertage. Judentum ist für B. Das geht mir genauso. Ich bin jüdischen Kindergarten und eine jü- steht. Und dann merkst du, dass mich nicht unbedingt der Glaube an nicht religiös und wir leben nicht dische Schule. Also eigentlich alles, du scheinbar doch anders bist. Ich Gott, sondern die Gemeinschaft. Wir religiös. Auch kann ich nicht einmal was ich brauche. hatte eigentlich mal gehofft, dass sind ja eine Minderheit und deshalb wirklich sagen, ob ich an Gott glau- meine Enkelkinder nicht mehr unter halten wir besonders zusammen. be oder nicht. Trotzdem ist für mich Was wünschen Sie sich für die Zu- Polizeischutz in den Kindergarten Ich engagiere mich in meiner Frei- das Judentum sehr wichtig. Es ist kunft für Frankfurt? oder die Schule gehen müssen und zeit im jüdischen Jugendzentrum ein wichtiger Teil meiner Identität Ich beschreibe es mal so: Als meine ein sorgenfreieres Leben haben. Amichai. Da zeigt sich zum einen die und spielt in ganz vielen Schichten Tochter mit 12, 13 Jahren Das ist eigentlich mein Wunsch für besondere Gemeinschaft und zum meines Seins eine Rolle. Ich kann es das erste Mal allein mit die Zukunft, aber die Menschen ler- anderen zeigt sie sich auch an den gar nicht immer so in Worte fassen. ihren Freundinnen in nen bedauerlicherweise nichts und Feiertagen. Wenn wir mit der Fami- Es hat ganz viel mit meinen Sinnen den Palmengarten wir haben viel Routine damit. lie und jüdischen sowie nicht-jüdi- zu tun, mit Gefühlen und Gerüchen zum Rosenfest schen Freunden zusammen essen genauso wie mit Gegenständen, ging und am Ende Vielen Dank für das Interview und Lieder singen. Damit verbinde die man sieht und denen man sich ich mein Jüdischsein. 16 17
GEMEINSAME GESCHICHTE PERSÖNLICHKEITEN JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT verbunden fühlt. Es ist irgendwie lerweise fliegen wir zusammen mit nungen häufig sehr groß. Außerdem resse an dem Fremden hätten und ein Zugehörigkeits- und Gemein- meinem Vater jedes Jahr zu unserer mag ich wirklich, dass irgendwie je- dadurch ein größeres Verständnis schaftsgefühl. Wahrscheinlich ist Familie nach Kanada. Das ist etwas der jeden über irgendeinen ande- füreinander gewinnen würden. es das Sammelsurium an Bräuchen ganz besonderes, weil die ganze ren Freund oder Bekannten kennt. und Traditionen und weniger die Familie, die sich nur einmal im Jahr So kommen viele unterschiedliche L. Ich würde mir wünschen, dass ich Religion mit ihren religiösen Regeln sieht, an einem Tisch zusammen- Leute aus unterschiedlichen Kreisen meine Davidsternkette einfach tra- und Vorschriften. kommt. Das finde ich schön. Außer- zusammen. gen könnte und sie nicht unter dem dem dauert der Feiertag sehr lange. Pulli verstecken müsste, wie ich es Haben Sie denn einen Lieblings- Es werden viele Lieder gesungen Was wünschen Sie sich für die Zu- beispielsweise in der U-Bahn aus feiertag? und die ganze Familie feiert zusam- kunft für Frankfurt? Angst mache. Wunderbar wäre es, B. Grundsätzlich mag ich jeden men. Natürlich gibt es auch sehr le- B. Ich würde mir wünschen, dass es wenn ich mir darüber gar keine Ge- Feiertag, an dem wir alle zusammen ckeres Essen. nicht mehr nötig wäre, jüdische Ein- danken mehr machen müsste. Auch sind und lecker essen. Darauf freuen richtungen zu bewachen. Natürlich wünsche ich mir, dass das Juden- wir uns auch immer sehr. Manchmal Wie würden Sie Ihr Leben in Frank- wäre es schön, wenn wir alle gene- tum nicht mehr durch den Holocaust bereitet meine Mutter Böhmische furt beschreiben? rell keine Angst mehr vor Terroran- definiert wird. Er ist Teil unserer Ge- B. Frankfurt ist mein Zuhause. An schlägen, Ausgrenzung und Diskri- schichte, aber er definiert nicht das I C H W Ü R D E M I R W Ü N SC H E N , Frankfurt liebe ich besonders die minierung zu haben bräuchten. Es Judentum. DA S S I C H M E I N E DAV I DSTE R N Vielfalt. Schon immer herrscht hier würde mich freuen, wenn wir alle K E T TE E I N FAC H TR AG E N KÖ N NTE eine Multi-Kulti-Kultur, die auch ze- vielleicht grundsätzlich mehr Inte- Vielen Dank für das