Journal STADTTEIL-ZENTREN - GESUNDHEITS-Welche Konzepte sind sinnvoll? - Kassenärztliche Vereinigung Hamburg
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Rundschreiben des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg ISSN 2568-9517 2/ 2022 journal STADTTEIL- GESUNDHEITS- ZENTREN Welche Konzepte sind sinnvoll? VERGÜTUNG WIRKSTOFFVEREINBARUNG Honorarvertrag für 2022 Anpassungen und Neuerungen
IMPRESSUM Das KVH-Journal enthält Informationen für den Praxisalltag, die für das gesamte Team relevant sind. Bitte ermöglichen Sie auch den nichtärztlichen Praxismitarbeiterinnen und -mitarbeitern Einblick in dieses Heft. IMPRESSUM KVH-Journal der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg für ihre Mitglieder und deren Mitarbeiter ISSN (Print) 2568-972X ISSN (Online) 2568-9517 Erscheinungsweise monatlich Abdruck nur mit Genehmigung des Herausgebers Namentlich gezeichnete Artikel geben die Meinung des Autors und nicht unbedingt die des Herausgebers wieder. VISDP: Walter Plassmann Redaktion: Abt. Politik und Öffentlichkeitsarbeit Martin Niggeschmidt, Dr. Jochen Kriens Kassenärztliche Vereinigung Hamburg, Humboldtstraße 56, 22083 Hamburg Tel: 040 / 22802 - 655 E-Mail: redaktion@kvhh.de Titelillustration: Sebastian Haslauer Layout und Infografik: Sandra Kaiser www.BueroSandraKaiser.de Ausgabe 2/2022 (Februar 2022) 2 | KV H - J O U R N A L 2/2022
EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser! Viele Ärztevertreter sehen eine Impfpflicht mit Nichts von alledem liegt bei der Impfung Sorge. Denn irgendjemand muss den Zwang gegen das SARS CoV-2-Virus vor. Zwar ist zur Impfung ja im Falle eines Falles durchset- die „Überlastung des Gesundheitswesens“ zen – mit entsprechenden Problemen in den – das schützenswerte Gut – vom Bundes- Praxen. Das ist eine der Fragen, die so gar nicht verfassungsgericht in seinem (Nicht-)Urteil bedacht werden, wenn über eine Impflicht zum „Lockdown“ als grundsätzlich mögliche debattiert wird. Eine andere ist die juristische Begründung für eine Grundrechtseinschrän- Umsetzbarkeit. Eine allgemeine Impfpflicht kung akzeptiert worden. Aber bei einer dürfte verfassungswidrig sein. Impfpflicht müsste nachgewiesen werden, Impfen ist juristisch gesehen ein Eingriff dass allein und ausschließlich die Nicht-Ge- in die körperliche Unversehrtheit. Diese ist impften diesen Kollaps herbeiführen. geschützt in Artikel 2 des Grundgesetzes und Selbst wenn dies gelänge (was schwer gehört damit zu den „ewigen Grundrechten“, vorstellbar ist), lägen die übrigen Vorausset- die niemals verändert werden dürfen. Für zungen für eine Grundrechtseinschränkung einen Eingriff in diese Grundrechte gibt es nicht vor: Die Wirkung der Impfung steht hohe Hürden. Im Hinblick auf eine Impfpflicht noch nicht fest, das Virus ist hoch mutati- bedeutete dies, es müsste ein Gut geben, onsfreudig und ein Impfschema deshalb gar das höher einzustufen ist als die körperliche nicht aufstellbar. Es wäre mit dem vom Ver- Unversehrtheit, die Maßnahme müsste sicher fassungsgericht bei Grundrechtseinschrän- geeignet sein, um das Ziel zu erreichen, sie kungen geforderten Bestimmtheitsgrundsatz müsste klar beschreibbar sein und es dürfte nicht vereinbar, wenn die Impfpflicht nach keine milderen Mittel geben. Belieben durch politische oder gar adminis- Ein Beispiel, bei dem diese Bedingungen trative Entscheidungen immer neu festge- vorgelegen haben, war die Polio-Schutzimp- stellt werden müsste. fung. Es gab ein klares Ziel, nämlich die von Es erstaunt, dass bei einem derart eindeu- der WHO weltweit koordinierte Ausrottung tigen Befund die juristische Dimension so des Polio-Virus. Das Virus ist völlig stabil, recht gut wie nicht diskutiert wird – wie ja über- einfach strukturiert. Es gibt einen Impfstoff, haupt weniger mit Argumenten gearbeitet dessen Wirkung 100 Prozent beträgt und ein wird als mit Emotionen. Aber das passt zu klares Impfschema: eine einzige Impfung im den Erfahrungen, die wir in zwei Jahren Kindesalter. Die Impfkampagne hatte Erfolg, Corona machen mussten. Eigentlich können das Polio-Virus gilt hierzulande als ausgerottet. wir das besser. Ihr Walter Plassmann, Vorsitzender der KV Hamburg KO N TA K T Wir freuen uns über Reaktionen auf unsere Artikel, über Themenvorschläge und Meinungsäußerungen. Tel: 22802-655, Fax: 22802-420, E-Mail: redaktion@kvhh.de 2/2022 KV H - J O U R N A L | 3
I N H A LT Rundschreiben des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg ISSN 2568-972X 2/ 2022 journal SCHWERPUNKT STADTTEIL- GESUNDHEITS- 06_ Nachgefragt: Welches Konzept eines ZENTREN Gesundheitszentrums ist für die Welche Konzepte sind sinnvoll? Versorgung benachteiligter Stadtteile sinnvoll? 08_ Gesundheitskiosk Billstedt/Horn: Projekt der Ärzteschaft vor Ort 12_ Poliklinik Veddel: Multidisziplinäres Gesundheitszentrum auf der Elbinsel VERGÜTUNG WIRKSTOFFVEREINBARUNG GESUNDEITSPOLITIK Honorarvertrag für 2022 Anpassungen und Neuerungen 16_ Nach Druck aus der Ärzteschaft: Testphase für eRezept wird verlängert HONORAR 18_ Honorarvertrag für 2022: Hartes Ringen um ein "Weiter so" AU S D E R P R A X I S F Ü R D I E P R A X I S 20_ Fragen und Antworten WEITERLESEN IM NETZ: WWW.KVHH.DE Auf unserer Internetseite finden Sie Informationen rund um den Praxisalltag – unter anderem zu Honorar, Abrechnung, Phar- makotherapie und Qualitätssicherung. Es gibt alphabetisch sortierte Glossare, in denen Sie Formulare/Anträge und Verträge herunterladen können. Sie haben Zugriff auf Patientenflyer, Pressemitteilungen, Telegramme und Periodika der KV Hamburg. 4 | KV H - J O U R N A L 2/2022
2/2022 22_ Interview zum Konzept des N E TZ W E R K Corona-Impfnewsletters: EV I D E N Z B A S I E RT E M E D I Z I N "Wir verstehen uns als 28_Hausärztliche Informations-Broker" Herausforderung "Polypharmazie" 24_ Corona-Impfpflicht für in Praxen tätige Personen RUBRIKEN Nachweispflicht für Masern- Impfung bis Ende Juli verlängert 02_Impressum 03_Editorial 25_ DMP: Pandemiebedingte Sonder- regelungen laufen aus KO L U M N E 32_Zwischenruf Förderung der Weiterbildung: von Dr. Matthias Soyka Neuerungen seit Jahresbeginn FORUM Kodierrätsel: Was bedeuten die 33_Leserbrief Ausrufezeichen? TERMINKALENDER 34_Termine und geplante ARZN EIM ITTEL Veranstaltungen 26_ Anpassung der Wirkstoff- vereinbarung S E L B S T V E R WA LT U N G 31_ Steckbrief: Dr. Sabine Sobirey BI LDNACHWEIS Titelillustration: Sebastian Haslauer Seite 3: Michael Zapf; Seite 7: AOK Rheinland/ Hamburg, Stadtteilbüro Dulsberg; Seite 9 und 10: Klaus Balzer / Gesundheit für Billstedt/ Horn UG; Seite 12 und 13 oben: Marcus Vogel; Seite 13 unten: Wonkee – Büro für Gestaltung; Seite 14: Miguel Ferraz Araujo; Seite 15: Yuris Arcurs Photography/Fotolia; Seite 21: Studioline Hamburg; Seite 23: Martin Zitzlaff Photography/ www.zitzlaff.com; Seite 34: Michael Zapf; Icons: iStockfoto 2/2022 KV H - J O U R N A L | 5
