"Unser Dorf hat Zukunft" - 50 Jahre Dorfwettbewerb 1961-2011 - Bundesministerium für Ernährung ...

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"Unser Dorf hat Zukunft" - 50 Jahre Dorfwettbewerb 1961-2011 - Bundesministerium für Ernährung ...
„Unser Dorf hat Zukunft“
     50 Jahre Dorfwettbewerb 1961–2011
"Unser Dorf hat Zukunft" - 50 Jahre Dorfwettbewerb 1961-2011 - Bundesministerium für Ernährung ...
"Unser Dorf hat Zukunft" - 50 Jahre Dorfwettbewerb 1961-2011 - Bundesministerium für Ernährung ...
Inhalt
Vorworte
     Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz          4
     Karl Zwermann, Präsident der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V.                    5

1.   Unser Dorf soll schöner werden – Unser Dorf hat Zukunft
     Der Dorfwettbewerb als Teil der ländlichen Entwicklung                                     8
     Dorfwettbewerb und Dorferneuerung haben gemeinsame Vorfahren                              10

2.   50 Jahre Dorfwettbewerb
     Dorfverschönerung vor 1961                                                                14
     Dorfwettbewerb in der ehemaligen DDR                                                      15

  2.1     Die Grüne Charta von der Mainau
		        Vom germanischen Landschaftsraum zu bäuerlicher Kulturlandschaft
		        Idee und Zielsetzung der Grünen Charta von der Mainau                                16

  2.2     Unser Dorf soll schöner werden
		        Wie sah das Leben auf dem Land damals aus?                                           18
		        Planung und Ästhetik – das erste Jahrzehnt                                           21

  2.3     Die Rahmenbedingungen ändern sich
		        Der Wettbewerb der Jahre 1975 bis 1984 in Niedersachsen                              24
		        Dörfer in Baden-Württemberg                                                          28
		        Wir in Klein Meckelsen – Zweimaliges Golddorf lüftet das Geheimnis seines Erfolges   30
		        Wir in Lieberhausen – Eine große Erfolgsgeschichte für ein kleines Dorf              32

  2.4     Der Wettbewerb erhält Zuwachs
		        Landeswettbewerb in Sachsen                                                          34
		        Landeswettbewerb in Sachsen-Anhalt                                                   36
		        Wir in Rieth                                                                         38
		        Wir in Bertsdorf-Hörnitz                                                             39

  2.5     Träger, Initiatoren, Berater
		        Der Bürgerwettbewerb – Chance für Bayerns Dörfer                                     40
		        Die Schule der Dorf- und Landentwicklung Thierhaupten                                44
		        Das Zentrum für Ländliche Entwicklung Nordrhein-Westfalen                            46

  2.6     Die Bewertungskommissionen
		        Organisation und Aufgaben                                                            48
		        1976: Vortrag zum Abschluss des Bundeswettbewerbs in Bayern                          50

  2.7     Unser Dorf hat Zukunft
		        Anpassung an neue Herausforderungen                                                  52
		        Erfolgreich gemeinsam Handeln – eine Arbeitshilfe zur Selbstbewertung
		        dörflicher Aktivitäten                                                               55
		        Wir in Gersbach – Dorfentwicklung für die Zukunft                                    58
		        Wir in Latrop – Vom Waldarbeiterdorf zum Ferienort                                   60

  2.8     Der Blick nach Europa
		        Entente Florale Europe                                                               62
		        Der Europäische Dorferneuerungspreis                                                 64

3.   Zukunft des Dorfwettbewerbs
     Wie verändert sich der ländliche Raum?                                                    68
     Vom schöner finden zum besser sein                                                        72
     Wir in Banzkow – Strukturen für die Zukunft schaffen                                      74
     Wir in Brokeloh – Eine Zukunft für unser Dorf                                             76

4.   Anhang
     Die Grüne Charta von der Mainau                                                           80
     Ausschreibung des 1. Bundeswettbewerbs 1960/1961                                          82
     Ausschreibung des 24. Bundeswettbewerbs 2011/2013                                         84
     Teilnehmerzahlen 1961 bis 2010                                                            90
     Weitere Informationen zum Bundeswettbewerb und den Landeswettbewerben                     90
"Unser Dorf hat Zukunft" - 50 Jahre Dorfwettbewerb 1961-2011 - Bundesministerium für Ernährung ...
Vorwort

Sehr geehrte Leserinnen
und Leser,

der Dorfwettbewerb feiert in diesem Jahr sein          verbessert werden kann. Wirtschaft, Infrastruktur
50jähriges Bestehen und ist ein fester Bestandteil     und Baugestaltung stehen ebenso im Mittelpunkt,
ländlicher Entwicklung. Seit 1961 engagieren sich      wie die Grüngestaltung und das soziale wie kultu-
die Bürgerinnen und Bürger mit großer Begeiste-        relle Umfeld. Denn für das Leben auf dem Lande
rung für die Verschönerung ihrer Heimat. Be-           ist die Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen, Kinder-
gonnen unter dem Titel „Unser Dorf soll schöner        gärten und Schulen sowie das Angebot für Kultur
werden“ in der Bundesrepublik und in der ehema-        und Freizeit von ebenso großer Bedeutung, wie
ligen Deutschen Demokratischen Republik bekannt        eine schöne Dorfmitte und attraktive Landschaften.
als „Schöner unsere Städte und Gemeinden – Mach
mit“ hat sich der Wettbewerb unter dem aktuellen       Ausgehend von einer Rückschau auf die erfolgrei-
Motto „Unser Dorf hat Zukunft“ zu einem Wett-          che Geschichte sollen mit dieser Broschüre neue
streit um die besten Ideen für attraktive Dörfer als   Impulse für die Zukunft des Dorfwettbewerbs
Wohn-, Erholungs- und Arbeitsstätte gewandelt.         gesetzt werden. Gemeinsam mit den Ländern und
                                                       mitwirkenden Verbänden werden wir den Bundes-
2011 ist das europäische Jahr der Freiwilligkeit.      wettbewerb fortführen und an die Herausforderun-
Der Dorfwettbewerb stellt ein imposantes Beispiel      gen der nächsten Jahrzehnte anpassen.
dar, was freiwilliges Bürgerengagement bewegen
kann. Mit über 104.000 teilnehmenden Dörfern im        Den vielen unermüdlichen freiwilligen Helfern,
Laufe der letzten fünf Jahrzehnte in ganz Deutsch-     Verantwortlichen und Akteuren, die am Bundes-
land schreibt der Wettbewerb eine Erfolgsgeschich-     wettbewerb mitgewirkt haben und sich auch in
te und ist einer der größten Bürgerbewegungen          Zukunft einbringen, gilt mein besonderer Dank.
in Europa. Er hat mit dazu beigetragen, die Dörfer
lebendig und lebenswert zu erhalten sowie den
Herausforderungen der ländlichen Räume zu              Ihre
begegnen.

Auch in Zukunft können unsere Dörfer nur mit
dem Engagement seiner Bewohner gestaltet
werden. Deshalb soll der Bundeswettbewerb die
Menschen motivieren, ihre Zukunftsperspektiven
zu bestimmen und aktiv an der Verbesserung der         Ilse Aigner
Lebensqualität auf dem Lande mitzuwirken. Ge-          Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft
fragt sind Ideen, wie das Antlitz des eigenen Dorfes   und Verbraucherschutz

                                                                                                        4
"Unser Dorf hat Zukunft" - 50 Jahre Dorfwettbewerb 1961-2011 - Bundesministerium für Ernährung ...
Vorwort

Sehr geehrte Leserinnen
und Leser,

es waren schon zwei Sternstunden im Leben der         vielen Menschen, die in den 50 Jahren den Wettbe-
jungen Bundesrepublik Deutschland, die im Jahre       werb als Jurymitglieder ehrenamtlich begleitet und
1961 von der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft         fachlich bewertet haben, möchte ich von ganzem
1822 e.V. ausgingen und die bleibende Verdienste      Herzen meinen besonderen Dank aussprechen.
für die Entwicklung unseres Gemeinwesens bis heu-
te erbringen.                                         Dieses 50jährige Wettbewerbsjubiläum führt uns
                                                      die Zukunft unserer Dörfer vor Augen. Das großar-
Graf Lennart Bernadotte hat als Präsident der Deut-   tige Erbe auch in unsere Zeit erfolgreich weiter zu
schen Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V. die ‚Grüne     tragen, ist Aufgabe und Herausforderung zugleich.
Charta von der Mainau‘ als erstes ‚Umwelt-Credo‘
aus den Mainauer Rundgesprächen konzipiert und        Wecken wir die Begeisterung für das ehrenamt-
mit dem Bundeswettbewerb „Unser Dorf soll schö-       liche Engagement in den Herzen und Köpfen
ner werden“ gestartet.                                unserer Menschen, dann wird „Unser Dorf eine
                                                      gute Zukunft“ haben. Wir, die Deutsche Gartenbau-
In einer Zeit der raschen wirtschaftlichen und        Gesellschaft 1822 e.V. wollen helfen, den Samen
gesellschaftlichen Veränderungen in unserem Land      dafür auszubringen.
sind wir den beherzten Frauen und Männern von
damals besonders dankbar für ihre weitsichtigen
Ideen und deren Verwirklichung. Das Wunderbare
am Wettbewerb ist die Begeisterung der ehren-
amtlich wirkenden Menschen in den Dörfern. Die
dörfliche Gemeinschaft beflügelt den Wettbewerb
in all den Jahren und sie entwickelt eine erstaun-    Ihr
liche Dynamik. Stolz und dankbar sein kann man
auf das Geschaffene für Heimat und Umwelt durch
die enge Zusammenarbeit von Vereinen und Ver-
waltung.

