Klimawandelszenarien im ORSA - Ansätze zur Umsetzung der aufsichtlichen Anforderungen 29. März 2023
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VERSION 2.0 Klimawandelszenarien im ORSA Ansätze zur Umsetzung der aufsichtlichen Anforderungen 29. März 2023
Klimawandelszenarien im ORSA Version 2.0 Herausgeber Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. Wilhelmstraße 43 / 43 G, 10117 Berlin Postfach 08 02 64, 10002 Berlin Tel.: +49 30 2020–5000 www.gdv.de, berlin@gdv.de Verantwortlich Götz Treber Leiter Kompetenzzentrum Unternehmenssteuerung und Regulierung Tel.: +49 30 2020–5470 E-Mail: g.treber@gdv.de Autor/-innen Projektgruppe Klimawandelszenarien im ORSA Dr. Linda Michalk Dr. Wolfgang Reichmuth Publikationsassistenz Anja Birkenmaier Heike Strauß Redaktionsschluss dieser Ausgabe März 2023 Zweite, aktualisierte und erweiterte Auflage Alle Ausgaben auf GDV.DE Disclaimer Die Inhalte wurden mit der erforderlichen Sorgfalt erstellt. Gleichwohl besteht keine Gewährleistung auf Vollständigkeit, Richtigkeit, Aktualität oder Angemessenheit der darin enthaltenen Angaben oder Einschätzungen. © GDV 2023
03 KLIMAWANDELSZENARIEN IM ORSA V ersion 2 . 0 Vorwort zur zweiten Auflage Der immer weiter voranschreitende Klimawandel wirkt Methodik wurden Überlegungen zur Prüfung der We- sich zunehmend auch auf die aufsichtlichen Anforde- sentlichkeit der Klimawandelrisiken ergänzt. Bei den rungen an Versicherungsunternehmen aus. Im Jahr Auswirkungen auf die Kapitalanlagen hat die neue Sze- 2022 mussten die Unternehmen erstmals auch Klima- narien-Generation des NGFS umfangreiche Änderun- wandelszenarien in ihre ORSA-Berichte einbeziehen. gen nach sich gezogen. Darüber hinaus wird nun u. a. Zur Unterstützung seiner Mitgliedsunternehmen hat- auf den Aspekt der Modellaktualität, auf die Grundzü- te der Verband kurzfristig mögliche Ansätze zur Um- ge der gesamten Transition und auf mögliche portfolio setzung dieser Anforderung erarbeitet und im Februar spezifische Betrachtungen eingegangen. Daneben spie- 2022 veröffentlicht (Version 1.0). len Fragen der Modellunsicherheit eine sehr viel grö- ßere Rolle als bisher. Auch bei den Auswirkungen auf In der Mitgliederbefragung für den Nachhaltigkeitsbe- die Personenversicherung gab es Umstrukturierungen richt des Verbandes hat sich gezeigt, dass diese Hilfe- und Ergänzungen, vor allem zur Luftverschmutzung. stellung stark genutzt und sehr positiv bewertet wur- Bei den Auswirkungen auf die Schaden-/Unfallversi- de. Gleichzeitig hatte die Hilfestellung in einigen Be- cherung wurden Beispiele konkreter Quantifizierungs- reichen auch noch Lücken. Eine Weiterentwicklung ansätze für die Gefahren Überschwemmung und Ha- schien daher sinnvoll. Im September 2022 hat zudem gel ergänzt. Darüber hinaus wurden Überlegungen zu das NGFS eine neue Generation seiner Klimawandel Starkregen hinzugefügt. szenarien veröffentlicht, aus der sich neue Erkenntnis- se ergeben. Der Verband legt nun eine aktualisierte und Wir hoffen, dass die vorliegende Version 2.0 noch einmal erweiterte neue Fassung (Version 2.0) der Ansätze für neue Denkanstöße und Erkenntnisse enthält und für Klimawandelszenarien im ORSA vor. viele Unternehmen eine nützliche Hilfe darstellen kann. Bei der Weiterentwicklung wurde die Darstellung der Szenarien und Modelle des NGFS völlig neu strukturiert und ist nun auch deutlich detaillierter. Im Bereich der Berlin im März 2023
05 KLIMAWANDELSZENARIEN IM ORSA V ersion 2 . 0 Inhalt Inhalt Vorwort zur zweiten Auflage .............................................................................................. 03 Inhalt ........................................................................................................................................ 05 Einleitung ................................................................................................................................ 07 1. Regulatorische Anforderungen . ................................................................................. 10 2. Szenarien und Modelle ................................................................................................. 15 2.1 Klimawandelszenarien des NGFS . ................................................................... 15 2.1.1 Grundlegendes zu den Szenarien ................................................................ 15 2.1.2 Szenariodefinitionen ....................................................................................... 17 2.2 Szenariobewertung und -auswahl . .................................................................. 18 2.2.1 Abbildung physischer Risiken ....................................................................... 18 2.2.2 Abbildung von Transitionsrisiken . ................................................................ 19 2.2.3 Einschätzung des NGFS zu den Risiken ..................................................... 21 2.3 Referenzszenario ................................................................................................ 21 2.3.1 Ansätze für einen geeigneten Vergleich .. ................................................... 21 2.4 Integrated Assessment Models ....................................................................... 22 2.4.1 Modelleigenschaften ...................................................................................... 22 2.4.2 Modellunsicherheit und Modellauswahl ..................................................... 24 2.5 NiGEM-Modell ..................................................................................................... 26 2.6 Exkurs: Szenarien und Risikobegriff ............................................................... 27 3. Methodik .......................................................................................................................... 28 3.1 Grundlegende Überlegungen .......................................................................... 28 3.2 Spezielle Aspekte der Kapitalanlage .............................................................. 31 3.3 Spezielle Aspekte der Personenversicherung .. ............................................ 31 3.4 Spezielle Aspekte der Schaden-/Unfallversicherung ................................. 32 3.5 Überprüfung der Wesentlichkeit ..................................................................... 32 4. Auswirkungen auf die Kapitalanlagen ...................................................................... 34 4.1 Qualitative Analyse ............................................................................................. 34 4.2 Prämissen der quantitativen Analyse ............................................................. 34 4.2.1 Aktualität und Modellfokus ............................................................................ 34 4.2.2 Systematik der Darstellungen ....................................................................... 35 4.3 Grundzüge der Transition ................................................................................. 35 4.3.1 Langfristige Änderungen im Energiebereich ............................................ 36 4.3.2 Zu erwartende Folgen für die Wirtschaftsleistung ................................... 38 4.3.3 Zu erwartende Auswirkungen auf die Kapitalmärkte .. ............................. 38 4.4 Sektorspezifische Betrachtungen und Ableitung von Spreads ................ 39 4.4.1 Skalierungsfaktoren und Anwendung auf Aktien ..................................... 39 4.4.2 Übertragung auf Unternehmensanleihen .................................................. 42 4.5 Portfoliospezifische Betrachtungen ............................................................... 44 4.5.1 Spreizungsfaktoren auf Grundlage von Expertenschätzungen .. ........... 44 4.5.2 PACTA ................................................................................................................ 45
