FLUXUS Das Magazin der Kulturstiftung der Länder 3 2018 - Kulturstiftung der Länder
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Das Magazin der Kulturstiftung der Länder 3 2018 FLUXUS MULTIPLE KUNST UND SOUND-ART FÜR MÖNCHENGLADBACH UND BREMEN WILHELM LEHMBRUCK IN STUTTGART SCHLESWIG-HOLSTEIN: DER SAMMLER GUSTAV FERDINAND THAULOW
Moderne Galerie EDITORIAL damit unsere Sehgewohnheiten maßgeblich mitgeprägt hat. Andererseits zählte zu den zentralen Aspekten von Fluxus „die konzeptuelle, anti-kommerzielle und anti- „La cédille qui sourit“ institutionelle Ausrichtung“, wie Susanne Rennert in ihrem Beitrag zu Sammlung und Archiv Dorothee und Erik Andersch in diesem Heft betont (S. 22 –28). Das Hinterfragen gesellschaftlicher und politischer Kon- 01.09.2018 ventionen, formale und mediale Durchdringungen, die Auflösung einer starren Disziplinarität, all das wirkt — 13.01.2019 wohltuend irritierend in einer Gegenwart, in der Ab- grenzungen, Partikularismen und regressive Nationalis- men an politischem Einfluss gewinnen und Einzug in Slevogt gesellschaftliche Diskurse halten. Die Erwerbung von Sammlung und Archiv Dorothee und Erik Andersch Max Slevogt, Segelboote auf der Alster am Abend (Detail), 1905, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Foto: bpk / Nationalgalerie, SMB / Andres Kilger für das Städtische Museum Abteiberg Mönchenglad- bach sowie der Sound Collection Guy Schraenen für die Bremer Weserburg, die die Kulturstiftung der Län- und Frankreich der gemeinsam mit ihren Partnern ermöglichen konnte, Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der ist damit nicht zuletzt ein deutliches Signal der födera- Kulturstiftung der Länder len Kulturförderung zur Stärkung derjenigen Kräfte in unserer Gesellschaft, die diesen Tendenzen intellektuel- Liebe Leserinnen und Leser, ler und kultureller Erstarrung entgegenwirken wollen. Werke der Fluxus-Bewegung sind heute auch noch Cézanne werden Sie gern verunsichert? Schätzen Sie es, wenn Sie in anderer Hinsicht relevant: Ihre vielfach prekäre Ma- liebgewordene Sichtweisen in Frage gestellt sehen? Als terialität verweist auf die erheblichen Herausforderun- Courbet Johannes Cladders, Direktor des Städtischen Museums in Mönchengladbach, im Juni 1969 eine Ausstellung gen kulturbewahrender Einrichtungen beim Erhalt des materiellen Kulturerbes des 20. Jahrhunderts. Kunst- Delacroix seines Hauses mit Werken der Fluxus-Künstler George Brecht (1926 –2008) und Robert Filliou (1926 –1987) stoffe, Papier und organische Materialien sind konser- vatorisch anspruchsvoll und bedürfen eines besonde- van Gogh eröffnete, sprach er über eben jene Unsicherheit und über die Wachheit, die aus der Unsicherheit entsteht. ren Engagements der verantwortlichen Institutionen. Der Ausbau entsprechender Ausbildungs- und Förder Manet Cladders bezog sich auf ein Projekt, das Brecht und Filliou einige Jahre zuvor in Villefranche-sur-Mer bei programme wird eine wichtige kulturpolitische Aufgabe der nächsten Jahre sein. Monet Nizza verwirklicht hatten und das den Namen „La cé- dille qui sourit“ trug, „Das Häkchen, das lächelt“: Ein Ihr Renoir … Laden, in dem neben Werken von Brecht, Filliou und Anderen auch Alltagsgegenstände oder Kurioses so ausgestellt wurden, dass eine Unterscheidung zwischen ‚Kunst‘ und ‚Leben‘ nicht ohne weiteres möglich war. Das dadurch entstehende „merkwürdige Zwielicht“ besaß für Johannes Cladders einen eigenen Wert: „Be- sagtes Zwielicht erzeugt nämlich eine gewisse Unsicher- heit, und sie wiederum hat eine besondere Wachheit im Gefolge. Sie erzwingt ein waches, kritisches Verhalten. Im Endeffekt reizt sie zur Reflektion über die wirk lichen Positionen von Kunst und Kultur und gewöhn- lichem Leben. Indem das Zwielicht die Grenzen ver- wischt und so in Unsicherheit stürzt, gibt es zugleich das schizophrene Schubladendenken – hier Kultur, hier Die Ausstellung wird unterstützt durch Exposition organisée avec le soutien du Musée des Beaux-Arts de Nancy Zivilisation, hier Kunst und hier Leben – auf.“ Wenn uns die Protagonisten und Positionen der La cédille qui sourit, Museumskatalog Fluxus-Bewegung heute gleichermaßen vertraut und im Streichholzschachtel-Design, nach wie vor provokant erscheinen, so hat dies einer- Herausgeber: George Brecht und Robert Medienpartner seits gewiss damit zu tun, dass Fluxus die Kunst der Ge- Filliou, 1969; Museum Abteiberg, genwart, insbesondere die konzeptionelle Kunst, und Mönchengladbach modernegalerie.org ARSPROTOTO 3 2018 3
AUTOREN IMPRESSUM INHALT Neue Musik bei Radio Bremen gut. Dazu Arsprototo Das Magazin der Kulturstiftung der Länder 3 EDITORIAL TITELTHEMA FLUXUS gehörten die Ausstellungen „Hans Otte Lützowplatz 9, 10785 Berlin FLUXUS UND – Künstlerbücher und Partituren“, „Pro musica nova – Ein Radiofestival und der Telefon 030 - 89 36 35-0 Fax 030 - 8914251 4 AUTOREN / IMPRESSUM 22 Geist von Fluxus“ und „Art on Air – Radio- Redaktion 030 - 89 36 35-27 kunst im Wandel“. Marita Emigholz, die E-Mail arsprototo@kulturstiftung.de 8 L A RETRAITE DE LA RENOMMÉE DAS „ETERNAL auch als Musikproduzentin und Konzertver- Internet www.kulturstiftung.de anstalterin wirkte, kuratierte von 1996 bis von Johann Gottfried Schadow 2000 das Festival „Pro musica nova“, das Herausgeber Prof. Dr. Markus Hilgert, NETWORK“ Hans Otte, langjähriger Musikchef Radio Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder Bremens, 1962 gegründet hatte. Für Arspro- Projektleitung Dr. Stephanie Tasch 10 EHN FOTOGRAFIEN Z toto greift Emigholz aus der mehr als 1.000 Chefredakteurin Carolin Hilker-Möll von Bernd und Hilla Becher Objekte umfassenden, weltgrößten Samm- Geschäftsführender Redakteur Johannes Fellmann lung zur Klangkunst, die das Weserburg- Redaktionelle Mitarbeit Jenny Berg, Antonia Kölbl, Die Sammlung und das Archiv Dorothee SUSANNE RENNERT Museum jetzt erwerben konnte, die wichtigs- Louise Burghardt 12 E IN GEMÄLDEPAAR und Erik Andersch kommen in das Wohin mit Fluxus? Wohin mit der Kunst, die ten Stücke heraus. Sie beschreibt, wie der Senior Editor Dieter E. Beuermann von Januarius Zick Museum Abteiberg in Mönchengladbach dagegen war: anti Museum, anti Kommerz, belgische Sammler Guy Schraenen mit seiner Konzeption und Gestaltung Stan Hema mit — von Susanne Rennert anti singuläres Kunstwerk. Dafür pro Syner- Sound Collection ein eindrucksvolles künst- Vladimir Llovet Casademont, www.stanhema.com gie, Humor, Aktion, pro Mitmachen. Die lerisches Gedächtnis der flüchtigen Kunst- Anzeigen