Kaiho - Deutsch-Japanische Gesellschaft in Bayern eV

 
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Kaiho - Deutsch-Japanische Gesellschaft in Bayern eV
Kaiho
                                  Juli/August 2020

Der Kaiho erscheint
diesmal wieder in seiner
gewohnten Form als
Druckausgabe, kommt
allerdings recht unge-
wöhnlich daher: Keine
Veranstaltungsankün-
digungen und keine
Rückblicke. Geschuldet
ist dies der Corona-
Pandemie.
Diese Ausgabe ist mit
einem Umfang von 72
Seiten     ungewöhnlich
umfangreich. Im Mit-
telpunkt steht die Be-
richterstattung      über
den Coronavirus in
Japan. Über die Pande-
mie in Japan wird in
der deutschen Presse
kaum berichtet, dabei
ist die Erfolgsbilanz bei
der Bekämpfung des
Virus erstaunlich. In
mehreren       Beiträgen,
geschrieben von Mit-
gliedern der DJG in
Bayern, werden aus-
führliche Hintergrund-
informationen geliefert.
                            Haneda Airport am 27. März 2020       Aufnahme: Michael Drewing
.

    in Kamakura                                       Aufnahme: Lüder Paysen
Kaiho - Deutsch-Japanische Gesellschaft in Bayern eV
o DeJa
                       K

Ansprechpartner
                         6
                        Jahre
                                             日本人顧客責任者
Florian Felix Taux                             林・真央

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Kaiho - Deutsch-Japanische Gesellschaft in Bayern eV
Liebe Mitglieder und Freunde der DJG in Bayern,

Die Auswirkungen der Corona-Krise beschäftigen auch den Vorstand der DJG Bayern
in erheblicher Weise und beeinflussen das Programm, das wir Ihnen anbieten können.
Nachdem wir bereits Anfang März alle Veranstaltungen bis Ende Mai abgesagt haben,
mussten leider auch das im Juli stattfindende Japanfest im Englischen Garten und die
Jugendreise im September abgesagt werden.

Nachdem es mittlerweile erhebliche Lockerungen im öffentlichen Leben gibt und auch
kulturelle Veranstaltungen wieder erlaubt sind, haben wir in den letzten Tagen darüber
diskutiert, ob wir noch vor den Sommerferien erste Vorträge anbieten sollen. Im Ergeb-
nis haben wir uns jedoch dagegen entschieden, da unter Berücksichtigung der vorge-
schriebenen Sicherheitsmaßnahmen kaum mehr als 25 Personen, in die uns zur Verfü-
gung stehenden Vortragsräume passen würden. Zudem halten wir es für geboten ab-
zuwarten, welche Auswirkungen die Lockerungsmaßnahmen auf das Infektionsge-
schehen haben. Wir denken, dass wir damit im Sinne unserer Mitglieder handeln.

Seit dem Erscheinen des letzten Kaiho haben wir allen in Deutschland wohnenden Mit-
gliedern ein Exemplar des von unserem Vorstandsmitglied Dr. Andrea Hirner verfass-
ten Buchs über die Flora Japonica von Philipp Franz von Siebold zukommen lassen. Wir
hoffen sehr, dass Sie etwas Zeit gefunden haben, um sich mit dem Werk zu beschäftigen
und Ihnen das Buch gefallen hat. Neben der interessanten Entstehungsgeschichte des
Werkes ist auch erstaunlich, wieviele populäre Pflanzen ihren Ursprung in Japan haben.

Aus den genannten Gründen können wir in dieser Ausgabe unseres Mitgliedermaga-
zins weder Veranstaltungen ankündigen noch auf Veranstaltungen zurückschauen.
Diese Ausgabe möchten wir daher nutzen, um ausführlich über unterschiedliche japan-
bezogene Themen zu berichten. Besonders bedanken möchte ich mich bei unserem Vor-
standsmitglied Kiriko Nishiyama, die sich die Mühe gemacht hat, bei populären
Streamingdiensten nach japanischen Filmen zu suchen, die sehenswert sind.

Es ist sehr schade, dass es in diesem Sommer nicht die Möglichkeit gibt, dass wir unsere
Mitglieder auf dem Japanfest im Englischen Garten treffen können. Aber wir gehen da-
von aus, dass sich die Situation bis zum nächsten Jahr soweit entspannt hat, dass wir
dann wirklich unser 25. Japanfest feiern können.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien schöne Sommermonate.

Mit freundlichen Grüßen

Kaihô              No. 4/2020              Juli/August 2020                    Seite 3
Kaiho - Deutsch-Japanische Gesellschaft in Bayern eV
Philipp Franz von Siebolds
                                                     Flora Japonica
                                        und ihre Münchner Künstler

                             Veröffentlichung der DJG in Bayern e.V.
                                  broschiert, hochwertige Ausstattung
                             mit 48 Farbfotografien der Tafeln aus der
                                                     Originalausgabe

                                                    255 Seiten, € 14,80
                                              ISBN: 978-3-00-065021-5

                                                erhältlich im Buchhandel
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                                                  der DJG in Bayern e.V.
                                                         Marienplatz 1/II,
                                                         80331 München
                                                    Telefon: 089/221863
                                             djg-muenchen@t-online.de
                                                 www.djg-muenchen.de

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Kaiho - Deutsch-Japanische Gesellschaft in Bayern eV
Flora Japonica: Japanische Pflaume (Prunus mume)

Kaihô   No. 4/2020              Juli/August 2020             Seite 5
Kaiho - Deutsch-Japanische Gesellschaft in Bayern eV
Inhalt
Corona Pandemie und Japan II ...................................................................................... 7
Ein zweiter Bericht am 06. 06. 2020 von Prof. Dr. Peter P. Baron

Kulturelle Unterschiede zwischen Japan und Deutschland
Umgang mit der Corona-Pandemie ............................................................................ 13
Ein Beitrag von Martin Lutterjohann

Japans Erfolg in der Corona-Krise: Zufall oder System? ....................................... 22
Ein Beitrag von Stefanie Haas, LMU München, und Franz Waldenberger, DIJ Tokyo

Ein Jahr geht zu Ende: Von der Rückkehr in den Corona-Hotspot
Deutschland .................................................................................................................... 27
Ein Bericht mit Aufnahmen von Michael Drewing

Die Bedeutung der Olympischen und Paralympischen Spiele 2020 in Tōkyō ... 36
Ein Bericht von Tetsuya Kimura, Japanischer Generalkonsul in München

Meine Begeisterung für Japan ..................................................................................... 39
Ein Beitrag von Nikolaus Steindlmüller

Zum hundertsten Geburtstag von Toshiro Mifune (1920-1997) ............................ 49
Ein Beitrag von Dr. Andrea Grunert

Every Day a Good Day Nichinichi kore kôjitsu ....................................................... 57
Anmerkungen zu dem japanischen Spielfilm von Yuko Murato

Japanischer Filme auf Netflix ...................................................................................... 61
Eine Empfehlung von Kiriko Nishiyama

Hikikomori mit Staubsauger ....................................................................................... 63
von Irene Wegner

Rezension I ...................................................................................................................... 68
von Lüder Paysen

Rezension II..................................................................................................................... 70
Bemerkungen zu Naoko Abes Buch „Hanami“ von Irene Wegner

Rezension III ................................................................................................................... 74
Ein Nachtrag zum Ratten-/Mäusejahr von Irene Wegner

Japanischer Gesprächskreis ......................................................................................... 77
Haiku Kreis ..................................................................................................................... 78

Kaihô                   No. 4/2020                         Juli/August 2020                                     Seite 6
Kaiho - Deutsch-Japanische Gesellschaft in Bayern eV
Corona Pandemie und Japan II1
 Ein zweiter Bericht am 06. 06. 2020 von Prof. Dr. Peter P. Baron

Mein vorheriger Beitrag zum Thema „Corona und Japan“ schloss mit der Bemerkung
„Wir werden sehen wie es weitergeht.“. Heute am 6. Juni haben wir in der Tat weit
mehr Erkenntnisse als noch vor zwei Monaten. Insbesondere haben sich die in deut-
schen Medien häufig geäußerten Bedenken zum Umgang Japans mit der Masseninfek-
tion (beispielhaft Die Zeit am 7. April „Und das Schlimmste, da ist man sich mittlerweile
einig, hat Japan erst noch vor sich“) auch nicht annähernd bestätigt.

