KISCHTLI - ZYTIG - Alltag auf den Kopf gestellt - Bürgerliches Waisenhaus Basel

 
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KISCHTLI - ZYTIG - Alltag auf den Kopf gestellt - Bürgerliches Waisenhaus Basel
1 1 . J A H RG A N G

                            A UG UST 2020
                                   NR. 13

KISCHTLI - ZYTIG

Alltag auf den
Kopf gestellt
             Eine Institution der
KISCHTLI - ZYTIG - Alltag auf den Kopf gestellt - Bürgerliches Waisenhaus Basel
SEITE 2                                                                                        KI SCH TLI -ZYTI G

     Vorwort der Präsidentin
     Viele Wege

                                                      Schon lange wurde unsere Gesellschaft nicht
                                                      mehr auf so vielen Ebenen dermassen herausge-
                                                      fordert. Die Absage der Fasnacht im März rüttel-
                                                      te die Basler Bevölkerung wach. Man wurde hell-
                                                      hörig und vorsichtig, hatte aber noch keine Vor-
                                                      stellung von dem, was kurze Zeit darauf folgen
                                                      würde. Ein Lockdown mit Schulschliessungen!
                                                      Wer hätte das gedacht... Das war kein Rütteln
                                                      mehr, das war ein Beben!

                                                      Vorbereitet waren wir darauf keinesfalls, aber
                                                      dennoch legten erfreulicherweise viele von uns
                                                      unerwartete Fähigkeiten an den Tag und wurden
                                                      extrem flexibel, kreativ und experimentierfreu-
                                                      dig. In diesem Zusammenhang hätte Hannibal,
                                                      der Feldherr der Antike, seine Weisheit bestätigt
                                                      gesehen: „Entweder wir finden einen Weg, oder
                                                      wir machen einen.“

                                                      In den letzten Monaten wurden abertausende
                                                      Wege auf der ganzen Welt gemacht. Einige davon
                                                      auch im Waisenhaus. Viel Freude wünsche ich
                                                      ihnen beim Erkunden dieser Wege!

                                                      Fabienne Beyerle, Bürgerrätin und Präsidentin
                                                      des Leitungsausschusses

          Inhalt
          Vorwort der Präsidentin                2

          Geschäftsleitung                            Allgemeine Dienste
          Ausspannen ist nicht unser Ding        3    Bravo Waisenhaus!                                 17

          KWG Basilisk                                Tagesstruktur
          Scooter fahren und Süsses essen        4    Sorgenpüppli nicht gebraucht                      18

          Küche                                       AWG Schoren
          Plötzlich Putzteufel                   6    Der Ruf nach Solidarität                          19

          JWG Orion                                   Wohnexternat
          #StayHomeoffice                        7    Kreative Lösungen gefragt                         20

          KWG Excelsior                               AWG Wettstein
          Zeit für alles, was sonst zu kurz kommt 8   Wettstein vs. Inselquarantäne                     22

          DG Kartause
          Oase im (leeren) Grossstadtdschungel   10   Impressum / Bildnachweis
                                                      Herausgeber: Bürgerliches Waisenhaus Basel
          JWG Sirius
                                                      Redaktion: Julia Mehira
          CoroNa und? Wie das Leben weiter ging 12
                                                      Druck: Job Factory, Print / Anzahl Exemplare: 300 Ex.
          Verwaltung                                  Bild Titelseite: Jocham K.
          Unerwartete „Nebenwirkungen“           14   Bild Rückseite: Kostas Maros
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Geschäftsleitung
Ausspannen ist nicht unser Ding
Bereits viel geschafft und noch mehr in Planung

Liebe Leserinnen und Leser

Durchatmen wollten wir – nach einem sehr ge-         Corona hat viel, aber nicht alles bestimmt in den
lungenen Jubiläum im vergangenen Jahr, bei           zurück liegenden Wochen und Monaten. Das
dem wir den 350-jährigen Geburtstag feiern           Virus ist nicht weg, aber es hat seinen ersten
durften. Und danach wollten wir ausspannen –         Schrecken verloren und der Alltag geht weiter.
den grossen Erfolg geniessen. Wir haben uns          Wir hatten Glück, aber auch das Glück der Tüch-
vorgenommen, keine neuen Projekte anzustos-          tigen. Und die Ideen gehen uns nicht aus – das
sen. Viele Prozesse haben wir in den zurück lie-     ist ein wichtiger Teil unserer Motivation und un-
genden Jahren gestartet und so den Verände-          serer Befriedigung.
rungsprozess im Waisenhaus am Laufen gehal-
ten. Nun wollten wir uns ganz auf die Konsolidie-
rung der erfolgreichen Massnahmen konzentrie-        Uli Hammler, Direktor
ren … und eben ausspannen.

So weit die Absicht. Dann kam ein Virus und ir-
gendwie war danach alles anders. Wie – das le-
sen Sie in den Berichten auf den folgenden Sei-
ten. Bis heute (Stand Ende Juni) sind wir glück-
lich, dass bei uns der Ernstfall nicht eingetreten
ist und kein Kind und niemand von den Jugendli-
chen infiziert wurde. Obwohl wir uns auf einen
solchen Ernstfall, soweit wie irgend möglich,
vorbereitet haben, können wir natürlich nicht
ermessen, was passiert wäre, wenn dieser Ernst-
fall eingetreten wäre. Heute können wir nur fest-
stellen, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter und unsere Kinder und Jugendlichen eine
grossartige Leistung im Kampf gegen das Virus
erbracht haben und so unserem Glück tatkräftig
unter die Arme gegriffen haben.

Wir haben in dieser Zeit Unsicherheit, Angst und
Sorge erlebt – aber auch Solidarität, Gemeinsinn
und Entschleunigung. Und was wir ausserdem
gemerkt haben ist, dass ausspannen nicht so
unser Ding ist. Irgendwie haben sich neue Pro-
jekte eingeschlichen: die Kita Dalbehof steht vor
der Eröffnung, der neue Registraturplan soll bis
Ende Jahr stehen, die Erneuerung der IT-Basis ist
in vollem Gange, das Sicherheitskonzept nimmt
Gestalt an und die elektronische Klientenakte
wird bald Realität. Wir machen uns auch schon
wieder Gedanken über neue Projekte, wie zum
Beispiel den verbesserten Einbezug der Eltern in
die stationären Hilfsmassnahmen für ihre Kinder
und Jugendlichen.
                                                     Entstanden im Kreativatelier während dem Corona-Lockdown
                                                     Harena, 16 J.
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     Kinderwohngruppe Basilisk
     Scooter fahren und Süsses essen!
     Lockdown aus der Sicht der Kinder

                  Auch auf der Kinderwohngruppe Basilisk fand         Charlie* (13 J.) über die Einschränkungen der
                  eine grosse Veränderung statt. Die Corona Krise     Besuchszeiten und den Ausgang
                  war im Alltag sichtlich spürbar und nahm Ein-
                                                                      ''Die Situation während der Corona Zeit war für
                  fluss auf die verschiedenen Lebensbereiche der
                                                                      mich sehr speziell. Ich fand es extrem schade
                  Kinder und in der Arbeit der Sozialpädagoginnen
                                                                      und schwierig, dass ich nicht wirklich abmachen
                  und Sozialpädagogen. Die grössten Veränderun-
                                                                      durfte und dass ich meine Freunde nicht sehen
                  gen starteten ab dem 16. März. Die Schule konn-
                                                                      konnte. Zum Glück habe ich ein Handy. Ich habe
                  te nicht sattfinden, die Besuchszeiten und Aus-
                                                                      viel mit meinen Freundinnen geschrieben und
                  gangsregelungen wurden stark eingeschränkt,
                                                                      telefoniert. Aber zum Glück habe ich auch noch
                  Hobbies konnten nicht ausgeübt werden und
                                                                      viele Freunde auf dem Areal des Waisenhauses.
                  noch vieles mehr. Zu Beginn war einiges Unge-
                                                                      Ich habe dann die Zeit genutzt und die Zeit mit
                  wiss. Doch schnell wurden Massnahmen getrof-
                                                                      ihnen verbracht. Ich fand es ja schon toll, so viel
                  fen und das ‘Leben’ auf der Kinderwohngruppe
                                                                      Freizeit zu haben und Sachen mit der Gruppe zu
                  Basilisk anders organisiert. Beispielsweise wurde
                                                                      machen, aber ich war sehr froh, dass am 11. Mai
                  ein Homeschooling auf dem Areal installiert und
                                                                      die Schule wieder geöffnet hat und ich meine
                  alternative Beschäftigungen mit der Gruppe or-
                                                                      Freunde in live wiedersehen konnte''.
                  ganisiert, wofür das fantastische Gelände des
                  Waisenhauses super genutzt werden konnte. Im
                  folgenden Text werden drei Kinder, in ihren eige-
                  nen Worten, ihr Erleben zu verschiedenen The-
                  men während der Corona Krise berichten.