06 KLIMAWANDELSZENARIEN IM ORSA V ersion 2 . 0 4.6 Spezielle Finanz- und makroökonomische Risiken ..................................... 46 4.6.1 Bruttoinlandsprodukt ..................................................................................... 46 4.6.2 Aktien ................................................................................................................. 47 4.6.3 Zinsen ................................................................................................................. 50 4.6.4 Spreads . ............................................................................................................. 52 4.6.5 Immobilien ........................................................................................................ 52 4.6.6 Wechselkurse ................................................................................................... 53 4.6.7 Inflation .............................................................................................................. 53 4.6.8 Arbeitslosigkeit ................................................................................................ 54 5. Auswirkungen auf die Personenversicherung ........................................................ 55 5.1 Generelle Betroffenheit ..................................................................................... 55 5.2 Risiken für Leben und Gesundheit .................................................................. 56 5.2.1 Temperatur ....................................................................................................... 56 5.2.2 Luftverschmutzung ......................................................................................... 58 5.2.3 Weitere potenzielle Gesundheitsgefahren .. ............................................... 60 5.3 Stornorisiko .......................................................................................................... 61 5.4 Kostenrisiko ......................................................................................................... 62 6. Auswirkungen auf die Schaden-/Unfallversicherung .. .......................................... 63 6.1 Ansätze zur Quantifizierung des Änderungsrisikos physischer Risiken . 63 6.2 Physische Risiken ............................................................................................... 64 6.2.1 Sturm . ................................................................................................................. 64 6.2.2 Überschwemmung .......................................................................................... 66 6.2.3 Hagel .................................................................................................................. 71 6.2.4 Waldbrand/Dürre ............................................................................................. 73 6.3 Rückversicherung . .............................................................................................. 74 6.4 Transitionsrisiken . ............................................................................................... 75 7. Sonstige Risiken ............................................................................................................ 77 8. Kritische Auseinandersetzung mit den Ergebnissen ............................................ 78 8.1 Übergreifende Überlegungen .......................................................................... 78 8.2 Kapitalanlage ....................................................................................................... 79 8.3 Personenversicherung . ...................................................................................... 80 8.4 Schaden-/Unfallversicherung .......................................................................... 80 Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 81 Abbildungsverzeichnis . ....................................................................................................... 84 Tabellenverzeichnis . ............................................................................................................. 85 Mitwirkende ........................................................................................................................... 86 © GDV 2023
07 KLIMAWANDELSZENARIEN IM ORSA V ersion 2 . 0 Einleitung Mit ihrer Nachhaltigkeitspositionierung bekennen sich überarbeitete und erweiterte Fassung (Version 2.0) die deutschen Versicherer zu den Sustainable Develop- vorgelegt. ment Goals der Vereinten Nationen und den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens.1 Sie unterstützen das Das Dokument soll Denkanstöße geben und Möglich- Ziel einer umfassenden Dekarbonisierung der europä- keiten aufzeigen, wie die Unternehmen das Thema ischen Wirtschaft und sind bereit, ihren Beitrag dafür Klimawandelrisiken im ORSA angehen und sich den zu leisten. Anforderungen der Aufsicht annähern könnten. Die konkrete Umsetzung in den Unternehmen muss sich Der sich beschleunigende Klimawandel bringt für die jedoch am eigenen Risikoprofil und den jeweiligen Gesellschaft Gefahren und Belastungen mit sich, die Möglichkeiten orientieren und steht ausschließlich in desto stärker ausfallen, je weniger und je später Ge- der Verantwortung der Unternehmen. Alle Aussagen genmaßnahmen ergriffen werden. Ein möglichst ra- im vorliegenden Dokument sind unverbindlich und die scher Übergang zu einer nachhaltigeren Art des Wirt- beschriebenen Ansätze als exemplarisch zu verstehen. schaftens und Lebens erscheint unausweichlich. Für Der Verband übernimmt keine Haftung für Fehler und die Wirtschaft ist aber nicht nur der Klimawandel unterschiedliche Interpretationen. selbst, sondern auch dieser Übergang – die „Transi- tion“ – mit erheblichen Umwälzungen und Unsicher- Die BaFin hat eine Bewertung materieller Klimawan- heiten verbunden. delrisiken mit Hilfe entsprechender Szenarien bereits in den 2022 einzureichenden ORSA-Berichten erwar- Für die deutsche Versicherungswirtschaft gehört die tet. Aufgrund der sehr knapp bemessenen Frist hatte Auseinandersetzung mit dem Klimawandel zu einer der Verband sich entschieden, möglichst rasch erste nachhaltigen Geschäftstätigkeit. Als Risikoträger und Ansätze zur Verfügung zu stellen, die bei der prakti- Investor stehen die Versicherungsunternehmen vor der schen Umsetzung helfen könnten. Dies ist mit der Ver- Aufgabe, mit dem Klimawandel und der Transition ver- öffentlichung der Version 1.0 im Februar 2022 gesche- bundene Risiken vorausschauend zu identifizieren und hen. Wie geplant wurden die Arbeiten danach fortge- zu bewerten. Dazu können Szenarioanalysen dienen, setzt und das Papier um Aspekte erweitert, die in der in denen mögliche Entwicklungen exemplarisch un- Kürze der Zeit in Version 1.0 nicht umgesetzt werden tersucht werden. Dies ist mittlerweile auch eine An- konnten. Der vorliegende, überarbeitete Stand (Versi- forderung, die seitens der Aufsicht an die Unterneh- on 2.0) erhebt dennoch nicht den Anspruch einer er- men gestellt wird. Erkenntnisse daraus sollen in der schöpfenden Darstellung des Themas. Keinesfalls ist Geschäftsplanung und -strategie berücksichtigt und beabsichtigt, einheitliche Marktstandards zu definie- in den ORSA-Berichten2 dargestellt werden. ren oder verbindliche Ansätze zur Umsetzung der auf- sichtlichen Anforderungen vorzugeben. Für viele Unternehmen stellt diese neue Aufgabe eine Herausforderung dar. Der Verband hat deshalb mit ei- Abschließend sei noch auf die Guidance3 der EIOPA ner Projektgruppe, in der Mitgliedsunternehmen ver- zu Klimawandelszenarien im ORSA hingewiesen, die schiedener Sparten sowie der Verband der Privaten am 2. August 2022 veröffentlicht wurde. Diese – nicht Krankenversicherung vertreten sind, Ansätze zur Um- bindende – Guidance soll für die Versicherungsunter- setzung der aufsichtlichen Anforderungen an Klima- nehmen ebenfalls eine praktische Starthilfe zur Umset- wandelszenarien im ORSA erarbeitet. Nachdem 2022 zung von Klimawandelanalysen im ORSA bieten, ohne die erste Fassung veröffentlicht wurde, wird mit dem andere Ansätze auszuschließen. vorliegenden Dokument nun eine zweite, deutlich 1 Vgl. GDV (2023). 2 Das ORSA ist die eigene Risiko- und Solvenzbeurteilung (Own Risk and Solvency Assessment) der Versicherungsunternehmen. 3 Vgl. EIOPA (2022a).