NACHG EFRAGT Welches Konzept eines Gesund- heitszentrums ist für die Versorgung benachteiligter Dr. Gerd Fass Facharzt für Chirurgie und Orthopädie Stadtteile sinnvoll? in Mümmelmannsberg Mümmelmannsberg kann Vorbild sein Die Praxisklinik Mümmelmannsberg wurde als inter- disziplinäres und sektorenübergreifendes Zentrum konzipiert und funktioniert seit Jahrzehnten. Der stationäre Bereich und die Praxen sind im selben Gebäude untergebracht. Man findet dort fast alle ärztlichen Disziplinen. Außerdem gibt es eine Physio- therapie-Praxis und eine Apotheke und einen Ableger des Gesundheitskiosks, in dem Arztbesuche vor- und nachbereitet werden und Beratungen zur gesundheitli- chen Prävention und Schulungen stattfinden. Die Zahl der benötigten Belegbetten hat abgenommen, doch davon abgesehen bleibt das Zentrum in Mümmel- mannsberg ein erfolgreiches und tragfähiges Modell, das meines Erachtens auf andere Stadtteile mit hohen gesundheitlichen Belastungen übertragen werden kann. Die vom Senat geplanten lokalen Gesund- heitszentren (siehe Kasten Seite 11) sind anders konst- ruiert. Auch dieses Modell ist gut, doch es gibt zwei Schwachstellen: Erstens ist die Fördersumme zu gering, die Zentren wären stark unterfinanziert. Zweitens sind die Förderkriterien zu eng und unflexibel. Solche Zentren müssen angepasst sein an die Strukturen und Initiativen im Stadtteil und zusammen mit den Ärztin- nen und Ärzten konzipiert werden. 6 | KV H - J O U R N A L 2/2022
NACHG EFRAGT Matthias Mohrmann Jürgen Fiedler Mitglied des Vorstandes der AOK Leiter des Stadtteilbüros Rheinland/Hamburg Dulsberg Modell der Poliklinik Berücksichtigung der als Beispiel Gegebenheiten vor Ort Aktuell ist es häufig so, dass keine oder zu wenig Ein lokales Gesundheitszentrum (vgl. Kasten Seite 11) Koordination zwischen den an der haus- und fachärztli- mit seiner Niedrigschwelligkeit, seiner lokalen Veror- chen Versorgung Beteiligten stattfindet und die Kom- tung, seiner Neutralität in der Erstberatung und der munikation von den Patientinnen und Patienten als Vielfalt der komplettierenden sozialräumlichen Ange- unzureichend beschrieben wird. Sinnvoll und notwen- bote bietet chancenreiche Voraussetzungen, um diejeni- dig ist es daher aus unserer Sicht, eine vernetzte gen Bevölkerungsgruppen, die wenig informiert, zudem Versorgung zu etablieren und die Menschen durch das reserviert Angeboten gegenüberstehen, anzusprechen. komplexe Versorgungssystem zu leiten. Beispielhaft ist Wichtiges Erfordernis dafür ist, die Idee eines lokalen hier das Modell der Polikliniken zu nennen, andere Gesundheitszentrums vor Ort zu vermitteln. Dabei Formen der Vernetzung von Einzelpraxen sind ebenso braucht es die KV als Partner und vermittelnden Akteur, denkbar und wünschenswert. Aspekte wie eine ge- denn, so meine Erfahrung, es begegnet einem vor allem meinsame Datenbasis der verschiedenen Fachdiszipli- Skepsis und wenig intrinsische Motivation bei der nen für eine abgestimmte Diagnostik und Therapie und Ansprache an die lokale Ärzteschaft. Zudem benötigt es eine Reduzierung der Wartezeiten auf fachärztliche Förderbedingungen, in denen die unterschiedlichen Termine können maßgeblich dazu beitragen, die Rahmenbedingungen vor Ort hinreichend berücksich- Versorgung messbar zu verbessern. tigt werden: Ist der Wunsch „alles unter einem Dach“ aufgrund der Zuschnitte der gewerblichen Einheiten im Gebäudebestand überhaupt umsetzbar? Die Frage, ob mit Arztsitz oder als Kooperation, muss vor Ort ent- schieden werden, je nach Bereitschaft der jeweiligen Ärzteschaft. Unterm Strich bleibt die Aufforderung, das Thema zwischen Ärzteschaft und den sozialen Dienstleistern intensiver zu diskutieren. 2/2022 KV H - J O U R N A L | 7
RCUHBW S R IEKR P U N K T VON DR. DIRK HEINRICH Projekt der Ärzteschaft vor Ort Wie muss ein Gesundheitszentrum konstruiert sein, damit es die Versorgung in prekären Stadtvierteln verbessert? Der Gesundheitskiosk Billstedt/Horn zeigt, wie’s geht. L okale Gesundheits- und Bera- tungszentren stehen derzeit hoch im Kurs. Die neue Bundesre- renübergreifenden Versorgungsan- sätzen, die in die Regelversorgung überführt werden können“, so die Die Idee, eine niedrigschwellige Anlaufstelle mit medizinischen und sozialen Angeboten einzurichten, gierung hat in ihrem Koalitions- Hamburger Sozialbehörde. entstand während der Versamm- vertrag angekündigt, in besonders Der bislang einzige deutsche Ge- lungen unseres KV-Kreises Bill benachteiligten Kommunen und sundheitskiosk arbeitet in Billstedt- stedt/Horn. Wir haben in unseren Stadtteilen „niedrigschwellige Bera- Horn und hat bereits gezeigt, dass er Praxen oftmals mit Menschen aus tungsangebote (z.B. Gesundheitski- funktioniert. Der Abschlussbericht einem gesundheitlich belastendem oske) für Behandlung und Präventi- der wissenschaftlichen Begleiteva- Lebensumfeld zu tun. Die Einwoh- on“ zu errichten. Die Stadt Hamburg luation, den das Hamburg Center ner von Billstedt und Horn sterben will lokale Gesundheitszentren in for Health Economics (HCHE) der im Schnitt zehn Jahre früher als die Stadtteilen auf den Weg bringen, Universität Hamburg im April 2021 Eimsbüttler oder Blankeneser. Viele die eine hohe Konzentration sozia- vorgelegt hat, kommt zu dem Ergeb- unserer Patientinnen und Patienten ler Problemlagen aufweisen. Damit nis: „Der Gesundheitskiosk verbes- haben einen Migrationshinter- will Hamburg „auch Erfahrungen sert die Versorgung in den sozial grund, sie zu beraten ist manchmal sammeln mit zukunftsfähigen, benachteiligten Stadtteilen Billstedt sehr aufwändig und schwierig. Wir patientenorientierten und sekto- und Horn.“ beschlossen, ein Ärztenetz zu grün- 8 | KV H - J O U R N A L 2/2022