Interview U N D S I E N I C HT U NTE R D E M lebriert wird. Ich glaube, dass viele PU LLI V E RSTEC K E N M Ü S STE , Frankfurterinnen und Frankfurter W I E I C H ES B E I S P I E LSW E I S E I N D E R darauf stolz sind. Das mag ich. Au- U - BA H N AU S A N G ST M AC H E . ßerdem habe ich gern, dass Frank- Ente mit Kraut und Knödel zu und furt eine Kleinstadt mit Großstadt- CHEN JERUSALEM es gibt die klassische Hühnersuppe flair ist. Von einem zum anderen ist gebürtiger Frankfurter und 31 Jahre sowie traditionell jüdische Gerichte Ende braucht man maximal 20 Minu- alt. Seit kurzem lebt er wieder in seiner wie gehackte Leber und viele an- ten mit dem Auto und trotzdem hat Heimatstadt. Er hat Modedesign in München dere unglaublich leckere Gerichte. man das Gefühl in einer Großstadt und Amsterdam studiert sowie unter anderem in Australien und Amerika gelebt. Chen Ich glaube, ich mag Rosch ha-Scha- zu leben, die viel Kunst, Kultur und Was ge- Jerusalem arbeitet aktuell selbstständig na, das ist das jüdische Neujahr, am unterschiedliche Möglichkeiten des fällt Ihnen als Kreativberater und unterrichtet an liebsten. Gemeinsam wird gegessen Zusammenlebens bietet. an Frank- der Akademie für Mode und Design München visuelle Strategien und man isst Äpfel mit Honig, die das furt und war- und Content Management. kommende Jahr versüßen sollen. L. Was ich auch an Frankfurt liebe um sind Sie zu- Das habe ich sehr gerne. ist, dass meine Oma um die Ecke rückgekommen? lebt und mein Vater nur 20 Minuten Ich finde es sehr angenehm, in Frankfurt L. Für mich ist Pessach, im Frühling, entfernt ist. Das finde ich toll. In Ber- zu sein und zu leben. Ich bin normalerweise immer besonders schön. Norma- lin beispielsweise sind die Entfer- beruflich viel unterwegs und freue mich, wenn 18 19
GEMEINSAME GESCHICHTE PERSÖNLICHKEITEN JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT ich dann wieder hier bin. Die Stadt jüdische Identität prägt auch heute Deutschland. Ich freue mich jedes klein und trotzdem so voller Pow- hat für mich eine gewisse Ruhe. Sie meinen Alltag. Ich habe zwar keinen Mal, wenn beispielsweise die jüdi- er. Ich wünsche mir, dass die Stadt bietet auf kleinem Raum viel Kultur Glatt-koscheren Haushalt, aber ich schen Filmfesttage oder die jüdi- sich mehr traut und mehr bewegt. und viele unterschiedliche Möglich- esse kein Schweinefleisch und kei- schen Kulturwochen sind, und finde Der Vorteil von Frankfurt ist, dass es keiten. Im Vergleich zu vielen ande- ne Meeresfrüchte. Ich halte mich an vor allem, dass diese in den letzten eine kleine Metropole ist. Frankfurt ren Metropolen, in denen ich gelebt koschere Gesetze. Freitagabend Jahren ihr Potenzial sehr viel besser sollte daher selbstbewusster wer- habe, strahlt die Stadt trotzdem eine feiere ich eigentlich immer mit mei- genutzt haben. Ich genieße es total, den und noch mehr diesen Trumpf gewisse Ruhe aus, die ich genieße. nen Eltern und in der Regel auch mit wenn hier etwas passiert. Es ist Teil nutzen. Außerdem gefällt mir die kompakte der erweiterten Familie den Sabbat. dieser Kleinmetropole. Viele Leute Für das jüdische Leben würde ich Größe. Häufig sind beispielsweise in Selbst würde ich mich als liberal tra- kommen dann wieder zusammen mir wünschen, nein eigentlich gene- anderen Metropolen lange Strecken ditionell beschreiben. und treffen sich. Mittlerweile kennt rell, dass wir uns einander mit mehr zwischen Wohn- und Arbeitsort zu man innerhalb der Gemeinde sehr Akzeptanz und Toleranz begegnen. überwinden. Hier in Frankfurt bin Haben Sie einen Lieblingsfeiertag? viele Leute, aber es kommen immer In unserer Gesellschaft sollte mehr ich eigentlich nur mit dem Fahrrad Chanukka finde ich immer am neue Gesichter dazu. So wie wir Platz für die unterschiedlichen Kul- unterwegs. Dadurch erlebe ich eine schönsten. Man muss dazusagen, weggezogen sind, sind auch viele turen, Traditionen und Religionen ganz andere Atmosphäre. Mir gefällt dass ich auch Weihnachten liebe nach Frankfurt gezogen. sein und wir sollten die Traditionen und es