Am 6. Juni 2020 betrug die Gesamtzahl der Corona Todesfälle in Japan (Bevölkerungs-
zahl 127 Mio.) 907. Im Vergleich lautet die Zahl für Deutschland (83 Mio.) 8.763, davon
allein in München 215 (1.5 Mio.).

Mit dem Ausbruch der Corona Pandemie geriet Japan schon im Anfangsstadium zwei-
fach ins internationale Schlaglicht: Einmal erlebte die Weltöffentlichkeit den Umgang
der japanischen Gesundheitsbehörden mit dem Kreuzfahrtschiff „Diamond Express“ im
Hafen von Yokohama. Das Schiff hatte am 20. Januar mit 2.666 Passagieren und 1.045
Crew-Mittgliedern an Bord den Yokohama Hafen verlassen und sollte nach einer
Kreuzfahrt, die auch über Hongkong führte, am 4. Februar wieder in Yokohama anle-
gen. Es stellte sich heraus, dass eine Person aus Honkong, die dort das Schiff am 25.
Januar verlassen hatte, nach Ausschiffung als mit dem Coronavirus infiziert diagnosti-
ziert worden war. Die japanischen Gesundheitsbehörden befürchteten unter Passagie-
ren und Besatzung mehr Infizierte und ordnete den vorläufigen Verbleib von Passagie-
ren und Besatzung an Bord an, um zunächst eine genaue Untersuchung durchführen zu
können. Daraus wurde dann schließlich eine Quarantäne bis in die zweite Februarhälfte
hinein, während der die Zahl der Infizierten auf dem Schiff ständig stieg. Die Ausschif-
fung der Passagiere war erst am 27. Februar vollständig abgeschlossen. Das japanische

1Teil   1 des Beitrages im Kaiho 3/2020 online Ausgabe, Seite 21 ff

 Kaihô                 No. 4/2020                 Juli/August 2020              Seite 7
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Behördenverhalten wurde teilweise kritisiert mit der Begründung, eine frühzeitige Eva-
kuierung hätte die Infektion eingedämmt und Todesfälle vermieden.2

Ebenfalls im internationalen Blickpunkt lag Japan anfangs wegen der bevorstehenden
Olympischen Spiele. Auch deutsche Medien argwöhnten einen Zusammenhang zwi-
schen niedrigen Corona Zahlen (vergleichsweise nur wenige Tests) und dem politischen
Willen, die Spiele stattfinden zu lassen. Die frühzeitige Entscheidung einer Verschie-
bung der Spiele entzog dem dann den Boden.

Japan zeigte sich von internationaler Kritik nicht beeindruckt und hielt an seinen Prin-
zipien fest. Dazu gehören:

       ➢    Testen in Clustern und nicht in möglichst weiten Flächen, was die Zahl der
            durchzuführenden Tests auffallend reduziert und womit sich Japan im Gegen-
            satz zu den meisten anderen vom Corona Virus betroffenen Ländern befindet
       ➢    Niedrighalten des Kollateralschadens durch Unterlassung von Lockdowns,
            Closedowns und anderen drakonischen Maßnahmen. Priorität hat das Prinzip
            der Freiwilligkeit. Man setzt auf Vernunft und Kooperation aller Gesellschafts-
            teile
       ➢    keine individuellen „Starberater“ der Zentralregierung, sondern ein Bera-
            tungsgremium von Fachleuten und „Weisen“, ohne deren Rat und Empfeh-
            lung keine wichtigen Regierungsmaßnahmen in Sachen Corona durchgeführt
            werden
       ➢    letztliche Verantwortung und Exekutivgewalt liegen bei den Gebietskörper-
            schaften. Subsidiaritätsprinzip.

                                                       Ein Höhepunkt des zentralen Regie-
                                                       rungsauftritts war die Ausrufung eines
                                                       Notstandes für sieben Präfekturen
                                                       durch Premierminister Abe wegen der
                                                       drohenden Gefahr einer Überlastung
                                                       der medizinischen Versorgungsinfra-
                                                       struktur des Landes Anfang April, Die-
                                                       ser Ausruf bewirkte keine Sonderrechte
                                                       für die Zentralregierung. Er zog aber
                                                       die öffentliche Aufmerksamkeit auf ein
                                                       zentrales Problem und erleichterte da-
                                                       mit den Regionalregierungen die Ver-
                                                       ständlichmachung und Initiierung von
                                                       erforderlichen Maßnahmen. Der Gou-
                                                        verneur von Osaka hatte eine solche
            Take out statt Eat in                       zentrale Zeichensetzung schon vorher
                                                        gefordert, ebenso die Gouverneurin

2   Siehe Beitrag von Martin Lutterjohann im Kaiho 3/2020 online-Ausgabe, Seite 13 ff

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von Tokyo, Frau Koike. Hokkaido hatte für sich bereits im Vormonat einen zeitweiligen
Notstand ausgerufen. Weitere Präfekturen folgten wie Aichi, die eine solche „Abseg-
nung“ durch die Zentralregierung auch für sich forderten.

Mit diesen Verkündigungen unterstrichen die Lokalregierungen die Ernsthaftigkeit der
Situation und mobilisierten Bevölkerung und Geschäftstreibende nachhaltig, sich an die
empfohlenen Verhaltensregeln zu hal-
ten. Einige Präfekturen bitten auch öf-
fentlich darum, von „Besuchen“ aus
anderen Präfekturen abzusehen. Sie
sehen darin eine Möglichkeit, die Über-
tragung des Virus in eigenes Hoheits-
gebiet von außen einzuschränken. Ge-
radezu sensationell erfolgreich ist die
Präfektur Tottori: Dort gibt es bisher
lediglich drei Infizierte und keinen ein-
zigen Todesfall.

Premierminister Abe erweiterte Anfang
Mai den ausgerufenen Notstand auf
das gesamte Land, vorgesehen bis 31.
Mai. Dann aber ließ er ab 15. Mai den             Shoppingcenter Tokyu Plaza in Shibuya
Notstand nur noch für 8 Gebietskör-             Anfang April (oben) und Anfang Juni (unten)
perschaften einschließlich Hokkaido,
Tokyo und Osaka gelten, für die dann
Ende Mai ebenfalls der Notstand aus-
geläutet wurde.

In Erscheinung trat die Zentralregie-
rung auch bei den Schulschließungen.
Wie in anderen Ländern vermutete
man auch in Japan schon früh Gefah-
renherde dort, wo Menschen auf en-
gem Raum zusammenkommen und
kommunizieren. Das gilt für Kinder-
gärten, Museen, Schulen, Universitäten
und anderen öffentlichen Einrichtun-
gen. Eine allgemeine Schulschließung
wurde erstmals landesweit von Premierminister Abe Anfang März verkündet, ohne
aber aus verfassungsrechtlichen Gründen direkte exekutive Folgewirkungen auslösen
zu können. Die Regionalregierungen, bei denen die Exekutivgewalt liegt, schlossen sich
an.

Dies war eine der relativ wenigen direkt eingreifenden Verwaltungsmaßnahmen. Das
Grundprinzip war und blieb Freiwilligkeit: Regierung und Behörden richten konkret

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formulierte Verhaltensempfehlungen an die Bevölkerung und an die Unternehmen, die
diese, so kann man heute sagen, befolgen.

Es ist auch die Zentralregierung, in deren Verantwortung ein bedingungsloses einmali-
ges Geldgeschenk in Höhe von JPY 100.000 (ca. € 810) für alle Einwohner Japans, auch
ausländische Residents, fällt. Der Antrag ist vom Haushaltsvorstand für alle Haus-
haltsmitglieder zu stellen und denkbar einfach auszufüllen, zumal Daten wie Namen
und Adresse bereits von der Behörde eingedruckt sind. Beantragt man per Internet, be-
darf es eines Kartenlesegeräts für die Einlesung der Bürgerkarte (my number).

