Jahrbuch 2022 - Zentralverband des Deutschen Handwerks
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S. 7 Editorial Holger Schwannecke, Generalsekretär (ZDH) FREUDE SCHMIEDEN Kulturerbe. Neue Geschäftsideen. Kreativität. S. 10 S. 18 Orgelklang lebendig erhalten Glas ungewöhnlich verarbeiten Konrad Scheffler, Orgelbauer Nico Schmid, Glasermeister S. 14 S. 22 Traditionshandwerk modern Kindern Klangwelten eröffnen interpretieren Claudia Brömel und Anja Fromm, Hörakustikmeisterinnen Björn Köhler, Drechslermeister S. 26 Im Interview Hans Peter Wollseifer, Präsident (ZDH) Visionen Teilen Unternehmensideen. Betriebsnachfolge. Wiederaufbau. S. 30 S. 38 Vertrauen durch Seiltechnik sichern Unter Strom die Selbstständigkeit Stephanie Kleisser, Inhaberin blauschnur seiltechnik wagen Matthias Thomas, Elektrotechnikmeister S. 34 S. 42 Wissen über Generationen hinweg Holz schwimmt immer oben schweißen Maik Rönnefarth, Tischlermeister Johanna Börgel, Kaufmännische Leiterin Metallbau Laumann GmbH
S. 46 Imagekampagne des Handwerks Kein Job, sondern Berufung; 3 Fragen an Sänger Benoby ZUKUNFT BAUEN Ausbildung. Klimaschutz. Nachhaltigkeit. Digitalisierung. S. 52 S. 60 Stuckateure auf schwäbische Art Sonnenschutz digitalisieren ausbilden Martin Hurth, Maschinenbauingenieur Hermann Blattner, Stuckateurmeister S. 56 S. 64 Am Klimaschutz schrauben Fleisch digital regionalisieren Sebastian Fuchs, Installateur- und Heizungsbauermeister Frank Wegner, Geschäftsführer Torney Landfleischerei S. 68 PLW: Zeig, was du kannst! Eindrücke aus Europas größtem Berufswettbewerb S. 70 Berichte aus den ZDH-Fachabteilungen S. 74 Das Jahr 2021 in Bildern S. 82 Impressum Beileger Organisationsplan Ehren- & Hauptamt im Handwerk Geschäftsverteilungsplan
für die Zukunft erhalten wird, wie Mut auch in der Krise Geschäftsideen zum Blühen bringt, wie der Zu- sammenhalt und die Solidarität dabei helfen, Krisen zu überstehen und erneut anzupacken. Und wie un- sere Betriebe schon jetzt an der Zukunft bauen und tun, was bleibt. In den Wortpaaren „Freude schmieden“, „Visionen teilen“ und „Zukunft bauen“ aus dem Handwerks- song wird das auf den Punkt gebracht. Unsere bei- spielhaft ausgewählten Betriebe im Jahrbuch machen das besonders deutlich: Da erhält zur Freude Zuhörender ein Orgelbauer den Klang alter Instrumente lebendig, interpretiert ein Holzspielzeugmacher erzgebirgisches Traditionshand- werk modern, verarbeitet ein Glaser seinen Werkstoff Ein turbulentes Jahr liegt hinter dem Handwerk: mit auf ungewöhnliche Weise und eröffnen zwei Hörakus- hoher Nachfrage nach handwerklichen Leistungen tikerinnen Kindern Klangwelten. einerseits und wirtschaftlichem Überlebenskampf andererseits; mit einer Aufholjagd am Ausbildungs- Visionen teilen die Seilmacherin, bei der es um ar- markt und dramatischen Materialengpässen; mit beitsschutzsichere Verknüpfungen geht, die junge aufwendigen Anpassungen an immer neue Auflagen Betriebsleiterin, die innovativ generationenübergrei- und Hygieneregeln. Das alles vor dem Hintergrund fend zusammenschweißt, der Elektromeister, der einer Pandemie, die noch immer nicht aus unserem sich von Corona nicht den Strom für die Vision der Leben verschwunden ist. eigenen Selbstständigkeit abklemmen lässt, und der Tischlermeister, der sich nach der Flut getreu dem Das Handwerk hat sich in dieser Situation als Stabi- Prinzip, dass Holz immer oben schwimmt, nicht un- litätsanker erwiesen. „Wir halten das Land am Lau- terkriegen lässt. fen.“ Das galt im vergangenen Jahr und das gilt auch 2022. Das Handwerk ist aber nicht nur Stabilitätsan- Und wenn ein Stuckateur die eigene schwäbische ker, sondern vor allem Zukunftsmacher. Das Hand- Mundart gezielt einsetzt, um an die wichtigste Zu- werk tut, was bleibt! Und was in die Zukunft trägt. kunftsressource für unser Handwerk zu kommen, an junge Menschen, die es für eine Ausbildung zu ge- Nur mit unserem Know-how und mit unseren Fach- winnen gilt, dann zeigt es, dass sich unsere Betriebe kräften können Energie- und Mobilitätswende, Kli- auf ihr Umfeld zugeschnitten daranmachen, an der ma- und Umweltschutz, Infrastrukturausbau und „Zukunft zu bauen“. Das macht auch der Installateur- Versorgung der Bevölkerung künftig in Deutschland und Heizungsbauermeister, dessen Klimaschutz über gelingen. Vom Ausbildungsengagement des Hand- den Einbau und die Modernisierung innovativer Hei- werks profitieren nicht nur Betriebe, sondern Wirt- zungen hinausgehend in der Pflanzung von Bäumen schaft und Gesellschaft insgesamt. An dem über seinen Ausdruck findet. Oder der Rollladenbauer, der Jahrhunderte erworbenen Nachhaltigkeitswissen im digitale Sonnenschutz- und Hitzeschutzsysteme ein- Handwerk wird keiner vorbeikommen, wenn es da- baut. Und nicht zuletzt ist die in vielen Betrieben des rum geht, die Zukunft zu gestalten. Lebensmittelhandwerks vorangetriebene Regionali- sierung und Nachhaltigkeit, die immer mehr auch in Hinter Stabilität und Zukunftsgestaltung steckt ein der Fleischproduktion zum Tragen kommt, ein Indiz gemeinsames Handwerks-Ethos. Der neue Hand- dafür, dass das Handwerk auf breiter Front das Mor- werk-Song fängt dieses Ethos ein – indem er heraus- gen im Blick hat. stellt, wofür Handwerkerinnen und Handwerker je- den Tag handeln. Sie erschaffen mit ihren Händen Unsere Handwerkerinnen und Handwerker wissen, das, was für immer bleibt. Dabei teilen sie ihr Glück, was sie tun. Und sie tun, was bleibt! ihre Freude und ihre Visionen. Und sie helfen sich und anderen auch in und über schwere Zeiten. So „zusammengeschweißt“ können sie alles erreichen. Im Jahrbuch 2022 wird das besonders deutlich. Es enthält keinen singulären Blick auf die Pandemie oder die Flutkatastrophe. Stattdessen Geschichten, Holger Schwannecke die davon erzählen, wie Besonderes entsteht oder Generalsekretär 7
Kulturerbe. Neue Geschäftsideen. Kreativität. Orgelklang lebendig erhalten Konrad Scheffler, Orgelbauer Traditionshandwerk modern interpretieren Björn Köhler, Drechslermeister Glas ungewöhnlich verarbeiten Nico Schmid, Glasermeister Kindern Klangwelten eröffnen Claudia Brömel und Anja Fromm, Hörakustikmeisterinnen – das bleibt. 9