                                                                      Mia * (16 J.) über das Homeschooling

                                                                      ''Was ich am Homeschooling super gefunden
                                                                      habe, war, dass man weniger Zeit in der Schule
                                                                      verbringen musste. So konnte ich viel mehr Zeit
                                                                      mit der Gruppe verbringen. Wir haben gemein-
                                                                      sam einiges unternommen wie beispielsweise
                                                                      einen Ausflug in den Wald oder meistens haben
                                                                      wir das Areal des Waisenhauses genutzt und
                                                                      Spiele gespielt. Ich fand es sehr toll, dass extra
                                                                      eine Person zu uns gekommen ist, welche Haus-
                                                                      aufgaben mit uns gemacht hat und das jeweils
                                                                      nur zwei Stunden am Tag. Ich weiss, dass ich die
                                                                      Zeit mit der Gruppe genossen habe und jetzt, wo
                                                                      wieder Schule ist, vermisse ich diese Zeit mit der
                                                                      Gruppe sehr''.

Mia in ihrem „Büro“
KISCHTLI - ZYTIG - Alltag auf den Kopf gestellt - Bürgerliches Waisenhaus Basel
11. JAHRGANG                                                                      SEITE 5

Toni* (10 J.) über die Gruppe und sein Hobby
Scooter fahren

''Die Corona Zeit war blöd aber dafür konnte ich
mit meinem besten Freund auf dem Areal Scoo-
ter fahren und Süsses essen. Ich war auch fröh-
lich und fand es super, dass ich mein Hobby
Scooter fahren mehr machen konnte, weil ja kei-
ne richtige Schule war und ich mehr Zeit hatte.
Mit meinen drei Kollegen von der Nachbarsgrup-
pe hatte ich so viel Spass beim Scooter fahren.
Wir durften unsere eigenen Kicker und Flats mit
den Sozialpädagoginnen und –pädagogen bauen.
Zum Glück ist das Areal im Waisi so gross und
mega cool zum Scooter fahren. Das Beste fand
ich die Aktivitäten in den Skateparks und die
Skateanlage direkt vor dem Waisenhaus''.

Stefanie Chiarello, Sozialpädagogin in Ausbil-
dung

                                                   … es ist die perfekte Welle!
                                                   Toni* und sein Scooter

* Namen der Kinder geändert
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     Küche
     Plötzlich Putzteufel
     Alter Betrieb - neue Aufgaben

           Ja, Corona hat auch in unserem Café Kloster-      Das war es also mit der Fasnacht in diesem Jahr:
           gärtli alles auf den Kopf gestellt…. Waren wir    keine Larven, keine Guggenmusik, kein Pfyffe
           doch gerade noch in den Vorbereitungen für die    und Trommeln, keine Gäste und kein volles Café.
           Basler Fasnacht, denn bald sollte sie losgehen.   Stattdessen verschlossene Türen und keine ver-
                                                             lässlichen Informationen, wie es sich weiterent-
           Das Café war schon dekoriert mit Larven und
                                                             wickeln und wie lange es andauern wird.
           Luftschlangen. Die Kuchen waren gebacken, das
           Essen und die Getränke bestellt. Die fleissigen   Doch der Alltagsbetrieb im Waisenhaus musste
           Helfer aus dem Waisenhaus waren auch schon        weitergehen und so einiges musste umgestellt
           bereit und alle freuten sich auf die Fasnacht.    und neu organisiert werden. Und so half ich auf
                                                             den Wohngruppen aus. Der Reinigungsaufwand
           Leider kam alles anders, Corona machte uns ei-
                                                             hat sich innert kürzester Zeit massiv gesteigert
           nen Strich durch die Rechnung und zwang uns,
                                                             und jemand musste helfen.
           das Café Klostergärtli zu schliessen. Also nahm
           ich schweren Herzens die Larven und Luftschlan-   Ich putzte und desinfizierte Räume, Toiletten
           gen im Café wieder ab und sie wurden wieder       und Türklinken. Es war ungewöhnlich, plötzlich
           auf dem Dachboden des Waisenhauses versorgt       als „Putzteufel“ im Einsatz zu sein und auch ge-
           in der Hoffnung, dass sie nächstes Jahr wieder    wöhnungsbedürftig, aber ich unterstütze gerne
           zum Einsatz kommen.                               meine Arbeitskollegen und –kolleginnen und
                                                             auch die Kinder und Jugendlichen. Als Unterstüt-
                                                             zung bei den Reinigungsarbeiten halfen mir
                                                             auch zwei Jugendliche vom Waisenhaus. Sie stan-
                                                             den ja auch ganz plötzlich ohne festes Tagespro-
                                                             gramm da, denn die Schule war geschlossen. (By
                                                             the way, ein riesiges Dankeschön an die Beiden,
                                                             es hat Spass gemacht mit euch!)

                                                             So habe ich auch etwas Positives aus der ganzen
                                                             Coronazeit gewinnen können. Ich hatte einen
                                                             kleinen Einblick in das Leben und den Alltag der
                                                             Kinder und Jugendlichen im Waisenhaus. Ich sah,
                                                             wie sie wohnen, wie sie Homeschooling mach-
                                                             ten, ihre Freizeit gestalteten und ich lernte eini-
                                                             ge Kollegen und Kolleginnen kennen, welche ich
                                                             zum Teil vorher noch nie gesehen hatte. Ich ver-
                                                             weilte ja vorher "nur" im Café Klostergärtli und
                                                             so habe ich das Waisenhaus und seine Bewohne-
                                                             rinnen, Bewohner und Mitarbeitenden besser
                                                             kennenlernen dürfen.

                                                             Nach zwei Wochen war dann aber Schluss mit
                                                             dem Einblick und ich verbrachte die restliche
                                                             Coronazeit bei meinen eigenen zwei Kindern …
                                                             als Lehrerin, Köchin und Putzteufel!

                                                             Jana Pfaff, Mitarbeiterin Café Klostergärtli
KISCHTLI - ZYTIG - Alltag auf den Kopf gestellt - Bürgerliches Waisenhaus Basel
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Jugendwohngruppe Orion
#StayHomeoffice
‘Stay at home‘ als der Weg zur Selbsterkenntnis

Die Kernaufgaben einer angehenden Sozialpäda-       wird immer sympathischer und die Ausreden,
gogin, sollten im Waisenhaus die Team-, Alltags-,   warum man nicht doch länger liegen bleiben
Vernetzungs- und Beziehungsarbeit sein. Doch        könnte oder der vierte Kaffee plötzlich eine hal-
was, wenn deine Kernaufgaben plötzlich zum          be Stunde dauert, werden immer fantasiereicher.
Risiko für deine eigene Gesundheit werden und
                                                    All diese Punkte, die wir täglich versuchen, unse-
du diese Aufgaben nicht mehr wahrnehmen
                                                    rer Klientel zu vermitteln, sind neuerdings deine
kannst?
                                                    eigene Baustelle. Dir wird schnell bewusst, wie
Da kommt ein Virus und stellt von heute auf         viel Bedeutung diesen auf der Arbeit leicht ge-
morgen das Leben auf den Kopf. Die Grenzgän-        sagten Weisheiten eigentlich wirklich zukommt.
gerbewilligung wird ausgegraben und stellt eine     Selbstdisziplin: ein Begriff, den es in Zeiten zu
unabdingbare Voraussetzung für deinen Arbeits-      Corona erst recht zu bewerkstelligen gilt. Selbst-
weg dar. Theorien über Theorien werden in den       disziplin darin, Abstandsregeln einzuhalten.
Raum geschmissen und die Regierung versucht,        Selbstdisziplin darin, dir selbst täglich Struktur
Gesellschaft und Wirtschaft für einen Moment        zu geben. Selbstdisziplin darin, deine Liebsten
einzufrieren, um sich für einen Kampf zu rüsten.    nicht mehr zu umarmen oder gar zu sehen. Und
Doch während all dem geht der Alltag auf der        während du zu Hause deine Selbstdisziplin för-
Wohngruppe weiter. Die Jugendlichen haben ihre      derst und deinen Schweinehund für deine Ge-
Bedürfnisse und Wünsche. Sie brauchen das           sundheit versuchst zu überwinden, hast du im-
Team mehr als je zuvor. Und dann sitzt du da in     mer noch den Beigeschmack, dass deine Kolle-
deinem Wohnzimmer vor deinem Computer, weil         ginnen und Kollegen im Waisenhaus tagtäglich
du zu einer vermeintlichen Risikogruppe gehörst     an ihre Grenzen kommen, um genau diese
und fragst dich, wie du dem ansatzweise gerecht     Selbstdisziplin nicht nur für sich selbst, sondern
werden sollst.                                      auch für die 8 Kinder und Jugendlichen der Grup-
                                                    pe in dieser Krisenzeit aufrechtzuerhalten. Ein
Bereichsaufgaben, für die du im Alltagsgeschäft
                                                    Kraftakt, den man sich nur vorstellen kann.
kaum Zeit findest und dir als zusätzliche Belas-
tung erscheinen, werden plötzlich deine Haupt-      Aber gerade diese Vorstellung ist es im Endef-
aufgabe und bereichern deinen Alltag, um sich       fekt auch, die dich jeden Morgen pünktlich auf-
etwas effektiver zu fühlen. Dein Arbeitsweg be-     stehen und Aufgaben jeglicher Art erledigen
trägt neuerdings 30 Sekunden von deinem Bett        lässt, um wenigstens ein Stück weit für Entlas-
zu deinem Computer, insofern man ihn nicht mit      tung zu sorgen. Es gilt in dieser Zeit inne zu hal-
ins Bett nimmt. Und die sozialen Medien werden      ten und sich gerade in solchen Momenten be-
zu deinem besten Freund, um wenigstens etwas        wusst zu werden, wie viel Werte und Normen
von deinem Arbeitsplatz zu erfahren. Ist man        unserer Arbeit auch und gerade uns selbst be-
davor wenig mit IT verbunden gewesen, so hegt       treffen und den Wert darin zu erkennen. Ist diese
man spätestens zu diesem Zeitpunkt eine inten-      Corona-Zeit vorbei, wird der Wecker wie von Zau-
sive Beziehung damit.                               berhand eine halbe Stunde früher gestellt, Ar-
                                                    beitsbeginn wird selbstständig vorverlegt und
Jeden Tag sprechen wir bei unserer Arbeit da-
                                                    Momente, in denen man am liebsten liegen blei-
von, wie wichtig es ist, dass die Kinder und Ju-
                                                    ben wollte, werden plötzlich unvorstellbar.
gendlichen eine Tagesstruktur haben - zu einem
bestimmten Zeitpunkt aufstehen, der Schule          #Stay-home wird dein neuer persönlicher Staats-
oder Arbeit nachgehen und Termine eigenstän-        feind und die Welt ausserhalb wird selbst bei
dig wahrnehmen. Wir merken oft, wie schädlich       Regen und Sturm wunderschön. Dein Leben in
es sein kann, wenn diese Struktur verloren geht     kurzer Zeit auf den Kopf gestellt. Danke Corona!
und wie nötig sie ist. Doch was, wenn man sich
                                                    Chiara Plohmann, Sozialpädagogin in Ausbil-
selbst diese Struktur geben muss in den eigenen
                                                    dung
vier Wänden. Die Schlummertaste des Weckers
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     Kinderwohngruppe Excelsior
     Zeit für alles, was sonst zu kurz kommt
     Eine Krise mit viel Potential