Als Präsident der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft
1822 e.V. im 50. Jahr des Wettbewerbs blicke ich
in Dankbarkeit zurück auf die vielen Millionen en-    Karl Zwermann
gagierten Menschen in unserem Land, die sich um       Präsident der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft
ihr Dorf verdient gemacht haben. Aber auch den        1822 e.V.

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"Unser Dorf hat Zukunft" - 50 Jahre Dorfwettbewerb 1961-2011 - Bundesministerium für Ernährung ...
Unser Dorf soll schöner werden –
Unser Dorf hat Zukunft
"Unser Dorf hat Zukunft" - 50 Jahre Dorfwettbewerb 1961-2011 - Bundesministerium für Ernährung ...
"Unser Dorf hat Zukunft" - 50 Jahre Dorfwettbewerb 1961-2011 - Bundesministerium für Ernährung ...
Unser Dorf soll schöner werden –
Unser Dorf hat Zukunft

Von Anfang an war der Dorfwettbewerb bedeutender Teil der ländlichen Entwicklung.
Das Wettbewerbsgeschehen vor Ort wurde und wird inhaltlich von den Bürgerinnen und
Bürgern, von den Dorfgemeinschaften und örtlichen Vereinen in eigener Verantwortung
und in Selbsthilfe gestaltet. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (BMELV) sowie die zuständigen Ministerien der Länder schreiben den
Wettbewerb aus, stellen die Finanzierung sicher und begleiten ihn organisatorisch.
Mit dem Wettbewerb ist ein Instrument gegeben, das nicht immer konfliktfrei, förmli-
che Förder- und Strukturprogramme für Dörfer und Regionen durch aktive Bürgerbe-
teiligung ergänzen und eine breite Basis für die Akzeptanz der ländlichen Entwicklung
herstellen kann.

Der Dorfwettbewerb                                   Die Bürger und Bürgerinnen
                                                     sind Akteure und Motoren der
als Teil der ländlichen                              Veränderung
Entwicklung
                                                     Die Dorfentwicklung lebt vom Engagement der
                                                     Menschen, von Ideen und Tatkraft. Hier setzt der
Die ländlichen Räume stehen vor besonderen           Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ an. Die
Herausforderungen: Der fortschreitende Struktur-     Kultur des Miteinanders ist in den Dörfern, die am
wandel in der Landwirtschaft und der ländlichen      Bundeswettbewerb teilnehmen, besonders ausge-
Wirtschaft, die demografischen Veränderungen         prägt und bildet oftmals den Kern des dörflichen
und der gesellschaftliche Wertewandel werden die     Lebens. Dabei sind die Akteure selbst Motor der
Dorfentwicklung in den nächsten Jahren prägen.       Veränderung. Dort, wo sich die Bewohner engagie-
Daraus ergeben sich Konsequenzen für das Ange-       ren, ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen und
bot an Arbeitsplätzen, die Wertschöpfung in den      über die Entwicklung ihres Dorfes mitentscheiden,
Regionen, die Siedlungsentwicklung sowie die         fühlen sich die Menschen wohl. Dabei ist die Viel-
Sicherung der Daseinsvorsorge und den Ausbau der     falt der Regionen eine Chance, unterschiedliche
Infrastruktur.                                       Konzepte im Wettbewerb zu propagieren.

Begleitet wird dieser Wandel durch ein verändertes   Viele Verantwortliche in den Verwaltungen und
soziales Umfeld: In vielen Regionen wird die Dorf-   ehrenamtlich Tätige in den Vereinen und Chören,
bevölkerung weniger, älter und bunter; bäuerliche    in den Freiwilligen Feuerwehren oder in anderen
Familienstrukturen mit mehreren Generationen auf     regionalen Projekten engagieren sich für den
dem Hof finden sich immer seltener. Überalterung     Wettbewerb. Eine besondere Herausforderung
und Abwanderung treffen insbesondere die Dörfer      stellt dabei die abnehmende Bindungswirkung der
in strukturschwachen peripheren Regionen. Gerade     Vereine und insbesondere die Frage, wie können
hier werden viele Ideen und innovative Vorschläge    junge Menschen begeistert werden, dar. So stösst
benötigt.                                            gerade dieser Wettbewerb auch bürgerschaftli-

                                                                                                      8
"Unser Dorf hat Zukunft" - 50 Jahre Dorfwettbewerb 1961-2011 - Bundesministerium für Ernährung ...
SH seit 1961
                                                                                                3.831 Teilnehmer                                                                                      MV seit 1991
                                                                                                                                                                                                     868 Teilnehmer

                                                                                                                7          15 10                                                                             4             6       3         2

                                                                                                                                                                                                            Gold
                                                                                                                                                                                                                         Silber
                                                                                                                                                                                                                                  Bronze
                                                                                                                                                                                                                                           Plakette
                                                                                                                Gold
                                                                                                                          Silber
                                                                                                                                     Bronze
                                                                                                                                                  Plakette
                                                                                                   NI seit 1961                                                                                                                   BE seit 1991
                                                                                                10.171 Teilnehmer                                                                                                                1 Teilnehmer
                             NW seit 1961                                                                                                                                                                                                     1
                          22.225 Teilnehmer                                                                                                                        ST seit 1961
                                                                                                                                                                2.042 Teilnehmer

                                                                                                                                                                                                                                  Gold
                                                                                                                                                                                                                                           Silber
                                                                                                                                                                                                                                                      Bronze
                                                                                                                                                                                                                                                               Plakette
                                                                                                                                                                                                                                                                         BB seit 1991
                                                                                                                                                                                                                                                                      1.131 Teilnehmer
                                                                                                                                                                          2          7         11            2
                                                                                                                 35 28 11                                                                                                                                                        1         7       7         2

                                                                                                                                                                          Gold
                                                                                                                                                                                   Silber
                                                                                                                                                                                              Bronze
                                                                                                                                                                                                           Plakette

                                                                                                                                                                                                                                                                               Gold
                                                                                                                                                                                                                                                                                         Silber
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Bronze
                                                                                                                                                                                                                                                                                                           Plakette
                                                                                                                   Gold
                                                                                                                            Silber
                                                                                                                                       Bronze
                                                                                                                                                     Plakette
                                              56 48 27

                                                                                        HE seit 1961                                                            TH seit 1991                                                            SN seit 1991
                                                                                                                                                                                                                                     1.499 Teilnehmer
                                              Gold
                                                     Silber
                                                              Bronze
                                                                       Plakette

                                                                                     7.682 Teilnehmer                                                        1.945 Teilnehmer

                                                                                                                                                                                                                                                      5        6          5     2
                             RP seit 1961                                                                                                                          6        5         7           2
                          16.874 Teilnehmer                                              17 25 16

                                                                                                                                                                                                                                                  Gold
                                                                                                                                                                                                                                                           Silber
                                                                                                                                                                                                                                                                     Bronze
                                                                                                                                                                                                                                                                              Plakette
                                                                                                                                                                   Gold
                                                                                                                                                                          Silber
                                                                                                                                                                                    Bronze
                                                                                                                                                                                                Plakette
                                                                                         Gold
                                                                                                Silber
                                                                                                          Bronze
                                                                                                                    Plakette

                                                                                                                                                                   BY seit 1961
                                                                                                                                                                26.138 Teilnehmer
                                                 36 44 31
        SL seit 1961
     2.628 Teilnehmer                                                                       BW seit 1961
                                                 Gold
                                                          Silber
                                                                   Bronze
                                                                              Plakette

          15 14 10                                                                       7.746 Teilnehmer
          Gold
                 Silber
                          Bronze
                                   Plakette