Konrad Scheffler Orgelbauer aus Sieversdorf Orgelklang lebendig erhalten „Wer eine Orgel bauen will, braucht eine Handvoll Materialien – und die hand- werklichen Fähigkeiten von vor 150 Jah- Ihre Spezialität: ren.“ Konrad Scheffler sitzt in der Küche die Restaurierung roman- seines Elternhauses und erklärt lächelnd tischer Orgeln in einer seinen Beruf. Neben ihm hat sein Vater Christian Scheffler Platz genommen, Weise, dass sie wieder so um über das Orgelbauer-Handwerk zu klingen, wie ihre Erbauer sprechen. Auf dem Tisch dampft Kaffee in Tonbechern, in einer Keramikschale sich das gedacht und ge- liegen Kekse. Orgelbauer, das ist ein sehr wünscht haben. traditionelles Handwerk. Wer in eine Kir- che geht, in einen Dom oder ein Konzert- haus, hört das Instrument, wie es braust Spezialität: die Restaurierung roman- und piept und flötet. Wie die Orgel aus- tischer Orgeln in einer Weise, dass sie sieht und wer sie spielt, bekommen Be- wieder so klingen, wie ihre Erbauer sich sucherinnen und Besucher oftmals noch das gedacht und gewünscht haben. Und zu Gesicht. Aber wer sie gar gebaut oder da haben die Schefflers und ihre zwölf restauriert hat – das wissen nur Einge- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter viel zu weihte. tun. Nach dem Zweiten Weltkrieg näm- lich war es unter Kirchenmusikern Mode Zu den Eingeweihten gehört Konrad geworden, den romantischen Orgeln ih- Scheffler. Anfang 30 ist der Orgelbau- ren Schmelz wegzunehmen. Alles sollte er aus Brandenburg. Seit sieben Jahren klarer, spitzer klingen, nach morgen statt führt er den Handwerksbetrieb sei- nach gestern. Mittlerweile aber werden nes Vaters in zweiter Generation. Die derlei Frevel an den Instrumenten wie- Schefflers restaurieren und rekonstru- der zurückgebaut. Und genau darauf ieren mechanische und pneumatische ist die Orgelwerkstatt Scheffler spezia- Orgeln des 19. und 20. Jahrhunderts. Ihre lisiert. 11
„Die historischen Instrumente sind meine wahren Lehrer, wenn es darum geht, Orgeln als hand- werkliche Zeugnisse ihrer jewei- ligen Epoche zu erhalten. Zum Schluss steht da etwas, was meh- rere Jahrzehnte Bestand hat. Und das ist es, was bleibt.“ ORGELWERKSTATT Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter CHRISTIAN SCHEFFLER GMBH reisen von Brandenburg aus durch ganz ALTE PETERSHAGENER STR. 4 Europa und machen die alten sensib- 15236 JACOBSDORF OT SIEVERSDORF len Instrumente wieder flott. Schefflers Expertinnen und Experten haben die den braucht eine Orgelreparatur. Quali- weltberühmte Orgel der Leipziger Tho- tät setzt sich durch, davon war Christian maskirche restauriert und die im Bremer Scheffler von Anfang an überzeugt. Dom. Ebenso Instrumente in Barcelona oder im rumänischen Hermannstadt, in Gleich nach dem Mauerfall hat er sein ei- Trondheim in Norwegen oder im estni- genes Unternehmen gegründet. Der stu- schen Tallinn. Was nicht vor Ort erledigt dierte Restaurator für Musikinstrumente werden kann, wird von der kleinsten hat einige Kolleginnen und Kollegen um Pfeife bis hin zu zentnerschweren Bla- sich geschart, bis heute arbeiten sie hier sebälgen und Windladen in den weit- zusammen. Auch sein Sohn Konrad legt läufigen Werkstätten in Sieversdorf Wert darauf, dass das so bleibt. Als er restauriert. Beim Gang durch die Räume sich mit Mitte 20 entschieden hat, in den entdeckt man Orgeln mit hohem Repa- Betrieb einzusteigen, hat er gewusst: raturbedarf ebenso wie fertig sanierte „Das ist auch gut für die Mitarbeiterin- Instrumente, an denen jede Pfeife, jede nen und Mitarbeiter. Die wissen, dass Taste, jedes Pedal wie neu ausschaut. ihr Job sicher ist bis zur Rente – weil ein Zwischen 1.000 und 13.000 Arbeitsstun- Nachfolger da ist.“ Sein Vater nickt dazu. Er und seine Frau Silvia haben sich wei- testgehend aus dem Geschäft zurückge- zogen. Jetzt ist es Konrad Scheffler, der ständig ans Telefon gehen muss, der die 12 Z D H J A H R B U C H 2 02 2 FREUDE SCHMIEDEN
Schule hat er Orgelbauer gelernt, den Meisterbrief hat er mittlerweile zur Hälfte in der Tasche. „Aber ich lerne heute noch. Die historischen Instrumente sind meine wahren Lehrer.“ Sein Vater bestätigt: „Ja, die haben uns viel zu sagen.“ Mit ihrem seltenen Handwerk tut die Familie Scheffler seit drei Jahr- Aufträge und Ausschreibungen, die Beschäftigten und zehnten sehr viel dafür, dass Orgeln deren Arbeit überall in Europa im Blick behalten muss. „Als ich mit 25 Jahren das Unternehmen übernommen als handwerkliche Zeugnisse ihrer habe, habe ich mich gefragt, wie ich das alles schaffen jeweiligen Epoche erhalten bleiben. soll“, erzählt Scheffler Junior und lacht. „Aber ich konn- te mich von Anfang an auf alle im Betrieb verlassen und es läuft bei uns richtig gut. Ich bin wirklich glück- Mit ihrem seltenen Handwerk tut die Familie Scheffler lich in meinem Beruf.“ seit drei Jahrzehnten sehr viel dafür, dass Orgeln als handwerkliche Zeugnisse ihrer jeweiligen Epoche er- Wer zu den Schefflers reist, weit ins östliche Branden- halten bleiben. Die Spezialistinnen und Spezialisten aus burg, findet sich in einer Idylle wieder. Der abgelegene Sieversdorf wissen, was diese Instrumente brauchen. Ort Sieversdorf ist beschaulich im besten Sinne. 300 „Das Schönste ist: Man verkauft Qualität und Langle- Menschen leben zwischen dem alten Gutshaus, der bigkeit – das ist so was Ehrliches“, sagt Konrad Scheffler. Feldsteinkirche am Jakobsweg und dem kleinen Park. Die Leistung entstehe durch die Mitarbeiterinnen und Christian Scheffler hat hier 1990 seinen Handwerksbe- Mitarbeiter, von denen viele an fremden Orten, oft in trieb gegründet, die Familie hat das alte Pfarrhaus ge- Kälte und Einsamkeit arbeiten. Jeder hier, sagt Konrad kauft und ausgebaut. Sieversdorf ist Heimat im besten Scheffler, diene dem Handwerk. Jeder habe sein Spe- Sinne. Sohn Konrad hat schon als Kind in der Werkstatt zialgebiet. „Zum Schluss steht da etwas, was mehrere gespielt. „Das Friemeln, die Frage, warum funktioniert Jahrzehnte Bestand hat. Und das ist es, was bleibt.“ etwas so und nicht anders – das hat für mich immer den Reiz ausgemacht“, sagt er und lächelt. Nach der WWW.ORGELWERKSTATT.DE 13
