WORTPROTOKOLL RESOCONTO INTEGRALE

 
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XV. Legislaturperiode                         XV legislatura

         WORTPROTOKOLL                            RESOCONTO INTEGRALE
       DER LANDTAGSSITZUNG                      DELLA SEDUTA DEL CONSIGLIO
                                                       PROVINCIALE
                        NR. 42                                     N. 42

                 vom 16.12.2014                                del 16/12/2014

Präsident                         Dr. Thomas Widmann                                Presidente
Vizepräsident                       Dr. Roberto Bizzo                           Vicepresidente
WORTPROTOKOLL                                                       RESOCONTO INTEGRALE
          DER LANDTAGSSITZUNG                                                 DELLA SEDUTA DEL CONSIGLIO
                                                                                     PROVINCIALE
                             NR. 42                                                                      N. 42

                       vom 16.12.2014                                                              del 16/12/2014

                     Inhaltsverzeichnis                                                                  Indice

Landesgesetzentwurf Nr. 25/14: "Bestimmungen                               Disegno di legge provinciale n. 25/14: "Disposizioni
über das Erstellen des Haushaltes für das Finanzjahr                       per la formazione del bilancio di previsione per l'anno
2015 und für den Dreijahreszeitraum 2015-2017                              finanziario 2015 e per il triennio 2015-2017 (legge
(Finanzgesetz 2015)" und                                                   finanziaria 2015)" e
Landesgesetzentwurf Nr. 26/14: "Haushaltsvoran-                            Disegno di legge provinciale n. 26/14: "Bilancio di
schlag der Autonomen Provinz Bozen für das Fi-                             previsione della Provincia autonoma di Bolzano per
nanzjahr 2015 und Dreijahreshaushalt 2015-2017"                            l'anno finanziario 2015 e per il triennio 2015-2017"
(Fortsetzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 1   (Continuazione) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . pag. 1
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      Vorsitz des Präsidenten | Presidenza del presidente: Dr. Thomas Widmann

      Ore 14.33 Uhr

      Namensaufruf - appello nominale

       PRÄSIDENT: Die Sitzung ist eröffnet. Laut Artikel 59 Absatz 3 der Geschäftsordnung wird das Protokoll der
jeweils letzten Landtagssitzung allen Abgeordneten in Papierform zur Verfügung gestellt. Zum Protokoll können
bis Sitzungsende beim Präsidium schriftlich Einwände vorgebracht werden. Sofern keine Einwände nach den
genannten Modalitäten erhoben werden, gilt das Protokoll ohne Abstimmung als genehmigt. Kopien des Protokolls
stehen bei den Mitarbeitern/Mitarbeiterinnen, die mit der Abfassung des Protokolls betraut sind, zur Verfügung.
       Für die heutige Sitzung hat sich die Frau Abgeordnete Artioli entschuldigt.

      Punkt 175 der Tagesordnung: Landesgesetzentwurf Nr. 25/14: "Bestimmungen über das Erstellen des
Haushaltes für das Finanzjahr 2015 und für den Dreijahreszeitraum 2015-2017 (Finanzgesetz 2015)" und
      Punkt 176 der Tagesordnung: Landesgesetzentwurf Nr. 26/14: "Haushaltsvoranschlag der Autonomen
Provinz Bozen für das Finanzjahr 2015 und Dreijahreshaushalt 2015-2017" (Fortsetzung)

       Punto 175 dell'ordine del giorno: Disegno di legge provinciale n. 25/14: "Disposizioni per la formazione
del bilancio di previsione per l'anno finanziario 2015 e per il triennio 2015-2017 (legge finanziaria 2015)" e
       punto 176 dell'ordine del giorno: Disegno di legge provinciale n. 26/14: "Bilancio di previsione della Pro-
vincia autonoma di Bolzano per l'anno finanziario 2015 e per il triennio 2015-2017" (Continuazione)

      Ich eröffne die Generaldebatte. Wer möchte das Wort? Herr Abgeordneter Knoll, bitte.