                                                                    ich dann alles erledigt hatte, was ich wollte, ging
                                                                    ich auf dem Areal arbeiten, um mir ein wenig Ta-
                                                                    schengeld dazu zu verdienen.", sagt unser einziges
                                                                    Mädchen auf der Gruppe, als ich sie zu ihren Ein-
                                                                    drücken interviewe.

                                                                    Für die Kleinen jedoch bereiten diese Umstände viel
                                                                    Freude. Sie verbringen vermehrt Zeit auf der Rampe
                                                                    vor dem WaisenhausAreal und verbessern ihre BMX
                                                                    und Skate Skills.

                                                                    Nach der zweiten "Ferienwoche" wird der Lernplan
                                                                    angepasst. Dementsprechend werden auch die Ar-
                                                                    beitspläne neu gestaltet. Da fest steht, dass die
                                                                    Kinder von nun an sicher 1-2 Monate nicht in die
                                                                    Schule gehen, wird das Personal aufgestockt und
                                                                    das Tagesprogramm auf der Excelsior angepasst.
                                                                    Unsere Kinder werden von nun an zwei Stunden pro
                                                                    Tag persönlich von zwei fleissigen Helferinnen bei
                                                                    ihren Hausaufgaben betreut.

                                                                    Die Lehrpersonen geben sich grosse Mühe beim
                                                                    Gestalten von bunten Lehrprogrammen. Und trotz-
                                                                    dem erfordert diese Angelegenheit viel Selbstdis-
                                                                    ziplin und Eigenständigkeit von den Kindern. Zum
            WaisenhausAreal ist auch ein Areal für Erholung und     Glück haben wir genügend Räumlichkeiten, so dass
            Entschleunigung                                         sich die Kinder bei ihren Facetime und Zoom-
                                                                    Meetings mit den Lehrpersonen in ein separates
                                                                    Zimmer zurückziehen können. Denn es kann bei
            Die Gruppe Excelsior ist inmitten eines Neustartes,
                                                                    uns auf der Gruppe schon mal etwas laut oder tur-
            als sie die Corona-Lockdown Nachricht erreicht.
                                                                    bulent werden. Auch die Bewegung darf nicht feh-
            Sowohl für die Kinder wie auch für die Erwachsenen
                                                                    len und so bieten unsere Trainer des Sportangebots
            tut sich ein neues und unbekanntes Feld auf. Dies
                                                                    Aktifit einige Sportstunden an, was gerade bei un-
            sorgt nicht nur für viele Bedenken und Fragezei-
                                                                    seren sportbegeisterten Fussballer auf der Gruppe
            chen, es schürt auch die eine oder andere Angst,
                                                                    sehr gut ankommt und ihnen auch gut tut.
            wie der Alltag dann wohl aussehen wird und inwie-
            fern man sich einschränken und anpassen muss.           Am Abend gehen wir oft eine Runde am Rhein spa-
            Erstaunlicherweise entpuppt sich die Corona Krise       zieren und essen gemeinsam ein Eis, lassen die
            für uns als beruhigend und zusammenschweissend.         Steine schiefern oder gehen in der Turnhalle Fuss-
                                                                    ball oder Tischtennis spielen. Manchmal gibt es
            In der ersten Woche fühlt sich der Lockdown für
                                                                    auch eine Lektion Yoga oder einfach mal einen ge-
            uns fast wie Ferien an. Die Kinder dürfen am Abend
                                                                    meinsamen Filmabend.
            ein wenig später ins Bett und können am Morgen
            ausschlafen. Da die Schulen und Lehrpersonen die        Auch wenn das Areal sehr gross ist und sich unsere
            Lehrpläne anpassen müssen, gibt es eine                 Kinder darüber freuen, dass sie so eine tolle Mög-
            «Schulfreie-Zeit» von etwa zwei Wochen. Was an-         lichkeit vor ihrer Haustüre haben, braucht es
            fangs noch viel Freude bereitet, wird für die Älteren   manchmal einen Tapetenwechsel.
            der Gruppe schnell ein bisschen langweilig.
                                                                    "Ich fand es toll, dass wir während der ganzen Zeit
            "Ich habe die Zeit genutzt, um zu Backen, mein Zim-     mehr Ausflüge als sonst gemacht haben. Allerdings
            mer umzustellen und mein Fahrrad zu renovieren.         wäre es manchmal schön gewesen, nicht immer
            Das Schöne an der Corona-Zeit war, dass man alles       gleich mit einer so grossen Gruppe unterwegs sein
            mit viel weniger Stress erledigen konnte. Und als       zu müssen."
KISCHTLI - ZYTIG - Alltag auf den Kopf gestellt - Bürgerliches Waisenhaus Basel
11. JAHRGANG                                                                                                   SEITE 9

Oftmals machten wir Ausflüge ins Grüne. Am bes-          Glücklicherweise bleiben wir alle bis zum Ende des
ten geeignet waren unsere Fahrräder, mit denen wir       Lockdowns gesund und munter. Man könnte schon
dann ans Birsköpfli, in den Kannenfeldpark, ins          fast meinen, die Waisenhausmauern schützen uns.
Portland oder an die Wiese gefahren sind.                Wir hoffen, dass die Normalität nun wieder zurück
                                                         kommt und die positiven Eigenschaften dieser sehr
Diese Routine bietet auch uns viel Raum für Erho-
                                                         speziellen Zeit in unserem Alltag erhalten bleiben.
lung und Entschleunigung. Wir nutzen diese Phase
auch, um unser Bewusstsein rund um den Konsum
zu stärken. Dadurch entstehen verschiedene Projek-
                                                         Fanny Riggenbach, Vorpraktikantin
te. Unter anderem wird ein Fahrrad renoviert, BMX
und Skateboards werden wieder frisch gemacht.

Dadurch, dass wir viel auf der Gruppe sind, fallen
auch vermehrt Sachen auf, die sonst im Alltag un-
tergehen. So finden diverse Frühlingsputz- und Aus-
mistaktionen gemeinsam mit den Kindern statt.

 „Ich fand es manchmal schwierig, dass ich meine
Familie und meine Freunde in dieser Zeit nicht se-
hen konnte. Ansonsten gefiel es mir, konnte ich
einmal ein wenig Abstand zur Schule gewinnen,
länger schlafen zu dürfen und entspannen zu kön-
nen.“

Velo-Ausflüge sind eine beliebte Freizeitbeschäftigung
KISCHTLI - ZYTIG - Alltag auf den Kopf gestellt - Bürgerliches Waisenhaus Basel
SEITE 10                                                                                          KI SCH TLI -ZYTI G

     Durchgangsgruppe Kartause
     Oase im (leeren) Grossstadtdschungel
     Ein Brief aus der Kartause

                                                                "zu beschulenden" Jugendlichen unterstützt und
                                                                den roten Faden für uns verfolgt hat. Die junge
                                                                Frau, Katharina, ausserhalb von Corona-Lock-
                                                                down in der Tagesstruktur Dreirosen tätig, hat
                                                                sich ganz schnell bei uns eingelebt und genoss
                                                                unsere Jugendlichen ebenso wie diese sie. Und
                                                                wie unser Team auch. Das hat von Anfang an
                                                                super gepasst und ihr gebührt ein riesiger Dank
                                                                für den tollen Job!