S C H W E RRPUUBNRK IKT Gesundheitskiosk in Billstedt: Die umliegenden Praxen überweisen Patienten, die eine Beratung, Schulung oder Steuerung in passende Gesundheitsangebote brauchen. den und dies mit der Schaffung ei- Jahren durch eine Förderung des tinnen und Ärzte festgestellt. Das nes institutionalisierten Beratungs- Innovationsfonds des G-BA. Ärztenetz Billtedt-Horn hat mitt- angebots zu verbinden. Allerdings Der Gesundheitskiosk hat mittler- lerweile 65 Mitglieder. Behandelt war klar, dass dieses Projekt nur weile drei Standorte: in Billstedt man beispielsweise einen schlecht funktionieren kann, wenn es von (Möllner Landstraße 18), Mümmel- Deutsch sprechenden Patienten mit einer Management-Gesellschaft mannsberg (Oskar-Schlemmer- Übergewicht und Diabetes, ist die organisiert wird. Im Jahr 2016 grün- Straße 9-15) und in Horn (Am Wahrscheinlichkeit nicht sehr groß, deten wir als Trägergesellschaft Gojenboom 46). Insgesamt arbeiten dass eine Gesundheitsberatung nur für einen Gesundheitskiosk nach dort etwa sechs Personen in Vollzeit in der Arztpraxis ausreicht. Also schlägt die Ärztin oder der Arzt eine eingehende, zusätzliche mutter- Die Idee, ein Beratungsangebot einzurichten, sprachliche Beratung im Gesund- entstand in der Kreisversammlung. heitskiosk vor. Wenn der Patient ein- verstanden ist, wird er in das Projekt eingeschrieben. Er bekommt eine finnischem Vorbild die „Gesundheit – vor allem akademisierte Pflege- Überweisung, geht in den Gesund- für Billstedt/Horn UG“, an der zu kräfte, die mindestens noch eine heitskiosk und erhält dort beispiels- 60 Prozent unser Ärztenetz, zu 30 Sprache zusätzlich beherrschen, weise eine Diabetesberatung, eine Prozent Optimedis sowie zu jeweils manche auch zwei. Anleitung zur Gewichtsreduktion fünf Prozent die Stadtteil Klinik Die Notwendigkeit einer Bera- oder Bewegungsangebote. Falls Hamburg (SKH) und der Virchow- tung, Schulung oder eines anderen nötig, wird er durch das Gesund- Bund beteiligt waren. Finanziert Angebots im Gesundheitskiosk wird heitssystem gelotst – beispielsweise wurde das Projekt in den ersten drei in den Praxen der beteiligten Ärz- bei einer sektorenübergreifenden 2/2022 KV H - J O U R N A L | 9
RCUHBW S R IEKR P U N K T Beratung im Gesundheitskiosk: weniger Diabetes-Entgleisungen, weniger hypertone Krisen, weniger Klinikeinweisungen Versorgung mit Krankenhaus und und Ärzten entgegen, die eher im und Patienten durch die Beratung Reha. Außerdem erfahren die Men- Team arbeiten wollen und sich in passende Gesundheitsangebote schen, welche Hilfen und Angebote mehr Austausch und Diskussion gesteuert werden. Es gibt weniger es sonst noch im Stadtteil gibt: über Patienten wünschen. Auch das Diabetes-Entgleisungen, weniger Sportverein, Kulturverein, Billenetz wird durch das Projekt möglich. hypertone Krisen, weil die Men- und auch städtische Einrichtungen ● Die Ärztinnen und Ärzte er- schen besser betreut werden. Die wie Mütter-Beratungsstellen. Auch halten eine zusätzliche (add-on) gemeinsame Zusammenarbeit mit das wird von der „Gesundheit für Vergütung für die Überweisung dem Gesundheitskiosk, in einem Billstedt-Horn UG“, der von uns an den Gesundheitskiosk und für „multiprofessionellen“ Ärzte-Pflege- gegründeten Trägergesellschaft des bestimmte Zusatz-Leistungen wie Tandem in der Patientenversorgung, Gesundheitskiosk, koordiniert. Wir die Erfassung des Risikoprofils und führt zu besseren Kenntnissen über haben versucht, im Rahmen einer Zielvereinbarungsgespräche mit das Gesundheitswesen. Die Not- Art Stadtteilkonferenz alle Instituti- den Patienten sowie das Mitwir- aufnahme wird deshalb seltener onen und Beratungsstrukturen, die ken an Arzneimittelkonsilen und in Anspruch genommen, wenn das Anliegen noch Zeit hat, bis die Arzt- praxen oder der Gesundheitskiosk Die beteiligten Praxen erhalten eine öffnen. Vergütung für erbrachte Zusatzleistungen. Nachdem die Förderung durch den Innovationsfonds ausgelaufen war, stiegen neben der AOK Rhein- im Stadtteil eine Rolle spielen, zu Qualitätszirkeln. Die zusätzliche land/Hamburg noch die TK, die DAK vernetzen und zusammenzuführen. Vergütung wird mit der Gesellschaft Gesundheit, die Barmer und schließ- Für die Ärztinnen und Ärzte in „Gesundheit für Billstedt/Horn“ lich die Mobil Krankenkasse in den der Umgebung gibt es drei Anreize, abgerechnet. Vertrag mit ein. Damit können fast sich an diesem Projekt zu beteiligen: Der Evaluation des HCHE zufolge 90 Prozent der Versicherten in Bill ● Aufwändige Patienten werden berichten die am Projekt teilneh- stedt/Horn am Projekt Gesundheits- besser betreut. Das macht die menden Ärztinnen und Ärzte von kiosk teilnehmen. Versorgung erfolgreicher – und einer Arbeitserleichterung und Ist es nun an der Zeit, das Modell es reduziert den Aufwand in der einer Verbesserung der Versorgung. Gesundheitskiosk in die Regelver- Praxis, sodass mehr Zeit für andere Vermeidbare Krankenhausfälle sind sorgung zu überführen? Ich würde Patienten bleibt. nachweisbar um fast 20 Prozent sagen: ja. Allerdings hängt der ● Die vernetzte Arbeit im Stadtteil zurückgegangen. Wir können Erfolg eines Gesundheitskiosks ganz kommt gerade jüngeren Ärztinnen feststellen, dass die Patientinnen entscheidend vom Engagement 10 | KV H - J O U R N A L 2/2022
S C H W E RRPUUBNRK IKT und der Beteiligung der Praxen im Gesundheitszentrum schicken? Anders als das lokale Gesund- Stadtteil ab. Ein solches Modell funk- Eine vertragsärztliche Praxis zum heitszentrum kann der Gesund- tioniert nur, wenn die im Umfeld festen Kernbestandteil eines lokalen heitskiosk aber immerhin zwei niedergelassenen Ärztinnen und Gesundheitszentrums zu machen, Aspekte vorweisen, die eine Nieder- Ärzte der Arbeit des Kiosks vertrau- stellt wohl auch einen Versuch dar, lassung in prekären Gegenden en und sich aktiv beteiligen. Wenn Ärztinnen und Ärzte an Gegenden zu attraktiver machen: die bessere sie wissen, dass dort in ihrem Sinne binden, die vergleichsweise schlecht Vernetzung und die zusätzlichen beraten wird und wenn sie deshalb versorgt sind. Doch das geht an der Einnahmen aus Add-on-Honoraren. in großer Zahl Patientinnen und Problemlage vorbei. Das Problem Das sind wichtige Anreize, die dafür Patienten überweisen. ist die Honorarmisere der Praxen in sorgen, dass der Gesundheitskiosk Die von der Hamburger Sozialbe- den prekären Stadtteilen, und Schuld von den umliegenden Praxen hörde geplanten lokalen Gesund- daran ist die Einnahmeschwäche des getragen wird, erfolgreich arbeiten heitszentren (siehe Kasten) sind an- GKV-Bereichs. Wer Ärztinnen und kann und damit auf Dauer auch ders konstruiert. Die umliegenden Ärzte in ärmeren Gegenden halten eine Anziehungskraft auf niederlas- Praxen sind nicht direkt beteiligt. will, muss die Budgetierung aufhe- sungswillige Ärztinnen und Ärzte Werden die Ärztinnen und Ärzte ben – das ist mein ceterum censeo ausübt. aus der Umgebung gut mit einem seit vielen Jahren. Zentrum zusammenarbeiten, in Das TSVG hat hier schon Verbes- DR. DIRK HEINRICH dessen Trägerschaft und inhaltliche serungen gebracht, aber das