mag, wenn draußen die vie- Es ist aber trotzdem nicht nur voneinander kennen. A LS K I N D FA N D I C H len Lichter leuchten und die Weih- eitel Sonnenschein. Auch ich habe PU R I M I M M E R TO LL . DA S I ST U N S E R nachtsbäume die Stadt schmücken. Erfahrungen mit Antisemitismus Vielen Dank für das Interview FA SC H I N G . I N D E R SC H U LE Es ist die gemütliche Jahreszeit und gemacht. Glücklicherweise keine H AT TE N W I R DA M A LS E I N R I ES I G ES ich finde es schön, gemeinsam mit körperliche Gewalt, aber auf dem F EST M IT V I E LE N STÄ N D E N U N D A LLE WA R E N V E R K LE I D E T. Freunden, die in verschiedenen Kul- Schulhof habe ich mehr als ein- turen und Religionen zu Hause sind, mal „du Jude“ als Schimpfwort das aktuell. Aber ich vermute, dass oder der Familie zu feiern. Je länger gehört oder wurde mit merk- ich auch irgendwann wieder weiter- ich aber darüber nachdenke, fallen würdigen Vorurteilen, dass ziehen werde. mir viele Lieblingsfeiertage ein. Als Juden geizig oder un- Kind fand ich Purim immer toll. Das sportlich sind, konfron- Sind Sie gläubig und wie würden ist unser Fasching. In der Schule tiert. Beschimpfungen Sie sich in Ihrem Glauben beschrei- hatten wir damals ein riesiges Fest als Schüler sind lei- ben? mit vielen Ständen und alle waren der oft Alltag. Jüdisch zu sein, ist ein wichtiger verkleidet. Teil meiner Identität. Ich bin sehr Was würden Sie sich traditionell erzogen worden und bin Wie ist es in Frankfurt jüdisch zu für das jüdische Leben auch traditionell, würde ich sagen. sein? in Frankfurt wünschen? Meine Mutter unterrichtet an der Ich finde, Frankfurt hat ein sehr in- Frankfurt ist eigentlich jüdischen Schule und ich bin auch teressantes jüdisches Leben. Die dort zur Schule gegangen. Meine Gemeinde gehört zu den größten in Purim-Fest in einem jüdischen Kindergarten 20 21
GEMEINSAME GESCHICHTE DIE JÜDISCHE GEMEINDE JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT Gründung der Jüdischen Gemeinde Beherbergung von Kinder- und Ju- Frankfurt gab es nur noch wenige gendeinrichtungen, eines kosheren Ur-Frankfurter. Die meisten Mitglie- Restaurants und eines Festsaals, der waren aus anderen Städten und vor allem zum Begegnungsort zwi- Ländern zugezogen oder „strande- schen jüdischen und nicht-jüdischen ten“ hier als so genannte „Displaced Frankfurtern geworden ist. Die Jü- Persons“. Sie hatten fast alles ver- dischen Kulturwochen, Konzerte loren, nicht aber ihren Kampfgeist, nicht ihre Hoffnung und nicht ihren Lebensmut. Starke Persönlich- Dynamisch, pulsierend, keiten wie Ignatz Bubis, Dieter Graumann und der amtieren- zukunftsorientiert de Gemeinde-Vorstands- vorsitzende Prof. Dr. Salo- D I E J Ü D I SC H E G E M E I N D E FR A N K FU RT A M M A I N mon Korn verhalfen der I S T FE S TE R B E S TA N DTE I L D E S KU LTU R E LLE N U N D Jüdischen Gemeinde SOZI A LE N LE B E N S I N FR A N K FU RT seitdem nicht nur zu Anerkennung und Die Anfänge jüdischen Lebens in darunter weltbekannte Namen wie einer festen Posi- der Mainmetropole gehen zurück Erich Fromm, Theodor W. Adorno tion in der Stadt, ins 12. Jahrhundert, im Jahr 1864 er- oder Anne Frank. Die Frankfurter jü- sondern auch zu bun- reichte die wechselvolle Geschichte dische Gemeinschaft bestach schon desweitem Ansehen einen wichtigen Meilenstein: die damals durch eine plurale Gemein- und Gehör. Die Stimme bürgerliche Gleichstellung. Die Ge- delandschaft, die maßgeblich zum der Jüdischen Gemeinde meinde wuchs bis zum Jahr 1933 kulturellen, sozialen und wirtschaft- Frankfurt ist seit Jahrzehnten auf mehr als 30.000 Mitglieder an, lichen Wachstum der Stadt beitrug. präsent, ob im Kampf gegen 1 Welche Zäsur der Holocaust bedeu- Antisemitismus und Holocaust- tete, offenbaren Zahlen: 1949 zählte relativierung oder beim Einsatz für 2 die Jüdische Gemeinde nur noch andere Minderheiten und soziale rund 800 Mitglieder. 12.000 Frank- Gerechtigkeit. sowie zahlreiche weitere Veranstal- furter Juden waren in der NS-Zeit Heute hat die Jüdische Gemeinde tungen laden ein, die Jüdische Ge- deportiert, die meisten von ihnen rund 6.500 Mitglieder – von ortho- meinde kennenzulernen und das ermordet worden. Bei der Neu- dox bis liberal sind die Strömungen Miteinander zu erleben. des Judentums vertreten. Dreh- und 2020 wurde der im Westend 1 Blick ins Informations Angelpunkt des Gemeindelebens befindliche Neubau der jüdischen blatt des Zentralrats der ist das 1986 erbaute Ignatz Bubis- Grundschule eingeweiht, die ge- Juden in Deutschland Gemeindezentrum, das neben der meinsam mit dem Gymnasium im 2 Mit Kippa unterwegs in Frankfurt 22 23