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Björn Köhler Drechslermeister aus Eppendorf Traditionshandwerk modern interpretieren Abends, wenn alle seine Beschäftigten Köhler – graues Haar, blaues Shirt, wei- wieder zu Hause sind, geht Björn Köh- ches Erzgebirgisch – hat schon immer ler gerne noch mal zurück in die Werk- gezeichnet, gerne Comics. Diese Leiden- statt. „Wenn Ruhe ist, habe ich Zeit für schaft sieht man seinen Holzfiguren bis Entwurf, Entwicklung und Design“, sagt heute an. Statt zackiger Bärte und ge- der Mittfünfziger. In seinem Kunsthand- raffter Mützen stechen sie durch run- werksbetrieb stellen 46 Mitarbeiterin- de glatte Formen hervor. Die Gesichter nen und Mitarbeiter Drechselarbeiten sind nur angedeutet, das Holz liegt ganz aus dem Erzgebirge her. Wer da an tradi- weich poliert in der Hand – es sind pu- tionelle Räuchermännchen, Osterhasen ristische, haptisch ansprechende Kunst- und Krippenfiguren denkt, liegt richtig. werke von höchster Qualität. Aber eben nicht ganz. Seine wiederholt mit Designpreisen aus- gezeichneten Kreationen haben längst „Mir hat es nicht mehr Fans in aller Welt. Wegen der großen Nachfrage und weil sein Betrieb aus gereicht, nach Vorgaben allen Nähten platzte, hat Björn Köhler zu arbeiten. Da wollte das deshalb vor einigen Jahren in Eppendorf Schöpferische raus.“ eine stillgelegte Spielzeugfabrik gekauft. „Die Leute haben gesagt: Diese Ruine? Ihr seid doch verrückt. Aber wir wollten „Was wir machen, ist erzgebirgische hier am Standort bleiben.“ Das Erzgebir- Volkskunst“, sagt Björn Köhler, „aber ge ist nun mal fest verbunden mit dem neu interpretiert.“ Köhler, 1965 gebo- Handwerk – und die Handwerkerinnen ren, hat schon immer gern ein bisschen und Handwerker mit ihrer Region. in weiten Kreisen gedacht. Anfang der 1980er-Jahre hat er in einem traditio- Als die Corona-Krise losging, sah es nellen Handwerksbetrieb Holzdrechs- erst einmal schlecht aus. Märkte waren ler gelernt. Schon damals hat er nach abgesagt, Einzelhandelsgeschäfte ge- Feierabend zu Hause weiter an seiner schlossen, die Leute igelten sich zu Hau- selbst gebauten Drechselbank expe- se ein. Die Weihnachtsmänner, Oster- rimentiert. „Mir hat es nicht mehr ge- hasen und Drehpyramiden kamen nicht reicht, nach Vorgaben zu arbeiten. Da zu den Kundinnen und Kunden. Der Auf- wollte das Schöpferische raus, es wollte tragseinbruch sei gravierend gewesen, zumindest mehr Raum haben“, erinnert erzählt Björn Köhler. Er und seine Frau er sich an diese Zeit. Peggy haben schlecht geschlafen in die- 15
„Was wir machen, ist erz- gebirgische Volkskunst, aber neu interpretiert. Wir bringen jahrhunderte- alte Technik in die neue Zeit und stellen Produk- te her, die Generationen überdauern.“ KÖHLER KUNSTHANDWERK ser Zeit. „An uns hängt ja auch die Exis- GMBH & CO. KG tenz von unseren Mitarbeiterinnen und GOETHEWEG 4 Mitarbeitern. Die brauchen das Geld.“ 09575 EPPENDORF Sie haben schließlich einen Kredit auf- als Bausoldat den Gewerbeschein vorzu- genommen und mit dem Geld die Lohn- enthalten versuchte. Sei es der Meister- lücke überbrückt. Und sie haben in ihren brief, den er sich als junger Mann vom Webshop und das Marketing investiert. Mund abgespart hat. Schließlich die Eine riskante Entscheidung in unsicherer 1990er-Jahre, in denen er mit seinen un- Zeit war das. Aber: „Es hat sich gelohnt“, gewöhnlichen, an die Bauhaus-Ästhetik sagt Björn Köhler und lächelt. Inzwi- erinnernden Entwürfen Klinken putzen schen produziert der Betrieb wieder auf musste. Anfangs seien die gar nicht so Hochtouren. Die Leute ordern vor allem gut angenommen worden, erinnert er über den kundenfreundlich gestalteten sich. „Aber letztlich war meine Art der Webshop, sogar mehr als vor Corona, Gestaltung ein Alleinstellungsmerkmal.“ erzählt der Drechslermeister. Man sieht ihm die Freude über das Gelingen an. Mitte der 1990er-Jahre gewann er erst- mals einen wichtigen Branchenpreis für Schaut man zurück auf die letzten vier eine Krippe. „Ab da fing das Ding an, Jahrzehnte, erkennt man ein Muster. selbst zu wachsen und zu blühen.“ Es Björn Köhler hat immer wieder Neues war mehr Arbeit da, als er alleine schaf- versucht. Er hat Krisen erlebt und ist aus fen konnte. Köhler begann, Mitarbei- ihnen gestärkt hervorgegangen. Sei es in terinnen und Mitarbeiter einzustellen der DDR der 1980er-Jahre, als man ihm und Lehrlinge auszubilden. Das Unter- 16 Z D H J A H R B U C H 2 02 2 FREUDE SCHMIEDEN
Seine wiederholt mit Designpreisen ausgezeichneten Kreationen haben längst Fans in aller Welt. Und dann ist da noch die Herkunft, die Tradition. „Wir wollen ehrliche Handarbeit machen“, sagt Björn Köhler. „Was unsere Vorfahren uns überliefert haben, wollen wir erhalten.“ Konkret heißt das, dass in der Werkstatt nehmen entwickelte sich so, dass es schließlich selbst nicht mit Automaten gearbeitet wird, sondern mit eine globale Pandemie meistern konnte. „Wir sind eine Handdrechselbänken. So bringe man die jahrhunderte- gesund gewachsene Manufaktur“, sagt er stolz. alte Technik in die neue Zeit. Und wenn es dann Abend ist und alle wieder daheim sind, dann geht Björn Köhler Dass Björn Köhler und seine Mitarbeiterinnen und gerne noch einmal in seine Werkstatt. Er probiert aus, Mitarbeiter es bis hierhin geschafft haben, liegt auch tüftelt, verwirft. Drechseln, sagt er, heiße, alles her- am Prinzip des Bewahrens und Erhaltens. Das Drechs- stellen zu können, was rund ist. „Manchmal sage ich im ler- und Holzspielzeugmacher-Handwerk ist prägend Scherz: Ich drehe gerade ein tolles Ding.“ Und was gut für das Erzgebirge. Dass es erhalten bleibt, darum wird, das bleibt dann. kümmert er sich. Die Grundlage dafür haben er und seine Frau Peggy selbst formuliert. „Wir wollen der nächsten Generation die Erde nicht schlechter hinter- lassen, als wir sie vorgefunden haben, wenn möglich sogar besser“, erklärt er das Köhler‘sche Gedankenge- rüst. „Wir stellen Produkte her, die Generationen über- dauern.“ Wenn er Holz kauft, zählt er mit seinem Aus- zubildenden die Jahresringe: „Der Baum hat 80 Jahre im Wald gestanden. Es ist unsere Verantwortung, dass wir damit das Bestmögliche machen: gestalterisch und langlebig.“ WWW.BJOERN-KOEHLER.DE 17
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Nico Schmid Glasermeister aus Rain am Lech Glas ungewöhn- lich verarbeiten „Ich liebe diesen Beruf, für mich hat es Seine Firma baut und installiert alles, nie was anderes gegeben.“ Glasermeister was aus Glas ist. Dazu gehören natür- Nico Schmid aus Rain am Lech hat sich lich Fenster und Glastüren, aber auch eine Stunde Zeit genommen, um über Duschen und Trennwände, Geländer und sein Handwerk zu sprechen. Dann muss Küchenrückwände, Dächer und Spiegel. er wieder los. Schmids Arbeitstage sind Gerade sind stahlgerahmte Loftvergla- enorm lang, von vier Uhr morgens bis sungen schwer angesagt. Eine Spezialität abends um sieben. Er braucht die Zeit, von Schmid und seinen Mitarbeiterinnen weil in seinem Betrieb, der Glas Lehmeier und Mitarbeitern sind Treppengelän- GmbH, so viel zu tun ist. Er muss Angebo- der aus Glas. 2006 haben sie die ersten te schreiben, zu Kundinnen und Kunden konstruiert und eingebaut, mittlerweile fahren und beraten, vor Ort im Betrieb haben sie darin viel Erfahrung. Würde ansprechbar sein. „Ich bin der Brandlö- er für sich und die Familie heute noch scher, wenn es irgendwo klemmt“, sagt mal ein Haus bauen, würde er auch dort Nico Schmid halb im Spaß. eine Glasbrüstung einbauen, sagt Nico 19