Jenny Berg, Telefon 030 - 89 36 35-21 14 B RIEFFRAGMENT Kunsthistorikerin Susanne Rennert suchte form schuf. ––– Seite 29 von Heinrich von Kleist gemeinsam mit Erik und Dorothee Andersch Abonnements Arsprototo – Abonnementservice, S AMMLUNG HISTO- den richtigen Museums-Ort für deren Bessemerstraße 51, 12103 Berlin Fluxus-Sammlung: Eine ab 1968 entstandene E-Mail abo@kulturstiftung.de 15 RISCHER KINDER- UND Werkekollektion, die immer auch Archiv und Telefon 030 - 89 36 35-29 Fax 030 - 26 55 56‑71 Bibliothek der neuen Kunstform sein sollte. Jahresabonnement: 20 Euro JUGENDLITERATUR Die Fluxus-Spezialistin Rennert, die in Köln Erscheinungsweise Viermal jährlich VIEL VINYL über den deutsch-dänischen Künstler Arthur Erscheinungstermin dieser Ausgabe: 12.9.2018 Køpcke promovierte, (mit-)kuratierte zahlrei- Gedruckte Auflage dieser Ausgabe: 16.000 29 che Ausstellungen in u. a. Düsseldorf („Nam von Sigrid Wehner June Paik“, 2010), Kassel, New York und Nachdruck von Bildern und Artikeln, auch Mönchengladbach („VON DA AN. Räume, auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung Das Zentrum für Künstlerpublikationen Werke, Vergegenwärtigungen des Antimuse- der Redaktion. in der Bremer Weserburg erwirbt die welt- ums 1967–1978, 2017/2018). Dort im Litho Mega-Satz-Service, Berlin Museum Abteiberg, wo Johannes Cladders ab Herstellung Buch- und Offsetdruckerei weit größte Sammlung zur Sound Art 1967 die Institution Museum mit der Kunst H. Heenemann GmbH & Co., Berlin — von Marita Emigholz des 20. Jahrhunderts neu dachte, findet die STEFAN FRICKE Vertrieb OML KG , Berlin Sammlung Andersch jetzt künstlerischen ISSN 1860 - 3327 Anschluss. Für Arsprototo erzählt Susanne Was ist Klangkunst? Wie arbeiten Künstler Rennert von der alten und neuen Resonanz auf der Schwelle von Musik und bildender Arsprototo erscheint mit Unterstützung des im interdisziplinären Dialog zwischen Musik, Kunst? Und was hat die Gesellschaft davon? Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder. bildender Kunst, Poesie und Aktion. Der Musikwissenschaftler Stefan Fricke, seit ––– Seite 22 2008 Redakteur für Neue Musik/Klangkunst beim Hessischen Rundfunk, fragt nach Kulturstiftung der Länder historischer Entwicklung, Produktionsbedin- Stiftung bürgerlichen Rechts gungen und Einfluss der hörbaren Kunst- Lützowplatz 9, 10785 Berlin form. Die bedeutende deutsche Klangkünst- Telefon 030 - 89 36 35-0 Fax 030 - 89 14 251 lerin Christina Kubisch erzählt im Interview E-Mail kontakt@kulturstiftung.de mit Fricke, der als Honorarprofessor an der Internet www.kulturstiftung.de Hochschule für Musik Mainz lehrt, wie sie Generalsekretär Prof. Dr. Markus Hilgert durch innovative Bremer Festivals und im Stellv. Generalsekretär Prof. Dr. Frank Druffner Dialog mit u. a. John Cage, Charlemagne Dezernentinnen Dr. Britta Kaiser-Schuster, Palestine oder dem Neue-Musik-Pionier Dr. Stephanie Tasch 16 IE MÄRCHENERZÄHLERIN D Hans Otte neue künstlerische Ausdrucks Leiter Kommunikation Johannes Fellmann von Otto Modersohn formen zwischen Musik, Performance und Leiter der Verwaltung Ronny Günther Installation entwickelte. ––– Seite 34 Finanzbuchhalterin Angela Neumann-Bauermeister Sekretariat Gabriele Lorenz, Monika Michalak Referentin des Vorstands Jenny Berg 18 IM WETTBEWERB MARITA EMIGHOLZ Titel: Laurie Ander- son, Big Science, Informationsgemeinschaft zur Feststellung DER NARRATIVE Zeuge und Gedächtnis der neuen künstleri- Warner Bros. Records der Verbreitung von Werbeträgern e.V. Nadja Al-Khalaf im Gespräch mit Inc., New York, 1982 schen Strömungen seit den 1950er-Jahren Markus Hilgert, dem Generalsekretär will das Studienzentrum für Künstlerpublika- tionen im Bremer Weserburg-Museum sein. der Kulturstiftung der Länder 34 „WENN DER WALD NICHT Die Musikwissenschaftlerin Marita Emigholz kennt das Zentrum aus Kooperationen während ihrer Tätigkeit als Redakteurin für MEHR WALD IST...“ Die Klangkünstlerin Christina Kubisch im Interview mit Stefan Fricke 4 ARSPROTOTO 3 2018 5
INHALT 38 S TARK: KULTURBILDUNG 58 KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN FÜR DIE ZUKUNFT Warum wir einen nationalen Bildungspakt brauchen — von Johannes Fellmann und Carolin Hilker-Möll 42 SPIRITUALITÄT UND SINNLICHKEIT Die Staatsgalerie Stuttgart erwirbt Werke von Wilhelm Lehmbruck — von Anita Beloubek-Hammer 62 S CHÖNHEITSKUR FÜR SULAMITH UND MARIA Das Museum Behnhaus Drägerhaus Lübeck braucht Ihre Unterstützung bei der Restaurierung eines Freundschaftsbildes von Johann Friedrich Overbeck 64 ETIKETT(E): POLITISCH Ein Besuch der Art Basel 2018 mit Stipendiatinnen des Jungen Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder 48 I M LABYRINTH DER MODERNE — von Antonia Kölbl Das Städel Museum widmet dem Werk Victor Vasarelys eine große Retrospektive — von Jenny Berg 50 NEUE BÜCHER 51 FREUNDESKREIS / SERVICE / BILDNACHWEIS LÄNDERPORTRÄT SCHLESWIG-HOLSTEIN 52 DER VORDENKER Gustav Ferdinand Thaulows Sammlung in der Stiftung Schleswig-Holsteinische 66 S CHÖN IM DEPOT Landesmuseen Schloss Ulrike Wolff-Thomsen mit einem Gemälde Gottorf von Peder Severin Krøyer im Depot des Museum — von Uta Baier Kunst der Westküste in Alkersum/Föhr 6
ERWERBUNGEN aktuell seinen Kommentar zum Scheitern verkörpert. Schadows Satire von 1813 von Napoleons Russland-Feldzug im stellte ursprünglich in zwei aufeinander AM BODEN Herbst/Winter 1812. Er tut dies mit einer raffinierten Mischung von historisch belegbarem (Napoleon, sein Leibdiener bezogenen Blättern dem schmählichen Rückzug das Elend der Überlebenden der geschlagenen Grande Armée gegenüber. Ein Panorama der Kapitulation: Vor einer Roustam Raza) und typisiertem Personal Das Gegenstück wurde vom Metropolitan eisigen Winterlandschaft reihen sich die (die Soldaten) und fügt seinem Figuren- Museum of Art in New York erworben, uniformierten Figuren, ein Soldat sitzt fries mit Bedeutung aufgeladene Protago- so dass sich nun beide Versionen von zusammengesackt auf seinem Pferd, nisten hinzu: Als Allegorie zu erkennen Schadows politischer Kunst in öffent während eine Rückenfigur mit Dreispitz gibt sich die von ihrem Reittier gestürzte lichen Sammlungen befinden. rechts vorn herrisch das Ziel des Marsches Frau durch die zerbrochene Trompete und vorgibt: „Nach Posen“ ist auf dem Weg- die verstreuten Lorbeeren – identifizieren Johann Gottfried Schadow, La Retraite de la weiser zu erkennen. Nach Posen? Was sich lässt sie sich mit Hilfe von Schadows Renommée (Napoleons Rückzug), 1813, da in beinahe filmischer Figurenfolge vor Vorzeichnung, die sich in der Kunst- Aquarell, 15,4 × 39,3 cm (oben); Akademie unseren Augen ereignet, ist historisch sammlung der Akademie der Künste der Künste, Berlin, Kunstsammlung belegt und dabei karikaturhaft überspitzt erhalten hat, und den Bildunterschriften Radierung, 22 × 47,5 cm (rechts); Staatliche dargestellt: Johann Gottfried Schadow auf der nach dem Aquarell ausgeführten Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett (1764 –1850) – als Begründer der Berliner Radierung von 1814: Die Gestürzte ist die Bildhauerschule bekannter denn als Verkörperung von „la Renommée“, dem Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung satirischer Zeichner – formuliert mit Ansehen, während der kläffende Hund der Länder, Ernst von Siemens Kunststif- beißender Ironie und tagespolitisch „la voix publique“, die Stimme des Volkes tung, Gesellschaft der Freunde der Akademie 8 der Künste ARSPROTOTO 3 2018 9