GEMEINSAME GESCHICHTE DIE JÜDISCHE GEMEINDE JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT 2 weg, im Altenzentrum der Jüdischen Gremien vertreten, die sich um politi- Eröffnung des Ignatz Bubis-Gemein- Gemeinde sowie in der Henry und sche und soziale Belange kümmern. dezentrums. Die Gestaltung eines Emma Budge-Stiftung. Reisende Zivilgesellschaftliche Allianzen und blühenden und vor allem sicheren kennen vielleicht auch einen der drei Kooperationen, wie das „Römer- jüdischen Lebens gehört daher zu 1 Gebetsräume im Frankfurter Flugha- bergbündnis“ oder die Mitglied- den Prioritäten. Dabei versteht sich fen. Beim Rundgang durch Frankfurt schaft im „Rat der Religionen“ sind die Jüdische Gemeinde als integra- gilt es aber auch die Leerstellen zu dabei Zeichen des gemeinsamen, ler Teil dieser Stadt. Dieses Selbst- betrachten. Denn wo heute vielleicht entschlossenen Engagements. In verständnis der jüdischen Gemein- 1 Grundsteinlegung für das „nichts“ steht, war früher vielleicht der Arbeit, die nach außen gerichtet schaft ist ausschlaggebend für ihr Jüdische Gemeindezentrum ein Ort lebendigen jüdischen Le- ist, stellen tagespolitische Themen, zukunftsorientiertes Handeln. Mit 2 Eingemauerte Kupfer bens. Die Erinnerungsstätte an der aber auch die fortdauernden Aufga- ihrer jahrhundertealten Tradition Friedberger Anlage, die an die ehe- ben, Antisemitismus entgegenzutre- und ihrem enormen Beitrag für die kassette mit Dokumenten mals größte Frankfurter Synagoge ten oder ein würdiges Gedenken zu Stadtgesellschaft, möchte sie auch als „Zeitkapsel“ erinnert, ist ein solches Beispiel. gewährleisten, Eckpfeiler dar. Darü- weiterhin für ein gelebtes Miteinan- Die Jüdische Gemeinde Frankfurt ber hinaus bleibt die Förderung des der und eine tolerante Gesellschaft Philanthropin die I. E. Lichtigfeld- am Main gilt heute als Vorbild in der interreligiösen Dialogs und das Wir- wirken. Schule bildet und Kindern aller Re- deutsch-jüdischen Gemeindeland- ken für das Gemeinwohl der Stadt ligionen offensteht. Bildung hat im schaft, da sie als einzige Gemeinde Frankfurt stetige Herzenssache. Judentum einen besonderen Stel- seit Jahrzehnten verschiedene De- „Wer ein Haus baut, will bleiben, Kontakt: lenwert, was sich auch im hohen Ni- nominationen unter einem Dach ver- und wer bleiben will, erhofft sich Jüdische Gemeinde veau der Schule wiederspiegelt. Zu- eint und somit ein Zuhause für alle Sicherheit.“ Dies sagte Prof. Dr. Frankfurt am Main K. d. ö. R. dem ist das lebenslange Lernen eine jüdischen Menschen bietet. Der Zu- Salomon Korn Westendstraße 43 jüdische Tradition. Derjenige gilt als sammenhalt, wie auch die Vermitt- 1986 bei der 60325 Frankfurt am Main Telefon: 069 / 76 80 36 100 weise, „der von jedermann lernt“ lung von Tradition und Werten sind E-Mail: mailto@jg-ffm.de (Talmud). Daher kommt der Erwach- dabei einige der Hauptanliegen. senenbildung ebenfalls eine wichti- Seit Anfang der 1990er Jahre gehört ge Rolle zu, die durch die Angebote auch die Integration der Zugewan- der Jüdischen Volkshochschule der derten aus den Nachfolgestaaten 3 Gemeinde erfolgreich bedient wird. der Sowjetunion dazu. Die Unter- Die bekannteste Synagoge liegt stützung und Hilfeleistung für Zu- im Westend an der Freiherr-vom- wanderer und Menschen, die sozial Stein-Straße. Sie hat die NS-Zeit, geschwächt sind, sowie für Ältere 3 Makkabi-Mitglieder wenn auch stark beschädigt, über- bildet einen weiteren Teil des Herz- standen und feierte 2020 ihren 110. stücks der Gemeindearbeit. symbolisieren gemeinsam Geburtstag sowie das 70. Jubiläum Als politischer Ansprechpartner den Davidstern der Wiedereröffnung. Weitere Sy- für Stadt und Land ist die Jüdische 4 Hebräisch-Unterricht in nagogen befinden sich im Baum- Gemeinde Frankfurt zudem in vielen der I. E. Lichtigfeld-Schule 4 24 25