                                                                                                     23 29 11
                                                                                                                                                                                 70 48 20
                                                                                                         Gold
                                                                                                                 Silber
                                                                                                                            Bronze
                                                                                                                                       Plakette

                                                                                                                                                                                 Gold
                                                                                                                                                                                            Silber
                                                                                                                                                                                                       Bronze
                                                                                                                                                                                                                      Plakette

                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Teilnehmer
                                                                                                                                                                                                                                                                                                  und Medaillen (1961–2010)

ches Engagement an, indem Beispiele engagierter                                                                                                                                          Für den 24. Bundesentscheid, der für 2013 ausge-
Dorfentwicklung noch besser bekannt gemacht                                                                                                                                              lobt worden ist, sind die Wertungsbereiche:
werden, um Nachahmer in der Region und darüber                                                                                                                                           ó Leitbild und Entwicklungskonzepte,
hinaus zu finden.                                                                                                                                                                        ó Wirtschaftliche Entwicklung und Initiative,
                                                                                                                                                                                         ó Soziale und kulturelle Aktivitäten,
Die Verlagerung der Wettbewerbsschwerpunkte                                                                                                                                              ó Baugestaltung und -entwicklung,
mit der Neuausrichtung des Dorfwettbewerbs in                                                                                                                                            ó Grüngestaltung und -entwicklung,
den 90er Jahren unter dem Motto „Unser Dorf hat                                                                                                                                          ó Das Dorf in der Landschaft
Zukunft“ ist dem Wandel in der ländlichen Ent-
wicklung Rechnung getragen worden. So wurde in                                                                                                                                           vorgegeben. Damit erlangt die konzeptionelle Kom-
den Bewertungbereichen besonderes Augenmerk                                                                                                                                              ponente, d. h. die Vorstellungen der Dorfbewohner
auf Konzepte für die dörfliche Entwicklung, auf                                                                                                                                          für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung und deren
wirtschaftliche Initiativen sowie die sozialen und                                                                                                                                       Realisierung, ein größeres Gewicht.
kulturellen Aktivitäten im Dorf gelegt.
                                                                                                                                                                                         Bewertet wird auch der Gesamteindruck, den die
                                                                                                                                                                                         Jury bei ihren Bereisungen unter Berücksichtigung
                                                                                                                                                                                         der individuellen wirtschaftlichen, ökologischen
                                                                                                                                                                                         und sozialen Ausgangsbedingungen erhält.

9
"Unser Dorf hat Zukunft" - 50 Jahre Dorfwettbewerb 1961-2011 - Bundesministerium für Ernährung ...
Für die Besetzung der Jury, die für 2013 beru-         Wettbewerb durchführen und an die sich verän-
fen wird, ist ein höherer Anteil von Frauen und        dernden Rahmenbedingungen anpassen. Damit
Jugendlichen wünschenswert. Allerdings hat sich        leistet er einen Beitrag, freiwilliges Engagement zu
das BMELV gemeinsam mit den Ländern und                stimulieren, d. h. zugleich Anreiz und Ermutigung
Verbänden entschieden, das Kriterium für die           für alle Dorfbewohner, die schon aktiv sind oder es
teilnahmeberechtigten Dörfer nicht zu erhöhen:         noch werden wollen, ihre Erfahrungen, Kreativität,
Im 24. Bundeswettbewerb sind, wie bisher räum-         Innovationskraft und Zeit für ihre Heimat einzu-
lich geschlossene Gemeinden oder Gemeindeteile         bringen. Das stärkt das soziale Miteinander und
mit überwiegend dörflichem Charakter mit bis zu        bringt zusätzliche Lebensqualität in den ländlichen
3.000 Einwohnern teilnahmeberechtigt.                  Räumen. Wichtig ist, dass die Dorfbewohner gern
                                                       in ihrer Heimatgemeinde leben, um sie attraktiver
Chancen und Stärken der Dörfer                         zu gestalten. Attraktiv ist die Region, wenn das
herausstellen                                          gesellschaftliche Leben pulsiert und die Menschen
                                                       sich einbringen können. Je reichhaltiger dieses
Der Wettbewerb ist eine Erfolgsgeschichte und          Leben und je mehr die Menschen darin verankert
das Ziel sollte auch künftig sein, die Akteure zu      sind, umso wohler fühlen sie sich auf dem Lande.
motivieren, weit über eine Verschönerung des
Ortsbildes hinaus Perspektiven für ihr Dorf zu ent-    Dr. Ulrich Neubauer,
wickeln und umzusetzen. Gleichwohl stellt sich die     Referatsleiter „Entwicklung ländlicher Räume“, Bun-
Frage, ob der Dorfwettbewerb in seiner heutigen        desministerium für Ernährung, Landwirtschaft und
Ausprägung noch zeitgemäß ist. Zu hinterfragen         Verbraucherschutz, Wilhelmstr. 54, 10117 Berlin
ist, inwieweit sich die Wettbewerbsschwerpunkte
weiter verlagern und ob die Bewertungskriterien        Monique Kluge,
richtig gewichtet sind? Gibt es genügend Unter-        Referat „Entwicklung ländlicher Räume“, Bundesmi-
stützung durch die Verbände und Verwaltungen           nisterium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
für die Akteure vor Ort? Sind zusätzliche Anreize      cherschutz, Wilhelmstr. 54, 10117 Berlin
für die Teilnahme am Bundeswettbewerb sinnvoll?
Ist die Zusammensetzung der Jury und die Art der
Bereisung der teilnehmenden Dörfer zu ändern?
Diese und andere Fragestellungen sollen durch
eine Evaluierung beantwortet werden, verbunden
mit entsprechenden Schlussfolgerungen für die          Dorfwettbewerb und
Weiterentwicklung des Dorfwettbewerbs.
                                                       Dorferneuerung haben
Auch in Zukunft soll der Dorfwettbewerb eine ge-       gemeinsame Vorfahren
meinsame Plattform für bürgerschaftlich motivier-
tes Engagement sein, nicht zuletzt um die Aner-
kennung der freiwilligen Leistungen zu würdigen.       Gott sei Dank „leisten“ wir uns in Zeiten von
Nur wenn es gelingt, die Chancen bzw. Stärken für      ökonomisch dominierten Zukunftsgutachten und
das Dorf im Dialog auszuloten und die Umsetzung        Ländlicher Raum-Diskussionen noch Initiativen,
der Ideen in die eigenen Hände zu nehmen, wird         wo es um „soziale Geborgenheit und Vertrautheit,
die Dorfentwicklung vorankommen. Dabei stehen          Heimatgefühl, um Gemeinsinn oder Schönheit
die Wirtschaftspotentiale, die Infrastruktur und       von Natur und Landschaften“ geht. Weltvergesse-
das soziale Umfeld im Mittelpunkt. Denn die Er-        ne Idealisten oder Traumtänzer mit Rückgriff auf
reichbarkeit von Arbeitsplätzen, Kindergärten und      fürstliches Mäzenatentum à la Pückler-Muskau
Schulen sowie das Angebot für Kultur und Freizeit      oder Franz von Anhalt-Dessau? Nein, die Rede ist
ist bereits heute wichtig für die Lebensqualität auf   vom Bundeswettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“,
dem Lande.                                             dessen Entstehung tatsächlich einer noblen Gesin-
                                                       nung und Haltung zu verdanken ist. Es ging, wie
Dörfliche Vielfalt ist Grundlage                       den Schöpfern der Landesverschönerung Mitte des
für Lebensqualität und Heimat-                         19ten Jahrhunderts um Schönheit, um Harmonie
empfinden                                              von Funktion und Form. Diese grundrichtige Idee
                                                       wurde im Zuge des Wettbewerbs vielfach miss-
Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-         verstanden, weshalb auch der „Blumenschmuck-
schaft und Verbraucherschutz wird auch künftig         wettbewerb“ diskreditiert und verächtlich gemacht
gemeinsam mit den Ländern und Verbänden den            worden ist.

                                                                                                             10
Die Dorferneuerung nahm eine positive Haltung
                                                      zum Wettbewerb ein und betrachtete ihn fortan
                                                      als willkommene Ergänzung, ja noch besser, als
                                                      motivatorische Vorstufe für den ganzheitlichen
                                                      Dorferneuerungsprozess.