                                                                Trotz einiger herausfordernder Situationen, mit
                                                                Einschränkungen des Ausgangs und fast schon
                                                                blutigen Händen vom vielen Händewaschen, wa-
                                                                ren auf der Gruppe und auf dem ganzen Waisen-
                                                                hausAreal so viele schöne Momente zu beobach-
                                                                ten. Jugendliche blühten auf und schlossen
           Liebe Leserinnen und Leser                           Freundschaften, sie trieben gemeinsam Sport (im
                                                                vorgegebenen Rahmen natürlich, max. 5 Perso-
           Wir hoffen, dass es ihnen zu Hause gut geht und
                                                                nen!), verwöhnten unsere Geissli mit Streichel-
           sie sich in der Lockdown-Zeit nicht zu sehr ge-
                                                                einheiten und Salat und genossen die Sonnen-
           langweilt haben. Hoffentlich hatten sie genug zu
                                                                strahlen.
           lesen, zu backen und zu kochen, zu spazieren,
           Sport zu treiben, so dass es ihnen in dieser Zeit    Sie lernten auch in der schulleeren Zeit, sich mit
           gut ging.                                            anderem als ihren Handys zu beschäftigen. Wir
                                                                tanzten, kochten, buken, zeichneten und malten.
           Fangen wir doch vorne an: Wir hier in der Durch-
                                                                Wir spielten Spiele und betätigten uns draussen
           gangsgruppe Kartause hatten einen schönen
                                                                auf dem Hof sportlich.
           Frühlingsstart und gute Osterferien. Danach hat
           das Homeschooling geregelt gestartet. Zunächst       Auch haben wir das grosse Glück, dass eine Mit-
           war dies eine ziemliche Herausforderung. Home-       arbeiterin der Verwaltung eine Künstlerin ist und
           schooling für die Jugendlichen zu organisieren       mit interessierten Jugendlichen Kreativnachmit-
           ist nicht ohne, vor allem weil ja die Schulen da-    tage gestaltete. Drei unserer Jugendlichen haben
           rauf auch völlig unvorbereitet waren. Da musste      dort sehr begeistert teilgenommen und so sind
           telefoniert, gesurft, ausgedruckt und eingelesen     wundervolle Kunstwerke entstanden. Zunächst
           werden, bis wir einen Durchblick hatten und alle     war dieses Angebot nur in den Osterferien
           "virtuellen" Stundenpläne und die zugehörigen        "verfügbar", da aber alle so begeistert waren,
           Aufträge für unseren Schichtbetrieb stimmig          durften die Kinder und Jugendlichen sich auch
           organisiert hatten – das war schwierig, das sag      weiterhin im Kreativatelier verwirklichen. Dieses
           ich ihnen!                                           wird nun immer wieder in den Ferien oder im
                                                                Rahmen des Sommerfestivals angeboten.
           In unserem Sitzungszimmer, wo sonst Team-,
           Standortsitzungen und sonstige Zusammenkünf-         Innerhalb der Mauern des Bürgerlichen Waisen-
           te stattfinden, haben wir dann effektiv ein Schul-   hauses haben wir das Gefühl, wir hätten unsere
           zimmer eingerichtet – was ursprünglich, beim         eigene kleine Welt, die von Corona und anderen
           Neubau der Durchgangsgruppe Kartause, auch           Herausforderungen geschützt ist, könnte man
           Zweck dieses Zimmers gewesen ist. Zum grossen        meinen. Aber der Schulstart brachte dann wieder
           Glück haben wir jemanden gefunden, der von           eine neue Vorsicht und auch ein neues Bewusst-
           extern nach den Osterferien zur Begleitung des       sein mit sich, da viele unserer Jugendlichen ei-
           Homeschoolings kommen konnte und unsere              nen langen Schulweg vor sich haben. Und nun
11. JAHRGANG                                          SEITE 11

muss man sie nicht nur auf die Gefahren im
Strassenverkehr sensibilisieren, sondern auf die
ganz anderen z.B. Hygieneregeln!

Trotz der vielen schönen, friedlichen, geborge-
nen und haltgebenden Momenten freute sich die
ganze Durchgangsgruppe Kartause darüber,
dass eine Normalität oder besser die "neue" Nor-
malität wieder begonnen hat und die Jugendli-
chen den Weg in die Schule antreten durften.
Denn man merkt nach einer gewissen Zeit zu-
sammen auf dem engen Raum – es «mensche-
let». Nicht alle vertreten die gleichen Meinungen
und es bestehen verschiedene Wünsche und Be-
dürfnisse. Das ist aber auch normal.

Im Moment, wenn diese Zeilen geschrieben wer-
den, können die Jugendlichen wieder extern zur
Schule gehen und wir geniessen die Rückkehr
der Möglichkeiten, mit unseren Jugendlichen
auch ausserhalb der Klostermauern wieder etwas
unternehmen zu dürfen.

Liebe Leserinnen und Leser, für den Moment
verabschieden wir uns von ihnen, aber wir freuen
uns sehr, sie hoffentlich bald wieder einmal in
diese "neue" Normalität eingebunden, bei uns
begrüssen zu dürfen und freuen uns riesig da-
rauf, sie in einer hoffentlich unbeschwerteren
Zeit antreffen zu dürfen.

Lea Thalmann, Vorpraktikantin

Alle diese Werke sind im Kreativatelier entstanden:
Bemalte Steine, oben links: Jocham, 14J.
Bild oben recht: Jocham, 14 J.
Bild unten rechts: Sahra, 14 J.
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     Jugendwohngruppe Sirius
     CoroNa und? Wie das Leben weiter ging ...
     Eine Prise Humor ist immer Gold wert

                «Arbeitest du denn jetzt während Corona noch?          Mit diesem Umzug starteten wir als Team Sirius
                Oder bist du auf Kurzarbeit?»                          auch ein «Pilot-Projekt», da die Jugendliche zwar
                                                                       in einer externen Wohnung des Waisenhauses
                «Na klar! Und die Jugendlichen sind jetzt für die
                                                                       lebt, jedoch weiterhin von den Sozialpädagogin-
                nächsten Wochen auf der Gruppe auf sich alleine
                                                                       nen und Sozialpädagogen der Jugendwohngrup-
                gestellt.» - da spricht die positive Ironie aus mir.
                                                                       pe betreut wird.
                Doch tatsächlich habe ich diese und ähnliche
                Fragestellungen in den vergangenen Wochen oft          Durch die tatkräftige Unterstützung von Ver-
                gehört und musste so manches Mal dabei                 wandten, Jugendlichen der Wohngruppe und Mit-
                schmunzeln, da mir bewusst wurde, dass meine           arbeitenden des Bürgerlichen Waisenhauses
                Mitmenschen teilweise nur wenig Bezug zu mei-          konnten wir den Umzug planmässig und speditiv
                ner beruflichen Tätigkeit haben. Ich gehörte in        durchführen. Die Umzugskisten waren innerhalb
                den vergangenen Monaten zu jenen Personen,             kurzer Zeit im grossen Bus verstaut und die Stre-
                die weiterhin arbeiten gehen durften und, wenn         cke zum Zielort, nahe dem Badischen Bahnhof
                ich die Zeit auch als intensiv erlebte, sehr froh      gelegen, rasch zurückgelegt.
                darüber war. Denn der Arbeitsalltag brachte mir
                                                                       Anschliessend gingen wir über zum ersten
                die gewisse Normalität und Abwechslung in die
                                                                       Grosseinkauf, damit die Jugendliche sich einen
                «covide» Lebenssituation, welche schlagartig von
                                                                       Grundstock an Lebensmitteln zusammenstellen
                so vielen Untersagungen und Widersprüchen
                                                                       konnte. Dabei haben wir den grossen Super-
                geprägt war. So konnte ich in Bezug auf die Ar-
                                                                       markt am Dreispitz, welcher von etlichen rot-
                beit sozusagen vom «Ausgang mit dem guten
                                                                       weissen Absperrbändern geziert war, wohl noch
                Gewissen» profitieren.
                                                                       nie so menschenleer gesehen. Etwaigen Hygiene-
                Obwohl wir uns auf der Jugendwohngruppe ge-            bedenken begegneten wir gleich am Eingang mit
                meinsam mit dieser neuen Situation arrangieren         einer ordentlichen Portion Händedesinfektions-
                mussten und sich aufgrund der Lage neue Re-            mittel. So konnten wir auch ein Häkchen hinter
                geln etablierten, stagnierte das Alltagsgesche-        Esswaren, Putzmittel und Geschirr setzen.
                hen nicht: Mitte März, gerade als der Bundesrat
                                                                       Doch, wie ist das denn nun, wenn das erste eige-
                den Notstand erklärte, stand nämlich der Um-
                                                                       ne Heim vorhanden ist, jedoch alle Geschäfte zur
                zug einer Jugendlichen in ihre erste eigene Woh-
                                                                       Beschaffung von Inventar geschlossen sind?
                nung bevor.
                                                                       In diesem Punkt kamen uns im Vorfeld Online-
                                                                       Plattformen, von jenen wir Möbel von Privatper-
                                                                       sonen beziehen konnten, zugute. Dies war auch
                                                                       eine tolle Gelegenheit, um der Jugendlichen
                                                                       mehr Bewusstsein für Hausrat aus zweiter Hand
                                                                       zu schaffen und um aufzuzeigen, dass Gutes
                                                                       nicht immer neu und teuer oder aus einem
                                                                       schwedischen Möbelhaus sein muss. Eine grosse
                                                                       Portion Hilfsbereitschaft erfuhren wir auch durch
                                                                       Freunde und Mitarbeitende, welche uns diverse
                                                                       Haushaltsartikel spendeten, so dass sich eine
                                                                       erste Grundausstattung für die Wohnung der
                                                                       Jugendlichen zusammenstellen liess.