Zentral wird auch die Einreiseregelung gestaltet. Es gilt ein drastischer Einreisestopp
für Nichtjapaner. Japanische Staatsangehörige dürfen einreisen, müssen sich aber einer
2-wöchigen Quarantäne mit vielen Einschränkungen wie z.B. Nichtbenutzung öffentli-
                                                          cher Verkehrsmittel unter-
                                                          werfen. So können sich Ein-
                                                          reisende nicht mit Taxi oder
                                                          anderen öffentlichen Ver-
                                                          kehrsmitteln nach Ankunft
                                                          vom Flughafen entfernen,
                                                          sondern müssen privat in die
                                                          Quarantäne verbracht wer-
                                                          den.

                                                         Eine im internationalen Ver-
                                                         gleich auffallende Besonder-
                                                         heit ist die von Anfang an für
                                                         wirksam befundene Cluster
                                                         Strategie: Also kein mög-
                                                         lichst weit ausgreifendes
              Überall bitte 2 m Abstand halten            flächenweites Testen, son-
                                                          dern ein auf Clustern be-
                                                          grenztes Testen mit klar de-
finierten Folgemaßnahmen, insbesondere die Isolierung aller identifizierten Personen
sowie Spurenverfolgung. Die Behörden in Tokyo stellten sich darauf ein, bei grossen
Clustern eventuell nicht ausreichend Quarantäneplätze zur Verfügung zu haben. Für
diesen Fall mietete man prophylaktisch Hotelzimmer an, teilweise ganze Hotels.

Diese Strategie steht im Gegensatz zur Vorgehensweise in den meisten anderen Län-
dern, wo das Qualitätsmerkmal staatlicher Maßnahmen an der Zahl der durchgeführten
Tests festgemacht wird. Japan befindet sich damit in einer Außenseiterrolle und wurde
für sein Vorgehen auch in den deutschen Medien kritisiert.

Das änderte sich schlagartig, nachdem Prof. Christian Drosten am Ende seines Podcast
Nr.44 im NDR am 28. Mai die japanische Cluster Strategie lobend herausgestellt hatte.
Er kommt zu dem Ergebnis, dass diese Strategie auch für Deutschland die geeignete

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Option sei, falls es zu der befürchteten zweiten Welle kommen würde. Die deutschen
Medien griffen diese unerwartete Adelung des japanischen Beispiels umgehend auf
(z.B. Der Tagesspiegel 29.05.2020).

Ein weiterer Grundsatz war die Vermeidung eines allgemeinen Lockdown landesweit
oder für einzelne Regionen und Städte. Zentral- und Regionalregierung appellierten an
die Bevölkerung, sich hygienisch und sozial korrekt zu verhalten. Dazu gehört in Tokyo
auch die Empfehlung, zu
Hause zu bleiben und so
weit möglich, von dort
aus die berufliche Arbeit
zu erledigen. Bürger-
meisterin Frau Koike ließ
es sich nicht nehmen, mit
einem Lockdown Toky-
o´s zu drohen, falls die
Bevölkerung sich nicht
sozial und hygienisch
korrekt verhalte. Aber
natürlich folgten alle.

Für meine Frau und mich
im „koureisha“ Alter
sind die Folgen der Infek-
tionsbekämpfung       nur
noch wenig einschrän-
kend. Für die arbeitende                       Hanzomon Line am Sonntagnachmittag
                                                        Anfang Juni 2020
Bevölkerung ist das na-
türlich anders. Viele Menschen befinden sich in großer Sorge um ihre Zukunft. Zu-
nächst aber, so scheint es, geht es in erster Linie um die Gegenwartsbewältigung, und
da ziehen die Menschen gemeinsam an einem Strang.

Am gestrigen Sonntag besuchte ich noch einmal die Orte in Shibuya, wo ich auch vor 2
Monaten „fact finding“ betrieben hatte. Die benutzte U-Bahn war voller als damals,
aber nicht wie üblich überfüllt. Shopping Centers wie Tokyu Plaza sind im vollen Be-
trieb, aber noch fehlen die Kundenscharen. Der Bahnhofsvorplatz mit seiner berühmten
Kreuzung ist belebter als vor 2 Monaten, aber ohne das übliche Gewimmel. Unverän-
dert das saisonale Melonenangebot: Auch in Corona Zeiten werden diese zu bemer-
kenswerten Preisen bis über 100,- Euro pro Stück angeboten und auch verkauft.

Insgesamt könnte Japan stolz auf sich sein; denn die Erfolgsbilanz in der Virusbekämp-
fung ist auch international beeindruckend. So wäre zu erwarten, dass die Abe-
Regierung eine gute Bewertung in der Öffentlichkeit erfährt. Dem ist aber nicht so.
Ganz im Gegenteil sind die zustimmenden Umfragewerte des Premierministers „in den
Keller“ geraten, von 44% Anfang April auf 27% Ende Mai, ein Absturz um 17 Prozent-

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punkte. Das hat verschiedene Gründe. Auf jeden Fall ist es Abe nicht gelungen, wie z.B.
Angela Merkel in der Krise an Statur, Reputation und Popularität zu gewinnen.

Japan hat an einem Sonderweg festgehalten und im internationalen Vergleich hervorra-
gend abgeschnitten. Nun sucht man auch in Japan nach den Gründen. Hygiene, Kultur,
Gesellschaftsverhalten und mehr werden genannt, aber all das reicht nach japanischem
Verständnis nicht zu einer endgültigen Erklärung aus. So sucht man in den Medien
nach dem großen „X“, dem großen Unbekannten.

Ja, es stimmt, Japan ist eben anders.

Alle Aufnahmen in diesem Beitrag: Peter P. Baron

Prof. Dr. rer. pol. Peter P. Baron, verheiratet, 4 Kinder, Dipl. Volkswirt (Universität Bonn) war
jahrzehntelanger Landeschef der Bayerischen Vereinsbank (heute HypoVereinsbank) in Japan.
Ab 2008 leitet er japanische Tochtergesellschaften verschiedener deutscher Unternehmen als
Interim-Manager. Er war Vorstandsmitglied bei zwei verschiedenen börsennotierten japanischen
Unternehmen im Interesse der deutschen Anteilseigner. Er war Honorarprofessor der Gerhard
Mercator Universität, Duisburg (heute Universitär Duisburg-Essen) und von 2003-06 Präsi-
dent der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Japan. Seit Jahren lebt er sowohl in Tokyo
als auch in München und ist seit vielen Jahren Mitglied der DJG in Bayern e.V.

               Verkauf von Melonen im Tokyu Plaza in Shibuya Anfang Juni 2020

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Aufnahme: Martin Lutterjohann

  Kulturelle Unterschiede zwischen Japan
             und Deutschland
                am Beispiel
    Umgang mit der Corona-Pandemie
                  Ein Beitrag von Martin Lutterjohann
In einem kürzlich im Bayerischen Rundfunk wiederholten Interview von 2016 antworte
die in München und im oberbayrischen Umland lebende Filmmacherin und Autorin
Doris Dörrie auf die Frage, weshalb sie so gern Japan besuche: weil sie sich in keinem
anderen Land so fremd und gleichzeitig so beschützt fühle wie dort. Manche ihrer Fil-
me spielen denn teilweise auch in Japan und konfrontieren den Zuschauer mit den Ge-
gensätzen zwischen den Kulturen und Denkweisen hierzulande und in Nippon. Einer-
seits erlebt sie wie die meisten Besucher aus dem Westen das Land als äußerst fremd
und dann auch wieder sehr vertraut.