08 KLIMAWANDELSZENARIEN IM ORSA V ersion 2 . 0 ÜBERBLICK In Kapitel 5 werden mögliche Auswirkungen des Kli- mawandels auf die Personenversicherung, d. h. auf die In Kapitel 1 werden die regulatorischen Anforderun- Versicherungstechnik der Lebens- und Krankenversi- gen geschildert, die sich vor allem aus der Opinion4 der cherer, analysiert. Dabei werden verschiedene Einfluss- EIOPA zu Klimawandelszenarien im ORSA vom 19. Ap- faktoren auf Leben und Gesundheit, wie z. B. Tempera- ril 2021 ergeben. Zusätzlich werden Konkretisierun- tur oder Luftverschmutzung, in Teilen quantitativ und gen der aufsichtsrechtlichen Erwartungen aus Gesprä- ansonsten qualitativ betrachtet. Darüber hinaus wird chen mit der BaFin (unter anderem in dem BaFin-Work- der mögliche Einfluss der Transition auf das Storno- shop im März 2021) und den BaFin-Hinweisen5 zum und das Kostenrisiko angesprochen. Solvency-II-Berichtswesen vom 26. September 2022 dargestellt. In Kapitel 6 wird der Einfluss des Klimawandels auf die versicherungstechnischen Risiken der Schaden-/Un- In Kapitel 2 werden die Szenarien und Modelle des fallversicherung dargestellt. Dabei werden die Auswir- NGFS vorgestellt und erläutert, die in diesem Doku- kungen der physischen Risiken auf die einzelnen Risi- ment als Grundlage der Analysen genutzt werden. Da- ken Sturm, Überschwemmung, Hagel sowie Dürre und bei wird u. a. auf die Szenarioauswahl, die Frage des Waldbrand beleuchtet. Es werden methodische Ansät- Referenzszenarios und das Thema Modellunsicherheit ze vorgestellt, die es ermöglichen könnten, Aussagen eingegangen. Zusätzliche Quellen, die u. a. auch wei- über Jährlichkeiten zu treffen. Für die Gefahren Über- tere Möglichkeiten zur Auswahl der Szenarien bieten, schwemmung und Hagel wird beispielhaft erläutert, werden in einer separaten Materialsammlung aufge- wie eine mögliche Quantifizierung konkret aussehen führt, die jedoch seit Anfang 2022 nicht weiter aktua- könnte. Abschließend werden Denkanstöße zum Um- lisiert wurde. Neuere Quellen sind daher in der Samm- gang mit Rückversicherungsverträgen im Kontext mit lung nicht enthalten. Klimawandel gegeben und die Bedeutung von Transi- tionsrisiken für Schaden-/Unfallversicherer diskutiert. Kapitel 3 stellt verschiedene Ansätze vor, wie die Bewer- tung von Klimaszenarien methodisch erfolgen könn- Kapitel 7 reißt kurz sonstige Risiken an, die sich im te. Dabei werden Überlegungen zu Projektionen, Mehr- Zusammenhang des Klimawandels ergeben könnten. periodigkeit, Geschäftsentwicklung und zum Zeitho- Dazu gehören operationelle Risiken, Reputationsrisi- rizont angestellt. Anschließend werden kurz spezielle ken und Liquiditätsrisiken. methodische Aspekte in Bezug auf Kapitalanlage, Per- sonen- und Schaden-/Unfallversicherung beleuchtet. Kapitel 8 soll Denkanstöße für eine kritische Ausein- Außerdem gibt dieses Kapitel Anhaltspunkte, wie Un- andersetzung mit den Ergebnissen aus den Klimawan- ternehmen potenziell wesentliche Risiken des Klima- delszenarien geben. Dazu wird eine Reihe möglicher wandels für ihre Geschäftstätigkeit ermitteln können. Fragen formuliert. Generell dient das Kapitel der Ein- ordnung von Ergebnissen aus Klimawandelszenarien In Kapitel 4 werden die Auswirkungen der Transition jedweder Art, die notwendigerweise einen beispielhaf- auf die Kapitalanlage diskutiert. Nach ein paar Wor- ten Charakter haben und mit großen Unsicherheiten ten zu qualitativen Analysen wird zunächst auf eini- verbunden sind. Auch hier wird noch einmal separat ge Prämissen der quantitativen Analyse (u. a. die Fra- auf Kapitalanlagen, Personenversicherung und Scha- ge der Aktualität) eingegangen, bevor die Transition den-/Unfallversicherung eingegangen. und ihre zu erwartenden Auswirkungen auf die Kapi- talanlagen in Grundzügen skizziert werden. Für sektor- und portfoliospezifische Betrachtungen sowie zur Her- NGFS-LIZENZ leitung von Spreads werden mögliche Ansätze vorge- stellt. Schließlich werden die projizierten Entwicklun- Für die Darstellungen der Entwicklung wirtschaftli- gen für die Kapitalanlage wichtiger Größen wie Aktien, cher Größen in diesem Dokument und der dazuge- Zins, Spreads und Immobilien sowie ausgewählter ma- hörigen Datei Daten_NGFS_Bundesbank.xlsx wur- kroökonomischer Größen wie Wirtschaftsleistung und den Daten aus dem NGFS Scenario Explorer genutzt. Inflation vorgestellt. Dabei wird insbesondere auch die Bei dem NGFS handelt es sich um das Network for Modellunsicherheit thematisiert Greening the Financial System (im Folgenden auch © GDV 2023 "Rechteinhaber" genannt), einem weltweiten Zu- sammenschluss von Zentralbanken und Aufsichts- 4 Vgl. (EIOPA (2021a). behörden. Alle Daten unterliegen einem Urheber- 5 Vgl. BaFin ( 2022). rechtsschutz des Rechteinhabers, der daran einfache
09 KLIMAWANDELSZENARIEN IM ORSA V ersion 2 . 0 Datenbankrechte nach dem EU-suigeneris-Daten- bankschutz geltend macht. Der Rechteinhaber stellt den NGFS Scenario Explorer den Nutzern aber kosten- frei zur Verfügung. Dies geschieht unter Ausschluss der Gewährleistung sowie unter Einbezug der unter https://data.ene.iiasa.ac.at/ ngfs/#/license einsehba- ren Lizenzvereinbarung, die als Public License eine Adaption der Creative Commons Attribution 4.0 Inter- national Public License darstellt. Mit der Nutzung des NGFS Scenario Explorers werden die zugrundeliegen- den Daten durch Anwendung von Szenarien einer Be- arbeitung unterzogen. Die in Kapitel 2 und 4 enthal- tenen Abbildungen und die entsprechenden Daten in der oben genannten Datei sind das Ergebnis dieser Be- arbeitung. Das Urheberrecht des Rechteinhabers setzt sich an diesen Abbildungen und Daten fort.