GLAS LEHMEIER GMBH UNTERPEICHINGER STR. 7 86641 RAIN/LECH weile bei Lehmeier. Er hätte gerne noch mehr Personal. Eine 250 Meter lange Aber Glaserinnen und Glaser wie auch Metallbauerin- nen und Metallbauer sind schwer zu finden. Auch des- Glaswand, stahlgerahmte halb bildet Schmid selbst aus. Loftverglasungen: „Das Die Lehmeier GmbH ist im Jahr 2022 komplett ausge- haben wir auch geschafft. bucht. Damit ist der Betrieb ein Paradebeispiel für die Das waren große Heraus- aktuelle Situation des Handwerks in Deutschland. Wer Qualität liefert, wer gut berät und nachhaltig arbeitet, forderungen, doch am kann sich vor Aufträgen kaum retten. Der Bauboom Ende sind es Dinge, die sorgt für mehr Nachfrage denn je. „So etwas wie jetzt habe ich in meinem Berufsleben noch nie erlebt“, sagt bleiben.“ Schmid. Aber es mangelt nicht nur an Fachkräften. We- gen der Corona-Pandemie sind Rohstoffe knapper und teurer geworden, das wirkt sich auf die Preise aus. China zum Beispiel, erzählt Nico Schmid, liefe- Schmid. Er liebt den so vielfältigen Werkstoff Glas, sei- re aktuell kein Magnesium mehr nach ne Verarbeitungsmöglichkeiten, die Formbarkeit, das Europa. Das basische Oxid ist neben Gestalterische. Quarzsand und anderen Stoffen Grund- bestandteil zur Glasherstellung. Auch Wer ihn trifft, erlebt einen Handwerksmeister von An- Aluminium, das im Fensterbau viel ver- fang 40, der nicht nur in seinem Gewerk aufgeht. Nico wendet wird, ist teurer geworden. Ge- Schmid will auch immer Neues entwickeln und dabei baut wird dennoch. Bleibendes schaffen. „Ab 2005 sind wir langsam, aber kontinuierlich gewachsen“, blickt er zurück. Damals ist Hört man Nico Schmid eine Weile zu, er- der gelernte Glaser und studierte Glastechniker in die kennt man seinen Stolz auf das Erreichte. Geschäftsführung des Familienbetriebs eingestiegen. Er arbeitet hart und er schafft Dinge von „Ich war voller Elan von der Fachhochschule in den Be- Dauer. Dinge, die bleiben. Manchmal, trieb gekommen“, erinnert er sich. „Dort haben sie gro- erzählt er, fahre er mit dem Auto herum ßen Wert auf Gestaltung gelegt und hier konnte ich und schaue sich seine Arbeiten an. „Das mich dann ausleben.“ haben wir geschafft, das auch, denke ich dann.“ Seine Augen leuchten, wenn Seit 2020 ist er nun der Senior. Was mal in der kleinen er davon erzählt. Schafft er auch mal et- Werkstatt des Urgroßvaters begonnen hat, ist heute was nicht? Schmid erzählt von seinem ein hochmodernes Unternehmen. Mehrfach wurden härtesten Job. Im Hauptsitz der Firma Hallen erweitert und angebaut, zuletzt eine eigene Siemens in München hat Lehmeier vor zur Aluminiumbearbeitung. Moderne Maschinen und Jahren eine 250 Meter lange Glaswand Fahrzeuge wurden angeschafft, Mitarbeiterinnen und eingebaut. „Das war von der Planung Mitarbeiter eingestellt. 22 Angestellte sind sie mittler- her eine große Herausforderung. Aber 20 Z D H J A H R B U C H 2 02 2 FREUDE SCHMIEDEN
am Ende hat es uns natürlich auch wei- tergebracht. Wir wissen jetzt, dass wir das auch können.“ Man darf sich Nico Schmid als einen glücklichen Menschen vorstellen, jedenfalls solange er heraus- gefordert ist. Er liebt den so vielfältigen Werkstoff Glas, seine Ver- arbeitungsmöglichkeiten, die Formbarkeit, das Gestalterische. WWW.GLASEREI-LEHMEIER.DE 21
Wir sind Chefinnen zu gleichen Teilen. Das ist bei uns wie in einer guten Ehe. 22 Z D H J A H R B U C H 2 02 2 FREUDE SCHMIEDEN
Claudia Brömel und Anja Fromm Hörakustikmeisterinnen aus Lübeck Kindern Klangwelten eröffnen Wenn ein hörgeschädigt geborenes Kind „Wir sind Chefinnen zu gleichen Teilen. zum ersten Mal etwas hört, ist das ein Das ist bei uns wie in einer guten Ehe.“ emotionaler Moment. „Bei den Eltern Anja Fromm, Jahrgang 1985, lacht, als fließen dann die Tränen.“ Claudia Brö- sie das sagt. Aber tatsächlich ist gut zu mel, Hörakustikmeisterin aus Lübeck, spüren, wie vertraut die beiden Frauen hat diesen Moment schon oft erlebt. Sie zusammenarbeiten. Kennengelernt ha- und ihre Mitinhaberin Anja Fromm sind ben sie sich vor 20 Jahren in der Firma. spezialisiert auf Sonderversorgungen. Damals gehörte Auris Hörakustik noch Dazu gehören Säuglings- und Kleinkind- ihrem Vorgänger. Als der sich in den Ru- versorgungen mit Hörgeräten, Implan- hestand verabschieden wollte, hat er tat- und Tinnitusversogungen sowie Au- seinen Meisterinnen die Nachfolge an- diotherapie. geboten. Ihr Betrieb Auris Hörakustik liegt gar Sie sei ein wenig überrumpelt gewesen, nicht weit vom Lübecker Universitätskli- als die Frage kam, erinnert sich Anja nikum entfernt. Die Ärztinnen und Ärzte Fromm. Angestellte Hörakustikmeiste- dort wissen, wer ihren Patientinnen und rin zu sein, schien ihr bis dahin ausrei- Patienten nach der Entlassung zuver- chend. Aber der Gedanke, bald einen an- lässig helfen kann. Brömel und Fromm deren Chef zu haben, behagte ihr auch sitzen in ihrem Geschäft an der vielbe- nicht. „Da müssen wir selber ran“, sagte fahrenen Ratzeburger Allee. Draußen sie sich. Claudia Brömel ergänzt: „Allein tobt der Verkehr, drinnen herrscht eine Chefin zu sein, kam für mich nicht in- freundlich entspannte Atmosphäre. Die frage. Ich hatte das Gefühl: Mit Anja, das 150 Quadratmeter sind hell gestrichen, passt gut. Wir haben uns immer sehr gut die Arbeitsbereiche durch Glaswände verstanden.“ Im Januar 2016 war es dann getrennt. Im Wartebereich gibt es für so weit: Brömel und Fromm wurden ihre die Kinder Spielzeug und Kaffee für ihre eigenen Chefinnen. Eltern, im Hörstudio warten klingende Klötzchen auf die Kleinsten. Und im Pau- Seit 1994 gibt es Auris Hörakustik bereits, senraum steht neben der Küchenzeile 20 Jahre davon sind die beiden schon eine Liege, damit die vier Angestellten dabei. „Die Menschen, denen wir hel- und die beiden Auszubildenden auch fen – das ist es, was bleibt“, sagt Claudia mal ihre Füße hochlegen können. Brömel. Viele der Kinder, denen sie einst 23