ERWERBUNGEN HÜTTEN UND LANDSCHAFTEN Fördertürme, Gasometer, Hochöfen, Wasser- türme, Kohlebunker, Fabrikhallen, Kies- und Schotterwerke: Seit Ende der 1950er-Jahre fotografierten Bernd (1931–2007) und Hilla (1934 –2015) Becher in Deutschland, Europa und den USA vom Abriss bedrohte Nutzbauten des industriellen Zeitalters. Ihre Herangehensweise wirkte stil- und schulbildend. Mit geradezu archäologischem Interesse und streng dokumentarischem Anspruch näherte sich das Künstlerpaar der verschwindenden Industriearchitektur: Mit einer spezifischen fotografischen Grammatik und einem visuellen Vokabular von hohem Wiedererkennungswert werden die einzelnen Motive aus dem konkreten zeitlichen und räumlichen Kontext herausgelöst und in ihrer Typologie miteinander vergleichbar gemacht. Parallel dazu entstand die Werkgruppe der „industriellen Landschaften“, in der Industrie, Siedlung und Natur zusammen- spielen. Hier sind die hochaufragenden Hüttenanlagen und Zechen des Siegerlandes, der Heimat von Bernd Becher, in ihre Um- gebung eingebettet und räumlich zu veror- ten. Mit der Erwerbung von zehn Schwarz- weiß-Fotografien dokumentiert das Museum für Gegenwartskunst Siegen Lokalgeschichte: Sie ergänzen die seit 2001 bestehende Sammlung der Werke von Bernd und Hilla Becher um eine wichtige Facette und bewah- ren die heute zum großen Teil bereits ver- schwundenen Landschaften ganz im Sinne der beiden Fotografen vor dem Vergessen. Bernd und Hilla Becher, Birlenbacher Hütte, Siegen-Geisweid (S. 10: o. r, u. r.), 1972, Eiserfelder; Hütte, Siegen-Eiserfeld (S. 10: M. r., S. 11: o. l., o. r.), 1972; Hainer Hütte, Siegen (S. 11: u. l., u. r), 1961, 91 × 74 cm bzw. 74 × 91 cm; Museum für Gegenwarts- kunst Siegen Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Land Nordrhein-Westfalen, Kunst stiftung NRW, Stiftung Kunst und Kultur der Sparkasse Siegen, Freundeskreis des Museums für Gegenwartskunst Siegen 10
Antike Betrachter gleich doppelt erklärungsbe- nistische Bildung vorausgesetzt – mut- tung des Schlosses aufgrund der franzö Werken der Malerfamilie Zick, die Januarius Zick, Alexander der Große und dürftig: Ihr Thema, die „exempla virtu- maßlich direkt wirkte. Zick, der seit sischen Besatzung seit 1794 und der beiden für das Spätwerk repräsentativen die Familie des Darius (links), Die Ent- tis“, Beispiele vorbildlicher (vor allem 1760 Hofmaler des Trierer Erzbischofs Flucht des bischöflichen Auftraggebers Gemälde mit Unterstützung der Kultur- haltsamkeit des Scipio (rechts), 1780/90, Tugenden männlicher) Tugend, inszeniert antike Helden in der Bildsprache der franzö sischen Historienmalerei des 18. Jahr- hunderts. Ihre Funktion als dekorative und Kurfürsten Clemens Wenzeslaus (1739 –1812) und als solcher für die malerische Ausstattung seiner Residenz zuständig war, hat die Pendants mit unvollendet blieb, kommt Zicks Ge mäldepaar eine weitere Funktion zu: als historisches Dokument einer unterge- gangenen Epoche, deren Ende durch stiftung der Länder aus dem Kunsthan- del zu erwerben. An ihrem Entstehungs- ort sind die Pendants zunächst noch bis zum 30. September in einer großen jeweils 142 × 184 cm; Mittelrhein- Museum Koblenz Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung Herrschertugend – Herrscherlob? Ge- Bestandteile höfischer Residenzausstat- „Alexander der Große und die Familie die französische Revolution markiert ist. Ausstellung zu sehen: „Das Erbe der der Länder, Ernst von Siemens Kunst mälde wie die um 1780/90 entstande- tungen war demnach verbunden mit des Darius“ sowie „Die Enthaltsamkeit Grund genug für das Mittelrhein-Mu- Väter. Mit der Malerfamilie Zick stiftung, Stiftung Rheinland-Pfalz für nen, großformatigen Werke von Janua- einem moralischen Appell, der auf des Scipio“ wohl für das Koblenzer seum in Koblenz mit seinem deutsch- durch zwei Jahrhunderte“ (siehe auch Kultur, Verein der Freunde des Mittel- rius Zick (1739 –1812) sind für heutige damalige Betrachter – die nötige huma- Schloss geschaffen. Da die Innenausstat- landweit umfangreichsten Bestand an Arsprototo 2/2018). rhein-Museums und des Ludwig Museums Koblenz e. V. 12 ARSPROTOTO 3 2018 13
KINDHEITS- WELTEN Deutschland in den Jahren zwi- schen 1925 und 1945 – von der ersten Demokratie der Republik über die Diktatur des National sozialismus bis zur bedingungs losen Kapitulation. Sigrid Wehner, Jahrgang 1931, sammelte rund 18.000 Bände der Kinder- und Jugendliteratur dieser Zeit: Bilder- bücher, Sachbücher, Romane sowie Erzählungen, Einzelhefte von Zeitschriften und Material aus der Hitlerjugend, dem Deutschen Jungvolk oder dem Jungmädel- bund dokumentieren zwei Jahr- zehnte deutscher Geschichte. Vor allem aber geben sie Aufschluss über die Art und Weise der Politi- sierung und Instrumentalisierung von Literatur. Neben den vielen nationalsozialistischen Kinder- und Jugendbüchern finden sich auch einige Originalausgaben von ERWERBUNGEN auch heute noch beliebten Titeln, darunter „Emil und die Detektive“, 129 Paten für 7 Zeilen „Pünktchen und Anton“ und „Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee“ des regimekritischen Autors Erich Kästner. Die Samm- lung Wehner gewährt somit einen Jedes Wort, jedes Satzzeichen fand einen Die Heiterkeit, die in den Zeilen vom 14. vielseitigen Einblick in die Lese- Paten: Das Kleist-Museum in Frankfurt März 1803 steckt, findet sich nur in weni- kultur der damals Heranwachsen- (Oder) startete im Dezember 2017 einen gen Schriftstücken des Dichters. „Ein ein den, in die prägenden Geschichten ihrer Kindheit, in der wie heute Spendenaufruf, um die Finanzierungslücke ziges Wort von euch, und ehe ihrs euch Helden als Vorbilder und Böse- für seine neueste Erwerbung zu schließen. verseht wälze ich mich vor Freude in der wichte als Rivalen überdauern. 