                                                      Der Dorfwettbewerb ist aktive
                                                      Bürgerbeteiligung

                                                      Vor diesem Hintergrund, insbesondere vor der
                                                      anstehenden Aufgabenteilung zwischen Staat,
                                                      Kommunen, Wirtschaft und Bürgern kann der
                                                      Wettbewerb wichtige, ja zentrale Beiträge im Sinne
                                                      einer Bewegung von unten nach oben auf breites-
Die örtlichen Vereine entwicklen Ideen und Kon-       ter Basis leisten:
zepte sowohl in der förmlichen Dorferneuerung,
wie auch für den Dorfwettbewerb.                      1. Förderung von zukunftsfähigen, gemeinsam
                                                         getragenen Leitbildern,
                                                      2. Förderung der Gemeinschaften und des sozialen
Aber alle Kritik konnte dem populären Wettbewerb         Kitts gerade in Dörfern mit Segregationserschei-
nichts anhaben, zu beliebt war er auf dem Lande,         nungen,
zu stark verankert bei den örtlichen Obst- und        3. Stärkung von Engagement, Einbindung sowie
Gartenbauvereinen. Gerade diese wichtigen Träger         Nutzung des Potentials der älteren Generation
ländlicher Kultur hatten allerdings schwer zu            für die ländliche Gesellschaft,
schlucken, als mit der „amtlichen“ Dorferneuerung     4. Förderung nachhaltigen Denkens und Handelns
ein übermächtiger Konkurrent mit viel Geld und           sowie vor allem eigenbestimmter Selbstverant-
Professionalität am Horizont auftauchte. Neid und        wortung,
Konkurrenzgefühle waren die Folge, die beiden         5. Förderung vielfältiger lokaler und regionaler
Seiten schwer zusetzten, neu angefacht Anfang der        Initiativen, wie z. B. auf dem Gebiet erneuerba-
90er Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung.         rer Energien,
                                                      6. Förderung von interkommunalen und regiona-
Dorferneuerung und Dorfver-                              len Zusammenschlüssen,
schönerung – ein Widerspruch?                         7. Förderung von nachhaltigem, d. h. flächenspa-
                                                         rendem Flächenmanagement, wozu eine behut-
Der Kritik über „Blumenschmuckorgien“ und zu             same Innenentwicklung und die Umnutzung von
wenig strategische Ausrichtung und professionelles       Gebäuden anstelle des zu schnellen Konsums
Niveau einerseits stand der Vorwurf gegenüber, die       unbebauter Flächen gehören.
Dorferneuerung habe mit ihrem vielen Geld und
mehr staatlichen als privaten Initiativen und Pla-    Viele dieser Maßnahmen können ohne viel Geld,
nungen allzu leichtes Spiel. Dieser Vorwurf wurde     ohne große staatliche Schützenhilfe erfolgen.
noch verschärft durch die Ergebnisse des Wettbe-      Wichtig sind Freiwilligkeit und Gemeinschaft im
werbs, bei dem immer mehr staatlich geförderte        Denken und Handeln. Im Sinne der uralten ländli-
Dorferneuerungen die Medaillenplätze abräumten.       chen Weisheit „Schuster bleib bei deinem Leisten“
Vom Ausschluss der Dorferneuerungs-Dörfer war         sollten beide Verwandte, der Wettbewerb und die
plötzlich die Rede, von unterschiedlichen Kontin-     Dorferneuerung, sich ihrer jeweiligen Stärken voll
genten und Klassen, die man schaffen sollte etc.,     bewusst sein und noch mehr als bisher zusammen-
bis die Vernunft siegte und sich beide Seiten auf     finden, um dem ländlichen Raum durch lokale
Einladung der Präsidentin der Deutschen Garten-       Initiativen Stärke und Vitalität zu geben und damit
bau-Gesellschaft 1822 e.V., Gräfin Sonja Bernadotte   Zukunft zu eröffnen.
auf Schloss Mainau trafen.
                                                      Univ.-Prof. Dr.-Ing. Holger Magel,
Heute ist das Geschichte. Es kam wie es kommen        TU München, Lehrstuhl für Bodenordnung und Land-
musste: Der Wettbewerb wurde fortgeschrieben          entwicklung, Arcisstraße 21, 80333 München
und umbenannt, behielt aber seine Identität stif-
tenden Grundmerkmale bürgerschaftlichen und
viel auf Vereinsarbeit abgestützten Engagements.

11
50 Jahre Dorfwettbewerb

                          12
13
50 Jahre Dorfwettbewerb

Lange Tradition hatte die Dorfverschönerung bevor der Wettbewerb „Unser Dorf soll
schöner werden“ ins Leben gerufen wurde. Musterdörfer und Wettbewerbe für Städte
und Dörfer gab es in allen Teilen Deutschlands.

Dorfverschönerung vor 1961

Bereits in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg       4. „Pflege des Erbgutes“ im Sinne der vorherrschen-
wurde der Versuch unternommen, Musterdörfer              den Nationalsozialistischen Ideologie, aber auch
zu finden. Diese Aktion war durch die Nationalso-        Erhaltung der regional typischen figurativen
zialistische-Ideologie bestimmt. So fand ab 1937 in      Elemente, besonders Häuserfassaden, Plastiken
München-Oberbayern der Wettbewerb „Schönheit in          oder Laden­schilder.
Stadt und Land“ statt.
                                                      In der Phase des Wiederaufbaus nach dem Krieg
                                                      hatten einige Kreisverwaltungen die Probleme der
                                                      Dörfer und ländlichen Regionen erkannt. Dem
                                                      Drang der Menschen, in der Nachkriegszeit Miss-
                                                      stände zu beseitigen und dem Harmoniebedürfnis
                                                      zu entsprechen, wurde mit neuen Wettbewerben
                                                      entsprochen.

                                                      ó In Schleswig-Holstein startete der Kreis Her-
                                                        zogtum Lauenburg 1952 mit dem Wettbewerb
                                                        „Schönheit des Dorfes“, 1957 folgte der Kreis
                                                        Schleswig-Flensburg mit dem Wettbewerb „Das
                                                        schöne Dorf“ und 1959 der Kreis Eckernförde.
Verlar (Kreis Paderborn) in den 30er Jahren: Die      ó In Hessen führte der Lahn-Dill Kreis erstmals
Lippstädter Straße war noch unbefestigt, die            1955 den Kreiswettbewerb „Unser Dorf soll schö-
hygienischen und sozialen Bedingungen im Dorf           ner werden“ durch. Das Land Hessen veranstalte-
waren schwierig.                                        te ab 1958 Landeswettbewerbe.
                                                      ó Auch in Bayern wurden bereits 1961 in mehre-
                                                        ren Kreisen Anwesens- und Ortsverschönerungs-
Er zielte auf vier Kernbereiche:                        wettbewerbe veranstaltet.
1. Landschaft und eine möglichst gute Integration
   des Ortes in die Umgebung.                         Sebastian Strube,
2. Sauberkeit, besonders in allen öffentlichen und    Gartenstraße 3, 80809 München
   privaten Gebäuden und Anlagen.
3. Gemeinschaftsanlagen, wie Friedhöfe, Gaststätten   Lutz Wetzlar,
   und vor allem lokale Ortsgruppenhäuser mussten     Tulpenstiege 3, 48341 Altenberge
   mit besonderer Sorgfalt errichtet und gepflegt
   werden.

                                                                                                      14
Dorfwettbewerb in
                                                     ó Die Sammlung von Sekundärrohstoffen galt als
der ehemaligen DDR                                     volkswirtschaftlich höchst wichtige Mach-mit-
                                                       Initiative. Die rohstoffarme DDR war auf Schrott,
„Schöner unsere Städte und Gemeinden – Mach            Altpapier, Alttextilien und Gläser dringend
mit!“ war das offizielle Signet des Bürgerengage-      angewiesen.
ment in der DDR. Staatlich gelenkt und in den
Volkswirtschaftsplan integriert war dieses Engage-   Mit diesen Beispielen sind die wichtigsten Aufga-
ment ein Instrument zur Inanspruchnahme der          benfelder umrissen. Nach örtlichen Gegebenheiten
Bürger und Bürgerinnen und wurde in Form eines       konnten auch andere Projekte einbezogen werden,
sozialistischen Wettbewerbs geführt, mit dem Ziel    so das Anlegen und die Pflege eines Fischteichs,
der Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität.       Regulierung eines kleinen Wasserlaufs, Bau eines
Die Bürger wurden so angehalten, in ihrer Freizeit   Gemeinschaftshauses für einen Verein.
und an Wochenenden unentgeltliche Arbeitsleis-
tungen (Subbotnik) vor allem bei der Verschöne-
rung des Wohnumfelds zu erbringen.