        KNOLL (SÜD-TIROLER FREIHEIT): Danke, Herr Präsident. Entschuldigen Sie die Wartezeit, aber es war
uns ein Anliegen, dass der Landeshauptmann als Zuständiger für das Finanzwesen auch da ist, wenn man über
den Haushalt spricht.
        Geehrte Damen und Herren des Landtages! Die diesjährige Rede des Landeshauptmannes zum Haushalt
stand ganz im Zeichen des Themas Sicherheit. Ein wahrlich gut gewähltes Thema, das im auffallend positiven
Kontrast zu den allgemeinen und teilweise manchmal schon skurril wirkenden Floskeln wie Zukunft, Fortschritt
oder Software und Hardware stand, mit denen der Landtag in den letzten Jahren zuweilen beglückt wurde. Wahr-
lich Sicherheit, das wünscht sich doch jeder. So erscheint es daher nur opportun die diesjährige Rede zum Haus-
halt auch nach dem Richtwert der Sicherheit zu überprüfen und zu beurteilen. Zunächst sei erwähnt, dass die
leichte Zunahme des Südtiroler Haushaltes zweifelsohne eine positive Entwicklung ist, die dem Land mehr Mög-
lichkeiten geben wird, auf die Bedürfnisse der Bürger einzugehen. Sie kann jedoch nicht darüber hinweg täu-
schen, dass gleichzeitig Jahr für Jahr die Ausgabennotwendigkeit steigt aus verschiedenen Gründen, weil die
Gesellschaft älter wird, weil neue Herausforderungen auf das Land zukommen und damit nicht nur ein Haushalt
unter dem Aspekt der Sparsamkeit gestellt werden muss, sondern auch unter dem Aspekt der Effizienz. Nachdem
das Thema nun einmal Sicherheit ist, gilt es die Rahmenbedingungen zu erläutern. Wie sind die Rahmenbedin-
gungen des Landes Südtirols im Jahre 2014? Betrachten wir zunächst einmal die politischen Rahmenbedingun-
gen. Die politische Lage Südtirols ist derzeit sicherlich von vielen Kennzeichen geprägt, aber bestimmt nicht von
Sicherheit. Die einst so hoch gelobte Autonomie wird zusehend zumindest im staatlichen Umfeld als ungerechtfer-
tigtes Privileg abgestempelt für das es – und das ist nicht mein Zitat, sondern von vielen Kommentatoren – 60
Jahre nach dem Krieg keine Rechtfertigung mehr gibt. Das gefällt uns nicht, aber es ist eine Tatsache, dass das
von manchen Teilen der italienischen Öffentlichkeit so wahr genommen wird. In der Folge ist die Südtirol-Autono-
mie ständigen Angriffen ausgeliefert. Das hat auch dazu geführt, dass Stück für Stück dieser Autonomie in den
letzten Jahren vom Staat nicht nur in Frage gestellt, sondern teilweise auch ausgehöhlt wurde. Schon längst sind
daher die Stimmen in Südtirol verstummt, die noch vor kurzem - erinnern wir uns ein Jahr zurück - vor den Land-
tagswahlen in einer vermeintlichen Vollautonomie noch eine gangbare Alternative zur Selbstbestimmung betrach-
teten. Im Grunde genommen geht es heute darum, die noch verbliebenen Kompetenzen einer, nachdem Stücke
bereits genommen wurden, Restautonomie zu verteidigen, die längst schon jede Aussicht auf eine sichere Zukunft
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verloren hat. Wer bis vor einigen Jahren noch eine positive Entwicklung im Lande als bemerkbare Frucht der Au-
tonomiepolitik verkauft werden konnte, tut sich die Politik heute zusehend schwerer den Menschen die Frage zu
beantworten, warum Südtirol trotz einer guten, sehr guten oder weltbesten Autonomie in vielen Bereichen inzwi-
schen schlechter dasteht als andere Regionen in Europa. Es darf daher nicht Wunder nehmen, dass viele Bürger
inzwischen die Politik nicht mehr als Teil der Lösung eines Problems betrachten, sondern als Teil des Problems an
sich betrachten. Diese Politikverdrossenheit, die in anderen Regionen sicherlich schon vor einiger Zeit Einzug
gehalten hat, und in Südtirol erst in den letzten Jahren spürbar geworden ist, ist aber auch hier eingetroffen. Im-
mer mehr Menschen vertrauen der Politik nicht mehr. Das ist ein Umstand an dem wir ein Stück weit selbst Schuld
sind, das hat aber auch mit den Rahmenbedingungen zu tun. Diese Rahmenbedingungen haben wir als Land
Südtirol, als Südtiroler Landtag, als Landesregierung nur begrenzten Einfluss darauf diese zu verändern. Man
kann also sagen, wenn man sich den staatlichen Rahmen ansieht, die Folgen einer jahrzehntelangen Chaospolitik
im italienischen Staat nun auch Südtirol mit voller Härte eingeholt haben. Südtirol agiert heute nicht mehr! Südtirol
ist heute dazu verdonnert worden, nur noch zu reagieren, zu reagieren auf Angriffe der Autonomie, zu reagieren
auf eine Neiddebatte, zu reagieren auf die Frage der Finanzverteilungen im italienischen Staat. Es ist dies
manchmal ein Kampf gegen Windmühlen, aber vor allem ist es ein Kampf, den man auf Dauer sicher nicht gewin-
nen wird. Das politische System Italiens steht vor den Scherben der eigenen Existenz und hat seit Jahren und das
ist bezeichnend nicht einmal mehr eine demokratisch gewählte Regierung. Das wird von weiten Teilen der Bevöl-
kerung nicht einmal mehr in Frage gestellt! Die Errungenschaften, die man sich nach dem zweiten Weltkrieg hart
erkämpft hat, Demokratie, Wahlrecht, werden heute vielfach schon als Hürde, als Belastung angesehen, als et-
was, für das sich weite Teile der Bevölkerung nicht mehr interessieren und davon zeugen nicht zuletzt die Wahl-
beteiligung bei den Regionalwahlen, die in den letzten Monaten in Italien stattgefunden haben. In einem solchen
Umfeld gedeiht vieles, aber gewiss keine Planungs- und erst recht keine politische Sicherheit!
         Betrachten wir nun die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Wenn es eines empirischen Beweises bedurft
hätte, dass es ein Leben nach dem Tode gibt, dann hat Italien diesen Beweis sicherlich erbracht. Italien ist wirt-
schaftlich nicht nur ruiniert, sondern am Ende und es lebt trotzdem irgendwie noch weiter. Es wurschtelt sich ir-
gendwie noch weiter fort, aber die Frage ist: Wie lange wird diese Politik gut gehen? Erst letzte Woche wurde
Italiens wirtschaftliche Bonität abermals herabgestuft und steht nun kurz vor der Schwelle zum Ramschniveau.
Trotz großspuriger Ankündigungen der Regierung Renzi - ich erinnere daran, jedes Monat eine neue Reform, die
dieses Land wieder auf Schiene bringen soll - ist bisher, wenn man es nüchtern betrachtet, so gut wie gar nichts
umgesetzt worden, erst recht nicht etwas, das nachhaltig wäre und die wirtschaftliche Situation Italiens wirklich
verändern würde. Im Grunde genommen bedarf Italien nicht einer Reform, sondern einer Revolution, denn wenn
dieser Staat noch einmal auf Kurs gebracht werden soll, dann muss alles von Grund auf umgekehrt und erneuert
werden. Es bringt nichts eine kleine Arbeitsmarktreform, eine kleine Rentenreform, etwas in der Beschäftigungs-
politik, im Kündigungsschutz, usw. zu regeln, da braucht es grundsätzliche Veränderung. Derzeit ist nicht zu er-
kennen, dass Italien bereit wäre bzw. die Politik in Italien bereit wäre, hier etwas zu ändern. Ganz im Gegenteil!
Monat für Monat verschlechtern sich die Daten. Paradeunternehmen, wie z.B. die FIAT, verlassen Italien. Jung-
akademiker - es wurde erst diese Woche veröffentlicht - kehren entweder nach Italien gar nicht zurück oder ver-
lassen scharenweise das Land.
         Meine Damen und Herren, im Grunde genommen steht Italien wirtschaftlich und politisch kurz vor der
Pleite. Es stellt sich daher die Frage, wie lange die Politik in Südtirol noch die Augen vor dieser Realität schließen
will. Ist es nicht geradezu fahrlässig, in einer Haushaltsrede von der Bedeutung der Sicherheit zu sprechen, wenn
man weiß, dass Italien die wirtschaftliche Sicherheit unseres Landes massiv gefährdet und man nichts dagegen
unternimmt. Nun wird man mir entgegenhalten - der Landeshauptmann schreibt schon fleißig -, dass das Finanz-
abkommen Italiens genau diese Sicherheit bringt, dass genau das ein Punkt sein wird, wo Südtirol zukünftig mehr
Sicherheit haben wird, sofern dies verabschiedet wird. Doch tut es das wirklich? Betrachten wir uns doch das Fi-
nanzabkommen! Was ist dieses Finanzabkommen mit Rom letztlich? Letztlich ist dieses Finanzabkommen nichts
mehr als ein Ersatzabkommen von einem Ersatzabkommen, das notwendig wurde, weil der italienische Staat nicht
mehr bereit war rechtsgültige Verträge einzuhalten. Nun zu glauben, dass diesmal alles anders kommen wird,
