"Unser Dorf hat Zukunft" - 50 Jahre Dorfwettbewerb 1961-2011 - Bundesministerium für Ernährung ...
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Inhalt Vorworte Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 4 Karl Zwermann, Präsident der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V. 5 1. Unser Dorf soll schöner werden – Unser Dorf hat Zukunft Der Dorfwettbewerb als Teil der ländlichen Entwicklung 8 Dorfwettbewerb und Dorferneuerung haben gemeinsame Vorfahren 10 2. 50 Jahre Dorfwettbewerb Dorfverschönerung vor 1961 14 Dorfwettbewerb in der ehemaligen DDR 15 2.1 Die Grüne Charta von der Mainau Vom germanischen Landschaftsraum zu bäuerlicher Kulturlandschaft Idee und Zielsetzung der Grünen Charta von der Mainau 16 2.2 Unser Dorf soll schöner werden Wie sah das Leben auf dem Land damals aus? 18 Planung und Ästhetik – das erste Jahrzehnt 21 2.3 Die Rahmenbedingungen ändern sich Der Wettbewerb der Jahre 1975 bis 1984 in Niedersachsen 24 Dörfer in Baden-Württemberg 28 Wir in Klein Meckelsen – Zweimaliges Golddorf lüftet das Geheimnis seines Erfolges 30 Wir in Lieberhausen – Eine große Erfolgsgeschichte für ein kleines Dorf 32 2.4 Der Wettbewerb erhält Zuwachs Landeswettbewerb in Sachsen 34 Landeswettbewerb in Sachsen-Anhalt 36 Wir in Rieth 38 Wir in Bertsdorf-Hörnitz 39 2.5 Träger, Initiatoren, Berater Der Bürgerwettbewerb – Chance für Bayerns Dörfer 40 Die Schule der Dorf- und Landentwicklung Thierhaupten 44 Das Zentrum für Ländliche Entwicklung Nordrhein-Westfalen 46 2.6 Die Bewertungskommissionen Organisation und Aufgaben 48 1976: Vortrag zum Abschluss des Bundeswettbewerbs in Bayern 50 2.7 Unser Dorf hat Zukunft Anpassung an neue Herausforderungen 52 Erfolgreich gemeinsam Handeln – eine Arbeitshilfe zur Selbstbewertung dörflicher Aktivitäten 55 Wir in Gersbach – Dorfentwicklung für die Zukunft 58 Wir in Latrop – Vom Waldarbeiterdorf zum Ferienort 60 2.8 Der Blick nach Europa Entente Florale Europe 62 Der Europäische Dorferneuerungspreis 64 3. Zukunft des Dorfwettbewerbs Wie verändert sich der ländliche Raum? 68 Vom schöner finden zum besser sein 72 Wir in Banzkow – Strukturen für die Zukunft schaffen 74 Wir in Brokeloh – Eine Zukunft für unser Dorf 76 4. Anhang Die Grüne Charta von der Mainau 80 Ausschreibung des 1. Bundeswettbewerbs 1960/1961 82 Ausschreibung des 24. Bundeswettbewerbs 2011/2013 84 Teilnehmerzahlen 1961 bis 2010 90 Weitere Informationen zum Bundeswettbewerb und den Landeswettbewerben 90
Vorwort Sehr geehrte Leserinnen und Leser, der Dorfwettbewerb feiert in diesem Jahr sein verbessert werden kann. Wirtschaft, Infrastruktur 50jähriges Bestehen und ist ein fester Bestandteil und Baugestaltung stehen ebenso im Mittelpunkt, ländlicher Entwicklung. Seit 1961 engagieren sich wie die Grüngestaltung und das soziale wie kultu- die Bürgerinnen und Bürger mit großer Begeiste- relle Umfeld. Denn für das Leben auf dem Lande rung für die Verschönerung ihrer Heimat. Be- ist die Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen, Kinder- gonnen unter dem Titel „Unser Dorf soll schöner gärten und Schulen sowie das Angebot für Kultur werden“ in der Bundesrepublik und in der ehema- und Freizeit von ebenso großer Bedeutung, wie ligen Deutschen Demokratischen Republik bekannt eine schöne Dorfmitte und attraktive Landschaften. als „Schöner unsere Städte und Gemeinden – Mach mit“ hat sich der Wettbewerb unter dem aktuellen Ausgehend von einer Rückschau auf die erfolgrei- Motto „Unser Dorf hat Zukunft“ zu einem Wett- che Geschichte sollen mit dieser Broschüre neue streit um die besten Ideen für attraktive Dörfer als Impulse für die Zukunft des Dorfwettbewerbs Wohn-, Erholungs- und Arbeitsstätte gewandelt. gesetzt werden. Gemeinsam mit den Ländern und mitwirkenden Verbänden werden wir den Bundes- 2011 ist das europäische Jahr der Freiwilligkeit. wettbewerb fortführen und an die Herausforderun- Der Dorfwettbewerb stellt ein imposantes Beispiel gen der nächsten Jahrzehnte anpassen. dar, was freiwilliges Bürgerengagement bewegen kann. Mit über 104.000 teilnehmenden Dörfern im Den vielen unermüdlichen freiwilligen Helfern, Laufe der letzten fünf Jahrzehnte in ganz Deutsch- Verantwortlichen und Akteuren, die am Bundes- land schreibt der Wettbewerb eine Erfolgsgeschich- wettbewerb mitgewirkt haben und sich auch in te und ist einer der größten Bürgerbewegungen Zukunft einbringen, gilt mein besonderer Dank. in Europa. Er hat mit dazu beigetragen, die Dörfer lebendig und lebenswert zu erhalten sowie den Herausforderungen der ländlichen Räume zu Ihre begegnen. Auch in Zukunft können unsere Dörfer nur mit dem Engagement seiner Bewohner gestaltet werden. Deshalb soll der Bundeswettbewerb die Menschen motivieren, ihre Zukunftsperspektiven zu bestimmen und aktiv an der Verbesserung der Ilse Aigner Lebensqualität auf dem Lande mitzuwirken. Ge- Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft fragt sind Ideen, wie das Antlitz des eigenen Dorfes und Verbraucherschutz 4
Vorwort Sehr geehrte Leserinnen und Leser, es waren schon zwei Sternstunden im Leben der vielen Menschen, die in den 50 Jahren den Wettbe- jungen Bundesrepublik Deutschland, die im Jahre werb als Jurymitglieder ehrenamtlich begleitet und 1961 von der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft fachlich bewertet haben, möchte ich von ganzem 1822 e.V. ausgingen und die bleibende Verdienste Herzen meinen besonderen Dank aussprechen. für die Entwicklung unseres Gemeinwesens bis heu- te erbringen. Dieses 50jährige Wettbewerbsjubiläum führt uns die Zukunft unserer Dörfer vor Augen. Das großar- Graf Lennart Bernadotte hat als Präsident der Deut- tige Erbe auch in unsere Zeit erfolgreich weiter zu schen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V. die ‚Grüne tragen, ist Aufgabe und Herausforderung zugleich. Charta von der Mainau‘ als erstes ‚Umwelt-Credo‘ aus den Mainauer Rundgesprächen konzipiert und Wecken wir die Begeisterung für das ehrenamt- mit dem Bundeswettbewerb „Unser Dorf soll schö- liche Engagement in den Herzen und Köpfen ner werden“ gestartet. unserer Menschen, dann wird „Unser Dorf eine gute Zukunft“ haben. Wir, die Deutsche Gartenbau- In einer Zeit der raschen wirtschaftlichen und Gesellschaft 1822 e.V. wollen helfen, den Samen gesellschaftlichen Veränderungen in unserem Land dafür auszubringen. sind wir den beherzten Frauen und Männern von damals besonders dankbar für ihre weitsichtigen Ideen und deren Verwirklichung. Das Wunderbare am Wettbewerb ist die Begeisterung der ehren- amtlich wirkenden Menschen in den Dörfern. Die dörfliche Gemeinschaft beflügelt den Wettbewerb in all den Jahren und sie entwickelt eine erstaun- Ihr liche Dynamik. Stolz und dankbar sein kann man auf das Geschaffene für Heimat und Umwelt durch die enge Zusammenarbeit von Vereinen und Ver- waltung. Als Präsident der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V. im 50. Jahr des Wettbewerbs blicke ich in Dankbarkeit zurück auf die vielen Millionen en- Karl Zwermann gagierten Menschen in unserem Land, die sich um Präsident der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft ihr Dorf verdient gemacht haben. Aber auch den 1822 e.V. 5