reicht ist Mit-Initiator des Ge- Ausrichtung sie nicht eingebunden noch nicht aus. Nur eine Bezahlung sundheitskiosks Billstedt/ sind? Bei dem sie nicht wissen, ob der GKV-Leistungen zu 100 Prozent Horn, zweiter Vorsitzen- die Beratung dem entspricht, was würde die Einkommensunterschiede der des Ärztenetzes Billstedt/ sie für medizinisch richtig halten? zwischen Praxen in prekären Stadt- Horn, Bundesvorsitzender des Und es gibt ein weiteres Prob- teilen und Praxen in wohlhabenden Virchowbundes und Vorsitzender lem: Konstitutiver Teil der von der Gegenden mit vielen Privatpatienten der Vertreterversammlung der KV Sozialbehörde geplanten Gesund- auf ein erträgliches Maß reduzieren. Hamburg heitszentren soll eine haus- oder kinderärztliche Praxis sein. Doch wenn eine Praxis direkt im Ge- sundheitszentrum sitzt, besteht das Risiko, dass die Patienten sagen: Lokale Gesundheitszentren: „Warum soll ich zu dem Arzt zurück- Das Konzept des Senats gehen, der mich hergeschickt hat? Hier gibt’s doch auch einen Arzt, da Die Stadt Hamburg will in benach- (Gemeindeschwester, Community teiligten Stadtteilen insgesamt Health Nurse) sowie eine Sozialbe- bleibe ich doch gleich hier.“ Das ist sieben Gesundheitszentren auf den ratung. Um eine sektorenübergrei- natürlich nicht im Sinne der umlie- Weg bringen. Gemeinnützige Träger fende Vernetzung zu fördern, soll das genden Praxen, die ein berechtigtes konnten sich von Anfang 2020 bis Gesundheitszentrum außerdem feste Interesse daran haben, ihre Patien- Ende 2021 um eine Förderung von Kooperationen mit Einrichtungen aus 100.000 Euro jährlich und um die dem Stadtteil eingehen – beispiels- tinnen und Patienten nicht an einen Finanzierung einer halben Stelle für weise mit Pflegediensten, Beratungs- Konkurrenten zu verlieren, der als Sozialberatung bewerben. Konsti- stellen und psychotherapeutischen Teil des Gesundheitszentrums ein tutiver Bestandteil des jeweiligen oder psychosozialen Angeboten. Die Gesundheitszentrums ist mindestens finanzielle Förderung für die Zentren Alleinstellungsmerkmal und einen eine kooperierende hausärztliche soll zunächst über drei Jahre laufen. Wettbewerbsvorteil hat. oder pädiatrische Praxis. Außerdem Nach Auskunft der Sozialbehörde Werden die umliegenden Arzt- soll es am selben Ort ein medizi- sind bis Fristende sechs Bewerbungen praxen ihre Patienten unter diesen nisch-pflegerisches Angebot geben eingegangen. Voraussetzungen zur Beratung ins 2/2022 KV H - J O U R N A L | 11
RUBRIK INTERVIEW »Wirksameres Arbeiten« Was ist die Idee hinter der Poliklinik auf der Veddel? OLE BONNEMEIER über die Ideal-Version eines Gesundheitszentrums, die Vorteile multiprofessioneller Zusammenarbeit und die Versorgungskonzepte der Gesundheitsbehörde. "Gesundheit hängt unter anderem von der sozialen und wirtschaftlichen Umgebung ab." Ole Bonnemeier arbeitet seit 2017 als Facharzt für Allgemeinmedizin in der Poliklinik Veddel. Wie ist die Poliklinik Veddel ent- lichen Umgebung abhängt. Die mit der Situation auf der Veddel zu standen? Veddel ist ein Gebiet, in dem meh- beschäftigen, hatten sich dort seit BONNEMEIER: Unser Ziel war rere Faktoren zusammenkommen: Jahren keine Ärztinnen und Ärzte es, ein lokales, multidisziplinäres Viele der Einwohner leben in einem mehr niedergelassen. Von ehemals Gesundheitszentrum zu realisieren. gesundheitlich belastenden Um- vier Praxen im Stadtteil war nur Das Modell ist in anderen Ländern feld, was zu höherer Morbidität und noch eine einzige übrig. erfolgreich, denn es berücksichtigt, Mortalität führt. Gleichzeitig gibt dass Gesundheit unter anderem es einen Mangel an Gesundheits- Im Jahr 2017 haben Sie eine Son- von der sozialen und wirtschaft- angeboten. Als wir begannen, uns derbedarfszulassung beantragt 12 | KV H - J O U R N A L 2/2022
S C H W E RRPUUBNRK IKT Die Angebote sind nicht mehr un- ter einem Dach? BONNEMEIER: Leider nur teilweise. Die Grundidee des Konzepts ist, die Poliklinik am Zollhafen: Praxis als Teil des Gesundheitszentrums Professionen eng zu verzahnen und kurze Wege zu ermöglichen. Das ist nur bedingt gelungen, weil die Fläche am Zollhafen zu klein wurde und wir keine größere zusammen- hängende Räumlichkeit gefunden haben. Doch die drei Standorte sind zumindest nicht weit voneinander entfernt. Wie würde ein ideales Gesund- heitszentrum für die Veddel aus sehen? BONNEMEIER: Ideal wäre vor allem eine verlässliche Vergütungs- struktur für die nichtärztlichen Versorgungsbereiche inklusive Multidisziplinäres Angebot mit Gesundheits- und Sozialberatung Organisation und Verwaltung. Darüber hinaus sollten möglichst viele Fachdisziplinen an einem Ort zusammengeführt werden. Im medizinischen Bereich braucht es zunächst ein gynäkologisches und eine allgemeinmedizinische für Stadtteil-Arbeit sowie ein Com- Angebot. Eine pädiatrische Sprech- Praxis am Zollhafen eröffnet … munity-Health-Nurse-Konzept. Im stunde wäre sinnvoll, eine physio- BONNEMEIER: Ja. Die Praxis war April 2021 haben wir einen weiteren therapeutische Praxis im Stadtteil von Anfang an als Teil eines multi- Arztsitz übernommen. Der Praxisbe- ebenso. Außerdem würde ich mir disziplinären Gesundheitszentrums reich ist in eine Berufsausübungsge- größere Räumlichkeiten wünschen, konzipiert. Im Laufe der Zeit kamen meinschaft mit zwei Betriebsstätten in denen Präventionsmaßnahmen Sozialberatung, psychologische Be- überführt worden. Im Rahmen der und Schulungen, Versammlungen ratung und eine Hebammen-Praxis Ausweitung unserer Angebote wur- und Nachbarschaftstreffen noch hinzu. Außerdem gibt es eine Stelle de ein dritter Standort etabliert. effektiver stattfinden können. ➞ 2/2022 KV H - J O U R N A L | 13