Die Organisation des sozialistischen
Wettbewerbs

Trägerin dieser Initiative war die Nationale Front
(NF), der Zusammenschluss aller politischen Par-
teien und Massenorganisationen der DDR. Die NF
kannte keine persönliche Mitgliedschaft, verfügte
aber über ein sehr differenziertes Organisations-
netz. Auf jeder dieser Ebenen nahmen Bürger und
Bürgerinnen, zumeist ehrenamtlich Funktionen
wahr. Dem Nationalrat oblag es, eine langfristige    Engagement und politische Wertung
Planung für die Mach-mit-Bewegung zu erarbeiten,
die mittelfristig von den Untergliederungen aufge-   Die Mach-mit-Initiative bot den Bürgern und
schlüsselt wurde und an der Basis kurzfristig und    Bürgerinnen in der DDR nicht die Möglichkeit des
konkret umzusetzen war.                              spontanen Reagierens. Partei und Staat erwarteten
                                                     zwar Engagement, das aber sollte in vorgegebe-
Aufgabenfelder der Mach-mit-Initiative               nen Bahnen ablaufen. Damit blieb für Proteste
                                                     gegen staatliche Politik kein Raum, allenfalls die
ó Bei allen Veröffentlichungen zum Bürgeren-         Befriedigung dringender Bürgerbedürfnisse konnte
  gagement standen Leistungen für die Lösung         eingefordert werden.
  der Wohnungsfrage als soziales Problem im
  Vordergrund. Es ging immer um freiwillige          Allerdings musste der Bürger damit rechnen, dass
  Arbeitseinsätze in der Freizeit bei allen Mach-    er selbst in Anspruch genommen wurde, dass er
  mit-Projekten.                                     Freizeit und Arbeitskraft zu investieren hatte. Man-
ó Junge Menschen, die einen eigenen Hausstand        cher Bürger war zum Engagement bereit, weil an-
  gründen wollten, konnten die Wartezeit auf         ders Ärgernisse nicht zu beheben waren. Er konnte
  eine Wohnung durch den Ausbau einer Altbau-        auch nicht verhindern, dass seine Bereitschaft als
  wohnung abkürzen. Dies wurde als Beitrag zur       Beweis für politische und weltanschauliche Über-
  Mach-mit-Initiative gewertet.                      einstimmung mit der Führung gewertet wurde. Es
ó Die Gestaltung und Pflege der Wohnumwelt           gehörte zum Charakter dieser Bürgerinitiativen,
  gehörte ebenfalls zum Mach-mit-Bereich. Hierbei    dass für erbrachtes Engagement Auszeichnungen,
  ging es u. a. um Höfe und Vorgärten, um Spiel-     Ehrentitel und Prämien vergeben wurden. Damit
  plätze und Freiflächen, um Parks und Denkmal-      reihte sich auch die Mach-mit-Initiative in das
  anlagen bis zur Erneuerung und Gestaltung von      Gesamtsystem gesellschaftlicher Organisiertheiten
  Straßen und Plätzen.                               ein: Arbeitskollektiv, Massenorganisation, Hausge-
                                                     meinschaft oder Kleingärtnerverband.

                                                     Uwe Briese,
                                                     Kleiststraße 55, 16552 Schildow

15
Die Grüne Charta von der Mainau

Die Initiative zu einer „Grünen Charta“ ging von der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft
1822 e.V. (DGG) mit ihrem Präsidenten, Graf Lennart Bernadotte, aus. Die „Grüne Charta
von der Mainau“ war Aufbruch in eine neue Zeit nach dem Krieg mit der Hoffnung auf ein
besseres Leben auf dem Land. Sie war aber auch ein Instrument der Integration, mit der
eine Brücke von der ideologischen Verklärung von Landschaft und Dorf als Volksraum zu
sachlich-funktionaler Kulturlandschaft bäuerlicher Prägung der modernen Zeit gebaut
werden konnte.

Vom germanischen Land-                                 Westdeutschland der 1950er Jahre mit dem Thema
                                                       Landschaftsschutz beschäftigten. Führende Köpfe
schaftsraum zu bäuerlicher                             waren die Professoren Werner Lendholt, Hermann
Kulturlandschaft                                       Mattern, Gustav Allinger, Alwin Seifert und auch
                                                       Heinrich Wiepking. Sie alle wirkten in der Zeit
                                                       zwischen 1933 und 1945 in führenden Positionen
Idee und Zielsetzung der Grünen                        in nationalsozialistischen Landschaftspflege- und
Charta von der Mainau                                  Naturschutzprojekten z. B. Wartegau/Polen, Reichs-
                                                       autobahn, Generalplan Ost mit.
Zum 5. Mainauer Rundgespräch hatten Graf
Lennart Bernadotte und die DGG am 20. April            Vom Generalplan Ost zur
1961 auf die Insel Mainau eingeladen, um über die      Raumordnung
Zukunft des ländlichen Raumes zu diskutieren. Die
herausgehobene Stellung von Graf Bernadotte und        Dass die Grüne Charta trotz dieser historischen
seine Fähigkeit, die unterschiedlichsten Menschen      Belastung zu einem zentralen Dokument des mo-
zusammenzubringen, ließen dieses Mal neben Par-        dernen Umweltschutzgedankens werden und somit
lamentariern, Wirtschaftsvertretern und Wissen-        auch grundlegend für den Dorfwettbewerb konnte,
schaftler selbst den Bundespräsidenten anreisen.       hatte vor allem zwei Gründe:
                                                       ó zum ersten die Abwendung vom volksräumli-
Heinrich Lübke übernahm die Aufgabe die „Grüne            chen Denken und
Charta von der Mainau“ offiziell vorzustellen. Diese   ó zum zweiten der pragmatische und problem-
Charta galt den Anwesenden als wichtigste program-        bezogene Zugang zu Fragen der Umweltzer-
matische Grundlage für die Neuordnung des ländli-         störung und der Neuordnung des ländlichen
chen Raumes. Damit war sie auch Grundlage für den         Raumes.
Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“. In der    So begriff etwa Heinrich Wiepking den ländlichen
Charta waren die wesentlichen Grundideen zusam-        Raum vor allen Dingen als Volksraum. Im Rahmen
mengefasst, die den Wettbewerb in den 1960er und       seiner Tätigkeit für den Generalplan Ost, also die
70er Jahren bestimmten. Zudem war sie einer der        geplante deutsche Besiedelung des annektierten
wichtigsten Meilensteine bei der Entwicklung von       und entvölkerten Russlands schrieb er 1941, dass
einem stark ideologisierten und völkisch begrün-       „Landschaftsräume […] eine deutsch-germanischer
deten Landschaft- und Heimatschutz hin zu einem        Wesensart entsprechende Gesamtgestaltung erhal-
modernen, am Menschen orientierten Naturschutz         ten“ müssten.
auf ökologisch-wissenschaftlicher Basis.
Die Charta war von einer Kommission unter Vorsitz      Die „deutsch-germanische Wesensart“ zum Leitge-
von Graf Lennart Bernadotte erarbeitet worden.         danken einer Raumordnung der Bundesrepublik
Hier fanden sich die wichtigsten Landschaftsge-        zu machen, war allerdings nicht möglich. Statt-
stalter fast aller Lehrstühle zusammen, die sich in    dessen löste man sich in den 1950er Jahren aus