129 Paten unterstützten gemeinsam mit der Mittelstube“, schrieb Kleist an seine Familie. An der „Arbeitsstelle Kinder- und Kulturstiftung der Länder und dem Land Denn seine erste, noch anonyme Veröffent Jugendliteratur“ der Georg-Au- gust-Universität Göttingen erhält Brandenburg das Museum beim Ankauf von lichung „Die Familie Schroffenstein“ fand die umfassende Sammlung nun einem Brieffragment Heinrich von Kleists Anklang. „Endlich doch wieder ein rüstiger eine bildungsorientierte Funktion (1777–1811). Den herzlichen Abschieds- Kämpfer, der um den poetischen Lorbeer und kann fachübergreifend – von Geschichte über Politik bis hin zu gruß des Dichters an seine Lieblings aufsteht“, freute sich der Dramatiker Pädagogik – genutzt werden. In schwester Ulrike können Besucherinnen Ludwig Ferdinand Huber. Das fröhliche einer Spezialbibliothek zu früher und Besucher nun im Museum lesen, die Schreiben an die Schwester in Frankfurt – literarischer Erziehung wird sie der Öffentlichkeit zugänglich Forschung kann hier mit dem Original eine historische Momentaufnahme aus dem verwahrt. Sowohl in Seminararbei- arbeiten. Leben eines werdenden Dichters. ten und Vortragsreihen für Studen- Möglicherweise trennte Ulrike selbst die ten als auch in Ausstellungen wird letzten sieben Zeilen vom restlichen Schrei- Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der die Sammlung nun zur Aufklärung genutzt – zur Bewusstseinsbildung ben ab. Der Hauptteil des Briefes, in der Länder, Ministerium für Wissenschaft, For- und Entwicklung kritischer und Sammlung der Berliner Staatsbibliothek schung und Kultur des Landes Brandenburg, politisch reflektierter junger seit 1923 aufbewahrt, wurde mit weiteren private Spenden Erwachsener. Handschriften im Zweiten Weltkrieg nach Förderer dieser Erwerbung: Schloss Fürstenstein in Schlesien auslagert. Kulturstiftung der Länder, Stiftung In der Folge befinden sich die zweieinhalb Niedersachsen, Lindemann- Stiftung der Universität Göttingen Seiten des Briefes heute in der Biblioteka Jagiellońska in Krakau. Doch auch die halbe Seite in Frank- furt ist ein literaturhistorisches Dokument: 14 ARSPROTOTO 3 2018 15
Der digitale Kunstführer für das Ruhrgebiet www.kunstgebiet.ruhr gefördert durch die 180816_KGR_Anzeige_Arsproto_215x140.indd 1 16.08.18 15:15 ERWERBUNGEN Eden. Im Teufelsmoor gründen sie 1889 die Künstlerkolonie Worpswede. Nach Natur- sohn-Museum e.V. kaufte die Otto- Modersohn-Stiftung nun „Die Märchen Märchenhaftes wahrheit, Stille und Einfachheit sucht erzählerin“ aus Schweizer Privatbesitz. Modersohn, wie er seinem Tagebuch anver- traut. Mit dem Skizzenblock in der Hand Otto Modersohn, Die Märchenerzählerin, Moor zieht er durchs Moor und sammelt zeich- nend Bildideen. In der Tradition der franzö- sischen Freilichtmalerei nimmt er schließ- 1896, 125 ×108,5 cm; Otto-Modersohn- Museum, Fischerhude Zurück zur Natur, weit weg vom hektischen lich die Leinwand selbst mit nach draußen, Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung Großstadtleben. Landschaften, die nicht fängt die Natur mit pastosem Auftrag in der Länder, Niedersächsisches Ministerium der Mensch, sondern die Natur formt, gelten kräftigen Farben ein. Den Sommer zeigt der für Wissenschaft und Kultur, Nieder den Lebensreformern des ausgehenden Maler in der „Märchenerzählerin“ (1896). sächsische Sparkassenstiftung, Stiftung der 19. Jahrhunderts als Paradies. Nördlich Zwischen blühenden Büschen und unter Kreissparkasse Verden, Waldemar Koch von Bremen, wo die Industrialisierung dichten Baumkronen spricht die Alte zu den Stiftung, private Spende aus Potsdam, die Schifffahrt zum immer stärkeren Wirt- beiden Kindern. Gut 30 Jahre nach dem Tod zahlreiche private Spenden und Spenden schaftsfaktor macht, finden die Maler Modersohns eröffnet sein Sohn im benach- der Mitglieder der Gesellschaft-Otto- Fritz Mackensen, Hans am Ende und Otto barten Fischerhude das Otto-Modersohn- Modersohn-Museum e.V. Modersohn (1865 –1943) ihr persönliches Museum. Für die Gesellschaft-Otto-Moder- bauhaus100-im-westen.de 16 #bauhauswow
INTERVIEW Profil stoßen. Unter dem Nutzernamen den Bereich der digitalen Vermittlung Gegenüber der Deutschen Presseagen- Er ist eine der wichtigsten Charakteri- hochspezialisierte Fachexpertise – wie „textcultures“ teilen Sie Inhalte aus münden, neu organisieren. Das schließt tur sagten Sie, „dass eine aus Steuer- stika unserer Kulturlandschaft. Viele zum Beispiel die der Altorientalistik – IM WETT– der Welt der Kunst und der Kultur die auf das jeweilige Zielpublikum mitteln finanzierte Institution die halten ihn für ein sperriges und arbeits- ist, aber auch verdeutlicht, dass sie erst politik, platzieren aber auch eigene ausgerichtete Kommunikationsstrategie, Verpflichtung hat, sich an den großen intensives Erbe. Ich persönlich halte ihn im interdisziplinären Austausch mit Botschaften für Ihre knapp 3.600 aber auch die Vernetzung von vorhan- politischen und kulturpolitischen für ein hohes Gut. Zum einen, weil er anderen Fächern ihr ganzes Potential BEWERB Follower. Wie passen ein Altorientalist denen Datenbanken mit Social-Media- Themen dieser Tage zu beteiligen“. dem vorbeugt, was wir in der deutschen ausschöpft. Natürlich lernt man aber und der digitale Kurznachrichten- Kanälen oder mit einer Museums-App Welche Themen sind das? Geschichte schon einmal erlebt haben, auch, was es kostet und welcher Infra- dienst Twitter zusammen? mit ein und geht bis hin zu Zusatzaus Ja, ich bin der festen Überzeugung, dass nämlich, dass Kultur zentral – aus einer struktur es bedarf, ein solches Fach am DER Man könnte natürlich antworten, dass bildungen, in denen beispielsweise eine Stiftung wie die KSL eine solche Stadt und von einigen wenigen Organen Leben zu halten. Wer eine universitäre auf Keilschrifttafeln ebenfalls nur Platz Kuratoren in digitalen Kompetenzen Verantwortung gegenüber der Gesell- – „verordnet“ wird und zum anderen, Laufbahn hinter sich hat, versteht, was für eine geringe Anzahl von Zeichen war. geschult werden. Da sich in den kom- schaft hat, die sie ja nicht nur finanziell weil kulturelle Vielfalt gleichbedeutend für einer vielschichtigen und komplexen NARRATIVE 280 Zeichen, wie sie einem auf Twitter zur