ENTDECKEN BESONDERE ORTE JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT Kundin im koscheren Supermarkt Migdal Jüdische Orte – MIT ALLEN SINNEN GENIESSEN in Geschichte und Gegenwart Die jüdischen Traditionen sind viel- fältig und lebendig. Beispielsweise ist es Brauch, an Chanukka Speisen, M E H R A L S 9 0 0 JA H R E die in Öl gebacken sind, wie Latkes TE I L D E R I D E NTITÄT FR A N K FU RTS (Kartoffelpuffer) oder Sufganiyot (Krapfen), und an Rosch ha-Scha- na Honigkuchen und in Honig ge- Innenansicht I D E N T I TÄT D E R S TA DT tauchte Äpfel zu essen. Essen spielt Westend-Synagoge Frankfurt am Main gehört zu den jü- im Judentum eine große Rolle. Fast dischsten Städten Deutschlands. bei jedem Anlass wird gemeinsam Jüdisches Leben besitzt in gegessen. Auch in Frankfurt kann Frankfurt am Main eine große jüdisches Leben natürlich auch und lange Tradition. Viele kulinarisch erfahren werden. Bei- SCHÖN , SCHÖNE R – BESONDE RS der besonderen Eigen- spielsweise im Flowdeli, im neuen Einige behaupten, dass die West- schaften Frankfurts, die Lichtbau des Jüdischen Museums, end-Synagoge die schönste Synago- die Rolle und Position in der Makkabi Sports Bar in der ge in Deutschland ist. Auf jeden Fall der Mainmetropo- Ginnheimer Landstraße oder im ist sie ein Frankfurter Wahrzeichen le heute ausma- „Sohar‘s“ Restaurant direkt im Jüdi- und glücklicherweise hat sie das No- chen, vom Wirt- schen Gemeindezentrum. Die Res- vemberpogrom und die Bombenan- schaftszentrum bis taurants bereiten koschere Speisen griffe des Zweiten Weltkriegs, wenn zur Kulturstadt, sind entsprechend jüdischer Gebräuche auch stark beschädigt, überstanden. mit dem Wirken gro- manchmal traditionell aber auch ori- 1910 wurde sie eingeweiht. Damals ßer jüdischer Familien entalisch oder modern zu. Koschere war sie die vierte große Synagoge in Frankfurt verbunden, in Lebensmittel können im Migdal in in Frankfurt und nach der Synagoge der Geschichte und in der Bornheim sowie im Edeka Scheck-in in der Friedberger Anlage die zweit- Gegenwart. Center im Ostend gekauft werden. größte in Frankfurt. Sie wurde im Ju- Thoraschrein in der Westend-Synagoge 26 27
ENTDECKEN BESONDERE ORTE JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT gendstil mit assyrisch-ägyptischen ierte Säule und ein Säulenfragment Anklängen nach Plänen des Archi- des Eingangsportals der zerstörten E I N E I N Z I G A R T I G E R B AU Johann Wolfgang Goethe Universität tekten Franz Roeckle, einem späte- Synagoge erinnern an die Geschich- Der weltweit größte Chemiekon- – Gebäude im Westend ren NSDAP-Mitglied, gebaut. Nach te des Ortes. Der Verein „Initiative 9. zern IG-Farben beauftragte den dem Wiederaufbau nach dem Krieg November“ macht im Hochbunker Architekten Hans Poelzig, einen re- wurde die Westend-Synagoge von mit seinen Ausstellungen jüdisches präsentativen Firmensitz zu entwer- 1988 bis 1994 teilrekonstruiert. Die Leben im Ostend sichtbar und enga- fen. 1928 entstand nach nur zwei gesamte Geschichte der Synagoge giert sich seit über 30 Jahren, einen Jahren das modernste und größte ist bewegend und es lohnt sich, an lebendigen Ort des Gedenkens zu Verwaltungsgebäude Europas. einer Führung teilzunehmen. gestalten. Die jüdischen Mitarbeiter und Vorstände des Chemiekonzerns, darunter die Brüder Arthur und Carl D I E E I N S T G R Ö S S T E S Y N AG O G E von Weinberg, Kurt Oppenheim, GESCHICHTE SPÜREN In der Friedberger Anlage stand Max Warburg, Alfred Merton, Otto A M B Ö R N E P L AT Z einmal eine eindrucksvolle, Frank- von Mendelssohn Bartholdy und Am Börneplatz, der nach dem Erzäh- furts größte Synagoge und einer Ernst von Simson wurden nach 1933 ler und Chronisten Ludwig Börne der größten jüdischen Sakralbauten entlassen und verfolgt. Der IG Far- benannt wurde, welcher auch hier Europas. Sie wurde am 29. August ben-Konzern produzierte auch das geboren wurde, stand einst eine der 1907 eingeweiht. Die Synagoge hat- tödliche Gift Zyklon B, ursprünglich vier größten Synagogen. Sie wurde te mehr als 1600 Sitzplätze. Wäh- ein Schädlingsbekämpfungsmittel, am 9. November 1938 vollständig rend der Novemberpogrome wurde Ausgrabungen der das zur Vernichtung von Millionen zerstört. sie zerstört. 