                                                                       Nach dem Umzug machte sich bei der Jugendli-
                                                                       chen zunächst Einsamkeit breit. Zum einen auf-
                                                                       grund des Wechsels von einer grossen Wohnge-
                                                                       meinschaft mit vielen Jugendlichen in die Single-
Gut gelaunt zum neuen Wohnort
11. JAHRGANG                                                                                               SEITE 13

                                                      Wohnung, zum andern aufgrund der Covid19-
                                                      Umstände, die uns schliesslich alle beinahe zum
                                                      Alleinsein zwangen. Im gleichen Zug bot sich
                                                      jedoch die Chance, sich mit der «neuen Einsam-
                                                      keit» auseinanderzusetzen: Die Jugendliche
                                                      konnte lernen, sich mit sich selbst zu beschäfti-
                                                      gen, sie befasste sich mit ihrer aktuellen Lebens-
                                                      lage und ihren Zukunftsgedanken und freundete
                                                      sich schliesslich mit der neuen Situation und
                                                      somit einem Stück gewonnener Freiheit an.

                                                      Ich glaube, dass die Corona-Krise jeden Men-
                                                      schen auf unterschiedliche Art und Weise ganz
                                                      individuell geprägt hat, sei dies positiv oder ne-
                                                      gativ. Was ich mir wünsche, ist, dass die Mensch-
                                                      heit resilient genug ist, um diese Krise hinter
                                                      sich zu lassen und gestärkt und mit Zuversicht
                                                      in die Zukunft blicken kann. Ich hoffe, dass das
                                                      Erlebte auch die Relevanz der sozialen, system-
                                                      relevanten Berufe aufzeigen konnte, welche
                                                      mehr Anerkennung als ein Klatschen auf dem
                                                      Balkon verdient haben. Mir persönlich war und
                                                      ist es wichtig, in Zeiten wie diesen nach vorne zu
Einkauf in einem menschenleeren Laden hat eindeutig
seine Vorteile ...                                    schauen, mir meine eigene Meinung zu bilden,
                                                      mich mit meinen Mitmenschen auszutauschen
                                                      und stets mit einer Prise Humor und Biss durch
Gut geplant ist halb gezügelt                         das Leben zu gehen. Ausserdem hat mir diese
                                                      Krise gezeigt, dass sich mit Teamgeist, Zusam-
                                                      menhalt und Geduld «Berge versetzen lassen».

                                                      Romina Grässlin, Sozialpädagogin in Ausbildung
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        Verwaltung
        Unerwartete „Nebenwirkungen“
        Menschen, Katzen und Webex

                     Mein Alltag wurde eigentlich schon vor über ei-   leitung erstellt für das Heim einen Notfall-Plan,
                     nem Jahr bei der ungeplanten Frühpensionierung    mit dem Lockdown werden das Café Klostergärtli
                     meines Ehemannes auf den Kopf gestellt. Ein       und die Tagesstruktur geschlossen und auch bei
                     Rollentausch war nach vielen Jahren angezeigt:    uns in der Verwaltung wird über das Homeoffice
                     mein Ehemann übernahm die ganze Hausarbeit        nachgedacht, damit die Büros, wenn immer mög-
                     während ich weiterarbeitete. Dies bedeutete für   lich, nur durch eine Person belegt sind.
                     mich zwar eine zeitliche Entlastung, da noch
                                                                       Da wir auf die gemeinsame Pause verzichten und
                     eine Weiterbildung begonnen hatte, aber auch
                                                                       stattdessen den Kaffee oder Tee am Bürotisch
                     einiges an Zurückhaltung, wenn zuhause nicht
                                                                       trinken, werden innerhalb der Verwaltung schon
                     mehr alles gleich oft und gründlich in Ordnung
                                                                       bald die meist zwanglosen, unterhaltsamen und
                     gebracht war. Zu diesem Zeitpunkt ahnte nie-
                                                                       lustigen, teils aber auch angeregten Gespräche
                     mand, dass nur wenige Monate später ein weite-
                                                                       in den Teampausen vermisst. Also beschliessen
                     res Ereignis das Zusammenleben in der Familie
                                                                       wir, dass wir uns wenigstens einmal pro Woche
                     (nicht nur bei uns) erneut umkrempeln würde.
                                                                       virtuell zu einer Kaffeepause via Webex Meet
                     Die Entwicklung mit dem neuartigen Virus, die     treffen. Wer bereits im Homeoffice ist, schaltet
                     am 16. März in den Lockdown mündete. Ab so-       sich über Laptop oder PC zu, wer im Büro ist,
                     fort heisst es: bleiben Sie zuhause, meiden sie   nimmt das Handy oder iPad hervor. Irgendwie
                     die öffentlichen Verkehrsmittel, gehen sie zu     eigentümlich mutet das Ganze schon an, wenn
                     Fuss oder mit dem Fahrrad und arbeiten sie,       man im Büro nebenan sitzt und dann sich am
                     wenn immer möglich, zu Hause.                     Bildschirm begrüsst. Ausserdem kann eine sol-
                                                                       che Video-Pause den persönlichen Kontakt nicht
                     Da die Mauer rund um unser Heim keinen Schutz
                                                                       vollständig ersetzen.
                     vor dem Virus bietet, machen sich auch bei uns
                     die Auswirkungen an diversen Stellen bemerk-      Meine Begeisterung für das Homeoffice hält sich
                     bar: zuerst werden Raum-Vermietungen kurzfris-    anfänglich in engen Grenzen. Nebst meinem
                     tig abgesagt, die Pausenverpflegung gestrichen,   Ehemann sind auch der ältere Sohn, Student,
                     Kontakte untereinander werden auf ein Minimum     und der jüngere Sohn, Lehrling, ebenfalls zu
                     reduziert, bei Gesprächen wird auf räumliche      Hause im Homeschooling. Wenn ich jetzt auch
                     Distanz geachtet, interne Sitzungen zügeln in     noch im Homeoffice bin, wird es dann nicht ein-
                     grössere Räume, wo mehr Raum vorhanden ist        fach etwas gar eng in der Wohnung? Ausserdem
                     zur Einhaltung der Distanzregel, die Geschäfts-   habe ich auch Bedenken, dass sich meine beiden
                                                                       Söhne mit ihren Anliegen wieder zunehmend an
                                                                       mich statt an ihren Vater wenden werden, da ich
                                                                       ja zu Hause präsent bin – und weniger rasch
                                                                       nein sage als mein Ehemann. Und wie sieht es
                                                                       aus mit der Internet-Kapazität? Wird diese ausrei-
                                                                       chen, wenn sich vier Personen gleichzeitig im
                                                                       Internet bewegen? Werden wir uns schon bald
                                                                       auf den Geist gehen? Dann doch lieber so lange
                                                                       wie möglich im Büro weiter arbeiten, auch wenn
                                                                       ich den Arbeitsweg nun mit dem normalen Fahr-
                                                                       rad (ohne Elektroantrieb) zurücklege statt mit
                                                                       dem Tram. Immerhin komme ich so zu zusätzli-
                                                                       cher sportlicher Bewegung.

                                                                       Und dann kommt er doch: der erste Tag zuhause
                                                                       im Homeoffice. Aufstehen, Duschen, Anziehen
Virtueller Kaffee am Mittwochmorgen                                    wie gewohnt und ungewöhnlich viel Zeit für ein
11. JAHRGANG                                                                                             SEITE 15