SCHWERPUNKT offenbar gibt es teilweise Probleme, Ärztinnen und Ärzte zu finden, die sich darauf einlassen. Das alles ist neu, die Ärztinnen und Ärzte wissen nicht genau, was auf sie zukommt. Hier könnte die KV helfen, indem sie die Projekte mit bestehendem Instrumentarium unterstützt – zum Beispiel, indem sie ihren Einfluss auf Landes- und Zulassungsausschuss geltend macht, um zusätzliche Arztsitze in unterversorgten Ge- bieten zur Verfügung zu stellen. Es braucht meines Erachtens hierfür auch erweiterte lokale Bewertungs- Wegweiser zur Poliklinik: "Die umliegenden Praxen sind weit weg." verfahren. Die aktuelle Bedarfs- planung bildet die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner in ➞ Wie haben die umliegenden Pra- BONNEMEIER: In vielen Konstella- unterversorgten Gebieten nicht xen auf die Eröffnung der Polikli- tionen wäre es sicher ein gangbarer adäquat ab. Eine andere Frage ist nik reagiert? Weg, wenn sich Ärztinnen und Ärz- die Finanzierung der nicht-ärztli- BONNEMEIER: Die umliegenden te zusammentun und zusammen chen Leistungen. Hierfür sieht das Praxen sind weit weg. Die dort mit gemeinnützigen Trägern ein Konzept der Gesundheitsbehörde arbeitenden Ärztinnen und Ärzte Gesundheitszentrum gründen. Es bestimmte Gelder vor. Das ist noch haben die Eröffnung des Gesund- gilt, die strukturellen Voraussetzun- unzureichend, doch es ist immerhin heitszentrums eher befürwortet, gen dafür zu schaffen. Der weitere der Versuch, sich der Kostenkalkula- tion eines multiprofessionellen Ge- sundheitszentrums von städtischer "Die Versorgung der Patienten verbessert Seite konzeptuell zu nähern. Das sich in dieser Konstellation oftmals geschieht so zum ersten Mal. Ich bin deutlich – das ist sehr befriedigend." froh, dass jetzt über neue Versor- gungsstrukturen diskutiert wird. denn sie wussten aus ihrer tägli- Abfluss von Sitzen in vorwiegend Mal abgesehen von der konzeptu- chen Arbeit, dass es auf der Veddel profitorientierte Strukturen muss ellen Ausgestaltung: Was könnte einen echten Mangel gibt. Sie wären verhindert werden. denn Ärztinnen und Ärzte daran wohl auch nicht dazu in der Lage reizen, mit einem lokalen Gesund- gewesen, noch mehr Versorgung auf Was halten Sie vom Konzept der heitszentrum zu kooperieren? der Veddel selbst zu übernehmen. lokalen Gesundheitszentren, das die BONNEMEIER: Ich empfinde es als Auch in den umliegenden Stadttei- Gesundheitsbehörde entwickelt hat? Gewinn, in einem multiprofessio- len, Rothenburgsort im Norden und BONNEMEIER: Das Konzept ist nellen lokalen Gesundheitszentrum Wilhelmsburg im Süden, gibt es ja begrüßenswert. Es geht ja zunächst zu arbeiten, weil sich die Versor- vergleichsweise wenige Praxen. mal um eine Kooperation zwischen gung der Patientinnen und Patien- einer medizinischen Einrichtung ten in dieser Konstellation oftmals Wäre es möglich gewesen, ein und einem gemeinnützigen Träger deutlich verbessert. Es ist ein Ärztenetz zum Träger des Gesund- auf rein formaler Ebene – nicht wirksameres Arbeiten – das ist sehr heitszentrums zu machen? mehr und nicht weniger. Doch befriedigend. 14 | KV H - J O U R N A L 2/2022
Auf Drängen der Ärzteschaft: Testphase für eRezept wird verlängert Auch die Vertreterversammlung der KV Hamburg hatte eine Resolution gegen einen verpflichtenden Starttermin verabschiedet N ach massiver Kritik hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) die für den“, heißt es in der Resolution der Vertreterversammlung. „Erst wenn das System stabil Anfang Dezember in einer ge- meinsamen Mitteilung gegen den ursprünglichen Startter- den 1. Januar 2022 geplante und fehlerfrei läuft, kann es min ausgesprochen. verpflichtende Einführung scharf geschaltet werden.“ Laut Gematik soll die erwei- des eRezepts ausgesetzt. Die Der Beschlussfassung voraus- terte Testphase dazu genutzt Testphase wird verlängert, die gegangen war eine kritische werden, um die Anzahl der Umsetzung soll nun sukzessive Diskussion des Plenums zum Teilnehmenden an den Tests erfolgen. Chaos bei der Einführung von zu erhöhen, Updates aufzu- Auch die Hamburger Ver- eRezept, eAU und ePA, die spielen, die nötige Software zu tragsärzteschaft hatte sich spontan zur Forderung nach installieren, das Personal zu gegen den verpflichtenden einem Moratorium und zur schulen und die Stabilität des Starttermin des eRezepts und Formulierung der Resolution Zusammenwirkens der einzel- der eAU positioniert. Am 16. führte. nen erforderlichen Komponen- Dezember 2021 forderte die Die KV Bayerns (KVB) hatte ten intensiv zu prüfen. Beob- Vertreterversammlung der zuvor eine Petition gestartet, achter in Berlin werten diesen KV Hamburg in einer von der mit der sie einjährige Test- Schwenk als Zeichen, dass der Hausärztin Dr. Silke Lüder phasen für die eAU und das neue Bundesgesundheitsmi- eingebrachten Resolution das eRezept sowie perspektivisch nister das Thema Digitalisie- BMG dazu auf, die strikten für alle künftigen TI-Anwen- rung des Gesundheitswesens Vorgaben zur Einführung des dungen sowie eine Beibe- nicht mit derselben Vehemenz eRezeptes aufzuheben, da an- haltung von Ersatzverfahren umsetzen möchte, die sein sonsten die Praxen lahmgelegt forderte – und konnte dafür Vorgänger an den Tag gelegt und die ambulante Versorgung über 53.000 Unterstützerinnen hatte. der Patienten zum Erliegen und Unterstützer gewinnen. Die Ärztinnen und Ärzte kommen könnte. „Vor der Ein- Jetzt muss sich der Petitions- waren ohne ihr Zutun in eine führung von eAU und eRezept ausschuss des Bundestages Zwickmühle geraten, da die müssen valide flächendecken- mit dieser Resolution befassen; Nutzung des eRezepts für die de Tests durchgeführt wer- er kann eine Empfehlung an Praxen verpflichtend werden den Bundestag aussprechen. sollte, die technischen Voraus- Scharfe Kritik an der chaoti- setzungen aber nicht flächen- schen Einführung des eRezepts deckend gegeben waren. Für kam auch von den Bundesor- die Praxen bedeutet die ganisationen der Leistungs- Verlängerung der Testphase erbringer, die an der Gematik nun eine enorme Entlastung, als Gesellschafter beteiligt da sie erst einmal am bewähr- sind: Ärzte, Zahnärzte, Apothe- ten Papier-Verfahren festhal- ker und Kliniken hatten sich ten können. 16 | KV H - J O U R N A L 2/2022
HONORAR Hartes Ringen um ein »Weiter so« Die Komplexität von Verhandlungen lässt sich nicht immer am Verhandlungsergebnis ablesen. Der Honorarvertrag für 2022 sieht im Wesentlichen ein „Weiter so“ vor. Das war aber gar nicht so einfach zu erreichen. Unspektakulär kommt er daher, der Honorar- Die Unparteiischen wiesen zwar die Forde- vertrag für 2022. Die nackten Zahlen: rung der KBV nach Einbezug der Gehaltser- ● Die auf der Bundesebene vereinbarte An- höhung zurück (sie wird 2023 berücksichtigt), hebung des Orientierungspunktwertes (OPW) sahen aber bei anderen Faktoren die Argumen- um 1,275 Prozent auf 11,2662 Euro-Cent wird te auf Seiten der Ärzte. So wurde die Anhebung übernommen. um 1,275 Prozent festgesetzt. Sie bedeutet für ● Wegen der besonderen Kostensituation der Hamburg einen Zuwachs von ca. 17,2 Millionen Hamburger Praxen wird der OPW um weitere Euro, wenn die für 2022 erwartete Leistungs- 1,626 Prozent erhöht auf 11,4494 Euro-Cent. menge tatsächlich abgerechnet wird. ● Die Krankenkassen fördern die pädiatrische Diese Bundeszahl wird seit einigen Jahren Versorgung in strukturschwächeren Bezirken mit dem „Hamburg-Zuschlag“ ergänzt. Er be- für drei Jahre