1942 entstand auf ihren Juden eingesetzt wurde. Kaum ein Ort in Frankfurt ist so Höchster Synagoge Grundmauern ein Hochbunker. Ein Heute befinden sich einige geschichtsträchtig. Es ist ein ein- Gedenkstein sowie eine rekonstru- V I R T U E LL E R LE B E N Fachbereiche der Johann-Wolfgang- drucksvoller Ort jüdischen Lebens Die Synagoge in Höchst lässt sich Goethe-Universität in diesem wun- in Frankfurt. Bei Bauarbeiten wurde virtuell erleben. Gleich neben derschönen Gebäude. Die Johann- das südliche Ende der Judengas- dem Marktplatz, dem Ettinghausen Wolfgang-Goethe-Universität war se mit historischen Überresten von Platz, sind zwei Fernrohre installiert übrigens 1914 die erste Stif- Häusern, Ritualbädern und worden. Damit wird die Außenan- tungsuniversität Deutsch- Brunnen gefunden. Doch sicht und der Innenraum der Syn- lands. Viele Bürgerin- um ihren Erhalt brach agoge, die 1905 erbaut und am nen und Bürger, vor 1987 ein heftiger 10. November 1938 zerstört wur- allem auch jüdischer Streit aus, der zwar de, sichtbar gemacht. Die Familie Herkunft, gehören mit einem Kompro- Ettinghausen prägte durch ihr En- zu den Stiftern. miss endete, aber gagement das Leben der Jüdischen eine vielleicht einma- Gemeinde in Höchst. Aus diesem Das Mahnmal als symbolisches lige Möglichkeit, Ge- Grund trägt der Platz ihren Namen. Grab erinnert an die deportierten schichte zu erhalten und Die Synagoge an der Friedberger Anlage, die und ermordeten Frankfurter 1938 in der Pogromnacht zerstört wurde Jüdinnen und Juden 28 29
ENTDECKEN BESONDERE ORTE JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT erlebbar zu machen, verstreichen nalsozialisten den Keller, um unter Aber natürlich beschränkt sich jüdi- ließ. Einige Funde der Ausgrabun- anderem jüdische Frankfurterinnen sches Leben in Frankfurt nicht auf gen konnten jedoch gerettet wer- und Frankfurter von hier aus mit das Ignatz Bubis-Gemeindezent- den und sind in das Verwaltungs- Zügen in die Konzentrations- und rum, die Westend-Synagoge oder gebäude der Stadt als Dependance Vernichtungslager zu bringen. Über die koscheren Restaurants. Jü- des Jüdischen Museums integriert. 12.000 Menschen wurden zwangs- disches Leben findet überall in In den Räumen des Museums Ju- deportiert. Frankfurt statt. dengasse befindet sich zudem auch Ein Bereich der Erinnerungs- ein Lernzentrum, das nach Oskar stätte entlang des Bahndamms ist und Emilie Schindler benannt ist, öffentlich begehbar (Philipp-Holz- den Rettern von 1200 Juden. Übri- mann-Weg). Der andere Teil in den gens hat Oskar Schindler, der durch Kellergewölben befindet sich auf den Hollywoodfilm „Schindler΄s Lis- dem Gelände der Europäischen Ignatz Bubis- te“ weltberühmt wurde, von 1957 bis Zentralbank (EZB) und ist aus- Gemeindezentrum zu seinem Tod 1974 in Frankfurt ge- schließlich im Rahmen von Führun- lebt. An seinem ehemaligen Wohn- gen zugänglich, die über das Jüdi- sitz „Am Hauptbahnhof 4“ ist eine sche Museum buchbar sind. der Architektur genauso wie die Gedenktafel angebracht. Hoffnung als Teil der jüdischen Direkt hinter dem Verwaltungs- Tradition. gebäude am Börneplatz liegt ein „W E R E I N H AU S B AU T, Der langjährige Vorstandvorsit- beeindruckender und bedrü- W I L L B LE I B E N .