Unser Dorf soll schöner werden – Unser Dorf hat Zukunft Von Anfang an war der Dorfwettbewerb bedeutender Teil der ländlichen Entwicklung. Das Wettbewerbsgeschehen vor Ort wurde und wird inhaltlich von den Bürgerinnen und Bürgern, von den Dorfgemeinschaften und örtlichen Vereinen in eigener Verantwortung und in Selbsthilfe gestaltet. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) sowie die zuständigen Ministerien der Länder schreiben den Wettbewerb aus, stellen die Finanzierung sicher und begleiten ihn organisatorisch. Mit dem Wettbewerb ist ein Instrument gegeben, das nicht immer konfliktfrei, förmli- che Förder- und Strukturprogramme für Dörfer und Regionen durch aktive Bürgerbe- teiligung ergänzen und eine breite Basis für die Akzeptanz der ländlichen Entwicklung herstellen kann. Der Dorfwettbewerb Die Bürger und Bürgerinnen sind Akteure und Motoren der als Teil der ländlichen Veränderung Entwicklung Die Dorfentwicklung lebt vom Engagement der Menschen, von Ideen und Tatkraft. Hier setzt der Die ländlichen Räume stehen vor besonderen Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ an. Die Herausforderungen: Der fortschreitende Struktur- Kultur des Miteinanders ist in den Dörfern, die am wandel in der Landwirtschaft und der ländlichen Bundeswettbewerb teilnehmen, besonders ausge- Wirtschaft, die demografischen Veränderungen prägt und bildet oftmals den Kern des dörflichen und der gesellschaftliche Wertewandel werden die Lebens. Dabei sind die Akteure selbst Motor der Dorfentwicklung in den nächsten Jahren prägen. Veränderung. Dort, wo sich die Bewohner engagie- Daraus ergeben sich Konsequenzen für das Ange- ren, ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen und bot an Arbeitsplätzen, die Wertschöpfung in den über die Entwicklung ihres Dorfes mitentscheiden, Regionen, die Siedlungsentwicklung sowie die fühlen sich die Menschen wohl. Dabei ist die Viel- Sicherung der Daseinsvorsorge und den Ausbau der falt der Regionen eine Chance, unterschiedliche Infrastruktur. Konzepte im Wettbewerb zu propagieren. Begleitet wird dieser Wandel durch ein verändertes Viele Verantwortliche in den Verwaltungen und soziales Umfeld: In vielen Regionen wird die Dorf- ehrenamtlich Tätige in den Vereinen und Chören, bevölkerung weniger, älter und bunter; bäuerliche in den Freiwilligen Feuerwehren oder in anderen Familienstrukturen mit mehreren Generationen auf regionalen Projekten engagieren sich für den dem Hof finden sich immer seltener. Überalterung Wettbewerb. Eine besondere Herausforderung und Abwanderung treffen insbesondere die Dörfer stellt dabei die abnehmende Bindungswirkung der in strukturschwachen peripheren Regionen. Gerade Vereine und insbesondere die Frage, wie können hier werden viele Ideen und innovative Vorschläge junge Menschen begeistert werden, dar. So stösst benötigt. gerade dieser Wettbewerb auch bürgerschaftli- 8
SH seit 1961 3.831 Teilnehmer MV seit 1991 868 Teilnehmer 7 15 10 4 6 3 2 Gold Silber Bronze Plakette Gold Silber Bronze Plakette NI seit 1961 BE seit 1991 10.171 Teilnehmer 1 Teilnehmer NW seit 1961 1 22.225 Teilnehmer ST seit 1961 2.042 Teilnehmer Gold Silber Bronze Plakette BB seit 1991 1.131 Teilnehmer 2 7 11 2 35 28 11 1 7 7 2 Gold Silber Bronze Plakette Gold Silber Bronze Plakette Gold Silber Bronze Plakette 56 48 27 HE seit 1961 TH seit 1991 SN seit 1991 1.499 Teilnehmer Gold Silber Bronze Plakette 7.682 Teilnehmer 1.945 Teilnehmer 5 6 5 2 RP seit 1961 6 5 7 2 16.874 Teilnehmer 17 25 16 Gold Silber Bronze Plakette Gold Silber Bronze Plakette Gold Silber Bronze Plakette BY seit 1961 26.138 Teilnehmer 36 44 31 SL seit 1961 2.628 Teilnehmer BW seit 1961 Gold Silber Bronze Plakette 15 14 10 7.746 Teilnehmer Gold Silber Bronze Plakette 23 29 11 70 48 20 Gold Silber Bronze Plakette Gold Silber Bronze Plakette Teilnehmer und Medaillen (1961–2010) ches Engagement an, indem Beispiele engagierter Für den 24. Bundesentscheid, der für 2013 ausge- Dorfentwicklung noch besser bekannt gemacht lobt worden ist, sind die Wertungsbereiche: werden, um Nachahmer in der Region und darüber ó Leitbild und Entwicklungskonzepte, hinaus zu finden. ó Wirtschaftliche Entwicklung und Initiative, ó Soziale und kulturelle Aktivitäten, Die Verlagerung der Wettbewerbsschwerpunkte ó Baugestaltung und -entwicklung, mit der Neuausrichtung des Dorfwettbewerbs in ó Grüngestaltung und -entwicklung, den 90er Jahren unter dem Motto „Unser Dorf hat ó Das Dorf in der Landschaft Zukunft“ ist dem Wandel in der ländlichen Ent- wicklung Rechnung getragen worden. So wurde in vorgegeben. Damit erlangt die konzeptionelle Kom- den Bewertungbereichen besonderes Augenmerk ponente, d. h. die Vorstellungen der Dorfbewohner auf Konzepte für die dörfliche Entwicklung, auf für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung und deren wirtschaftliche Initiativen sowie die sozialen und Realisierung, ein größeres Gewicht. kulturellen Aktivitäten im Dorf gelegt. Bewertet wird auch der Gesamteindruck, den die Jury bei ihren Bereisungen unter Berücksichtigung der individuellen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Ausgangsbedingungen erhält. 9