Verfügung stehen, könnten sogar hinhauen. Aber lassen Sie mich diese menden Jahren viele Museen mit diesen Herausforderungen konfrontiert sehen werden und die Arbeit der KSL dort trägt, sondern sie vor allem auch mit der Erfüllung eines gewissen Auftrags betraut hat. Natürlich muss der Beitrag, den eine mit Kultur ist. Wie kann es gelingen, auf die viel Infrastruktur es bedarf, um Kultur zu erhalten. Fragen an Markus Hilgert, Frage ernsthaft beantworten: Für mich ist Twitter vor allem ein Informations ansetzen soll, wo der Bedarf am stärksten ist, sind all diese Erkenntnisse auch für solche Institution leisten kann, auch in ihrem Kompetenzbereich – in unserem fältigen und unterschiedlichen Be dürfnisse der verschiedenen Länder „WIR BRAUCHEN AUF Generalsekretär der Kultur- medium, über das ich Zugang zu Wissen uns – als Kommunikator zwischen den Fall dem der Kulturförderung – angesie- einzugehen? ALLEN EBENEN EIN stiftung der Länder erlange, auf das ich analog keinen so Ländern – extrem relevant. delt sein. Und genau dort sehe ich eine Unsere Aufgabe ist es, zuzuhören. Wir VERSTÄRKTES BEWUSST- leichten Zugriff hätte. Wer denkt, Alt ganze Reihe von Themen, für die wir uns müssen den Bedarf der einzelnen Länder SEIN FÜR DEN WERT orientalisten würden nicht in unserer Als ehemaliger Direktor des Vorder gewinnbringend einsetzen können. Dazu wahrnehmen, die uns angetragenen Welt leben und könnten auf digitale asiatischen Museums des Pergamon- gehört die bereits genannte Auseinander- Anliegen ernst nehmen und sie bündeln. VON KULTUR“ Kommunikations- und Vernetzungswege museums haben Sie sich bereits setzung mit unrechtmäßig erworbenem Wenn wir feststellen, dass mehrere Was muss sich kultur- und bildungs- verzichten, liegt falsch. Im Gegenteil: Die ausführlich mit Herkunftsfragen von Kulturgut genauso wie die digitale Trans- Länder ähnliche Anliegen haben, ist es politisch in Deutschland tun, um auch Altorientalistik als Wissenschaft der ma- musealen Beständen beschäftigt. Auch formation von Museen, aber auch die an uns, den gegenseitigen Austausch von zukünftige Generationen für die Ar- teriellen Hinterlassenschaften altorien die KSL verlangt, dass alle ihre Er Debatte um Integration, die gerade in Expertisen unter diesen Ländern anzu beit, die die KSL länderübergreifend talischer Gesellschaften hat ja vor allem werbungen erforschte Provenienzen Deutschland geführt wird. Denn Inte- regen. Damit die KSL auch weiterhin seit drei Jahrzehnten leistet, interes in den letzten Jahren an Aktualität und haben. Was muss, rund um das Thema grationsprozesse laufen letztlich nicht erfolgreich als Moderatorin zwischen den sieren zu können? Relevanz gewonnen. Als „kleines Fach“ Provenienzforschung, in Zukunft nur auf struktureller oder sozialer, son- 16 Bundesländern agieren kann, darf Wir brauchen auf allen Ebenen ein ist sie besonders darauf angewiesen, ihre getan werden, um den Diskurs weiter dern vor allem auf kultureller Ebene ab. sie vor allem nicht nivellieren wollen. verstärktes Bewusstsein vom Wert der Kompetenzen durch ständigen Austausch voranzubringen? Die Frage, ob wir als Gemeinschaft Teil Im Gegenteil: Sie muss die lokalen und Kultur. Kultur ist nicht nur schmü- auch langfristig garantieren zu können. Zunächst einmal darf man nicht ver einer Interpretationsgesellschaft sind, regionalen Besonderheiten der einzelnen ckendes Beiwerk. In vielen gesellschaft- gessen, wie umfassend der Bereich der muss letztlich zu einem großen Teil Länder respektieren. lichen und politischen Bereichen ist Prof. Dr. Markus Hilgert, General Bleiben wir noch einen Moment beim Provenienzforschung eigentlich ist. kulturell beantwortet werden. Als Kul- Kultur zu einem zentralen Instrument sekretär der Kulturstiftung der Länder Thema digitaler Kommunikation. Im Darunter fallen Kulturgüter aus kolo turstiftung haben wir die Aufgabe, Bevor Sie 2014 nach Berlin gingen, geworden. Wer sich die Erklärungen des Zuge des Projekts museum4punkt0 nialem Kontext, aber auch Objekte, die Erzählungen zu entwickeln, die so gut haben Sie sieben Jahre lang als Profes- Sicherheitsrats der Vereinten Nationen A m 1. Juni 2018 trat Markus Hilgert wurden und werden Strategien zur ihren rechtmäßigen Eigentümern durch sind, dass sie im Wettbewerb der Narra- sor für Assyriologie an der Universität ansieht, wird feststellen, dass der Einfluss sein Amt als Generalsekretär der digitalen Transformation von Museen die Verfolgung der Nationalsozialisten tive – und nichts anderes ist die Frage Heidelberg gelehrt. Was haben Sie aus von Kultur dort auch in Bereichen wie Kulturstiftung der Länder an. Der entwickelt. Inwieweit sind die dort entzogen wurden. Bezüglich letzterer um Integration letztlich – attraktive dieser Zeit mitgenommen? der Sicherheitspolitik oder der Friedens- habilitierte Altorientalist lehrte an der gewonnenen Erkenntnisse auch für wurde in den vergangenen Jahrzehnten Angebote der Teilhabe darstellen. Wenn Vieles von dem, was ich in Heidelberg bewahrung genannt wird. Wenn die Universität Heidelberg, bevor er ab 2014 die Kulturstiftung der Länder (KSL) bereits enorme Vorarbeit geleistet, wäh- wir es schaffen, die Geschichten, die mit gelernt habe, hat mich beruflich nachhal- Bedeutung von Kultur – weit über das Vorderasiatische Museum auf der relevant? rend sich bei dem Erbe aus kolonialem unseren Kulturgütern verbunden sind, tig geprägt. Wer im Lehrbetrieb tätig ist, sogenannte kulturpolitische Belange Berliner Museumsinsel leitete. Dort ko Digitale Transformation bedeutet eine Kontext gerade erst ein neuer, riesiger so zu erzählen, dass daraus Integrations- versteht, dass die Vermittlung von Wis- hinaus – bereits erkannt worden wäre, ordinierte er mit dem 2017 gegründeten auf digitale Kommunikation und digitale Raum öffnet: den der sogenannten angebote werden, war unsere Arbeit sen ein langwieriger und arbeitsintensiver müsste der Transfer von kulturpoli- Verbundprojekt museum4punkt0 ein Wertschöpfung ausgerichtete Neuorgani- tertiären Objekte. Also jener Kulturgü- erfolgreich. Prozess ist. Bis ein Student, der im ersten tischen Themen in andere politische bundesweites Programm, das sich der sation sämtlicher musealer Prozesse. Im ter, die koloniale Domination abbilden. Semester das wissenschaftliche Arbeiten Bereiche längst verstärkt gefördert wer- digitalen Transformation in Museen wid- met. Markus Hilgert ist u. a. Gründungs- Rahmen des Projekts museum4punkt0 – dessen Ergebnisse allen