AURIS HÖRAKUSTIK BRÖMEL & FROMM GBR RATZEBURGER ALLEE 40 23562 LÜBECK Seit langer Zeit ist Auris Hörakustik spezialisiert auf die Bedürfnisse von Säuglingen und Kleinkindern. Aber na- türlich sind sie hier für Menschen jeden Alters da. Ne- ben dem Anpassen von Hörgeräten gehört zu Fromms und Brömels Job auch die Tinnitusversorgung und die Audiotherapie, ein Training für Menschen, die schon lange unter Hörverlust leiden. Ebenso die hochmoder- ne Implantatversorgung. Im nahen Uniklinikum wird unter die Haut bis in die Hörschnecke ein sogenanntes „,Mama ich kann den Cochlea-Implantat eingesetzt, das den funktionstüch- tigen Hörnerv stimuliert. Außen am Kopf sitzt dann der Wind hören‘, staunte ein Sprachprozessor mit Überträgerspule. „Wir betreuen Junge, als er sein erstes diese Patientinnen und Patienten mit der Nachsorge und Folgeanpassungen“, erklärt Claudia Brömel das Hörgerät bekam. Den Prinzip. „So was machen Akustiker eher selten; bei uns Menschen, denen wir hier in der Gegend kaum einer.“ helfen – das ist es, Es ist dieser Mix aus Technik, Handwerk und Kunden- was bleibt.“ kontakt, den die beiden Frauen an ihrer Arbeit so lieben. Claudia Brömel, Jahrgang 1976, wollte eigentlich Au- genoptikerin werden. Weil es in diesem Bereich damals keinen Ausbildungsplatz gab, sagte ein zum Hören verholfen haben, sind längst Berufsberater: „Werd doch Akustikerin, erwachsen. Sie kommen inzwischen mit das ist so ähnlich, nur für die Ohren.“ Mit ihren Partnern und den Kindern in das Menschen zu tun zu haben und hand- Geschäft an der Ratzeburger Allee. „Von werklich zu arbeiten, das gefiel ihr. Heute, 0 bis 100 Jahren Jahren ist bei uns alles sagt sie, sei nur noch wenig Handarbeit zu dabei“, sagt Anja Fromm. Sie erinnert erledigen, dafür sei die Technik weit vor- sich an einen Jungen, der im Kindergar- angeschritten. Statt wie früher die Ohr- tenalter sein erstes Hörgerät bekommen abformungen per Post zu verschicken, hat. „Mama, ich kann den Wind hören“, steht heute im Laden ein 3D-Scanner. hat er damals gestaunt. Heute ist er Mit- „Die Daten verschicken wir übers Netz te 20 und nach wie vor ihr Kunde. und binnen drei, vier Werktagen fertigt das Labor die Plastik. Das ist schnell und kostengünstig.“ 24 Z D H J A H R B U C H 2 02 2 FREUDE SCHMIEDEN
Anja Fromm hingegen wollte schon als junges Mäd- chen Akustikerin werden. Nach einem Schülerpraktikum bei Auris Hörakustik mochte sie am liebsten gar nicht mehr gehen. „Das Team und die Räume hier haben mir gleich gefallen“, erinnert sie sich. Mittlerweile ist sie Mitte 30 und die gute Atmosphäre ist geblieben. Es gehe ja nicht nur ums Geschäftliche, sondern auch um die Work-Life-Balance für alle, sagen die beiden Frau- en. Ausschließlich Frauen arbeiten bei Auris Hörakustik, alle in Teilzeit. Es habe sich irgendwie so ergeben. Das klingt leichthin gesagt. Tatsächlich jedoch haben hier zwei Frauen etwas Bleibendes aufgebaut, das ihnen und allen anderen nützt. Es ist dieser Mix aus Technik, Handwerk und Kundenkontakt, den die beiden Frauen an ihrer Arbeit so lieben. WWW.AURIS-HOERAKUSTIK.DE 25
Hans Peter Wollseifer Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks Im Interview Ein turbulentes Jahr mit anhaltender Corona-Pande- rität im Handwerk ausgelöst und einmal mehr gesell- mie, einer schlimmen Flutkatastrophe und Material- schaftliches Verantwortungsbewusstsein und Zusam- engpässen liegt hinter uns. Wie ist das Handwerk durch menhalt im Handwerk deutlich gemacht. das Jahr gekommen? 2021 war ein weiteres Ausnahmejahr, das vielen Betrie- Wie blicken Sie vor diesem Hintergrund in die Zukunft? ben wieder alles abverlangt hat. Die Corona-bedingten Einschränkungen haben einige Gewerke – etwa die im Trotz aller Widrigkeiten bin ich zuversichtlich, denn Messebau und Veranstaltungscatering tätigen Hand- wie unverzagt die allermeisten unserer Handwerks- werke – bis an den Rand der Existenz gebracht. Die Bau- betriebe sich darangemacht haben, die schwierige Lage und Ausbaugewerke sind zwar gut durch die Pandemie im vergangenen Jahr anzugehen, wirklich anzupacken gekommen, waren dafür aber anderen wirtschaftlichen und sich beherzt den Herausforderungen zu stellen, Belastungsproben ausgesetzt: zum einen, weil zeitweise das stimmt mich hoffnungsvoll. Unsere Betriebe ha- nahezu alle Baumaterialien nur sehr schwer zu beschaf- ben einmal mehr ihre Flexibilität und ihre Fähigkeit, fen waren, und zum anderen, weil historische Preisan- sich auf neue Umstände einzustellen, unter Beweis ge- stiege vielfach Kalkulationen über den Haufen geworfen stellt. Das macht sie zum natürlichen Partner für den haben. Und nicht vergessen dürfen wir die entsetzliche Aufbruch und die Modernisierung, die sich die neue Flutkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz, deren Fol- Regierung vorgenommen haben. Wer sich große Ziele gen bis heute massiv nachwirken. Diese Katastrophe setzt, braucht starke Partner, um sie umzusetzen. Wir hat viele Betriebe in der Region sehr hart getroffen, aber im Handwerk haben das Know-how und die Tatkraft, auch – und das macht mich stolz – beispiellose Solida- um diese Zukunft zu gestalten. 26 Z D H J A H R B U C H 2 02 2 INTERVIEW
Zukunftsmacherinnen und Zukunftsmacher zu wer- den. Die zweite Botschaft dieser Zeile ist: Zukunft wird nicht allein gemacht. Es ist eine Teamaufgabe, in der Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammenspielen müssen, um das gemeinsame Ziel einer lebenswerten und guten Zukunft zu erreichen. Was sind denn die Voraussetzungen, die ein Team aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft für eine gute Zu- sammenarbeit schaffen muss? Zunächst einmal muss jedes Team Vertrauen zueinander Das diesjährige ZDH-Jahrbuch steht unter dem Motto: aufbauen. Wir als Gesellschaft müssen Vertrauen in die „Wir tun, was bleibt.“ Das klingt eher nach Tradition als Politik, Politik muss Vertrauen in die Kompetenz der nach Gestaltung der Zukunft? Wirtschaft haben und unser Know-how nutzen. Und schlussendlich müssen wir als Unternehmerinnen und Es geht doch nicht um Tradition oder Zukunft. Nach- Unternehmer der Politik vertrauen, dass sie Rahmen- haltigkeit heißt für uns Handwerkerinnen und Hand- bedingungen schafft, in der die Wirtschaft und somit werker, das Bewahren mit der Zukunftsgestaltung zu auch der Wohlstand unseres Landes sich nachhaltig verbinden. Nehmen wir nur den Klimaschutz: Ob es entwickeln können. Als gutes Team brauchen wir ein darum geht, Heizanlagen zu modernisieren, E-Lade- gemeinsames Ziel. Auf dieses müssen wir uns zwischen stationen und Solarpanels zu installieren, Wohnungen Gesellschaft, Politik und Wirtschaft verständigen. Da- energieeffizient zu bauen und zu sanieren, um nur ei- für braucht es einen ständigen Dialog und Erfahrungs- nige wenige Beispiele zu nennen – das alles geht nur austausch. Wir im ZDH verstehen uns als Bindeglied einer mit dem Handwerk. Und das bleibt auch in Zukunft so. solchen Verständigung. Denn als Spitzenverband der Doch nachhaltiges, generationenübergreifendes Denken deutschen Wirtschaft vertreten wir die Interessen von und Handeln im Handwerk reicht über den Bereich 1 Million Handwerksbetrieben mit mehr als 5,62 Millio- des Klima- und Umweltschutzes hinaus. Nachhaltig nen