dass diesmal Italien seine Versprechen einhalten wird, dass diesmal die wirtschaftliche Situation Italiens es zulas-
sen wird, sich an rechtsgültige Verträge zu halten, - allein das wäre schon Gegenstand einer eigenständigen Dis-
kussion - daran zu glauben, dass diesmal alles anders sein wird, das ist nichts mehr als ein fremder Wunsch.
Italien wird es sich nicht mehr leisten können, auf die regionalen Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Die Gret-
chenfrage lautet daher nicht, wie Südtirol Italien retten kann, sondern wie sich Südtirol vor Italien retten kann.
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       Betrachten wir nun die kulturellen Rahmenbedingungen. Wenn es um die Sicherheit Südtirols geht, stellt
sich unweigerlich die Frage, ob der Erhalt von Sprache und Kultur als Minderheit im italienischen Staat langfristig
gesichert ist. Um diese Frage zu beantworten, genügt ein Blick auf die Entwicklung anderer Minderheiten, um
festzustellen, dass dies nicht der Fall ist. Langfristig führt die Zugehörigkeit zu einem fremden nationalen Staat
stets zum Verlust von Sprache, Kultur und Identität. Auch in Südtirol hat dieser Prozess längst eingesetzt und
zeigt sich besonders deutlich am Umgang mit den faschistischen Ortsnamen. Während vor 20 Jahren diese
Falschnamen noch abgelehnt und bekämpft worden sind - ich erinnere an die Schrift der damaligen jungen Gene-
ration "Ein Unrecht hat den Faschismus überlebt"-, werden sie heute von der Landesregierung als Kulturgut aner-
kannt. Ich rede von den Ortsnamen, nicht von der Mikrotoponomastik. Die Tourismuswerbung geht inzwischen
schon so weit, in fremdsprachigen Texten nur mehr die faschistischen Ortsnamen zu verwenden. Man braucht
kein Prophet sein, um zu erkennen, in welche Richtung diese Entwicklung führt. Südtirol war 1920, als Italien an-
nektiert wurde, eine österreichische, eine Tiroler Minderheit im italienischen Staat. Seit den 70er Jahren fühlen
sich viele nicht mehr als Österreicher oder Tiroler, viele fühlen sich nur noch als Südtiroler. Inzwischen wird auch
schon der Begriff "Südtiroler" in Frage gestellt, weil er angeblich die italienische Volksgruppe ausschließt. Viele
sprechen heute nur noch von deutschsprachigen Italienern. Aus diesen deutschsprachigen Italienern werden in 50
Jahren nur noch Italiener übrig bleiben, wenn die Entwicklung so weiter geht. Dass Italien selbst nicht gewillt ist,
an dieser Situation etwas zu ändern, sieht man gerade am Beispiel im Umgang mit den faschistischen Ortsnamen,
aber auch bei so ganz einfachen Fragen, wie die Begnadigung der Freiheitskämpfer, wo man nach über 50 Jahren
nicht bereit ist, einen Schlussstrich unter dieser Geschichte zu ziehen. Die Geschichte in Italien wiederholt sich
immer wieder. Erst heute liest man in den Medien, dass in Italien die Regionen abgeschafft werden sollen bzw.
zusammengelegt werden sollen und Südtirol in eine neue Region mit Venedig und Friaul Julisch Venetien in das
sogenannte Triveneto wieder eingebettet werden soll. Eine Region, die wir im Faschismus schon hatten, soll wie-
der entstehen. Das ist nicht die primäre Schuld der Landesregierung, aber ich erinnere daran, dass das auch ein
Zutun von Südtirol selbst ist. Wir hatten in der letzten Haushaltsdebatte, im Jahre 2013, umfangreiche Diskussio-
nen darüber, welchen Sinn es macht, dass sich das Land Südtirol zusammen mit Venetien als Kulturhauptstadt
Triveneto bewirbt, eine Bewerbung, die Südtirol zwar Millionen gekostet hat, dann aber glücklicherweise miss-
glückt ist. Wenn aber man sich die Rechtfertigung in der italienischen Öffentlichkeit betrachtet, dann wird man mit
der Frage konfrontiert: Warum ist man dagegen, dass Südtirol in eine Region Triveneto eingebettet wird, wenn
man sich selbst als Kulturhauptstadt in einer Großregion bewirbt? Wir sollten nicht glauben, dass unser Handeln in
Südtirol in Italien nicht wahrgenommen würde, und dass jeder Schritt, den wir von unserer Identität zurückgehen,
nicht immer ein willkommener Anlass in Italien sein wird, uns auch wieder ein Stück weit Identität zu nehmen.
       Betrachten wir nun die europäischen Rahmenbedingungen. Europa - das muss mit aller Deutlichkeit gesagt
werden - ist ein Segen für Südtirol, ein Segen, der uns in vielen Bereichen ein Stück weit Unabhängigkeit gebracht
hat. Man denke hierbei nur an den Wegfall der Grenzkontrollen, aber auch an die Beseitigung der italienischen
Währung und somit an die Tatsache, dass Südtiroler heute wieder in Nord-, Ost- und Südtirol mit einer einzigen
Währung bezahlen können. Das ist ein Fortschritt, dem man eigentlich nicht genug Anerkennung beimessen kann
und der durch die Autonomie alleine auch sicherlich nicht umsetzbar gewesen wäre. Das ist ein Schritt, für den es
Europa gebraucht hat. Daran sieht man, wie positiv sich Europa auf die Regionen auswirken kann. Diese Europa-
Euphorie kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die EU in den letzten Jahren Stück für Stück in
eine falsche Richtung entwickelt hat. Die Idee von einem Europa der Völker und Regionen, die in den 90-er Jah-
ren nach dem Fall der Berliner Mauer ein Grundstock der europäischen Identitätsstiftung und Identitätsfindung
werden sollte, musste einer wirtschaftlichen und politischen Kooperation der Nationalstaaten weichen. Durch die
Wirtschaftskrise der letzten Jahren sind die Regionen immer mehr in den Hintergrund gerückt. Man hat angefan-
gen, regionales Denken als egoistisches Denken abzustempeln und die Interessen der Nationalstaaten in den
Vordergrund gestellt. Die aktuellen Debatten um die Unabhängigkeitsbestrebungen in Schottland, Katalonien und
Südtirol zeigen nur zu deutlich, dass Europa noch immer von einer Generation von Politikern reagiert wird, deren
europäischer Horizont an der eigenen Staatsgrenze endet. In schönen Sonntagsreden wird immer wieder davon
gesprochen, dass Europa grenzenlos sei, dass Europa zusammenwachse, dass es keine Staatsgrenzen mehr
gebe, dass es eine gemeinsame Willensnation werden solle. Wenn dann aber neue Regionen entstehen oder sich
Regionen über bestehende Staatsgrenzen hinweg neu formieren wollen, dann wird das wieder als Hindernis oder
sogar als Rückschritt betrachtet und mit allen Mitteln bekämpft. Mit der Abstimmung in Schottland ist jedoch ein
Damm gebrochen, nicht weil eine Grenze verschoben wurde. Die Mehrheit hat gegen die Verschiebung der
Grenze ausgesprochen, und auch das ist Demokratie. Mit der Abstimmung in Schottland wurde ein Damm gebro-
chen, weil aufgezeigt wurde, dass Grenzen nicht mehr sind als ein Strich auf einer Landkarte, der von irgendje-
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mandem irgendwann einmal gezogen wurde und ganz selbstverständlich auch in Frage gestellt werden kann.
Dass diese verändert werden können, zeigt nicht nur der Fall Schottland, sondern der Fall Europa selbst. In die-
sem Jahr hat man große Gedenkfeiern begangen, darunter auch zum 25-Jahr-Jubiläum des Falls der Berliner
Mauer bzw. des Eisernen Vorhangs. Das waren Grenzveränderungen innerhalb Europas, die, wenn wir ehrlich
sind, Europa einander näher gebracht haben, Europa zu dem gemacht haben, was es heute ist.
        Was schließen wir aus alledem? Die Haushaltsrede des Landeshauptmannes stand im Zeichen der Sicher-
heit. Wir müssen uns daher die Frage stellen, ob Südtirols Zukunft wirklich sicher ist. Die Antwort darauf kann
unter Berücksichtigung aller politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen als Teil des italieni-
schen Staates nur mit Nein beantwortet werden. Herr Landeshauptmann, wenn wir wirklich etwas für die langfris-
tige Sicherheit Südtirols tun wollen, dürfen wir nicht länger die Augen vor der Realität verschließen. Wir dürfen uns
nicht länger in einem Korsett der Autonomie einbetten, das uns keine Optionen mehr offen lässt. Wir müssen dar-
über diskutieren, ob es für Südtirol nicht andere Zukunftsvisionen geben kann. Es liegt in unserer Grundverant-
wortung, das beste Modell für Südtirol zu wählen. Wir sind der Überzeugung, dass die beste Zukunft für Südtirol
jene ist, wenn wir nicht mehr in der Abhängigkeit vom italienischen Staat stehen.