gemütliches Frühstück und ruhiges Zeitungsle-       einen Kosenamen gegeben haben: Samtpfote.
sen, da der Arbeitsweg wegfällt. Dann das Star-     Ich habe bis heute nicht herausgefunden, wem
ten des Laptops und Spannung, ob mit dem Re-        der Kater gehört – meine Söhne sind überzeugt,
mote alles klappt, was sich als absolut unproble-   dass er nirgendwo ein Heim hat. Kommen wir
matisch herausstellt. Das IT-Team hat gute Ar-      nach Hause, begrüsst er uns schon auf dem Weg
beit geleistet. Sogar die private Internet-         zur Haustüre mit einem Schnurren und An-
Kapazität hält durch, obwohl vier Personen im       schmiegen an die Beine, bis er seine Streichelein-
Haushalt gleichzeitig am PC/Laptop arbeiten.        heit erhalten hat, und verschwindet dann wieder.
                                                    Sind wir im Garten, kommt er vorbei, legt sich
Da ich über das Remote direkt auf meinem PC im
                                                    hin und döst für einige Zeit, bis er dann wieder
Büro arbeite, habe ich Zugriff auf alle Program-
                                                    davontrottet. Er jagt keine Vögel wie die anderen
me sowie elektronisch abgelegten Daten und
                                                    Katzen und hat meines Wissens auch nie in unse-
Dokumente und das Arbeiten geht leicht von der
                                                    ren Garten gemacht. Zumindest habe ich ihn nie
Hand. Über Mail bin ich mit den Arbeitskollegin-
                                                    dabei beobachtet. Obwohl er von uns niemals
nen und -kollegen verbunden und kann mich
                                                    Nahrung erhält, kommt er regelmässig immer
austauschen. Die ruhige Atmosphäre zuhause
                                                    wieder; fast so, als ob er uns als Teil seiner Fa-
trägt dazu bei, dass ein konzentriertes, unge-
                                                    milie betrachtet. Und er hat mit seiner Gemäch-
störtes Arbeiten möglich ist. Nachteilig wirkt
                                                    lichkeit eine unglaublich beruhigende Wirkung!
sich der kleinere Bildschirm beim Laptop auf das
                                                    Auch oder gerade im Homeoffice, nicht nur bei
Arbeiten mit mehreren Dokumenten aus. Das
                                                    mir, sondern bei der ganzen Familie.
Hin- und Herschalten von einem Dokument zum
anderen wird schon bald mühsam und das Arbei-       Dass dann doch nicht immer alles reibungslos
ten mit zwei Dokumenten nebeneinander stellt        abläuft, habe ich schon erwähnt. Im Gegensatz
sich als sehr anstrengend heraus. Ausserdem         zum Kater haben die beiden Hunde unserer
sind nicht alle Arbeiten von zu Hause aus mach-     Nachbarn eine nervenaufreibende Wirkung auf
bar, da immer noch viele Dokumente auf Papier       uns alle. Immer wieder werden die Hunde alleine
gedruckt sind. Als angenehm stellt sich jedoch      gelassen, was diese gar nicht schätzen und es
das ungestörte Arbeiten heraus, weshalb ich         dann lautstark mit Gejaule und Gebell kundtun.
schon bald jene Aufgaben nach Hause nehme,          Ausserdem bin weder ich, die im Wohnzimmer
die Denkarbeit und ein konzentriertes Arbeiten      arbeite, wo die PS4 steht, noch mein jüngerer
verlangen.                                          Sohn begeistert, wenn der ältere sich im Verlaufe
                                                    des Tages an die Spielkonsole setzt. Wenn man
Die Hoffnung, bei schönem Wetter im Garten zu
                                                    dann seinem Unmut Luft macht, können schon
arbeiten, habe ich rasch wieder verworfen, da
                                                    mal heftige Reaktionen kommen. Also muss
das Sonnenlicht zu stark im Bildschirm reflek-
                                                    dies, genauso wie das "Mama könntest du nicht
tiert. Immerhin kann ich die Terrassentüre offen
                                                    schnell kommen", im Familienkreis ausdiskutiert
lassen und somit die warme Frühlingsluft genies-
                                                    werden. Klare Regeln, mit welchen sich alle ein-
sen. Schon am zweiten Tag habe ich deshalb im
                                                    verstanden erklären, werden aufgestellt. Auch
Wohnzimmer besonderen Besuch. Durch die of-
                                                    andere Punkte müssen in der Familie ausdisku-
fene Terrassentüre schleicht sich der getigerte
                                                    tiert werden.
Kater aus der Nachbarschaft herein. Obwohl ich
Tiere sehr mag, bin ich kein Katzen- oder Hunde-    Eigentlich habe ich mich schon seit anfangs Jahr
Narr. Einerseits habe ich eine Allergie auf Tier-   darauf gefreut, im Frühjahr einige Wanderungen
haare und andererseits empfinde ich Katzen im       im Tessin zu machen. Doch daraus wird nun lei-
Garten als lästig, da sie die Neigung haben, ihr    der nichts. Da auch Fahrten in die restliche
Geschäft in meinem Garten zu erledigen. Doch        Schweiz nicht sehr sinnvoll sind und das Basel-
dieser Kater, der hat sämtliche Sympathien unse-    biet zwar schön ist, aber nicht unserer Wunsch-
rer Familie gewonnen, so dass wir ihm sogar         vorstellung nach einer interessanten Wanderregi-
SEITE 16                                                                                                     KI SCH TLI -ZYTI G

     Verwaltung

Der zugewanderte Kater alias Samtpfote hat sein Zuhause selber ausgewählt

                 on entspricht, fällt uns das zu Hause bleiben              Auch am Arbeitsplatz bewältigen wir den auf den
                 nicht schwer, aber wir vermissen trotzdem die              Kopf gestellten Alltag gut und auch hier habe ich
                 geliebten Bergwanderungen. Sehr froh bin ich               das Gefühl, dass die Krise den Zusammenhalt im
                 über unseren kleinen Garten, der die Möglichkeit           Team stärkt. Trotzdem freue ich mich darauf,
                 bietet, trotzdem draussen zu sein.                         wenn wieder Normalität einkehrt. Wobei viel-
                                                                            leicht könnte man ja doch ab und zu noch einen
                 An einigen Abenden verwandelt sich dieser so-
                                                                            Homeoffice-Tag beibehalten und so den Vorteil
                 gar zum Fitnessplatz, da der jüngere Sohn sein
                                                                            von ungestörtem Arbeiten nutzen.
                 Trainingsprogramm infolge geschlossener Sport-
                 anlagen daheim absolviert. Er stellte mir sogar
                 ein kleines Krafttraining zusammen, welches wir
                 nach der Arbeit gemeinsam machen. Klar, dass
                 ich schon ziemlich ins Schwitzen komme, wäh-               Jolanda Weber, Teamleitung Verwaltung
                 rend für ihn das Programm lediglich als Auf-
                 wärmrunde dient. Gelacht haben wir dabei auf
                 jeden Fall oft und zudem ist es erstaunlich, wie
                 sich von alleine Gespräche über alles Mögliche
                 ergeben. Obwohl alle auf engem Raum zusam-
                 men sind und dabei wie gesagt auch Konflikte
                 entstehen, habe ich doch das Gefühl, dass wir
                 als Familie in dieser Zeit nochmals ein wenig
                 mehr zusammenwachsen.
11. JAHRGANG                                                                                                     SEITE 17

Allgemeine Dienste
Bravo Waisenhaus!
Ein etwas anderer Abschied

Meine Frau und ich werden dieses Jahr beide 64             keit in Sichtweite. Aber zum Glück ging es mir
Jahre jung. Wir haben uns anfangs 2019 ent-                schnell wieder gut und der Alltag war spannend.
schlossen, dass ich mich nach 48 Jahren Er-                Auch bin ich der Ansicht, dass ich ein Glückspilz
werbsarbeit anderen Aufgaben widmen darf. Ich              bin und bisher nur im Schlaraffenland gelebt
gehe am 31. Mai in Pension! Heute ist der 15.              habe.
Mai 2020.
                                                           Und nun das, Mitte März! C**** - ich spreche den
So ziemlich alles, was vor zwei Monaten Alltag             Namen bewusst nicht aus. (Bei Harry Potter durf-
war, ist von einem auf den anderen Tag auf den             te man den einen Namen V*** auch nicht aus-
Kopf gestellt worden. Wir alle waren und sind              sprechen!) Plötzlich: Homeoffice, Risikopatient,
immer noch täglich gefordert, irritiert und verun-         Webex, E-Mail, Telefon und so soll mein Ende als
sichert von der aktuellen Situation und hoffen             Mitarbeiter im Waisenhaus verlaufen!
auf baldige Normalität.
                                                           Aber mir wurde schnell bewusst, dass ich auf
Heute bin ich dankbar, dass in meinem privaten             sehr hohem Niveau jammere. Vor Ort waren
sowie beruflichen Umfeld alle diese surreale Zeit          Menschen, die den täglichen Ablauf bravourös
gesund überstanden haben: meine Frau, meine                gemeistert haben. Mein Team ging die neuen
Kinder, meine Enkelkinder, meine Freunde, mei-             Herausforderungen tagtäglich an. Unsere Reini-
ne Arbeitskolleginnen und –kollegen, und auch              gungsfrauen brauchte es plötzlich an allen Or-
ich.                                                       ten. Nach anfänglichen Orientierungsschwierig-
                                                           keiten, Ängsten und Unsicherheit kam dann eine
Letztes Jahr im Juli musste ich mich völlig über-
                                                           Zeit der Neuorientierung.
raschend einer schweren Herzoperation unterzie-
hen, von der ich mich glücklicherweise schnell             Vielen von uns wird diese Zeit, diese Erfahrung
wieder erholt habe. Schon sechs Wochen später              wohl ewig in Erinnerung bleiben. Bravo Waisen-
konnte ich wieder meine geliebte Arbeit im Wai-            haus! Vielen Dank euch allen, zusammen habt
senhaus übernehmen. Vor diesem Eingriff be-                ihr eine tolle Arbeit geleistet! Bleibt alle gesund
fasste ich mich in Gedanken wenig mit meiner               und geniesst den Moment.
Gesundheit, sondern ich kümmerte mich eher
                                                           Kurt Steg, bis 31.05.2020 Leiter Allgemeine
um Probleme von Bekannten, denen es nicht so
                                                           Dienste
gut ging. Plötzlich rückte meine eigene Endlich-