Kultureinrich- U. a. mit diesen müssen wir uns in Zu- kunft verstärkt auseinandersetzen. Die „KULTURELLE VIELFALT aufnimmt, selbstständig forschen kann, vergehen Jahre. Vor allem aber muss er den. An dieser Stelle müssen wir für einen kulturpolitischen Wandel sorgen. präsident von „Blue Shield Deutschland“ tungen zur Verfügung stehen – hat Aufgabe der KSL als Vermittlerplattform IST GLEICHBEDEUTEND oder sie intensiv betreut und gefördert Und dieser kann selbstverständlich nur und Vorstandsmitglied der Deutschen sich modellhaft gezeigt, mit welchen ist es, darauf hinzuweisen, wie notwen- MIT KULTUR“ werden. Eine weitere Erkenntnis aus mit einer vermehrten Investition in UNESCO-Kommission. enormen Herausforderungen sich ein dig die Auseinandersetzung mit diesen dieser Zeit ist, dass bestimmte, hochspe- die kulturelle Bildung gelingen. Für Arsprototo sprach Nadja Al-Khalaf Museum, das sich oft in öffentlicher Objekten ist. Außerdem müssen wir deut- Die KSL vertritt als „Einkaufsgemein- zialisierte Fachexpertise an der Univer mit Markus Hilgert. Trägerschaft befindet, und in dem Perso- lich machen, dass sich Lösungen für den schaft“ 16 Bundesländer. Lässt sich da sität enorm wichtig ist. Neben meiner Die Literaturwissenschaftlerin Nadja nal- und Budgetpläne vorgegeben sind, Umgang mit solchen Objekten nicht am bereits auf nationaler Ebene von einer Lehrtätigkeit hatte ich einen DFG- Al-Khalaf schreibt als Autorin u. a. für die Herr Hilgert, wer online zu Ihnen konfrontiert sieht: Denn, wer digital grünen Tisch finden lassen, sondern sie kulturellen Vielfalt sprechen? Sonderforschungsbereich gegründet, für Frankfurter Allgemeine Zeitung und für recherchiert, wird unter den Such kommunizieren und vermitteln möchte, in den einzelnen Institutionen, aus der Absolut. Und das haben wir dem deut- dessen Leitung ich verantwortlich war. ze.tt, das junge Onlinemagazin des ergebnissen zuoberst auf Ihr Twitter- muss alle jene Bereiche, die letztlich in Praxis heraus, entwickelt werden müssen. schen Kulturföderalismus zu verdanken. Diese Arbeit hat gezeigt, wie wichtig ZEIT-Verlags. 18 ARSPROTOTO 3 2018 19
Susanne Rennert über die Sammlung und das Archiv TITELTHEMA FLUXUS von Dorothee und Erik Andersch für das Museum DER SOUND Abteiberg in Mönchengladbach — Seite 22 Marita Emigholz über die Sound Collection Guy Schraenen, die weltweit größte Sammlung zur Sound Art, für die Bremer Weserburg — Seite 29 VON FLUXUS Die Klangkünstlerin Christina Kubisch im Interview mit Stefan Fricke — Seite 34 Joseph Beuys, Ja Ja Ja Nee Nee Nee, 1969, Filzstapel mit Tonband, 15 × 34 × 34 cm, Gabriele Mazzotta Editore, Mailand; Museum Abteiberg, Mönchengladbach 20 ARSPROTOTO 3 2018 21
TITELTHEMA FLUXUS den Übergängen zu Archiv und Bibliothek – und einer bereits existierenden Sammlung ergeben? Wo könnten FLUXUS UND DAS sich inspirierende Dialoge und fluxushafte synergetische Prozesse entwickeln? Zu den zentralen Aspekten von Fluxus zählt die konzeptuelle, anti-kommerzielle und anti-institutionelle Ausrichtung. Die internationale „ETERNAL NETWORK“ Fluxus-Bewegung hatte die Grenzen zwischen den verschiedenen künstlerischen Disziplinen – Musik, bildende Kunst, Poesie, Aktion, Theater etc. – so radi- kal wie spielerisch aufgehoben, die Rolle des Rezipien- ten völlig neu – als eine aktive – definiert, den „Werk“- Charakter von Kunst unterminiert und war lakonisch, Die Sammlung und das Archiv Dorothee und Erik Andersch kommen ironisch und provokant gegen jede Form institutioneller in das Museum Abteiberg in Mönchengladbach Verfestigung angegangen. Schon in dem programmati- von Susanne Rennert schen Text „Neo-Dada in den Vereinigten Staaten“, den George Maciunas, der litauisch-amerikanische Initiator, Organisator und Impresario von Fluxus auf der ersten Proto-Fluxus-Veranstaltung „Kleines Sommerfest – Après John Cage“ (Galerie Parnass, Wuppertal, 9. Juni 1962) verlesen ließ, wurden „Konkretismus“ und „Kunstnihilismus“ propagiert. In welcher Institution würden die mannigfachen Varianten humorvoller Institutionskritik, wie sie für Fluxus charakteristisch sind, auf augenzwinkernde Resonanz stoßen? Unsere Überlegungen zu diesem idealen Ort für eine Samm- lung, die nach der Silverman Collection (MoMA, New York) und dem Archiv Sohm (Staatsgalerie Stuttgart) zu den bedeutendsten und umfangreichsten Material- sammlungen zum Thema Fluxus und benachbarte intermediale Tendenzen der 1960er- und 1970er-Jahre zählt, hätte keinen glücklicheren Ausgang nehmen Fluxus cc fiVe können. Die Sammlung Andersch ergänzt die Samm- ThReE, 1964, FLUX … ACT OF FLOWING: A CONTINOUS lung Museum Abteiberg wie ein elementares Passstück, 58,2 × 45,5 cm, Fluxus Newspaper MOVING ON OR PASSING BY, AS A FLOWING das bislang fehlte. Ihre Bestände werden vor allem auch Nr. 4, Edition STREAM; A SUCCESSION OF CHANGES… dank des eindrucksvollen Archivs, das einen ganz Fluxus, New York (FLUXUS PREVIEW REVIEW, eigenen Informationskosmos darstellt, dazu verhelfen, FLUX ROLL, 1963) „mehr Kontext, Zeit und Raum hinter bedeutenden Werken der Mönchengladbacher Sammlung darzustel- PLEASE, RETURN THE FISH (INSIDE) len“, so die heutige Museumsdirektorin Susanne Titz. TO THE WATER. NAM JUNE PAIK Enge Beziehungen zwischen den Sammlern und dem V or einigen Jahren begannen Erik Andersch und Museum bestanden schon früh: Erik Andersch, Mit- ich über die Zukunft der Sammlung und einen glied im Museumsverein, sammelte Johannes Cladders’ idealen neuen Standort nachzudenken. Welcher legendäre Kassettenkataloge, die dieser in Anlehnung an Ort wäre von Robert Fillious Diktum „art is to make life more important than art“ genauso durchdrungen wie die Sammlung Andersch selbst? Sie wurde von Erik und Dorothee Andersch ab 1968 in enger Freundschaft und großer Solidarität zu Künstlern wie Filliou (1926 – 1987), George Brecht (1926 –2008), Dorothy Iannone (*1933), Nam June Paik (1932 –2006), Robin Page (1932 – 2015), Dieter Roth (1930 –1998), Takako Saito George Brecht, Water Yam, 1964, Alle auf den Seiten (*1929), Daniel Spoerri (*1930), André Thomkins transparente Plastikschachtel mit 22 –28 abgebildeten (1930 –1985) u.v.a. aufgebaut. In welchem Museum aufgeklebtem Etikett, 13 × 18 × Werke befinden sich im 3 cm, Inhalt: 94 Karten mit Hand- Museum Abteiberg, würden sich historisch sinnvolle Anschlüsse zwischen Erik Andersch bei der Eröffnung der Ausstellung lungsanweisungen und Booklet Nut Mönchengladbach der Sammlung Andersch – mit ihren offenen, fließen- von Robert Filliou, Galerie Magers, Bonn 1972 Bone, Herausgeber: George Maciunas, Edition Fluxus, New York 22 ARSPROTOTO 3 2018 23