Bei meinem ersten Besuch in der Heimat meiner Frau ab Dezember 1970 schrieb ich an
meine Eltern von diesem so Anders- und zugleich sehr Ähnlich-sein. Frau Dörrie er-
wähnte die Härte zu sich selbst und die Zartheit von Empfindungen, die Liebe zum
Detail und zur Natur bei gleichzeitiger Umweltverbauung, sie selbst sprach von Um-
weltverschmutzung, hoch entwickelte Ästhetik und zugleich Plastik- und Verpa-
ckungswahnsinn, die Liebe zu panierten Schnitzeln im Gegensatz zur hochgerühmten
feinen Küche, die zum Weltkulturerbe zählt.

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Seit Japan sich mit Beginn der Meiji-Zeit (1868-1912) wieder nach außen öffnete und
rasend schnell den technischen und anderweitigen Rückstand gegenüber dem Westen
aufholte, der durch die mehr als 250 Jahre andauernde selbst gewählte Isolation der
Edo-Zeit entstanden war, hegen Japaner für Deutschland eine besondere Bewunderung.
Unser Land hatte im 19. Jahrhundert ein herausragendes Niveau in Wissenschaft, Mu-
sik, Literatur und auf anderen Gebieten erreicht, das es mit Großmachtgelüsten und
Drang zu Kolonialbesitz nach dem Vorbild der europäischen Kolonialmächte unter dem
letzten Kaiser weitgehend wieder verspielte. In dieser Beziehung gibt es eine Gemein-
samkeit: auch Japan wollte, um als Großmacht anerkannt und erstgenommen zu wer-
den, zugleich Kolonialmacht werden. Der tiefe Fall kam erst nach der Niederlage im
Pazifikkrieg 1937-45.
Nun wissen Japaner inzwischen, dass Deutschland auf vielen Gebieten nur noch Mit-
telmaß ist, und die einstige Bewunderung ist vergangen, aber ein recht großes Maß an
gegenseitiger Sympathie und Interesse für einander ist doch noch geblieben. Allerdings
ist der Unterschied im Wissen über einander gewaltig. Während die Menschen in Ost-
asien (China und Korea eingeschlossen) hervorragend über den Westen informiert sind
und werden, ist erschreckend, wie wenig auch gebildete Menschen bei uns vom Fernen
Osten wissen. Vieles sind nur die gängigen Stereotype. Eine Chinesin meinte kürzlich in
einem Fernsehbeitrag über das China von heute: „Wir wissen alles über Euch, aber Ihr
wisst fast nichts über China.“ Das trifft auch auf Japan und Korea zu.
Dass „America First“ nicht erst heute zum Selbstverständnis der USA gehört, ist uns
geläufig. Aber dafür gehört der Eurozentrismus zu uns. Einst, und zwar am 7. Mai 1495
mit dem Vertrag von Tordesillas, teilten sich mit päpstlicher Billigung Portugal und
Spanien die Welt auf. Unter dem Erbe der Kolonialzeit, an der neben diesen beiden Na-
tionen auch Holländer, Dänen, Franzosen und vor allem die Engländer, kurzzeitig auch
Italien und das Deutsche Reich, beteiligt waren, leiden die einst von den Kolonialmäch-
ten beherrschten Länder noch heute. Ganze Völkerschaften wurden durch von Europä-
ern in der Folge eingeschleppte Krankheiten vernichtet oder doch stark geschwächt.
Japan entging diesem Fluch, weil es sich erst abschottete und dann blitzschnell das Ver-
säumte aufholte und dabei das gesamte Gesellschaftssystem an den Westen anpasste.
China will die vom 19. Jh. bis zum Ende des 2. Weltkrieges erlittene Schmach nicht ver-
gessen, und das ganze Volk genießt trotz der zunehmend totalitären digitalen Diktatur
unter Xi Jinping voller Stolz die wachsende Größe und Macht.
Wir zählen uns zum christlichen Abendland; Ostasien, dazu auch Vietnam, dagegen ist
stark von der konfuzianischen Ethik geprägt: Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Sittlichkeit,
Weisheit, Aufrichtigkeit sind die fünf Konstanten dieser Morallehre, in der der einzelne
stets das Gemeinwesen und Staatsinteresse in das eigene Handeln mit einbeziehen soll.
Individualismus ist kein angestrebtes Ziel der Selbstverwirklichung. Die Menschen
verwirklichen sich eher als Teil der Gruppe, in die sie integriert sind. Ohne Bezugs-
gruppe ist das Leben im Grunde sinnlos. Konformität im Verhalten war in der Edo-Zeit
mit ihrem strengen Verhaltenskodex überlebenswichtig.
Doch auch heute herrscht weitgehende Übereinstimmung, wie man sich in Japan zu
verhalten habe. Das gängige Sprichwort: 出る杭は打たれる deru kugi wa utareru –

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„Auf einen Nagel, der heraussteht, haut man drauf“ begegnet einem in Japan sehr häufig.
Bloß nicht unangenehm auffallen. Mobbing ist unter Kindern, die anders sind, auch bei
uns nicht selten. Wer zu lange im Ausland lebt, ist nicht mehr 100%ig Japaner, wer zu
gut Englisch spricht, ebenso wenig. Oder 能ある鷹は爪を隠す nô aru taka wa tsume wo
kakusu. „Der kluge Falke versteckt seine Krallen“ Man prahlt nicht mit seinem Wissen und
Fertigkeiten. Auch gehört zur Höflichkeit, dass man sich selbst kleiner, unbedeutender
macht.
Die globale Corona-Pandemie, die praktisch jedes Land der Welt mehr oder weniger
stark beeinträchtigt, zeigt, wie unterschiedlich die Länder dabei vorgehen. Vergleichen
wir doch einmal Japan mit Deutschland (oder Österreich und der Schweiz). Anders als
China, Hongkong, Korea, Singapur, Taiwan und Vietnam war Japan von SARS (No-
vember 2002 bis 2003) nicht betroffen und somit wie Deutschland auf die Pandemie
durch SARS CoV-2 nicht vorbereitet. Bis heute fehlen die in Deutschland oder Ländern
wie Korea vorhandenen Testkapazitäten, aber ohnehin konzentriert man sich vor allem
auf Cluster, Verfolgen und Isolieren mit dem Ziel möglichst kurzer Infektionsketten –
und auf freiwillige Verhaltenseinschränkungen. Japan weist im Vergleich mit Deutsch-
land nur ein Zehntel der Zahl der Infizierten und der an/mit CoViD-19 verstorbenen
Menschen bei um fünfzig Prozent größerer Bevölkerung auf, und gilt inzwischen als
Erfolgsmodell, wenn auch die wahren Champions Taiwan und Vietnam sind. Später
mehr dazu.
Was trägt in Japan zum Erfolg des für Japan neuen und im Vergleich zu Erdbeben, Tai-
funen, Tsunamis und Vulkanausbrüchen nicht eingeübten Umgangs mit der Pandemie
bei? Masken tragen, Abstand halten, kaum körperlicher Kontakt, Schuhe am Eingang
ausziehen, Hände häufig desinfizieren bzw. waschen, diese Verhaltensmaßnahmen ge-
hören bis auf Abstand halten zum Standard, auch ohne Pandemie. Mundschutz ist in
Japan seit der Spanischen Grippe von 1918-20, die eigentlich amerikanische Grippe hei-
ßen müsste, weil sie dort ihren Ursprung hatte, gebräuchlich, und zwar aus ganz unter-
schiedlichen Gründen: andere vor der eigenen Erkältung, sich selbst gegen Zedern- und
andere Pollen, aber auch vor Kälte schützen. Frauen tragen Masken gern, wenn sie sich
nicht schminken wollen oder können, bevor sie das Haus verlassen. Wenn sie ins öffent-
liche Bad gehen und hinterher gleich wieder nach Hause wollen, ist die Maske ebenfalls
nützlich. Manche wollen einfach ihr Gesicht verstecken. So oder so, Mundschutz bzw.
Hygienemasken tragen ist Japanern von klein auf vertraut. So ist es auch selbstver-
ständlich, dass Kleinkinder sie derzeit wie selbstverständlich im Kindergarten oder
Schulkinder im Unterricht im Klassenzimmer und auf dem Schulhof tragen.
In der heißen Jahreszeit, die jetzt begonnen hat, sieht man normalerweise auch in Japan
wenig Masken. Das ist dieses Jahr natürlich anders. In den Medien werden Ratschläge
verbreitet, wie man sich vor zu viel Hitze schützen kann, z.B. einen Sonnenschirm tra-
gen, was für Frauen normal, für Männer aber bisher undenkbar ist. Auch werden Mas-
ken mit kühlendem Material angeboten und inzwischen sogar Regenschirme, unter de-
nen Sprühnebel erzeugt werden. Der Körperkontakt zwischen Müttern und Kindern ist
nur für Kleinkinder sehr eng, danach kaum noch gegeben. Umarmungen sind unüblich.