       ZIMMERHOFER (SÜD-TIROLER FREIHEIT): Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen, werte
Mitbürger am Livestream zu Hause und auf der Zuschauertribüne. Es ist sehr erfreulich, dass heute so viele junge
Leute hier sind, nachdem wir ja auch über ihre Zukunft reden. Sie sind die Leidtragenden der Fehlpolitik und
Misswirtschaft der letzten Jahre und Jahrzehnte. Der Haushalt 2015, den uns der Landeshauptmann letzte Woche
vorgestellt hat, hat zwar einen schönen Anschein von Stabilität und Sicherheit. Tatsächlich beinhaltet er aber zwei
große strategische Fehler. Zum einen binden Sie unser Land über Jahre an diesen maroden Staat, zum anderen
kann man nicht ein neues Abkommen abschließen, nachdem die alten Abkommen nicht eingehalten worden sind.
Man kann dem Staat nicht wieder Mittel zur Verfügung stellen, nachdem er fast keine Gegenleistung erbringen
muss. Er muss nicht einmal die Rekurse vor dem Verfassungsgerichtshof zurückziehen. Ich frage mich schon, mit
welchem Recht sie die hart verdienten Steuergelder verschenken, Herr Landeshauptmann? Da draußen gibt es
viele Leute, die sich mit harter körperlicher Arbeit, Tag für Tag, Monat für Monat ihr Geld verdienen müssen. Am
Ende des Jahres will man also schon wissen, ob die Gelder gut verwaltet werden bzw. wohin sie gehen. Ich
wiederhole mich nur ungern, aber meiner Meinung nach sollte man ein neues Abkommen nur dann unterzeichnen,
wenn man zusätzliche Kompetenzen erhält. Post, Eisenbahn, Straße, Polizei usw.! Diese Kompetenzen sollte man
einhandeln. Ein Land wie Südtirol, das in Sachen Tourismus und Wirtschaft hoch entwickelt ist, braucht
funktionierende Infrastrukturen. Ich kann Ihnen gerne ein Beispiel nennen. Wir waren zwecks politischer
Gespräche im Vinschgau unterwegs. Dabei waren wir auch in Stilfs, wo die Leute beklagt haben, dass es eine
starke Abwanderung gibt. Es wurde auch gefragt, warum auf der Stilfser-Joch-Straße keine Maut eingehoben
würde. Damit könnte man dann tolle Projekte finanzieren oder Arbeitsplätze schaffen. Wir mussten antworten,
dass das nicht gehe, da die Stilfser-Joch-Straße Staatsbesitz sei und der Staat keine Maut einführen wolle.
       Ich komme auf das Finanzabkommen zurück. Sie wissen schon, mit wem Sie da verhandelt haben und wie
es mit dem Staat Italien ausschaut. Wenn Sie es nicht wissen, dann sage ich es Ihnen: Der Staat ist bankrott und
hängt am Gängelband ausländischer Geldgeber. Die EU-Troika wird die Finanzkontrolle übernehmen, genauso
wie es in Griechenland der Fall war. Die werden sich einen feuchten Kehricht um ein Abkommen zwischen Rom
und Bozen scheren. Die wollen Geld sehen! Der Staat Italien wurde von den Rating-Agenturen heruntergestuft.
Wir sind eine Stufe vor Ramschniveau und hängen natürlich mit drinnen. Die Hauptstadt Rom versinkt im Mafia-
Chaos. Ein Urgestein der italienischen Industrie, nämlich die Fiat, verlegt ihren Steuersitz nach Holland. Ferrari
geht nach England. Ausländische Investoren kaufen sich die verbliebenen Gustostückchen zusammen und so
geht es weiter. Sämtliche Indikatoren für eine funktionierende Wirtschaft wie Wirtschaftswachstum, Wettbewerbs-
fähigkeit usw. sind im Keller. Unter der Regierung Amato hat es im Jahr 1992 einen Schuldenschnitt gegeben. In
einer Nacht- und Nebelaktion wurden 0,6 Prozent von allen Konten abgebucht. Der nächste Schuldenschnitt
kommt bestimmt und dieser wird dann viel heftiger ausfallen. Experten sprechen von zehn bis fünfzehn Prozent.
Die Chefin des Internationalen Währungsfonds spricht ganz offen davon, dass dies zu machen sei. Der Staat ist
längst keine Demokratie mehr, der diesen Namen verdienen würde. Ministerpräsident Renzi ist der dritte Minister-
präsident, der nicht vom Volk gewählt wurde. Wir bewegen uns immer weiter hin in Richtung Überwachungsstaat.
Sämtliche Bankkonten werden überwacht und jeder Bürger wird als potentieller Betrüger behandelt. Woher soll
also Hilfe kommen? Vom Staatspräsidenten sicher nicht! Der hat zwar den Verdienstorden des Landes Südtirol
bekommen, aber beim letzten Gipfeltreffen in Rom hat er gemeint, dass sich Südtirol freiwillig für diesen Staat
entschieden hätte. Und dazu gab es weder einen Kommentar von der Landesregierung, noch von der SVP! Das
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ist schon bezeichnend. Zu einem Akt der Menschlichkeit gegenüber den Südtirol-Aktivisten konnte er sich auch
nicht durchringen. Einer dieser Aktivisten kommt aus meinem Heimatdorf. Er darf seit über fünfzig Jahren nicht
nach Hause; er durfte nicht einmal zur Begräbnis seiner Mutter einreisen. Man fragt sich also schon, was das für
ein Staat ist, in dem wir leben müssen. Kommt Hilfe von unseren Vertretern in Rom? Wohl kaum! Parlamentsab-
geordneter Plangger hat gemeint, dass wir andere Regionen dazu ermuntern wollten, sich vom Staat zu entfernen.
Dann könnten wir hinterherlaufen. Der Schönredner vom Dienst Karl Zeller meinte, dass er sich im Senat nur we-
nig oft zu Wort melden würde, damit ja niemand auf uns aufmerksam würde. Was ist aus den Nachkommen von
Andreas Hofer geworden? Ein Häuflein von Opportunisten! Kommt Hilfe aus Brüssel? Wohl kaum! Unser Vertreter
Herbert Dorfmann sitzt in einer Fraktion mit Alessandra Mussolini, eine Frau, die offen ihre Sympathie für den
Faschismus zum Ausdruck bringt. EU-Kommissionspräsident Jean Claude Juncker ist auch nicht mehr glaubwür-
dig. Er hat als Ministerpräsident Luxemburgs Unternehmen angezogen, indem er die Steuersätze gleich Null ge-
setzt hat.
        Ich möchte noch auf zwei Punkte in der Haushaltsrede von Landeshauptmann Kompatscher eingehen. Ein
Thema ist die Europaregion Tirol, ein weiteres betrifft die Energie. "Tirol 2050 - Energieautonom" heißt das neu-
este Projekt im Bundesland Tirol. Mit diesem Projekt will die Tiroler Landesregierung einen langfristigen Prozess
ermöglichen, der auch den nächsten Generationen eine gute Lebensqualität sichert. "Erklärtes politisches Ziel ist
es, Tirol von fossilen Energieträgern unabhängig zu machen. Symbolisch wurde das Projekt per Bahn auf die
Reise geschickt. Ein Regionalzug im Design von "Tirol 2050" tourt seither durchs Land. Die neue Internetplattform
"Tirol 2050" informiert und lädt zum Mitmachen ein." Man fragt sich, wo Südtirol bleibt bzw. warum wir hier nicht
mitmachen. Wir kochen unser eigenes Süppchen. Auf jeden Fall habe ich einen Tagesordnungsantrag einge-
reicht, der vorsieht, dass wir uns an diesem Projekt beteiligen sollten. Sie schreiben in Ihrem Bericht auch, dass
der Schwerpunkt 2015 das neue Kulturgesetz sein würde. Ich hoffe, dass Sie endlich auch einmal das Problem
des Rechts auf Gebrauch der deutschen Muttersprache bei den Behörden und Beipackzetteln von Medikamenten
lösen werden. Wir bekommen fast täglich Beschwerden von Bürgern, die darauf hinweisen, dass dieses Recht mit
Füßen getreten wird.
        Die Brückenfunktion, von der Sie reden, Herr Landeshauptmann, ist eine Einbahnstraße. Unsere Autono-
mie befindet sich in einer Sackgasse. Von der Vollautonomie hört man überhaupt nichts mehr.