Beschäftigten und 363.000 Auszubildenden. Bleibendes hat im Handwerk viele Dimensionen, sei es im Bereich der Aus- und Weiterbildung, bei der Sicherung regionaler Versorgungsstrukturen, beim Er- Welche Aufgaben muss die neue Bundesregierung aus halt von Kulturerbe oder im sozialen Zusammenleben. Sicht des Handwerks prioritär anpacken? Meisterinnen und Meister bilden aus und sorgen so für die Fachkräfte von morgen, sie geben Wissen an die Die neue Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz kommenden Generationen weiter und tragen so zum hat große Ansprüche formuliert – jetzt muss sie liefern. Erhalt wichtiger Kultur- und Fertigungstechniken bei. Es braucht genügend Fachkräfte, um all das umzuset- Das bleibt. Handwerkerinnen und Handwerker sind in zen, was vereinbart wurde. Daher muss die Stärkung besonderem Maße in ihr regionales Umfeld eingebun- der beruflichen Bildung als dem zentralen Hebel zur den und fühlen sich ihm verbunden. Viele bringen sich Fachkräftesicherung höchste Priorität haben. Wir müs- durch vielfältiges ehrenamtliches Engagement in die sen alles daransetzen, so rasch wie möglich zu mehr Gesellschaft ein und bewahren die sozialen Grundlagen, Wertschätzung der beruflichen Ausbildung zu kom- die es für eine gute Zukunft braucht. men, und konkret auch mehr finanzielle Mittel dafür in die Hand nehmen, damit sich mehr junge Menschen für den beruflichen Ausbildungsweg entscheiden und Der Handwerk-Song von Benoby „Was für immer die Lücke von im Schnitt der vergangenen Jahre rund bleibt“ zieht sich wie ein roter Faden durch das ZDH- 18.000 angebotenen, aber unbesetzten Ausbildungs- Jahrbuch. Was ist Ihre Lieblingspassage aus dem Lied plätzen schließen. Denn nur mit beruflich qualifizier- und warum? ten Fachkräften des Handwerks ist das Erreichen der Klimaschutzziele und aller anderen Zukunftsaufgaben „Komm, wir bauen die Zukunft“ natürlich. Diese Zeile möglich. Hier schließt sich der Kreis. Wenn die Ampel beinhaltet gleich zwei zentrale Botschaften: Es ist die tatsächlich mehr Fortschritt wagen will, wie sie es sich Aufforderung an junge Menschen, mit an Bord des auf die Fahnen geschrieben hat, dann muss sie vor al- Handwerks zu kommen, Teil dieser Gemeinschaft der lem auch eines: mehr Handwerk wagen. 27
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Unternehmensideen. Betriebsnachfolge. Wiederaufbau. Vertrauen durch Seiltechnik sichern Stephanie Kleisser, Inhaberin blauschnur seiltechnik Wissen über Generationen hinweg schweißen Johanna Börgel, Kaufmännische Leiterin Metallbau Laumann GmbH Unter Strom die Selbstständigkeit wagen Matthias Thomas, Elektrotechnikmeister Holz schwimmt immer oben Maik Rönnefarth, Tischlermeister – das bleibt. 29
Wie kommen die da hoch? Was sind das für Seile? Kann ich das auch? 30 Z D H J A H R B U C H 2 02 2 VISIONEN TEILEN
Stephanie Kleisser Inhaberin blauschnur seiltechnik aus Mainz Vertrauen durch Seiltechnik sichern Wir schreiben das Jahr 1995. In einem Schwarzwalddorf sitzt eine jun- ge Frau vor dem Fernseher und kann kaum glauben, was sie da sieht. Das Reichstagsgebäude in Berlin wird im Auftrag des Künstlerpaars Christo und Jeanne-Claude mit silbrig schimmernden Tüchern ver- hüllt. Stephanie Kleisser, so heißt die Frau vor dem Fernseher, sieht Menschen an Seilen befestigt an der Fassade hängen. Mit Seiltechnik abgesichert, bringen sie die Stoffbahnen an, verschnüren das histo- rische Gebäude so, dass es zur Skulptur wird. „Wie kommen die da hoch? Was sind das für Seile? Kann ich das auch?“ Heute, mehr als ein Vierteljahrhundert später, weiß Stephanie Kleisser, dass sie das kann. Sogar sehr gut kann. Seit 2014 führt sie ihr Ein-Frau- Unternehmen blauschnur seiltechnik. Ihr Angebot: Industrieklettern, Höhenarbeit, Gefährdungsbeurteilungen, Ausbildung. Ihre Arbeit: Montage von Absturzsicherungen, Reinigen etwa von Silos oder Fassa- den, Prüfung und Dokumentation für Architekten, Statiker und Restau- ratoren, aber auch Gebäudeschutz und Werterhaltung. Ihr Motto: „Wir schaffen Zugang und Lösungen.“ Was das für Lösungen sind? Stephanie Kleisser muss nicht lange nach- denken. Die Frau mit den kurzen Haaren spricht präzise. Sie schätzt es, fokussiert zu sein. Es ist ihr Beruf. „Stellen Sie sich vor, unter dem Dach einer hohen Werkhalle sind Klimaschächte installiert. Die müs- sen neu eingestellt werden, aber durch die enge Anlagenbebauung kommt man mit Hubtechnik vom Boden aus nicht heran. Da schaffen wir den Zugang. Eine Firma für Klimatechnik weist uns ein, erklärt uns detailliert alle notwendigen Schritte, dann lösen wir das Problem.“ Und wenn es doch am technischen Know-how fehlt, bleibt sie mit den Fachleuten über eine Livekamera verbunden und lässt sich unterwei- sen. Im Team werden so Lösungen gefunden, damit bleibt, was gut ist, und erfolgreich weitergearbeitet werden kann. 31
BLAUSCHNUR SEILTECHNIK NIKOLAUS-KOPERNIKUS-STR. 4 55129 MAINZ brief, aber auch Höhentauglichkeit und dreidimensio- nales Denken. Sie arbeite, sagt sie, gerne mit Menschen, die sie mag. „Alle, mit denen ich zusammen schaff‘, habe ich auf anderen Baustellen kennengelernt.“ Auffallend in der Branche sind die wenigen Frauen. Es gebe immer noch zu wenige Handwerkerinnen, findet sie. Auch deshalb engagiert sich Stephanie Kleisser eh- „Halt geben und Außer- renamtlich für das Netzwerk „FRAUEN unternehmen“, gewöhnliches tun, damit das vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird. Gute, tragende Netzwerke sind für sie der Schlüssel zum Dinge erhalten bleiben, Erfolg. Höhenarbeitende können für andere Unterneh- das ist es.“ men der verlängerte Arm, das kundige Auge sein. Sie findet es großartig, mit Betrieben immer wieder zusam- menzuarbeiten, etwa in der Baubranche, im Bauneben- gewerbe oder im Denkmalschutz. „Die Was relativ simpel klingt, basiert auf guter Ausbildung können das, wir können das – zusammen und jahrelanger Erfahrung. Und es fordert die ganze können wir uns aufeinander verlassen.“ Person. „Was wir im Seil machen, ist Handwerk. Man muss das schon auch wollen“, sagt Stephanie Kleisser Technisch erinnert heute kaum noch et- und lacht, wenn sie von Überkopfarbeit in dunklen Röh- was an die Seiltechnikerinnen und Seil- ren oder Höhenarbeiten an spitzen Kirchtürmen erzählt. techniker damals am Reichstagsgebäude. Grundlage ist für sie „nachhaltige Sicherheit“ für die von „Wir werden immer weiter technisiert ihr projektbezogen engagierten Seiltechnikerinnen und und digitalisiert und das ist auch gut für Höhenarbeiter. Nachhaltige Sicherheit gebe es jedoch die Sicherheit und das Ergebnis“, sagt nur, wenn sie tatsächlich verstanden und gelebt wird. Kleisser. Als ausgebildete Schreinermeis- Übersetzt heißt das: Kleisser will so arbeiten, dass die terin und staatlich geprüfte Holztech- Auftraggeber von blauschnur seiltechnik „Bock auf uns nikerin weiß sie, worauf es für gute Er- haben. Wir überzeugen damit, dass es nicht länger dau- gebnisse ankommt. Immer schon haben ert als mit Maschinentechnik. Es ist nicht aufwendiger sie die Zugangsmöglichkeiten aller Art und nicht unsicherer und wir können es jederzeit wie- magisch angezogen, die andere nicht un- derholen.