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Hände schüttelt man in normalen Zeiten nur bei Politikern und Prominenten. Das ist
ein großer kultureller Unterschied zu Europa.

Kühlende Masken von Mizuno Corp. sind seit Mai 2020 auf dem Markt - Preis: Yen 935 (ca. € 8)

Reinigung ist ein Grundelement des Shintô, der ursprünglichen Religion Japans. Diese
Neigung setzt sich im Bedürfnis nach körperlicher Sauberkeit fort. Das tägliche Vollbad
im o-furo, dem Bad zuhause, das Betreten der Wohnung, ja selbst vieler Institutionen,
ohne Schuhe ist selbstverständlich. Das sind gute Voraussetzungen für den Umgang
mit der Pandemie, auch der geringe Prozentsatz Übergewichtiger im Vergleich zu den
anderen Industrieländern.
Kein Gesetz kann in Japan das Öffnen von Läden und Lokalen, selbst Spielhallen ver-
bieten. Dennoch halten sich die Menschen freiwillig an die Regeln, die von den Stadt-,
Provinzregierungen oder vom Premierminister beschlossen werden. Die Menschen ge-
hen nicht auswärts essen sondern lassen es sich nach Hause liefern (demae), eine schon
immer gängige Praxis in der Gastronomie; Gerichte zum Mitnehmen („takeout“) sind
aber genauso beliebt. Massenveranstaltungen, Konzerte wurden bereits seit Ende Feb-
ruar abgesagt, Theater, Kinos, dann auch Live Clubs geschlossen und erst nach dem
freiwilligen Lockdown zwischen Anfang April und Mitte Mai mit Einschränkungen
wieder wie bei uns vorsichtig geöffnet. Die Baseballsaison beginnt am 19. Juni ohne
Publikum. Trotz der Freiwilligkeit ist der wirtschaftliche Schaden jedoch auch in Japan
enorm. Wirtschaftswachstum verzeichneten in der Region auch während der Corona-
Krise meines Wissens nur die erwähnten Taiwan und Vietnam.
Und Deutschland und seine Nachbarn? Zwei Monate (Januar bis Mitte März) hatte man
Zeit, sich auf die Pandemie vorzubereiten und von den Erfahrungen in Ostasien zu ler-
nen. Das ist in Bezug auf Schutzausrüstung, „Corona-Warn-App“, frühes Absagen von
Massenveranstaltungen, konsequentes Verfolgen von Clustern nicht geschehen. Man

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fühlte sich für die auf das Gesundheitssystem zukommenden Anforderungen an die
Intensivmedizin bestens gerüstet, spielte spöttisch die präventive Wirkung von Mund-
schutz herunter. Ich selbst erlebte das noch als Gast einer Talkshow beim SWR in
Mannheim am 11. Februar, als ich meine Hygienemaske zeigte, und die anwesenden
medizinischen Experten diese sofort als nutzlos kommentierten. Der Rest ist Geschichte.
Zwangsmaßnahmen wie die hier in Bayern angeordneten Ausgangsbeschränkungen
sind in Japan, Korea, Taiwan nie verhängt worden. Hätte man von Ostasien gelernt,
hätte man m.E. ein Vielfaches an Infektionen und auch Toten verhindern können, vom
gewaltigen wirtschaftlichen Schaden ganz zu schweigen. Bayern hatte die Kontrolle mit
den nicht konsequent getesteten Rückkehrern aus den Wintersportorten in Südtirol und
Österreich und von deren Kontakten verloren.
Japan hat gegenwärtig noch unter 1000 Tote zu beklagen. Hongkong, Singapur, Südko-
rea, Taiwan, Vietnam mit einer Bevölkerung von zusammen fast 200 Mio. Menschen
verzeichnen gerade mal etwas über 300 Tote, 280 davon in Südkorea. Ganz Ostasien
und Südostasien zusammengenommen verzeichnet einschließlich China (vorausgesetzt
die Zahlen von dort sind korrekt) weniger Corona-Tote als Deutschland!
Aber Gesundheitsbehörden und die verantwortlichen Politiker hierzulande geben sich
selbst gute Noten und bekommen den Applaus der Mehrheit des Volkes. Da nähern
sich Deutschland und Japan wieder an. Anti-Corona-Demonstrationen, Verschwörungs-
theorien zur Pandemie sind in Japan allerdings unbekannt. Auch solche gegen Rassis-
mus. Dabei sehen sich Japaner gern den andern Nationen gegenüber als überlegen. Fi-
nanzminister und stellvertretender Premierminister Taro Aso erregte kürzlich Ärger im
Parlament mit seiner Nennung von überlegenem „mindo“ („民度が違うから mindo ga
chigau kara - weil wir ein anderes, gemeint höheres, kulturelles Niveau haben“) als
Begründung für die geringere Mortalität in Japan in Vergleich zu Europa und Amerika.
Dieser chauvinistische Begriff stammt aus der Vorkriegszeit und wird heute vermieden,
aber führende Mitglieder der Regierung sind zugleich Mitglieder der Nippon Kaigi, einer
ultranationalistischen Vereinigung. Deren Geschichtsverständnis ist vergleichbar den
Ansichten des rechten Flügels der AfD in Deutschland.
Ich konnte Japans Umgang mit der Pandemie von Beginn an verfolgen und empfand
den Weg als keineswegs souverän und selbstbewusst. Premierminister Abe preschte
anfangs oft im Alleingang mit wenig durchdachten Maßnahmen vor. Aber immerhin
gibt er zu, dass alle Schritte von Versuch und Irrtum geleitet werden. Als wir Ende Feb-
ruar dieses Jahres noch in Japan waren, verkündete er die ersten zwei Wochen im März
als entscheidend für den Erfolg über die Ausbreitung von SARS CoV-2. Alle Massen-
veranstaltungen wurden abgesagt, Schulen gingen zwei Wochen früher als normal in
die Ferien zum Ende des Schuljahres, auch die meisten Abschlussfeiern an den Schulen
wurden zum Leidwesen der betroffenen Schüler abgesagt oder so weit verkleinert, dass
Eltern und Verwandte nicht teilnehmen konnten. Theater und Museen wurden ge-
schlossen. Doch es gab keine wesentlichen Unterschiede zu erkennen, da die Zahl der
als positiv getesteten Infizierten gering blieb, solange man die der „Diamond Princess“ 3

3   siehe Kaiho 3/2020 online-Version, Seite 13 ff

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nicht mit einrechnete, was vom Corona Virus Resource Center der Johns Hopkins Univer-
sity, der Hauptquelle für statistische Informationen zum Pandemiegeschehen, frühzei-
tig erfolgte. Sie bildet dort eine eigene Kategorie und rangiert derzeit zwischen Congo
(Brazzaville) und San Marino.