Kurt Steg voll in seinem Element - werken mit Jugendlichen - noch vor Corona-Zeit
SEITE 18                                                                                             KI SCH TLI -ZYTI G

     Tagesstruktur
     Sorgenpüppli nicht gebraucht
     Eine Tagesstruktur (fast) ohne Kinder

           Der Lockdown traf die Tagesstruktur wie auch           in der virtuellen Welt. Manchmal mehr lustig als
           alle anderen ziemlich unverhofft. Mit der Schlies-     produktiv aufgrund von technischen Schwierig-
           sung der Schulen erfolgte parallel auch die (fast)     keiten und weil nicht alle Mitarbeiter "Digital Na-
           Schliessung der Tagesstruktur. Nur eine Notbe-         tives" sind.
           treuung wurde gewährleistet. Für Eltern aus Ge-
                                                                  Die Freude auf das Wiedersehen mit den Kindern
           sundheitsberufen oder auch für diejenigen, die
                                                                  wuchs aber von Woche zu Woche bis es dann
           keine private Lösung organisieren konnten. Dies
                                                                  endlich wieder losging. Akribisch bereiteten wir
           bedeutete zwischen zwei und sieben Kinder pro
                                                                  uns auf die verschiedenen Bedürfnisse der Kin-
           Tag. Die Notbetreuung wurde im Wechsel und in
                                                                  der im Bezug auf die vergangene Corona-Zeit zu
           Zusammenarbeit mit unserer Partnertagesstruk-
                                                                  Hause vor. Was wurde erlebt? Wie ist es ihnen
           tur im Thomas-Platter-Wettstein organisiert.
                                                                  ergangen? Hatten sie Ängste oder Sorgen? Auch
           Die Kinder genossen die familiäre Atmosphäre in        Sorgenpüppli wurden liebevoll gebastelt. Sie wer-
           vollen Zügen. Soviel Platz nur für sie zum Spie-       den sicher wieder gebraucht werden, aber aus
           len, Toben, Basteln, Rumliegen und was ihnen           anderen Anlässen.
           sonst noch so einfiel. Begleitet von meist zwei
                                                                  Denn siehe da, kaum zurück, wollten sie nur
           Betreuerinnen und Betreuer der Tagesstruktur,
                                                                  noch eines, mit ihren Freundinnen und Freunden
           vorwiegend unserem fleissigen Zivi Gierom und
                                                                  spielen und Zeit verbringen. Corona war kein
           unserer neuesten Mitarbeiterin Nevena. An die-
                                                                  Thema mehr. Ein erfrischendes Gefühl, auch für
           ser Stelle ein Kompliment an die beiden. Sie ha-
                                                                  uns Erwachsene, die wochenlang überall (meist
           ben die Kinder liebevoll begleitet.
                                                                  brav zuhause) mit kaum einem anderen Thema
           Der Rest des Teams arbeitete entweder im               konfrontiert waren. Wir hatten unsere Tages-
           Homeoffice - soweit dies möglich war, und/oder         struktur und ein Stück unseres Lebens wieder
           verschönerte vor Ort unsere Räumlichkeiten, um         zurück. Die Kinder genauso wie wir!
           den Kindern zu gegebener Zeit ein umso span-
                                                                  Nicola Gasparini, päd. Leitung Tagesstruktur
           nenderes Wiedersehen zu ermöglichen. Regel-
           mässig trafen wir uns online zu Teamsitzungen

           Mmmhhh, Cervelat-Spaghetti … zwei Menü-Favoriten vereint
11. JAHRGANG                                                                                              SEITE 19

Aussenwohngruppe Schoren
Der Ruf nach Solidarität
Leben wir unsere Vision?

                                                     es eine Horror-Situation, weil sie sich mit ande-
                                                     ren Leuten in der Schule sehr wohl gefühlt ha-
                                                     ben.

                                                     Die Mitarbeitenden haben versucht, diese Situati-
                                                     on für alle so gut wie möglich zu gestalten und
                                                     die Jugendlichen haben viel Unterstützung be-
                                                     kommen. Während dieser Lockdown Zeit haben
                                                     sich die Jugendlichen Sorge um die Eltern und
                                                     Grosseltern gemacht und die verschiedenen
                                                     Massnahmen vom BAG haben das Treffen von
                                                     Freundinnen und Freunden komplizierter ge-
                                                     macht, nichtsdestotrotz könnten sie auch einige
                                                     positive Sachen in dem Ganzen sehen: weniger
                                                     Stress und die Lockdown hat für die Umwelt gut
                                                     getan.
Ein allen gut bekannter „Versorgungs-Set“ ...        Das Bürgerliche Waisenhaus hat eine Vision, wel-
                                                     che im Leitbild zu finden ist: Das Bürgerliche
Der Covid-19-Virus aka Corona hat dieses Jahr        Waisenhaus ist ein Modell für gelingende Ge-
unseren Alltag völlig umgekrempelt. Dieser Virus     meinschaft - für Individualität und Solidarität.
wirkt auf alle Ebenen unseres Lebens ein: wir        Mit Solidarität ist gemeint, dass wir uns gegen-
erfahren gerade ein kollektives Trauma, das          seitig unterstützen und helfen, ohne dass dieses
Angst, Panik und Trauer über den Verlust von         Handeln von einem Eigeninteresse geleitet ist.
Angehörigen heraufbringt. Die Zeit wird zeigen,
                                                     Ein solches Handeln in der Corona-Zeit ist nicht
wie es weitergehen wird und ob wir nur zu unse-
                                                     immer einfach für die jungen Erwachsenen, die
rer „alten“ Alltagsform zurückkehren oder ob wir
                                                     in den Nachrichten lesen, dass sie nicht in die
etwas Neues daraus machen werden.
                                                     Risikogruppe gehören und die Sache ist dement-
Diese Krise verstärkt die Ungleichheiten in unse-    sprechend klar für sie. Sie sind noch jung und
rer Gesellschaft, obwohl dieser Virus per se kei-    wachsen in eine Zeit hinein, in der Individualität
ne Ethnizität, sexuelle Identität, Klasse oder       und eigene Bedürfnisse hochgeschätzt werden.
Lohnunterschiede kennt. Nichtsdestotrotz wird        Gleichzeitig gibt es wichtige Aktivistinnen und
diese Pandemie die Menschen, die oft auch            Aktivisten, die für unsere Jugendlichen im Wai-
schon am Rande der Gesellschaft sind - Niedrig-      senhaus als Vorbild dienen können wie z.B.
löhner, Working Poor - am härtesten treffen.         Greta Thunberg oder Emma Gonzalez, die gegen
                                                     das ungerechte System kämpfen. Ob sich diese
Auch im Waisenhaus hinterlässt die Corona-
                                                     gegen ein zu offenes Waffengesetz wenden oder
Ausnahmesituation ihre Spuren. Einige von uns
                                                     für den Klima Aktivismus einstehen, es zeigt auf
machen zurzeit Homeoffice, da sie z.B. zur Risi-
                                                     jeden Fall, dass die Jugendlichen eine Stimme
kogruppe gehören und die Arbeit mit Menschen
                                                     haben und sich auch um andere Leute und deren
momentan nicht in Frage kommt, da es für die
                                                     Lebenslagen sorgen und dadurch solidarisch
Gesundheit zu riskant wäre.
                                                     sein können.
Die Jugendlichen der Aussenwohngruppen waren
im Homeschooling, da die Schulen bis zum Mai
geschlossen waren. Dieses Erlebnis, sehr viel        Elia Kuusela, Sozialpädagogin in Ausbildung
Zeit auf der Wohngruppe zu verbringen, war für
einige Jugendliche eine Erleichterung, weil sie im
Präsenzunterricht gelitten haben; für andere war
SEITE 20                                                                                                   KI SCH TLI -ZYTI G

     Wohnexternat
     Kreative Lösungen gefragt
     Wohnexternat musste neue Wege gehen

           Büro, Kino, Backstube … seit 13. März mit prominenten Markierungen „public zone“ vs. „privat“