“ bedingt für möglich hielten. Heute geht es ihr primär um gelebte Arbeitssicher- Ganz offensichtlich macht ihr dieser sehr besondere heit und die solide Planung ihrer Projek- und spannende Beruf Freude. Ihre Mitarbeiterinnen te. 2011 hat sie dann Urlaub genommen und Mitarbeiter findet Stephanie Kleisser in der über- und bei einem Unternehmen in der Nähe sichtlichen Branche der Höhenarbeiterinnen und Hö- ihre erste Fortbildung in Höhenarbeit ge- henarbeiter. Voraussetzung für eine Mitarbeit im „Team macht, das Level 1 nach Fisat-Standard. Da- blauschnur“ sei mindestens ein Gesellen- oder Meister- nach wusste sie: Das ist ihre Leidenschaft. 32 Z D H J A H R B U C H 2 02 2 VISIONEN TEILEN
„Wir werden immer weiter technisiert und digitalisiert und das ist auch gut für die Sicherheit und das Ergebnis.“ 2014 hat sie schließlich blauschnur seil- und Außergewöhnliches tun, damit Din- technik gegründet, mittlerweile ein an- ge erhalten bleiben, das ist es, was Ste- erkannter Fachbetrieb, der mit schwäbi- phanie Kleisser am liebsten macht und scher Präzision und sicher ausgeführten am besten kann. Leistungen punktet. An Aufträgen man- gelt es nicht. Der Kuchen, sagt sie, sei groß genug für alle. Woher der unge- wöhnliche Name ihres Betriebs kommt? Stephanie Kleisser lächelt. Halt geben WWW.BLAUSCHNUR-SEILTECHNIK.DE 33
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Johanna Börgel Kaufmännische Leiterin Metallbau Laumann GmbH aus Hörstel Wissen über Generationen hinweg schweißen Wenn sie gefragt wird, was ihr Metallbau- fünf Auszubildende und die Angestellten Unternehmen Bleibendes bewirkt, muss im technischen Bereich, in der Verwal- Johanna Börgel nicht lange nachden- tung und in der Leitung. Und die Leitung, ken. Mit „Fortschritt, Funktionalität und das ist Johanna Börgel selbst. Gemein- Nachhaltigkeit“ umreißt die angehende sam mit ihrer Mutter Claudia führt sie Geschäftsführerin das Leitbild der Lau- das münsterländische Metallbauunter- mann GmbH & Co. KG. Und es fällt ein nehmen. Mit erst 26 Jahren ist sie eine weiterer Begriff: Ganzheitlichkeit. Für sie junge Chefin, die die anstehenden Ver- bedeutet das, dass der Betrieb in tatsäch- änderungen mit modernem Wissen und lich jedem einzelnen Bereich nachhaltig zugleich mit Sinn für Beständigkeit ins arbeitet. „Dazu gehören natürlich Um- Werk setzt. Johanna Börgel formuliert es weltschutz und Klimaschutz. Aber eben so: „Wir machen als Unternehmen gerade auch, dass mit der Ressource Mensch einen Schritt in eine andere Größenord- nachhaltig umgegangen wird.“ nung – und dazu gehört auch, dass die nächste Generation am Start ist.“ Vier Etwas mehr als 100 Mitarbeiterinnen weitere Führungskräfte sind, wie sie, re- und Mitarbeiter sind sie bei Laumann in lativ jung, etwa Mitte 30. „Es hat sich so Hörstel. Gut die Hälfte von ihnen arbei- ergeben.“ tet in der Produktion, hinzu kommen 35
LAUMANN GMBH & CO. KG RODDER STR. 42 48477 HÖRSTEL Dass sie als Frau im Handwerk Karriere machen würde, stand für sie seit Langem fest. Sie werde öfter danach gefragt, erzählt sie. „Für mich war das kein Thema. Ich war mit dem Studium fertig und habe einfach angefan- gen: Vollzeit mit eigenem Schreibtisch. Meine Mutter ist hier geschäftsführende Gesellschafterin, so kenne ich das von klein auf.“ Opa Heinz hatte in den 1970er- Jahren den Betrieb für Schweißtechnik und Landma- schinenbau gegründet, Ende des Jahrzehnts wurde die erste Produktionshalle gebaut. Als Claudia Börgel über- nahm, gehörten 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Unternehmen, noch heute arbeiten einige von ih- nen hier. „Wir machen als Unter- Die 1995 geborene Johanna Börgel wächst in und mit nehmen gerade einen dem Betrieb. Nach dem Abitur im nahen Rheine stu- Schritt in eine andere diert sie an der Bielefelder Fachhochschule des Mittel- stands Betriebswirtschaftslehre, später sattelt sie in Größenordnung – und Kiel den Master mit dem Schwerpunkt Finanzen und dazu gehört auch, dass die Controlling drauf und sammelt praktische Erfahrun- gen in einer Münsteraner Unternehmensberatung. nächste Generation am Sie habe, sagt sie, früh gewusst, wohin sie gehört. Das Start ist. Und weiter auf- Münsterland ist ihre Heimat. „Meine Eltern haben nie gesagt, sie würden erwarten, dass ich den Betrieb über- baut, was Bestand hat.“ nehme. Aber mir war eigentlich immer klar, dass ich das machen will.“ Ihre Bachelorarbeit hat sie über nachhaltiges Wachs- Laumann stellt Bauteile für die Land- tum geschrieben und dabei schon das Familienunter- wirtschaft, den Anlagenbau, die Wind- nehmen im Hinterkopf gehabt. Ab einer gewissen Grö- energie und Flugzeuge her. Spezialisiert ße nämlich sei so ein Betrieb weder Fisch noch Fleisch: sind sie in Hörstel auf Schweißkonstruk- „Man ist keiner von den Großen, aber auch nicht mehr tionen im Dickblechbereich. Johanna so klein, dass man alles auf einem DIN-A4-Blatt be- Börgel – kinnlanges Haar, weißes Blusen- rechnen kann. Ab dann geht es um gut strukturiertes hemd – ist in den Familienbetrieb hin- eingewachsen. Sie sitzt am Schreibtisch in ihrem Büro und spricht kenntnisreich über Achsen für Gelenkbusse, Aufbau- vorrichtungen für Windräder oder klapp- bare Gerätschaften für landwirtschaftli- che Maschinen. „Die heavy Sachen halt.“ Sie lächelt. „Für die feinen Sachen, also Teile aus dem Maschinen- und Anlagen- bau mit besonders hohem Qualitäts- anspruch, bauen wir gerade eine eigene Linie auf.“ 36 Z D H J A H R B U C H 2 02 2 VISIONEN TEILEN