Kura Zushi (Fließbandsushi, Asakusa)

Ab Anfang April begannen die Fallzahlen vor allem in Tokyo exponentiell zu steigen.
Es zeigte sich, dass vor allem Orte abendlichen Vergnügens, also Izakaya, Karaokeräu-
me, Live Clubs zu dem starken Anstieg außerhalb der üblichen Cluster wie z.B. Kran-
kenhäuser beitrugen. Am 7. April verkündete Abe daher den „state of emergency“ für
sieben Präfekturen, den er am 19. April auf das ganze Land ausdehnte. Nun schlossen
auch Firmen, Kaufhäuser, Lokale und Läden, aber alles freiwillig.
Um die Pachinkohallen gab es viel Ärger (die meisten gehören Koreanern und ein gro-
ßer Teil dient der Devisenbeschaffung für Nordkorea), weil sie nicht schließen wollten.
Mit fast weinerlicher Stimme drängte Yuriko Koike, die Gouverneurin von Tokyo, im-
mer wieder um Einhalten der Regeln.
Letztlich ist Japan auf einem guten Weg. Das Infektionsrisiko sei nicht seriös einzu-
schätzen. Von einer hohen Dunkelziffer von Infektionen, bedingt durch die geringe
Zahl durchgeführter Tests, ist auszugehen, hieß es im Landleutebrief der Deutschen

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Botschaft vom 26. März4, zitiert von Prof. Peter P. Baron. Dabei wurde Japans Vorgehen
inzwischen sogar in der renommierten Zeitschrift „Science“ und vom „Chefvirulo-
gen“ der Bundesregierung, Prof. Christian Drosten, lobend kommentiert.
In Japan gibt es nicht die Möglichkeit für Kurzarbeitergeld, und die finanzielle Entschä-
digung für Verdienstausfall ist vergleichsweise sehr bescheiden. Allerdings gab es um-
gerechnet knapp € 1.000 Helikoptergeld für jeden Bewohner des Landes, einschließlich
Ausländer, und zusätzliche Bargeldhilfen.

Großmarkt für Blumen, Ota Shijo

Ab Mitte Mai wurden die Beschränkungen für die meisten Präfekturen aufgehoben, der
„Tokyo Alert“ (Tokyo Tower und Rainbow Bridge wurden rot beleuchtet) folgte als
letzte am 11. Juni um 23 Uhr. Theater, Kinos, Museen, Universitäten, Schulen, auch die
Paukschulen konnten wieder öffnen. Internetcafés, in denen nicht wenige in durch
Raumteiler abgetrennten Kabinen die Nächte verbringen, dürfen bisher nur öffnen,
wenn sie kleiner als 1000 qm sind. Lokale dürfen bis 22 Uhr öffnen.
 In Osaka gibt es ein eigenes Modell, nach dem Beschränkungen aufgehoben werden,
wenn innerhalb einer Woche maximal 7 Personen auf das Coronavirus positiv getestet
wurden, insgesamt maximal 7% der Getesteten, und weniger als 60% der für CoViD-19
reservierten Intensivbetten belegt sind. Live Clubs, Karaoke, Fitnessstudios hat der jun-
ge Gouverneur von Osaka, Hirofumi Yoshimura, einige Tage später öffnen lassen,
einstweilen nur bis Mitternacht.

4   zitiert von Prof. Peter P. Baron, siehe Kaiho 3/2020 online Version, Seite 25

    Kaihô               No. 4/2020                  Juli/August 2020                Seite 19
In Japan spricht man von „yoru no machi“, die Orte abendlichen Vergnügens. Von denen
geht neben Krankenhäusern die größte Gefahr für neue Infektionsanstiege aus. Im Fern-
sehen sah ich kürzlich eine Gruppe von Gesundheits- und anderem städtischen Perso-
nal am Eingang von Kabukicho in Tokyo. Offenbar wollten sie Besucher des Vergnü-
gungsviertels abhalten oder zumindest warnen.
Man solle seine Kontakte um 80% reduzieren, enge Räume, Menschenansammlungen
und engen Kontakt zu anderen vermeiden. Japaner tragen die Masken aus Furcht vor
Ansteckung auch draußen, ja sie joggen sogar damit, was ich übertrieben finde. Vor
allem Frauen beklagen schmunzelnd コロナ太り corona-butori – Gewichtszunahme als
Folge des wochenlangen Daheimbleibens. Bewohner Tokyos werden gebeten, nicht in
andere Präfekturen zu reisen, obwohl die Zahl der Infizierten in der Megalopolis bei
zuletzt nur 10-20 Personen pro Tag lag. Da ist sich jede Präfektur die nächste, für die
Wirtschaft wichtiger Tourismus hin oder her. Charakteristisch und typisch japanisch ist
die Aussage einer jungen Frau, die mit den Worten 人に迷惑をかけたくない hito ni
meiwaku wo kaketaku nai - ich möchte niemanden belästigen“ im Fernsehen zitiert
wurde, weshalb sie derzeit auf den Besuch ihrer Eltern in der Provinz verzichtet (näm-
lich um durch mögliche Infizierung anderer ihre Eltern in Schwierigkeiten zu bringen).
Am Montag, den 1. Juni, wurden an 150 Orten in ganz Japan ohne Vorankündigung
und gleichzeitig um 20 Uhr fünfminütige Feuerwerke gezündet „zum Eindämmen der
Pandemie, Aufheitern der Menschen und zum Trost für die Seelen Verstorbener“. Sol-
che Feuerwerke wurden erstmals in der Edo-Zeit aus denselben Gründen gezündet.
Japan wird wie wir in Europa mit dem neuen Virus leben lernen müssen, fortgesetzte
Achtsamkeit bleibt notwendig.
Europäer dürfen bis auf weiteres nicht nach Japan. Selbst in Japan lebende und berufs-
tätige Ausländer dürfen noch nicht einmal zurück, während japanische Staatsbürger
das dürfen und mit Shuttlebussen von den Flughäfen nach Hause gefahren werden. Da
zeigt sich eine andere Seite Japans. Und da ist Deutschland weitaus großzügiger.

Martin Lutterjohann, Jahrgang 1943, geboren in Göttingen, lebt heute in München, nach sechs
Berufsjahren in Südostasien und fünf Jahren in Berlin. Er studierte Psychologie und war als
Therapeut jahrelang im Suchtbereich tätig. Er geht leidenschaftlich gern in die Berge und auf
Reisen, war bisher in über 150 Ländern, allein, zu zweit oder als Reiseleiter unterwegs. Die
längsten Auslandsaufenthalte verbrachte er in Kambodscha, Thailand und Japan, das er seit
1970 zwei Dutzend Male besucht hat und wo er dank eines Forschungsstipendiums des japani-
schen Erziehungsministeriums insgesamt zwei Jahre lebte. Vorher schon heiratete er Sakae, die
er im gemeinsamen Studentenheim in München kennengelernt hatte. Er ist Autor mehrerer Bü-
cher zum Thema Japan. Sein Buch „KulturSchock Japan“ erschien 2020 bereit in der 13. Auflage.
Für die Mitglieder der DJG in Bayern hat er am 20. November 2017 einen Vortrag über Berg-
steigen und Skifahren in Japan gehalten. Im Kaiho 3/2020 online erschien sein Bericht über seine
Kreuzfahrt mit der „Princess Diamond“. Er ist seit vielen Jahren Mitglied der DJG in Bayern.

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Aufnahme: Lüder Paysen

               Takeshita Dori: Tokyos Flaniermeile in Harajuku
    aufgenommen am Sa. 14. April.2019 (oben) und am Sa. 25. April 2020 (unten)

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                                    Aufnahme: Franz Waldenberger
Japans Erfolg in der Corona-Krise:
               Zufall oder System?
        Ein Beitrag von Stefanie Haas, LMU München, und
                  Franz Waldenberger, DIJ Tokyo

In der Corona-Pandemie müssen nationale Regierungen schwerwiegende Abwägungen
treffen zwischen dem Schutz der Gesundheit, der Einschränkung von Freiheitsrechten
und der Inkaufnahme wirtschaftlicher Einbußen. Sie verfolgen dabei durchaus unter-
schiedliche Strategien, was der Verfassung des politischen Systems und den Qualitäten
der politischen Führung, aber auch früheren Erfahrungen mit Pandemien und nicht
zuletzt den Kapazitäten nationaler Gesundheitssysteme geschuldet ist. Wie diese Stra-
tegien letztlich zu bewerten sind, kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden
werden. Mit Sicherheit wird Japan hier aber schwer einzuordnen sein. Denn während
die japanische Regierung alles andere als schnell und konsequent handelte, scheint das
Land die Krise zumindest gesundheitspolitisch hervorragend zu meistern. Die wirt-
schaftlichen Folgen stellen sich aufgrund der globalen Verflechtung dagegen kaum we-
niger dramatisch dar als in anderen Ländern.