                                                                                                       16
dem völkischen Kontext und begann, verstärkt von     Schutz der Natur um der Menschen
einer „bäuerlichen Volkskultur“ zu sprechen, die     Willen
der Träger der ländlichen Entwicklung sein sollte.
Eine neue Generation von Landschaftsgestaltern,      Gleichzeitig ist man sich bewusst, dass der länd-
wie etwa Gerhard Olschowy, 1964 bis 1978 Direk-      liche Raum auch einen Wirtschafts- und Wohn-
tor des Bundesamtes für Naturschutz und Mitglied     raum darstellt, der sich entwickelt und verändert.
der Bundesbewertungskommission, verstand es,         Von Anfang an war der Wettbewerb auch darauf
den Begriff „innovativ“ zu nutzen. Die Bedeutung     ausgelegt, Entwicklungen zu ermöglichen, dabei
der „bäuerlichen Volkskultur“ leitete sich für Ol-   aber negative Folgen zu vermeiden. Auch für die
schowy, der bei Wiepking in Berlin studiert hatte,   Grüne Charta ist das Bemühen um einen Ausgleich
nicht aus ihrem nationalen oder gar völkischen       zwischen Forderungen nach einer Weiterentwick-
Charakter ab, sondern aus dem ressourcenschonen-     lung des ländlichen Raumes und dem Schutz der
den Umgang der bäuerlichen Landwirtschaft mit        Umwelt sowie der natürlichen Ressourcen grundle-
ihrer Umwelt. Die Kulturlandschaft und das darin     gend. Sie will eben nicht den Schutz der Natur nur
beheimatete Dorf zeichneten sich dadurch aus,        um ihrer selbst Willen, sondern um den Bewoh-
dass sich in ihr Umwelt und menschliche Bedürf-      nern der Dörfer die Grundlage für eine nachhalti-
nisse nach Wohn- und Wirtschaftsraum in einem        ge und gesunde Entwicklung zu bewahren.
harmonischen Verhältnis befanden.
                                                     Im Laufe der 1960er Jahre verlor die Idee, die
Beteiligung der lokalen Bevölkerung                  bäuerliche Landwirtschaft zum Träger einer
                                                     nachhaltigen Entwicklung des ländlichen Raumes
Dies war der Grund, aus dem es in den Augen          zu machen, aufgrund demografischer und volks-
Olschowys und anderer galt, den bäuerlichen          wirtschaftlicher Entwicklungen immer weiter an
Kulturraum zu schützen und zu bewahren. Deshalb      Bedeutung. Die bäuerliche Landwirtschaft war in
wurde im ersten Dorfwettbewerb 1961 auch großer      den meisten Dörfern nicht mehr präsent genug,
Wert auf die Bewahrung bäuerlicher Hofstellen        um hier Träger der gesellschaftlichen Entwicklung
und bäuerlicher Kulturlandschaft gelegt. Zudem       zu sein. So wandte sich auch der Dorfwettbewerb
ist hier von Anfang an ein zweiter wesentlicher      zunehmend modernen Planungsmethoden zu, wie
Moment des Dorfwettbewerbes verankert: die Betei-    sie ebenfalls in der Charta eingefordert wurden.
ligung der lokalen Bevölkerung. Indem gerade die
traditionellen Praktiken bäuerlichen Wirtschaftens   Grüne Charta und Dorfwettbewerb
betont wurden, waren es die ortsansässigen Bau-
ern, die über die Erfahrung verfügten, ihre Dörfer   So weit wäre es allerdings ohne Graf Lennart Ber-
zu bewirtschaften und zu gestalten. Gerade im        nadotte wahrscheinlich nicht gekommen. Er war
ersten Dorfwettbewerb verfügte dieser bewahrende     es, der die vielen Persönlichkeiten, die am Wett-
Moment über eine noch deutlich stärkere Ausprä-      bewerb und an der Charta arbeiteten, zusammen-
gung, als der Anspruch zu modernisieren.             brachte. Er verstand es, den damaligen Bundes-
                                                     präsidenten Heinrich Lübke davon zu überzeugen,
                                                     die Schirmherrschaft über den ersten Wettbewerb
                                                     zu übernehmen. Es war das glückliche Zusammen-
                                                     wirken der Persönlichkeit von Graf Lennart Berna-
                                                     dotte, der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822
                                                     e.V. als tragende Institution und nicht zuletzt der
                                                     genius loci der Insel Mainau die es ermöglichten,
                                                     dass aus einer Idee ein Wettbewerb wurde, der den
                                                     ländlichen Raum der Bundesrepublik nachhaltig
                                                     bis heute prägt.

                                                     Sebastian Strube,
                                                     Gartenstraße 3, 80809 München

                                                     Graf Lennart Bernadotte, Präsident der Deutschen
                                                     Gartenbau-Gesellschaft 1822 e.V.

17
Unser Dorf soll schöner werden

Die Situation auf dem Land und in den Dörfern in den 1950er und 1960er Jahren war
geprägt von einem hohen Anteil Landwirtschaft und regionaler Selbstversorgung ein-
schließlich ländlichem Handwerk und kleinen Lebensmittelgeschäften, mangelhaftem
Straßennetz und beschränkter Mobilität. Viele Dörfer waren autark und selbständige
kommunale Einheiten, Schulen und Kirchen gehörten selbstverständlich dazu.
Die ersten Dorfwettbewerbe jener Zeit öffneten neue Wege zu modernen attraktiveren
Dörfern, zu mehr Lebensqualität und gleichwertigen Lebensverhältnissen.

Wie sah das Leben auf dem
Land damals aus?

Um die Zielsetzungen des Wettbewerbs und die
Beweggründe für dessen Einführung zu verstehen,
muss man sich die damalige Situation vor Augen
führen. Die Folgen des Zweiten Weltkrieges haben
sich direkt oder indirekt noch immer ausgewirkt,
etwa im Hinblick auf den Renovierungsstau bei
Gebäuden oder die dramatischen Einschnitte in
den Familien. Vor diesem Hintergrund ist es nach-
vollziehbar, dass der Wettbewerb die Umgebung
der Menschen verschönern wollte. Sie sollten sich
an ihrer Heimat erfreuen, um sich noch stärker mit
ihr identifizieren zu können. Zugleich war es eine
Zeit des Umbruchs, die auch von der großpoliti-      Großfamilie bei der Hausschlachtung
schen Lage beeinflusst wurde. Der Bau der Berliner
Mauer verursachte zu Beginn der 60er Jahre Angst
und Stagnation. Dieser folgte aber bald der Auf-
schwung, angeschoben durch die Unterstützung         landwirtschaftliche Produktion waren Scheunen
der USA.                                             und Ställe, die das Ortsbild geprägt haben und
                                                     heute in der Regel anderweitig genutzt werden.
Die Dörfer Baden-Württembergs waren in erster
Linie von der Landwirtschaft geprägt. Sie war in     Die Mechanisierungswelle rollte gerade voll an.
der Regel noch die wichtigste Einnahmequelle und     Getreide wurde zwar zum Teil bereits mit dem
beeinflusste sowohl die Infrastruktur als auch die   Mähdrescher oder dem Bindemäher geerntet,
Bausubstanz der Dörfer. Einrichtungen wie das        Schlepper setzten bis dato jedoch nur die größeren
Milchhäusle (die Milchannahmestelle) oder der        Betriebe ein. In den kleinstrukturierten Familien-
Farrenstall (Gebäude zur gemeindeeigenen Va-         betrieben wurden meist Ochsen oder Pferde für die
tertierhaltung) stellten wichtige Bestandteile der   Transport- und Feldarbeiten genutzt. Man benö-
örtlichen Infrastruktur dar. Voraussetzung für die   tigte sozusagen jede Hand, einschließlich die der

                                                                                                      18
Frauen, älterer Menschen und ab einem gewissen        Die Grundversorgung war den damaligen Gegeben-
Alter auch der Kinder. „Urlaub“ war geradezu ein      heiten angepasst. Auch kleine Gemeinden mit nur
Fremdwort. Dies spiegelt sich unter anderem in der    wenigen Hundert Einwohnern hatten einen oder
Zahl der Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirt-   mehrere „Tante-Emma-Läden“ und zumindest ein
schaft wider. Diese lag in Baden-Württemberg im       bis zwei Gastwirtschaften. Das Angebot wurde er-
Jahr 1961 bei ca. 16 %. Heute dagegen sind zwi-       gänzt durch fahrende Händler, den Einkauf in der
schen 1 und 2 % aller Erwerbstätigen in der           nächst gelegenen Stadt oder auf dem Jahrmarkt.
Land- und Forstwirtschaft beschäftigt. Der Hand-      Die Raiffeisengenossenschaft mit angeschlossener
werksbetrieb, meist mit Nebenerwerbslandwirt-         Bank und der Landhandel zählten ebenso dazu. Da-
schaft, wie etwa der Schreiner, der Schuhmacher       rüber hinaus hatte die Selbstversorgung mit Obst
oder der Flaschner gehörten selbstverständlich        und Gemüse aus eigenem Anbau oder mit Produk-
zum Dorfbild.                                         ten aus der Landwirtschaft große Bedeutung. Mit
                                                      der Hausschlachtung war der Fleisch- und Wurst-
Landflucht                                            bedarf größtenteils gedeckt. Brot wurde in der
                                                      Regel im Gemeinschaftsbackhaus selbst gebacken.
Der industrielle Aufschwung hatte aber auch die       Auf den Tisch kam, was die Saison bot. Und für
Abwanderung junger Menschen in nichtlandwirt-         den Winter wurde mit traditionellen Konservie-
schaftliche Berufe und in gewissem Umfang eine        rungstechniken wie das Einmachen von Kraut oder
damit verbundene Landflucht zur Folge. Wurden         Bohnen mit Salz, das Räuchern von Wurst und
junge Frauen in der Vergangenheit zu Hause in der     Fleisch oder durch Einwecken vorgesorgt. Mancher-
Landwirtschaft benötigt, so war es mehr und mehr      orts gab es bereits Gemeinschafts-Gefrieranlagen.
üblich, eine Ausbildung beispielsweise als Sekre-     Mit der medizinischen Versorgung war es dagegen
tärin, Verkäuferin oder Friseurin zu absolvieren.     meist schlecht bestellt. Ärzte und Apotheken ließen
Andere betätigten sich als angelernte Arbeitskräfte   sich nur in der Stadt oder in größeren Gemeinden
in Fabriken.                                          nieder.