mit jeweils 500.000 Euro. ruht auf einer gesetzlichen Vorschrift, wonach ● Die Krankenkassen beteiligen sich mit der OPW regional erhöht werden kann, wenn jeweils 1,5 Millionen Euro jährlich für die die regionalen Kostenfaktoren über dem Bun- nächsten vier Jahre an den Kosten des Arztruf desdurchschnitt liegen. Die KV Hamburg hatte Hamburg. eine solche Erhöhung gegen den erbitterten Die beiden letzten Punkte enthalten nichts Widerstand der Krankenkassen durchgesetzt Neues. Trotzdem wurde hierüber hart gerun- – schlussendlich durch einen Sieg vor dem gen. Denn es sind freiwillige Leistungen der Bundessozialgericht. Für 2022 ergab sich ein Zu- Krankenkassen, sodass eine Verhandlungslö- wachs des OPW um weitere 1,626 Prozent, was sung zwingend war. weiteren 21,9 Millionen Euro entspricht. Im Vergleich dazu waren die Abschlüs- Unter dem Strich steigen die Preise für die se zum OPW eher Routinegeschäft. Auf der ärztlichen und psychotherapeutischen Leistun- Bundesebene hatten die Positionen sehr weit gen in Hamburg damit um knapp drei Prozent. auseinandergelegen, weil die Kassenärztliche Das ist angesichts der äußerst schwierigen Bundesvereinigung den hohen Abschluss für Rahmenbedingungen, unter denen verhandelt die Tarifgehälter der Medizinischen Fachan- werden musste – die Krankenkassen sind mit gestellten einpreisen wollte. Die Krankenkas- noch unkalkulierbaren Pandemiekosten kon- sen wollten dagegen den OPW absenken und frontiert –, recht ordentlich. waren lediglich bereit, „aus Anerkennung für War diese Pflicht vergleichsweise schnell ab- die großen Leistungen der Ärztinnen und Ärzte gehakt, so gestaltete sich die „Kür“ sehr schwie- in der Pandemie-Bekämpfung“ einer Nullrun- rig. Es galt zum einen, die Förderung der Kran- de zuzustimmen. Die KBV rief schließlich das kenkassen für die pädiatrische Versorgung zu Schiedsamt an. retten. Sie ging zurück auf eine Untersuchung der KV Hamburg, mit der wir nachweisen konn- ten, dass in einzelnen Bezirken Hamburgs trotz einer statistischen Überversorgung Probleme 18 | KV H - J O U R N A L 2/2022
HONORAR bestehen, die nur mit zusätzlichen Arztsitzen Die Gelder flossen in den Verwaltungshaushalt gelöst werden konnten. Der „Landesausschuss“ der KV und entlasteten damit die Ärzte und ließ sich überzeugen und genehmigte vier zu- Psychotherapeuten. sätzliche Kinderarztsitze, und zum allerersten Nun wurde der Arztruf in den vergangenen Mal erklärten sich die Kassen bereit, zusätzliche Jahren massiv ausgebaut. Die Kosten verdop- Zulassungen zu finanzieren. pelten sich. Trotzdem wollten die Krankenkas- Das damals gefundene Modell der Erhöhung sen ihre Unterstützung halbieren. Das hätte der „morbiditätsbedingten Gesamtvergütung“ entweder zur Folge gehabt, dass der Verwal- („Budget“) wurde zwar umgesetzt, stieß jedoch tungskostenbeitrag der KV-Mitglieder drastisch auf Kritik durch das für die Kassenaufsicht hätte angehoben werden müssen oder dass zuständige „Bundesamt für soziale Sicherung“ einzelne Leistungen des Arztruf hätten gestri- (BAS). Die Beamten monierten, dass eine zu chen werden müssen. Beide Alternativen waren einem späteren Zeitpunkt(!) verabschiedete nicht sonderlich attraktiv – für beide Seiten. Gesetzesreform diese Art der Förderung nicht So konnten sich KV und Kassen in einem mehr möglich mache. Die KV stufte den BAS- „Spitzengespräch“ darauf einigen, die Unter- Brief als rechtlich unerheblich ein, doch die Kas- stützung in der bisherigen Höhe aufrecht- sen drängten darauf, die Förderungssystematik zuerhalten. Damit wurde eine Erhöhung des umzustellen. Verwaltungskostenbeitrags zwar nicht verhin- Nach einigem Hin und Her konnte nun ein dert, aber doch so abgemildert, dass die Vertre- Modell gefunden werden, wonach die Pädiater terversammlung ihr in der Dezembersitzung in den Bezirken Mitte, Harburg und Bergedorf zustimmen konnte. ab dem 1. Quartal 2022 auf die Gesprächsleis- Unter dem Strich können wir zufrieden sein tungen GOP 04230 und 04355 jeweils pro Fall mit diesem Ergebnis. Die gesetzlichen Rah- einen Zuschlag abrechnen können. Dadurch menbedingungen sind mittlerweile so strikt, soll die Zahl der Gesprächsleistungen in diesen dass es wirkliche Verhandlungen kaum noch Bezirken erhöht werden. Die betroffenen Kin- gibt. Vor allem der Zwang, alles gemeinsam mit derärzte werden von der KV Hamburg individu- allen Krankenkassen vereinbaren zu müssen, ell per Brief informiert. Pro Jahr stehen 500.000 ist ein Hemmschuh, der dringend beseitigt Euro zur Verfügung, der Vertrag gilt zunächst gehört. Wir müssen wieder die Möglichkeit für drei Jahre. Der Aufschlag wird gezahlt, erhalten, auf die Bedingungen der einzelnen wenn die Menge der abgerechneten Gesprächs- Krankenkasse eingehen zu können. In 2022 leistungen in 2022 im Vergleich zu 2019 unver- musste es noch die Einigung auf den „kleinsten ändert bleibt, in 2023 muss er um drei und in gemeinsamen Nenner“ sein – doch so klein 2024 um fünf Prozent ansteigen. war er dann gar nicht. Deutlich höheres Konfliktpotential hatte die Fortführung der Beteiligung der Krankenkas- WALTER PLASSMANN sen an den Kosten des Notdienstes. Vor vier Vorsitzender Jahren war es uns gelungen, die Kassen dazu zu der KV Hamburg bewegen, die Einführung des Arztruf Hamburg mit 1,5 Millionen Euro jährlich zu unterstützen. 2/2022 KV H - J O U R N A L | 19
AU S D E R P R A X I S F Ü R D I E P R A X I S Fragen und Antworten In dieser Rubrik greifen wir Fragen des Praxisalltags auf, die unserem Infocenter gestellt wurden. Wenn Sie selbst Fragen haben, rufen Sie bitte an. Infocenter Tel: 22802-900 BLUTDRUCKMESSGERÄTE KRANKENHAUSBEHANDLUNG Ich bin Hausarzt und werde öfter Darf ich als psychologische Psycho- gebeten, Blutdruckmessgeräte zu therapeutin eine Krankenhausbe- verordnen. In welchen Fällen ist handlung auf Muster 2 verordnen? eine solche Verordnung möglich? Ja. Sie dürfen Krankenhausbehandlungen ohne gesonderte Abstimmung mit dem Arzt verordnen, Eine Verordnung zur regelmäßigen häuslichen wenn eine Diagnose aus dem Indikationsspekt- Überwachung ist in folgenden Fällen möglich: rum zur Anwendung von Psychotherapie vorliegt: ● Hypertonus, der medikamentös nur schwer ● Indikationen nach § 26 der Psychotherapie- behandelbar ist und bei dem der Patient nach Richtlinie (z. B. depressive Episoden, Angststö- ärztlicher Anleitung die Medikation selbst an- rungen oder nichtorganische Schlafstörungen) passen kann, oder der dauerhaft einer engma- ● Indikationen der neuropsychologischen The- schigen Überwachung bedarf rapie (z. B. organisches amnestisches