Ohne Massentests und strengen Ausgangssperren durch die Krise

Japans Ausgangslage war denkbar ungünstig. Die räumliche Nähe und enge Verflech-
tung mit China, insbesondere die Tourismusströme von dort über Neujahr: all dies deu-
tete darauf hin, dass die Infektionszahlen pro Kopf der Bevölkerung mindestens so
hoch sein sollten wie in Südkorea. Wie hoch genau, wusste man nicht, dann anders als
im Nachbarland, wurden in Japan keine Massentests durchgeführt. Dafür wurden in
der japanischen Presse gleich mehrere Gründe genannt: Die Schnelltests seien zu unzu-
verlässig. Solche Untersuchungen erforderten in Japan die Anwesenheit eines Arztes.
Die zuverlässigeren PCR-Tests seien aufwändiger, erforderten fachkundiges Personal
und spezielle Testvorrichtungen, und an beidem mangele es. Schließlich müssten nach
japanischem Gesetz positiv getestete Personen, auch wenn sie nur schwache oder keine
Symptome hätten, in ein Krankenhaus eingewiesen werden, was die Kapazitäten sofort
erschöpfen und eine ausreichende Behandlung der schwerwiegenden Fälle erschweren
würde. Letztere Befürchtung war durchaus berechtigt. Denn auch wenn Japan im
OECD Durchschnitt über die höchste Krankenbettenzahl pro Kopf der Bevölkerung
verfügt, liegt es bei der Ausstattung mit Betten auf Intensivstationen noch hinter Italien.

Zu Beginn der Pandemie Anfang Februar wurden lediglich Rückkehrende aus der
Hubei-Provinz und deren Kontaktpersonen getestet. Als Symptome zunehmend außer-
halb dieser Gruppe auftraten, wurden Personen, die Atembeschwerden aufwiesen und
seit mindestens vier Tagen Fieber hatten, ebenfalls zu Tests zugelassen. Dabei zeigte
sich, dass einige der gegen Massentests angeführten Argumente wohl doch nicht ganz
begründet waren. So ging es auch ohne die Anwesenheit eines Arztes, und positiv ge-

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testete Personen ohne oder mit nur geringen Symptomen wurden zur Selbst-
Quarantäne entweder nach Hause geschickt oder in leerstehenden Hotels untergebracht.

Statt auf Massentests setzte die japanische Regierung auf die sogenannte Cluster-
Strategie. Am 25. Februar wurde dazu ein Team bestehend aus Virologen und Epide-
miologen des National Institute of Infectious Diseases, der Tohoku Universität und der
Hokkaido Universität zusammengestellt. Statt flächendeckender Tests und Gegen-
maßnahmen wurden Infektionsfälle systematisch auf Ansteckungsherde hin untersucht.
Die mit diesen Ansteckungsherden in Kontakt befindliche Personen wurden dann um-
fassend getestet und gegebenenfalls isoliert. Die Strategie ging so lange auf, bis die An-
steckungspfade bei der Mehrzahl der Neuinfizierten nicht mehr nachvollziehbar waren,
was schon bald der Fall war. Dennoch, wer vermutet hätte, dass nun auch Japan wie
von der WHO gefordert Massentests im großen Stil durchführen würde, sah sich ge-
täuscht.

Man konnte nur rätseln warum. Ein Verzicht auf genaue Kenntnisse über das Ausmaß
der Pandemie würde das Gesundheitssystem ja letztlich nicht schützen, sondern am
Ende umso stärker belasten, genauso wie in der Folge die Wirtschaft. Die Sorge um
Olympia kann es auch nicht gewesen sein, denn es handelte sich um eine globale Pan-
demie und schon bald war sowieso klar, dass die Spiele in 2020 nicht würden stattfin-
den können. Unverständlich war der Verzicht auf Massentests letztlich auch, weil Ja-
pans Regierung verfassungsrechtlich gar nicht in der Lage war, strenge Ausgangssper-
ren und Geschäftsschließungen zu verhängen, sondern lediglich Appelle an die Bevöl-
kerung richten konnte. Wie wollte man aber ohne umfassende Datengrundlage solchen
Appellen Nachdruck und Überzeugungskraft verleihen?

Auch bei den Reisebeschränkungen, der Schließung von Schulen und bei der letztlichen
Verhängung des Ausnahmezustands agierte die Regierung zögerlich. Anfangs galten
lediglich Beschränkungen für Reisende aus der Hubei-Provinz. Dem folgten sukzessiv
weitere Restriktionen, meist in Reaktion auf entsprechende Maßnahmen im Ausland.
Als dann die Einreise aus dem Ausland ganz untersagt wurde, schoss das zuständige
Justizministerium über das Ziel hinaus, da es nur japanischen Staatsangehörigen, nicht
aber in Japan lebenden Ausländern eine Rückreise ins Land erlaubte. Erst nach Protes-
ten in den Medien wurde dies teilweise korrigiert5.

Hokkaido war aufgrund der Wintertouristen aus China zunächst am stärksten betroffen.
Der Gouverneur sah sich veranlasst, die Schulen zu schließen. Erst daraufhin erließ die
Regierung die dazu erforderliche Verordnung, die dann allerdings viele Schulen, vor
allem aber Eltern unerwartet traf. Wiederum erst auf Drängen der Gouverneure erklärte
Premierminister Abe Mitte April den Ausnahmezustand – zunächst nur für besonders
betroffene Präfekturen, später dann landesweit. Damit konnten Gouverneure nun die

5 https://www.japantimes.co.jp/news/2020/06/13/national/re-entry-foreign-
permanent- residents-coronavirus/#.XubkrfLgrUJ

    Kaihô          No. 4/2020              Juli/August 2020                     Seite 23
temporäre Schließung von kulturellen Einrichtungen und Geschäften anfordern und
ihre Bürger anweisen, sich nicht mehr als nötig draußen aufzuhalten sowie auf Reisen
im Land zu verzichten. Letztlich waren dies allerdings nur Appelle. Strafen bei Nichtbe-
folgung sahen diese Regelungen nicht vor, weshalb sie auch als „soft lock-down“ be-
zeichnet wurden. Sie wurden inzwischen weitgehend aufgehoben.

Trotz des wenig überzeugenden Krisenmanagements der Regierung scheint Japan die
gesundheitspolitischen Risiken der Krise gemessen an der Sterberate so gut wie kaum
ein anderes Land gemeistert zu haben (Tabelle). Zufall oder System? Auch hier wurde
in den Medien wieder viel spekuliert: Japans hohe Schutzimpfungsquote, hohe Hygie-
nestandards, darunter auch das verbreitete Tragen von Mundschutzmasken, keine Kir-
chen, in denen gesungen wird, und eine hohe soziale Konformität, die Regeln auch oh-
ne Strafen zu Wirkung verhilft. Tatsächlich wurde vieler Orts die angestrebte Reduktion
des Aktivitätsniveaus um 80 Prozent erreicht. Während die großen Geschäftsketten ge-
schlossen hatten, waren viele kleine Läden geöffnet. Wenn auch stark reduziert, war ein
gewisses soziales Leben unter erhöhten Hygiene- und Abstandsregeln nach wie vor
möglich. Man setzte auf die Eigenverantwortung des Einzelnen. Firmen nutzten Telear-
beit, ließen ihre Belegschaft in wechselnden Schichten zur Arbeit kommen oder gaben
Beschäftigten Sonderurlaub und nahmen dafür öffentliche Zuschüsse in Anspruch.