“ zende der Jüdischen Gemeinde ckender Erinnerungsort der Dieser Gedanke des Architekten Ignatz Bubis war Initiator des nach Judenverfolgung in Frank- Prof. Dr. Salomon Korn steht hinter ihm benannten jüdischen Gemein- furt. Das Mahnmal erinnert als dem Bau des Jüdischen Gemein- dezentrums. symbolisches Grab an die de- dezentrums Ignatz Bubis, das 1986 Im Gemeindezentrum selbst be- portierten und ermordeten Frank- eröffnet wurde. Gemeinsam mit der finden sich ein Teil der I. E. Lichtig- furter Jüdinnen und Juden. Architektengemeinschaft von Ger- feld-Schule, eine Krippe, ein Kin- hard Balser konzeptionierte er die dergarten, ein Jugendzentrum, ein Architektur des Gemeindezentrums. Festsaal und ein Seniorentreffpunkt DIE EHEMALIGE Die Andeutung eines siebenarmi- sowie das koschere Restaurant App Unsichtbare Orte und TCF www.frankfurt-tourismus.de/ G RO S S M A R K TH A LLE gen Leuchters in der Glasfassade „Sohar‘s“. Der große Festsaal und Entdecken-und-Erleben/ Ausgangspunkt der und der Bruch in der Mittelsäule, das Foyer werden häufig für unter- Sehenswertes/ Deportation war die an den Davidstern erinnert, zei- schiedliche Veranstaltungen und Juedisches-Frankfurt von 1941 bis 1945 gen auf den ersten Blick die Bedeu- Feiern genutzt. Beispielsweise Ver- die ehemalige Groß- tung des Gebäudes. Aber auch der anstaltungen der Jüdischen Kultur- markthalle. Als Sammel- Zivilisations bruch der deutsch-jü- wochen oder der beliebte WIZO Ba- platz nutzten die Natio- dischen Geschichte spiegelt sich in sar finden hier für gewöhnlich statt. Sammelstelle zur Deportation im Keller der ehemaligen Großmarkthalle 30 31
ENTDECKEN DA S J Ü D I S C H E M U S E U M JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT Wir sind jetzt – Bereits von Weitem erstrahlt das aufwendig restaurierte Rothschild- das Alltagsleben von Jüdinnen und Juden in der frühen Neuzeit, das Jüdisches Palais mit seiner Erweiterung, dem sogenannten Lichtbau. Hier nun Leben im ersten jüdischen Ghetto Europas konzentriert. Die thema- Museum ist die neue Dauerausstellung „Wir sind jetzt. Jüdisches Frankfurt von tisch strukturierte neue Daueraus- stellung schildert, wie Jüdinnen und Frankfurt der Emanzipation bis zur Gegen- wart“ zu sehen, die auf rund 1.500 Juden die kulturelle, wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Stadt Quadratmetern im Rothschild-Palais Frankfurt prägten und thematisiert die Geschichte jüdischen Lebens die jüdische Erfahrung von Exil, von der Aufklärung und Emanzipa- Gewalt und Gegenwehr in einer eu- tion bis zur Gegenwart in Frankfurt ropäischen Dimension. Die Wech- multimedial, anschaulich, interaktiv selausstellungsräume im Lichtbau und, mit einer eigenen Kinderspur, ergänzen mit (Kunst-) Ausstellungen auch kindgerecht erzählt. Da- die Präsentation. mit führt sie die Präsen- tation im Museum Über die neue Dauerausstellung Judengasse fort, Die Ausstellung beginnt mit der die sich auf jüdischen Gegenwart und nimmt 32 33
ENTDECKEN DA S J Ü D I S C H E M U S E U M JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT während des Rundgangs mehrfach sowie interaktive Mehr-Kanal-Video- Das Jüdische Museum – ein Ort Bezug auf aktuelle Themen. Dabei Installationen. Für junge Besucherin- zum Verweilen spielen insbesondere Fragen des nen und Besucher hält die Ausstel- Im neuen Lichtbau können die Besu- Zusammenlebens, des Umgangs lung mehrere Hands-On-Stationen cherinnen und Besucher auch ohne 4 mit Traditionen und das familiäre Ge- mit Objekten zum Spielen bereit. Ein Ticket im Foyer verweilen 3 dächtnis eine zentrale Rolle. Auf drei Mitmachheft mit dem Hausgeist Levi und kostenfrei das Wlan Etagen werden jeweils unterschied- und seiner Freundin Fanny lädt zu benutzen. Hier hat auch liche Perspektiven auf die jüdische Entdeckungstouren ein. Das neue die Bibliothek ihr neu- Geschichte und Kultur Frankfurts „Studio Alef“ dient mit seiner Werk- es Zuhause. Neben der letzten 200 Jahre geworfen. statt und einem „Denkraum“ als Ort ruhigen Arbeitsplät- Fokussiert werden dabei zentrale für kreatives Werken und Kochen zen für Forscherin- geschichtliche Ereignisse und Kon- und kann darüber hinaus auch für nen und Forscher bie- Geburtstagsfeiern gebucht werden. tet das jüdische Museum 1 Hier findet auch der Joffi Club, das mit einer gemütlichen Jüdisches Museum Kinderprogramm des Jüdischen Lese ecke Platz für Gäste, der Stadt Frankfurt am Main Telefon: 069-212-35000 Museums, statt, in dem kleine die speziell an den Beständen der E-Mail: info@juedischesmuseum.de Museumsbesucherinnen und Bibliothek interessiert sind. Herzlich Das Jüdische Museum Frankfurt ist eine Besucher ab 3 Jahren mit willkommen sind auch Kinder und Einrichtung der Stadt Frankfurt am Main. allen Sinnen die Vielfalt jü- Jugendliche. Für sie stehen Bilder- www.juedischesmuseum.de discher Kultur entdecken bücher, Romane, Comics, Graphic können. Novels und Spiele rund um das The- ma Judentum bereit. 