Für die Besetzung der Jury, die für 2013 beru- Wettbewerb durchführen und an die sich verän- fen wird, ist ein höherer Anteil von Frauen und dernden Rahmenbedingungen anpassen. Damit Jugendlichen wünschenswert. Allerdings hat sich leistet er einen Beitrag, freiwilliges Engagement zu das BMELV gemeinsam mit den Ländern und stimulieren, d. h. zugleich Anreiz und Ermutigung Verbänden entschieden, das Kriterium für die für alle Dorfbewohner, die schon aktiv sind oder es teilnahmeberechtigten Dörfer nicht zu erhöhen: noch werden wollen, ihre Erfahrungen, Kreativität, Im 24. Bundeswettbewerb sind, wie bisher räum- Innovationskraft und Zeit für ihre Heimat einzu- lich geschlossene Gemeinden oder Gemeindeteile bringen. Das stärkt das soziale Miteinander und mit überwiegend dörflichem Charakter mit bis zu bringt zusätzliche Lebensqualität in den ländlichen 3.000 Einwohnern teilnahmeberechtigt. Räumen. Wichtig ist, dass die Dorfbewohner gern in ihrer Heimatgemeinde leben, um sie attraktiver Chancen und Stärken der Dörfer zu gestalten. Attraktiv ist die Region, wenn das herausstellen gesellschaftliche Leben pulsiert und die Menschen sich einbringen können. Je reichhaltiger dieses Der Wettbewerb ist eine Erfolgsgeschichte und Leben und je mehr die Menschen darin verankert das Ziel sollte auch künftig sein, die Akteure zu sind, umso wohler fühlen sie sich auf dem Lande. motivieren, weit über eine Verschönerung des Ortsbildes hinaus Perspektiven für ihr Dorf zu ent- Dr. Ulrich Neubauer, wickeln und umzusetzen. Gleichwohl stellt sich die Referatsleiter „Entwicklung ländlicher Räume“, Bun- Frage, ob der Dorfwettbewerb in seiner heutigen desministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Ausprägung noch zeitgemäß ist. Zu hinterfragen Verbraucherschutz, Wilhelmstr. 54, 10117 Berlin ist, inwieweit sich die Wettbewerbsschwerpunkte weiter verlagern und ob die Bewertungskriterien Monique Kluge, richtig gewichtet sind? Gibt es genügend Unter- Referat „Entwicklung ländlicher Räume“, Bundesmi- stützung durch die Verbände und Verwaltungen nisterium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- für die Akteure vor Ort? Sind zusätzliche Anreize cherschutz, Wilhelmstr. 54, 10117 Berlin für die Teilnahme am Bundeswettbewerb sinnvoll? Ist die Zusammensetzung der Jury und die Art der Bereisung der teilnehmenden Dörfer zu ändern? Diese und andere Fragestellungen sollen durch eine Evaluierung beantwortet werden, verbunden mit entsprechenden Schlussfolgerungen für die Dorfwettbewerb und Weiterentwicklung des Dorfwettbewerbs. Dorferneuerung haben Auch in Zukunft soll der Dorfwettbewerb eine ge- gemeinsame Vorfahren meinsame Plattform für bürgerschaftlich motivier- tes Engagement sein, nicht zuletzt um die Aner- kennung der freiwilligen Leistungen zu würdigen. Gott sei Dank „leisten“ wir uns in Zeiten von Nur wenn es gelingt, die Chancen bzw. Stärken für ökonomisch dominierten Zukunftsgutachten und das Dorf im Dialog auszuloten und die Umsetzung Ländlicher Raum-Diskussionen noch Initiativen, der Ideen in die eigenen Hände zu nehmen, wird wo es um „soziale Geborgenheit und Vertrautheit, die Dorfentwicklung vorankommen. Dabei stehen Heimatgefühl, um Gemeinsinn oder Schönheit die Wirtschaftspotentiale, die Infrastruktur und von Natur und Landschaften“ geht. Weltvergesse- das soziale Umfeld im Mittelpunkt. Denn die Er- ne Idealisten oder Traumtänzer mit Rückgriff auf reichbarkeit von Arbeitsplätzen, Kindergärten und fürstliches Mäzenatentum à la Pückler-Muskau Schulen sowie das Angebot für Kultur und Freizeit oder Franz von Anhalt-Dessau? Nein, die Rede ist ist bereits heute wichtig für die Lebensqualität auf vom Bundeswettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“, dem Lande. dessen Entstehung tatsächlich einer noblen Gesin- nung und Haltung zu verdanken ist. Es ging, wie Dörfliche Vielfalt ist Grundlage den Schöpfern der Landesverschönerung Mitte des für Lebensqualität und Heimat- 19ten Jahrhunderts um Schönheit, um Harmonie empfinden von Funktion und Form. Diese grundrichtige Idee wurde im Zuge des Wettbewerbs vielfach miss- Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirt- verstanden, weshalb auch der „Blumenschmuck- schaft und Verbraucherschutz wird auch künftig wettbewerb“ diskreditiert und verächtlich gemacht gemeinsam mit den Ländern und Verbänden den worden ist. 10
Die Dorferneuerung nahm eine positive Haltung zum Wettbewerb ein und betrachtete ihn fortan als willkommene Ergänzung, ja noch besser, als motivatorische Vorstufe für den ganzheitlichen Dorferneuerungsprozess. Der Dorfwettbewerb ist aktive Bürgerbeteiligung Vor diesem Hintergrund, insbesondere vor der anstehenden Aufgabenteilung zwischen Staat, Kommunen, Wirtschaft und Bürgern kann der Wettbewerb wichtige, ja zentrale Beiträge im Sinne einer Bewegung von unten nach oben auf breites- Die örtlichen Vereine entwicklen Ideen und Kon- ter Basis leisten: zepte sowohl in der förmlichen Dorferneuerung, wie auch für den Dorfwettbewerb. 1. Förderung von zukunftsfähigen, gemeinsam getragenen Leitbildern, 2. Förderung der Gemeinschaften und des sozialen Aber alle Kritik konnte dem populären Wettbewerb Kitts gerade in Dörfern mit Segregationserschei- nichts anhaben, zu beliebt war er auf dem Lande, nungen, zu stark verankert bei den örtlichen Obst- und 3. Stärkung von Engagement, Einbindung sowie Gartenbauvereinen. Gerade diese wichtigen Träger Nutzung des Potentials der älteren Generation ländlicher Kultur hatten allerdings schwer zu für die ländliche Gesellschaft, schlucken, als mit der „amtlichen“ Dorferneuerung 4. Förderung nachhaltigen Denkens und Handelns ein übermächtiger Konkurrent mit viel Geld und sowie vor allem eigenbestimmter Selbstverant- Professionalität am Horizont auftauchte. Neid und wortung, Konkurrenzgefühle waren die Folge, die beiden 5. Förderung vielfältiger lokaler und regionaler Seiten schwer zusetzten, neu angefacht Anfang der Initiativen, wie z. B. auf dem Gebiet erneuerba- 90er Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung. rer Energien, 6. Förderung von interkommunalen und regiona- Dorferneuerung und Dorfver- len Zusammenschlüssen, schönerung – ein Widerspruch? 7. Förderung von nachhaltigem, d. h. flächenspa- rendem Flächenmanagement, wozu eine behut- Der Kritik über „Blumenschmuckorgien“ und zu same Innenentwicklung und die Umnutzung von wenig strategische Ausrichtung und professionelles Gebäuden anstelle des zu schnellen Konsums Niveau einerseits stand der Vorwurf gegenüber, die unbebauter Flächen gehören. Dorferneuerung habe mit ihrem vielen Geld und mehr staatlichen als privaten Initiativen und Pla- Viele dieser Maßnahmen können ohne viel Geld, nungen allzu leichtes Spiel. Dieser Vorwurf wurde ohne große staatliche Schützenhilfe erfolgen. noch verschärft durch die Ergebnisse des Wettbe- Wichtig sind Freiwilligkeit und Gemeinschaft im werbs, bei dem immer mehr staatlich geförderte Denken und Handeln. Im Sinne der uralten ländli- Dorferneuerungen die Medaillenplätze abräumten. chen Weisheit „Schuster bleib bei deinem Leisten“ Vom Ausschluss der Dorferneuerungs-Dörfer war sollten beide Verwandte, der Wettbewerb und die plötzlich die Rede, von unterschiedlichen Kontin- Dorferneuerung, sich ihrer jeweiligen Stärken voll genten und Klassen, die man schaffen sollte etc., bewusst sein und noch mehr als bisher zusammen- bis die Vernunft siegte und sich beide Seiten auf finden, um dem ländlichen Raum durch lokale Einladung der Präsidentin der Deutschen Garten- Initiativen Stärke und Vitalität zu geben und damit bau-Gesellschaft 1822 e.V., Gräfin Sonja Bernadotte Zukunft zu eröffnen. auf Schloss Mainau trafen. Univ.-Prof. Dr.-Ing. Holger Magel, Heute ist das Geschichte. Es kam wie es kommen TU München, Lehrstuhl für Bodenordnung und Land- musste: Der Wettbewerb wurde fortgeschrieben entwicklung, Arcisstraße 21, 80333 München und umbenannt, behielt aber seine Identität stif- tenden Grundmerkmale bürgerschaftlichen und viel auf Vereinsarbeit abgestützten Engagements. 11