10 KLIMAWANDELSZENARIEN IM ORSA V ersion 2 . 0 1. Regulatorische Anforderungen HINTERGRUND wird nicht genannt, jedoch heißt es, dass die EIOPA das Monitoring der Anwendung zwei Jahre nach Ver- Im Jahr 2018 hat die EU-Kommission mit ihrem Aktions- öffentlichung – also mit den ORSA-Berichten im Jahr plan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums und mit 2023 – beginnt. dem daraus resultierenden Call for Advice zur Integra- tion von Nachhaltigkeit in Solvency II den Startschuss Seit dem August 2022 müssen gemäß der Delegierten für das Thema Klimawandelszenarien im ORSA gegeben. Verordnung 2021/12567 zur Änderung der Delegierten Rechtsakte zu Solvency II Versicherungsunternehmen So steht in der EIOPA-Opinion6 zu Nachhaltigkeit in Sol- Nachhaltigkeitsrisiken in ihr Risikomanagement und vency II vom 30. September 2019 in Bezug auf ORSA u. a.: ihr ORSA integrieren. → Die Analyse von Szenarien ermöglicht es den Unter- Klimawandelszenarien auch auf Ebene der Solven- nehmen, die Auswirkungen von Nachhaltigkeitsri- cy-II-Richtlinie in den aufsichtlichen Prozess zu inte- siken über den Zeithorizont von einem Jahr hinaus grieren, wird als Maßnahme 3(d) in der Renewed Sus- zu berücksichtigen. Eine solche Analyse sollte in das tainable Finance Strategy8 der EU-Kommission von Juli Risikomanagement, die Unternehmensführung und 2021 genannt. Dies spiegelt sich in den Vorschlägen der den ORSA der Unternehmen eingebettet sein. Dies EU-Kommission zum Solvency-II-Review vom Septem- sollte die Unternehmen in die Lage versetzen, die mit ber 2021 entsprechend wider. Bei entsprechender Um- dem Klimawandel verbundenen Risiken, denen sie setzung würde die bestehende Anforderung aus der ausgesetzt sind, vorausschauend zu ermitteln und EIOPA-Opinion, Klimawandelszenarien zu rechnen, zu bewerten und die Geschäftsplanung und -strate- auf Richtlinienebene verankert. Der Anwendungsbe- gie zu untermauern. ginn der Richtlinienänderungen steht noch nicht fest, wird aber voraussichtlich nicht vor 2025 erwartet. → Der Klimawandel wird wahrscheinlich die Häufig- keit/Schwere von Naturkatastrophen erhöhen. Sol- Im Folgenden werden die wesentlichen Inhalte der che erwarteten Schwankungen müssen in den Risi- EIOPA-Opinion zu Klimawandelszenarien im ORSA komanagementstrategien vorausschauend im ORSA (EIOPA, 2021a) vorgestellt. erfasst werden. Daten aus der Vergangenheit allein ermöglichen wahrscheinlich keine belastbare Vor- hersage für zukünftige Risiken. ZIELE DER OPINION Die EIOPA schreibt dort, dass weitere Arbeiten erfor- Die Opinion legt die Erwartungen der EIOPA an die zu- derlich seien, um eine einheitliche Reihe von quan- ständigen nationalen Behörden dar, wie die Integra- titativen Parametern zu definieren, die in Klimawan- tion von Klimawandelszenarien durch Versicherer in delszenarien verwendet werden könnten und die die ihr ORSA unter Anwendung eines risikobasierten und Unternehmen dann gegebenenfalls in ihre ORSA-, Ri- verhältnismäßigen Ansatzes überwacht werden soll: sikomanagement- und Governance-Praktiken überneh- men können. → Die aufsichtliche Konvergenz soll in Europa verbes- sert werden. Im April 2021 hat die EIOPA in einer weiteren Opinion, die speziell Klimawandelszenarien im ORSA gewid- → Das vorausschauende Management der Klimawan- met ist (EIOPA, 2021a), ihre Erwartungen konkretisiert, delrisiken soll in der kurzfristigen als auch langfris- © GDV 2023 was Unternehmen bei der Anwendung dieser Szenari- tigen Perspektive gefördert werden. en beachten sollen. Ein expliziter Anwendungsbeginn 7 Vgl. Europäische Kommission (2021a). 6 Vgl. EIOPA (2019). 8 Vgl. Europäische Kommission (2021b).
11 KLIMAWANDELSZENARIEN IM ORSA V ersion 2 . 0 → Die Klimaszenarien der Unternehmen müssen (wei- → Technologische Risiken, z. B., wenn eine weniger kli- ter-) entwickelt werden, wenn neue Methoden ver- maschädliche Technologie eine klimaschädlichere fügbar sind und die Unternehmen Erfahrungen ge- Technologie ersetzt. sammelt haben. → Marktstimmungsrisiken, z. B., wenn sich die Ent- → Die verwendeten Szenarien sollen zu einem gewis- scheidungen von Verbrauchern und Geschäftskun- sen Grad standardisiert sein. Dabei sollen die Konsis- den hin zu weniger klimaschädlichen Produkten und tenz auf dem Markt und die Individualität der ORSAs Dienstleistungen verschieben. ausbalanciert sein. → Reputationsrisiken, z. B. die Schwierigkeit, Kunden, Mitarbeiter, Geschäftspartner und Investoren zu ge- KLIMAWANDELRISIKEN IN DER KURZ- UND winnen und zu halten, wenn ein Unternehmen im LANGFRISTPERSPEKTIVE Ruf steht, das Klima zu schädigen. Die Risiken sollen in der Kurzfristperspektive betrach- Physische Risiken sind Risiken, die sich aus den phy- tet werden. Dabei sollen nicht nur physische Risiken sischen Auswirkungen des Klimawandels ergeben. Sie (z. B. wegen Häufigkeit, Stärke und Verteilung von Ex- umfassen: tremwetterereignissen), sondern auch Transitionsri- siken (z. B. wegen Einführung einer CO2-Steuer oder → Akute physische Risiken, die sich aus bestimmten technologischer Neuerungen) betrachtet werden. Ereignissen ergeben, insbesondere wetterbeding- ten Ereignissen wie Stürmen, Überschwemmungen, In der Langfristperspektive sollen Szenarien für die Bränden oder Hitzewellen, die Produktionsanlagen strategische Planung und Geschäftsstrategie informa- beschädigen und Wertschöpfungsketten unterbre- tiv eingesetzt werden. Dabei könnten strategische Mög- chen können. lichkeiten sowie Herausforderungen im Blickfeld sein (wie z. B. Geschäftsmodell, Risikoprofil, Versicherbar- → Chronische physische Risiken, die sich aus länger- keit, Bezahlbarkeit, Solvenzlage, etc.). fristigen Veränderungen des Klimas ergeben, wie z. B. Temperaturveränderungen, Anstieg des Mee- resspiegels, verringerte Wasserverfügbarkeit, Ver- DEFINITION VON KLIMAWANDELRISIKEN lust der biologischen Vielfalt und Veränderungen der Produktivität von Land und Boden. Klimawandelrisiken/Nachhaltigkeitsrisiken sind keine eigene Risikokategorie, sondern materialisieren sich In Anlage A zu Anhang II zur Delegierten Verordnung über die nachfolgenden bereits bekannten Risikoarten. 2021/213910, die Screening-Kriterien zu den Umweltzie- len Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel Transitionsrisiken sind Risiken, die sich aus dem enthält, werden physische Risiken wie in Tabelle 1 dar- Übergang zu einer kohlenstoffarmen und klimaresis- gestellt klassifiziert (die Klassifizierung ist aber nicht tenten Wirtschaft ergeben. Sie umfassen: abschließend). → Politische Risiken, z. B. als Folge von Energieeffizienz anforderungen, CO2-Preis-Mechanismen oder poli- MATERIALITÄTSBEWERTUNG tischen Maßnahmen zur Förderung einer nachhal- tigen Landnutzung. Die Materialität von Klimawandelrisiken soll durch eine Kombination von qualitativen und quantitativen → Rechtliche Risiken, z. B. das Risiko von Rechtsstrei- Analysen identifiziert werden. Dazu schreibt die EIOPA tigkeiten, wenn negative Auswirkungen auf das Kli- (vgl. Rz. 3.8–3.14 in EIOPA (2021a)): ma nicht vermieden oder minimiert werden oder wenn eine Anpassung an den Klimawandel nicht → Qualitative Analysen können einen Einblick geben zu erfolgt.9 Aufsichtsrisiken wie Marktrisiko, Gegenparteirisiko, 9 Vgl. NGFS (2021). Solche Haftungs- bzw. Prozessrisiken werden teilweise auch als eigene Risikoart verstanden. Insbesondere durch die Möglich- keit der Risikoübertragung durch Haftpflichtversicherungen (wie z. B. Daneben können diese Risiken auch aus direkten Ansprüchen gegen allgemeine Haftpflicht, Berufshaftpflicht oder D&O-Versicherung) sind Versicherer (z. B. aufgrund unzureichender Offenlegung) entstehen. diese Risiken von besonderer Bedeutung für Versicherungsunternehmen. 10 Vgl. Europäische Kommission (2021c).