           Covid-19 hat auch das Wohnexternat ziemlich               Aber was "normal" ist, wurde ja gerade relati-
           durchgeschüttelt und vor verschiedene Heraus-             viert. Corona stellte uns vor Probleme. Einerseits
           forderungen gestellt. Am Anfang stand das Be-             war klar, dass gemeinsame Aktivitäten bis auf
           dauern über die gestrichene Städtereise, aber             weiteres gestrichen werden. Kein Städte-Trip
           uns wurde schon ziemlich bald bewusst, dass               nach Jerusalem, kein gemeinsames Essen, kein
           noch ganz andere Probleme auf uns zukommen                Kletterpark, kein Champions League Abend.
           würden.
                                                                     Auf der anderen Seite gab es auch viele Fragezei-
           Für uns stellte sich die Frage, in welcher Form           chen: Können wir noch zu viert hier arbeiten?
           wir unsere Arbeit überhaupt noch verrichten               Was passiert, wenn jemand von uns krank wird?
           konnten. Wir sind keine Wohngruppe mit                    Machen wir dann 14 Tage zu? Wie viele Personen
           "familienähnlichen" Strukturen, sondern haben             können gleichzeitig hier sein und wie lange?
           Laufkundschaft. Der zentrale Ort in unserer Ar-           Können wir noch Hausbesuche machen? Verzich-
           beit mit den jungen Erwachsenen ist unser Büro.           ten wir auf Bargeld und überweisen den ganzen
           Wobei "Büro" vielleicht der falsche Begriff ist. Es       Lebensunterhalt? Wie können wir unsere jungen
           ist viel mehr als ein Büro: Es ist unser Wohnzim-         Erwachsenen bei der Stange halten? Machen wir
           mer mit Sofa, Sesseln und der Kaffeemaschine.             das nur noch telefonisch? Wir mussten uns mit
           Hier arbeiten wir, aber hier kann man auch ein-           der neuen Situation zuerst einmal auseinander-
           fach ein bisschen herumlümmeln und chillen.               setzen.
           Hier kann man sich mit anderen vernetzen und
                                                                     Für uns war schnell klar: Wir halten die Türe of-
           hier finden regelmässig Anlässe statt: Pizza Ba-
                                                                     fen und versuchen, so viel Normalität wie mög-
           cken, Kinoabende, Raclette, Champions League,
                                                                     lich zu bieten. Nach Homeoffice und Home-
           etc. In normalen Zeiten herrscht ein Kommen
                                                                     schooling wäre ein eingeschränkter oder nur
           und Gehen und ist viel Bewegung drin.
11. JAHRGANG                                                                                           SEITE 21

telefonischer Support das falsche Zeichen gewe-    nis, die ersten Lockerungen zu nutzen, um etwas
sen. In unsicheren Zeiten müssen wir Sicherheit    auf die Beine zu stellen.
und Stabilität bieten.
                                                   Unsere Wahl fiel auf einen Lottomatch. Das mag
Natürlich haben wir Anpassungen vorgenommen        etwas verwundern und spiessig erscheinen. Aber
und zum Beispiel unser Büro so umgeräumt,          1. kann so ein Lottomatch durchaus Spass ma-
dass alle vier Arbeitsplätze im vorderen Büro so   chen und 2. kann man so trotz Abstandsregeln
angeordnet sind, dass wir genug Abstand vonei-     zusammen etwas spielen.
nander halten können. Ausserdem haben wir den
                                                   Wir haben die Werbetrommel gerührt, uns um
"Besuchsbereich" gekennzeichnet und einge-
                                                   tolle Preise gekümmert und den Kartäusersaal
schränkt. Wir haben verschiedene Ideen und
                                                   reserviert. Es wurde ein sehr lustiger Abend und
Möglichkeiten entwickelt, wie und wo wir unse-
                                                   war hoffentlich der Startschuss in ein zweites
ren Kids begegnen und den unterschiedlichen
                                                   Halbjahr voller Erlebnisse und Aktivitäten. Ideen
Bedürfnissen gerecht werden können. Im hinte-
                                                   haben wir auf jeden Fall genug. Und was den
ren Büro haben wir zudem eine Lernstation und
                                                   Städte-Trip anbelangt: Aufgeschoben ist nicht
ein Quarantäne-Zimmer eingerichtet, für den
                                                   aufgehoben!
Fall, dass jemandem Zuhause die Decke auf den
Kopf fallen würde. Wirklich gebraucht haben wir    Benjamin Scarascia, Sozialpädagoge
zum Glück nur die Lernstation.

Daneben haben wir auch Informationsmaterial
beschafft und uns mit den gängigen Verschwö-
rungstheorien auseinandergesetzt, um in Dis-
kussion gehen zu können. Und Diskussionen
gab es viele. Über die Situation, aber auch über
Filme, Musik, Bücher, über das Leben.

Im Grossen und Ganzen sind wir damit ziemlich
gut durch diese Zeit gekommen, auch wenn wir
deutlich weniger Betrieb hatten. Aber nach all
diesen Wochen ohne gemeinsame Erlebnisse und
im Corona-Modus hatten wir das grosse Bedürf-

Aushang im Büro diente als Diskussionsgrundlage    Lotto im Kartäusersaal
SEITE 22                                                                                         KI SCH TLI -ZYTI G

     Aussenwohngruppe Wettstein
     Wettstein vs. Inselquarantäne
     Über Sorgen, Solidarität und Fexibilität

           Blick aus dem Fenster: eine atemberaubende          sich die Lehrstellen- und Praktikumssuche weni-
           Sicht über Berggipfel und glitzerndem Meerwas-      ger glorreich, Sorgen um ältere Familienmitglie-
           ser eröffnet sich unter meinen Augen. Nein -        der oder keine Besuchsmöglichkeiten stellten
           nicht mein Weg zur Arbeit, sondern mein früh-       manche vor Schwierigkeiten. Auch Ängste um
           zeitiger Rückflug aus Sri Lanka. Unerwartete Er-    Engpässe des geliebten Sojajoghurts blieben
           eignisse in der Welt stellten meine Urlaubspläne    nicht unerhört.
           auf den Kopf: Die Corona-Pandemie.
                                                               Wie erlebten die Mitarbeitenden diese Zeit?
           Während ich die Geschehnisse von dem abge-
                                                               Während wegen Grenzschliessungen die erste
           schotteten und noch unbetroffenen Inselstaat
                                                               Hürde, die Einreise der nicht in der Schweiz an-
           aus beobachtete, erreichten mich Nachrichten
                                                               sässigen Sozialpädagoginnen und –pädagogen
           von Freunden und Familie, ob ich noch einen
                                                               gemeistert wurde, stand vor allem eine Sorge im
           Rückflug nach Hause bekäme. Auch meine Ar-
                                                               Vordergrund: was wäre, wenn ein Corona-Fall auf
           beitskolleginnen und –kollegen kontaktierten
                                                               der Gruppe eintritt? Schnell wurde uns Mitarbei-
           mich mit der Sorge, meine Dienste übernehmen
                                                               tenden bewusst, dass dies eine unbegründete
           zu müssen, während ich auf einer paradiesi-
                                                               Sorge war. Das angeborene Engagement einer
           schen Insel „gezwungenermassen“ festsitze.
                                                               Sozialpädagogin bringt eine Bereitschaft zur
           Ich verzichtete auf Quarantäne mit Sandstrand,      zweiwöchigen Quarantäne auf der Gruppe selbst-
           Meer und Palmen. Zur Freude aller erwischte ich     verständlich mit sich!
           vor Schliessung des Flughafens einen Flug und
                                                               Gleichzeitig wurden wir mit Einschränkungen
           stand kurze Zeit später in der Aussenwohngrup-
                                                               und vorgegebenen Regeln konfrontiert. Auch
           pe Wettstein. Hier begegnete mir kein gewöhnli-
                                                               diese meisterten wir - eine weitere angeborene
           cher Alltag:     Homeschooling, Homeoffice,
                                                               Begabung eines Sozialpädagogen kam zum Aus-
           #Stayhome - Zuhause bleiben war die letzten
                                                               druck: Flexibilität. Wir hielten unsere Teamsit-
           Monate gross geschrieben!
                                                               zungen per Videokonferenz ab, wir setzten uns
           Wie erlebten die Jugendlichen und jungen Er-        mit all den Hygienevorschriften auseinander und
           wachsenen diese Zeit?                               erprobten uns vermehrt an Freizeitgestaltungen
                                                               innerhalb der Wohngruppe.
           Während sich bei manchen im beruflichen Alltag
           wenig änderte, verbrachten andere die Zeit in-      Auch hier ist insgesamt ein stets positiver Rück-
           nerhalb der Wohngruppe im extra eingerichteten      blick festzuhalten: Loyalität und Übereinstim-
           Lernzimmer für Homeoffice oder Homeschoo-           mung im Team, intensiverer Kontakt mit den
           ling. Fragt man Bewohnende, erhält man unter-       Jugendlichen und zu guter Letzt Teamsitzungen
           schiedliche Antworten. Allen gemein ist ein stets   in Jogginghose mit selbst gebrühtem Kaffee in
           positiver Rückblick: so wurden Prüfungen abge-      den eigenen vier Wänden.
           sagt, die Abgabefrist der Matura-Arbeit verlän-
                                                               Wieder froh, weitestgehend zurück zur Normali-
           gert, wegen Homeschooling hatte man mehr
                                                               tät zu kommen, steht eines auf der Aussenwohn-
           Freiraum, seinen Tag selber zu gestalten. Selbst
                                                               gruppe Wettstein fest: Corona schweisste die
           das Handy wurde bei manch einem Jugendlichen
                                                               Jugendlichen zusammen. Ein neues Wir-Gefühl
           nach einer Woche im Dauereinsatz langweilig.
                                                               entstand, Solidarität und Zusammenhalt gab es
           Der Technik sei dank: Es konnte sogar per Video
                                                               wie nie zuvor. Auch wenn der Alltag auf den
           der Ballettunterricht im eigenen Zimmer fortge-
                                                               Kopf gestellt wurde, sind manche Kopfüber zur
           führt werden. Weitere genossen einsame Spa-
                                                               Ruhe gekommen.
           ziergänge am sonst belebten Rheinufer.

           Auch wenn die positiven Rückmeldungen über-
           wogen, sind Schwierigkeiten oder Befürchtungen      Philipp Bertsch, Sozialpädagoge
           nicht unberücksichtigt zu lassen. So gestaltete
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