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50 Jahre Dorfwettbewerb Lange Tradition hatte die Dorfverschönerung bevor der Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ ins Leben gerufen wurde. Musterdörfer und Wettbewerbe für Städte und Dörfer gab es in allen Teilen Deutschlands. Dorfverschönerung vor 1961 Bereits in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg 4. „Pflege des Erbgutes“ im Sinne der vorherrschen- wurde der Versuch unternommen, Musterdörfer den Nationalsozialistischen Ideologie, aber auch zu finden. Diese Aktion war durch die Nationalso- Erhaltung der regional typischen figurativen zialistische-Ideologie bestimmt. So fand ab 1937 in Elemente, besonders Häuserfassaden, Plastiken München-Oberbayern der Wettbewerb „Schönheit in oder Ladenschilder. Stadt und Land“ statt. In der Phase des Wiederaufbaus nach dem Krieg hatten einige Kreisverwaltungen die Probleme der Dörfer und ländlichen Regionen erkannt. Dem Drang der Menschen, in der Nachkriegszeit Miss- stände zu beseitigen und dem Harmoniebedürfnis zu entsprechen, wurde mit neuen Wettbewerben entsprochen. ó In Schleswig-Holstein startete der Kreis Her- zogtum Lauenburg 1952 mit dem Wettbewerb „Schönheit des Dorfes“, 1957 folgte der Kreis Schleswig-Flensburg mit dem Wettbewerb „Das schöne Dorf“ und 1959 der Kreis Eckernförde. Verlar (Kreis Paderborn) in den 30er Jahren: Die ó In Hessen führte der Lahn-Dill Kreis erstmals Lippstädter Straße war noch unbefestigt, die 1955 den Kreiswettbewerb „Unser Dorf soll schö- hygienischen und sozialen Bedingungen im Dorf ner werden“ durch. Das Land Hessen veranstalte- waren schwierig. te ab 1958 Landeswettbewerbe. ó Auch in Bayern wurden bereits 1961 in mehre- ren Kreisen Anwesens- und Ortsverschönerungs- Er zielte auf vier Kernbereiche: wettbewerbe veranstaltet. 1. Landschaft und eine möglichst gute Integration des Ortes in die Umgebung. Sebastian Strube, 2. Sauberkeit, besonders in allen öffentlichen und Gartenstraße 3, 80809 München privaten Gebäuden und Anlagen. 3. Gemeinschaftsanlagen, wie Friedhöfe, Gaststätten Lutz Wetzlar, und vor allem lokale Ortsgruppenhäuser mussten Tulpenstiege 3, 48341 Altenberge mit besonderer Sorgfalt errichtet und gepflegt werden. 14
Dorfwettbewerb in ó Die Sammlung von Sekundärrohstoffen galt als der ehemaligen DDR volkswirtschaftlich höchst wichtige Mach-mit- Initiative. Die rohstoffarme DDR war auf Schrott, „Schöner unsere Städte und Gemeinden – Mach Altpapier, Alttextilien und Gläser dringend mit!“ war das offizielle Signet des Bürgerengage- angewiesen. ment in der DDR. Staatlich gelenkt und in den Volkswirtschaftsplan integriert war dieses Engage- Mit diesen Beispielen sind die wichtigsten Aufga- ment ein Instrument zur Inanspruchnahme der benfelder umrissen. Nach örtlichen Gegebenheiten Bürger und Bürgerinnen und wurde in Form eines konnten auch andere Projekte einbezogen werden, sozialistischen Wettbewerbs geführt, mit dem Ziel so das Anlegen und die Pflege eines Fischteichs, der Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität. Regulierung eines kleinen Wasserlaufs, Bau eines Die Bürger wurden so angehalten, in ihrer Freizeit Gemeinschaftshauses für einen Verein. und an Wochenenden unentgeltliche Arbeitsleis- tungen (Subbotnik) vor allem bei der Verschöne- rung des Wohnumfelds zu erbringen. Die Organisation des sozialistischen Wettbewerbs Trägerin dieser Initiative war die Nationale Front (NF), der Zusammenschluss aller politischen Par- teien und Massenorganisationen der DDR. Die NF kannte keine persönliche Mitgliedschaft, verfügte aber über ein sehr differenziertes Organisations- netz. Auf jeder dieser Ebenen nahmen Bürger und Bürgerinnen, zumeist ehrenamtlich Funktionen wahr. Dem Nationalrat oblag es, eine langfristige Engagement und politische Wertung Planung für die Mach-mit-Bewegung zu erarbeiten, die mittelfristig von den Untergliederungen aufge- Die Mach-mit-Initiative bot den Bürgern und schlüsselt wurde und an der Basis kurzfristig und Bürgerinnen in der DDR nicht die Möglichkeit des konkret umzusetzen war. spontanen Reagierens. Partei und Staat erwarteten zwar Engagement, das aber sollte in vorgegebe- Aufgabenfelder der Mach-mit-Initiative nen Bahnen ablaufen. Damit blieb für Proteste gegen staatliche Politik kein Raum, allenfalls die ó Bei allen Veröffentlichungen zum Bürgeren- Befriedigung dringender Bürgerbedürfnisse konnte gagement standen Leistungen für die Lösung eingefordert werden. der Wohnungsfrage als soziales Problem im Vordergrund. Es ging immer um freiwillige Allerdings musste der Bürger damit rechnen, dass Arbeitseinsätze in der Freizeit bei allen Mach- er selbst in Anspruch genommen wurde, dass er mit-Projekten. Freizeit und Arbeitskraft zu investieren hatte. Man- ó Junge Menschen, die einen eigenen Hausstand cher Bürger war zum Engagement bereit, weil an- gründen wollten, konnten die Wartezeit auf ders Ärgernisse nicht zu beheben waren. Er konnte eine Wohnung durch den Ausbau einer Altbau- auch nicht verhindern, dass seine Bereitschaft als wohnung abkürzen. Dies wurde als Beitrag zur Beweis für politische und weltanschauliche Über- Mach-mit-Initiative gewertet. einstimmung mit der Führung gewertet wurde. Es ó Die Gestaltung und Pflege der Wohnumwelt gehörte zum Charakter dieser Bürgerinitiativen, gehörte ebenfalls zum Mach-mit-Bereich. Hierbei dass für erbrachtes Engagement Auszeichnungen, ging es u. a. um Höfe und Vorgärten, um Spiel- Ehrentitel und Prämien vergeben wurden. Damit plätze und Freiflächen, um Parks und Denkmal- reihte sich auch die Mach-mit-Initiative in das anlagen bis zur Erneuerung und Gestaltung von Gesamtsystem gesellschaftlicher Organisiertheiten Straßen und Plätzen. ein: Arbeitskollektiv, Massenorganisation, Hausge- meinschaft oder Kleingärtnerverband. Uwe Briese, Kleiststraße 55, 16552 Schildow 15