die Schachteln der Fluxus-Künstler und deren Inspira den Wirt Carlo Schroeter vertrat –, lud ihn zu seiner tionsquelle, die „Boîtes“ von Marcel Duchamp, zwi- Ausstellungseröffnung in der Galerie Gunar ein. Und schen 1967 und 1978 herausgab. Wie für die Sammler, damit wurden Erik und Dorothee Andersch Freunde, für deren Wirken der Kontakt mit den freiheitlichen, integrale Teile des internationalen, multidisziplinären bewusstseinserweiternden Fluxus-Impulsen substantiell Künstlerkreises, der sich ab 1968 – Daniel Spoerri, war, so auch für den damaligen Museumsdirektor Dieter Roth und dessen kongenialer Partnerin Dorothy Cladders (1924 –2009), der wie wenige andere die Iannone folgend – für einige Jahre in Düsseldorf nie- internationale Museumslandschaft des 20. Jahrhunderts derließ. Dieter Roth hatte damals auf Initiative von durch seine kuratorische Arbeit transformierte. Wir Joseph Beuys die Graphik-Klasse an der Düsseldorfer begegnen Erik und Dorothee Andersch auf zahlreichen Akademie übernommen. Dieser Freundeskreis trug historischen Fotos im Museumsarchiv: So 1969 auf der entscheidend dazu bei, dass sich die Stadt, in der sich Eröffnung von Brechts und Fillious Ausstellung „La bereits seit den 1950er-Jahren lokale, regionale und cedille qui sourit“ im Vorgängerbau des Museums an internationale Kunstgeschichte auf einzigartige Weise der Bismarckstraße: Lachend, tanzend in Aktionen und miteinander verschränkten, für einige Jahre zu einem im Kreise der Künstlerfreunde, die damals fast alle im so virulenten Brennpunkt entwickelte. Dazu zählten: nahen Düsseldorf lebten – gleichsam als Akteure von Robert und Marianne Filliou, George Brecht, die Alison Knowles, Sea Bean, 1978, 9 × 5 × 5 cm, Papp- „The Eternal Network“, das Brecht und Filliou bei schachtel mit Plastikbehälter, Bohne und gedruckter „Schweizer Fraktion“ mit Spoerri, Andre Thomkins und dieser Gelegenheit als Idee ankündigten. „La Fête est Handlungsanweisung, Edition Hundertmark, Berlin Karl Gerstner, die japanische Fluxus-Künstlerin Takako Permanente“ hieß es an diesem Vernissagen-Abend, der Saito, der Schwede Erik Dietman und der Kanadier wie eine ausgedehnte Performance gestaltet war und wie damals. Parallel zu den Demokratisierungsbestre- Robin Page. Es war diese kosmopolitische Gruppe eher zelebriert wurde. Und zuletzt: Einen geeigneteren bungen in der Politik entstanden in der Kunst umfang- konzeptuell und intermedial arbeitender „Indepen- architektonischen Rahmen für eine Sammlung wie die reiche editorische Initiativen (ars multiplicata). Gleich- dents“, die hier parallel zu den teils agitatorisch-politi- der Anderschs, die – so treffend Friedemann Malsch – zeitig setzten 1967 mit der Initiierung der ersten Messe schen Aktivitäten rund um Joseph Beuys im pulsieren- die Demokratisierung der Kunst in den Mittelpunkt für moderne Kunst, dem Kölner Kunstmarkt, radikale den Umfeld der Kunstakademie und ihrer Studenten rückt, könnte es kaum geben als die visionäre, offene Veränderungen ökonomischer und distributiver Pro- ihre poetisch-revolutionäre Kraft entfaltete. Die Bewe- Architektur Hans Holleins. Hollein entwickelte sie ab zesse in der Kunst ein. gung, frischen Wind, Intellektualität und Glamour 1972 in enger Kooperation mit Cladders, der dazu Zur Entstehung der Sammlung: An einem Morgen nach Düsseldorf brachte. Man traf sich an Orten wie festhielt: „Dann wollte ich ein demokratisches Mu- im Mai 1968, dem symbolischen Schlüsselmonat für dem Künstlerlokal Creamcheese, Spoerris Restaurant seum. Alles Autoritäre, das Absolutistische ist symme den Protest der Studentenrevolte und die Neuformatie- und der daran angeschlossenen Eat Art Gallery oder trisch. Ich wollte ein Museum, in das man hinein rung einer offenen, demokratischen Gesellschaft, lernte auch der Kunsthalle, die 1967 neu eröffnet worden war. kommt und das keinen vorgeschriebenen Rundgang Erik Andersch Daniel Spoerri und Dorothy Iannone in Dazu merkt Daniel Spoerri an: „Es war so bumsvoll, hat […] Ich wollte weiterhin Konfrontation.“ der Düsseldorfer Altstadt kennen. Von da an ging es dass man eine halbe Stunde brauchte, um vom Eingang rasch: Spoerri, der in diesem Jahr sein Restaurant am in den ersten Stock hochzukommen. Kunst war das LA MONTE YOUNG Burgplatz eröffnet hatte – wo Andersch später häufig Stichwort, es war fast eine Art Religion, kann man COMPOSITION 1960 #13 TO RICHARD HUELSENBECK THE PERFORMER SHOULD PREPARE ANY COMPOSITION ANY COMPOSITION AND THEN PERFORM IT AS WELL AS HE CAN. NOVEMBER 9, 1960 Aus: An Anthology, hg. von La Monte Young und Jackson Mac Low, New York 1963 (s. S. 27) Flux Year Box 2, 1966, Holzkasten, Viele Ideen der späten 1960er-Jahre finden sich bei 20,4 × 20,4 × 8,7 cm, Inhalt: Super 8 mm- Fluxus als Wegbereiter der konzeptuellen Kunst vorfor- losigkeit, Emanzipation, Gleichberechtigung und am Filmstreifen mit Hand- muliert. Sammlung und Archiv Andersch entstanden Schaffen eines veränderten intellektuellen und physi- projektor, Spielkarten, vor einer Kulisse außergewöhnlicher Auf- und Umbrü- schen Bewusstseins. „SOZIALE REVOLUTION, Puzzles, Events und Spielzeug von Eric che in Kunst, Gesellschaft und Politik. An den Univer- SEXUELLE REVOLUTION, POETISCHE REVO- Andersen, George sitäten bündelten sich die Kräfte der Studentenrevolte, LUTION“ hielt Robert Filliou als notwendige Anliegen Brecht, Christo, George die gegen den „Muff von 1.000 Jahren unter den Tala- der Zeit in seinem kollektiven Buchprojekt „Lehren Maciunas, Claes Olden- ren“, gegen Notstandsgesetze, amerikanischen Imperia- und Lernen als Auffuehrungskuenste/Teaching and burg, Yoko Ono u.a. Herausgeber: George lismus und gegen den Vietnamkrieg protestierten. Man Learning as Performing Arts“ fest, das – 1971 in Filli- Maciunas, Edition arbeitete an Themen wie Herrschafts- und Hierarchie- ous Düsseldorfer Jahren publiziert – heute so aktuell ist Fluxus, New York Robert Filliou, Hand Show, 1967, 30 × 24,2 × 4 cm, Holz kasten mit herausziehbarem Deckel aus Plexiglas mit auf- gedruckter Anleitung zum Handlesen, Inhalt: 25 Offset drucke nach Fotos von Scott Hyde der jeweils linken Hand von 25 Künstlern, Herausgeber: Saba Studio, Villingen 24 ARSPROTOTO 3 2018 25