        PÖDER (BürgerUnion – Südtirol - Ladinien): In Südtirols Politik braucht es meiner Meinung nach mehr
Realitätssinn, den Sinn für das, was zu machen ist und für das, was man machen kann. Die Arbeit der
Landesregierung gleicht oft einer Fortsetzung des Wahlkampfes mit anderen Mitteln. Das wichtigste Amt der
Landesregierung sollte im Prinzip nicht das Presseamt sein, sondern es sollten jene Ämter sein, die sich um die
konkreten Lösungen der Probleme der Bürger, Familien und Unternehmen kümmern. Den Betrieben und somit
auch den Menschen fehlt es immer noch an Arbeit. Den Familien in Südtirol fehlt es immer noch an Absicherung
und Anerkennung ihrer zentralsten Rolle. Es genügt einfach nicht, das Dienstauto des früheren Landeshauptman-
nes über E-Bay verkaufen zu wollen, um damit zu zeigen, dass man alles neu und besser machen will. Es geht
schnell in die Hose, wenn ein solcher symbolischer Akt nicht gelingt. Jenseits aller Ankündigungen und aller Sym-
bolik braucht es den Realitätssinn für die Probleme und Herausforderungen, mit denen die Bürgerinnen und Bür-
ger und die kleinen und mittleren Unternehmen in Südtirol täglich zu kämpfen haben. Diese Probleme sind im
ersten neuen Regierungsjahr nicht unbedingt kleiner geworden. Das Ranking der Lebensqualität ist rapide abge-
rutscht, was man natürlich nicht zwangsläufig an der neuen Landesregierung und am neuen Landeshauptmann
festmachen mag. Gemessen an den Versprechungen und Ankündigungen kann man es aber schon daran fest-
machen. Wir sollen es in Südtirol anders und besser machen als in Rom. Rom zu kopieren, ist kein guter Ansatz,
zumal dort momentan, im Gegensatz zu Südtirol, die personifizierte Seifenbalse Renzi schwebt und täglich ein
Stückchen größer wird, bis ihr wohl das Ende beschieden sein wird, das bislang noch jeder Regierungschef in
Italien genommen hat. Diese Landesregierung befindet sich leider Gottes in einer Verteidigungshaltung gegenüber
dem Staat und im Rückzug an vielen Fronten. Das ist ein Fehler! In Erinnerung vom ersten Jahr bleibt unter ande-
rem die Kürzungsorgie dieser Landesregierung bei der Wohnbauförderung. Man streicht zusammen und schafft
Unsicherheit für die Familien. Künftig werden Südtirols Familien jahrelang um die Wohnbauförderung zittern
müssen. Familienplanung sowie Wohnungsbau oder Kauf einer Wohnung werden kaum mehr planbar sein. Jüngst
wurde auf Betreiben dieser Landesregierung beschlossen, dass man künftig auch in jeder Hinsicht berechtigte
Familien von der Wohnbauförderung ausschließen kann. Im Wohnbauförderungsgesetz ist vorgesehen, dass
jeder Berechtigte zu jedem Zeitpunkt ein Gesuch um Wohnbauförderung einreichen kann, wobei die Rechtssi-
cherheit besteht, diese Förderung zu erhalten. Mit der durch Ranglisten eingeschränkten zeitlichen Begrenzung
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und anderen Maßnahmen, die jüngst beschlossen wurden, schafft man Unsicherheit. Damit wird das System der
Wohnbauförderung mit einem einzigen Absatz völlig verändert, ohne das gesamte Wohnbauförderungsgesetz zu
überearbeiten bzw. anzupassen. Die Wohnbauförderung wird gekippt. Realitätssinn sieht anders aus. Wenn man
knappen Zeiten entgegen geht, dann muss man das Wohnbauförderungsgesetz, wenn schon, insgesamt überar-
beiten, damit die einheimischen Familien ihre Zukunft planen können. Man kann nicht einfach der Landesregie-
rung die Möglichkeit geben, mit einfachem Beschluss ganze Kategorien von Menschen von der Förderung auszu-
schließen. Diese Form der Gesetzgebung ist in jeder Hinsicht abzulehnen. Die Wohnbauförderung fällt einer Kür-
zungsorgie anheim, sie wird faktisch abgeschafft. Ganz nebenbei wird noch der gepriesene Mittelstand geohrfeigt.
Ihm wird jegliche Grundlage für die Wohnbauförderung entzogen. Übrig bleibt die Situation: zum Leben zu wenig,
zum Sterben zu viel.
        Über das Gesundheitswesen wurde schon viel diskutiert. Ich werde mich dazu also kurz halten, denn wir
werden Gelegenheit haben, darüber noch in ausführlicher Form zu diskutieren. Dass etwas getan werden muss,
ist klar, aber man muss davor warnen, auf Kosten der Patientinnen und Patienten zu kürzen und zu streichen. Die
Diskussion ist notwendig, allerdings wird sie in einer problematischen Sichtweise geführt. Wenn wir in Bozen dabei
sind, einen neuen Krankenhauskomplex zu bauen, der vor zehn Jahren 500 Millionen Euro kosten sollte und
heute 650 Millionen Euro kosten soll, dann ist es den Menschen in Innichen, Sterzing und Schlanders schwer zu
vermitteln, warum man dort nicht auch die eine und andere Millionen des Angebotes übrig hat und warum sie bei
der Kürzungsmanie dieser Landesregierung die Leidtragenden sein müssen.
        Im Bereich der sozial- bzw. familienpolitischen Leistungen geht man ebenfalls den Weg, dass man zualler-
erst bei den Schwächsten kürzt und streicht. Das hat der Fall von Familien mit schwer behinderten Kindern ge-
zeigt, denen von der Landesregierung plötzlich ohne Vorwarnung das ohnehin spärlich bemessene Familiengeld
gestrichen wurde, nur weil sie eine nachträglich geschaffene Grenze von 90 Tagen überschritten haben. Es gibt
Familien, die ein schwer behindertes Kind abwechselnd zu Hause betreuen und in einer Behinderteneinrichtung
betreuen lassen. Nach der Diktion der neuen Landesregierung sind das plötzlich keine Familien mehr, weshalb sie
mit dem Entzug des Familiengeldes bestraft werden. Diese Vorgangsweise muss geändert werden. Ähnliches gilt
für die Pflegesicherung. Eine kurz nicht kontrollierte Diskussion aus der Mehrheit hat geoffenbahrt, dass die Lan-
desregierung sehr wohl darüber nachdenkt, bei der Pflegesicherung zu Kasse zu bitten. Die neue Art hat dazu
geführt, dass immer häufiger wirklich Pflegebedürftige in niedrigeren Pflegestufen eingestuft worden sind. Ich habe
jetzt von einigen Fällen erfahren, die haarsträubend sind. Je schlechter es Menschen aufgrund ihres Gesundheit-
zustandes geht, desto häufiger wird ihr Pflegebedarf zurückgestuft. Erst gestern war ich bei einer älteren Frau, die
aufgrund ihrer seit 70 Jahren fortschreitenden schweren Erkrankung nichts mehr selbst tun kann, aber aufgrund
der neuen Art der Pflegeeinstufung bescheinigt erhielt, dass sie fast alles selber machen kann.
        Auch vor anderen Bereichen hat diese Kürzungsmanie nicht Halt gemacht, beispielsweise beim öffentlichen
Personennahverkehr. Das Abo Plus für Kinder und Jugendliche wurde abgeschafft. Dasselbe gilt für das Seniore-
nabo. Jetzt werden alle zur Kasse gebeten, unter dem Vorwand, dass man irgendetwas bezahlen müsse, als ob
sie nicht schon zahlen würden. Man muss schon einmal in Erinnerung rufen, dass die Familien in Südtirol weder
die Sanitätseinrichtungen, noch die Mittel des öffentlichen Verkehrs kostenlos benutzen. Sie zahlen dafür Steuern,
und zwar ordentlich, wenn wir uns den Umfang des Landeshaushaltes anschauen. Die Bürger beteiligen sich be-
reits über die Steuern an den Kosten des öffentlichen Nahverkehrs. Deshalb soll die Landesregierung nicht den
Eindruck erwecken, als hätten die Schüler beispielsweise das Abo Plus geschenkt bekommen. Man hat dadurch
die Familien etwas entlastet und die jungen Menschen zur Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel erzogen.
Auch für die Mindestrentner gab es eine Entlastung. Mit der neuen Kürzungs- und zur-Kasse-Bitten-Mentalität hat
man allerdings ein System geschaffen, welches Familien und ärmere ältere Leute belastet und in der öffentlichen
Verwaltung zu neuen Kosten und zu neuer Bürokratie führen wird.
        Das als großen Wurf angekündigte Gesetz zur Gemeindeimmobiliensteuer möchte ich auch kurz anspre-
chen. Heute ist ja die Rate für die GIS fällig. Sie wurde, wie gesagt, als großer Wurf angekündigt. Man habe jetzt
die Kompetenz dafür, könne ein eigenes Gesetz machen und alles würde besser! Auch hier hat man festgestellt,
dass alles anders ist als angekündigt. Was wurde den Menschen in diesem Zusammenhang nicht alles verspro-
chen? Und nun muss selbst der Präsident des Gemeindenverbandes zugeben, dass für die allermeisten Erstwoh-
nungsbesitzer des Landes nicht alles besser, sondern alles schlechter geworden ist, trotz gegenteiligen Verspre-
chens der Landesregierung. Das ist alles nachzulesen! Die meisten Hauptwohnungseigentümer müssen die GIS
zahlen. Man kann also nicht nur dem Staat die Schuld geben, denn schließlich haben wir die Möglichkeiten nicht
ausgeschöpft.
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        In Zusammenhang mit der Kürzungs- und Streichungsorgie bleibt verbittert zu erwähnen, dass dort, wo
man wirklich streichen hätte können, beispielsweise beim Bozner Flugplatz, nichts gestrichen, sondern weiterhin
Geld hineingepumpt wird. Dieser Fixpunkt bleibt als Beispiel der Verschwendungsorgie. Auf der anderen Seite
kürzt man bei den Kleinen und Schwächeren. Anstatt den Flugplatz zu schließen und endlich zu verstehen, dass
er nicht funktionieren kann, füttert man ihn weiterhin.
        Realistisch gesehen braucht es in Südtirol Arbeit, aber wir verlieren ständig Arbeit, und zwar Arbeit für die
Unternehmen und für die Arbeiter und Angestellten. Die Quartals-Arbeitslosenzahlen in Südtirol weisen in eine
bedenkliche Richtung. Wir haben offiziell mehr als 11.000 Arbeitssuchende. Die Entlastungsmaßnahmen für Fa-
milien und Betriebe sind kosmetische Korrekturen einer sich wirklich ständigen verschlechternden Situation. Im
Haushalt bräuchte es dazu noch klarere Maßnahmen. Vor allem aber bräuchte es, abgesehen vom Haushalt,
noch weitere Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Arbeiten, denn dort geht Arbeit verloren. Jeder dritte öffent-
liche Auftrag von Land, Bezirken oder Gemeinden geht an einen Betrieb außerhalb Südtirols, der in Südtirol keine
Steuern zahlt und auch kaum oder keine Arbeitsplätze schafft. Bei den Landesaufträgen dürfte es sogar noch
mehr sein. Die offiziellen Zahlen von vor zwei Jahren hatten damals in Richtung Hälfte der öffentlichen Aufträge
gewiesen, die außer Landes gehen. Das steht immer noch auf der Internetseite des Landes. Tut mir leid, solange
Ihr das nicht löscht oder richtig stellt, ist das eben so! Dieses Drittel ist natürlich verlorene Arbeit. Sowohl das Land
als auch die Gemeinden müssten noch intensiver alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen und, soweit möglich, selbst
schaffen, um mindestens eine Zahl von 80 bis 90 Prozent aller öffentlichen Aufträge und Arbeiten Südtiroler Be-
trieben zukommen zu lassen. Wir alle wissen, dass nicht der Billigste, sondern der Beste den Auftrag erhalten soll.
Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an Südtiroler Firmen sichert Arbeitsplätze, Wertschöpfung und Gewinne.
Die Bozner Handelskammer hat jüngst die Zahlen der Agentur für die Verfahren und die Aufsicht im Bereich öf-
fentliche Bau-, Dienstleistungs- und Lieferaufträge für das Jahr 2013 genannt. Demnach wurden im Jahr 2013
öffentliche Aufträge mit einer Summe von 818 Millionen Euro vergeben. Von diesen gingen 68,3 Prozent an heimi-
sche Unternehmen, 25,5 Prozent an Firmen aus anderen italienischen Provinzen und Regionen und 6,2 Prozent
an ausländische Firmen. 7 von 10 öffentlichen Aufträgen bleiben im Land. Das sind nur die Zahlen, die wir in Be-
zug auf den direkten Vergabebereich haben. Ob manches an Subunternehmen außer Landes geht, ist hier nicht
genannt. In Wirklichkeit gehen also mehr öffentliche Aufträge außer Landes, als hier genannt. Eine Verbesserung
könnte die Standardisierung des Ausschreibeverfahrens mit sich bringen. Das Land und die Gemeinden sollten
die Grenzen und Schwellenwerte soweit wie möglich ausnutzen. Die Ausschreibungen sollten auch für kleine Be-
triebe attraktiv sein. Die Gemeinden sollten die Möglichkeiten nutzen, Aufträge bis zu einer Grenze von 40.000
Euro direkt zu vergeben. Es gibt hier eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die nicht genutzt werden. Einerseits
fehlt der Mut, andererseits aber auch die Rückenstärkung. Vermehrte Ausschreibungen nach Gewerken, Para-
meterangleichung und weitere Kriterien sollten helfen, so viele öffentliche Arbeiten wie möglich in Südtiroler Hand
zu belassen. Hier gilt es auch, den provinzfremden Billigstanbietern einen Riegel vorzuschieben. Durch deren
Dumping-Politik sinken nämlich die Qualität und die Auslastung der heimischen Kleinbetriebe und gehen Arbeits-
plätze verloren. Das mittelfristige Ziel sollte es sein, 90 Prozent der Aufträge an heimische Betriebe zu vergeben.
        Man muss natürlich insgesamt die Entwicklung skeptisch sehen. Einerseits hören wir zwar die positive
Nachricht, dass man hinsichtlich der Wirtschaftsförderung vom Gießkannenprinzip abgehen will, auf der anderen
Seite gehen wir aber in manchen Bereichen in jene Richtung, dass hauptsächlich die Großen gefördert werden.
Einige hundert Millionen stehen im Regionalhaushalt und im strategischen Fonds bereit, um die Wirtschaftsförde-
rung auf neue Beine zu stellen. Da wird schon einiges getan, aber wenn man die Frage der strategischen Ent-
wicklung, die gefördert werden soll, oder die Ausgabe von Anleihen, Minibonds usw. anschaut, dann profitieren
von 50.000 registrierten Betrieben in Südtirol 160 Betriebe. Das hat der Unternehmerverband selbst gesagt Das
Gießkannenprinzip zu kippen, ist richtig, aber das darf nicht dazu führen, dass die Kleinen dann im ausgetrockne-
ten Flussbett stehen. Mit dem Gießkannenprinzip haben sie wenigstens das eine oder andere Mal Sauerstoff er-
halten, um ein wenig Liquidität zu haben. Da muss man schon vorsichtig sein, denn die Umkehr dieses Prinzips
kann dazu führen, dass wir den Sauerstoff für jene, die ihn bräuchten, nicht mehr bereitstellen können und nur die
Großen zum Zug kommen.
        Ich erlaube mir auch, einige Worte zum Verhältnis Land-Staat und zur Zukunftsfrage Südtirols zu sagen. Ich
bin etwas verwundert über die Aussendung zur Expertenkommission des Landes zur Überarbeitung des Autono-
miestatutes. Da sind zehn Vertreter des Trentino und von Südtirol ernannt worden, wobei der Landtag bei dieser
Ernennung völlig außen vor geblieben ist. Aus dem Trentiner Landtag sind zumindest zwei oder drei Vertreter in
diese Expertenkommission entsandt worden, aus dem Südtiroler Landtag kein einziger. Der Südtiroler Landtag
wurde meines Wissens nicht einmal gefragt. Gemessen am zahlenmäßigen Verhältnis ist die deutsche Volks-
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gruppe unterrepräsentiert. Man sieht in dieser Kommission nur SVP, PD und Trentiner! Das geht den Landtag also
nichts an. Ich nehme das zur Kenntnis, aber der Trentiner Landtag hat zwei Vertreter entsandt und wurde auch zu
Rate gezogen, soweit ich das verstehe. In der heutigen Presseaussendung der Landesregierung steht, dass sich
diese Expertenkommission mit der Reform des Autonomiestatutes und mit der Rückholung der mit Verfassungs-
gerichtsurteilen gestrichenen Zuständigkeiten befassen werde. Dann gehe es an die Landesregierung und danach
ans Parlament. Den Landtag geht das also nichts an!