Die Grüne Charta von der Mainau Die Initiative zu einer „Grünen Charta“ ging von der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V. (DGG) mit ihrem Präsidenten, Graf Lennart Bernadotte, aus. Die „Grüne Charta von der Mainau“ war Aufbruch in eine neue Zeit nach dem Krieg mit der Hoffnung auf ein besseres Leben auf dem Land. Sie war aber auch ein Instrument der Integration, mit der eine Brücke von der ideologischen Verklärung von Landschaft und Dorf als Volksraum zu sachlich-funktionaler Kulturlandschaft bäuerlicher Prägung der modernen Zeit gebaut werden konnte. Vom germanischen Land- Westdeutschland der 1950er Jahre mit dem Thema Landschaftsschutz beschäftigten. Führende Köpfe schaftsraum zu bäuerlicher waren die Professoren Werner Lendholt, Hermann Kulturlandschaft Mattern, Gustav Allinger, Alwin Seifert und auch Heinrich Wiepking. Sie alle wirkten in der Zeit zwischen 1933 und 1945 in führenden Positionen Idee und Zielsetzung der Grünen in nationalsozialistischen Landschaftspflege- und Charta von der Mainau Naturschutzprojekten z. B. Wartegau/Polen, Reichs- autobahn, Generalplan Ost mit. Zum 5. Mainauer Rundgespräch hatten Graf Lennart Bernadotte und die DGG am 20. April Vom Generalplan Ost zur 1961 auf die Insel Mainau eingeladen, um über die Raumordnung Zukunft des ländlichen Raumes zu diskutieren. Die herausgehobene Stellung von Graf Bernadotte und Dass die Grüne Charta trotz dieser historischen seine Fähigkeit, die unterschiedlichsten Menschen Belastung zu einem zentralen Dokument des mo- zusammenzubringen, ließen dieses Mal neben Par- dernen Umweltschutzgedankens werden und somit lamentariern, Wirtschaftsvertretern und Wissen- auch grundlegend für den Dorfwettbewerb konnte, schaftler selbst den Bundespräsidenten anreisen. hatte vor allem zwei Gründe: ó zum ersten die Abwendung vom volksräumli- Heinrich Lübke übernahm die Aufgabe die „Grüne chen Denken und Charta von der Mainau“ offiziell vorzustellen. Diese ó zum zweiten der pragmatische und problem- Charta galt den Anwesenden als wichtigste program- bezogene Zugang zu Fragen der Umweltzer- matische Grundlage für die Neuordnung des ländli- störung und der Neuordnung des ländlichen chen Raumes. Damit war sie auch Grundlage für den Raumes. Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“. In der So begriff etwa Heinrich Wiepking den ländlichen Charta waren die wesentlichen Grundideen zusam- Raum vor allen Dingen als Volksraum. Im Rahmen mengefasst, die den Wettbewerb in den 1960er und seiner Tätigkeit für den Generalplan Ost, also die 70er Jahren bestimmten. Zudem war sie einer der geplante deutsche Besiedelung des annektierten wichtigsten Meilensteine bei der Entwicklung von und entvölkerten Russlands schrieb er 1941, dass einem stark ideologisierten und völkisch begrün- „Landschaftsräume […] eine deutsch-germanischer deten Landschaft- und Heimatschutz hin zu einem Wesensart entsprechende Gesamtgestaltung erhal- modernen, am Menschen orientierten Naturschutz ten“ müssten. auf ökologisch-wissenschaftlicher Basis. Die Charta war von einer Kommission unter Vorsitz Die „deutsch-germanische Wesensart“ zum Leitge- von Graf Lennart Bernadotte erarbeitet worden. danken einer Raumordnung der Bundesrepublik Hier fanden sich die wichtigsten Landschaftsge- zu machen, war allerdings nicht möglich. Statt- stalter fast aller Lehrstühle zusammen, die sich in dessen löste man sich in den 1950er Jahren aus 16
dem völkischen Kontext und begann, verstärkt von Schutz der Natur um der Menschen einer „bäuerlichen Volkskultur“ zu sprechen, die Willen der Träger der ländlichen Entwicklung sein sollte. Eine neue Generation von Landschaftsgestaltern, Gleichzeitig ist man sich bewusst, dass der länd- wie etwa Gerhard Olschowy, 1964 bis 1978 Direk- liche Raum auch einen Wirtschafts- und Wohn- tor des Bundesamtes für Naturschutz und Mitglied raum darstellt, der sich entwickelt und verändert. der Bundesbewertungskommission, verstand es, Von Anfang an war der Wettbewerb auch darauf den Begriff „innovativ“ zu nutzen. Die Bedeutung ausgelegt, Entwicklungen zu ermöglichen, dabei der „bäuerlichen Volkskultur“ leitete sich für Ol- aber negative Folgen zu vermeiden. Auch für die schowy, der bei Wiepking in Berlin studiert hatte, Grüne Charta ist das Bemühen um einen Ausgleich nicht aus ihrem nationalen oder gar völkischen zwischen Forderungen nach einer Weiterentwick- Charakter ab, sondern aus dem ressourcenschonen- lung des ländlichen Raumes und dem Schutz der den Umgang der bäuerlichen Landwirtschaft mit Umwelt sowie der natürlichen Ressourcen grundle- ihrer Umwelt. Die Kulturlandschaft und das darin gend. Sie will eben nicht den Schutz der Natur nur beheimatete Dorf zeichneten sich dadurch aus, um ihrer selbst Willen, sondern um den Bewoh- dass sich in ihr Umwelt und menschliche Bedürf- nern der Dörfer die Grundlage für eine nachhalti- nisse nach Wohn- und Wirtschaftsraum in einem ge und gesunde Entwicklung zu bewahren. harmonischen Verhältnis befanden. Im Laufe der 1960er Jahre verlor die Idee, die Beteiligung der lokalen Bevölkerung bäuerliche Landwirtschaft zum Träger einer nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raumes Dies war der Grund, aus dem es in den Augen zu machen, aufgrund demografischer und volks- Olschowys und anderer galt, den bäuerlichen wirtschaftlicher Entwicklungen immer weiter an Kulturraum zu schützen und zu bewahren. Deshalb Bedeutung. Die bäuerliche Landwirtschaft war in wurde im ersten Dorfwettbewerb 1961 auch großer den meisten Dörfern nicht mehr präsent genug, Wert auf die Bewahrung bäuerlicher Hofstellen um hier Träger der gesellschaftlichen Entwicklung und bäuerlicher Kulturlandschaft gelegt. Zudem zu sein. So wandte sich auch der Dorfwettbewerb ist hier von Anfang an ein zweiter wesentlicher zunehmend modernen Planungsmethoden zu, wie Moment des Dorfwettbewerbes verankert: die Betei- sie ebenfalls in der Charta eingefordert wurden. ligung der lokalen Bevölkerung. Indem gerade die traditionellen Praktiken bäuerlichen Wirtschaftens Grüne Charta und Dorfwettbewerb betont wurden, waren es die ortsansässigen Bau- ern, die über die Erfahrung verfügten, ihre Dörfer So weit wäre es allerdings ohne Graf Lennart Ber- zu bewirtschaften und zu gestalten. Gerade im nadotte wahrscheinlich nicht gekommen. Er war ersten Dorfwettbewerb verfügte dieser bewahrende es, der die vielen Persönlichkeiten, die am Wett- Moment über eine noch deutlich stärkere Ausprä- bewerb und an der Charta arbeiteten, zusammen- gung, als der Anspruch zu modernisieren. brachte. Er verstand es, den damaligen Bundes- präsidenten Heinrich Lübke davon zu überzeugen, die Schirmherrschaft über den ersten Wettbewerb zu übernehmen. Es war das glückliche Zusammen- wirken der Persönlichkeit von Graf Lennart Berna- dotte, der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V. als tragende Institution und nicht zuletzt der genius loci der Insel Mainau die es ermöglichten, dass aus einer Idee ein Wettbewerb wurde, der den ländlichen Raum der Bundesrepublik nachhaltig bis heute prägt. Sebastian Strube, Gartenstraße 3, 80809 München Graf Lennart Bernadotte, Präsident der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V. 17