Syndrom ● Hypertonie mit fortschreitenden Folgeschä- oder organische emotional labile (asthenische) den (zum Beispiel des Herzens, der Gefäße oder Störung) der Nieren), die den Patienten erheblich gefähr- Zuvor müssen alle alternativen ambulanten den - wenn eine engmaschige Überwachung Behandlungsangebote geprüft werden. Eine erforderlich ist Genehmigung der KV ist nicht erforderlich. ● Zustand nach Nieren- oder Herztransplantation Für alle übrigen Indikationen in Kapitel V „Psychische und Verhaltensstörungen“ der ICD- REZEPTE 10-GM müssen Sie sich mit dem behandelnden Wir sind ab kommendem Monat Arzt abstimmen, um mögliche somatische eine Berufsausübungsgemeinschaft Ursachen ärztlich abzuklären. (BAG), und die Betriebsstättennum- mer (BSNR) ändert sich somit. Müs- ONLINEPORTAL sen die Rezepte ab diesem Zeitpunkt Ich habe mein Passwort für das geändert und neu bestellt werden? Onlineportal vergessen. Wie kann ich ein neues Passwort beantragen, Ja. Auf Rezepten muss immer die aktuelle BSNR und auf welchem Wege wird mir aufgedruckt sein. Dafür ist es erforderlich, neue dieses zugeschickt? Rezepte zu bestellen. Die BSNR muss unten rechts in der Codierzeile des Rezepts und auch Damit Ihr Passwort zurückgesetzt werden im Rezeptkopf aufgedruckt werden. So ist si- kann, müssen Sie online ein neues Passwort chergestellt, dass es sich nicht um eine Rezept- anfordern. Rufen Sie hierfür die Adresse des fälschung handelt. Onlineportals auf und klicken Sie auf das Feld „Passwort vergessen“. Sie werden im Anschluss 20 | KV H - J O U R N A L 2/2022
AU S D E R P R A X I S F Ü R D I E P R A X I S nach Ihrem Vor- und Nachnamen sowie Ihrer angeschlossen ist. Nur zugelassene Mitglieder lebenslangen Arztnummer (LANR) zur Identi- haben das Recht, den Honorarbescheid einzu- fizierung gefragt. Nachdem Sie Ihre Daten in sehen. Das gilt nicht für angestellte Ärztinnen der vorgesehenen Maske eingegeben haben, und Ärzte oder das Praxispersonal. können Sie Ihr neues Passwort mit dem Feld „Anfordern“ beantragen. Das Passwort wird Ih- TSS nen per Post an die Praxisanschrift zugeschickt. Ich bin psychologischer Psychothe- Hierbei ist zu beachten, dass Sie das neu zuge- rapeut und habe eine Akutbehand- stellte Passwort der KV Hamburg bestätigen lung über die Terminservicestelle müssen. Dazu senden Sie das beiliegende An- (TSS) vermittelt bekommen. In der schreiben unterschrieben an uns zurück. Bitte Mail der TSS wurde mir mitgeteilt, scannen Sie das unterschriebene Anschreiben dass sich der zugewiesene Patient ein und mailen Sie es an die Mailadresse: innerhalb von zwei Wochen für online-services@kvhh.de. Sie können uns das eine Terminvereinbarung bei mir Anschreiben auch per Fax oder per Post zukom- men lassen. melden wird. Dies ist nicht erfolgt. Bitte beachten Sie, dass Ihr altes Passwort bei Muss ich außerhalb dieser Frist Anforderung eines neuen Passwortes automa- trotzdem einen Termin zur Verfü- tisch gesperrt wird. gung stellen? Nein. Falls sich der Patient außerhalb dieser HONORARBESCHEID Zwei-Wochen-Frist nun doch bei Ihnen für eine Wie kann ich im Onlineportal mei- Terminvereinbarung melden sollte, sind Sie nen Honorarbescheid einsehen? nicht verpflichtet, einen Termin anzubieten, da die Frist überschritten ist. In diesem Fall kann Sofern Sie an die Telematikinfrastruktur (TI) der Patient an die Terminservicestelle verwie- angebunden sind, können Sie Ihre Honorarab- sen werden. rechnung getrennt nach Leistungserbringern und Betriebsstätten an den TI-angebundenen Infocenter Tel: 22802-900 Arbeitsplätzen über das geschützte Portal der KV Hamburg unter folgender Adresse abru- fen: https://portal.kvhh.kv-safenet.de. Die gewünschten Informationen stehen Ihnen im Navigationsbereich „Dokumente“ → „Do- Ihre Ansprechpartner im Infocenter der KV Hamburg (v.l.n.r.): Monique Laloire, Petra Timmann, Katja Egbers, kumentenmanagement - System starten“ zur Robin Schmidt, Damla Eymur, Natalie Wawrzeniez Verfügung. Nach Auswahl des gewünschten Honorarbescheides können Sie auf der rechten Seite den Menüpunkt „View“ anklicken. Bitte beachten Sie, dass die Abfrage ausschließlich an dem Rechner möglich ist, der an den Konnektor 2/2022 KV H - J O U R N A L | 21
AU S D E R P R A X I S F Ü R D I E P R A X I S INTERVIEW »Wir verstehen uns als Informations-Broker« Welches Konzept verfolgen die Autoren des Hamburger Corona-Impfnewsletters? PROF. DR. HANS-PETER SCHEIDEL über die Kunst, aus der Fülle an Fachinformationen herauszufiltern, was für Impfärztinnen und Impfärzte nützlich ist. Wie ist der Corona-Impfnewsletter entstanden? des Impfzentrums, Dr. Cornelius Rau, Arzt in Weiterbil- SCHEIDEL: Wir haben den Newsletter ursprünglich für dung in der Kinderintensivmedizin des UKE, und ich als die Mitarbeiter des Impfzentrums erstellt, um sie über altgedienter Professor. Mit Unterstützung von Herrn die STIKO-Empfehlungen und die Studienlage zur Coro- Dr. Rau scanne ich die neuen Empfehlungen und die na-Impfung auf dem Laufenden zu halten. Außerdem wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Dann formu- enthielt der Newsletter praktische Vorgaben zum Impf- liere ich eine Kurzversion, die von Herrn Dr. Heinrich Vorgang und zur Hygiene. Es war also ein Instrument und Herrn Dr. Rau kritisch begutachtet wird. Es werden der internen Kommunikation, um einen gemeinsamen noch Zusätze und Korrekturen hinzugefügt, sodass eine Informationsstand im Impfzentrum sicherzustellen. echte Teamleistung entsteht. Der Austausch zwischen den Autoren ist wichtig. Wir schauen uns die Qualität Und als das Impfzentrum geschlossen wurde, haben der wissenschaftlichen Methoden an: Ist das stimmig Sie den Newsletter weitergeführt? oder nicht? Wir prüfen und wägen, welche Ergebnisse SCHEIDEL: Ja, für die impfenden Ärztinnen und Ärzte in für den Praxisalltag tatsächlich relevant sind. Anhand den Praxen. Das geschah auf Anregung der KV. Ich war der Klick-Zahlen können wir feststellen, dass die prak- zuletzt selbst als niedergelassener Arzt tätig und weiß, dass man sich nach einem langen Arbeitstag in der Pra- xis nicht noch stundenlang hinsetzen kann, um Fachli- teratur durchzuarbeiten. Allein der RKI-Wochenbericht CORONA-IMPFNEWSLETTER: hat ja manchmal 35 Seiten. Hinzu käme eine regelmä- NUTZWERTIGE INFORMATIONEN FÜR ßige Lektüre des New England Journal of Medicine, des IMPFÄRZTINNEN UND IMPFÄRZTE British Medical Journal und anderer wichtiger interna- Ziel des Corona-Impfnewsletters der KV Hamburg ist tionaler Fachzeitschriften. Insofern weiß ich, wie wich- es, die impfenden