„Für mich ist wichtig zu vermitteln, mich ist wichtig zu vermitteln, dass ein Unternehmen, genauso wie die gesamte dass ein Unternehmen, genauso wie Gesellschaft, davon lebt, dass jeder sein die gesamte Gesellschaft, davon Bestes gibt.“ Darunter versteht die jun- ge Geschäftsführerin auch, dass es kein lebt, dass jeder sein Bestes gibt.“ Nebeneinander gibt. Ebenso, dass Ju- gendliche aus schwierigen Verhältnissen Wachstum.“ Als sie im Sommer 2019 zurück nach Hörstel ausgebildet werden. „Es gibt bei uns kei- gekommen ist, hat sie von der Mutter ihren eigenen nen Bereichs-Egoismus, wichtig ist das Arbeitsbereich bekommen: Finanzen und Controlling. gemeinsame Ziel.“ Wer Johanna Börgel „Das ist dann Schritt für Schritt immer mehr gewor- aufmerksam zuhört, versteht, dass hier den. Das Tempo hat angezogen.“ Johanna Börgel lacht, eine neue Generation in den Handwerks- wenn sie davon erzählt. „Inzwischen würde ich sagen: betrieben Verantwortung übernimmt. Ich habe einen guten Rundumblick auf das ganze Un- Und zwar so, dass das, was sie aufbaut, ternehmen, ein Standing.“ Und wenn es doch mal Kon- tatsächlich Bestand hat. flikte zwischen Alt und Jung gibt, ist da eine erprobte Streitkultur. „Wenn einem was nicht passt, dann spre- chen wir das aus und finden eine Lösung.“ Zum nachhaltigen Wachstum gehört bei der Laumann GmbH & Co. KG schon seit Langem die Diversität. Viel- falt und Vielstimmigkeit bedeuten hier Zukunft. „Für WWW.H-LAUMANN.DE 37
Wenn ich kurz innehalte und zurückschaue auf die letzten zwei Jahre, dann ist da schon ein kleines Schulterklopfen. 38 Z D H J A H R B U C H 2 02 2 VISIONEN TEILEN
Matthias Thomas Elektrotechnikmeister aus Villenbach Unter Strom die Selbstständig- keit wagen Es ist noch sehr früh am Morgen, als Der Schwabe aus Villenbach hat 2019 Matthias Thomas Zeit für ein Gespräch Elektro Thomas gegründet. Nach seiner findet. Der 28 Jahre alte Elektrotechnik- Berufsausbildung und während seiner meister hat sich in die „Lounge“ seiner Festanstellung als Instandhaltungsme- Firma zurückgezogen, bevor es rausgeht chaniker hat er festgestellt, dass es für zu den Kunden. Oben im Materiallager ihn in der Industrie nichts wird mit der hat er aus Holzpaletten ein Sofa gebaut; Selbstverwirklichung. Noch während sei- zwischen den orangefarbenen Polstern ner Meisterausbildung hat er sich des- findet er die Ruhe, zu reflektieren. Mat- halb als Einzelkämpfer selbstständig thias Thomas ist ein junger, ein selbst- gemacht. „Mittlerweile sind wir vier bewusster Handwerker. Einer, der vor Personen, Tendenz steigend.“ Thomas allem das Potenzial seines Gewerks freut sich, als er davon erzählt. Wenn er sieht, nicht die Schwierigkeiten. „Wenn sein aktuelles Lebensgefühl beschrei- ich kurz innehalte und zurückschaue auf ben sollte, dann fühle er sich so wie der die letzten zwei Jahre“, sagt er, „dann Musiker Benoby, der in diesem Jahr als ist da schon ein kleines Schulterklopfen. Hommage an das Handwerk einen Song Und wenn ich gucke, was noch kommen aufgenommen hat, der genau dieses kann, dann sehe ich da vor allem Span- Selbstverständnis zum Ausdruck bringt. nendes. Neue Technologien erkunden, „Komm, wir bauen die Zukunft, das, was auch mal um die Ecke denken, weg vom uns vereint – lasst uns tun, was für immer Standard – dafür ist jetzt die Zeit.“ bleibt.“ 39
„Neue Technologien erkun- den, auch mal um die Ecke denken, weg vom Standard – dafür ist jetzt die Zeit. Der Handwerk-Song beschreibt’s treffend: Komm, wir bauen die Zukunft, lasst uns tun, was für immer bleibt.“ ELEKTRO THOMAS Die Energiewende kommt für Matthias ST. LEONHARD-STR. 2 Thomas gerade zum richtigen Zeitpunkt. 86637 VILLENBACH „Wir Elektriker sind ganz klar ein Teil da- von. Mit der Ladeinfrastruktur können wir die Energiewende schaffen. Jeder be- allem das Potenzial. „Wir sind eben ein schafft und tankt seinen eigenen Strom – Betrieb, der neue Technologien mit Neu- wenn wir das den Kunden nicht verkau- gier und einem offenen Blick angeht.“ fen können, wer dann?“ Das elektrische Fahren ist aber nur einer von mehreren In seinem Handwerker-Alltag geht es Schwerpunkten, die der rotblonde Mann auch ganz zeitgemäß um das, was schon mit der Brille und dem Kinnbart im Blick heute möglich und erprobt ist. Zum ei- hat. Für ihn gehört auch das Hyperchar- nen ist Elektro Thomas auf smarte Ge- ging dazu, das ultraschnelle Aufladen bäudeinstallationen spezialisiert, also gleich mehrerer Wagen mit extrem ho- effiziente Heizsteuerung, intelligenten her Kilowattleistung. Noch ist das Zu- Energieverbrauch, aber auch auf leicht kunftsmusik, aber Thomas sieht vor handhabbare Anwendungen für Men- schen, die trotz Beeinträchtigungen selbstbestimmt leben möchten. Und dann ist da noch das Großthema Photo- voltaik. „Hier haben wir uns in unserer Region schon einen Namen gemacht“, erzählt der Meister. Der Bedarf für so- genannte PV-Anlagen sei groß und er wachse ständig. 40 Z D H J A H R B U C H 2 02 2 VISIONEN TEILEN
„Wir sind eben ein Betrieb, der neue Immer mehr Menschen wünschten sich sowohl eine in- Technologien mit Neugier und einem selfähige, also autarke Stromversorgung bei gleichzei- offenen Blick angeht.“ tiger Reduzierung der Energiekosten. Für das Aufmaß und den Kostenvoranschlag hat Matthias Thomas eine Profidrohne angeschafft. „Bei schnellen Anfragen kön- Vor gerade einmal zwei Jahren ist Matthias Thomas ge- nen wir innerhalb von 24 Stunden die Planung und das startet. Man spürt, wie zufrieden ihn sein Handwerk Angebot abliefern“, sagt er stolz. Ursprünglich hat ihn macht, wie positiv er in die Zukunft blickt, wie die Ideen die Drohne als Hobby interessiert, mittlerweile kommt nur so sprudeln. Gleich muss er los zu den Kunden, der sie auch zum Einsatz, um bestehende Anlagen mit ei- elektrisch betriebene Monteurbus wartet im Hof. Wo ner Wärmebildkamera zu inspizieren und Fehler festzu- sieht sich einer wie er in, sagen wir, zehn Jahren? Er stellen. „Das ist ein Service, den unsere Kundinnen und muss gar nicht lange über eine Antwort nachdenken. Kunden gerne wahrnehmen.“ Er wünsche sich, sagt er fröhlich, dass die Firma dann in einem großen schönen Gebäude angesiedelt ist, mit Im Frühsommer des letzten Jahres hat Matthias Tho- Halle und Büro. Dass dann alle elektrisch fahren. „Und mas wieder einmal um die Ecke gedacht und mit der dass wir ein wichtiger Player in der Region sind, wenn Drohne die Jägerschaft in seiner Heimat unterstützt. Weil es um die Energiewende geht und um all die neuen bei der Mahd immer wieder Rehkitze angemäht wer- Technologien, die noch auf uns zukommen.“ den, hat er frühmorgens seine Drohne losgeschickt und mit der Wärmebildkamera nach ihnen gesucht. 20 Tiere konnten mit seiner und der Hilfe von zwei Jägern an nur einem Tag gerettet werden. „Da stehe ich um vier auf und fliege über die Felder. Das hilft allen und es macht mich froh“, erzählt Matthias Thomas mit leuch- tenden Augen. Klein wie Hasen seien die, eingehüllt in einen Kokon aus Gras – „die kannst du nicht sehen.“ Mit der Drohne ging es eben doch. WWW.THOMAS-ELEKTRO.COM 41
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