Unser Dorf soll schöner werden Die Situation auf dem Land und in den Dörfern in den 1950er und 1960er Jahren war geprägt von einem hohen Anteil Landwirtschaft und regionaler Selbstversorgung ein- schließlich ländlichem Handwerk und kleinen Lebensmittelgeschäften, mangelhaftem Straßennetz und beschränkter Mobilität. Viele Dörfer waren autark und selbständige kommunale Einheiten, Schulen und Kirchen gehörten selbstverständlich dazu. Die ersten Dorfwettbewerbe jener Zeit öffneten neue Wege zu modernen attraktiveren Dörfern, zu mehr Lebensqualität und gleichwertigen Lebensverhältnissen. Wie sah das Leben auf dem Land damals aus? Um die Zielsetzungen des Wettbewerbs und die Beweggründe für dessen Einführung zu verstehen, muss man sich die damalige Situation vor Augen führen. Die Folgen des Zweiten Weltkrieges haben sich direkt oder indirekt noch immer ausgewirkt, etwa im Hinblick auf den Renovierungsstau bei Gebäuden oder die dramatischen Einschnitte in den Familien. Vor diesem Hintergrund ist es nach- vollziehbar, dass der Wettbewerb die Umgebung der Menschen verschönern wollte. Sie sollten sich an ihrer Heimat erfreuen, um sich noch stärker mit ihr identifizieren zu können. Zugleich war es eine Zeit des Umbruchs, die auch von der großpoliti- Großfamilie bei der Hausschlachtung schen Lage beeinflusst wurde. Der Bau der Berliner Mauer verursachte zu Beginn der 60er Jahre Angst und Stagnation. Dieser folgte aber bald der Auf- schwung, angeschoben durch die Unterstützung landwirtschaftliche Produktion waren Scheunen der USA. und Ställe, die das Ortsbild geprägt haben und heute in der Regel anderweitig genutzt werden. Die Dörfer Baden-Württembergs waren in erster Linie von der Landwirtschaft geprägt. Sie war in Die Mechanisierungswelle rollte gerade voll an. der Regel noch die wichtigste Einnahmequelle und Getreide wurde zwar zum Teil bereits mit dem beeinflusste sowohl die Infrastruktur als auch die Mähdrescher oder dem Bindemäher geerntet, Bausubstanz der Dörfer. Einrichtungen wie das Schlepper setzten bis dato jedoch nur die größeren Milchhäusle (die Milchannahmestelle) oder der Betriebe ein. In den kleinstrukturierten Familien- Farrenstall (Gebäude zur gemeindeeigenen Va- betrieben wurden meist Ochsen oder Pferde für die tertierhaltung) stellten wichtige Bestandteile der Transport- und Feldarbeiten genutzt. Man benö- örtlichen Infrastruktur dar. Voraussetzung für die tigte sozusagen jede Hand, einschließlich die der 18
Frauen, älterer Menschen und ab einem gewissen Die Grundversorgung war den damaligen Gegeben- Alter auch der Kinder. „Urlaub“ war geradezu ein heiten angepasst. Auch kleine Gemeinden mit nur Fremdwort. Dies spiegelt sich unter anderem in der wenigen Hundert Einwohnern hatten einen oder Zahl der Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirt- mehrere „Tante-Emma-Läden“ und zumindest ein schaft wider. Diese lag in Baden-Württemberg im bis zwei Gastwirtschaften. Das Angebot wurde er- Jahr 1961 bei ca. 16 %. Heute dagegen sind zwi- gänzt durch fahrende Händler, den Einkauf in der schen 1 und 2 % aller Erwerbstätigen in der nächst gelegenen Stadt oder auf dem Jahrmarkt. Land- und Forstwirtschaft beschäftigt. Der Hand- Die Raiffeisengenossenschaft mit angeschlossener werksbetrieb, meist mit Nebenerwerbslandwirt- Bank und der Landhandel zählten ebenso dazu. Da- schaft, wie etwa der Schreiner, der Schuhmacher rüber hinaus hatte die Selbstversorgung mit Obst oder der Flaschner gehörten selbstverständlich und Gemüse aus eigenem Anbau oder mit Produk- zum Dorfbild. ten aus der Landwirtschaft große Bedeutung. Mit der Hausschlachtung war der Fleisch- und Wurst- Landflucht bedarf größtenteils gedeckt. Brot wurde in der Regel im Gemeinschaftsbackhaus selbst gebacken. Der industrielle Aufschwung hatte aber auch die Auf den Tisch kam, was die Saison bot. Und für Abwanderung junger Menschen in nichtlandwirt- den Winter wurde mit traditionellen Konservie- schaftliche Berufe und in gewissem Umfang eine rungstechniken wie das Einmachen von Kraut oder damit verbundene Landflucht zur Folge. Wurden Bohnen mit Salz, das Räuchern von Wurst und junge Frauen in der Vergangenheit zu Hause in der Fleisch oder durch Einwecken vorgesorgt. Mancher- Landwirtschaft benötigt, so war es mehr und mehr orts gab es bereits Gemeinschafts-Gefrieranlagen. üblich, eine Ausbildung beispielsweise als Sekre- Mit der medizinischen Versorgung war es dagegen tärin, Verkäuferin oder Friseurin zu absolvieren. meist schlecht bestellt. Ärzte und Apotheken ließen Andere betätigten sich als angelernte Arbeitskräfte sich nur in der Stadt oder in größeren Gemeinden in Fabriken. nieder. Getreideernte in Handarbeit 19
Große Familien unter einem Dach konnte aber jeder schon eine Ausbildung machen. Die Frauen bekamen die Kinder mit Anfang 20. Ein großes Plus der damaligen Zeit war das selbst- Die meisten Dorfbewohner waren in die örtlichen verständliche Miteinander der Generationen. Na- Vereine eingebunden. Große Dorffeste waren die türlich barg das Zusammenleben von Großeltern, Höhepunkte im Jahr. Eltern und Kindern auch Konfliktstoff. Andererseits war aber das „Betreute Wohnen“ älterer Familien- Aufwärts mit neuen Straßen, mitglieder gesichert. Sie arbeiteten im Haus und Kanälen und Wasserleitungen auf dem Hof nach ihren Kräften mit, bekamen jedoch bei Bedarf die Hilfestellung, die sie brauchten. Langsam setzte sich die Verbesserung der Infra- Auch Kinder hatten immer einen Ansprechpartner. struktur mit einer Abwasserbeseitigung über das Durch den Geburtenüberschuss hatte die Alters Kanalnetz und eine zentrale Wasserversorgung pyramide noch die Form eines Tannenbaumes. durch. Der Dorfbach