sagen [...] Und das Restaurant Spoerri war gleich neben fassender Weise die Ausstellungsgeschichte der Künstle- der Kunsthalle, und die Leute sind auch dorthin ge- rinnen und Künstler, sei es durch Kataloge, Plakate, strömt.“ Erik und Dorothee Andersch waren maßgeb- Korrespondenzen und Zeitungsdokumentationen. Dies lich daran beteiligt, dass dieser Freundeskreis ab 1968 alles wurde im engen Kontakt mit den Künstlerinnen für einige Jahre in der Stadt blieb, bevor er weiterzog und Künstlern zusammengetragen, wovon zahlreiche und in verschiedene Länder versprengt wurde. Das den Sammlern gewidmete Objekte und Zeichnungen hatte auch ganz pragmatische Gründe: „Düsseldorf ist sowie auch ausführliche Korrespondenzen zeugen. Auf ein guter Platz zum Schlafen“ ist ein von Robert Filliou diese Weise ist über Jahrzehnte eine Sammlung zu überliefertes Statement, das sich auf die große Loyalität FLUXUS und seinem Umfeld entstanden, die in ihrer der Freunde bezieht, die sich 1968 in bemerkenswerter Gewichtung, Kohärenz und Dichte auf einzigartige Solidarität zusammengeschlossen hatten, um den Weise die kreative Aktivität von FLUXUS und dessen Lebensunterhalt des damals mittellosen Filliou und intermediären Ansatz zwischen bildender Kunst, Mu- seiner Familie zu sichern. Dazu zählten die Mäzenin sik, Poesie und Aktion abbildet.“ Unter vielen Samm- Gabriele Henkel und ihre Schwester Hete Hünermann, lungsschwerpunkten (Beuys, Schmit, Spoerri, Thom- Karl Gerstner, Daniel Spoerri, Dieter Roth, Dorothy kins, Vautier, Vostell etc.) ragen als besondere heraus: Robin Page, Survival Telescope, 1973, 36 × 46 × Iannone ebenso wie der Sammler Wolfgang Feelisch, ein nahezu kompletter Bestand historischer Fluxus- 32,5 cm, Holz, Leinwand, Teleskop und Joint der Initiator des Vice-Versands („Zeitkunst im Haus- Materialien, der vor allem auch in Prozessen des halt“) in Remscheid. Erik Andersch arbeitete damals als „Schenkens, Tauschens und gegenseitig Ergänzens“ Sonderpädagoge an einer Schule in Düsseldorf-Garath, und im Austausch mit befreundeten Fluxus-Sammlern beschäftigte sich schon professionell mit alternativen wie Hanns Sohm oder Hermann Braun entstand. Dazu Modellen des „Lehren und Lernens“ – so wie auch besonders umfangreiche Objektgruppen von Robert Beuys, Filliou und Dieter Roth. Gleichzeitig leitete er Filliou und George Brecht, sämtliche Graphiken von das Studentenheim „Regenbogen“, das ursprünglich Dieter Roth sowie beeindruckende Werkkonvolute von von dem libanesischen Dominikanerpater Sheik Malik Dorothy Iannone und Takako Saito. Die autonomen und der „afroasiatischen Arbeitsgemeinschaft“ mit dem Arbeitsansätze beider Künstlerinnen blieben lange Zeit Ziel gegründet worden war, ausländischen Studenten überdeckt von denjenigen männlicher Kollegen. Sie Zimmer zu vermieten, die ansonsten kaum Chancen treten erst allmählich ins kunsthistorische Bewusstsein auf dem Wohnungsmarkt hatten. Für Künstler wie Actions/Agit-Pop/De-Collage/Happening/Events/Antiart/L’autrisme/ und somit zukünftig ins Zentrum der Forschung. Dem Filliou, Brecht, Saito, Page und Paik wurden Anderschs Art Total/ReFluxus – Festival der neuen Kunst, Programm & Doku- paradoxen Umstand, dass – streng genommen – weder mentations-Publikation, 29,7 × 21 cm, Herausgeber: Tomas Schmit Wohnung und das Wohnheim zur zentralen Anlauf- und Wolf Vostell, Köln, 1964 Roth noch Iannone (noch einige weitere Künstler der stelle. Sie lebten hier oft über Monate. Das brachte den Sammlung Andersch) zu Fluxus zählen, trägt Dorothy Sammlern, die also auch ganz praktisch zur Existenz Schachteln, die mehrere Sinne gleichzeitig ansprachen. Iannone in ihrem schönen Text A FLUXUS ESSAY sicherung beitrugen, die höchste Anerkennung und Das war Fluxus: Musik, Kunst, Objekte, Malerei, auch AND AN AUDACIOUS ANNOUNCEMENT Liebe vieler Künstler ein. Dazu Andersch: „Bei uns Graphik. Das war das, was mich am Anfang am meis- kommentierend Rechnung. konnte man immer wohnen. Die Künstler haben sich ten dabei beeindruckt hatte: Der Umgang der Künstler Als Kunsthistorikerin faszinierten mich im Zusam- alle wohl gefühlt. Und wenn wir etwas für sie tun miteinander – kein Futterneid – und auch die Art der menhang mit der Sammlung Andersch stets folgende konnten, haben wir das getan.“ Fotografierend hielt Kunst. Das war für mich ganz neu. Vorher ging man Aspekte: Zum einen, wie hier die von George Maciunas Erik Andersch die „Fête Permanente“ als kollaboratives durch ein Museum, sah Bilder an der Wand, immer Projekt fest: Sein umfangreiches Fotoarchiv macht nur ‚Rubens-Säle‘… Auf einmal sah man etwas, das sichtbar, wie intensiv das gesamte Lebensumfeld der man in Schachteln tun konnte, oder das mit Musik zu Familie nicht nur als eine äußerst lebendige Kommuni- tun hatte – Partituren. ‚Notations‘, das Buch, das John kationsplattform, sondern auch als Produktionsstätte Cage mit Alison Knowles herausgebracht hat, war eins genutzt wurde. Über Jahrzehnte entstand so eine glei- meiner ersten Lieblingsbücher. Das ist ja so ein tolles chermaßen diverse wie homogene Sammlung, die mehr Buch, ein tolles Kunstbuch. Das andere ist die ‚Antho- als andere als ein eigenes kreatives Werk anzusehen ist. logy of Concrete Poetry‘ von Emmett Williams. Das Hier materialisiert sich die „Création Permanente“ bis waren wirklich meine ersten Lieblingsbücher. Natürlich heute immer wieder aufs Neue. kamen später andere hinzu.“ Auf meine Frage, was Erik Andersch an Fluxus Friedemann Malsch, der die Sammlung 1992 in besonders fasziniert habe, antwortet er: „Das waren einer großen Ausstellung im Bielefelder Kunstverein mehrere Aspekte: Von einem Fluxus-Künstler habe ich vorstellte, skizziert die Bestände sehr anschaulich: nie etwas Schlechtes über einen anderen gehört, auch „Neben herausragend wichtigen Einzelwerken umfasst wenn sie vollkommen verschieden waren. Sie haben sie ebenso wichtige Auflagenobjekte, Editionen und An Anthology, Herausgeber: La Monte Young und sich gegenseitig unterstützt. Das hat mich sehr beein- Druckgraphik sowie andere Medien wie Schallplatten, Jackson MacLow, Design: George Maciunas, New York 1963, 19,7 × 22,7 cm, verschiedenfarbige druckt. Und dann beeindruckte mich, dass auf einmal Arman, Poubelle, 1964, 60 × 40 × 11 cm auf 72 × 52 cm, Postkarten, Flugblätter, Zeitschriften und Künstler Papiere, mit zahlreichen Abbildungen und colla- die Multiples kamen. Die Multiples, die kleinen Inhalt eines Papierkorbs in Plexiglaskasten, Edition MAT publikationen. Schließlich dokumentiert sie in um gierten und perforierten Seiten, New York 1963 26 ARSPROTOTO 3 2018 27
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