      KOMPATSCHER (SVP): (unterbricht)

       PÖDER (BürgerUnion – Südtirol - Ladinien): Aha, gut. Ich nehme das zur Kenntnis, denn anscheinend
geht es den Landtag doch ein bisschen an. Es ist aber schon erstaunlich, bei diesem neuen Stil der
Landesregierung den Landtag komplett außen vor zu lassen. Das ist ein Signal dafür, dass es in dieser Frage im
Landtag keinerlei Experten gibt, weder in den Reihen der SVP, noch in den Reihen der Opposition. Im Trentiner
Landtag gibt es offensichtlich eine ganze Reihe von Experten. Wie gesagt, es ist schon erstaunlich, wie Ihr es
schafft, diese Kurve zu kriegen. Herr Landeshauptmann, das ist der neue Stil in alten Schuhen bzw. alten
"Knoschpn"! Ich nehme zur Kenntnis, dass nicht nur die Landesregierung das Ok gib, sondern dass der Landtag
das, was der Zeller Karl und andere vorlegen, noch begutachten darf. Der Landtag wird es natürlich absegnen,
denn die SVP wird sich niemals trauen, dem Zeller Karl auch nur ansatzweise zu widersprechen. Der Kollege
Noggler hat einmal zu spüren bekommen, was es bedeutet, etwas, was der Karl Zeller gesagt hat, auch nur an-
satzweise anzuzweifeln. Nun gut, es wird eine Expertenkommission eingesetzt, die den Landtag nichts angeht, bei
der der Landtag nichts zu sagen hat, in der der Landtag nicht vertreten ist, in der die deutsche Volksgruppe, ge-
messen an der Bevölkerungszahl, unterrepräsentiert ist. Wir machen 30 Prozent der Region aus, haben aber nur
zwei Vertreter von zehn. Wir nehmen das ganz einfach zur Kenntnis!
       Aus Rom kommt auch heute noch nichts Gutes. Auch dafür braucht es den nötigen Realitätssinn. Südtirol
kämpft autonomiepolitisch täglich ums Überleben und hat keine Zukunft in diesem Staat. Das ist keine schwarz-
malerische, sondern eine sehr realistische Einschätzung. Wir haben uns für unsere Autonomie weder beim Staat,
noch bei den anderen Regionen zu entschuldigen. Manchmal hat man den Eindruck, dass wir uns ruhig und still
verhalten müssen. Bei der Debatte über das Finanzabkommen haben damals einige gemeint, dass man nicht zu
viel aufmucken dürfe. Herr Landeshauptmann und liebe SVP, diese Autonomie ist nicht das Höchste, was wir
haben können, sondern sie ist das Mindeste, was wir angesichts der unfreiwilligen Eingliederung und Zugehörig-
keit zu diesem Staat haben müssen. Es gibt nichts Unsichereres, als diesem Staat zu vertrauen und nichts Wag-
halsigeres, als eine Zukunft auf Dauer in diesem Staat zu planen. Ich habe heute gelesen, dass wir ein Zehntel
der Mehrwertsteuer von der Region auf das Land herübergerettet haben. Wunderbar! Das ist eine kleine Schwä-
chung der Region und gleicht die Stärkung der Region durch den Übergang des Gerichtspersonals …