2 Im Lichtbau des Jüdischen Mu- seums ist auch der Museumsshop untergebracht, der von der 1982 von 1 Das neue Jüdische Museum Rachel Salamander gegründeten Literaturhandlung betrieben wird. Frankfurt, links neuer Lichtbau Zu finden sind hier Publikationen von Staab Architekten, rechts his- des Jüdischen Museums und Aus- torisches Rothschild-Palais 2 Das stellungskataloge, spannende Literatur zu jüdischen Themen, Museumscafé Flowdeli im Jüdi- flikte, religiöse Fragestellungen so- Merchandise und Judaica. schen Museum 3 Blick in die Aus- wie die Geschichte und Erfahrungen Einzigartig ist auch das Museums- stellung: Moritz Daniel Oppenheim einzelner jüdischer Familien. Neben café FLOWDELI, das erste milchig- „Moses mit den Gesetzestafeln“, der Präsentation von Kunst und Kunst- koschere Deli in Frankfurt mit köst- handwerk, persönlichen Aufzeichnungen, lichen Delikatessen und einer tollen Öl auf Leinwand 1817/18 4 Histori- Fotografien und Filmen, historischen Doku- Terrasse mit Blick auf die Skulptur scher Rauchsalon im Stil Louis XIV. menten und Alltagsgegenständen umfasst „Untitled“ des in Berlin lebenden im Rothschild-Palais während der der Ausstellungsrundgang mediale Rauminsze- israelischen Künstlers Ariel Schle- nierungen, Schattenspiel- und Film-Projektionen singer. jüngsten Renovierung 34 35
ENTDECKEN DER JÜDISCHE FRIEDHOF JÜDISCHES LEBEN IN FRANKFURT 50 jüdischen Gefallenen des Ersten ganz der Formenstrenge des „Neu- Weltkriegs. Hier – an der Rat-Beil- en Frankfurt“ verhaftete an der Straße, sind mehr jüdische Gelehr- Eckenheimer Landstraße, auf dem samkeit, Frankfurter Bürgersinn und bis heute beerdigt wird. Der Philo- deutscher Patriotismus versammelt soph Franz Rosenzweig, der Histo- als irgend sonst in der Stadt. Auf riker Arno Lustiger, auch Stefanie 74.000 Quadratmetern lässt sich Zweig, die Schriftstellerin, liegen Geschichte des alten deutschen hier begraben. Drumherum, ins Judentums studieren: von den Weichbild der Stadt hineingetüpfelt Von Abel bis Zweig hoffnungsvollen Anfängen der gesellschaftlichen Gleichstel- 3 lung im frühen neunzehnten E I N G A N G DU RC H Jahrhundert bis zu seinem S TA DT- R AU M U N D ZE IT Untergang im Deutsch- 1 Wer etwas erfahren möchte über land des Nationalsozia- die jüdischen Friedhöfe in Frank- lismus. furt am Main, dem bieten sich Mög- Schließlich der lichkeiten. Die erste und fraglos „Neue“, 1929 er- eindrücklichste ist der Besuch der öffnete und insgesamt zwölf jüdischen Begräb- nisorte, die es in der Stadt gibt. Wir waren dort. Da sind zunächst die drei größ- ten, recht eigentlich frankfurteri- schen: Der „Alte“ an der Batton- straße, dessen Anlage auf das Jahr Gegen das Vergessen: 1180 zurückgeht und der zugleich 1 und 2 Namenstäfelchen der der zweitälteste noch existierende jüdische Friedhof in Deutschland in der Schoah ermordeten ist. Dann der „Große“, 1828 ange- Frankfurter Juden an der legte, welcher genaugenommen Außenmauer des jüdischen aus drei Friedhöfen besteht: jenem wie Apfelbäumchen auf einer Streu- der überwiegend liberalen Israeliti- Friedhofs Battonstraße obstwiese, liegen neun weitere, schen Gemeinde, dem der orthodo- 3 Schüler an den Gräbern ihrem Zuschnitt nach eher ländliche xen Israelitischen Religionsgesell- jüdische Friedhöfe. Sie gehörten jüdischer deutscher Soldaten schaft sowie einem kleinen, 1925 einst zu den Dörfern und Land- eingeweihten Soldatenfriedhof mit des Ersten Weltkriegs städtchen rund um Frankfurt; im 2 36 37
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