Praxen mit aktuellen Informationen tig es ist, Informations-Broker zu haben – und als solche rund um das Thema Corona-Impfung zu versorgen. Die haben wir uns immer verstanden. Wir sagen nicht, was Publikation bietet einen Überblick über den neuesten richtig und was falsch ist, sondern versuchen, aus der Stand der Wissenschaft als Hintergrundinformation sowie zahlreiche Empfehlungen und praxisrelevante Fülle der Erkenntnisse und Daten das Wichtigste her- Tipps, die für das Impfen in der Praxis wichtig sind. auszufiltern, um damit den Impfärzten in den Praxen Verfasst wird der Impfnewsletter von Dr. Dirk Heinrich, Orientierung und Hilfe bei komplexen Entscheidungen Prof. Dr. Hans-Peter Scheidel und Dr. Cornelius Rau. Der Newsletter erscheint unregelmäßig und wird den anzubieten: News that you can use, news that you can Abonnenten per E-Mail kostenlos zugeschickt. trust and news you can comment on. Archivierte Beiträge und ein Anmelde-Tool für das Abonnement finden Sie auf der Website der KV Ham- Wie gehen Sie konkret vor bei der Recherche? burg: https://www.kvhh.net/de/corona-informationen-fuer- SCHEIDEL: Wir arbeiten zu dritt am Newsletter: Dr. Dirk praxen/impfung-gegen-sars-co-v-2/impf-newsletter.html Heinrich, der ehemalige Sprecher der ärztlichen Leiter 22 | KV H - J O U R N A L 2/2022
AU S D E R P R A X I S F Ü R D I E P R A X I S Dr. Hans-Peter Scheidel ist Professor für Gynäkologie und Geburtshilfe, ehe- maliger Chefarzt am Marienkrankenhaus, ehemaliger medizinischer Leiter des Mammazentrum Hamburg und bis August 2021 Mitglied im Team der Leitenden Impfärzte im Impfzentrum Hamburg. tisch relevanten Beiträge bei den Abonnenten auf ein SCHEIDEL: Zunächst mal muss man klarstellen: Die ungleich höheres Interesse stoßen als die Darstellung STIKO gibt Empfehlungen heraus, keine Richtlinien. In und Zusammenfassung der Studien. Das macht aber begründeten Fällen können Ärztinnen und Ärzte von nichts. Die Beiträge zu den Studien sind gewisserma- den STIKO-Empfehlungen abweichen. Wenn Sie mich ßen Arbeitsnachweise. Sie machen transparent, wie fragen, ob ich die Kritik an der STIKO für berechtigt wir zu den Auswahlkriterien für die praktisch relevan- halte, dann sage ich: Nein. In der STIKO arbeiten hoch- ten Beiträge kommen. qualifizierte Leute, denen ich meinen ganzen Respekt zolle. Das Problem ist, dass sich die STIKO manchmal Gibt es solche Corona-Impfnewsletter auch in anderen relativ spät und aus Sicht einiger Politiker auch zu spät Bundesländern? positioniert hat. Doch die STIKO hat nun mal den SCHEIDEL: Meines Wissens nicht. Nachdem wir die Auftrag, erst dann Empfehlungen abzugeben, wenn sie ersten Ausgaben erstellt hatten, gab es Anfragen von eine sehr starke Evidenz sieht. Wann die Evidenz als anderen Impfzentren, ob sie den Newsletter ebenfalls stark genug gelten kann, ist natürlich auch eine Ermes- nutzen können. Auch heute hat der Newsletter offen- sensfrage. In der Zulassungsstudie für den Astra-Ze- bar noch eine relativ große Verbreitung außerhalb neca-Impfstoff beispielsweise sind die Thrombozytope- Hamburgs. nien nicht aufgetreten. Sehr seltene Nebenwirkungen fallen erst auf, wenn Millionen Menschen geimpft sind. Sie bringen Meldungen über die Empfehlungen nati- Evidenz ist eben ein fortschreitender Erkenntnisprozess. onaler Institutionen wie der STIKO, werten aber auch Ich bin der Ansicht: Die STIKO sollte besser ausgestattet die Veröffentlichungen internationaler Gesundheits- werden, um schneller arbeiten zu können. Doch wir behörden aus. Sie können also direkt vergleichen: Wie können froh sein, ein derart unabhängiges, hochqualifi- gut arbeitet die STIKO? ziertes Gremium zu haben. 2/2022 KV H - J O U R N A L | 23
AU S D E R P R A X I S F Ü R D I E P R A X I S Corona-Impfpflicht für in Praxen tätige Personen Z um Schutz der öffentlichen Gesundheit und vulnerab- ler Personengruppen vor einer nen, wie Reinigungskräfte oder Hausmeister, unabhängig von der Art der Beschäftigung (Ar- NACHWEISFRIST FÜR MASERN-IMPFUNG BIS COVID-19-Erkrankung hat der beitsvertrag, Praktikum etc.). ENDE JULI VERLÄNGERT Gesetzgeber für Personen, die Sie gilt NICHT für Das Masernschutzgesetz ver- in Einrichtungen des Gesund- ● Personen, die die Einrich- pflichtet Praxispersonal zum heits- und Pflegebereichs tätig tung/das Unternehmen nur Nachweis von zwei Masern- Schutzimpfungen oder einer sind, eine Impfpflicht beschlos- für einen unerheblichen Immunität gegen Masern. sen (§20a IfSG). Spätestens Zeitraum betreten (nur jeweils Dies gilt für Personen, die zum 15. März 2022 müssen wenige Minuten) nach dem 31. Dezember 1970 geboren sind. die Mitarbeiterinnen und ● Personen, die in den Ein- Mitarbeiter einen Nachweis richtungen behandelt, betreut, Für Beschäftigte, die bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes vorlegen: ein gültiges Impf- gepflegt oder untergebracht am 1. März 2020 in der Praxis oder Genesenenzertifikat oder werden (d. h. die Patienten) tätig waren, galt eine Über- einen Nachweis über eine ● Begleitpersonen von behan- gangsfrist bis Ende Dezember. Diese Übergangsfrist ist jetzt medizinische Kontraindikation delten, betreuten, gepflegten coronabedingt bis Ende Juli gegenüber sämtlichen in der oder untergebrachten Perso- 2022 ausgeweitet worden. EU zugelassenen Impfstoffen nen (z. B. Eltern von Minder- Beschäftigte, die nach dem 1. gegen Sars-Cov-2. jährigen) März 2020 eingestellt werden Zu den Einrichtungen zäh- oder wurden, müssen oder len unter anderem: Nach Ablauf seiner Gültigkeit mussten den erforderlichen Nachweis bereits vor Aufnah- ● Arztpraxen muss dem Arbeitgeber inner- me der Tätigkeit erbringen. Sie ● Psychotherapiepraxen halb eines Monats ein neuer fallen nicht unter die Über- ● Krankenhäuser Nachweis vorgelegt werden. gangsregelung. ● Einrichtungen für ambulan- Wird kein Nachweis er- Weitere Informationen zur tes Operieren bracht oder bestehen Zweifel Masern-Impfpflicht: https://www.kbv.de/media/ ● Dialyseeinrichtungen an der Echtheit, muss der sp/praxisinformation_masern. Arbeitgeber das Gesundheits- pdfder%20Weiterbildung%20 Die Pflicht gilt sowohl für das amt informieren. Die Lohnfort- ab%2001.01.2022.pdf medizinische Personal als auch zahlungspflicht entfällt. Die für alle weiteren in der Praxis Behörde kann dann weitere oder Einrichtung tätigen Perso- Schritte einleiten – bis hin zum Verbot der Arbeit in der jeweiligen Einrichtung. Ansprechpartner: Abteilung Praxisberatung Tel. 22802-571 / -572 24 | KV H - J O U R N A L 2/2022
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