      KOMPATSCHER (SVP): (unterbricht)

      PÖDER (BürgerUnion – Südtirol - Ladinien): An die Länder, ja. Das Gerichtswesen wurde aber an die
Region delegiert.

      KOMPATSCHER (SVP): (unterbricht)

       PÖDER (BürgerUnion – Südtirol - Ladinien): Das wird die Region nicht machen. Sie wissen, dass der
Regionalrat diesen Beschluss unter den gegebenenen Voraussetzungen nicht fassen wird. Die Mehrheit im
Trentino und die italienischen Kolleginnen und Kollegen des Südtiroler Landtages werden dazu beitragen. Sie
werden es erleben, dass die Aushöhlung der Region auf enormen Widerstand stoßen wird. Es hat damals die
Beugung des damaligen Regionalratspräsidenten Franz Pahl gebraucht – zucken Sie nicht zusammen, wenn Sie
diesen Namen hören -, um die Übertragung von Zuständigkeiten an die Länder zu beschließen. Ich halte das
Finanzabkommen immer noch nicht für das höchste der Gefühle. Da kann der Renzi an den Faymann schreiben,
was er will. Ich würde ihm auch einen Brief schreiben, dass die Südtiroler mit diesem Finanzabkommen über den
Tisch gezogen worden sind. Da gibt es einfach unterschiedliche Sichtweisen. Ich denke, dass wir in keinem Fall
nur bei einem Autonomiekonvent bleiben sollten. Das wäre rückwärts gewandt und konservativ und würde nur das
konservieren, was man hat, vielleicht mit leichten Korrekturen. Wenn schon, dann muss man einen Zukunfts-
konvent machen. Natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass man gleichzeitig die autonomen Zuständigkeiten aus-
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bauen kann. Da fehlt uns noch einiges und da gibt es genug zu tun. Ein Zukunftskonvent für Südtirol ist das, was
wir planen sollten, in dem das Denkbare und – wie Helmut Schmidt einmal gesagt hat - auch das scheinbar Un-
denkbare gedacht werden muss. Wir brauchen keinen Autonomiekonvent, in dem bereits vorgegeben ist, was das
Denkbare sein wird. Wir müssen zur Erkenntnis gelangen, dass alles denkbar ist, nur nicht eine sichere Zukunft
Südtirols mit Italien.