Japans Test- und Todesrate in der COVID-19 Pandemie im Vergleich

                             Japan                       Deutschland USA
Tests pro Million Einwohner  2 678                       56 034      74 916
Gemessene Infektionen pro 138                            2 240       6 534
Million Einwohner
Tote pro Million Einwohner   7                           106               356
Gemessene Infektionen pro 5,1%                           4,0%              8,7%
Test (in Prozent)
Tote pro gemessene Infektion 5,3%                        4,7%              5,5%
(in Prozent)

Eigene Darstellung basierend auf https://www.worldometers.info/coronavirus/;
Stand 15. Juni 2020.

In den Initiativen der Präfekturen und Gemeinden und der Besonnenheit der katastro-
phenerprobten Zivilgesellschaft sieht auch Norio Okada, Prof. em. der Universität Kyo-
to, einen wichtigen Grund, warum Japan die Krise so gut meistern konnte. In dem ge-
meinsam vom Deutschen Institut für Japanstudien und dem Deutschen Wissenschafts-
und Innovationshaus Tokyo organisierten Web-Forum i 6 zeigt er auf, wie vielerorts

6 Der Livestream der Veranstaltung wurde aufgezeichnet und kann nach wie vor im
Internet aufgerufen werden: https://www.youtube.com/watch?v=tdGa3jF7et0

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Probleme selbst angegangen und beispielsweise „Drive-Through-Tests“ organisiert o-
der Krankenhäuser auf den Ernstfall vorbereitet wurden. Auch wenn all dies den Erfolg
Japans vielleicht nicht vollständig erklären kann, so zeigte sich doch auch wieder in
dieser Krise, dass Japans Zivilgesellschaft oft besser als ihre Regierung weiß, was zu tun
ist.

Die wirtschaftliche Erholung ist im Alleingang nicht zu schaffen

Japan konnte die konkurrierenden Ziele „Schutz der Gesundheit“ und „Sicherung der
individuellen Freiheit“ sehr gut austarieren. Der kurzfristige wirtschaftliche Einbruch
ist nach Schätzungen von IWF, Weltbank und OECD dagegen ebenso dramatisch wie in
anderen Ländern. In dem gerade veröffentlichten Wirtschaftsausblick rechnet die
OECD mit einem Rückgang der japanischen Wirtschaftsleistung in 2020 um 6,0%. Das
ist immerhin noch etwas günstiger ist als die Prognosen für die USA (-7,3%) und den
Euro-Raum (-9,1%), könnte sich aber im Fall einer zweiten Infektionswelle noch einmal
verschlechtern.

Wie in anderen Ländern sind es die Reisebeschränkungen und Notstandsverordnungen,
die mit dem sozialen Leben auch die wirtschaftliche Aktivität reduzieren. Der Inbound-
Tourismus, zuletzt eine Stütze der japanischen Wirtschaft, kam völlig zum Erliegen.
Das produzierende Gewerbe verzeichnete im April Einbußen von 9,1% gegenüber dem
Vormonat, besonders betroffen waren die Automobilbranche und die Stahlproduktion.
Im Einzelhandel sank der Umsatz um 13,7%. Kaufhausketten, die weitgehend geschlos-
sen hatten, verzeichneten einen Rückgang um 71,5%. Supermärkte hingegen sahen ei-
nen Anstieg um 3,6%, vor allem aufgrund der starken Nachfrage nach Nahrungsmitteln.
Anders als in den USA, wo die Krise schnell zu Massenentlassung führte, stieg die Ar-
beitslosenrate in Japan im April gegenüber dem Vormonat lediglich von 2,5 auf 2,6% an.
An der Preisfront verzeichnete Japan das erste Mal seit Dezember 2016 wieder eine
leichte Deflation. Im April lag der Konsumgüterpreisindex 0,2% unter dem Vorjahres-
wert.

Trotz der hohen Unsicherheit hinsichtlich der Dauer der Pandemie im Hinblick auf eine
zweite oder dritte Welle sowie die Verfügbarkeit von Arzneimitteln und Impfstoffen
scheint die Wirtschaft insgesamt nur von einem temporären Einbruch auszugehen. Der
NIKKEI fiel zwar zwischenzeitlich von 23861 Punkten am 12. Februar auf 16 553 Punkte
am 19. März, erholte sich inzwischen aber und liegt derzeit wieder bei über 22000 Punk-
ten (Stand 15. Juni). Der am 15. Mai von der Regierung für das zweite Quartal 2020 er-
hobene Geschäftsklimaindex zeigte zwar den tiefsten Stand seit der Weltfinanzkrise
2009, die Erwartungen für das Jahresende sind aber auch da wieder positiv. Dieser Op-
timismus zeigt sich auch in den 98 % der Universitätsabsolventen, die zum 1. April eine
Anstellung gefunden hatten, der höchste Wert seit Einführung der Statistik 1997. Die
Unternehmen gehen offensichtlich davon aus, dass der Mangel an Arbeitskräften die
Krise überdauern wird.

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Obwohl Japans Fiskal- und Geldpolitik angesichts extremer hoher Staatsschulden und
extrem niedriger Zinsen eigentlich schon ausgereizt sind, unternehmen die Regierung
und die Bank of Japan alles, um die wirtschaftlichen Folgen der Krise zu begrenzen. Im
März erarbeitete das Kabinett um Premierminister Abe ein Konjunkturpaket in Höhe
von 56 Billionen Yen, knapp 10% des japanischen BIP, das zusammen mit dem Budget
für das Fiskaljahr 2020 verabschiedet wurde. Damit sollen u.a. Transfers an Haushalte
und Kleinunternehmen zum Ausgleich krisenbedingter Einkommensverluste finanziert
werden.

Dieses Paket wurde später um einen weiteren, knapp 32 Billionen Yen umfassenden
Nachtragshaushalt ergänzt. Über staatliche Finanzinstitute werden parallel staatliche
Kredite im Umfang von knapp 73 Billionen Yen bereitgestellt. Gemeinsam mit staatlich
garantierten Krediten privater Finanzinstitute beläuft sich das Gesamtvolumen aus
Ausgaben und Finanzhilfen auf schwindelerregende 117 Billionen Yen. Es fragt sich
dabei allerdings, wie schnell diese enormen Summen verausgabt werden können, und
ob das Geld auch dort ankommt, wo es benötigt wird. Gewinner sind in jedem Fall die
Ministerien und die Politik, die sich auf diese Weise gewaltige Budgets und damit auch
politische Manövriermasse sichern – ein Vorgehen, das schon in den überdimensionier-
ten Haushalts- und Hilfspaketen nach dem Großen Ostjapanischen Erdbeben erkennbar
war.

Die Bank of Japan verkündete, bis auf Weiteres unbegrenzt japanische Staatsanleihen zu
kaufen, um so die überwiegend schuldenfinanzierten Maßnahmen der Regierung zu
stützen. Außerdem sollen das Volumen für den Aufkauf von Unternehmensanleihen
verdreifacht und die Sicherungsregeln für Bankkredite gelockert werden, um Liquidi-
tätsengpässe im Unternehmenssektor zu vermeiden.

Angesichts der globalen Verflechtung von Japans Wirtschaft werde solche nationalen
Anstrengungen allerdings allein nicht ausreichen. So unterschiedlich die gesundheit-
lichen und sozialen Auswirkungen der Pandemie auch sein mögen, die wirtschaftliche
Erholung kann nur gemeinsam gelingen7.

Stefanie Haas studiert an der LMU im Masterstudiengang Japanologie. Ihr ab April 2020 am
DIJ geplantes Praktikum absolviert sie Corona bedingt online von München aus. Professor Dr.
Franz Waldenberger ist seit dem 1. Oktober 2014 Direktor des Deutschen Instituts für Japan-
studien (DIJ) in Tokyo. Er befasst sich seit mehr als 20 Jahren mit der japanischen Wirtschaft.
An der LMU München, wo er seit 1997 eine Professur für japanische Wirtschaft innehat, ist er
seitdem beurlaubt. Bis zu seinem Wechsel nach Tokyo war er langjähriges Mitglied im Vorstand
der DJG in Bayern.

7https://english.nira.or.jp/papers/opinion_paper/2020/05/coping-with-the-
economic-consequences-of-the-covid-19-pandemic--the-need-for-international-
coordinat.html

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