12 KLIMAWANDELSZENARIEN IM ORSA V ersion 2 . 0 Klassifikation von Klimagefahren durch die EU-Kommission Tabelle 1 · Anlage A zu Anhang II zur Delegierten Verordnung (EU) 2021/2139 TEMPERATUR WIND WASSER FESTSTOFFE Temperaturänderung (Luft, Änderung der Windverhältnisse Änderung der Niederschlags- Küstenerosion Süßwasser, Meerwasser) muster und -arten (Regen, Hagel, Schnee/Eis) Hitzestress Variabilität von Niederschlägen Bodendegradierung Chronisch oder der Hydrologie Temperaturvariabilität Versauerung der Ozeane Bodenerosion Abtauen von Permafrost Salzwasserintrusion Solifluktion Anstieg des Meeresspiegels Wasserknappheit Hitzewelle Zyklon, Hurrikan, Taifun Dürre Lawine Kältewelle/Frost Sturm (einschließlich Schnee-, Starke Niederschläge (Regen, Erdrutsch Staub- und Sandstürme) Hagel, Schnee/Eis) Akut Wald- und Flächenbrände Tornado Hochwasser (Küsten-, Bodenabsenkung Flusshochwasser, pluviales Hochwasser, Grundhochwasser) Überlaufen von Gletscherseen Quelle: Europäische Kommission (2021c) versicherungstechnisches Risiko, operationelles Ri- → Erst eine große Spanne an Szenario-Ergebnissen mit siko, Reputationsrisiko, strategisches Risiko, etc. den verbundenen Risiken und Unsicherheiten er- möglicht dem Management einen hinreichend tie- → Quantitative Analysen können zur Bewertung des fen Einblick für Entscheidungen und Maßnahmen. Exposures von Kapitalanlage- und Versicherungs- portfolien in Bezug auf Transitionsrisiken und phy- → Die Unsicherheit nimmt bei einem langen Model- sische Risiken als integrale Bestandteile der bekann- lierungs-Zeithorizont zu (getrieben durch externe ten Risikoarten genutzt werden. Faktoren wie Demografie, ökonomische Entwick- lung, Politik zu CO2-Emissionen, technischer Wan- → Bei den Analysen sollen künftige Auswirkungen des del, Marktstimmung, etc.) und ergibt eine Vielzahl Klimawandels berücksichtigt werden. an denkbaren, künftigen Zuständen. → Rückversicherungsschutz physischer Risiken ist laut → Mindestens zwei langfristige Szenarien sollten ge- der EIOPA kein Grund für deren Nicht-Materialität. rechnet werden: → Bei Nicht-Materialität von Risiken muss eine Erklä- • Ein Klimawandelszenario, bei dem der globa- rung für die Gründe angegeben werden. le Temperaturanstieg unter 2 °C bleibt, vorzugs- weise nicht mehr als 1,5 °C, im Einklang mit den Anhaltspunkte wie die Materialitätsbewertung erfolgen Verpflichtungen der EU (und Deutschlands);11 könnte, werden in Abschnitt 3.5 gegeben. • ein Klimawandelszenario, bei dem der globale Temperaturanstieg 2 °C übersteigt. UMFANG DER KLIMAWANDELRISIKEN → Das Ziel ist, die Robustheit der Geschäftsstrategie unter möglichst vielen verschiedenen Bedingungen Materielle Risiken sollen – wo angemessen – anhand ei- zu bewerten. ner hinreichend breiten Spannbreite an kurz- und lang- © GDV 2023 fristigen Szenarien bewertet werden (vgl. Rz. 3.15–3.21 in EIOPA (2021a): 11 Mit der umgangssprachlichen Formulierung eines Temperaturan- stiegs um x Grad Celsius ist ein Anstieg um x Kelvin gemeint.
13 KLIMAWANDELSZENARIEN IM ORSA V ersion 2 . 0 PROJEKTIONEN DER BILANZ • Kurzfristiger Klimawandel: Ausblick auf die nächsten 5 bis 10 Jahre Generell stellt die EIOPA in der Opinion (in Rz 3.23) ihre • Mittelfristiger Klimawandel: Ausblick auf die Erwartung klar, dass bei der Darstellung der Bilanz, der nächsten 30 Jahre Solvenzkapitalanforderung und des Gesamtsolvabili- • Langfristiger Klimawandel: Ausblick auf tätsbedarfs bei einem kurzfristigen Zeithorizont ein ho- die nächsten 80 Jahre (bis zum Ende des hes Maß an Genauigkeit gegeben sein muss. Hingegen Jahrhunderts) darf, je länger der Zeithorizont ist, die Projektion der Bilanz desto ungenauer ausfallen (Rz. 3.22). Die aktuellen Hinweise12 zum Solvency-II-Berichtswe- sen der BaFin, die am 26. September 2022 veröffentlicht Für einen (sehr) kurzfristigen Betrachtungszeitraum wurden, legen unter anderem die Erwartungshaltung gilt, dass Unternehmen die aktuelle Bilanz generell als der BaFin zur Anwendung von Klimawandelszenari- Grundlage für ihre Analyse heranziehen können und en einschließlich des Zeithorizonts der Szenarien dar: keine Projektion der Bilanz vornehmen müssen. Für an- dere, auch langfristige Zeithorizonte erlaubt die EIOPA „Im ORSA-Bericht sind Klimaänderungsrisiken explizit die Verwendung der aktuellen Bilanz als Vereinfachung zu adressieren, zumindest, wenn sie materiell für das und stellt dies als Möglichkeit dar, Mehrperiodigkeit zu Unternehmen sind. In diesem Fall ist auf die kurz- und vermeiden (Rz. 5.14–5.15). langfristige Perspektive (5–10 bzw. 15–30 Jahre) für das Unternehmen einzugehen.“ Als weitere denkbare Variante beschreibt die EIOPA eine teilweise Projektion der Bilanz, um nicht die kom- Dabei ist zu beachten, dass der von der BaFin genann- plette Bilanz fortschreiben zu müssen und dennoch te Zeithorizont kürzer ist als der von der EIOPA in ih- den langfristigen Charakter der Klimawandelszena- rer Opinion geforderte. rien zu bewahren. Beispielsweise könnte so die Scha- denentwicklung für verschiedene Naturgefahren oder Konkret heißt das, dass es Unternehmen in Deutsch- Regionen projiziert werden, oder die Aktivseite der Bi- land derzeit erlaubt ist, eine andere Wahl für den lang- lanz könnte isoliert betrachtet werden, um Auswirkun- fristigen Zeithorizont zu treffen als in der EIOPA-Opi- gen der Transitionsrisiken auf das Kapitalanlageport- nion (EIOPA, 2021a) genannt. Damit könnte sich auch folio im Zeitverlauf zu bewerten (Rz. 5.16). eine gewisse, dazu konsistente, Verschiebung der an- deren zeitlichen Perspektiven ergeben. Die EIOPA schreibt, dass die komplette Projektion der Bilanz einige Vorteile wie die Gewährleistung der inter- Auch die Beispiele in der Guidance der EIOPA (EIOPA, nen Konsistenz und die Kompatibilität von Maßnah- 2022a) orientieren sich eher an dem kurzfristigen oder men hätte, dennoch könne es nicht das Ziel sein, alle mittelfristigen Zeithorizont. einzelnen Bilanzbestandteile im Detail in die Zukunft fortzuschreiben, sondern sich vor allem auf die für die Wie ein möglicher Umgang mit den unterschiedlichen Analyse wichtigen Bestandteile zu fokussieren. Als Bei- Zeithorizonten in der praktischen Anwendung ausse- spiele nennt die EIOPA die Berücksichtigung des Neu- hen könnte, wird in Kapitel 3 dargestellt. geschäfts in der Projektion der Verbindlichkeiten und die Antizipation eines Anstiegs des SCR für gezeichne- te Risiken (Rz. 5.17–5.18). (WEITER-) ENTWICKLUNG DER KLIMAWANDELANALYSEN ZEITHORIZONT Die EIOPA und die BaFin erwarten eine (Weiter-) entwicklung der Szenarien bei Umfang, Tiefe und Die EIOPA stellt in ihrer Opinion (Rz. 3.3) klar, dass der Methoden: Zeithorizont für die Bewertung der langfristigen Kli- mawandelrisiken anhand der Szenarioanalysen länger → Zunächst kann der Fokus auf Haupttreiber und ausfallen könnte als der übliche Zeithorizont im ORSA. What-If-Analysen gelegt werden, um Langfrist-Sze- Sie definiert den Zeithorizont für die Betrachtung des narien zu vereinfachen. Klimawandels im ORSA folgendermaßen: • Aktueller Klimawandel: Bisherige Aufzeichnun- gen der Auswirkungen 12 Vgl. BaFin (2022).