        NOGGLER (SVP): Meine Stellungnahme zum Haushalt wird zweigeteilt sein, heute vielleicht etwas
kritischer, morgen vielleicht etwas wohlwollender.
        Der Bericht des Landeshauptmannes zum Haushalt 2015 liest sich sehr schnell, gut und ist auch anschau-
lich gestaltet, Visionen aber, Herr Kollege Steger, enthält er nur spärlich. Für mich stellen sich nach einem Jahr
der Erneuerung viele Fragen. Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass man noch Zeit braucht, aber erste Anzei-
chen sollten im zweiten Haushalt nach Durnwalder doch ersichtlich sein.
        Für mich stellt sich die Forderung nach einem neuen Planungsinstrument wie dem LEROP, der, wie wir
wissen, bereits im Jahr 2005 verfallen ist. Dieses Planungsinstrument ist sehr wichtig und muss gemeinsam mit
der Bevölkerung diskutiert werden. Ich bin der Meinung, dass Richtlinien und Grundsätze fehlen, an die man sich
halten kann. Man diskutiert über Familie, Bildung, Energie, Raumordnung und Direkte Demokratie, aber ein Koor-
dinierungsinstrument fehlt leider bis heute. Ich glaube auch nicht, dass man schon dabei ist, den Raumordnungs-
und Entwicklungsplan neu aufzulegen. Man glaubt einfach, das mit einfachen Gesetzentwürfen bewerkstelligen zu
können.
        Im Bericht des Landeshauptmannes zum Haushalt vermisse ich in erster Linie auch die strukturschwachen
Gemeinden und die Abwanderung aus denselben. Seit der ersten Haushaltsrede von Landeshauptmann Durnwal-
der waren die Abwanderung und die Stärkung der strukturschwachen Gebiete immer ein sehr wichtiges Thema.
Wir wissen, dass das WIFI ermittelt hat, dass ein Drittel der Gemeinden – dabei handelt es sich vor allem um
ländliche Gemeinden – abwanderungsgefährdet sind. Wir haben zwar bei den "Tante-Emma-Läden" einen guten
Ansatz gemacht, aber es bedarf neuer Kriterien und der Bereitstellung der notwendigen Mittel.
        Die Beiträge für die Landschaftspflege waren im Regierungsprogramm enthalten, aber jetzt hat es den An-
schein, dass dieselben außerhalb der Naturparke nicht mehr ausgezahlt werden sollen. Wir sagen immer wieder,
wie wichtig es ist, das Landschaftsbild zu erhalten, und jetzt will man von dem, was man eigentlich erreichen
möchte, abgehen.
        Über institutionelle Reformen und über die Subsidiarität wird auch viel gesprochen. Wie weit wir aber wir
sind und wie weit wir gehen wollen, bleibt weiterhin unklar. Die Provinz Trient geht hier mit gutem Beispiel voran,
und deshalb sollten auch wir um einiges schneller werden.
        Was das Breitband anbelangt, haben wir in der vergangenen Legislaturperiode ein entsprechendes Gesetz
verabschiedet. Man hat diesem Vorhaben eine bestimmte Priorität eingeräumt. Früher war es wichtig, Straßen zu
den Höfen hinzubauen. Heute ist es wichtig, die abgelegenen Bergdörfer mit Breitband zu versorgen. Wir haben
dieses Recht zum Bürgerrecht erhoben und haben auch gesagt, dass jeder Bürger ab dem Jahr 2015 das Recht
hat, eine bestimmte Intensität – ich glaube es waren 30 Megabit - zu bekommen. Die Umsetzung des Vorhabens
lässt aber leider auf sich warten. Das ist für den Wirtschaftsstandort speziell in der Peripherie ein sehr großes
Problem. Ich muss diese Problematik wohl nicht eigens anführen. Dasselbe gilt für das Thema des Bürokratieab-
baus. Laut Landesrätin Deeg sei man bereits dabei, das zu tun, aber die Folgen von Gesetzen sollten bereits vor-
her abgeschätzt und im System koordiniert werden.
        Wenn ich mir die Entwicklung der letzten Tage anschaue, so sollen mit dem Euregio-Familienpass – ich
nenne ihn Kompatscher-Pass – Familien Vergünstigungen erhalten, wobei der Family-Pass – das ist der Wid-
mann-Pass – gleichzeitig teurer wird. Wir haben vor ungefähr einem Monat über den Deeg-Pass gesprochen,
wobei mir unklar ist, inwiefern dieser zur Anwendung kommen soll. Klar ist, dass der Bürokratie- und Verwaltungs-
aufwand ständig steigt. Der Bürger, der eigentlich davon profitieren sollte, bleibt auf der Strecke.
        Im Haushaltsbericht findet sich kein Wort über die Land- und Forstwirtschaft. Ich frage mich, ob es in diesen
Bereichen keine Probleme gibt. Ist alles klar oder gibt es keine Visionen? Die Bauern sind doch sehr verunsichert
und fragen sich, wie es speziell in der Berglandwirtschaft weitergehen soll. Die Berglandwirtschaft ist stark ver-
schuldet, die Erträge sinken und die finanziellen Belastungen steigen. Der Nebenerwerb wird schwieriger oder ist
fast unmöglich. Deshalb muss die Erhaltung des bäuerlichen Familienbetriebes das Ziel unserer Politik bleiben.
Die Landschaftsprämien, die bisher für viele Bauern ein Nebenerwerb waren, gibt es leider nicht mehr. Die Aufla-
gen bürokratischer Natur und zur Arbeitssicherheit sind fast nicht mehr erfüllbar. Ich frage mich also schon, wie wir
die Bauernhöfe erhalten sollen. Was bringt das Freihandelsabkommen? Wie bereiten wir uns darauf vor? Ich bin
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auf alle Fälle sehr besorgt. Es gibt hierfür noch keine Folgenabschätzung ex ante. Es gibt lediglich Versprechun-
gen. Es gibt schon Folgenabschätzungen ex post. Wir haben zwanzig Jahre Erfahrung in Sachen Abkommen
zwischen den USA und Mexiko. Das Resultat ist, dass die Hauptstädte in wirtschaftlicher Hinsicht gewachsen
sind, während die Peripherie weiter zurückgegangen ist. Das gilt besonders für die Landwirtschaft. Die Kleinpro-
duzenten in der Landwirtschaft können mit den sinkenden Preisen nicht mehr mithalten. Was erreichen wir hier-
mit? Speziell für die Peripherie erreichen wir gar nichts. Wir müssen uns überlegen, wie wir einen Ausgleich finden
können.
         Ich komme nun noch zur Energie, die seit dem Jahr 1997 immer Thema von Haushaltsdebatten war und in
den Haushaltsberichten immer hohe Aufmerksamkeit erhielt. Ich hätte mir für heuer erwartet, dass ein klarer
Schnitt mit der Vergangenheit gemacht wird. Ich habe den Eindruck, dass man sich darauf beschränkt – so in
etwa steht es auch im Bericht des Landeshauptmannes -, eine große starke Energiegesellschaft zu bilden, und
zwar durch die Zusammenführung zweier Gesellschaften. Man will also an der Vergangenheit festhalten, wohlwis-
send, wie Franceschini auf Seite 365 in seinem SELfservice-Buch schreibt, dass die Energiepolitik Südtirols ein
Scherbenhaufen ist und dass man seit einem Jahr so tut, als wäre nichts passiert. Ich möchte wissen, wann die
angekündigte Neuausrichtung starten wird. Neu ist einzig und allein der Gesetzentwurf für Kleinableitungen, den
ich sehr positiv finde. Hier geht man sicher den richtigen Weg, denn man hat versucht, mit den Betrieben vor Ort
einen Gesetzentwurf zu verfassen. Positiv ist auch, dass nicht mehr die Landesregierung die erste Instanz ist, was
bedeutet, dass die Gutachten der Ämter nicht mehr frühmorgendlich umgekrempelt werden können. Die Entschei-
dung der Ämter ist endgültig, und das ist ein Zeichen für Erneuerung. Meine Hauptfrage ist aber, wie es mit den
Großableitungen weitergeht. In der angekündigten Neuausrichtung heißt es unter anderem, dass die Gemeinden
in Zukunft beteiligt werden sollen. In erster Linie geht es um Anteile von Kleinableitungen, wobei wir wissen, wie
diese zustande gekommen sind. Wenn jemand eine Konzession wollte, dann wurde immer auch die SEL-AG be-
teiligt. Der Landeshauptmann hat angekündigt, dass diese Anteile von den Gemeinden zum Nominalwert zurück-
erworben werden können. Jetzt ist ein Jahr vergangen und wir haben eigentlich nichts mehr davon gehört. Man
hört lediglich, dass es zu Fusionen kommen soll, das heißt, dass die Anteile der SEL und der Etschwerke ver-
schmolzen werden. Wenn wir das so lange hinausschieben, bis wir eine weitere Gesellschaft drinnen haben, dann
wird es wahrscheinlich sehr schwierig werden, den Gemeinden die Anteile zurückzugeben. Deshalb ist es wichtig,
dass man das klärt, bevor es zur Fusion kommt.
         Wir kennen auch die Situation bezüglich des Erwerbes des Netzes, was ein Trauerspiel schlechthin ist. Das
Land hat das Land im Jahr 2010 Netz erworben, obwohl es das schon im Jahr 2000 über den koordinierenden
Betrieb der SEL AG machen hätte können, so wie es in Trient und in Aosta geschehen ist. Wir sind immer noch
nicht so weit, dass die Gemeinden das Netz erwerben können. Hier fehlt es auch an der Mitarbeit der Ämter. Ich
weiß nicht, was da alles dahinter steckt. Es wird immer wieder versprochen, aber getan hat sich bisher nichts,
auch nicht im Jahr 2014, mit Ausnahme der Gemeinde St. Martin in Thurn, die einen Teil des Netzes erwerben
konnte.
         Was die Übernahme der Anteile des ENEL anbelangt, haben wir aus der Presse davon erfahren. Ich habe
keine weiteren Informationen erhalten. Bekannt ist lediglich der Wert von 400 Millionen Euro. Ob es ein Geschäft
ist oder nicht, ist schwierig zu sagen. Ein Geschäft wäre es, wenn wir wüssten, dass die Börsenpreise steigen
werden. In letzter Zeit sind die Börsenpreise – zumindest im Sommer – fast auf null gesunken. Wir haben hier in
Vergangenheit nicht die richtige Strategie gewählt. Ich habe mich immer dafür ausgesprochen, bei der Erteilung
der Konzessionen nicht ein gemeinsames Projekt mit ENEL zu machen, sondern den Mut aufzubringen, sich als
Landes- oder Gemeindebetrieb um die Konzessionen zu bewerben. Das ENEL verdient sich bereits seit dreißig
Jahren eine goldene Nase, und deshalb sollte es nicht mit 40 Prozent beteiligt sein. ENEL ist natürlich in einer
sehr guten Situation. Zuerst hat es 30 Jahre lang Kasse gemacht, dann hat es für 60 Prozent 350 Millionen Lire
bekommen. Jetzt bekommt es für die 40 Prozent weitere 400 Millionen dazu. Das sind 750 Millionen und somit ist
es aus dem ganzen Schlamassel draußen und sagt "Arrivederci Südtirol"! Und die Südtiroler sollen schauen, was
sie mit den erschwindelten Konzessionen machen.
         Was die Fusion mit den Etschwerken anbelangt, habe ich keine Informationen. Ich weiß auch nicht, wie
weit der Stand der Verhandlungen ist und ob es für die Bürger ein gutes oder kein gutes Geschäft sein wird. Viel-
leicht ist es in erster Linie eine prozesstechnische Notwendigkeit. Die SEL AG und somit das Land wird fusionie-
ren müssen, um aus dem ganzen Schlamassel herauszukommen. Ich hätte mir in dieser Angelegenheit etwas
mehr Mut erwartet. Ich hätte mir erwartet, dass die neue Landesregierung sagt, mit den erschwindelten Konzessi-
onen nichts zu tun haben zu wollen. Die Bevölkerung hätte sich das erwartet, wobei es sicher so gewesen wäre,
dass die eine und andere Konzession verloren gegangen wäre. Ich bin kein Freund der großen Aktiengesell-
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