Getreideernte in Handarbeit

19
Große Familien unter einem Dach                        konnte aber jeder schon eine Ausbildung machen.
                                                       Die Frauen bekamen die Kinder mit Anfang 20.
Ein großes Plus der damaligen Zeit war das selbst-     Die meisten Dorfbewohner waren in die örtlichen
verständliche Miteinander der Generationen. Na-        Vereine eingebunden. Große Dorffeste waren die
türlich barg das Zusammenleben von Großeltern,         Höhepunkte im Jahr.
Eltern und Kindern auch Konfliktstoff. Andererseits
war aber das „Betreute Wohnen“ älterer Familien-       Aufwärts mit neuen Straßen,
mitglieder gesichert. Sie arbeiteten im Haus und       Kanälen und Wasserleitungen
auf dem Hof nach ihren Kräften mit, bekamen jedoch
bei Bedarf die Hilfestellung, die sie brauchten.       Langsam setzte sich die Verbesserung der Infra-
Auch Kinder hatten immer einen Ansprechpartner.        struktur mit einer Abwasserbeseitigung über das
Durch den Geburtenüberschuss hatte die Alters­         Kanalnetz und eine zentrale Wasserversorgung
pyramide noch die Form eines Tannenbaumes.             durch. Der Dorfbach wurde vielfach kanalisiert, um
In vielen Häusern lebten die unverheirateten           als Vorfluter für ungereinigte Abwässer zu dienen.
Geschwister des Bauern mit, die wichtige Arbeits-      Man heizte mit Holz und Kohle. Der Ölofen wurde
kräfte darstellten.                                    erst in den 1960er Jahren eingeführt.
                                                       Nach dem Motorroller brachte das Auto in den
Da die meisten Familien unter einem sogenannten        1960ern eine zunehmende Mobilität. Die Dampflok
Hausnamen bekannt waren, hatten Nachnamen              und später die elektrische Eisenbahn brachten die
in der Dorfgemeinschaft nur nachrangige Bedeu-         Arbeiter zu den Fabriken.
tung. So konnte etwa die Urenkelin aus dem Haus
des schon lange verstorbenen Bäckers immer noch        Die Gebäude waren noch schlecht isoliert und
„Becka Klara“ heißen. Die Geschicke des Dorfes         wurden mit Vorfenstern im Winter abgedichtet. Es
wurden von den Honoratioren (Schultheiß bzw.           wurde renoviert, gebaut und aufgestockt. Die land-
Bürgermeister, Pfarrer und Lehrer) sowie dem           wirtschaftlichen Betriebe siedelten aus. Flurbereini-
Gemeinderat gelenkt. Die Stellung des Einzelnen        gungen machten nun eine großflächige Landwirt-
im Dorfgefüge war unter anderem vom Besitz der         schaft möglich.
Familie sowie von deren Bedeutung abhängig.
Auch das Sozialgefüge befand sich im Umbruch,          In diese Aufbruchstimmung passte der Wettbewerb
insbesondere durch den Zuzug von Flüchtlingen          „Unser Dorf soll schöner werden“. Er lenkte den
nach dem Zweiten Weltkrieg.                            Blick nicht nur auf das Überleben, sondern auf die
                                                       Schönheit und Kultur des Dorfes.
Die Kinder gingen auf die Volksschule z. T. in jahr-
gangsübergreifende Klassen. Nur wenigen war der        Angelika Appel,
Besuch des Gymnasiums vorbehalten. Allerdings          Regierungspräsidium Karlsruhe, Schlossplatz 1-3,
                                                       76131 Karlsruhe und

                                                       Ingrid Bisinger,
                                                       Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucher-
                                                       schutz Baden-Württemberg, Kernerplatz 10,
                                                       70182 Stuttgart

                                                       Kinder durften überall dabei sein, sie störten
                                                       selbst die schweren Erntearbeiten nicht.

                                                                                                          20
Planung und Ästhetik – das
erste Jahrzehnt

Der Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“
ist seit seinem Beginn vor fünfzig Jahren zu einer
massenwirksamen Veranstaltung im ländlichen
Raum geworden. Ihm haftete gelegentlich das
Image einer rückwärtsgewandten ästhetisieren-
den Blumenschau an. Doch schon in der Frühzeit
bemühten sich die Initiatoren um professionelle
Strukturen, indem sie sowohl die Zielkonzeption
als auch den Kreis der beteiligten Organisationsin-
stanzen ausweiteten. Insofern war der Dorfwett-
bewerb höchstens zu Beginn jener spießige „Blu-
menkastenwettbewerb“, als den ihn ein Teil der
städtischen Öffentlichkeit wahrnehmen mochte.

So fing es an – schöne Dörfer als
touristische Attraktion

Der im zweijährigen Turnus stattfindende Bun-
deswettbewerb mobilisierte im ersten Jahrzehnt
mit stark steigender Tendenz regelmäßig mehrere
Millionen Menschen in tausenden westdeutschen
Dörfern. Die rapide Aufwärtsentwicklung innerhalb     Straßenbild aus Helsa, (Landkreis Kassel), 1968
nur eines Jahrzehnts war zunächst vor allem den
touristisch geprägten Regionen fernab der Groß-
städte zu verdanken. So waren anfänglich nicht
nur die Beteiligungsquoten in Bayern, Hessen und
Rheinland-Pfalz überproportional hoch, sondern        Bürgerbeteiligung und Planung
auch die Erfolge. Zahlreiche Preise gingen in diese
Regionen, was nicht zuletzt mit der Unterstützung     Um das Image des „Blumenkastenwettbewerbs“
durch die jeweiligen Landesregierungen zusam-         zu überwinden, bemühten sich die Verantwort-
menhing. In den übrigen Bundesländern stieg die       lichen von Beginn an darum, moderne Gestal-
Zahl der teilnehmenden Dörfer spürbar in den          tungsprinzipien einzuführen. Die sachgerechte
siebziger Jahren.                                     Bepflanzung von Gärten und öffentlichen Anlagen
                                                      sollte zwar weiterhin ihren Platz behalten, doch
 Jahr     Teilnehmende Dörfer bundesweit              verschoben sich die Ausschreibungs- und Bewer-
 1961                  1.970                          tungskriterien zusehends. So traten im Laufe der
 1965                  3.447                          sechziger Jahre zu den rein ästhetischen Faktoren
 1969                  3.932                          auch gesellschaftspolitische und raumplanerische
 1973                  4.222                          Zielvorstellungen hinzu. Identität, Gemeinschafts-
                                                      bildung, Erhöhung der Lebensqualität auf dem
Erstmals entstand in Hessen 1958 ein Landeswett-      Lande – all diese Ziele verband man fortan mit
bewerb. Möglicherweise versuchte man bereits in       dem Wettbewerb. DGG-Präsidiumsmitglied, Hans-
dieser frühen Phase, die zunehmende Bautätigkeit      Ulrich Schmidt, vertrat 1962 in der Zeitschrift Der
und den damit verbundenen Flächenverbrauch            Landkreis gar die Meinung, „[...] dass Ordnung und
zu kanalisieren bzw. abzufedern. Immerhin war         Hilfsbereitschaft in der Familie und in der Dorf-
das sogenannte Wirtschaftswunder von einem            gemeinde auch ein Beitrag zum Frieden der Welt
wachsenden Wohnungsbau im privaten und sozia-         sein kann“.
len Sektor geprägt, was auch auf den Dörfern zu
spüren war.