14 KLIMAWANDELSZENARIEN IM ORSA V ersion 2 . 0 → Unternehmen sollen Expertise und Kapazitäten Stufe des evolutionären Prozesses die vertiefte Ausei- (weiter-) entwickeln. nandersetzung z. B. mit dem gravierenderen Tempe- raturanstiegsszenario begonnen werden (globaler An- → Heutige Szenarien enthalten (noch) nicht alle rele- stieg der Temperatur um mehr als 2 °C). Ein zweites An- vanten Informationen Transitions- und physischen stiegsszenario (z. B. mit begrenztem Anstieg von 1,5 °C) Risiken. könnte mit einer Abweichungsanalyse im Vergleich zu dem ersten Szenario untersucht werden. → Wenn langfristige, multi-periodische Szenarien ge- rechnet werden, entstehen neue Herausforderungen. LOW-RISK PROFILE UNTERTAKINGS → Systematische Verbesserungen der Analysen sind das Ziel. Wie bereits oben erwähnt, schlägt die EU-Kommission im Rahmen der Überprüfung von Solvency II vor, dass Ein wichtiges Anliegen für die Aufsicht ist, dass die Ver- ein neuer Artikel über die Analyse von Klimawandel sicherungsunternehmen die Analyse der Klimawandel- szenarien in die Solvency-II-Richtlinie eingefügt wer- risiken weiterentwickeln oder – sofern noch nicht ge- den soll, wonach die Versicherer künftig jede wesentli- schehen – umgehend mit der Auseinandersetzung be- che Exponierung gegenüber Risiken des Klimawandels züglich der Klimawandelrisiken beginnen. Auch wenn ermitteln und ggf. mit mindestens zwei langfristigen beispielsweise die Daten und Methoden den Unterneh- Klimaszenarien die Auswirkungen auf ihr Geschäft be- men in der eigentlich erforderlichen Granularität und werten müssen. Versicherer, die als Unternehmen mit Qualität noch nicht vorliegen, so ist es ausdrücklich von schwachem Risikoprofil – sogenannte Low-Risk Profile der Aufsicht erwünscht, mit der vorhandenen Grundla- Undertakings (LRPU) – eingestuft werden, sollen laut ge zu starten. Dafür könnten auch neue Wege erforder- dem Vorschlag von der Szenarioanalyse befreit sein, lich sein und z. B. einfachere Annahmen und Methoden aber nicht von der Materialitätsüberprüfung. Eine De- als sonst üblich verwendet oder im Bereich der Kapital- finition, welche Unternehmen künftig als LRPU gelten anlage auf öffentlich bekannte Ergebnisse/Tools großer sollen, ist ebenfalls in den Vorschlägen der EU-Kom- Vermögensverwalter, Indexanbieter usw. zurückgegrif- mission enthalten. Inwieweit die Neuregelungen der fen werden. Ein Abwarten, bis die erwünschte Daten- Solvency-II-Richtlinie am Ende den Vorschlägen der basis vorhanden bzw. so weit fortgeschritten ist, dass EU-Kommission entsprechen werden, steht derzeit al- Unternehmen diese Risiken genauso akkurat wie z. B. lerdings noch nicht fest. ihre versicherungstechnischen Risiken bewerten kön- nen, lehnt die BaFin ab. Die Unternehmen sollen da- Die BaFin schreibt zu diesem Aspekt in ihren aktuellen gegen schon jetzt die vorhandenen Daten/Annahmen Hinweisen zum Solvency-II-Berichtswesen, dass Unter- (aus externen Quellen etc.) nutzen, um diese Risiken so nehmen mit schwachem Risikoprofil, sofern sie mate- gut wie möglich und für sie angemessen zu bewerten. riellen Klimawandelrisiken ausgesetzt sind, zumindest angeben müssten, inwieweit sie Klimarisiken gegen- Die Aufsicht betont die Wichtigkeit und Notwendig- über exponiert seien. Außerdem müssten sie angeben, keit der (quantitativen) Analysen gerade im Bereich welche klimaänderungsbedingten mittelfristigen Aus- von langfristigen Szenarien, für Unternehmen ohne Er- wirkungen sie für ihre künftige Schadenentwicklung, fahrungen in dem Bereich würden jedoch qualitative ihren Kapitalbedarf und ihre Kapitalanlagen erwarten Analysen zunächst genügen. Die qualitativen Analysen und wie sie hierauf reagieren würden. können als Annäherung und Herantasten an das The- ma genutzt werden und den Boden für quantitative An- sätze bereiten. Die Aufsicht erwartet mit gewonnener Expertise systematische Verbesserungen der Analysen. Der evolutionäre Ansatz bezieht sich auf die für die Analysen genutzten Daten und Modelle, aber auch auf die Bandbreite der Annahmen für die Szenarien. Eine Erweiterung bzw. Vertiefung verschiedener Aspekte © GDV 2023 sollte bei der Weiterentwicklung der Szenarien berück- sichtigt werden (weitere Nachhaltigkeitsrisiken, Politik, Makro- und Mikroaspekte in der Ökonomie, Geschäfts- ausrichtung/-modell usw.). Auch könnte in einer ersten
15 KLIMAWANDELSZENARIEN IM ORSA V ersion 2 . 0 2. Szenarien und Modelle Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Verlauf des möglich. Jedes Versicherungsunternehmen kann menschengemachten Klimawandels sind äußerst um- – mit Blick auf das individuelle Risikoprofil – den eige- fangreich und wachsen stetig an. Auch in Bezug auf nen Analysen stattdessen auch andere valide Quellen Analysen, die sozioökonomische Folgen des Klimawan- zugrunde legen oder ergänzend heranziehen. dels und der Maßnahmen zu seiner Eindämmung ein- beziehen, wächst die Literatur laufend an und die Mo- delle entwickeln sich weiter. 2.1 Klimawandelszenarien des NGFS Dementsprechend macht die EIOPA in ihrer "Opini- Im 2017 gegründeten Network for Greening the Fi- on on the supervision of the use of climate change risk nancial System (NGFS) haben sich weltweit Zentral- scenarios in ORSA"13 auch keine Vorgaben zur Nutzung banken und Aufsichtsbehörden zusammengeschlossen, oder Berücksichtigung bestimmter Klimawandelsze- um zum Erreichen der Ziele des Pariser Klimaabkom- narien. Für Versicherungsunternehmen gibt es in der mens beizutragen. Dazu soll die Rolle des Finanzsys- praktischen Umsetzung vielfältige Möglichkeiten, sich tems beim Risikomanagement und bei der Mobilisie- dem Thema zu nähern. rung von Kapital für grüne und kohlenstoffarme Inves- titionen im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung Die Projektgruppe des Verbandes hat sich im Vorfeld gestärkt werden. Zu diesem Zweck definiert und för- mit einer Vielzahl verschiedenen Quellen auseinan- dert das NGFS Best Practices, die sowohl innerhalb als dergesetzt.14 Dabei wurden sowohl wissenschaftliche auch außerhalb der Mitgliedschaft des NGFS umgesetzt Veröffentlichungen als auch Studien aus der interna- werden sollen, und führt Analysen zu Green Finance tionalen aufsichtlichen Praxis (u. a. Bank of England, durch. Derzeit hat das NGFS 121 Mitglieder aus allen De Nederlandsche Bank) berücksichtigt. Kontinenten sowie 19 internationale Organisationen als Beobachter.17 In Deutschland sind Bundesbank und Für das vorliegende Papier wurden die Arbeiten des BaFin Mitglied des NGFS, auf der europäischen Ebene „Network for Greening the Financial System“ (NGFS)15 als gehören EZB, EBA, EIOPA und ESMA dazu.18 Ausgangsbasis gewählt. Für