wurde vielfach kanalisiert, um In vielen Häusern lebten die unverheirateten als Vorfluter für ungereinigte Abwässer zu dienen. Geschwister des Bauern mit, die wichtige Arbeits- Man heizte mit Holz und Kohle. Der Ölofen wurde kräfte darstellten. erst in den 1960er Jahren eingeführt. Nach dem Motorroller brachte das Auto in den Da die meisten Familien unter einem sogenannten 1960ern eine zunehmende Mobilität. Die Dampflok Hausnamen bekannt waren, hatten Nachnamen und später die elektrische Eisenbahn brachten die in der Dorfgemeinschaft nur nachrangige Bedeu- Arbeiter zu den Fabriken. tung. So konnte etwa die Urenkelin aus dem Haus des schon lange verstorbenen Bäckers immer noch Die Gebäude waren noch schlecht isoliert und „Becka Klara“ heißen. Die Geschicke des Dorfes wurden mit Vorfenstern im Winter abgedichtet. Es wurden von den Honoratioren (Schultheiß bzw. wurde renoviert, gebaut und aufgestockt. Die land- Bürgermeister, Pfarrer und Lehrer) sowie dem wirtschaftlichen Betriebe siedelten aus. Flurbereini- Gemeinderat gelenkt. Die Stellung des Einzelnen gungen machten nun eine großflächige Landwirt- im Dorfgefüge war unter anderem vom Besitz der schaft möglich. Familie sowie von deren Bedeutung abhängig. Auch das Sozialgefüge befand sich im Umbruch, In diese Aufbruchstimmung passte der Wettbewerb insbesondere durch den Zuzug von Flüchtlingen „Unser Dorf soll schöner werden“. Er lenkte den nach dem Zweiten Weltkrieg. Blick nicht nur auf das Überleben, sondern auf die Schönheit und Kultur des Dorfes. Die Kinder gingen auf die Volksschule z. T. in jahr- gangsübergreifende Klassen. Nur wenigen war der Angelika Appel, Besuch des Gymnasiums vorbehalten. Allerdings Regierungspräsidium Karlsruhe, Schlossplatz 1-3, 76131 Karlsruhe und Ingrid Bisinger, Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucher- schutz Baden-Württemberg, Kernerplatz 10, 70182 Stuttgart Kinder durften überall dabei sein, sie störten selbst die schweren Erntearbeiten nicht. 20
Planung und Ästhetik – das erste Jahrzehnt Der Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ ist seit seinem Beginn vor fünfzig Jahren zu einer massenwirksamen Veranstaltung im ländlichen Raum geworden. Ihm haftete gelegentlich das Image einer rückwärtsgewandten ästhetisieren- den Blumenschau an. Doch schon in der Frühzeit bemühten sich die Initiatoren um professionelle Strukturen, indem sie sowohl die Zielkonzeption als auch den Kreis der beteiligten Organisationsin- stanzen ausweiteten. Insofern war der Dorfwett- bewerb höchstens zu Beginn jener spießige „Blu- menkastenwettbewerb“, als den ihn ein Teil der städtischen Öffentlichkeit wahrnehmen mochte. So fing es an – schöne Dörfer als touristische Attraktion Der im zweijährigen Turnus stattfindende Bun- deswettbewerb mobilisierte im ersten Jahrzehnt mit stark steigender Tendenz regelmäßig mehrere Millionen Menschen in tausenden westdeutschen Dörfern. Die rapide Aufwärtsentwicklung innerhalb Straßenbild aus Helsa, (Landkreis Kassel), 1968 nur eines Jahrzehnts war zunächst vor allem den touristisch geprägten Regionen fernab der Groß- städte zu verdanken. So waren anfänglich nicht nur die Beteiligungsquoten in Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz überproportional hoch, sondern Bürgerbeteiligung und Planung auch die Erfolge. Zahlreiche Preise gingen in diese Regionen, was nicht zuletzt mit der Unterstützung Um das Image des „Blumenkastenwettbewerbs“ durch die jeweiligen Landesregierungen zusam- zu überwinden, bemühten sich die Verantwort- menhing. In den übrigen Bundesländern stieg die lichen von Beginn an darum, moderne Gestal- Zahl der teilnehmenden Dörfer spürbar in den tungsprinzipien einzuführen. Die sachgerechte siebziger Jahren. Bepflanzung von Gärten und öffentlichen Anlagen sollte zwar weiterhin ihren Platz behalten, doch Jahr Teilnehmende Dörfer bundesweit verschoben sich die Ausschreibungs- und Bewer- 1961 1.970 tungskriterien zusehends. So traten im Laufe der 1965 3.447 sechziger Jahre zu den rein ästhetischen Faktoren 1969 3.932 auch gesellschaftspolitische und raumplanerische 1973 4.222 Zielvorstellungen hinzu. Identität, Gemeinschafts- bildung, Erhöhung der Lebensqualität auf dem Erstmals entstand in Hessen 1958 ein Landeswett- Lande – all diese Ziele verband man fortan mit bewerb. Möglicherweise versuchte man bereits in dem Wettbewerb. DGG-Präsidiumsmitglied, Hans- dieser frühen Phase, die zunehmende Bautätigkeit Ulrich Schmidt, vertrat 1962 in der Zeitschrift Der und den damit verbundenen Flächenverbrauch Landkreis gar die Meinung, „[...] dass Ordnung und zu kanalisieren bzw. abzufedern. Immerhin war Hilfsbereitschaft in der Familie und in der Dorf- das sogenannte Wirtschaftswunder von einem gemeinde auch ein Beitrag zum Frieden der Welt wachsenden Wohnungsbau im privaten und sozia- sein kann“. len Sektor geprägt, was auch auf den Dörfern zu spüren war. 21
Parallel zur Zielausweitung beteiligten sich immer Erste Schritte zur Erhaltung der mehr Experten aus Verbänden und Verwaltung natürlichen Lebensgrundlagen in den Jurys auf Bundes- und Länderebene. Aka- demisch ausgebildete Architekten, Raum- und Anfang der 1970er Jahre geriet der Natur- und Landschaftsplaner gewannen zusehends an Terrain Landschaftsschutz, wie er auch von der DGG und sorgten dafür, dass der Bewertungsfaktor „Pla- verstanden wurde, in eine gewisse Konkurrenz nung“ in Form von Flächennutzungs- und Bauleit- situation zur Umweltbewegung. Allerdings machte plänen immer stärkeres Gewicht erhielt. sich dies bei den Teilnehmerzahlen des Dorfwettbe- werbs zunächst nicht negativ bemerkbar. Die neu- Neuordnung des Landraumes en Bürgerbewegungen gingen mit ihren Forderun- gen über die bloße Erhaltung des Lebensraumes Dadurch diente der Wettbewerb der systemati- bzw. einzelner Tier- und Pflanzenarten hinaus und schen Neuordnung des Lebensraumes mithilfe stellten – nach der 1968er Bewegung entsprechend weitreichender Planungsinstrumente. So schreck- politisiert – den westlichen Lebensstil generell in ten die Initiatoren auch vor einer missionarischen Frage. Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrund- Haltung nicht zurück, um „Fehlentwicklungen“ in lagen war jedoch keineswegs erst ein Thema der den Dörfern zu vermeiden. späteren Ökologiebewegung der siebziger Jahre. Im Unterschied zu dieser waren die Natur- und Mit diesem starken Vertrauen in die Planbarkeit Landschaftsschutzbemühungen der Sechziger je- gesellschaftlicher Prozesse bewegten sich die Betei- doch institutionell angebunden und setzten damit ligten am Dorfwettbewerb in einem allgemeinen eine ältere, aus dem 19. Jahrhundert herrührende Trend: In der Bundesrepublik gewannen Planungs- Tradition der bürgerschaftlichen Kooperation mit experten in den sechziger Jahren zunehmend an staatlichen Organen fort. Gewicht, beispielsweise in der Politikberatung, aber auch hinsichtlich volkswirtschaftlicher Steu- Der Dorfwettbewerb wird erungsfragen. Der Dorfwettbewerb eröffnete ein zum Instrument der „rationalen neues Betätigungsfeld für Experten, die mit ihrem Modernisierung“ theoretischen Wissen die Handlungspraxis der Menschen auf dem Lande und deren ästhetische Auch im Rahmen des Dorfwettbewerbs ging es Leitvorstellungen zu beeinflussen suchten. darum, das öffentliche Engagement gezielt zu we- cken und in geordnete, d. h. von Planern begleitete Landschaftsplanung als Teilziel der bzw. vorgegebene Bahnen zu lenken. Planung war Grünen Charta von der Mainau für die DGG selbst dann noch ein zentraler Wert, als andere Institutionen in den siebziger Jahren DGG-Präsident Graf Lennart Bernadotte selbst hatte begannen, deren Potential eher kritisch unter dem Planungselementen schon 1961 in der „Grünen Aspekt einer zentralistischen Entmündigung zu Charta von der Mainau“ grundsätzlich einen hohen betrachten. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass Stellenwert eingeräumt und die Aufstellung von der Dorfwettbewerb zur Durchsetzung des Pla- z. B. Landschaftsplänen gefordert. Die Organisato- nungsgedankens und damit zur rationalen Moder- ren des Dorfwettbewerbs sahen Planung als wich- nisierung im ländlichen Raum beigetragen hat. tigstes Instrument, um die Natur vor Übergriffen des Menschen zu schützen. Hiermit meinten sie Dr. Rainer Pöppinghege, in erster Linie die Gefahren der Zersiedelung und Priv. Doz. Uni Paderborn, Otto-Weddigen-Straße 9, damit verbundene „Bausünden“. 48145 Münster 22
Bereits in den Anfangsjahren des Wettbewerbs verfasste die Bundesbewertungskommission kurz gefasste Protokolle, in denen die besonderen Merkmale der Dörfer und deren Leistungen beschrieben wurden. Nierswalde ist ein typisches Beispiel für die beginnende Planungsorientierung als substanziel- ler Beitrag zur Neuorientierung des ländlichen Raumes. Aus: Deutsche Gartenbaugesellschaft – Bundeswettbewerb 1965 23
Die Rahmenbedingungen ändern sich In den 1970er und 1980er Jahren hatten die Dörfer und Gemeinden in den ländlichen Regionen mit großen Umwälzungen zu kämpfen. Diese sind Folge struktureller Verände- rungen in der Landwirtschaft – größere Betriebe, Mechanisierung, weniger Beschäftigte – und bedeutender gesetzlicher Vorhaben in nahezu allen Bundesländern: Denkmal- pflege- und Naturschutzgesetze beeinflussen die Entwicklung. Abfallkreislaufwirtschaft mit Einführung des Recyclings verlangen regionale Konzentrationen, Gesetzgebung zum Boden- und Wasserschutz und auch Reformen in den Kommunen mit Zusammenlegun- gen zu Großgemeinden oder Verwaltungsgemeinschaften verändern das Bild der Dörfer. Das alles bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Wettbewerbsgeschehen. Wie reagieren die Beteiligten? Der Wettbewerb der Basis war schon seinerzeit die Grundlage für die Jahre 1975 bis 1984 in Erhaltung und Weiterentwicklung des Dorfes. Aber bei der Angliederung von Neubaugebieten, der Niedersachsen Ansiedlung von Gewerbebetrieben und der Einord- nung neuer Großbauten der technisierten Land- wirtschaft entstanden in den Dörfern erhebliche Chancen für historische Dörfer gestalterische Probleme. Der Wettbewerb hatte in den langen Jahren seit Viele Dörfer trugen an der Last dieser Entwicklung, seiner Einführung 1959 bis hinein in das Jahr 1984 die mit einem Verlust an Originalität und Sied- gezeigt, dass Dörfer mit ursprünglicher Siedlungs- lungsqualität verbunden war. Sie standen vor der struktur und Bausubstanz die größten Chancen Frage: Was nun? Wie soll es weitergehen? zu hoher Auszeichnung hatten. Zahlreiche Dörfer Der Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ Niedersachsens wurden im Zweiten Weltkrieg hatte 1975 in Niedersachsen 500 Gemeinden oder schwer beschädigt und mussten schnell wieder Ortsteile erfasst. Und schon damals zeigte sich, dass aufgebaut werden. Andere Gemeinden haben immer mehr Bürger in den ländlichen Gemeinden durch die Aufnahme von Flüchtlingen, Umsiedlern ihre eigenen Gestaltungsvorstellungen mit den und Zuwanderern eine vielfache Ausdehnung der Zielen des Wettbewerbs gleichsetzten. ursprünglichen Ortsubstanz erfahren. Die wirt- schaftlich-technische Entwicklung brachte zudem Neubaugebiete und städtische Baukörper und Anlagen ins Dorf, für die es dort Bauformen drängen aufs Land bislang keine Beispiele gab. Die neuen Anforderungen an unsere Gemeinden Ländlicher Strukturwandel schafft und unseren Lebensraum führten dazu, dass dem neue Vorbilder Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ neue Ziele und Inhalte zuwachsen mussten. Diese Entwicklungen waren im Dorf auch notwen- Bis 1975 hatte eine stürmische Entwicklung und dig, um der Landwirtschaft Produktivitätssteigerun- starke Ausweisung neuer Wohngebiete die Lage gen zu ermöglichen, den Einwohnern neue Ar- in den ländlichen Gemeinden beeinflusst. beitsplätze zu bieten und damit der Abwanderung In die Dörfern drängten sich Siedlungsstrukturen, entgegenzuwirken. Eine gesunde ökonomische Bauformen und Grünordnungsvorstellungen, die 24
auf städtische Räume zugeschnitten waren und Das Bewusstsein für eigenständige dem ländlichen Raum wenig entsprachen. Gestaltqualität wächst Der technische Fortschritt beeinflusste auch die Die Erfahrungen haben seinerzeit auch die Gren- landwirtschaftlichen Produktionsverfahren, so dass zen aufgezeigt. Mit neuen Zielsetzungen wurde sich auch die ausgewogenen Bauformen der alten versucht, den Naturhaushalt auszugleichen und landwirtschaftlichen Gebäude wandelten. einen Lebensraum zu sichern, wie er der Natur des Das Bestreben der ländlichen Gemeinden, an der Menschen angemessen ist. Schließlich ging es da- allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung teilzu- rum, sich auf die Lebensgestaltung in der Familie nehmen, führte zur Ansiedlung von Gewerbebetrie- und in einer überschaubaren Dorfgemeinschaft zu ben, zur Ausweitung des Fremdenverkehrs und zur besinnen. Aufstellung von Bebauungsplänen. Schrift, Präsentation und Wortwahl der Broschüre von 1975 zeigen deutlich, worauf es ankam: Das Dorf soll schöner werden. 25
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