21
Parallel zur Zielausweitung beteiligten sich immer     Erste Schritte zur Erhaltung der
mehr Experten aus Verbänden und Verwaltung             natürlichen Lebensgrundlagen
in den Jurys auf Bundes- und Länderebene. Aka-
demisch ausgebildete Architekten, Raum- und            Anfang der 1970er Jahre geriet der Natur- und
Landschaftsplaner gewannen zusehends an Terrain        Landschaftsschutz, wie er auch von der DGG
und sorgten dafür, dass der Bewertungsfaktor „Pla-     verstanden wurde, in eine gewisse Konkurrenz­
nung“ in Form von Flächennutzungs- und Bauleit-        situation zur Umweltbewegung. Allerdings machte
plänen immer stärkeres Gewicht erhielt.                sich dies bei den Teilnehmerzahlen des Dorfwettbe-
                                                       werbs zunächst nicht negativ bemerkbar. Die neu-
Neuordnung des Landraumes                              en Bürgerbewegungen gingen mit ihren Forderun-
                                                       gen über die bloße Erhaltung des Lebensraumes
Dadurch diente der Wettbewerb der systemati-           bzw. einzelner Tier- und Pflanzenarten hinaus und
schen Neuordnung des Lebensraumes mithilfe             stellten – nach der 1968er Bewegung entsprechend
weitreichender Planungsinstrumente. So schreck-        politisiert – den westlichen Lebensstil generell in
ten die Initiatoren auch vor einer missionarischen     Frage. Die Erhaltung der natürlichen Lebensgrund-
Haltung nicht zurück, um „Fehlentwicklungen“ in        lagen war jedoch keineswegs erst ein Thema der
den Dörfern zu vermeiden.                              späteren Ökologiebewegung der siebziger Jahre.
                                                       Im Unterschied zu dieser waren die Natur- und
Mit diesem starken Vertrauen in die Planbarkeit        Landschaftsschutzbemühungen der Sechziger je-
gesellschaftlicher Prozesse bewegten sich die Betei-   doch institutionell angebunden und setzten damit
ligten am Dorfwettbewerb in einem allgemeinen          eine ältere, aus dem 19. Jahrhundert herrührende
Trend: In der Bundesrepublik gewannen Planungs-        Tradition der bürgerschaftlichen Kooperation mit
experten in den sechziger Jahren zunehmend an          staatlichen Organen fort.
Gewicht, beispielsweise in der Politikberatung,
aber auch hinsichtlich volkswirtschaftlicher Steu-     Der Dorfwettbewerb wird
erungsfragen. Der Dorfwettbewerb eröffnete ein         zum Instrument der „rationalen
neues Betätigungsfeld für Experten, die mit ihrem      Modernisierung“
theoretischen Wissen die Handlungspraxis der
Menschen auf dem Lande und deren ästhetische           Auch im Rahmen des Dorfwettbewerbs ging es
Leitvorstellungen zu beeinflussen suchten.             darum, das öffentliche Engagement gezielt zu we-
                                                       cken und in geordnete, d. h. von Planern begleitete
Landschaftsplanung als Teilziel der                    bzw. vorgegebene Bahnen zu lenken. Planung war
Grünen Charta von der Mainau                           für die DGG selbst dann noch ein zentraler Wert,
                                                       als andere Institutionen in den siebziger Jahren
DGG-Präsident Graf Lennart Bernadotte selbst hatte     begannen, deren Potential eher kritisch unter dem
Planungselementen schon 1961 in der „Grünen            Aspekt einer zentralistischen Entmündigung zu
Charta von der Mainau“ grundsätzlich einen hohen       betrachten. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass
Stellenwert eingeräumt und die Aufstellung von         der Dorfwettbewerb zur Durchsetzung des Pla-
z. B. Landschaftsplänen gefordert. Die Organisato-     nungsgedankens und damit zur rationalen Moder-
ren des Dorfwettbewerbs sahen Planung als wich-        nisierung im ländlichen Raum beigetragen hat.
tigstes Instrument, um die Natur vor Übergriffen
des Menschen zu schützen. Hiermit meinten sie          Dr. Rainer Pöppinghege,
in erster Linie die Gefahren der Zersiedelung und      Priv. Doz. Uni Paderborn, Otto-Weddigen-Straße 9,
damit verbundene „Bausünden“.                          48145 Münster

                                                                                                           22
Bereits in den Anfangsjahren des Wettbewerbs verfasste die Bundesbewertungskommission kurz
gefasste Protokolle, in denen die besonderen Merkmale der Dörfer und deren Leistungen beschrieben
wurden. Nierswalde ist ein typisches Beispiel für die beginnende Planungsorientierung als substanziel-
ler Beitrag zur Neuorientierung des ländlichen Raumes.

Aus: Deutsche Gartenbaugesellschaft – Bundeswettbewerb 1965

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Die Rahmenbedingungen ändern sich

In den 1970er und 1980er Jahren hatten die Dörfer und Gemeinden in den ländlichen
Regionen mit großen Umwälzungen zu kämpfen. Diese sind Folge struktureller Verände-
rungen in der Landwirtschaft – größere Betriebe, Mechanisierung, weniger Beschäftigte
– und bedeutender gesetzlicher Vorhaben in nahezu allen Bundesländern: Denkmal-
pflege- und Naturschutzgesetze beeinflussen die Entwicklung. Abfallkreislaufwirtschaft
mit Einführung des Recyclings verlangen regionale Konzentrationen, Gesetzgebung zum
Boden- und Wasserschutz und auch Reformen in den Kommunen mit Zusammenlegun-
gen zu Großgemeinden oder Verwaltungsgemeinschaften verändern das Bild der Dörfer.
Das alles bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Wettbewerbsgeschehen. Wie reagieren
die Beteiligten?

Der Wettbewerb der                                    Basis war schon seinerzeit die Grundlage für die

Jahre 1975 bis 1984 in                                Erhaltung und Weiterentwicklung des Dorfes. Aber
                                                      bei der Angliederung von Neubaugebieten, der
Niedersachsen                                         Ansiedlung von Gewerbebetrieben und der Einord-
                                                      nung neuer Großbauten der technisierten Land-
                                                      wirtschaft entstanden in den Dörfern erhebliche
Chancen für historische Dörfer                        gestalterische Probleme.

Der Wettbewerb hatte in den langen Jahren seit        Viele Dörfer trugen an der Last dieser Entwicklung,
seiner Einführung 1959 bis hinein in das Jahr 1984    die mit einem Verlust an Originalität und Sied-
gezeigt, dass Dörfer mit ursprünglicher Siedlungs-    lungsqualität verbunden war. Sie standen vor der
struktur und Bausubstanz die größten Chancen          Frage: Was nun? Wie soll es weitergehen?
zu hoher Auszeichnung hatten. Zahlreiche Dörfer       Der Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“
Niedersachsens wurden im Zweiten Weltkrieg            hatte 1975 in Niedersachsen 500 Gemeinden oder
schwer beschädigt und mussten schnell wieder          Ortsteile erfasst. Und schon damals zeigte sich, dass
aufgebaut werden. Andere Gemeinden haben              immer mehr Bürger in den ländlichen Gemeinden
durch die Aufnahme von Flüchtlingen, Umsiedlern       ihre eigenen Gestaltungsvorstellungen mit den
und Zuwanderern eine vielfache Ausdehnung der         Zielen des Wettbewerbs gleichsetzten.
ursprünglichen Ortsubstanz erfahren. Die wirt-
schaftlich-technische Entwicklung brachte zudem       Neubaugebiete und städtische
Baukörper und Anlagen ins Dorf, für die es dort       Bauformen drängen aufs Land
bislang keine Beispiele gab.
                                                      Die neuen Anforderungen an unsere Gemeinden
Ländlicher Strukturwandel schafft                     und unseren Lebensraum führten dazu, dass dem
neue Vorbilder                                        Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“
                                                      neue Ziele und Inhalte zuwachsen mussten.
Diese Entwicklungen waren im Dorf auch notwen-        Bis 1975 hatte eine stürmische Entwicklung und
dig, um der Landwirtschaft Produktivitätssteigerun-   starke Ausweisung neuer Wohngebiete die Lage
gen zu ermöglichen, den Einwohnern neue Ar-           in den ländlichen Gemeinden beeinflusst.
beitsplätze zu bieten und damit der Abwanderung       In die Dörfern drängten sich Siedlungsstrukturen,
entgegenzuwirken. Eine gesunde ökonomische            Bauformen und Grünordnungsvorstellungen, die

                                                                                                        24
auf städtische Räume zugeschnitten waren und         Das Bewusstsein für eigenständige
dem ländlichen Raum wenig entsprachen.               Gestaltqualität wächst

Der technische Fortschritt beeinflusste auch die     Die Erfahrungen haben seinerzeit auch die Gren-
landwirtschaftlichen Produktionsverfahren, so dass   zen aufgezeigt. Mit neuen Zielsetzungen wurde
sich auch die ausgewogenen Bauformen der alten       versucht, den Naturhaushalt auszugleichen und
landwirtschaftlichen Gebäude wandelten.              einen Lebensraum zu sichern, wie er der Natur des
Das Bestreben der ländlichen Gemeinden, an der       Menschen angemessen ist. Schließlich ging es da-
allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung teilzu-     rum, sich auf die Lebensgestaltung in der Familie
nehmen, führte zur Ansiedlung von Gewerbebetrie-     und in einer überschaubaren Dorfgemeinschaft zu
ben, zur Ausweitung des Fremdenverkehrs und zur      besinnen.
Aufstellung von Bebauungsplänen.

Schrift, Präsentation und Wortwahl der Broschüre von 1975 zeigen deutlich, worauf es ankam: Das Dorf
soll schöner werden.

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