diese Entscheidung spricht, dass das NGFS konkrete, gut geeignet erscheinende Kli- mawandelszenarien entwickelt hat und die entspre- 2.1.1 Grundlegendes zu den Szenarien chenden Daten mit dem NGFS Scenario Explorer und dem Climate Impact Explorer frei zugänglich macht.16 Um einen gemeinsamen Referenzrahmen für die Un- Dass das NGFS die für die Versicherungswirtschaft ein- tersuchung der Auswirkungen des Klimawandels und schlägigen Aufsichtsbehörden wie die BaFin und die der Klimapolitik zu bieten, stellt das NGFS einen Satz EIOPA umfasst, stellt zudem sicher, dass die – zu ähn- von sechs Klimaszenarien zur Verfügung.19 Die Sze- lichen Zwecken wie dem ORSA entwickelten – Szena- narien umfassen nicht nur Projektionen zu Temperatu- rien aufsichtlichen Ansprüchen genügen sollten. ren, Emissionen und Politikmaßnahmen, sondern auch Diese Entscheidung der Projektgruppe ist aber keine 17 Das Sekretariat des NGFS ist bei der Banque Festlegung in dem Sinn, dass dies die einzig mögliche de France in Paris angesiedelt. oder sinnvolle Auswahl wäre. Eine Festlegung dieser 18 Das starke Commitment der deutschen und europäischen Auf- Art ist nicht gewollt und im Allgemeinen auch nicht sichtsbehörden zur Arbeit des NGFS zeigt sich u. a. darin, dass mit Sabine Mauderer ein Vorstandsmitglied der Bundesbank derzeit den stellvertretenden Vorsitz des NGFS inne hat und 2024 den 13 Vgl. EIOPA (2021a). NGFS-Vorsitz übernehmen wird. Der für die Klimawandelszenarien 14 Siehe separate Materialsammlung (Stand von einschlägige Workstream „Scenario Design and Analysis“ des Februar 2022, nicht fortgeführt). NGFS wird von der Generaldirektorin „Makroprudenzielle Politik 15 Vgl. NGFS (2022b). und Finanzstabilität“ der EZB, Cornelia Holthausen, geleitet. 16 Eine Erläuterung des Zusammenhangs zwischen NGFS-Szenarien 19 Grundlegendes zur Szenarioanalyse der Auswirkungen des Klimawan- und Climate-Impact-Explorer-Daten ist in NGFS (2022a) zu finden. dels auf Finanzsystem und Finanzinstitutionen findet sich in NGFS (2020).
16 KLIMAWANDELSZENARIEN IM ORSA V ersion 2 . 0 zum Energiesektor, zur Landnutzung und zu makroöko- NGFS-Szenarien nomischen und finanziellen Größen. Unter den jewei- Abbildung 1 · Einordnung der sechs NGFS-Szenarien anhand der ligen Szenarioannahmen werden dafür in sich stimmi- mit ihnen verbundenen physischen Risiken und Transitionsrisiken ge Projektionen mit Hilfe eines Integrated Assessment Models (IAM) erzeugt. Dabei stehen drei verschiedene High Disorderly Too little, too late IAMs zur Verfügung, sodass zu jedem Klimaszenario drei unterschiedliche Varianten zur Auswahl stehen.20 Im September 2022 wurde vom NGFS nach 2020 und Divergent Net Zero 2021 bereits die dritte Generation des Szenarien- (1.5 °C) Delayed satzes mitsamt den aus Sicht des NGFS wichtigsten transition Transition risks Ergebnissen veröffentlicht.21 Als aktualisierter Start- punkt für die Szenarien dient nun der Blick des Interna- tionalen Währungsfonds (IWF) auf die Weltwirtschaft vom Oktober 2021.22 Dies bedeutet, dass zwar die Co- Net Zero 2050 vid-19-Pandemie und die damit im Zusammenhang (1.5 °C) Below stehenden Lieferkettenprobleme, nicht aber die Fol- 2 °C gen des Kriegs Russlands in der Ukraine berücksich- NDCs Current tigt sind (das betrifft insbesondere die jüngsten Ent- policies wicklungen im Energiesektor und bei der Inflation, die Low zwar schon 2021 begonnen, sich 2022 aber massiv ver- Orderly Hot house world stärkt haben).23 Low Physical risks High Gegenüber der Vorgängergeneration wurden nicht nur Quelle: NGFS (2022a), S. 4 einige Daten und Annahmen aktualisiert, sondern auch die Modellierung weiterentwickelt. Sämtliche Ausfüh- rungen im vorliegenden Dokument beziehen sich auf dient dabei vereinfachend als Maß für die Intensität die aktuelle dritte Generation der NGFS-Szenarien.24 der gesamten klimapolitischen Maßnahmen.27 In der Realität setzen Regierungen dagegen viele verschie- Grundsätzlich sind verschiedene künftige sozioöko- dene fiskalische und regulatorische Instrumente ein, nomische Entwicklungen denkbar. Die NGFS-Szenari- die mit unterschiedlichen Kosten und Nutzen verbun- en beruhen sämtlich auf denselben Grundannahmen den sind.28 zu den wichtigsten sozioökonomischen Faktoren, wie z. B. einer harmonisierten Entwicklung der Bevölke- Die einzelnen Szenarien stellen verschiedene denkba- rung, der generellen wirtschaftlichen Entwicklung so- re Entwicklungen dar, die mit einem sehr unterschied- wie der Nahrungsmittel- und Energienachfrage.25 Die- lichen Ausmaß von physischen und Transitionsrisi- se sozioökonomischen Annahmen sind dem (in diesem ken verbunden sind (siehe Abbildung 1). Zugleich sind Zusammenhang üblichen) gemeinsamen sozioökono- die Szenarien auch auf unterschiedliche Art und Wei- mischen Pfad SSP226 des Intergovernmental Panel on se definiert.29 Climate Change (IPCC) entnommen. In den einzelnen Klimaszenarien wird jeweils die Ent- 27 Vgl. NGFS (2022b), S. 27 und NGFS (2022a), S. 77. wicklung des CO2-Preises bestimmt. Dieser CO2-Preis 28 In den NGFS-Szenarien besteht eine Abhängigkeit der Ergebnisse von der unterstellten Verwendung der staatlichen Einnahmen aus dem CO2-Preis. Wenn diese Einnahmen für Investitionen verwendet 20 Siehe dazu Abschnitt 2.4. werden, steigert dies die künftige Wirtschaftsleistung. Wenn die 21 Der Foliensatz NGFS (2022b) bietet einen High-Level-Überblick Einnahmen stattdessen (z. B. durch rückgeführte Staatsschulden, über die aktuellen Szenarien, ihre Weiterentwicklung und wesent- gesenkte Steuern oder erhöhte Transfers) an die Wirtschaftssubjekte liche Ergebnisse zu Transitions- und physischen Risiken. Als zurückgegeben werden und zumindest teilweise nicht in Investitionen, ausführliche technische Dokumentation der Szenarien, Modelle sondern in den Konsum fließen, kann sich im Vergleich eine deutlich und Daten samt weiterer Quellenverweise dient NGFS (2022a). geringere künftige Wirtschaftsleistung als im ersten Fall ergeben. © GDV 2023 22 Vgl. NGFS (2022a), S. 5 sowie IMF (2021). In den im Folgenden näher beschriebenen Szenarien wird jeweils 23 Speziell zu dieser Problematik siehe NGFS (2022c), S. 4. eine Rückgabe der Einnahmen aus dem CO2-Preis an die Haushalte 24 Version 1.0 und 1.1 dieses Papiers haben auf der zweiten Generation unterstellt. Unter Gesichtspunkten der sozialen Gerechtigkeit und der NGFS-Szenarien beruht, die 2021 veröffentlicht wurde. politischen Durchsetzbarkeit scheint eine (teilweise) Kompensation der 25 Vgl. NGFS (2022a), S. 4. Haushalte aus deutscher Sicht auch eine plausible Annahme zu sein. 26 Vgl. z. B. Kriegler et al. (2012) oder O’Neill et al. (2017). 29 Vgl. NGFS (2022a), S. 16–19.
17 KLIMAWANDELSZENARIEN IM ORSA V ersion 2 . 0 2.1.2 Szenariodefinitionen → Net Zero 2050 (1,5 °C): Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs bis 2100 auf 1,5 °C (mit gerin- Zwei der sechs Szenarien beruhen auf der Annahme be- ger zwischenzeitlicher Überschreitung) mit einer stimmter Politikmaßnahmen, aus denen sich die Ver- Wahrscheinlichkeit von 50 % (im Einklang mit den läufe von Treibhausgasemissionen und Temperaturen Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen), ergeben. Da die Maßnahmen zur Begrenzung des Kli- daraus ergibt sich im Median ein Anstieg bis 2100 mawandels in diesen beiden Szenarien nicht ausrei- um 1,3–1,5 °C mit einem zuvor erreichten, um 0,2 °C chen, führen sie zu einer „Hot House World“, die mit höher liegenden Peak. den größten physischen Risiken verbunden ist: Nahezu dieselben Begrenzungen des Temperaturan- → Current Policies: Bloße Fortführung der bereits gel- stiegs werden in zwei weiteren Szenarien auf einem tenden Klimaschutzmaßnahmen ohne Erhöhung deutlich kostspieligeren Weg erreicht, bei dem unter- des Ambitionsniveaus (keine zusätzlichen oder stellt wird, dass die Maßnahmen erst spät ergriffen wer- verschärften Maßnahmen), daraus ergibt sich im den oder einzelne volkswirtschaftliche Sektoren und Median ein globaler Temperaturanstieg bis 2100 um Technologien34 nicht optimal einbeziehen. Insgesamt 3,1–3,2 °C (je nach IAM)30 mit anschließend unge- müssen die Politikmaßnahmen daher umso gravieren- bremst weiter steigenden Temperaturen.31 der ausfallen, um am Ende trotzdem die angenomme- nen Temperaturziele zu erreichen. Dementsprechend → Nationally determined Contributions (NDCs): sind in diesen beiden, als „Disorderly“ bezeichneten, Erreichen der bereits zugesagten nationalen Ziele32 Szenarien die Transitionsrisiken am größten: für Emissionsreduktionen bis 2025 und 2030, da- nach weitere Reduktionen mit einem vergleichbaren → Delayed Transition: Begrenzung des globalen Tem- Ambitionsniveau (Annahmen sind mit starker Unsi- peraturanstiegs bis 2100 auf 2 °C (abweichend vom cherheit behaftet), daraus ergibt sich im Median ein Below 2 °C-Szenario allerdings mit zwischenzeitli- globaler Temperaturanstieg bis 2100 um 2,3–2,6 °C cher Überschreitung,) mit einer Wahrscheinlichkeit mit anschließend weiter steigenden Temperaturen. von 67 %, daraus ergibt sich im Median ein Anstieg bis 2100 um 1,4–1,6 °C mit einem zuvor erreichten, Die übrigen Szenarien beruhen stattdessen auf be- um 0,1–0,3 °C höher liegenden Peak. stimmten Annahmen zur Temperatur, aus denen dazu passende Verläufe der Emissionen und schließlich des Besonderheit: Bis 2030 keine zusätzlichen Maß- dafür nötigen – deutlich ambitionierteren – Ausmaßes nahmen (Entwicklung wie in Current Policies), der Politikmaßnahmen (zusammengefasst im CO2- ab 2030 zuvor nicht-antizipierte verschärfte Preis) abgeleitet werden. Klimaschutzpolitik. Dabei wird in zwei dieser Szenarien der im Rahmen → Divergent Net Zero (1,5 °C): Begrenzung des globa- der Modell-Annahmen33 jeweils kostengünstigste Weg len Temperaturanstiegs bis 2100 auf 1,5 °C (mit ge- zur Einhaltung des vorgegebenen Temperaturan- ringer zwischenzeitlicher Überschreitung) mit einer stiegs unterstellt. Diese beiden Szenarien werden als Wahrscheinlichkeit von 50 % (im Einklang mit den „Orderly“-Szenarien bezeichnet: 34 In beiden Disorderly-Szenarien wird zunächst nur eine niedrige Verfüg- → Below 2 °C: Begrenzung des globalen Temperaturan- barkeit von Verfahren zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre (Car- bon Dioxid Removal, CDR) unterstellt. Dabei handelt es sich insbeson- stiegs bis 2100 auf 2 °C (ohne zwischenzeitliche Über- dere um Aufforstung und um Kohlenstoffabscheidung und -speicherung schreitung) mit einer Wahrscheinlichkeit von 67 %, (Carbon Capture and Storage, CCS) bei der Nutzung von Bioenergie. In daraus ergibt sich im Median ein Anstieg bis 2100 um den beiden Orderly-Szenarien wird dagegen eine mittlere Verfügbarkeit von CDR-Verfahren unterstellt. Negative Emissionen aus CDR-Verfahren 1,5–1,7 °C mit einem zuvor erreichten, um 0,1–0,2 °C ermöglichen es, verbleibende Emissionen (z. B. aus der Landwirtschaft höher liegenden Peak. oder aus in der Transition noch zurückliegenden Ländern) auszugleichen und dadurch Netto-Null-Ziele zu erreichen. Anschließend ermöglichen 30 Zu den Integrated Assessment Models (IAMs) siehe Abschnitt 2.4. sie eine langsame Reduzierung der CO2-Konzentration in der Atmo- 31 Mit der umgangssprachlichen Formulierung eines Temperaturanstiegs sphäre, die eine notwendige – aufgrund von Rückkoppelungseffekten um x Grad Celsius ist im Folgenden jeweils ein Anstieg um x Kelvin und Kipppunkten aber womöglich nicht ausreichende – Voraussetzung gegenüber dem Niveau der Referenzperiode 1850–1900 gemeint. für ein Wiederabsinken der Temperaturen ist. Allerdings ist vor allem 32 Grundsätzlich berücksichtigt sind die bis Ende März 2022 vom beim Thema Aufforstung fraglich, wie groß ihr Beitrag im Sinne einer UNFCCC-Sekretariat (United Nations Framework Convention on rasch und dauerhaft wirkenden Kohlenstoffsenke in der Realität sein Climate Change) in Bonn veröffentlichten nationalen Beiträge. Es kann. Dementsprechend werden in der dritten Generation der NGFS-Sze- gibt allerdings gewisse Abweichungen zwischen den IAMs. narien auch generell kleinere Beiträge zur Nettoemissionsminderung 33 Zu den Annahmen gehört in allen Szenarien, dass sich die Anstren- durch CDR angenommen. Insbesondere das Delayed-Transition-Szenario gungen zur Dekarbonisierung international unterscheiden. weist gleichwohl ab 2070 spürbar negative Nettoemissionen auf.
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